Eine Hommage an eine Frau mit vielen Namen

Kategorie: Texte

Theoretische Texte, Forenpostings etc

Computer und Magie

von
HELLMUT W. HOFMANN

Vorbemerkung:
Der nachfolgende Text erschien zum ersten Mal im Oktober 1984 in der Computerzeitschrift C4 (Verlag MARKT & TECHNIK AG, München). Der Autor wollte mit seinem Artikel also einem gewöhnlich in der Magie nicht bewanderten Leserpublikum die Analogien zwischen magischem Weltbild und Computersprache aufzeigen, wozu der Text in Dialogform zwischen Technik und Magie gestaltet wurde. Da wir als Magier unsererseits ganz gern zu einer gewissen Technikfeindlichkeit neigen, ist der Artikel in hervorragender Weise geeignet, Vorurteile abbauen zu helfen und dieses „neue Universum“ der Computer, die schon jetzt in vielen Bereichen unseres Lebens nicht mehr wegzudenken sind, in unser magisches Denken zu integrieren. An dieser Stelle sei dem Autor, Herrn Hellmut Hofmann, sowie dem Verlag Markt & Technik für die Genehmigung zum Nachdruck vielmals gedankt.

Digitus: „Also ich bitte Sie: Kartenlegen, Horoskope und Wahrsagerei – Medizinmänner, Voodoo-Zauber, Totems und Tabus – Hexenmeister, Zaubersprüche und Formeln, mit denen sie Geister beschwören: das ganze dunkle Reich von Aberglaube und Magie – und die klare nüchterne Welt von Computern, Datenverarbeitung und Programmierung: größere Gegensätze kann man sich doch kaum vorstellen !“

Orakel: „Bleiben wir gleich mal beim Magier, der einen Dämon beschwört: im Sinne der Magie zwar ein höchst geheimes Werk, an das sich nur der Eingeweihte wagen darf; aber selbst Sie als völliger Nicht-Magier werden mir die populäre Vorstellung davon schildern können, wie er das macht – „

Digitus: „Nun ja – so wenig ich daran glaube – aber irgendwoher hat man das natürlich mitbekommen: Der trifft also erst geheimnisvolle Vorbereitungen – zieht einen magischen Kreis und so weiter – dann holt er sein Zauberbuch und sucht die richtige Beschwörungsformel – irgendein eindrucksvolles Kauderwelsch, in dem vor allem der richtige Name dieses speziellen Dämons vorkommen muß – sagt das feierlich auf, wobei er nicht den kleinsten Fehler machen darf – sonst kommt der Dämon nicht, oder es passiert sonst etwas Furchtbares – aber wenn er alles richtig gemacht hat, erscheint der Dämon und erfüllt seine Wünsche – „

[ABB.1]

Anm. Jula: die Abbildungen liegen mir leider nicht vor

Orakel: „Fein – und nun nehmen wir gleich den „größten Gegensatz“ dazu: Was müssen Sie eigentlich machen, um an Ihrem Computer ein Programm zu benutzen?“

Digitus: „Na ja – zuerst natürlich den Computer und alle anderen Geräte einschalten und die Diskette einlegen -„

Orakel: „Sie treffen geheimnisvolle Vorbereitungen – „

Digitus: „Dann in der Anleitung nachschauen, was ich eintippen muß – „

Orakel: „Sie holen Ihr Zauberbuch – und suchen die richtige Beschwörungsformel – „

Digitus; „Jetzt merke ich langsam, worauf Sie hinauswollen: dann tippe ich z.B. LOAD „D:GRAPHIK.BAS“ – „

Orakel: „Eindrucksvolles Kauderwelsch, in dem aber der Name dieses speziellen Programms, GRAPHIK, vorkommen muß – „

Digitus: „Und wenn ich den kleinsten Fehler mache – etwa ein Anführungszeichen vergesse – bekennte ich nicht das Programm, sondern bloß die Meldung „SYNTAX ERROR“ – „

Orakel: „Wenn Sie aber alles richtig machen, erscheint der Dämon – Verzeihung, das Programm – bereit, Ihre Wünsche zu erfüllen – hier etwa eine bunte Graphik auf den Bildschirm zu „zaubern“: wenn Ihnen ein alter Magier zusähe – er könnte meinen, daß Sie, wenn auch mit modernen Mitteln, genau dasselbe vorhaben, wie er bei einer Beschwörung – wär’s aber bloß einer seiner Zeitgenossen, fände er es bestimmt genauso rätselhaft und unheimlich -„

Digitus: „Aber für mich ist das ja nun weder Hexerei noch rätselhaft oder unheimlich – „

Orakel: „Weil Sie ja auch ein „Eingeweihter“ sind! Aber haben Sie nicht auch schon gehört, daß auch heute gar nicht wenige Leute vor einem Computer-Terminal regelrecht Panik spüren – mit Beklemmung, wildem Herzklopfen und Angstschweiß – als hätten Sie es wahrhaft mit schwarzer Magie und Dämonen zu tun?“

Digitus: „Das ist aber doch lächerlich!“

Orakel: „Für die Betroffenen ganz und gar nicht – die müßten sogar Ihre Stellung aufgeben, wenn sie diesen Bann nicht brechen können, es bleibt ihnen nur der Weg zum Medizinmann, zum „weißen Magier“ – in unseren Tagen: dem Psychotherapeuten – der sie dann auch prompt mit einem „Gegenzauber“ ausrüstet: einer Tonbandkassette mit „Schutzgebeten“ – Anweisungen für Muskelentspannungsübungen, die sie dann jedesmal in der Angstsituation machen können – wie Abwehrgesten gegen den „bösen Blick“ oder andere Verhexungen -„

Digitus: „Ist es auch Wahnwitz, so hat es doch Methode! Aber wir leben doch in Deutschland im 20. Jahrhundert – nicht unter primitiven Wilden, deren ganze Welt nur von Zauber und Gegenzauber beherrscht wird!“

Orakel: „Unterschätzen Sie nicht, wie komplex die magischen Systeme solcher angeblich „primitiven Wilden“ aufgebaut sind: bei vielen davon hat z.B. jeder sogar zwei Namen – einen öffentlichen, den jeder kennt, und einen zweiten, geheimen, den kaum jemand erfahren darf: denn wer diesen Namen kennen würde, hätte damit auch magische Macht über ihn …

Wenn Sie dann freilich die aktuellen Proteste gegen allgemeine, computerlesbare Personen-Codes in der Bundesrepublik anschauen – dann könnten Sie allerdings fragen: wieviel von dem, was dahintersteckt, ist noch immer die alte magische Ur-Angst – daß ich „Orakel“ heiße, dürfen die Computer zwar ruhig wissen: aber wenn sie erst einen eigenen Namen in ihrer magischen Sprache für mich hätten, würden sie auch magische Macht über mich gewinnen?!“

Digitus: „So daß etwa selbst beim Datenschutzgesetz – oder Absagen der jüngsten Volkszählung – magische Ängste mit im Spiel gewesen wären? Nein, wissen Sie – das scheinen mir alles doch wohl bloß Analogien, die zwar in der Tat zunächst frappierend wirken: aber wenn man sie tiefer verfolgen würde, käme gewiss bald zutage, daß sie allenfalls höchst oberflächlich wären!“

Orakel; „Seltsamerweise nicht – im Gegenteil: je mehr man ins Detail geht, desto verblüffender wird es gerade! Nehmen wir mal so ein Zauberbuch aus der Zeit des sagenhaften Dr. Faust: „Lemegeton – oder: Der kleine Schlüssel Salomonis“ – ein „Grimoire“, wie man sie nannte: und das ist bereits recht seltsam – denn es heißt eigentlich „gram-maire“, was für „Grammatik, Sprachlehre“ steht.“

Digitus: „Für eine Sprache zum Umgang mit Geistern und Dämonen?“

Orakel; „Und achten Sie mal auf den Aufbau dieser Sprache, wenn der Magier da sagen soll: „Ich beschwöre dich, o Erzdämon Adramelek, bei den sieben geheimen Namen des großen Salomo – bei Adonai, Rai, Tetragrammaton, Anexhexeton, Inessensotoal, Puthamaton und Itemon…”

Und vergleichen Sie das jetzt mit dem „Aufruf“ eines Unterprogramms in der Programmiersprache FORTRAN:

„CALL INTHA (XMIN, XMAX, EPS, MAXIT, FUNK, IND)“ – „

Digitus: „Allerdings verblüffend – nur daß die „Parameter-Namen“ bei FORTRAN eben eine echte Bedeutung haben: XMIN legt X MINIMUM fest, also die Untergrenze für X usw. – die dann beim Kompilieren des Programms aus Buchstabenfolgen in entsprechende Maschinenbefehle übersetzt werden – „

Orakel; „So wisse denn, oh Digitus, daß die Buchstaben in Beziehung zu Maschinenbefehlen stehen, jeder Maschinenbefehl wird von einem Buchstaben beherrscht … Die Buchstaben bilden die Wörter, die Wörter wiederum die Programme, und. es sind nun die Maschinenbefehle, die, bezeichnet durch die Buchstaben und versammelt in den geschriebenen Programmen, Wunder bewirken, ob welcher die gewöhnlichen Menschen staunen.“

Digitus: „Etwas merkwürdig ausgedrückt – aber genau das meinte ich!“

Orakel; „Nur steht das seltsamerweise in einer tunesischen Handschrift von „1001 Nacht“ aus der gleichen Zeit – wo ein indischer Zaubermönch, der Brahmane Padmanaba, erklärte, wie die Wörter wirken, die er auf seine kabbalistischen Talismane schreibt: nur sagt er „Gebete“ statt „Programme“ und „Engel“ statt „Maschinenbefehle“ – „

Digitus: „Doch wohl ein Unterschied!“

Orakel: „Gar kein so großer – wenn Sie bedenken, daß „Engel“ – lateinisch „angelus“ oder griechisch „aggelos“ – ursprünglich nur „Bote“ heißt: also „Infor-mations-Träger“ – und genau das sind ja die Impulse, die Maschinenbefehle übermitteln – „

Digitus; „Nur sind das in Wirklichkeit ja gar keine „Buchstaben“ – sondern Gruppen von Nullen und Einsen: den bekannten „Bits“ oder „Binärziffern“!“

Orakel: „Aber gerade die finden wir nun auch an ganz unerwarteter Stelle wieder: als der deutsche Universalgelehrte Leibniz dies „binäre Zahlensystem“ Ende des 17. Jahrhunderts entdeckt hatte – da erfuhr er zu seiner Verblüffung von Pater Joachim Bouvet, einem jesuitischen Missionar in China: solche Gruppen aus zwei verschiedenen Symbolen – den „Yin-“ und „Yang-Linien“ – waren seit 5000 Jahren die Basis des berühmtesten Orakelbuchs Chinas, des „I Ging“: wo sie und ihre „Wandlungen“ alles Geschehen der Welt überhaupt symbolisierten – und die „Fu-Hsi-Sequenz“ dieser Liniengruppen entsprach genau den Zahlen von 0 bis 63 in Binärschreibweise!“

[ABB.2]

Digitus: „Fehlt wahrhaftig nur noch der Computer selbst!“

Orakel: „Auch den beschreibt uns schon ums Jahr 1000 – sogar gleich mit Anwendungsprogramm – die magische Überlieferung: Gerbert d’Aurilac, der spätere Papst Sylvester II., soll einen „bronzenen . Kopf“ besessen haben, der „auf Fragen über Politik oder die allgemeine Lage der Christenheit“ mit Ja oder Nein antwortete – deshalb der Hexerei angeklagt, soll sich Gerbert mit dem Hinweis verteidigt haben, dies Gerät arbeite nach einem ganz einfachen Prinzip, das einer Rechnung mit zwei Ziffern entspreche …“

Digitus: „Ich muß zugeben – bloß Zufall kann das alles kaum mehr sein: irgendetwas muß dahinter stecken – aber was?“

Orakel; „Tja – da könnte man sogar ein Gegenstück zu Dänikens „Die Götter waren Astronauten“ ausmalen: Außerirdische Expeditionen, die einst die Erde besuchten – oder, je nach Geschmack, versunkene irdische Hochkulturen wie Mu oder Atlantis – hätten schon komplexe Computer als Informations- und Steuerungs-Maschinen benutzt; Computer, die (wie ja bald auch unsere) gesprochene Worte als Eingabe „verstanden“ – allerdings (genau wie auch unsere oft schon) in kritischen Fällen besondere, geheime Schlüsselworte verlangten:

Uralte Erinnerungen daran – überlagert und verzerrt durch primitiven Geisterglauben – wären dann Basis der magischen Grund-Überzeugung, daß der „Eingeweihte“ – wenn er nur die richtigen „Worte“ kennt und auszusprechen weiß – dank solcher „Engel“ oder „Dämonen“ Zugang zu allem Wissen und aller Macht im Kosmos gewinnen könne; während „Datenschutz-Gesetze“ solcher „Magie“ zugleich das Odium des Verbotenen und Gefährlichen eingebracht hätten …“

Digitus: „Irgendwie verführerisch einleuchtend klingt das zwar – „

Orakel: „Man könnte sogar das moderne Gegenstück dazu zitieren: als im letzten Krieg die Eingeborenen im Inneren Neuguineas zum ersten Mal Kontakt mit der modernen Technik bekamen – da steckten sie rings um ihre Hütten Bambusstäbe wie Antennen in den Boden und murmelten drin aufgeschnappte Worte in alte Konservenbüchsen: in der Hoffnung, daß dann die metallenen Vögel auch ihnen all die Wunderdinge vom Himmel bringen würden wie den Weißen. Und als das „Ei“ eines solchen Metallvogels, das Anhänger dieses „Cargo-Kults“ heimlich beiseitegebracht hatten und im Feuer ausbrüten wollten, explodierte und ein ganzes Dorf zerstörte – da waren sie erst recht überzeugt, mächtigem „Mana“ auf der Spur zu sein – „

Digitus: „Der Unterschied ist nur, daß es die Flugzeuge und Antennen bei ihrem Beispiel wirklich gab – aber vorzeitliche Computer, von denen man anderweit nie eine Spur entdeckt hat: das ist mir doch zu phantasievoll!“

Orakel: „Darauf könnte man wieder sagen – wenn jemand noch 1930 bei einer Ausgrabung einen modernen Chip gefunden hätte: wäre er darauf gekommen, daß er was mit Computern zu tun haben könnte – oder hätte er ihn bloß für einen seltsamen Schmuckstein gehalten? Und genauso wenig brauchten wir heute Reste uralter Supercomputer zu erkennen – wahrend Astronauten ihre sowieso wieder mitgenommen hätten!

Nein – mich stört an solchen Spekulationen eher das Gegenteil: Wenn wir im jahrtausendalten magischen Denken Konzepte entdecken, die eigentlich erst ins Computerzeitalter passen – dann scheint es mir eher ärmlich und phantasielos, einfach zu sagen: na ja, das wird halt bei jemand abgeguckt worden sein, der schon Computer hatte!“

Digitus: „Wenn wir das auf eine bessere Art erklären könnten, wäre mir das auch lieber! Aber irgendein Bindeglied muß es ja nun geben – wenn es nicht die angeblichen Vorzeit-Computer sind: was dann?“

Orakel: „Versuchen wir mal – ohne außerweltliche Besucher dazuzuerfinden – mit dem auszukommen, was sicher zu allen Zeiten da war: Der Mensch – und die Welt um ihn.

Diese Welt wirkt auf ihn ein – aber auch er konnte auf sie einwirken: etwas mit ihr „machen“, „Macht“ über sie gewinnen – beides Worte, die auf den gleichen indogermanischen Wortstamm („~magh = können“) zurückgehen wie „Magie“ -„

Digitus: „Aber das „kann“ er ja nur, wenn er auch weiß, wie er es „machen“ muß?“

Orakel: „Ja – wenn er die Regeln, die Gesetze kennt, nach denen diese Welt funktioniert – wie ja auch wir heute in Naturwissenschaft und Technik – „

Digitus: „Aber gerade da liegt doch nun der Unterschied beim magischen Denken: das hält sich nicht lediglich an bestätigte Naturgesetze von Ursache und Wirkung – sondern glaubt auch noch an „übernatürliche“ Zusammenhänge zwischen allem und jedem: also zum Beispiel nicht nur an die Gesetze des Sternenlaufs wie die Astronomie – sondern in der Astrologie auch noch an Einflüsse der Sterne auf unser persönliches Schicksal – „

Orakel; „Nur daß das für den magisch denkenden Menschen gar kein „übernatürlicher“ Einfluß war: für ihn gehörte er genauso zur Natur der Welt, wie er sie verstand!“

Digitus; „Aber die Stellung Millionen Kilometer weit entfernter Planeten in den Zeichen des babylonischen Tierkreises kann eben doch nicht wirklich auf das „wirken“, was ich morgen tue!“

Orakel: „Ja: aber genau so wenig kann doch die Stellung der winzigen zwei Zeiger Ihrer Armbanduhr – die übrigens auch nach dem sumerisch-babylonischen Zwölferkreis geteilt ist – auf meilenweit entfernte Züge und Flugzeuge „wirken“. Und dennoch schauen Sie auf diese Uhr, um Ihren Anschluß zu erreichen?!“

Digitus: „Nun ja – aber weil ich weiß, daß sich die Verkehrsmittel eben auch nach solchen Uhren richten, die genauso gehen!“

Orakel; „Wissenschaftlich gesagt: Ihr „Glaube an die Uhr“ beruht also gar nicht auf „Kausalität“ – direkter Ursache und Wirkung – sondern darauf, daß sie „synchron“, im gleichen Takt, mit allen anderen läuft: und deshalb auch Abfahrten und Abflüge auf Bahnhöfen und Flughäfen ihrer Zeigerstellung „entsprechen“.

Genauso läuft aber für das magische Denken das ganze Universum „im gleichen Takt“ – vom Größten bis zum Kleinsten: alles, was darin ist, hängt zusammen, entspricht sich, kann aufeinander wirken – ob nun Planeten auf Menschen oder Zauberworte auf Dinge!“

Digitus: „Das ist aber doch der Trugschluß: wenn ich meine Uhr um eine Stunde vorstelle, fliegt mein Flugzeug deshalb noch keineswegs eine Stunde früher!“

Orakel: „Aber – denken Sie mal an die Umstellung auf Sommerzeit! -wenn nun alle anderen Uhren das auch mitmachen müßten, weil sie stets im gleichen Takt laufen müssen?“

Digitus; „Ein magisches Universum wie ein verkoppeltes Netzwerk von Uhren – oder ein Netzwerk von Computern, in das ein „Hacker“ mit dem richtigen Code einbrechen kann, um alle nach seinem Willen zu steuern? Aber wie konnten Menschen die Welt so sehen – wenn sie doch eben noch keine Datenverarbeitungsanlagen, keine Computer hatten und kannten?“

Orakel; „Sie hatten doch auch damals schon welche – diese geheimnisvolle Datenverarbeitungsanlage in unserem Kopf: das menschliche Gehirn! Aber – wenn sie nun in der Tat die Möglichkeiten und Grenzen dieses Instruments, ihres Gehirns, anfangs noch gar nicht so klar „kannten“? Das menschliche Gehirn ist schließlich – wie mal eine amerikanische Anzeige sehr treffend sagte – „ein Computer, der ohne Bedienungshandbuch geliefert wird“!

Muß es nicht sehr verwirrend gewesen sein, die Welt da draußen zugleich gleichsam auch „im Kopf“ zu haben – eine „innere Welt“, mit der man in Gedanken mühelos schalten und walten konnte.“

Digitus: „Sie meinen – muß der Mensch da nicht auf die Idee gekommen sein, das müsse doch „draußen“ auch gehen: ich sage etwas – und es geschieht wirklich?“

Orakel: „Stellen Sie sich nur einmal vor, ab sofort würde alles, was Sie sagen oder gar bloß denken, auch wirklich geschehen -„

Digitus; „Das wäre allerdings beklemmend!“

Orakel; „So beklemmend, wie manche heute die Vorstellung empfinden, mit Computern zu arbeiten – die „alles tun, was man ihnen sagt“!

Den Mut dazu, sich mit so etwas – damals mit „Magie“ – im Ernst zu befassen, werden also schon damals sehr wenige aufgebracht haben -vielleicht jene, deren Worte bereits „wirkten“, wenn sie zu anderen sagten: Tu dies oder das!“

Digitus: „Aber auch die müssen ja erlebt haben, daß ein anderer sie nicht verstand oder nicht wollte?“

Orakel; „Dann hatten sie eben nicht die „richtigen Worte“ gewählt – oder zu wenig „Macht“ über den anderen: und war es vielleicht genau so zu erklären, wenn die Dinge in der Welt draußen ihnen nicht „gehorchten“? Wie hing denn überhaupt „Wort“ und „Wirkung“, „Name“ und „Ding“, „Zeichen“ und „Bezeichnetes“ zusammen? Da sind Sie aber schon mitten in den Problemen, die jemand auch hat, wenn er einen Computer programmieren will.“

[ABB.3]

Digitus: „So daß die Menschen – auf der Spur der Magie – tatsächlich schon vieles „vorausdachten“, was eines Tages erst mit den technischen Mitteln des Computer-Zeitalters zu verwirklichen war?“

Orakel: „Ja – denn eigentlich erfüllt sich ja erst beim Computer selbst der magische Wunschtraum, daß die „Zauberworte“ wirklich „wirken“: aber damit stehen wir gerade heute auch in der Verantwortung, diese „Magie“ nicht zu mißbrauchen!“

Bildzaubereien

Forenpostings Bilderspielereien

Es wurde irgendwo gefragt „wie seht ihr wohl mit über 50 aus – und ohne Kilos von Schminke ?!“

Da muß ich schon mal in die Bresche hüpfen:

^[was einige bereits kennen…^]

Dies sind beide Versionen von mir zum Vergleich (~2002 = 74 Jahre)

(wie man wohl erkennt, ist das „make-up“ eindeutig minimal bis nicht-existent – es liegt eben an der ‚Natur-Schönheit‘ !)

Die späte HEKATE

Auch schwer gebastelt – aber Original Face 1968: Die reminiszierend montierende HEKATE

Hekate als Monroe

zum 1. April

Dreh mich um!

Wer den Aprilscherz dabei entdecken will, muss das Bild allerdings runterladen und dann am Bildschirm wirklich drehen
oder Spiegel quer unter den Bildschirm halten und das Bild darin anschauen!

Die scherzende HEKATE


Auf verschiedene Fragen inzwischen:
1) Ja, das Foto zeigt tatsächlich mich (zum Karneval 1967)
2) Die nötige kosmetische Madrop (Mund-dreh-Operation) wurde aber nur virtuell am Computerbild ausgeführt
3) Den – außerhalb Fachkreisen noch immer wenig bekannten – Effekt benutzte schon 1974 der US-Wahrnehmungspsychologe IRVIN ROCK, um drastisch zu demonstrieren, daß wir ein gedrehtes Bild nicht als Ganzes, sondern nur in einzelnen Partien „im Geist zurück drehen“.

Die auskunftswillige HEKATE

Hekate mit Katze

In meinen „besten Jahren“ hatten wir immer mehrere Katzen – von der grauen Perserin bis zum Karthäuser.
Wenn ich sie mit dem selbstverständlichen tiefen Respekt behandelte, den ein bloßer Mensch jeder Katze schuldet, akzeptierten sie mich ebenso gnädig als „Frauchen“

wie als „Herrchen“ – vergl. z.B. das „Dialog-Bild“ in Hekates Interview

wie Ihr sehen könnt, zuweilen sogar als Partner auf Fotografien!

Eure (schon rein mythologisch) katzenverbundene HEKATE

Spiel mit der Transparenz-Funktion:
„Phantom-Aufnahmen“
Das war Mitte des vorigen Jahrhunderts noch was Besonderes:
durch exakte Doppelbelichtungen oder -kopien auf einmal in das Innere eines Geräts oder Schrankes „hineinsehen“ zu lassen, als seien Gehäuse oder Türen plötzlich „durchsichtig“ geworden.
Beim Computer-Bild dagegen ist das Ändern der „Transparenz“ einkopierter Objekte eine fast triviale Standard-Funktion; vielleicht grad daher vergißt man oft ihre „schrägen“ Möglichkeiten – wie etwa diese Variante eines Waschmaschinen-Werbefotos:
Lieferung
… unser neues Allzweck-Modell für alleinstehende Herren!“

Warum nicht öfter mal mehr Trans-parenz in Trans-Fotos?
fragt Eure montagefreudige HEKATE

Eine fast unerschöpfliche Ideen-Quelle für „schräge“ Bilder liefert – meist unabsichtlich – das Reich der Werbung; vor allem, wenn man auf ältere Anzeigen oder Fernseh-Spots zurückgreifen und sich an den einstigen Darstellungen von enthusiastischen Hausfrauen, produktglücklichen Familien und unglaubhaftenlichen Schönheiten orientieren kann:

Besonders Bösartige fügen dann noch – wie hier – ihre eigenen Texte hinzu…

Eure nostalgische HEKATE

Ein eigenes – und vielleicht umstrittenes – Kapitel ist das, wofür ich in einem Inteview mal die Formel vom „Mut zum schiefen Maul“ geprägt habe:
„… was ich ‚den Mut zum schiefen Maul‘ nennen möchte: wie oft wollen wir doch bitterernst auf Fotos so “schön” oder “sexy” wie möglich wirken – aber wenn auch Regisseure fest zu glauben scheinen, in komische Situationen gerieten prinzipiell nur dicke oder schinakelige Frauen – das Leben lehrt, dass auch hübsche Mädchen oder schöne Damen mal ausrutschen und hinfliegen oder sonst was Groteskem zum Opfer fallen können: und ich habe es immer für den wahren Test meiner eigenen Fähigkeiten gehalten, sogar dabei noch immer möglichst „weiblich“ zu wirken …“

Das gefallene Mädchen

Von diesem speziellen Beispiel mag jede von Euch halten, was sie will – fest steht aber jedenfalls:

Euer Gesicht ist nicht bloss ein Bildgrund für make-up und Euer Körper nicht bloss ein Substrat für Damengarderobe:
beide sind auch dazu da, Emotionen auszudrücken – und umso bewußter Ihr sie auch dazu nutzt, desto lebendiger werden Eure Fotos wirken!

Eure gern Emotionen zeigende HEKATE

Noch extremer – und folglich umstrittener – sind natürlich Fotos in überdreht grotesken Situationen wie etwa dieses:

„Reisestress“
Anm. Jula: ausgerechnet dieses Bild, an dass ich mich gut erinnere und über das ich auch viel mit Hekate diskutiert habe, fehlt in meiner Sammlung! Sehr ärgerlich!

[Hintergrund montiert – und da grins‘ ich mir selbst über die Schulter!]

Und auch hierzu – nicht zum speziellen Bild, sondern zu der ganzen „Stilrichtung“ – hätte gern Eure Meinungen

die bildstilmeinungsforschende HEKATE^
@Frances, Inga, Mette & all:
Vielen Dank für Eure netten Kommentare!

Nur soll all das nicht den Eindruck erregen, als wolle ich hier in einem Super-Ego-Trip meine sämtlichen Bilder posten! Ich zeig die bloss als Muster für solch „schräge“ Effekte, weil ich für sie das Copyright habe:
und würde mich freuen, wenn auch noch viel mehr von anderen kämen!

Eine spezielle Sorte von „schrägen“ Wirkungen

kann man oft mit sonst gar nicht besonders außergewöhnlichen Bildern erzielen, indem man sie einfach vor einen seltsamen Hintergrund stellt:

wie hier z. B. diese Aufnahme aus einer Karnevals-Autoshooting-Serie [hatte nichts mit selbstmörderischem „Russischem Roulette“ zu tun – sondern hieß simpel: in immer neuen Kostümen und Perücken vor der mit Selbstauslöser ausgerüsteten Polaroid-Kamera herumhopsen]

Anm. Jula: Das Bild liegt mir leider auch nicht vor

Eure – diesmal kosmisch-komische – HEKATE

„Bildverfremdungen“ mit Filtern sind zunächst einmal eher „ästhetisch“ interessant.

„Humor“ kommt (außer bei typischen Verzerrungen a la Goo) erst ins Spiel, wenn die Resultate auch die „Stimmung“ der Bilder überraschend beeinflussen – wie in diesem Beispiel:

Anm. Jula: Das Bild liegt mir leider auch nicht vor

Hier etwa macht das „Collage-Filter“ von Photo Shop aus dem gleichen (zuvor als „Paarbild“ montierten) Original

je nach Wahl der Parameter ganz entgegengesetzte Szenarios:
was natürlich erst in der Gegenüberstellung echt „schräg“ wirkt!

Aber solche Effekte verlangen nicht nur geduldiges Experimentieren – sondern auch ein geeignetes Ausgangsbild!

Die schamlos „effekthascherische“ HEKATE
Wenn die Fantasie abhebt dann kommt sie vielleicht mal auf solche Fragen wie: Warum waren die Drachen in den Sagen eigentlich immer so scharf auf schöne unschuldige Jungfrauen? Und was passierte denen eigentlich, falls sie mal nicht durch irgendeinen edlen Ritter befreit wurden?

Das könnte auf tiefe Spekulationen führen über eine bisher oft totgeschwiegene Perversion „Dragophilie*“ – aber auch zu dem Wunsch, diese fotografisch zu dokumentieren: und dann ist die Versuchung groß, sich dabei auch noch selbst ins Bild zu integrieren:

So etwas ist natürlich nicht jedermanns (bzw. jederdame) Sache – aber könnte dergleichen nicht für manche reizvoller sein als die siebenundsiebzigste „guckt mal, wie ich dastehe“-Aufnahme?

*das ähnlich erschröckliche Thema „Dämonolatrie“ behandelt das Bild „Halloween Horror“

Halloween-Horror

die zuweilen fotografisch fantasierende HEKATE

Animagie

Anm. Jula:
Dieser großartige Text war das erste, was ich von Hekate lesen durfte, nachdem wir uns über das Internet kennengelernt hatten. Er vereint Jung’sche Psychologie und moderne Wissenschaft mit historischen Verweisen. Sie war für mich ab da nur noch Animadame.
PDF-Version zum Download

Zur Vorgeschichte:

Vor 20 Jahren – 1984 – hatte ich für die (leider recht kurzlebige) Computer-Zeitschrift “C4″ mal einen Artikel geschrieben, der mit Bildern und Beispielen den verblüffenden Analogien zwischen “Computer und Magie” nachging (etwa beim altchinesischen Orakelbuch “I Ging”, dessen Gruppen von “Ying”- und “Yang-Linien” genau dem modernen “0/1″-Code entsprechen usf..).

Zwei Jahre später bat ein Redakteur von “ANUBIS – ZEITSCHRIFT FÜR PRAKTISCHE MAGIE UND PSYCHONAUTIK” darum, diesen Artikel für seine Leser nachdrucken zu dürfen und sandte mir dazu ein Musterheft. Ich hatte selten etwas so Erstaunliches gesehen: statt dunkel herumzuorakeln, beschrieben die Artikel dort etwa das Herstellen eines Athame (Hexendolch) oder das Ausführen des “Kleinen bannenden Pentagramm-Rituals” so cool und praktisch, wie es heute etwa die Make-up-Tips von Transgender-Internetseiten mit ihren Themen tun!
Aber auch von meinen Artikeln konnte die ANUBIS-Redaktion scheint’s gar nicht genug bekommen: nachdem sie als nächstes einen noch älteren über “Magie und Werbung” nachgedruckt hatte, fragte sie nach noch mehr – und das, fand ich, war mal eine Gelegenheit, meine Gedanken zum Thema “Anima und Animus” loszulassen: natürlich, als Konzession an diese Leserschaft, immer unter “magischen” Aspekten! 😉

So erschien dort 1987 – in zwei Fortsetzungen – die “Animagie”. Details mögen daher zwar nicht mehr so aktuell wirken (z.B. der Hinweis auf die damalige Schachweltmeisterschaft); aber die Hauptthemen scheinen, wie ihre Internetseiten zeigen, auch heute noch viele Transgender-Personen zu bewegen – und vielleicht können gewisse meiner Ideen dort für manche von ihnen neues Licht auf alte Probleme werfen.

Zum “Titelbild”:

Das habe ich erst viele Jahre später – mit den inzwischen zur Verfügung stehenden Bildbearbeitungs-Programmen – aus den verschiedenen symbolischen Elementen komponiert:
als Hintergrund eine alchymistische Darstellung des doppelgeschlechtlich Weib und Mann vereinenden “Hermetischen Androgyns” aus dem 15. Jahrhundert;
davor links als “ER” mein “idealisiertes Selbstbild” 😉

  • mit den Sybolen des Hongkong-Seidenanzugs (für: “weitgereister Weltmann”), der Pfeife (für: “sympathischer Wissenschaftler”) und der Katze (für: “mysterienkundiger Meister”);
    [zur Abschwächung muß ich aber sagen, dass nicht ich selbst mich so gestylt hatte – sondern ein Fotograf für eine Interview-Illustration!]
    und rechts als “SIE” eine meiner vielfältigen “Animanifestationen”
  • diesmal als coole Karrierefrau, selbstsicher, intellektuell-feministisch, okkult interessiert (aber in alldem manchmal leicht vernagelt) – nicht ohne Humor, aber leider bar jeglichen Charmes: kaum mein idealer Frauentyp – aber gerade darum hatte ich mir extra Mühe gegeben, ihr in Diktion und Darstellung möglichst gerecht zu werden: am Schluß bringt sie sogar den weisen Meister noch auf eine Idee, die er zuvor nicht hatte!
    Animagie

A N I M A G I E

VON VIVIAN

[Anmerkung des Herausgebers: Etwas überraschenderweise war „Vivian“ wie Ritter Epen und Märtyrer Chroniken bezeugen im mittelalterlichen Britannien ein durchaus männlicher Name; die weibliche Form war wie etwa bei jener Fee, die den Magier Merlin schließlich vermöge der ihm abgelauschten magischen Künste mit unsichtbaren Banden fesselte „Viviane“. Doch wie immer man es lesen will, scheint es jedenfalls zum Thema zu passen…]

S(ie): „‚Animagie‘ das klingt zwar irgendwie vielversprechend: aber was soll ich mir darunter eigentlich vorstellen?“

E(r): „Mal ganz allgemein und zugegebenerweise ziemlich trocken gesagt: Die magischen Aspekte jener Komponente in unserer Seele, die jeweils dem entgegengesetzten Geschlecht entspricht also der ‚Anima‘ beim Mann oder des ‚Animus‘ bei der Frau.“

S: „Au weh damit werden Sie es bei mir aber schwer haben: denn erstens mal bin ich überhaupt nicht geneigt, allgemein an solche ‚Seelenkomponenten‘ zu glauben also daran, dass etwa jeder Mann ein Stück Frau in sich herumtragen soll und ich zum Beispiel ein Stück Mann; aber auch falls das was ich ja gern zugeben will in abnormen Fällen manchmal vorkommen mag: dann gehört das ja wohl in die Sexualwissenschaft hat aber doch nichts mit ‚Magie‘ zu tun!“

E: „Wahrhaftig au weh: aber weniger, weil ich es bei Ihnen nun ’schwer zu haben‘ fürchte sondern weil wir jetzt erst mal ganz ‚von unten‘, nämlich biologisch, anfangen müssen: und weil ich Ihnen da einige Fakten mitteilen muss, die Sie was ich schon eher fürchte leicht erschüttern könnten:
wenn Sie nämlich als Frau eben gerade kein ‚abnormer Fall‘ sind, sondern völlig normal dann tragen Sie in der Tat dauernd ‚ein Stück Mann‘ in sich herum: nämlich das an sich ‚männliche‘ Geschlechtshormon Androgen ohne dessen Mitwirkung Ihr ganzer Hormonhaushalt aus den Fugen käme; und alle auch die stinknormalsten Männer haben z.B. nicht nur Brustwarzen (die sie ja eigentlich wirklich nicht brauchten, weil sie nie Kinder säugen) sondern in ihren Samenzellen auch die ‚weibliche‘ Erbanlage, das X Chromosom: sonst könnten sie nämlich nie Töchter zeugen!“

S: „Also Moment mal: die weibliche Erbanlage bekommen die Töchter doch nun wohl von der Mutter!“

E: „Sicher von der bekommen sie das e i n e X Chromosom (aber das bekommen von ihr auch die Söhne) das a n d e r e aber, das zu ‚XX‘ gleich ‚weiblich‘ nötig ist, muss vom Vater kommen: könnte der nur Y Chromosomen liefern, gäbe es jedesmal ‚XY‘ gleich ‚männliche‘ Nachkommen (und in der nächsten Generation müsste die Menschheit dann mangels Frauen aussterben!)“

S: „Aber dieses zweite ‚X‘, das der Mann zuschießt, hatte er sich doch gewissermaßen bloß von seiner Mutter ausgeliehen: Sie haben ja gesagt, dass die Frau auch den Söhnen ein ‚X‘ mitgibt!“

E: „Allerdings ein ausgeliehenes ‚Stück Frau‘ in der Erbmasse, das nun eben auch jeder Mann in sich herumträgt … was Sie aber eben doch gar nicht zu glauben geneigt waren?“

S: „Zugegeben da haben Sie mich ganz schön darangekriegt; aber bloß wegen dieses komischen Erbgangs beim Geschlecht, der überhaupt nicht so funktioniert wie bei anderen Erbeigenschaften!“

E: „Der anders funktionieren m u s s, könnte man sagen, damit immer etwa gleichviel männliche und weibliche Wesen entstehen: sonst bekämen wir nämlich immer drei Viertel von einer (der „dominanten“) Sorte oder, noch schlimmer, jedesmal die Hälfte Zwitter…“

S: „Na ja aber beweist all das nicht eben gerade, dass Sie diese Chromosomen oder auch Brustwarzen oder Hormone eigentlich gar nicht ‚weiblich‘ oder ‚männlich‘ nennen dürften, wenn sie doch bei beiden Geschlechtern vorkommen sondern höchstens allgemein ‚menschlich‘? Und damit bräche doch Ihr ganzes Argument vom ‚Stück Frau im Mann‘ oder umgekehrt wieder zusammen!“

E: „Verzeihen Sie aber jetzt haben Sie sich doch gerade um 180 Grad gedreht: vorhin waren Frau und Mann so himmelweit verschieden, das kein Stückchen ‚Mann‘ in der ’normalen Frau‘ sein durfte und umgekehrt jetzt sind sie auf einmal allesamt ‚Menschen‘, die alle möglichen Eigenschaften, auch die des anderen, kreuz und quer haben dürfen?!
Was überdies wiederum nicht stimmt: Nach wie vor haben z.B. Sie einen Busen und ich nicht ich kann keine Kinder gebären und Sie können keine zeugen „

S: „Aber wenn ich Ihnen die richtigen oder sollte ich sagen: die verkehrten? Hormone einspritzen würde, könnten Ihnen zum Beispiel unter Ihren Brustwarzen, die sie ja wie Sie betonen schon haben, auch Brüste wie bei mir wachsen!“

E: „Nun, wenn Sie wünschen, kann ich Ihnen in der Richtung sogar noch viel mehr bieten: da gibt es zum Beispiel den berühmten Sternwurm (Bonellia viridis), bei dem die winzigen, nur 12 mm großen Männchen fast wie Parasiten an den mehrere Zentimeter großen Weibchen festgesaugt leben.“

S: „Wie idyllisch!“

E: “ aber die eigentliche Pointe kommt erst noch: offenbar muß so ein junges Sternwürmchen dazu aber erst mal ein Weibchen finden; klappt das, saugt es sich an ihm fest und lebt als Männchen findet es aber keins, sagt es gleichsam ‚ick bin doch nich uff Euch anjewiesen‘ und wächst selber zu einem vollwertigen Weibchen aus…“

S: „Was nun was beweisen soll?“
E: „Dass also die grundsätzliche Möglichkeit sozusagen das ‚Potential‘ für beide Geschlechter durchaus im gleichen Wesen liegen kann,“

S: “ wenn es ein Sternwurm ist!“

E: „Aber auch das menschliche Embryo ist in den ersten Monaten zumindest äußerlich geschlechtlich noch völlig undifferenziert: und Rudimente der gegengeschlechtlichen Organe finden sich selbst noch im erwachsenen menschlichen Körper. Erscheint es danach nun so völlig ausgeschlossen, dass ganz analog auch in der ‚Psyche‘ des Menschen, die ja sicher nicht total unabhängig vom Körper existiert, auch gegengeschlechtliche ‚Potentiale‘, Möglichkeiten oder Komponenten existieren könnten und zwar bei jedem Mann und bei jeder Frau?“

S: „Hm ‚wenn man’s so hört, möcht’s leidlich scheinen steht aber immer schief darum‘: denn woran soll man nun eigentlich merken, ob so ein ‚Potential‘ oder so eine ‚Komponente‘ in der Tat ‚gegengeschlechtlich‘ sei?
Angenommen, ich spiele gern (und sogar recht gut) Schach: soll ich dann sagen ‚huch das ist aber eigentlich ganz unweiblich: das muss wohl eine gegengeschlechtliche Komponente in mir sein?‘ Oder ich treffe einen Mann, der mit Begeisterung und zudem besser als ich kocht: sage ich dann ‚ach, da kocht gar nicht der Franz sondern in Wirklichkeit sein weiblicher Seelenteil, seine Anima!‘?
Das hieße doch bloß, vorgefasste gesellschaftliche Rollen Vorstellungen und Stereotype tiefenpsychologisch aufgeputzt zu perpetuieren: und um auf den Ausgangspunkt zurückzukommen mit ‚Magie‘ hätte es schon erst recht nichts zu tun!“

E: „Völlig einverstanden aber gerade deshalb möchte ich ja, dass wir die Frage eben genau herumdrehen: angenommen, wir fänden nun aber gerade typisch ‚magische‘ Aspekte, Phänomene oder Verhaltensweisen, die ‚Weibliches im Mann‘ oder ‚Männliches in der Frau‘ beträfen dann könnten wir doch eher annehmen, dass wir es dort nicht bloß mit oberflächlichen Vorurteilen zu tun hätten, sondern dem Kern der Sache näherkämen?“

S: „Also ich muss schon sagen: Sie haben eine unglaublich raffinierte Art, mich mit meinen eigenen Argumenten immer genau in die Ecke zu zwingen, in die ich eigentlich gar nicht will!“

E: „Aber wenn’s doch ‚Ihre eigenen‘ Argumente sind: ‚zwinge‘ denn dann eigentlich i c h Sie dahin oder zwingen Sie sich damit nicht im Grunde, obwohl Sie es eigentlich ‚gar nicht wollen‘, unbewusst selbst? Aber w a s ist denn nun eigentlich diese ‚Ecke‘, in die Sie ’nicht wollen‘ und w a r u m ‚wollen‘ Sie eigentlich partout nicht in sie?“

S: „Oh Gott, jetzt kommen Sie mir auch noch als psychoanalytischer Sherlock Holmes: ‚Sie haben mir ja selbst die Indizien geliefert also gestehen Sie jetzt auch!‘. Aber warum sollte ich es eigentlich nicht zugeben: Ich bin eben eine Frau und will auch eine sein nicht eine Mischpackung aus weiblichen und männlichen ‚Komponenten‘; genau wie ich etwa in Ihnen einen Mann sehen möchte und nicht da ein Stück Mann und dort ein Stückchen Frau. Und wenn ich mein ureigenstes Wesen weiter entfalten möchte zum Beispiel und gerade auch durch ‚Magie‘ dann will ich das erst recht als Frau tun und dabei nicht auf einmal ‚männliche Komponenten‘ beschwören!“

E: „Warum nicht? Wären Ihnen die etwa ‚unheimlich‘?“

S: „Also den Köder nehme ich diesmal nicht damit Sie sagen könnten ‚unheimlich ist auch magisch und damit hätte ich Sie schon bei einem magischen Aspekt einer solchen Komponente erwischt!'“

E: „Aber Anwesende mal ausdrücklich ausgenommen vielen Menschen könnte doch die Vorstellung, dass sie auch (vielleicht ohne es überhaupt zu wissen) eine gegengeschlechtliche Komponente in sich herumtragen könnten, in der Tat ausgesprochen ‚unheimlich‘ sein? Und wäre das nicht ein verständlicher Grund dafür, dass sie sich sträuben, solch eine Vorstellung überhaupt zu akzeptieren?“

S: „Oh, jetzt wollen Sie mich aber seitwärts von hinten erwischen! Aber das ganze ‚unheimlich‘ haben ja Sie und nicht ich eingeschmuggelt ich frage viel simpler: wozu sollte denn eine gegengeschlechtliche Seelenkomponente in mir eigentlich nütze sein? Bei Ihren X Chromosomen im Mann oder beim Androgen in meinem Körper haben Sie mir biologische Gründe genannt, die ich akzeptieren konnte: aber in meinem ganz persönlichen und dann doch eben durchweg ‚weiblichen‘ Seelenleben?“

E: „Nun ja wenn Sie der einzige Mensch auf der Welt wären und deshalb Ihr Seelenleben auch ausschließlich ‚intern‘ für sich selbst abwickeln müssten, wäre es in der Tat schwer einzusehen, wozu Sie eine solche Komponente brauchen könnten. Nur ist das eben nicht so: Sie sind ständig und jedesmal auch irgendwie ’seelisch‘! mit anderen Menschen involviert, und nicht immer nur mit anderen Frauen, sondern genau so oft auch mit Männern. Wenn Sie nun in Ihrer Psyche überhaupt nichts weiter als ‚Weibliches‘ hätten dann könnten Sie sich zwar auch in andere Frauen ‚einfühlen‘: aber bei Männern könnten Sie das nicht sondern wären gegenüber denen ausschließlich auf das angewiesen, was Sie ‚von außen‘ erfassen könnten: also gerade bloß die von Ihnen zu Recht kritisierten auf gesellschaftlichen Erfahrungen beruhenden Rollen Vorstellungen und Stereotype…“

S: „Klingt wieder sehr einleuchtend bloß widerlegt die Praxis es gleich: ich kann mich zum Beispiel jetzt gerade doch mit Ihnen sehr gut unterhalten, ohne dass ich dazu etwa mein ‚gegengeschlechtliches Seelenteil‘ mobilisieren müsste einfach auf der Basis allgemein menschlicher Wesenszüge, die wir gemeinsam haben!“

E: „Also ich habe zwar wenn Sie mir mal eine persönliche Randbemerkung verzeihen ganz im Gegenteil den Eindruck, die meiste Zeit mit Ihrem ausgesprochen kratzbürstigen ‚Animus‘ zu debattieren, der mir freiwillig keinen Fußbreit Boden zugestehen will, den ich ihm nicht mit strikt ’sachlich männlicher‘ Logik abringen kann „

S: “ was aber Ihre weiblich einfühlende ‚Anima‘ großmütig über sich ergehen lässt?“

E: „Den Teufel täte sie das die hätte längst schon eine Szene gemacht, mit einem schluchzenden „Sie geben sich ja überhaupt keine Mühe, mich zu verstehen!“ wenn ich sie nicht bewusst ständig an der Kandare hielte!
Aber davon mal abgesehen, haben Sie natürlich im Prinzip durchaus recht: allein um sich mit jemand anderen Geschlechts über irgendwas zu unterhalten, brauchte man im allgemeinen noch nicht unbedingt das innere gegengeschlechtliche ‚Seelenbild‘ (da reichten vielfach Ihre ‚allgemein menschlichen Gemeinsamkeiten‘ völlig); aber je mehr die Partner einander nun wirklich ‚als Frau‘ und ‚als Mann‘ verstehen müssen desto unentbehrlicher wird es, dass jeder nun in der Tat auch etwas vom anderen ‚in sich hat‘, auf das er bzw. sie zurückgreifen kann.“

S: „Also jetzt will ich mir, eingedenk Ihrer frustrierten Anima, einmal echt Mühe geben, Sie zu verstehen: damit ich als Frau einem Mann wirklich ‚Partner sein‘ könnte, müsste ich auch das berüchtigte ‚Stückchen Mann‘ in mir haben und er umgekehrt ein Stück Frau? Das ist aber wirklich schwer zu verdauen …“

E: „Vielleicht kann ich es Ihnen an einem Vergleich einleuchtender machen obwohl ich sonst wenig davon halte, von ’seelischen Schwingungen‘ usw. zu reden aber hier passt es, glaube ich, mal wirklich: stellen Sie sich vor, der allgemeine Kontakt zwischen Menschen erfolge so auf einer Art ‚öffentlicher Frequenz‘, die jeder benutzen kann.“

S: „Sozusagen ‚Citizen Band‘?“
E: Genau das wären also Ihre ‚allgemein menschlichen Gemeinsamkeiten‘. Aber nun wollen Sie in einem Bereich kommunizieren, dessen Sender und Empfänger eine andere, ganz spezifische Frequenz haben zum Beispiel eine ‚männliche‘. Das können Sie doch offenbar nur, wenn Sie nun auch Ihren Sender und Empfänger auf diese Frequenz einstellen können und das wieder geht ja nur, wenn auch in Ihrem ‚Apparat‘ ein Schwingkreis ist, der zumindest überhaupt in dieser Frequenz schwingen k ö n n t e auch wenn Sie normalerweise und für Ihre eigenen Zwecke meist eine andere ‚weibliche‘ benutzen?“

S: „Hm so herum habe ich’s allerdings noch nicht gesehen: jeder von uns muss also gewissermaßen außer seinem ‚eigenen Schwingkreis‘ auch noch eine Art ‚Resonanz Kreis‘ fürs andere Geschlecht haben?“

E: „‚Resonanz Kreis‘ ist ganz ausgezeichnet! Denn damit könnten Sie nun sogar verstehen, dass solch ein Resonanz Kreis auch ganz ohne Ihr eigenes Zutun zu schwingen anfangen kann, sobald er von entsprechenden Signalen getroffen wird.“

S: „Also zum Beispiel mein, wie Sie so nett sagten, ‚kratzbürstiger Animus‘, sobald Sie von ‚gegengeschlechtlichen Komponenten‘ zu sprechen anfingen?“

E: „Ja aber nehmen wir ein noch viel allgemeineres Beispiel: da begegnet ein Mann plötzlich einer Frau, die ganz ohne Absicht ‚Signale‘ gibt, die zufällig haargenau auf der speziellen ‚Frequenz‘ seines ‚Anima Resonanzkreises‘ liegen. Was passiert? Er …“

S: „Oh, lassen Sie mich mal das reizt mich: Wie das berühmte Glas, das zufällig vom passenden Ton getroffen wird, fängt er an zu vibrieren: er ist ‚fasziniert‘ und da diese ‚Resonanz‘ ja auch an sich ganz schwache Impulse, wenn sie nur seiner ‚Eigenfrequenz“ entsprechen, immer weiter verstärkt, findet er alles, was sie tut, bezaubernd auch wenn’s der größte Blödsinn ist; kein Mensch um ihn herum kann verstehen, wieso er ihr eigentlich so ‚verfallen‘ ist klar, die anderen haben ja gar nicht diese spezifische ‚Resonanzfrequenz‘ und werden gar nicht angesprochen aber bei ihm schaukelt sich das immer weiter auf: entweder, bis das Glas regelrecht zerspringt: er ruiniert sich für sie oder bringt sich um wie der junge Werther oder bringt sie um wie Don Jose die Carmen; oder aber fast genau so schlimm er ‚kriegt‘ sie: und entdeckt auf einmal, dass sie ja auch ihre eigene Frequenz hat und nicht nur seine und jammert dann fassungslos : ‚das ist doch gar nicht mehr die Frau, in die ich mich verliebt hatte was war da bloß über mich gekommen?!‘ „

E: „Hm und vor nicht allzulanger Zeit hätte man dann gesagt ’sie hat ihn behext‘, einen ‚Liebeszauber‘ praktiziert: ‚philocaptio‘ nannten es Kraemer und Sprenger im ‚Hexenhammer‘, ‚cast a glamour‘ die Angelsachsen was heute noch im Ausdruck „glamour girl“ für den faszinierenden Filmstar fortlebt.“

S: „Ach herrje da habe jetzt sogar i c h Ihnen die ‚magischen Aspekte‘ der ganzen Geschichte vorbuchstabiert!“

E: „Wobei das müssen wir ja auch festhalten die fragliche Dame meist ganz unschuldig an dieser ‚Bezauberung‘ war: denn genau besehen hat sich so ein Mann gar nicht in s i e verliebt sondern in seinen eigenen ‚Resonanzkreis‘ für sie, seine ‚Anima‘, die er wie die Psychologen sagen nur auf sie ‚projiziert‘ hatte.“

S: „Ich fürchte, jetzt werden Sie gleich wieder sagen, es ist mein aufmüpfiger ‚Animus‘ aber ist das nun eigentlich nicht gerade das glatte Gegenteil von dem, was Sie als Sinn unserer ‚Resonanzkreise‘ für das andere Geschlecht nannten? Die sollten uns doch eigentlich helfen, uns wirklich in den Partner ‚einzufühlen‘ und sich nicht selbständig machen und den wahren Partner durch das eigene ‚Seelenbild‘ von ihm (oder ihr) glatt übersteuern?!“

E: „Nein, nein da stimme ich Ihnen völlig bei: nur ist das doch gar kein Widerspruch. Denken Sie doch mal an Ihr geliebtes Schachspiel: da ist doch z.B. die Dame auch eine der Figuren, die dem Spieler am meisten helfen könnte nur fasziniert eben gerade diese ihre Macht den Anfänger oft so, dass sie sein ganzes Spiel ‚übersteuert‘ und er durch exzessive Damenzüge von einem Unheil ins andere gerät.“

S: „Also bei Ihren Vergleichen kann einem schon etwas schwindlig werden: eben war die Anima ein Resonanz Kreis jetzt ist sie eine Schachfigur?!“

E: „Und falls ich sie demnächst mit einem Erkennungs Muster vergleichen sollte, das in einem Computer ganz bestimmte Funktionen aufruft oder mit einer Elementarkraft, die man nur mit bestimmten Ritualen zähmen kann: dann lassen Sie sich nicht verwirren sondern sehen immer den gemeinsamen Kern: etwas, das uns zwar helfen kann aber zunächst einmal keineswegs immer tut, was wir wollen, sondern durchaus eigenen Gesetzen folgt!“

S: „Nein bleiben Sie ruhig mal bei der Dame im Schach: ist die vielleicht in der Tat als einzige und dazu noch so mächtige ‚Frau‘ unter lauter Königen und Rittern und Bauern eine Art ‚Anima Figur‘ in der sonst durchwegs ‚männlichen‘ Streitmacht des Spielers?“

E: „Im arabischen Schach war das ja noch wie Sie sicher wissen ein durchaus männlicher ‚Wesir‘, der allerdings nur in kleinen Schritten um den König herumtrippelte: ‚mächtig‘ weithin übers Brett zu schweifen begann sie aber wirklich erst, als sie im Abendland eine ‚Dame‘ wurde im Schach ‚a la dama‘, das so Mitte des 15. Jahrhunderts aufkam interessanterweise gerade nachdem ein paar Jahrzehnte zuvor wirklich eine Frau auf einem männlichen Schlachtfeld mit seltsamer Macht den Sieg heraufbeschworen hatte: Jean d’Arc die Jungfrau von Orleans.“

S: “ die man daraufhin denn ja auch prompt als Hexe verbrannte!“

E: „Vielen Dank Sie geben mir immer so nett selbst die Stichworte zum Thema ‚Magie‘ dabei, mit dem ich mich sonst beim Schach vielleicht etwas schwerer getan hätte aber immerhin spielte bei Johannas Prozess ja gerade das ‚Unweibliche‘ ihres Verhaltens (ein ‚Animus Aspekt‘?) eine große Rolle „

S: „Bitte inzwischen haben Sie mich von Ihrer ‚Animagie‘ in der Tat schon halb überzeugt! Aber wenn die Schach Dame wirklich eine ‚Anima Figur‘ wäre hieße das dann, dass Schachmeister, die sie virtuos zu führen wissen, auch eine entsprechende Kontrolle über ihre eigene ‚Anima‘ hätten?“

E: „Ich fürchte ganz im Gegenteil: gerade bei den letzten Schachweltmeisterschaften hatte man ja genug Gelegenheit, an solchen Meistern genau das zu beobachten, worin sich bei Männern eben gerade eine ‚unkontrollierte Anima‘ manifestiert nämlich, wie man gemeinhin sagt, ‚Primadonnen Allüren‘! Das meine ich gar nicht unbedingt negativ: je stärker gerade der bewusste Stress wird, unter dem ein Mensch steht, desto tiefer muss er in die Reserven seines Unbewussten greifen und da findet sich eben bei den meisten Männern eine gar nicht bewusst akzeptierte und entsprechend ‚un kultivierte‘ Anima, die sich dann (statt als schlachtenrettende Jean d’Arc) eher wie ein hysterisches Frauenzimmer gebärdet…“

S: „Wenn ich jetzt lachen musste dann nicht über Sie; mir kam bloß eben der Gedanke: wenn wir nun auch gerade in der Magie Szene immer wieder Sachen erleben, die verzweifelt an Kulissen Intrigen zwischen Operetten Soubretten gemahnen sind da etwa auch mangelhaft beherrschte Animas hehrer Meister im Spiel?! Und meinen Sie etwa auch deshalb, dass wir uns mehr mit ‚Animagie‘ befassen sollten?“

E: „Sicher wohl auch aber bis jetzt haben wir ja eigentlich nur von den unkontrollierten, gewissermaßen den ‚Poltergeist Aspekten‘ von Anima und Animus gesprochen: und das kratzt ja nun allenfalls nur die Oberfläche des ganzen Komplexes an.“

S: „Allerdings liegt mir nun auch schon die ganze Zeit die Frage auf der Zunge, ob Sie meinen, dass man Animus oder Anima auch gezielt ‚beschwören‘, evozieren und magisch nutzen könnte?“

E: „Genau da wird’s ja eigentlich interessant aber das müssen wir auf das nächste Mal vertagen: für heute nur die freundschaftliche Warnung machen Sie sich vorsichtshalber noch auf ein paar neue Schocks dabei gefasst…!“

A N I M A G I E (II)
VON VIVIAN

[Fortsetzung des Dialogs:]

S(ie): „Also – so richtig verdaut habe ich Ihre Sache mit ‚Animus‘ und ‚Anima‘, fürchte ich, immer noch nicht: Eingeleuchtet hat mir zwar: wenn ich als Frau einen Mann wirklich so verstehen, mich so ‚in ihn einfühlen‘ möchte, wie das für eine echte Partnerschaft unerlässlich ist – dann geht das ja wohl nur, wenn ich in der Tat auch in meiner eigenen Psyche einen Zugang zum ‚Männlichen‘ habe; und wenn ich mir umgekehrt von meinem männlichen Partner wünsche, dass er sich genau so in mich einfühlt – dann kann ich ja schlecht zugleich von ihm verlangen, dass er eben nur strikt „100 % Mann“ sein müsse … „

E(r): „Das wäre ja auch im Grund nur ein Gegenstück zu der alten magischen Doktrin von jedem Menschen als ‚Mikrokosmos‘, der eben stets den ganzen ‚Makrokosmos‘ – mit all seinen Planeten, Elementen und Kräften – in sich begreìft: warum dann also nicht erst recht auch etwas so Lebenswichtiges wie das andere Geschlecht?!“

S: „Sehen Sie, jetzt wird’s mir schon wieder unklar: meinen Sie nun,
das sei wirklich eine neue – oder vielleicht sogar altehrwürdige – echte Art von ‚Magie‘: bei der ich nun zum Beispiel meinen männlichen Seelenteil, meinen ‚Animus‘ – oder Sie Ihre weibliche ‚Anima‘ – ähnlich mit speziellen Ritualen ‚aufrufen‘ könnte wie etwa die Kräfte eines Planeten oder Elements – oder ein Beschwörer einen Dämon? Oder reden Sie nur von psychischen Phänomenen, die bloß in gewissem Sinn ‚Gegenstücke‘ – mit bestimmten Analogien oder Ähnlichkeiten – zu magischen Konzepten oder Praktiken wären?“

E: „Da könnte ich mich zwar schon elegant mit C.G.JUNGs These ‚magisch ist bloß ein anderes Wort für psychisch!‘ aus der Affaire ziehen – aber ich möchte das Problem ruhig etwas präziser fassen: wenn wir bei zunächst ganz ‚un-magisch‘ erscheinenden Dingen anfangen – dann bemerken, dass im Zusammenhang mit ihnen immer wieder Vorstellungen oder Verhaltensweisen auftauchen, die solchen in der ‚Magie‘ verblüffend ähneln – und schließlich sogar entdecken, dass genau diese oft auch ganz eindeutig als echte Magie angesehen wurden oder werden – was sollen wir dann sagen?!“

S: „Bloß wird’s eben schon bei Ihren ‚Übereinstimmungen für mich kritisch, weil ich doch einen grundsätzlichen Unterschied sehe: in der – ich möchte mal sagen – ’normalen‘ Magie könnte ich doch, eben weil ich als Mikrokosmos eben auch den ganzen Makrokosmos in mir habe, dessen Kräfte aufrufen, unbeschadet, ob ich nun eine Frau bin oder ein Mann. Aber wenn wir in Ihrer ‚Animagie‘ nun gezielt die psychischen Energien des gerade entgegengesetzten Geschlechts aufrufen wollten: hieße das nicht, dass wir danach – drastisch gesagt – überhaupt ’nicht mehr wissen, ob wir eigentlich Männchen oder Weibchen sind‘?!“

E: „Sie meinen: das eine entspräche allemal durchaus noch unserer eigenen Natur – während das andere nun geradezu im Widerspruch dazu stünde?“

S: „Ja – etwa das meine ich!“

: „Oh je – da müssen wir wirklich noch mal ganz von vorn anfangen: Das ganze Konzept von Anima und Animus besagt doch gerade, dass es eben a u c h zur ‚Natur‘ des Menschen gehört, einen psychischen Zugang zum ‚entgegengesetzten‘ Geschlecht zu haben und zwar gerade ‚in meiner Eigenschaft als Mann‘ einen Zugang zum Weiblichen, weil ich nur dadurch eine nicht bloß äußerliche – anatomische oder gesellschaftliche – sondern wirklich ‚innere‘ Beziehung zur Frau finden, also meine ‚männliche‘ Funktion als ihr Partner voll erfüllen kann – wie das umgekehrt natürlich ebenso auch für Sie gerade in ‚Ihrer Natur als Frau‘ gilt! Das geht also keineswegs ‚auf Kosten‘ unseres eigentlichen Geschlechts – etwa nach dem Schema ‚bei 20% Weiblichem in meiner Psyche bleiben nur noch 80% Männliches übrig“ – sondern eher gerade umgekehrt: wenn diese 20% fehlen würden, wäre ich eben auch als Mann bloß zu 80% ‚funktionsfähig‘ statt zu vollen 100%! Wobei ich Sie allerdings bitten muss, diese ‚Prozent-Rechnung‘ nicht wörtlich, sondern nur als Analogie zu nehmen – “

S: „Gut – aber wenn nun (auch wieder als Analogie) ein Mann 80% oder gar 100% ‚weiblichen Seelenanteil‘ hätte – wenn also seine ‚Anìma‘ das Männliche in seiner Psyche völlig dominieren würde: wäre das dann nicht eben ein Homosexueller?“

E: „Das können Sie zwar sogar in manchen psychologischen Büchern lesen – bloß passt es überhaupt nicht: ein Mann, der sich eben gerade nicht den Frauen, sondern anderen Männern zuwendet – der benutzt doch seine ‚Anima‘, seinen Zugang zum Weiblichen eben gerade n i c h t; ich würde sogar sagen, er ‚traut‘ eben ihr nicht als Brücke zu Frauen – sondern verlässt sich statt dessen lieber auf das ihm ‚vertrautere‘ Männliche in sich und seinen gleichfalls männlichen Partnern. Dass sich bei manchen dieser Männer dann ihre derart gleichsam ‚arbeitslos gewordene‘ Anima rächt, indem sie nun jene ‚zickigen‘ Wesenszüge produziert, die zum populären Bild der ‚Tunte‘ gehören – das ist erstens ja keineswegs die Regel: ’seriöse‘ Homosexuelle distanzieren sich meist sogar regelrecht davon (im Grunde vielleicht, weil sie eben gegen j e d e Art von Anima-Aktivität zutiefst misstrauisch sind); und zweitens ist es selbst da eher das Symptom einer ‚verdrängten‘ (und dadurch ‚außer Kontrolle geratenen‘) Anima – als etwa einer ‚dominanten‘, die selbst die Kontrolle übernommen hätte! Die finden Sie vielmehr bei einer durchaus anderen Art von Personen: nämlich bei den ‚Transsexuellen‘ – die empfinden, ‚eigentlich‘ Frauen zu sein, deren ‚weibliche Seele‘ nur zu Unrecht in einen männlichen Körper geraten sei: und nun alles daransetzen, diesen ‚Fehler‘ zu korrigieren, um endlich ‚ihrer wahren Natur gemäß‘ leben zu können…“

S: „Na ja – Christine Jorgensen und so weiter: aber das sind doch schließlich Spezialfälle, die eben erst in unserer heutigen Gesellschaft – mit ihrer sich wandelnden Auffassung der Geschlechter-Rollen und ihrer modernen Medizin, Hormonforschung und Chirurgie akut wurden – “

E: „Eben gerade nicht: Das Phänomen einer solchen ‚Anima-Besessenheit‘, die einen Mann zwang, sich als Frau zu fühlen – und so weit wie nur irgend möglich auch als solche zu ‚leben‘ – fand sich vielmehr zu allen Zeiten und gerade auch bei den verschiedensten ‚Naturvölkern‘ (bei denen man es nun wirklich nicht etwa als ‚Dekadenz-Erscheinung‘ abtun konnte) derart oft – am besten zitiere ich gleich BURCHARD ‚dass es sich um eine global verbreitete, schlechthin allgemein menschliche Entwicklungsmöglichkeit handelt, deren Manifestation von den tatsächlich vorhandenen kulturellen Bedingungen unabhängig zu sein scheint…’”

S: „O.k. – haben Sie mich mit Ihrer überlegenen Weisheit mal wieder abgeführt – aber wo steckt nun die ‚Magie‘ dabei?“

E: „Kommt sofort – ich zitiere weiter: ‚Wie BAUMANN gezeigt hat, genießen diese Transsexuellen unter paläoasiatischen, altmediterranen, indianischen, ozeanischen und afrikanischen Stämmen hohes Ansehen als Schamanen, Priester, Zauberer – Personen mit übernatürlichen Kräften, die man fürchtet und verehrt. … Bei den Navaho gelten sie als große Führer, weil sie männliche und weibliche Fähigkeiten in sich vereinigen.”

S: „Also – um es mal per Karl May zu sagen – ‚Tante Droll‘ statt Winnetou als Indianerhäuptling?!“

E: „Vielleicht eher ‚Medizinmann‘ – obwohl gerade jene Fälle am bemerkenswertesten sind, wo solch ein ‚Transsexualismus’ nicht etwa gleich von Jugend an vorlag: sondern ein stolzer und gefeierter Krieger – meist nach einem ‚göttergesandten Traum‘ – erklärte, von nun an als Weib leben zu müssen, und trotz aller Vorhaltungen bei diesem Entschluss blieb, der dann dem ganzen Stamm als heilig galt – “

S: „Eine Art ‚ Mid-life-crisis‘, bei der auf einmal seine – bisher vielleicht gewaltsam ignorierte – ‚Anima‘ nun eruptiv durchbrach?“ E: „Möglicherweise – aber Sie brauchen nur mal versuchen, sich vorzustellen, dass etwa ein erfolgreicher Manager unserer Tage das gleiche tun wollte: dann verstehen Sie, warum ich Ihre Meinung, Transsexualismus sei doch was, das ‚erst in unserer heutigen Gesellschaft akut‘ geworden sei, schon recht amüsant fand!“

S: „Zugegeben, dass so etwas all diesen ‚Naturvölkern‘ weitaus ’natürlicher‘ erschienen sein mag als uns: aber bestätigt all das auf der anderen Seite nicht gerade meine Befürchtung, dass eben solche ‚Animagie‘ zwangsläufig ein Auflösen, ja geradezu ein Aufgeben der eigenen Individualität bedeuten müsste?“

E: „Moment mal: wenn Sie fragen, was passieren würde, wenn sich ein Mann ‚zu 100%‘ nur noch mit seiner Anima identifiziert – dann dürfen Sie ja kaum darüber erschrecken, dass er d a b e i auch konsequenterweise eben alles übrige ‚aufgeben‘ müsste! Aber solch eine ‚Besessenheit‘ – ob nun durch eine ‚Anima‘ oder im klassischen Sinne durch einen ‚Dämon‘ – ist ja zwar ein ‚magisches Phänomen‘: aber schwerlich eine ‚magische Praktik‘ – bei der man ja gerade durch sehr sorgfältig eingehaltene ‚Rituale‘ der Gefahr begegnen will, unversehens ‚in die Gewalt‘ dessen zu geraten, das man da magisch ‚aufruft‘!“

S: „Aber die ‚Gefahr‘ dafür geben Sie doch damit zu?“

E: „Ja du lieber Himmel – die ist aber doch bei jeder Art von ‚Magie‘ vorhanden! Übrigens nicht nur da: auch schon wenn ich ganz ‚unmagisch‘ bloß ein Streichholz anzünde, könnte ich damit eine Feuersbrunst auslösen – wenn ich mich ungeschickt genug anstelle! Sobald überhaupt irgendeine Form von Energie – ob nun physische oder psychische – d a ist, gibt es natürlich im Prinzip auch die Gefahr, dass sie Unheil stiften könnte: aber die besteht sogar – oder erst recht – wenn ich ‚vorsichtshalber‘ so tun wollte, als gäbe es sie gar nicht! Schließlich kann Feuer sogar ausbrechen, wenn ich gar nie eín Streichholz anrühre – und eine ‚ignorierte‘ Anima beim Mann oder ein ‚verleugneter‘ Animus einer Frau kann wahrscheinlich sogar gefährlichere Auswirkungen haben, als ihr bewusstes Akzeptieren.”

S: „Akzeptieren – also z.B. Streichhölzer, mit den nötigen Vorsichtsmaßregeln, zum Feuermachen benutzen – ist aber ein Ding: ‚magisch‘ nutzen – also etwa ein ‚Feuer-Ritual‘ praktizieren – dagegen doch noch ein anderes! Sie haben mich ja im Grunde durchaus schon überzeugt, dass wir auch unseren ‚gegengeschlechtlichen Seelenbereich‘ nicht etwa leugnen, sondern ‚akzeptieren‘ sollten – aber warum nun darüber hinaus auch noch ‚magisch‘ mit ihm herumexperimentieren?“

E: „Wenn das eine Grundsatzfrage sein soll – dann muss ich natürlich antworten: ob sich jemand mit einer bestimmten Art von Magie – wie überhaupt mit Magie! – befassen will, ist selbstverständlich immer eine persönliche Entscheidung, ohne dass es Gebote gäbe, ‚warum er das sollte‘! Wenn Sie aber Ihr ‚Warum‘ nur im Sinne von ‚aus welchen Motiven heraus meinen: dann erinnern Sie sich doch nocheinmal daran, dass die erwähnten ‚Anima-Besessenen‘ danach eben nicht bloß einfach als ‚Frauen‘ galten, sondern als ‚Personen mit übernatürlichen Kräften – weil sie männliche und weibliche Fähigkeiten in sich vereinten‘; also gleichsam – im Bild unserer ‚Prozentrechnung‘ von vorhin – eben nicht weitere 80% Anima‘ s t a t t ihrer vorherigen ‚80% Mann‘, sondern noch
d a z u – was 80 + 80 = 160% ergäbe statt der üblichen 100% anderer Menschen!“

S: „Aber eben um den hohen Preis der ‚Besessenheit‘!“

E: „Nur ist ja eben das ganze Konzept aller ‚evokatorischen‘ Magie, einen solchen ‚Ich-Zuwachs‘ auch zu erzielen, o h n e diesen Preis dafür zu bezahlen: indem man die zusätzlichen Mächte eben, durch geeignete Rituale, nur zeitweise und strikt kontrolliert ‚aufruft‘ – und danach auch ebenso formal wieder ‚entlässt‘.“

S: „Das hieße hier also: als Mann seine weibliche ‚Anima‘ – oder als Frau ihren männlichen ‚Animus‘ – jeweils nur zu bestimmten Gelegenheiten oder in bestimmten Zusammenhängen, dann aber auch viel intensiver als normal ‚herauszurufen‘ (oder meinetwegen auch zusätzlich in die Psyche ‚hereinzurufen‘)? Aber was für ‚Rituale‘ könnten sich dazu nun eignen?“

E: „Am nächsten läge da wohl FRAZERs klassisches ‚Law of Similarity‘: ‚like begets like‘ – Gleiches erzeugt Gleiches, Ähnliches ruft man durch Ähnliches hervor – „

S: „Können Sie das auch etwas konkreter sagen?“

E: „Mit einem einschlägigen Beispiel aus FRAZERs ‚Goldenem Bogen‘:
wenn ein Baum keine Früchte trägt, könnte das – meinen die Galelareeser – daran liegen, dass er sich für männlich hält; also binden sie ihm einen Weiberrock um, damit er sich für eine Frau halten und damit entsprechend fruchtbar werden soll…“

S: „Also jetzt muss ich doch erst mal tief Luft holen – wollen Sie damit sagen, dass etwa die Verkleidungsspäße von Mary und Gordy im Grund ein ‚animagisches Ritual‘ wären?“

E: „Nun – so viel oder so wenig, wie es ‚Magie‘ ist, wenn Siegfried und Roy in Las Vegas auf offener Bühne einen Tiger verschwinden lassen! Beides ist natürlich Show-Business – aber bezieht es nicht eben, gerade als Show-Business, seine Faszination doch im Grund aus dem ‚Magischen‘, mit dem es spielt – hier die ‚Magie‘ des Verschwindens, dort die ‚Magie‘ des Sich-Verwandelns?“

S: „Dennoch werden Sie sich schwer tun, mich zu überzeugen, dass etwa Schwänke wie ‚Charleys Tante‘ oder ‚Tootsie‘ eine tiefe magische Bedeutung hätten!“

E: „Warten wir’s ab – immerhin wissen wir ja seit FREUD, dass auch hinter ‚Witzen‘ oft durchaus ernste Probleme stecken: so ernste sogar, dass man sie eben gerade deshalb unter einem Witz versteckt! Und wenn das alte Testament in 5. Mose 22 donnert: ‚Es soll nicht Manns Zeug auf einem Weibe sein, und ein Mann soll nicht das Gewand eines Weibes anlegen, denn wer irgend solches tut, ist ein Greuel im Angesicht Jehovas‘ – dann hielt es so etwas doch offenbar für alles andere als bloß einen harmlosen Jux?
Aber wenn Ihnen solche ‚Animaskeraden‘ erst mal zu unseriös erscheinen, können wir auch nur mit dem anfangen, was ja nun zu jeder ‚Evokation‘ nötig ist – nämlich mit einem N a m e n:
Da gab es etwa in London Ende des vorigen Jahrhunderts den Literaten WILLIAM SHARP, dessen Kunst- und Literaturkritiken in der Tat meist so scharf waren, wie es seinem Namen entsprach. Zugleich hatte er aber von Kind an eine tiefe Liebe zur geheimnisvoll-urtümlichen Natur Schottlands, die er gern in ‚keltischen Romanzen‘ dargestellt hätte; doch das gelang ihm erst, als ihm bei einem Aufenthalt dort auf einmal – wie er selbst sagte, ‚ready made‘ – der weibliche Name FIONA McLEOD in den Sinn kam: unter dem dann diese Werke entstanden – von denen kein geringerer als der spätere Literatur-Nobelpreisträger YEATS schrieb ‚ihre Kunst ist von jener großen Art, welche auf Offenbarung beruht und mit unsichtbaren und ungreifbaren Dingen zu tun hat’…“

S: „Nun ja, eben ein – wenn auch zugegeben etwas seltsam gewähltes – Pseudonym – „
E: „In diesem Fall doch wohl mehr: ‚ich kann mir so vom Herzen schreiben, wie ich es niemals tun könnte als William Sharp …‘ notierte er, und später ‚immer ausgesprochener werden W.S. und F.M. zwei Personen, bald vereint im Geist und zusammen ein Wesen, bald deutlich voneinander unterschieden‘ – schließlich wechselte er, wie seine Frau berichtet, sogar an jedem seiner Geburtstage Briefe mit ‚FIONA‘, in denen er ‚ihr‘ seinen Dank für die schöpferischen Quellen sagte, die sie ihm eröffnet habe – und ’sie‘ ihm darauf antwortete – „

S: „Ach – eine wirkliche Frau hatte er also auch?!“

E: „Wieso nicht? Sind Sie immer noch auf dem Trip, Umgang mit der Anima hätte zwangsläufig eine Art Entmannung zur Folge? Er war sogar sehr glücklich verheiratet – übrigens mit seiner Cousine – „

S: „Und was hielt die nun aber von ‚FIONA‘?“

E: „Offenbar sehr viel: denn in der Tat wurde die Identität von ‚FIONA McLEOD‘ mit WILLIAM SHARP, die vorher niemand geahnt hatte, überhaupt erst durch das Memoir zu seinem Andenken bekannt, das sie 1910 nach seinem Tod veröffentlichte…“

S: „Na schön – aber ich weiß jedenfalls nicht, ob ich in einer Art Dreiecks-Ehe mit einem Mann und seiner personifizierten Anima leben möchte, mit der er seelenvolle Briefchen wechselt – „

E: „Dann dürften Sie aber überhaupt keinen Autor heiraten, der mehr als pure Reportagen schreibt – denn sobald in seinen Werken auch Frauen vorkommen, die irgendetwas tun, sagen oder fühlen, das e r sich ausgedacht hat: wo ist da eigentlich noch der Unterschied zur ‚Fiona‘, mit der Sharp Zwiesprache hielt? Man macht sich meist doch gar nicht klar, dass die meisten großen ‚Frauengestalten‘ der Literatur – vom Gretchen im Faust bis zu Ibsens Nora – eben gar k e i n e ‚Frauen‘ sind: sondern nur die Autoren selbst in ihrem Versuch, ‚Frauen darzustellen‘ – und wie weit sind wir da eigentlich noch von Mary und Gordy?!“

S: „Na ja – das liegt aber doch nur daran, dass die Literatur eben
Jahrhunderte hindurch nur von Männern dominiert worden ist und die wirklichen Frauen nicht zu Wort kommen ließ – au verdammt, nein, umgekehrt ist’s ja genau so schlimm: der Rhet Butler in ‚Vom Winde verweht‘ ist in Wirklichkeit auch nur Mrs. Mitchells Animus in Hosen – und da die Männer in den Büchern unseren modernen Autorinnen ja genausowenig ‚echt‘ sind, werden wir entsprechend viel davon für ein ’neues Verhältnis von Frau und Mann‘ profitieren! Das ist allerdings ein echter Hammer: die ganze Weltliteratur als Transvestiten-Show – !“

E: „Sagen wir vielleicht etwas milder: als ständige ‚Anima‘- oder ‚Animus-Evokation‘! Seltsamerweise habe ich das ausgerechnet so klar bei einem Dichter formuliert gefunden, der heute fast unzeitgemäß ‚mannhaft‘ erscheint – dem Offizier und Landedelmann Börries von Münchhausen im Prolog zu seinen ‚Balladen und ritterlichen Liedern‘, wo er schrieb:
‚Männer schuf ich und schuf stille Frauen
Und erlöste Mann in mir und Weib,
Denn mit wunderlichen Selbstvertrauen
gab ich meine Seele jedem Leib… ‚
Das eigentlich ‚Magische‘ ist für mich dabei aber: nach allen ‚Regeln der Kunst‘ muss es doch schiefgehen, wenn jemand über etwas schreiben will, was er selbst nie erlebt hat – ein echter Kriminalkommissar findet einen Schnitzer nach dem anderen bei seinen erdachten ‚Kollegen‘ in Kriminalromanen – und wer selbst mal Manager war, muss meist darüber grinsen, wie sich Autoren das ‚Managen‘ vorstellen! Warum aber schüttele ich dann nicht auch ständig den Kopf über die männlichen Hauptpersonen in ‚Vom Winde verweht‘ – wieso protestieren Schauspielerinnen nicht laufend, dass sie sich als wirkliche Frauen mit den erdachten Frauengestalten männlicher Autoren doch gar nicht identifizieren könnten? Wieso hat jede von ihnen im Gegenteil sogar gerade da ‚Traumrollen‘, die sie unbedingt einmal ‚verkörpern‘ möchte – warum würden viele Männer gern Rhet Butler sein? Fasziniert sie gerade der – wie Sie so nett sagten – ‚Animus in Hosen‘, oder die Schauspielerin all die ‚Animas in Röcken‘?“

S: „Sie meinen – ‚erweitert‘ es nicht nur das Ich des Autors, wenn er sein gegengeschlechtliches Seelenteil ‚evoziert‘: sondern auch unser eigenes, wenn wir uns dann – eben gerade als Person des anderen Geschlechts – darin gespiegelt sehen? Da ist sicher etwas dran: ich glaube zum Beispiel, dass die meisten Frauen, wenn sie die Wahl hätten, sich von einer anderen Frau – oder aber von einem Mann portraitieren zu lassen, lieber sehen würden, wie ein Mann sie ’sieht‘ – „

E: „Da geben Sie mir gleich wieder ein Stichwort: das berühmteste ‚Frauenportrait‘ aller Zeiten ist ja wohl die Mona Lisa mit ihrem geheimnisvollen Lächeln. Nun hat aber jüngst die US-Computerspezialistin LILLIAN SCHWARZ ein Rötel-S e l b s t-Portrait LEONARDO DA VINCIs – da er ja meist in Spiegelschrift schrieb – gleichfalls seitenverkehrt gespiegelt und dann Punkt für Punkt mit dem Gesicht der ‚Mona Lisa‘ verglichen: und ohne Bart- und Brauen-Haare lagen Haaransatz, Augen, Wangen, Nase – und die weltberühmten Lippen! – exakt übereinander! Hat Leonardo da in Wirklichkeit ’seine gespiegelte Anima‘ gemalt?“

S: „Also – da würde ich aber nun nicht zuviel hineingeheimnissen! Vielleicht hat er auch bloß – rein technisch – vor dem Spiegel mal Licht und Schatten auf seinen eigenen Lippen skizziert, um diese spezielle Art von Lächeln (das die arme Lisa beim stundenlangen Modellsitzen ja nicht dauernd gezeigt haben wird!) richtig hinzukriegen – „

E: „Aber wäre es selbst dann nicht eigenartig, dass ausgerechnet dieses ‚männliche‘ Lächeln auf weiblichen Lippen die Menschen nun seit Jahrhunderten derart fasziniert? Wirkt da nicht doch wieder irgendwo die Magie der evozierten Anima?“

S: „Nun ja – dass schöpferische Künstler oft auf die innere Kraftquelle ihrer Anima – und Künstlerinnen dann wohl auf die ihres Animus zurückgreifen, und dass die sich dann auch, mehr oder minder deutlich, in ihren Werken spiegeln: das könnte man ja nun auch so verstehen, dass man eben in jeder ‚Schöpfung‘ eine Art von ‚Zeugungsakt‘ sieht, bei dem ‚männliche‘ und ‚weibliche‘ Elemente einander befruchten ?“

E: „Genau das war ja nun ein zentraler Gedanke aller ‚gnostischen‘ Lehren der Spätantike – und von der ‚Gnostik‘ führen ja nun direkte Wege zur ganzen mittelalterlichen Magie wie auch zur Alchymie: wo ‚Hermaphrodit‘ oder ‚Androgyn‘, mannweibliche Doppelwesen, immer wieder als Symbole der ‚Materia prima‘ – oder des ‚Steins der Weisen‘, der aus ihr entsteht – auftauchen – „

S: „Was Sie nun sicher gleich wieder als pure ‚Animagie‘ deuten wollen?! Aber statt dass Sie mir jetzt in das weite Feld der Alchymie davonpreschen, möchte ich doch lieber das weiterverfolgen, was ich eben eigentlich im Sinn hatte: schöpferische Künstler – oder auch alchymistische Adepten – mögen ja nun wirklich recht intimen Umgang mit ihrem ‚gegengeschlechtlichen Seelenteil‘ haben. Aber wo bleiben dabei nun gewöhnliche Sterbliche, die nicht immer gleich unsterbliche Werke oder den Stein der Weisen schaffen?
Könnten auch die ihre Anima oder ihren Animus evozieren – und wie?“

E: „Sie meinen sozusagen ‚Animagie für den Hausgebrauch‘?
Da gäbe es neuerdings eine ganze Menge von Möglichkeiten: zum Beispiel wurde jetzt eine Art Computerspiel ‚Alter Ego‘ populär, in dem man als Mann oder Frau einmal ein ganz anderes hypothetisches Leben durchspielen kann (übrigens auch ein sehr ‚magisches‘ Konzept, das Sie in vielen alten Legenden finden); da brauchten Sie nun nur die Diskette für das andere Geschlecht einzulegen – um zwangsläufig ihren Animus ‚ins Spiel zu rufen‘.
Oder: gerade vor kurzem hörte ich von einem Fotobuch der Fotografin SYLVIA VOSER, ‚Identity‘ – mit dem Untertitel ’27 Männer und Frauen entdecken sich in der eigenen und der anderen Geschlechtsrolle’…“

S: „Schon interessant – aber Computer und Fotos haben ja nun schwerlich eine lange ‚magische‘ Tradition?“

E: „Da könnte ich Ihnen zwar auch gründlich widersprechen: vom ‚erzenen Haupt‘, das alle Fragen beantwortet (und das von Albertus Magnus bis zu Gerbert d’Aurillac so ziemlich allen mittelalterlichen Weisen zugeschrieben wurde) bis zur ‚magischen‘ Scheu des Naturmenschen vor dem Fotoapparat, der mit seinem Bild auch seine Seele einfangen könnte! Aber in gewissem Sinne haben Sie schon recht: nur kommen wir dann eben zu dem Thema, an das Sie vorhin partout nicht heranwollten – die jedermann zugänglichen ‚Hausmittel‘ zur Evokation von Anima oder Animus waren eben von altersher die Kleidungstücke des anderen Geschlechts!“

S: „Aber wenn es für jemand nicht bloß ein Jux ist, die anzuziehen, sondern bitterernst: ‚Fetischismus oder ‚Transvestitismus – dann sind das doch sexuelle Perversionen – keine Magie!“

E: „Entschuldigung – aber das ist ja nun reines Wortgeklingel: ’sexuell‘ heißt doch nur, dass hier irgendwie das Geschlecht im Spiel ist – und ‚Perversion‘ eigentlich bloß ‚anders als gemeinhin üblich‘! Nach dem Schema könnte ich mit gleichem Recht etwa Astrologie eine ‚astronomische Perversion‘ nennen – oder sogar, da ja die meisten Menschen eher Horoskope lesen, als wirklich Sterne beobachten, die Astronomie eine ‚astrologische Perversion‘! Ich fände es viel aufschlussreicher, wenn wir diese Fälle statt dessen einmal nach ‚magischen Konzepten‘ betrachten: trägt dann der Mann, der unter seiner ’normalen‘ Kleidung ein Stück Damenwäsche anhaben muss, nicht eigentlich ein ‚Anima-Amulett‘ – das ihn irgendwie der ständigen helfenden ‚Präsenz‘ seines weiblichen Seelenteils versichern soll?
Oder vollzieht – im anderen Extrem – jener, der sich hinter verschlossenen Türen vor dem Spiegel in stundenlanger Andacht Punkt für Punkt, vom falschen Busen bis zu Make-up und Perücke, als elegante Dame herrichtet, nicht ein regelrechtes ‚Evokations-Ritual‘: in dem seine Anima schließlich ganz analog sichtbar ‚erscheint‘, wie ein heraufbeschworener Geist oder Dämon?“

S: „Nun – meinetwegen: aber dann müsste sie ja auch irgendwas entsprechend wunderbares für ihn tun?“

E: „Darf ich mal wieder zitieren – nicht etwa einen sanften Poeten, sondern einen 31jährigen Eisenbahnangestellten: ‚Die wunderbare Wirkung der Frauenkleider ließ mich noch den nächsten Tag bei der Arbeit zittern. Die Welt erschien mir klar, friedlich und heiter. In einem Glücksrausch ging ich unter den verlöschenden Sternen zur Arbeit. Obwohl ich nur die Hälfte meiner Energie anwandte, verrichtete ich die Arbeit von drei Personen…“‚

S: „Entschuldigen Sie – das klingt aber für mich doch eher wie ein schwärmerisches Frauenzimmer!“

E: Oder noch ein Zitat: ‚Durch die geheimnisvolle Kraft dieses Gewandes‘ – diesmal eine enganliegende schneeweiße Robe, fußlang und mit einem Gürtel gebunden, über seidener Unterwäsche – ‚lege ich einen Schutzpanzer des Heils an, die Kraft, mein Vorhaben zu vollbringen…“
‚ S: „Anscheinend allemal gleich pathetisch!“

E: „In der Tat verblüffend ähnlich: nur war das diesmal die Beschreibung der Kleidung, die laut dem 4. Buch von AGRIPPA VON NETTESHEIMs ‚Okkulter Philosophie‘ der Magier zu seinem Ritual anzulegen hat – und die Formel, mit der er sich dann seinem Werke weiht, aus dem berühmten Grimoire ‚Lemegeton – oder der kleinere Schlüssel Salomos‘.“

S: „Bei Salomo: das hätte ich doch ahnen müssen, dass Sie – oder Ihre raffinierte Anima? – mich schließlich mal wieder richtig hereinlegen würden! Aber ich muß mich geschlagen bekennen: Gewänder sind also wirklich auch etwas ‚Magisches‘ – und anscheinend sogar umso mehr, je femininer sie sind! Aber wieso nun gerade das?“

E: „Dazu hat nun der Historiker ROBERT GRAVES – Sie wissen: ‚Ich, Claudius, Kaiser und Gott‘ und so weiter – in seiner Darstellung der griechischen Mythen eine interessante These aufgestellt: in der Jungsteinzeit, führt er aus, stand die gesamte Religion noch allein im Zeichen der ‚Großen Göttin‘ – deren Kult, eng mit dem des Mondes verbunden, damals ausschließliche Domäne der Frau war: während die Männer sich nur mit harmloseren Dingen wie Jagen, Fischen, Viehhüten und, gelegentlich, Kämpfen befassen durften. Die jeweilige Mond-Priesterin erwählte zwar periodisch eine Art ‚Prinzgemahl‘ – der aber anfangs nach Ablauf seiner ‚Amtszeit‘ regelmäßig bei Fruchtbarkeitsriten sein Leben opfern musste (bìs diese Amtszeit allmählich immer weiter verlängert und endlich zum Königtum auf Lebenszeit wurde). Zunächst durfte er die Priesterin aber höchstens gelegentlich bei manchen ihrer magischen Funktionen vertreten, wenn sie ihm dazu gestattete – jetzt kommt es – i h r e magischen Roben anzulegen, mit denen auch ihr ‚Mana‘ zeitweise auf ihn überging!“

S: „Holla – steckt das etwa sogar noch in der heutigen ‚Investitur‘ des Priesters: der ja, wenn ich’s mir recht überlege, auch eine Art ‚feminine Robe‘ anbekommt?“

E: „Ganz bestimmt spiegelt es sich jedenfalls – sagt GRAVES – noch in der höchst seltsamen Episode des Herkules-Mythos, in der ausgerechnet dieser antike ‚Super-Mann‘ im Dienst der Königin Omphale Löwenfell und Keule ablegt und statt dessen an ihrem Hof in Frauengewändern, mit weiblichem Schmuck und Kopfputz am Spinnrocken sitzt: was dann die ‚klassischen‘ griechischen Schreiber später nur noch als Allegorie dafür verstehen konnten, dass eben selbst ein öffentlicher Held zuhause manchmal zum bloßen ‚Pantoffelhelden‘ werde (in der Tat verdrosch ihn nämlich Omphale angeblich, wenn er mit seinen Heldenpratzen den Spinnfaden zerriss, mit ihrem goldenen Pantoffel).
OVID allerdings gab für diese Überlieferung eine ‚Erklärung‘ eher im Stil einer französischen Schlafzimmer-Farce: danach hätte Omphale nämlich bloß den nach einer heißen Liebesnacht eingeschlummerten nackten Herkules mit ihrem seidenen Gewand zugedeckt zurückgelassen, als der Gott Pan, der sich in Omphale verliebt hatte, in das dunkle Gemach schlich, die Gestalt unter der Seide zärtlich umarmte – und prompt von dem erwachenden Herkules mit einem gewaltigen Fußtritt hinausbefördert wurde; nur aus Rache für diese Blamage habe Pan dann überall herumerzählt, der Heros laufe neuerdings perverserweise in Frauenkleidern herum!“

S: „Wahrhaftig – fast so eine Szene gab’s doch in ‚Manche liebens heiß‘ auch: nur hatte ich keine Ahnung, dass sie so ein ‚klassisches Vorbild‘ hatte!“

E: „Ja – an diesem Beispiel können Sie aber nun fast wie ein Archäologe bei einer Ausgrabung die einzelnen ‚historischen Schichten‘ der Reihe nach ‚abtragen‘ – oder wenn wir mal umgekehrt ‚von unten‘ anfangen:
Der ursprüngliche Zusammenhang – wo es für den Prinzgemahl der Mond-Priesterin in der Tat eine hohe Ehre (und wahrscheinlich sogar ein profundes ‚magisches Erlebnis‘) war, sie in ihren Roben ‚vertreten‘ zu dürfen – war in der Zeit des Patriarchats bereits völlig ‚zugeschüttet‘: da erschien es vielmehr als eine ausgesprochene Peinlichkeit, einen männlichen National-Heros in Frauengewändern ‚erniedrigt‘ zu sehen – und da er so etwas nun auf Herkules nicht sitzen lassen wollte, ließ sich OVID anstelle dessen eine bloße Kleider-Verwechslungs-Komödie a la ‚Charleys ‚Tante‘ einfallen: womit dann auch Ihre entrüstete Frage von vorhin beantwortet wäre, ob ich Ihnen etwa solche Schwänke als ‚Beispiele für Animagie‘ offerieren wolle!
Tatsächlich können Sie aber z.B. in der Filmkomödie ‚Tootsie‘ das Urmuster sogar noch unverfälschter wiedererkennen: wenn der kleine Schauspieler auf einmal – sobald er sich (‚aus bloßem Jux‘?) ins Damenkostüm geworfen hat – als ‚großer Star‘ herauskommt: ist das nicht das frappierende Gegenstück zu unserem ‚Prinzgemahl‘ unter dem magischen Mana der Priesterinnen-Robe?!“

S: „Ich kapituliere – Sie haben’s wieder mal geschafft: und sogar so ganz en passant auch noch erklärt, warum das Haus zwar ausverkauft ist, wenn sich ‚Mary und Gordy‘ als ‚Damen‘ präsentieren – während kaum ein Hahn danach krähen dürfte, wenn zwei Frauen als ‚Herren-Imitatoren‘ auftreten wollten…“

E: „Entdecke ich da bei Ihnen gar eine neue Spielart feministischen Unmuts?! Dann bedenken Sie aber gerechterweise auch, dass diese ‚Asymmetrie‘ ja nun gerade auf eine Menschheitsperiode zurückgeht, wo offenbar eben wir Männer eindeutig ‚im zweiten Rang‘ standen! Aber vielleicht tröstet es sie, dass auf altägyptischen Reliefs umgekehrt auch die Königin Hatschepsut – um ihre Pharaonenwürde anzudeuten – mit einem Spitzbart dargestellt wurde und wahrscheinlich zu zeremoniellen Anlässen auch wirklich einen solchen falschen Bart tragen musste?“

S: „Was zumindest heutigen Königinnen und ähnlichen Würdenträgerinnen erspart bleibt – während ihr bedauernswerten Männer euch noch immer in wallende Roben hüllen müsst, um als Pfarrer, Kardinäle, Richter, Magier oder Gurus wenigstens ein Stückchen von unserem ‚Animana‘ abzuzweigen? Falls Sie sich nicht überhaupt gleich für Ihr nächstes Ritual etwas von meiner Garderobe ausborgen möchten – ?!“

E: „Vielen Dank – aber da Sie, wie ich konstatiere, gerade einen sehr schicken Hosenanzug tragen, wäre ich mit dem dann ja auch nicht weiter als schon in meinen Herrenhosen – „

S: „Touche – wollen Sie sagen: wir Frauen evozieren in unserer Kleidung ja heute schon unseren ‚Animus‘ ganz routinemäßig, während ihr Männer euch das bei eurer Anima noch immer höchstens in Ausnahmefällen traut? Vielleicht sollten wir uns als Zeichen der Gleichberechtigung auch gleich noch falsche Spitzbärte a la Hatschepsut zulegen … ?
Aber damit haben Sie mich jetzt noch auf was ganz anderes gebracht: wenn – wie Sie sagen – nun zur ‚vollen‘ Frau eben auch ihr ‚Animus‘ gehört – dann müssten Sie ja in Ihrer ‚Anima‘, um sich mit ihr wirklich auf die Frau einstimmen zu können, gleichfalls wieder ein korrespondierendes Unter-Stückchen ‚Animus‘ haben: und das müsste dann, da es ja dem Mann entsprechen soll, auch wieder eine Unterabteilung ‚Anima‘ haben – und so weiter in einer unendlichen Schachtelfolge, an der ESCHER oder HOFSTADTER ihre Freude hätten! Und um das übrigens – im Sinne magischer ‚Korrespondenz‘ – zu symbolisieren: müßten Sie sich dann nicht eben gerade doch meinen Hosenanzug ausborgen?“

E: „Donnerwetter – jetzt hat sich unser Gespräch aber wirklich gelohnt: Sie haben natürlich völlig recht – mein ‚Resonanzkreis‘ für das Weibliche müsste mir natürlich auch sagen, wie nun wiederum die Frau auf mich reagieren würde: das heißt aber doch, welche Resonanz ihr ‚Animus‘ gegenüber mir hätte – schließlich schrieb ja nicht nur SHARP Briefe an ‚FIONA‘, sondern ‚FIONA‘ schrieb ja auch an ihn zurück, obwohl ’sie‘ ja im Grund ’seine‘ eigene Anima war! – und das geht ja eigentlich nur, wenn auch in meiner eigenen Anima wiederum ein Animus-Resonanz-Element steckt…
Das sind ja ganz neue Perspektiven – denn zu alledem müsste es ja auch die entsprechenden ‚animagischen‘ Gegenstücke geben: wäre eine derart ‚androgyne Anima‘, in der auch wieder ein ‚Animus‘ steckt, und in dem wieder dessen ‚Anima‘ usf. – bzw. ihr Widerpart bei der Frau – etwa nun tatsächlich der ‚Stein der Weisen‘, in dem die Gegensätze zusammenfallen – ‚coincidentia oppositorum‘ – nicht indem sie sich gegenseitig ‚auflösen‘, sondern sich gleichsam unendlich ineinander verschränken? Und wäre es diese unendliche Verschränkung, die sich etwa in den -zig mal zu wiederholenden Operationen des ‚magnum opus‘, des ‚Großen Werks‘ der Alchymie spiegelt?
Darüber muss ich erst mal gründlich nachdenken – und wenn unser Gespräch, mit seinem parallelen Dialog auch zwischen Ihrem Animus und meiner Anima, mich dazu angeregt hat, kann ich mich nur bei allen (zwei, vier – oder unendlich vielen?) Beteiligten dafür bedanken … „

Redaktionelle Anmerkungen

Die Texte wurden mir von Hekate zur Verfügung gestellt. Wie sich aus einigen der beigefügten Anmerkungen ergibt, durchaus in der Absicht, dass ich diese nach ihrem Tod veröffentliche. Die Veröffentlichung erfolgt mit dem Einverständnis ihrer zwei Kinder, denen ich für das Vertrauen danke.

Die Interpretation der Texte wird teils dadurch erleichtert, dass Hekate selbst oder eines ihrer Alter Egos (häufig die Diplomandin Trugmaid) sich bereits als ihre eigene, durchaus kritische Bewerterin betätigt hat.

Die Texte wurden von mir nur minimal redigiert. Hekates Eigenheiten bei Interpunktion und Textgestaltung habe ich deshalb 1:1 übernommen, auch wenn sie manchmal stutzig macht.
Auch Sprache und Rechtschreibung wurden von mir nicht angetastet. Die Texte stammen nun mal aus dem letzten Jahrhundert und das darf man ihnen gerne anmerken.
Als einzigen Eingriff habe ich die von Hekate so gern verwendeten eckigen Klammern, die gern als Steuerzeichen interpretiert werden, meist durch runde Klammern ersetzt.

Meine Anmerkungen habe ich immer mit „Anm. Jula“ gekennzeichnet. Redaktionelle Anmerkungen ohne diesen Hinweis stammen von Hekate. Dabei sollte nicht verwirren, dass sowohl die Namen der Autor/innen als auch der Kommentator/innen vielfältig sind. Es ist trotzdem immer Hekate!

Zu C. G. Jung

Forenpostings zu Jungs Anima]

Auf die Gefahr hin, als alte Schulmeisterin zu erscheinen, muß ich hier mal noch etwas richtigstellen: bei diesem Thema und verwandten höre ich öfter, „Anima“ und „Animus“ seien die weibliche und männliche Komponenten einer menschlichen Psyche o. ä.

Das war aber nicht das, was der Urheber dieser Fachworte, der Tiefenpsychologe C.G. Jung, damit meinte – sondern sein Konzept war weitaus komplexer und aufschlußreicher:

Ausgangspunkt war für ihn die „PERSONA“
(von „per sonare“=“hindurchtönen“, nämlich der Maske des antiken Schauspielers, durch die seine Stimme erklang)

  • also die „Maske“ oder „Front“, die jeder von uns den anderen zeigt.
    Jung: Persona
    Manche Menschen glauben ihr Leben lang, daß dies natürlich auch ihr echtes Wesen, ihre „Persönlichkeit“ sei. Aber die meisten von uns spüren, daß sie in Wirklichkeit auch Wesenszüge und Eigenschaften haben, die zu diesem Bild gar nicht recht passen wollen – und verbannen sie in einen dunklen Gegenbereich, den „SCHATTEN“
    Jung: Schatten

Oft sind es Züge ihres eigenen „SCHATTEN“s, die sie öffentlich und bei anderen am meisten ablehnen oder sogar bekämpfen (eine beliebte Lustspielfigur war die sittenstrenge alte Jungfer, die überall „Sünde“ wittert) – aber der Vorwurf der „Heuchelei“ wäre oft ungerecht: denn den meisten sind die Gründe solcher Reaktionen – und die Inhalte ihres eigenen „Schattenbereichs“ – gar nicht bewußt.

Das gilt natürlich auch – und erst recht – von allem im eigenen Wesen, das z.B. ein Mann als „nicht-männlich“ (=“weibisch“) empfinden würde; nur erhebt sich da nun ein arges Dilemma: ohne gewisse „Resonanz-Kreise“ für Weibliches würde er jeder Frau im Grunde so fremd und verständnislos gegenüberstehen wie einem „Alien“ – er könnte sie allenfalls (wie Feministinnen gern sagen) „als bloßes Lustobjekt gebrauchen“, aber nie zu einer echten seelischen Partnerschaft mit ihr gelangen.

Also könnte er ohne diese Teile seines Wesens nicht leben – aber mit ihnen auch nicht!

Dieser „unlösbare Widerspruch“ treibt nun zwangsläufig seltsame Blüten: in den nicht bewußt kontrollierten „Schattenbereich“ abgedrängt und dort nochmal speziell „abgekapselt“, formieren sich diese Elemente zu einem „autonomen Komplex“, einer Art eigenständiger „Seelen-Frau“ oder „Frauen-Seele“: der „ANIMA“ !
Jung: Anima
In ihr sammelt sich alles, was – auch nur entfernt – als „weiblich“ erscheint: von (positiven oder negativen) „Frauen- und Mutter-Bildern“ über Lust-Auslöse-Reize bis zu mythologischen Figuren und Funktionen (die sogar aus uralten – „archetypischen“ – Inhalten eines „kollektiven Unbewußten“ stammen könnten) – und entwickelt, als unbewußte Gegenspielerin der bewußten „männlichen PERSONA“, oft geradezu poltergeisthafte Aktivitäten: wenn z.B. „starke Männer“ in Wirtschaft, Sport oder Politik ab und zu mal reagieren wie beleidigte Primadonnen oder keifende Fischweiber – dann sind unbewältigte „ANIMA“s im Spiel …

Ganz analog hat auch jede Frau ihre – gleichsam „offizielle“ – weibliche „PERSONA“, deren negativierten „SCHATTEN“ – und darin oder dahinter ihren „ANIMUS“: mit all den „männlichen“ Zügen, die sie oft bei Männern sucht und bei sich selbst meist nicht wahrhaben will.
Jung: Animus
Ein typischer „Partnerkrach“ entsteht z.B., wenn sich ein rechthaberischer „ANIMUS“ der Frau über irgendwas mit einer überempfindlichen „ANIMA“ des Manns in die Haare gerät…

Offenbar kann aber diese Konzeption auch neues Licht auf verschiedene in diesem thread aufgezeigte „Transgender“-Probleme werfen – doch das schreib ich besser in ein Extra-Posting

Die ach so gern dozierende HEKATE

@all:
Jung hat einmal gesagt, auf dem Weg zur Selbstfindung eines Mannes sei die Integration des eigenen „SCHATTEN“s das Gesellenstück (wie etwa zu lernen, daß „Mut“ nicht ist, „keine Angst zu kennen“ – sondern zu entscheiden, was man trotz eigener Angst tut) – das Meisterstück aber sei der richtige Umgang mit der eigenen „ANIMA“.

Einer der schlimmsten Fehler mancher „normaler Männer“ kann es z.B. sein, das ganze Idealbild ihrer eigenen ANIMA auf eine bedauernswerte Partnerin zu „projizieren“, die vielleicht das eine oder andere Merkmal dieses Idealbilds aufweist – sich deshalb „auf den ersten Blick“ in sie (in Wahrheit aber nur in die eigene ANIMA!) zu verlieben – und ihr später ständig bitter zu verübeln, wenn sie ihr nicht total entspricht, sondern sich als eigenständige Persönlichkeit „entpuppt“!

Der alternative (und eigentlich weitaus harmlosere) Lösungsversuch des TV wäre nach diesem Modell, seiner eigenen ANIMA ein „Eigenleben“ zu gönnen, indem er sie mehr oder minder oft als „Teilzeitfrau“ an und aus sich selbst kreiert! Im härtesten Falle verliebt er sich selbst dann derart in diese fleisch- (und silikon-)gewordene ANIMA, daß er gar keine andere Partnerin mehr braucht („Autogynephilie“); in anderen Fällen „vertritt“ er so für einen Partner dessen eigene „ANIMA“ (die ja auch nur das „Hirnprodukt eines Mannes“ ist); ja selbst der Buhmann so mancher einschlägigen Diskussion, der berüchtigte „fetischistische Transvestit“, könnte vielleicht bloß seine ANIMA so eng mit bestimmten „Symbolen“ identifiziert haben, daß diese allein schon genügen, sie „heraufzubeschwören“ ?
Im Normalfall des ganz „heterosexuell“ orientierten TV dagegen sollten ihm ja eigentlich all seine Partnerinnen dankbar sein, daß er es nicht ihnen zumutet, seine ANIMA „darzustellen“ – sondern sich dieser harten Strapaze selbst unterzieht (und auch nur mit sich selbst hadert, wenn ihm das nicht voll gelingen sollte); in der Tat finden es manche Partnerinnen von TVs wunderbar, so zu einem „Liebhaber“ auch noch eine „Freundin“ zu gewinnen – andere dagegen stürzt es (verständlicherweise, wenn sie die Zusammenhänge nicht durchschauen) in die ärgsten Probleme.

Die eigentliche TS aber, die ja im Grunde nur endlich „als Frau leben“ möchte, muß nach diesem Konzept (zu allen anderen medizinischen, amtlichen und sozialen Problemen) auch noch das gesamte vorherige Schema völlig umkehren: jetzt will sie der Welt (und sich selbst) ja eine völlig weibliche PERSONA präsentieren – müssen da nicht alle dafür unpassenden Elemente, insbesondere alles „männliche“, zum verachtet-abgelehnten SCHATTEN werden – und speziell die einstige „männliche PERSONA“, die sie lange Zeit gezwungenermaßen zeigen mußte, jetzt zu einem unheimlichen Gegenstück des „ANIMUS“?

Verständlich, daß vielen TS angesichts der Notwendigkeit dieser totalen und strapaziösen Umkehrung das lockere Jonglieren eines wohladaptierten
TV mit seiner PERSONA und ANIMA als leichtfertige Spielerei erscheinen muß – gegen die sie mit der ganzen „ehrlichen Entrüstung“ jedes „Schatten-Leugners“ und der vollen Rechthaberei eines weiblichen ANIMUS zu Felde ziehen: nicht zuletzt gegen die Zumutung eines anbiederischen „wir sitzen doch alle im gleichen Boot“ !

Dabei stimmt nun gerade das, wenn es um die Reaktionen der sogenannten „Normalmenschen“ geht, nach dem PERSONA/SCHATTEN-Konzept exakt: wer nämlich Zustandekommen und Funktion von SCHATTEN oder gar ANIMA/ANIMUS nicht durchschaut, packt alles, was nicht ins geläufige PERSONA-Schema „Mann ist Mann – und Frau ist Frau!“ zu passen scheint, ohne viel Überlegen in die globale SCHATTEN-Kategorie „Lauter Perverse!“ (oder zumindest „alles schräge Vögel!“) – und kommt noch nicht mal auf die Idee, dabei etwa Homosexuelle, Transvestiten, Transsexuelle oder andere Gruppen auseinanderzuhalten – denn zum „Ablehnen“ genügt eine „negative Gemeinsamkeit“ wie z.B. „Entspricht nicht (wie ich) dem gängigen Leitbild ‚Mann‘!“ bereits vollkommen.

[Daß im Gegensatz dazu jemand, den einer schon seit langem in die Kategorie „mir sympathisch“ oder „guter Kumpel“ eingeordnet hatte, bei ihm oft auch nach einem „Outing“ darin bleibt, steht dazu nicht im Widerspruch: „Ich kann Menschen beurteilen!“ gehört nämlich auch zu jenen Eigenschaften der eigenen PERSONA, die die meisten Menschen nicht in Zweifel ziehen wollen. Selbst Hitler konstatierte mal in einer Rede mit ironischer Verzweiflung „jeder Deutsche kennt wenigstens einen anständigen Juden!“ – nur hat das den deutschen Juden als Gruppe nicht viel genützt (wenn auch so manchem einzelnen davon!).]

Was nützen aber nun all solche Betrachtungen eigentlich?!

Ich persönlich behaupte: sehr viel. Denn beeinflussen kann man etwas erst dann, wenn man versteht, wie es zustandekommt – denn sonst versucht man gar zu leicht, wie es ein erfahrener Praktiker mal bei der Fehlersuche am Computer sagte, „das falsche Schwein zu schlachten“…

Eure optimistische Problem-Schlachtermeisterin HEKATE

Nun zur Sache:
Wenn mein 45-Zeilen-Feuilleton („Jung for Dummies“) Jungs PERSONA-SCHATTEN-ANIMA-Modell dennoch halbwegs richtig dargestellt haben sollte, beruhigt mich das – schließlich hab ich nur mal theoretische Physik studiert und nicht etwa Psychologie.
Als ich es Mitte des vorigen Jahrhunderts – wo man sich Wissen zu TG-Phänomenen noch mühselig selber zusammensuchen mußte – in seinen Werken entdeckte, habe ich es (arg unwissenschaftlich) nicht zuvor erst kritisch hinterfragt, sondern als eine Art „Überlebens-Konzept“ benutzt: bei der Frage, ob man einen Teil seines Wesens amputieren muß oder integrieren kann, greift man erst mal nach allem, was helfen könnte!

Hier sollte das ursprünglich bloß die Korrektur eines irrigen Sprachgebrauchs werden (so wie „Widerspruch“ <> „Wiederspruch“ ) – dann kamen ein paar Bildchen dazu – und endlich als Illustration, wie das denn z.B. auf die TG-Problematik angewendet aussehen würde.

Ich hab mich zwar redlich bemüht, stets einschränkend „nach diesem Modell“ o.ä. dazuzusagen – aber dennoch steh ich nun mit dem Odium des oberflächlichen „terrible simplificateurs“ da.

Vollig zu Recht – denn genau das ist die Methode des theoretischen Physikers: wenn es bei einem bestimmten Problem ausreicht, Planeten wie „Massenpunkte“ zu behandeln, tut er’s – ohne zu noch fragen, ob es auf ihnen auch Ozeane, Papageien oder politische Parteien gibt.

Vielleicht gerade deshalb hat mich an Jungs PERSONA- SCHATTEN-ANIMA-Modell fasziniert, daß es auch eine erstaunliche Robustheit gegenüber individualgenetischen, neurobiologischen oder ontologischen Spezialfragen aufweist – es setzt eigentlich nur dreierlei voraus:

1) Es gibt in einer Gesellschaft gewisse Leitbilder, nach denen sie jedes Individuum durch Erziehung, Anerkennung/Tadel usw. auszurichten sucht
2) Indivuelle Züge, die zu seinem Leitbild nicht passen, will das Individuum meist nicht wahrhaben („verdrängt“ sie in seinen „Schatten“)
3) Die Gesellschaft umfaßt 2 interagierende „Geschlechter“, deren Eigenschaften sich in ihren Leitbilder weitaus krasser unterscheiden als bei vielen realen Individuen.

Ich möchte das an einem „Gedankenexperiment“ (auch seit Galilei eine Erbsünde der theoretischen Physiker) demonstrieren:
Das fragliche Individuum sei ein völlig normales Mädchen (mit Eierstöcken, Gebärmutter, weiblichen Hormonen und „Instinkten“ usf.) – nur sei es (wie Prinzessin Ozma in Frank L. Baums „Land of Oz“) bei seiner Geburt von einer Hexe mit dem Fluch belegt worden, jedermann äußerlich wie ein Junge zu erscheinen. Denoch würde es sich anfänglich in vielem „wie ein Mädchen“ verhalten – aber da es ja alle für einen Jungen halten, der natürlich auch zu einem solchen „erzogen“ werden müsse, würde es dafür jedesmal scharf getadelt werden: solange, bis es sich all das „abgewöhnt“ (=verdrängt) hat und es, zusammen mit sonstigen „negativen“ Eigenschaften, im abzulehnenden „Schatten“ ablegt. Nun muß es aber auch mit anderen Kindern interagieren: naturgemäß „läge“ ihm das bei Mädchen besser – vieles, was sie tun, gefiele ihm selbst auch: aber das ist ja alles (für Jungen) „verboten“ – sondern „nur was für Mädchen“. Wie lange würde es dauern, bis sich all das spezifisch in einem erst recht als „unjungenhaft“ zu verdrängenden „Mädchen-Bild“ (einer „Anima“) kristallisiert ? Und welchen Grund hätte sie, ein analog verdrängtes „Jungen-Bild“ (einen „Animus“) zu entwickeln? „Junge“ ist sie doch bereits laut der ihr eingebläuten „Persona“!
Ich verzichte darauf, jetzt auch nochmal durchzuturnen, wie sich all das nach einer „Erlösung“ (oder bei der ersten Menstruation!) konvulsivisch umkehren müßte: dies soll ja keine TG-Fantasystory werden – sondern nur eine Demonstration, daß der Jungsche PERSONA-SCHATTEN-ANIMA-Mechanismus ganz unabhängig von Anatomie oder Neurobiologie abläuft, sondern primär von der Diskrepanz zwischen gesellschaftlichen Leitbildern und individuellen Eigenschaften abhängt (und vom einem „Verdrängungs“-Mechanismus bewußt schwer erträglicher Vorstellungen – aber daß es den gibt, scheint doch wohl allgemein akzeptiert?)

Wieso sich (real) kontinuierlich verteilte Eigenschaften wahrnehmungsmäßig zu bimodalen Extremen verdichten, dafür hat 1976 ZEEMAN Modelle nach der – noch abstrakt-universelleren – THOMschen „Katastrophentheorie“ der Singularitäten angegeben;
aus einem erweiterten solchen Modell („Schmetterlings-Katastrophe“ mit 4 Kontrollfaktoren) hatte er sogar zusammen mit Psychotherapeuten HEVESI ein neue Methodik zur Behandlung der anorexia nervosa entwickelt. Sie soll gute Erfolge erzielt haben. Mit ähnlichen Methoden hat er aber ebenso gesellschaftliche Probleme wie Gefängnisrevolten untersucht.

Vielleicht sollten auch wir, statt über die Therapie von TVs zu diskutieren, Methoden zum Therapieren der Gesellschaft suchen.

Die alles katastrophal vereinfachende HEKATE

An diesem gedankenreichen Thread wurde vielleicht als Einziges zuweilen bemängelt, daß manche Postings zu lang und/oder zu akademisch geworden seien. Um diesem Trend entgegenzusteuern, möchte ich deshalb hier zitieren, was ich vor über 30 Jahren mal als Extrakt der damals verfügbaren Theorien gedichtet hatte:

Tiefenpsychologie des Transvestitismus in Schüttelreimen

Wer die penislose Frau scheut,
liebt die Transvestitenschau (Freud)

Minderwertigkeitsvorwürfe alter Tadler
überkompensiert in Frau’ngestalt er (Adler)

Archetyp’sche Anima-Bejahung
fühlt er in Perücke und BH (Jung)

Dämon

Noch was zum Thema “Rechenmaschine”

Hekates Vorbemerkung an mich

So anno 1996 wollte ein Herr Luxbacher meine “Rechenmaschine” in einem Beitrag über die Technikgeschichte der Rechenautomaten für ein Science-Fiction-Jahrbuch des Heyne-Verlags zitieren – was mich damals veranlaßte, ihm noch ein paar Gedanken dazu aufzuschreiben (die dann offenbar etwas über seinen Horizont gingen!) Da ich sicher bin, daß dieses bei Dir nicht der Fall sein wird, hier eine Kopie davon:

Der Text

Die Idee, den „Laplaceschen Dämon“ mit einer Rechenmaschine auszurüsten, damit er nun die „mathematische Analyse“ – vermöge derer aus dem gegenwärtigen Zustand der Welt jeder künftige oder vergangene Zustand abzuleiten wäre – auch wirklich durchführen kann (denn wer hätte je schon eine „mathematische Analyse“ ohne irgendein materielles Substrat – sei es nun Bleistift und Papier oder das Gehirn eines Mathematikers – gesehen?) – führt nun zu einer überraschenden Konsequenz, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte:

eine solche Maschine müßte ja für jedes Elementarteilchen dieser „Welt“ mindestens eine Speicherstelle enthalten, in der jeder mögliche Zustand dieses Teilchens darstellbar wäre. Selbst die allersparsamste Realisierung einer solchen Speicherstelle wäre nun jedoch mindestens wiederum so ein Teilchen (das die fraglichen Zustände annehmen könnte).

Das ergäbe dann aber nochmals genau so viele Teilchen, wie es in dieser „Welt“ überhaupt gibt! Aus diesem Dilemma gäbe es nur drei Auswege:

:: Ein (abzählbar) unendliches“ Universum ::
In einer Welt, die „unendlich viele“ Teilchen enthielte, könnte auch eine Teilmenge solcher Teilchen (z.B. der Teil, aus dem der Dämon seine Rechenmaschine baut) noch immer „unendlich viele“ Teilchen umfassen – also genug, um auch alle übrigen auf diese Teilmenge „abzubilden“ [siehe jede Einführung in die Cantorsche Mengenlehre: die „Teilmenge“ der ungeraden (ganzen) Zahlen umfaßt genauso „unendlich viele“ Zahlen wie die Gesamtmenge aller (ganzen) Zahlen überhaupt usf.]. Die Frage ist nur, wie eine „unendlich große“ Rechenmaschine funktionieren würde (und ob der Dämon nicht auch „unendlich lange“ brauchen würde, um ihre Resultate abzulesen); zudem ergäbe die Annahme „unendlich vieler“ p h y s i s c h e r „Teilchen“ im Universum (anders als bei rein mathematischen Elementen wie
Zahlen usf.) andere kaum lösbare Widersprüche.

:: Identische Parallelität ::
Bei dieser Annahme wären die Teilchen, aus denen der Dämon seine Maschine baut, in der Tat Stück für Stück genaue „Kopien“ der Teilchen in dem Universum, das er vorausberechnen will – nur dürfen sie selbst dabei n i e in irgendeine W e c h s e l w i r k u n g mit jenen Teilchen des („Nicht-Maschinen“-)Universums treten (denn um a u c h noch eine solche dar- zustellen, hätte er „nicht genug Speicherstellen“ in seine Maschine!). Das wären dann ziemlich genau die Verhältnisse wie bei Leibniz´schen „Monaden“: die existieren auch alle parallel nebeneinander her, ohne je miteinander in Wechselwirkung zu treten („Monaden haben keine Fenster“) – aber dank der „prästabilisierten Harmonie“ [bei der Maschine würde man sagen: weil ihre Teilchen ja genau so „programmiert“ sind, sich ebenso zu verhalten wie die des zu berechnenden Universums] l a u f e n sie auch dennoch exakt parallel. Wieder gibt es aber das leidige „Zeit-Problem“: offenbar könnte gerade deshalb die Maschine mit ihren Berechnungen auch erst genau zu dem Zeitpunkt fertig sein, wo als das „voraus“-zuberech- nende Ereignis im wirklichen Universum ohnehin gerade wirklich eintritt!

Da wäre dann die dritte mögliche Annahme im Grunde viel einfacher – nämlich:

:: Faktische Identität ::
Statt gekünstelt neben das „wirkliche“ Universum noch eine (Maschinen-)Kopie zu stellen, die sowieso jedesmal bloß gerade das als „Resultat“ ausgeben könnte, was „nebenan“ in der Wirklichkeit ohnehin im gleichen Moment passiert, könnte man also viel simpler sagen:
die einzige „Rechenmaschine“, die dem Laplaceschen Dämon zeigen könnte, wie sich das
Universum entwickeln wird, ist – eben dieses Universum selbst!
Und wenn man statt „Dämon“ jetzt z.B. „Schöpfer“ sagen würde. hieße das: was aus einer Welt werden kann, erfährt selbst ihr Schöpfer auch erst, indem er sie eben erschafft – womit wir bei einer ziemlich unerwarteten Paraphrase des Mottos meiner alten Story wären: „cum deus calculat, fit mundus“ !

Nun war mir diese Überlegung allerdings keineswegs klar, als ich die Geschichte damals schrieb: sonst hätte ich mich nicht mit all den dort konstruierten Argumenten von „Professor“ und „Assistent“ herumgeschlagen, die alle haarscharf an dieser simplen Pointe vorbeigehen.

Ich kam auf diese Betrachtungsweise erst etwa 1964 – als ich gerade als Geschäftsführer ein Rechenzentrum aus der Taufe hob – und hatte damals naturgemäß schwerlich die Muße, sie irgendwie schriftstellerisch zu vertiefen.

Aus heutiger Sicht wird freilich klar, daß dies im Grunde schon damals auf ein zentrales Phänomen der „Chaos-Theorie“ zielte: Prozesse, die zwar durchaus programmierten Regeln folgen – deren Entwicklung aber so komplex ist, daß die einzige Art, herauszufinden, wie sie ablaufen werden, eben darin besteht, sie tatsächlich (z.B. im Computer) ablaufen zu lassen!

Was für Sie – „ideen-geschichtlich“ – an all dem vielleicht interessant sein könnte, ist aber nun: im Grunde folgt all das ja schon – wie skizziert logisch Schritt für Schritt – aus der (da-mals durch die technische Entwicklung der programmierbaren Elektronenrechner nahege-legten) Idee, nicht bloß immer wie Laplace davon zu reden, wie „man durch mathematische Analyse das ganze Universum vorausberechnen könne“ – sondern zu fragen, wie denn eine M a s c h i n e aussehen müsse, die das tun könnte (eine ganz analoge Fragestellung – wie müßte denn eine M a s c h i n e aussehen, die jede mathematische Funktion berechnen könnte – wurde ja, im Konzept von Turing, auch höchst fruchtbar für die mathematische Grundlagenforschung).

Nun war ich mit meiner „Rechenmaschinen“-Story anscheinend der erste, der diese Frage aufwarf (und damals allerdings nur ziemlich oberflächlich zu „beantworten“ suchte). Aber so weit mir bekannt ist, wurde diese Fragestellung danach weder im Bereich der Science Fiction – noch in der auch recht breiten Literatur zu den Themenkreisen „Willensfreiheit und Determinismus“, „Grenzen des Computers“ oder „Chaos und Berechenbarkeit“ wieder auf-gegriffen – obwohl sie doch auf einem sehr direkten Weg zu fruchtbaren Erkenntnissen führt.

Warum wohl ?

Theoretisch

Dieses Kurz-Essay ist nicht datiert, aber wahrscheinlich kurz nach oder während der Bremen-Periode entstanden – mit Sicherheit jedenfalls ziemlich lange vor dem “Animagie”-Dialog mit seinen magisch-tiefenpsychlogischen Aspekten und dessen Anspruch, eine “allgemeingültige” Theorie aller TG-Phänomene zu geben.
Gerade das macht ihn im Vergleich besonders interessant.)


(Margot Trugmaid, Diplomandin)

Zur Theorie eines Typs nicht-transsexueller T.


Ist ein Protest gegen die gesellschaftlich normierten und auferlegten Geschlechtsrollen. Dieser T. sagt im Effekt:
„Ihr (die Gesellschaft) habt die Menschen eingeteilt in Männer, denen bestimmte Verhaltenswelsen verboten sind (z.B. „Weichheit”, „Zärtlichkeitsbedürfnis“, „sich-Schmücken“ etc.), während andere („Härte“, „Konkurrenzkampf“ usw.) von ihnen verlangt werden; andererseits Frauen, denen diese Verhaltensweisen zugestanden werden (u.a. deshalb, weil sie dem „vom Geschlechtstrieb umnebelten männlichen Verstand“[Schopenhauer] angenehm erscheinen). Es handelt sich dabei um eine im wesentlichen von Männern eingeführte und vertretene Einteilung.


Ich protestiere gegen diese Einstellung – aber nicht offen und allgemein, sondern (da meine Denkkategorien ebenfalls von diesem Modell geprägt sind) dadurch, daß ich diese Kategorien akzeptiere, aber durch mein Verhalten ad absurdum führe:


Ich zeige Euch, daß ich Mann als Frau verkleidet alle sog. ‚weiblichen’ Eigenschaften auch (re-)produzieren kann, sogar so gut, daß Männer mich als Frau akzeptieren und typische Reaktionsweisen wie gegenüber einer Frau zeigen; damit ist bewiesen, daß diese Eigenschaften nicht ursächlich Frauen vorbehalten sind – daß also Eure Einteilungsbasis nicht auf dem Geschlecht, sondern willkürlich definierten „Geschlechterrollen“ beruht .


(Das ist die typische indirekte Beweisführung, die etwas beweist, indem sie das Gegenteil unterstellt und dieses dann ad absurdum führt ) .
Nun genießt er aber während dieser „Beweisführung“ neben dem („logischen“) Triumph dieses ad-absurdum-Führens zugleich die „Annehmlichkeiten“ dieser Einteilung, d.h. die „Frauen-Privilegien“ der Gesellschaft (realiter oder zumindest in seiner Einbildung). Dies zu genießen ist einerseits (zum Beweis) notwendig, andererseits (nach dem „Bewiesenen“) „unrecht“; „rechtens“ wäre es ja vielmehr, als Mann jetzt von der Geschlechterrolle abweichen zu dürfen, nicht als Pseudofrau deren Geschlechtsrolle mitzubenutzen!


Situativ erlebt er aber im T. „the best of three worlds“: Erstens ist er – nach der konventionellen Geschlechtsrolle – Mann und hat sich i.a. den gesellschaftlichen Konventionen angepaßt (ist z.B. geschäftlich erfolgreich, oder Familienvater etc.); zweitens genießt er „als Frau“ die Privilegien der anderen Geschlechtrolle; drittens aber hat er durch seine „Beweisführung“ diese beiden Rollen „aufgehoben“ und sich die Möglichkeit bzw. Realität einer Welt bewiesen, in der diese beiden Rollen gar nicht „gelten“, sondern ihm vielmehr die individuelle Entfaltung seiner spezifischen Persönlichkeit möglich wäre (oder ist).
Symbol dieser Trias ist der T., der als elegante Dame gekleidet seine Geschäftsbriefe auf Tonband diktiert und dreifach „genießt“ : a) ich diktiere einen „männlichen“ Brief , b) ich tue dies aber „als Dame“, und c) und Ihr wißt, nenn Ihr diesen Brief bekommt, nicht, daß ich ihn in dieser Doppelrolle bzw. Rollenaufhebung diktiert habe!


Der T. möchte also die Geschlechtsrollen gar nicht generell abschaffen, sondern nur für sich privat. Das unterscheidet ihn vom Sozialreformer, aber auch vom Transsexuellen, der ja die Rolle wechseln will.


Entscheidendes Motiv ist das „ich weiß es besser als Ihr!“, das ja nur solange gilt, wie die anderen es eben nicht besser wissen!
Er gleicht gewissermaßen einem Kaufmann, der festgestellt hat, daß in zwei Ländern die Wechselkurse der Währungen nicht übereinstimmen – aber, weit davon entfernt, die Finanzministerien dieser Staaten darauf hinzuweisen, aus dieser Kursdifferenz für sich persönliche geschäftliche Vorteile zieht.


Dabei kommt zu dem „intellektuellen“ Vergnügen daran, es besser zu wissen, noch ein doppeltes“existenzielles“:
1) während „man“ ihm früher gesagt hat, die Geschlechterrollen seien gewissermaßen „anatomisch“ fixiert – was ihm bei abweichenden Wünschen Wunschversagungen und Selbstwertzweifel auferlegte – ist er jetzt dieses Problem „los“, und zwar kraft einer „überlegenen“ eigenen „Leistung“: nämlich des beweisenden „Praktizierens“.
2) Darüber hinaus kann er sich aber jetzt als Wesen fühlen, das die Charakteristika beider „Geschlechter“ (in Wirklichkeit allerdings nur beider Rollen!) vereint, also als „göttlicher Hermaphrodit“ im Sinne von Platos Urwesen.
Das Prinzip des ad-absurdum-Beweises hat nun die eigentümliche Folge, daß der T. die „traditionellen“ Geschlechterrollen betont statt verwischt, aber mit dem Korrolar, daß sie eben nur Rollen seien, die er nach Belieben wechseln darf.
In diesem Sinne ist er überhaupt nicht „emanzipiert“: im Gegenteil wählt er „als Frau“ mit Vorliebe typische „Rollen“ der patristischen Weltordnung – die „Halbweltdame“, die „Hausfrau“, das „Dienstmädchen“, ja die „Mutti“ oder „Krankenschwester“; er würde kaum auf die Idee kommen, sich als „emanzipierte Frau“ zu verkleiden, oder als geschlechtsunsicherer Blue-Jeans-Teenager. Genau so achtet er „als Mann“ darauf, ziemlich konventionell gekleidet zu sein – er würde wahrscheinlich keine seidenen Herren-Unterwäsche tragen, und schon gar nicht ein Herren-Hemd mit Spitzen oder Lochstickerei
Natürlich sympathisiert er „intellektuell“ mit der Idee, solche Konventionen zu durchbrechen: er „kann verstehen“, wenn Männer oder Frauen dies tun – bloß hält er wahrscheinlich insgeheim eine Frau für blöd, wenn sie auf die reizvollen „trappings“ ihrer Geschlechtsrolle verzichtet!


Die existenzielle Bedeutung dieses „Beweises“ führt nun aber dazu, daß er ihn v o l l z i e h en muß – und zwar perfektioniert und immer wieder:
d.h. während es dem Mathematiker genügt, einen ad-absurdum-Beweis einmal geführt zu haben (bzw. dessen jederzeitige Wieder-Vollziehbarkeit – „Allgemeingültigkeit” – zum System der Mathematik gehört), muß der T. als „Naturwissenschaftler“ „experimentell“ arbeiten – und (nach dem „Induktionsprinzip“) mit wiederholten Experimenten. Daß diese Experimente zudem lustvoll für ihn sind, unterscheidet ihn gar nicht sehr vom fanatischen Wissenschaftler, der ja auch “gern forscht“.
Das Gefährliche daran ist nun, daß nicht abzusehen ist, wie weit ihn diese „Experimente“ führen. Genügt es zur Beweisführung, wie eine Frau auszusehen? Oder muß man auch ihre Tätigkeiten ausführen? Oder müßte man nicht in letzter Konsequenz auch wie eine Frau mit einem Mann ins Bett gehen?

(Hellmut Wolfram kommt immer wieder auf die im letzten Satz ausgedrückte “letzte Konsequenz” zurück – was einen orthodoxen Psychoanalytiker a la Stekel darin bestätigen würde, ihn als “unbewußt homosexuell” einzuordnen. Wie schon Havelock Ellis ausführt, greift ein solcher Ansatz aber zu kurz, um die spezifisch “transvestitischen” Phänomene zu klären (und macht Personen dieser Art unnötig nervös!).
H.W. scheint im Alter aber dieses Problem durch seinen “Harem virtueller Schwestern” gelöst zu haben, mit dem er unbesorgt einen bunten Strauß der “Perversionen” von der Eventual-Päderastie bis zum Pseudo-Inzest praktizieren (oder zumindest illusionieren) kann… was mich besonders freut, weil ja auch ich zu diesem Harem gehöre!)


(Margot Trugmaid. Diplomandin)

Zwei Skalen

Anm. Jula: Diesen theoretischen Zugang hat Hekate im Rahmen einer Forumsdiskussion entwickelt. Auslöser war die häufiger auftretende Behauptung, männlich und weiblich seien die zwei Enden einer Skala. Das sieht Hekate anders:

1. Posting

Es überrascht mich etwas, daß all die hier versammelten Natur- und Geisteswissenschaftlerinnen bisher immer nur von einer Skala von „M“ bis „W“ zu sprechen scheinen, auf der eine Person ihrer Eigenart nach einzuordnen sei. Aber könnten „M“ und „F“ nicht ebensogut zwei durchaus separate „Dimensionen“ sein, auf deren Skalen jede Person eigene Werte hat?
Das ist keineswegs nur eine persönliche oder abstruse Idee von mir – schon vor 50 Jahren schrieb z.B. der Psychologie-Professor PETER R. HOFSTÄTTER in dem eher populären Band „Psychologie“ des FISCHER LEXIKONS:

„Die häufig anzutreffende Vorstellung, nach der die beiden Typen ‚(M und W) die Endpunkte eines Kontinuums … markieren, in dessen Mitte die geschlechtslosen Neutralformen … liegen, ist daher zugunsten einer zweidimensionalen Darstellung … zurückzuweisen. Irreführend und, wie Erfahrungen in der Psychotherapie zeigen, verhängnisvoll wirkt sich die von innerlich unsicheren Personen manchmal zur Lebensmaxime erhobene Gleichung aus: ‚männlich‘ = ‚unweiblich‘, ‚weiblich‘ = ‚unmännlich‘ …“.

Damit wäre – um nur eine der vielen interessanten Konsequenzen zu nennen – Tanjasterns ursprüngliche Frage ebenso überraschend wie befriedigend beantwortet:

Man könnte sehr hoch auf der W-Skala stehen (z.B. am liebsten ganz als Frau leben wollen), ohne daß das im Widerspruch zu dem gleichzeitigen persönlichen Wert auf der M-Skala stünde!

Entschuldigung – es ist einfach zu tief in der Nacht, um noch weitere Folgerungen aus diesem Konzept auszuführen:

es meldet sich dazu bei Tageslicht wieder

die nächt- und doppelgeschlechtliche HEKATE erspruch in sich

2. Posting

Wenn meine Anregung, wie Veronika meint, unser gemeinsames Anliegen fördert, so freut mich das sehr. Gerade deshalb fühl ich aber verpflichtet, noch genauer zu präzisieren, was sie eigentlich bedeutet:

Es gibt nämlich nicht nur eine „M/W-Skala“, die von der Aufspaltung in getrennte „M“- bzw. „W“-Skalen profitieren kann – sondern viele einzelne für die unterschiedlichsten geistigen und materiellen Aspekte des „Transgender-Problems“ vom Selbstbild bis zum Hormonspiegel.

Nehmen wir nur mal einen so „simplen“ Aspekt wie „Aussehen“
Für die sog. „Normalos“ ist (oder war zumindest mal) sonnenklar – lauter saubere Gegensatzpaare: „M“ hat kurze Haare – „W“ hat lange; „M“ knöpft Kleidung links über rechts – „W“ rechts über links; „M“ trägt Hosen – „W“ trägt Röcke … o weh, stimmt schon nicht mehr: „W“ trägt heutzutage schon öfter Hosen als Röcke – „M“ hat oft genug lange Haare und „W“ kurze – na ja. „moderne“ (= „entartete“) Zeiten?
Aber „früher“ war’s eher noch schlimmer: ob geschminkter und perückentragender altägyptischer Adliger – römischer Senator in wallender Toga – „Sonnenkönig“ Louis XIV.mit Allongeperücke und hohen Hacken oder Rokoko-Kavalier mit Zopf – wenn sie heut durch die Straßen gingen, würde ihnen die Stimme des gesunden Volksempfindens (vertreten durch Gassenjugend oder Besoffene) oft genug lauthals „Transe!“ – oder noch präziser „Arschficker!“ – nachrufen: und selbst der Papst entginge dem nur haarscharf dank der Medienpopularisierung seiner Amtstracht.

Offenbar müßte man jedem Outfit sowohl einen Indexwert auf einer „M“-Skala wie einen zweiten auf einer „F“-Skala geben – und diese Indexwewerte wären keine Naturkonstanten, sondern variabel je nach Peiode, Kulturkreis und sozialem Umfeld: genau wie das gerade herrschende jeweilige „gesunde Volksempfinden“!

Das gilt aber nicht nur für das „Aussehen“, sondern sinngemäß genauso für jeden anderen Aspekt der „Männlichkeit“ oder „Weiblichkeit“ – wie etwa „Verhalten“, „Körper“, „Sexualität“ usf. :

und das könnte höchst optimistisch stimmen: wie hier schon mehrfach erwähnt, wandeln sich solche „Indizes“ inzwischen nicht mehr erst in Jahrhunderten – sondern, bei der heutigen Kommunikations-Intensität, bereits in Jahrzehnten – wenn nicht bald gar in Jahren!

Allerdings nur „darauf zu warten“, daß da auch im Trandgender-Bereich „alles besser werden“ könnte, wird nicht genügen. Wenn man da gezielt etwas erreichen will, muß man schon fragen, wie solche „Wandlungen“ eigentlich funktionieren – und dieses Wissen dann auch praktisch umsetzen.

Mit beidem sieht es derzeit aber noch traurig aus – bei einer „Randgruppe“, die sich noch immer (begeistert) in Fraktionen zerfasert, deren jede überzeugt ist, daß die andere das ganze „Image“ der einzig wahren verdirbt – und deren Mitglieder noch immer viel zu oft von Selbstzweifeln geplagt und entmutigt werden.

Gerade deshalb finde ich diesen Thread mit seinem ehrlichen Bemühen, einander gegenseitig – wie auch sich selbst und die Reaktionen der sog. „Normalen“ – besser zu verstehen, so wertvoll!

Die kommunikationstheoretisch optimistische HEKATE

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