Anm. Jula: Es ist ein Fragment, aber so groß, dass ich eher von einem unbeendeten Roman sprechen möchte.
Erstes Kapitel: Erbfolge eines Kleiderschranks
“Statt wie erwartet die Kleider zu meiden
begann sich sofort als Maid er zu kleiden!‘
“Die Kleider da im Schrank werden Dich ja nicht stören …“
Ich hatte meinen Ohren und Augen nicht getraut, als Tante Irma die Tür des billigen weißlackierten Schranks im „Mädchenzimmer“, das ich während meiner zehn Tage Hauswächter-Dienst benutzen sollte, mit diesen Worten öffnete und eine Reihe bunter Damenkleider enthüllte, die da zur Seite geschoben auf der Messingstange hingen.
„Aber -“ erklärte sie weiter, „so sind die jungen Mädchen heutzutage: da hatte sie doch wirklich eine schöne Stellung hier bei uns – aber dann hängt sie sich da an irgendsoeinen Kerl, fährt mit ihm sogar in Urlaub: und dann schreibt sie uns einfach, sie bliebe mit ihm in Spanien – kümmert sich nicht um ihre Sachen hier, schon seit acht Wochen nicht, denkt nicht daran, daß wir hier ohne Hilfe sitzen bleiben: nein – auf und davon ins süße Leben, oder wie man das nennt!“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe doch auch nicht die Zeit, dem dummen Ding noch alles nachzuräumen – ich bin ja so schon mit der Arbeit kaum fertiggeworden – es liegt noch alles wie damals, als sie wegfuhr! Vielleicht kannst Du das ja, wenn Du Zeit hast, mal in einen von den alten Koffern auf dem Boden packen – wenn sie es doch mal abholen will oder so, man hat ja doch immer die Verantwortung … „
In der Tat war der Kleiderschrank des so jäh gen Süden entschwundenen Hausmädchens Lieselotte denn auch das Erste, dem ich mich zuwandte, als Tante Irma endlich – mit tausend Ermahnungen, was alles in ihrer Abwesenheit nicht zu vergessen, jeden Tag zu tun, zu gießen, abzuschließen, reinzuholen, rauszulegen, sauberzuhalten oder nicht schmutzig zu machen sei – abgefahren war.
Aber keineswegs in der Absicht, die Kleidungsstücke des Fräulein Lieselotte in einen alten Koffer auf dem Boden zu packen!
Ich konnte es eigentlich noch immer gar nicht recht fassen, als ich langsam und genußvoll den Inhalt des Kleiderschranks musterte: Ein, zwei, drei, vier karierte, geblümte oder gemusterte Kleider – zwei Blusen und zwei Röcke, auch sorgsam auf Bügel gehängt – ein karierter Wollmantel und ein schimmernder Regenmantel aus Plastik – keine überwältigende Garderobe für eine junge Dame (aber wahrscheinlich war Tante Irma gegenüber ihrem Hausmädchen genau so knauserig wie bei mir gewesen: ganze hundert Mark für die zehn Tage hatte sie mir dagelassen!) – aber für mich war es geradezu ein Traum, soviel Mädchenkleider auf einem Haufen – und zehn Tage lang zur freien Verfügung! – zu sehen …
Aber wenn sie mir nun gar nicht paßten ? Der Gedanke durchfuhr mich mit echtem Schreck: zum Beispiel Tante Irmas Sachen – Größe 52 wären für mich so gut wie nutzlos gewesen; obwohl ich natürlich schon manchmal ein Kleid meiner Mutter übergezogen und, so gut es eben ging, mit Sicherheitsnadeln enger gesteckt hatte. Zu weit würden mir Fräulein Lieselottes Sachen zwar kaum sein – aber wenn sie nun so überschlank gewesen war, daß ich nicht in ihre Kleider hineinpaßte ?! Das wäre natürlich ein ganz böser Schicksalsschlag gewesen: mir erst völlig unerwartet ein Paradies von Mädchenkleidern zu öffnen – und mich dann mit der Schneiderelle der Konfektionsgrößen als Flammenschwert sofort wieder daraus zu vertreiben!
Das ließ mir jetzt keine Ruhe: hastig streifte ich Hemd und Hose ab – die Schuhe auch, als die Hose nicht über sie wegrutschen wollte (ach du lieber Himmel: Schuhe! Ob da auch welche da waren ? Und ob die mir nun wieder passen würden!) und holte prüfend eines der Kleider nach dem anderen aus dem Schrank. Welches anprobieren?
Offenbar hatte Fräulein Lieselotte ja all ihre „guten“ Kleider mit in den Urlaub genommen – das hier waren wahrscheinlich Sachen, die sie im Haus und bei der Arbeit getragen hatte: aber das rotgestreifte mit dem weißen Kragen und den aufgesetzten Taschen sah wirklich niedlich aus.
Wie kam man da nun hinein ? Aha, hier an der Seite war ein kurzer Reißverschluß – den mußte man offenbar aufmachen – hm, und wahrscheinlich ja auch den obersten Knopf vorn, damit man mit dem Kopf durchkam: und nun einfach über den Kopf ziehen!
Das Kleid roch ein bißchen nach Parfüm und Mädchen, als ich da mit meinem Kopf in seinen Falten steckte – natürlich war ein Knopf oben zu wenig gewesen, und jetzt mußte ich erst mit den Armen wieder hinauskommen, um den zweiten Knopf öffnen zu können: aber dann fiel es plötzlich mühelos an mir herunter, ohne irgendwo hängenzubleiben und als ich dann noch den Reißverschluß zuzog, schmiegte es sich perfekt um meine Taille!
Natürlich hatte Tante Irmas „Mädchenzimmer“ keinen großen Spiegel, in dem man sich bei ganzem Leib anschauen konnte – auf Strümpfen lief ich also die Treppe hinunter in die Diele – spürte dabei das wohlig ungewohnte Streicheln des Rocks um meine nackten Knie – und sah mich dann im Spiegel: ein Mädchen? Na ja, noch nicht gerade: da fehlte der Busen, die Hüften waren reichlich schmal, und der Kopf mit dem kurzen Haarschnitt paßte natürlich noch gar nicht – aber aus den kurzen Ärmeln schauten hübsch gerundete weiße Arme, die Beine unter dem Rocksaum waren schlank (wenn sie auch noch in kurzen Jungensocken steckten) und das Kleid saß in der Weite wie angegossen!
Jetzt müßte man wenigstens … an der Dielen-Garderobe hing noch ein grüner Schal von Tante Irma – wenn ich den als Kopftuch umband? Fabelhaft! Das straff um die Wangen gezogene Kopftuch machte mein Gesicht noch schmaler, mädchenhafter – und wenn ich jetzt etwas Haar noch vorne als Stirnwelle herauszupfte? Ja – jetzt war der Eindruck schon richtig der einer hübschen jungen Dame in Sommerkleid und Kopftuch!
Ich drehte mich ein bißchen vor dem Spiegel hin und her – reckte die Arme – stemmte sie in die Seiten – wiegte mich in den Hüften, drehte mich um und versuchte mich über die Schulter von hinten zu betrachten: also – das sah alles wirklich ziemlich echt aus.
Bis auf die Socken, die Haare an den Beinen, die jungenhaften Hüften und die platte Brust natürlich, Aber das konnte man ja ändern!
Genau in dem Moment klingelte es natürlich.
Ich fuhr zusammen. Aber dann fiel es mir wieder ein: in meinem Übereifer, Fräulein Lieselottes Kleider zu probieren, hatte ich natürlich völlig vergessen, daß – laut Tante Irma – irgendein Lieferauto mit Bier und Mineralwasser im Lauf des Nachmittags zu erwarten war!
Ein zweites Mal schrillte die Klingel. Einen Moment lang hatte ich die verrückte Idee, jetzt einfach so die Tür aufzumachen und den Lieferfahrer als junge Dame zu empfangen; aber wenn mir auch bei dem Gedanken ein prickelnder Schauer den Rücken hinunter bis in die Schamgegend lief – ich verwarf ihn sofort wieder: nicht in Jungensocken und ohne Busen!
„Moment – ich mache gleich auf!“ rief ich laut zur Tür hin.
Wie wurde ich das Zeug jetzt am schnellsten los ? Zeit, um das Kleid mit seinen Knöpfen und dem Reißverschluß erst auszuziehen, hatte ich kaum – und dann hätte ich noch immer in Unterhosen und Unterhemd dagestanden! Aber – mein Blick fiel auf Onkel Antons Lodenmantel an der Garderobe – etwas drüberziehen konnte ich natürlich Bei Onkel Antons Figur reichte mir der Mantel sowieso fast bis zu den Füßen, so daß man nicht sah, was ich darunter anhatte – also (der Kerl klingelte schon wieder!) Kopftuch runter, Lodenmantel an und zur Tür:
„Entschuldigen Sie – ich war gerade dabei, mich zum Baden auszuziehen!“ erklärte ich dem Fahrer, der mich etwas befremdet musterte, Offenbar waren Lodenmäntel als Badekleidung hier nicht üblich – und wahrscheinlich auch die Schamhaftigkeit, sich als Mann vor fremden Blicken derart einzumummeln, selbst wenn man nicht ganz voll angezogen war!
Innerlich war ich anscheinend schon viel mehr in der Rolle eines Mädchens . . .
Dennoch schleppte der Fahrer ohne weiteres Befremden die Kästen in die Diele und nahm die anderen, die Tante Irma noch vorsorglich vor der Haustür bereitgestellt hatte, mit.
„Wir zahlen das beim nächsten Mal mit!“ verabschiedete ich ihn groß zügig (wunderbar – die zwanzig Mark, die Tante Irma für diesen Zweck bereitgelegt hatte, blieben mir dann noch als Notreserve für andere unvorhergesehen Fälle!) und schälte mich, tief atemholend, wieder aus dem Lodenmantel.
Ich warf noch einen Blick in den Spiegel: sehr hübsch – aber so war mir das zu unsicher; wenn alle fünf Minuten jemand klingeln konnte …
Während ich langsam die Treppe wieder hinaufstieg, knöpfte ich schon das Kleid wieder auf und öffnete den Reißverschluß: mit weiteren Experimenten würde ich lieber warten, bis es Abend war – zumal ich mich jetzt noch an ein ellenlanges Programm vom Blumengießen bis zum Wegstellen der Bierkästen erinnerte, das mir Tante Irma aufgetragen hatte.
Es war ganz gut, daß ich mich – wieder in meinen Jungensklamotten – um all das kümmerte: denn ein plötzlich losbrechender Aprilregenschauer hätte ganz schönes Unheil an Tante Irmas auf der Terrasse ausgebreiteten Decken und Kissen stiften können, wenn ich zu der Zeit wiederum in Mädchenkleidern gesteckt hätte, so daß ich mich nicht ins Freie trauen konnte!
Aber gegen sechs hatte ich alles erledigt – und mir während der ganzen Hausarbeit (zu der ja im Grund Fräulein Lieselottes Kostüm viel besser gepaßt hätte!) bereits das Programm für meinen ersten Abend Punkt für Punkt ausgemalt. (Daß ich von diesem Programm durchaus noch waghalsig abweichen würde, ahnte ich zu der Zeit noch nicht).
Als erstes machte ich Inventur im Mädchenzimmer: da waren ja im Kleiderschrank auch noch Wäschefächer – nicht gerade zum Bersten gefüllt, aber immerhin: zwei rosa Seidenwäschegarnituren, eine in hellblau, eine in weiß – der passende hellblaue Unterrock und ein anderer, sogar aus glänzendem Satin, in rosa – ein paar Hüfthalter und Strumpfhaltergürtel, rosa, weiß und bleu – drei Büstenhalter – und eine Plastiktasche mit säuberlich zusammengerollten Damenstrümpfen; in den oberen Fächern einige Pullover mit langen und kurzen Ärmeln, zwei Seidenschals und schließlich noch zwei Nachthemden in rosa und bleu – eigentlich alles, was man verlangen konnte!
Im Hutfach über den Kleidern entdeckte ich zwar keine Damenhüte, aber dafür eine Umhängetasche aus schwarzem Lackleder und eine kleinere schwarze Handtasche – unten im Schrank standen ein Paar weiße Sandalen (erfreulicherweise mit ziemlich flachen Absätzen und ein Paar schwarzglänzende Regenstiefel, Die Sandalen, die ich probeweise über die Socken streifte, paßten – sogar recht bequem, vielleicht, weil Fräulein Lieselotte (wie mochte sie eigentlich mit Nachnamen gehießen haben ? Lieselotte von der Pfalz ? Lieselotte Gänseschmalz ? Lieselotte Schwanenhals ? Lieselotte Andernfalls ?) sie bei der Hausarbeit redlich ausgetreten hatte.
Hochhackige Schuhe fehlten zwar (wahrscheinlich waren sie mit ins Urlaubsgepäck gewandert), aber ich wußte sowieso nicht, ob ich in denen hätte laufen können, ohne dauernd umzuknicken, Daß in der Schrankecke auch noch ein plastikbespannter Schirm stand, machte die Regenausstattung vollkommen – offenbar hatte Tante Irma ihre Hausangestellte oft in Wind und Wetter Einkaufen geschickt!
Neben dem Bett stand noch ein Nachttisch. Seine Schublade lieferte allerhand Kosmetika – zwei Lippenstifte, eine Packung Puder und ein Plastikdöschen mit verschiedenfarbigen Pasten, die ich nach einigem Überlegen als „Lidschatten“ identifizierte – genau wie ich etwas, das ich erst für einen Bleistift gehalten hatte, später als dunkelbraunen Augenbrauenstift erkannte. Dazwischen lagen noch eine Tüte Bonbons, ein paar Tablettenröhrchen, Haarspangen und -nadeln und ein einzelner Ohrring, zu dem ich trotz allen Suchens den zweiten nicht entdecken konnte. Anderen Schmuck hatte Fräulein Lieselotte entweder nicht gehabt oder – wahrscheinlicher – auf ihre Reise in den Süden („mit irgendsoeinem Kerl“ ) mitgenommen.
Aber für Schmuck konnte ich – da er nicht an Konfektionsgrößen gebunden war – zur Not immer noch auf Tante Irmas Toilettentisch zurückgreifen,
Ich überlegte eine Weile – dann breitete ich ordentlich auf dem Bett die Sachen aus, die ich heute abend anprobieren wollte: alles, entschied ich mich, in mädchenhaftem Rosa – den Strumpfhaltergürtel („Strapsgürtel“ nannten das die Frauen ziemlich unpoetisch), den Büstenhalter („BH“ – als wenn die Zeit zu knapp wäre, das voll auszusprechen!) s ein rosa Seidenhemdchen und Höschen mit ebenso schmalem wie billigem Spitzenrand und den, im Gegensatz dazu, richtig luxuriös aussehenden schimmernden Satin-Unterrock.
Dann zog ich – nicht ohne gewisse Feierlichkeit – meine bisherige Kleidung aus und legte sie ebenso ordentlich über den einzigen Stuhl des Zimmers. Ich probierte kurz, ob eigentlich auch der Hüftgürtel um meine Taille paßte – ja, ganz genau! – aber: anziehen wollte ich diese hübschen Sachen noch nicht.
Erst einmal ging ich zwei Türen weiter in das hochherrschaftliche Badezimmer – schwarze Kacheln und so weiter – und ließ schönes warmes Wasser in die vornehme Wanne laufen. Mit einer ordentlichen Dosis teuren parfümierten Badesalzes – das konnte Tante Irma schon ab! (Zehn Mark pro Tag für diesen ganzen kombinierten Hausmeister- und Hausmädchendienst – irgendwo musste da ja die ausgleichende Gerechtigkeit einsetzen, und wenn es beim Baden war!).
Ich massierte meinen Körper wohlig mit dem sahnigen Schaum der wohlriechenden Badeseife („meinen klaren Teint verdanke ich nur der regelmäßigen Pflege mit…“). Es war ein angenehmes Gefühl, sich in dem warmen duftenden Wasser zu dehnen und seinen Leib zu pflegen wie eine vornehme Luxusdame – Dodo oder Chichi oder Mirabell.
Oder, dachte ich, während ich mit Onkel Antons Rasierapparat vorsichtig die Haare von meinen Schienbeinen abrasierte, wie der berüchtigte Hochstapler und Juwelenspezilist Conny der Schöne, der seine tollsten Coups bekanntlich als elegante Dame verkleidet ausführte – obwohl, zu meinem Bedauern, in den Heften niemals geschildert wurde, wie er sich eigentlich dafür vorbereitete: meist erfuhr man immer bloß hinterher, daß die angebliche Contessa di Rimini oder die geheimnisvolle verschleierte Dame in Wirklichkeit der schöne Conny gewesen war, der seinem Widersacher, dem dicken Inspektor Bull von Scotland Yard, wieder mal ein Schnippchen geschlagen hatte – „raffiniert verkleidet“ schrieb der Autor und machte es sich damit, fand ich, ziemlich bequem: woher nahm man denn zum Beispiel „üppige Hüften“ oder einen „verführerischen Busen“? Gab es die irgendwo – vielleicht in einem Geschäft für Hochstapler – und Verbrecherbedarf?! – zu kaufen, naturgetreu aus fleischfarbenern Gummi imitiert? Oder bastelte Conny der Schöne sie in seinen freien Stunden „in seinem luxuriösen Appartement an der Cote d’Azur“ selbst aus Luftballons und Schaumgummi zusammen?
So – vielleicht der Sicherheit halber auch noch die Haare unter den Achseln: es war zwar unwahrscheinlich, daß jemand dort nachsehen würde – aber irgendwie war es eine Frage des Stils, wenn man sich schon (wie hieß das:) „sorgsam von allem verräterischen Haarwuchs befreite“, wie das Conny laut seinem Chronisten zu tun pflegte, keine Stelle auszulassen. Glücklicherweise war mein Oberkörper bis auf zwei drei Zentimeter lange schwarze Haare, die ich pflichtschuldigst abrasierte – sowieso glatt wie bei einem Mädchen: und mit Bart im Gesicht hatte ich auch noch nicht zu tun („da er glücklicherweise bartlos war“: hieß das nun, daß er sich eben bloß keinen Bart stehen ließ – oder ersparte das Schicksal Conny auch in späteren Jahren den, für eine Contessa di Rimini ja zweifellos recht störenden, Bartwuchs ?).
Triefend stieg ich aus der Wanne, nachdem ich mich nochmal schön warm abgeduscht hatte, um die fröhlich im Badewasser umherschwimmenden Härchen loszuwerden, und rubbelte mich mit dem großen weissen Badetuch trocken.
Sahnige „BODY LOTION“ und parfümierter Körperpuder – irgendwie fand ich es abscheulich, daran zu denken, daß Tante Irma all diese wunderbaren Sachen auf ihren fetten Leib schmierte! – aber für mich waren sie natürlich die richtige Fortsetzung auf dem Weg zur schönen jungen Dame.
Junge Dame – Junge-Dame ! Ich mußte über das Wortspiel lachen,
„Ich bin die schöne Junge-Dame
und Lieselotte ist mein Name… „
sang ich mehr laut als schön vor mich hin, während ich über den Flur in mein „Mädchenzimmer“ – auch ein sehr passender Name – hinüberging:
„… für mich macht jedermann Reklame
wenn ich ’ne schöne Frau nachahme…”
und dann fiel mir außer „Flame“ und „Same“ nichts mehr ein – und beides schien mir in den Vers nicht recht zu passen.
Aber der Strumpfgürtel („Strapsgürtel“!!!), den ich mir jetzt um die Hüften legte, paßte wunderbar. Doch das war eigentlich nicht in Ordnung – denn wenn meine Vorgängerin Lieselotte breitere Hüften gehabt hatte, müßte er ja eigentlich für mich zu weit gewesen sein ? Ich sah mir den Hüfthalter nochmal genauer an und merkte, daß er seitlich Einsätze aus einem dehnbaren Gewebe hatte – da paßte also noch was rein („üppige Hüften“, die man „verführerisch wiegen“ konnte – sofern man welche hatte); aber woher nehmen? Ich sah mich suchend um. Irgendwas Flaches, Weiches, Gerundetes – da hatte ich doch vorhin unten im Nachttisch ein paar Schulterpolster aus Schaumstoff gesehen, die Fräulein Lieselotte wohl in irgendein Kleid hatte einnähen wollen; wenn man die jetzt in der richtigen Lage unter den Hüftgürtel schob?
Es brauchte einige Experimente – sogar einen Weg bis zum Spiegel in der Diele, um den richtigen Sitz für diese Hilfshüften zu finden: aber dann waren sie, wenn auch noch nicht gerade „üppig“, doch schon ganz hübsch gerundet und bestimmt viel „mädchenmäßiger“ als vorher.
Nun kam als nächstes der Büstenhalter, den hinter dem Rücken richtig zusammenzuhaken sich auch als Kunststück erwies. Aber was hatte er zu „halten“? Im Moment blähten sich seine beiden Halbkugeln etwas lächerlich leer vor meiner Brust. Einen „Gummibusen“ verwendete der hübsche Conny in solchen Fällen – aber woher nehmen ? Ich mußte mich mit irgend zwei kugeligen Polstern behelfen – vielleicht zwei Paar zusammengerollter Damenstrümpfe ? Ich probierte es aus – aber ich war mit dem Effekt nicht zufrieden: Fräulein Lieselotte mußte da erheblich mehr „Holz vor der Hütten“ gehabt haben, wenn ich nach dem Format der Büstenschalen urteilte!
Also – warum nicht die erheblich derberen Männersocken aus meinem Koffer? Jawohl – das waren jetzt richtige Wonnehügel: wenn auch, sofern man sie mit der Hand befühlte, von etwas unnatürlicher Konsistenz. Ich hatte sogar schon eine Idee, wie man das besser machen könne – aber dazu mußte ich morgen erst in der Stadt Luftballons auftreiben; für heute Abend mußten die Socken genügen.
Nachdem ich das glatte Seidenhemdchen übergezogen hatte, sah der Mädchenbusen sogar ausgesprochen naturgetreu aus, wie ich selbst in dem kleinen Wandspiegel des Mädchenzimmers feststellen konnte. Auch der Seidenschlüpfer bot keine besonderen Probleme – wenn man nicht meinen Pimmel, der irgendwie angeschwollen war und sich gegen die knappe Seide preßte, als solches bezeichnen wollte. Aber als ich noch den Unterrock übergestreift hatte, war auch diese undamenhafte Stelle zunächst mal dem Blick entzogen.
Unerwartet schwierig erwies sich dagegen das Anziehen der seidenen Strümpfe: erst einmal blieben sie überall am Bein hängen, dann gab es dauernd Falten in der Knöchelgegend, und als ich die endlich durch viel Zerren beseitigt hatte, saß die Strumpfnaht plötzlich statt hinten an der Innenseite meines Oberschenkels! Resigniert zog ich den ganzen Strumpf wieder aus und probierte es jetzt so, wie ich mich jetzt erinnerte, es mal in einem Film gesehen zu haben, in dem irgendein Gangsterliebchen ihre Leichtlebigkeit dadurch bewies, daß sie sich gähnend ihre Strümpfe anzog, während sie mit dem kessen Ede – oder wie ihr Freund hieß – über seine Einbruchspläne redete: nämlich, indem man den Strumpf erst bis zum Fuß aufrollte, in diesen Fußteil schlüpfte und nun den Strumpf wie eine Harmonika sorgfältig gesteuert – und auf die Naht achtend – Stück um Stück nach oben zog.
Dort allerdings ergaben die Strumpfhalter (die „Strapse“) neue Probleme: irgendwie hingen sie nie dort, wo sie sein sollten – zogen den Strumpfrand keineswegs straff (bis ich ihn wutentbrannt einfach doppelt umkrempelte) – und waren dann auch nur mit Kunst richtig, nämlich durch kräftiges Reinschieben der vom doppelten Strumpfrand umwickelten Knöpfe in die Metall-Ösen, zu befestigen. Wenn ich eine Frau gewesen wäre, hätte ich schon lange etwas praktischeres für diese tägliche Arbeit erfunden, dachte ich – aber zunächst mußte man sich ja den herrschenden Sitten anpassen!
Nun kam das rotgestreifte Kleid, mit dem ich – glaubte ich – ja schon Erfahrung hatte: nur, wie ich alsbald merkte, Erfahrung ohne Busen! An diesen („üppigen“)Vorsprüngen verfing sich das enge Kleid nämlich jetzt unerwartet ganz gewaltig – und da ich auf der gleichen Höhe zur gleichen Zeit ungeschickterweise auch noch die Arme in dem knappen Stoffschlauch stecken hatte knackte es verdächtig in den Nähten, bis ich endlich aus dem Gewand wieder mit Kopf und Armen zum Vorschein kam.
Dann allerdings hatte ich auch den Lohn, der mich für alle Unbill entschädigte: Jetzt straffte sich das Oberteil erst richtig über meinen Mädchenbrüsten – und als ich mit einiger Eile, und noch auf bloßen Seidenstrümpfen, wieder zum Dielenspiegel lief, war ich von dem Anblick regelrecht überwältigt Hatte das vorhin – über meinem normalen Körper – schon recht appetitlich ausgesehen: so war es jetzt „ein Kleid, das ihre jugendlichen Formen betonte“ (so der Chronist Connys des Schönen) – und, wie ein Blick nach unten zeigte, waren auch die Beine in den „zarten Seidenstrümpfen“ einwandfrei mädchenhaft!
Wieder griff ich nach Tante Irmas Seidenschal, um ihn um den Kopf zu winden – aber dann überlegte ich es mir anders: jetzt sollte ich doch erst noch was für das make-up tun!
Leider stellte ich, als ich wieder im „Mädchenzimmer“ vor dem Wandspiegel stand, fest, daß ich darüber auch nicht gerade allzuviel wußte – eigentlich nur, daß man sich mit Lippenstift die Lippen rot machte und sich dann Nase und Wangen puderte. Ich tat erst das eine – und war verblüfft über die Veränderung, die so ein knallroter Mund bereits in meinem Gesicht auslöste; ich schmierte mir – mehr schlecht als recht – kräftig Puder auf Nasenspitze und Backen, stellte fest, daß ich danach mehr wie ein Clown als wie eine junge Dame aussah, und wischte den Überschuß mit der Puderquaste wieder breit. Jetzt allerdings wirkte das recht gut – machte das Gesicht zarter und weicher.
Und als ich nun einen von Fräulein Lieselottes Schals um den Kopf band, war der Effekt geradezu überwältigend echt! Wieder lief ich in die Diele vor den großen Spiegel – und holte tief Atem: d a s war jetzt aber wirklich eindeutig, überzeugend und zweifelsfrei eine ausgesprochen hübsche junge Dame, die mir da aus dem Glas entgegenblickte!
Natürlich – stellte ich fest, während ich mich kritisch in allen Einzelheiten betrachtete – sah ich als Dame einige Jahre älter aus: aber gerade um so viel, daß ich kein „Backfisch“ mehr war, sondern eine voll ausgewachsene Zwanzigjährige – und das war mir sehr recht, denn ich hatte es bereits leid genug, als Junge immer „noch nicht alt genug“ für dies und jenes zu sein: als Mädchen wenigstens wollte ich mal endlich „erwachsen“ (oder wie sagte man da? „voll erblüht“?) sein ! Wieder drehte ich mich hin und her – machte „mädchenhafte“ Gesten (oder was ich dafür hielt) – und spürte, wie mir allmählich das Blut in den Adern zu klopfen begann: jetzt war es endlich tatsächlich Wahrheit, was ich mir in unzähligen Tagträumen immer wieder ausgemalt hatte – ich hatte mich als Mädchen verkleidet! Und zwar als ausgesprochen hübsches Mädchen – mit „allem dran“ – und wie ich mich auch drehte und wendete, ich sah immer wie eine junge Dame aus und nicht mehr wie ein halbwüchsiger Junge!
Irgendwie stieg mir regelrecht ein kleiner Schwindel zu Kopf, und ich ließ mich in den Korbsessel in der Diele fallen. Ich sah auf meine Knie, die hübsch gerundet in den Seidenstrümpfen unter dem Rocksaum hervorschauten, und senkte den Blick noch weiter auf meinen falschen Busen, der sich stramm und provozierend hervorstreckte: wie ein Mädchen – aber wirklich alles wie bei einer junge Dame, einer von denen, die ich so oft neidvoll mit meinen Blicken verfolgt hatte.
Ich lehnte mich zurück und verschränkte die Arme im Nacken, spürte dabei, wie sich das Kleid fast bis zum Platzen über den unechten Brüsten spannte – kam dann plötzlich auf die Idee, daß ich mir das ja auch im Spiegel ansehen könne, wenn ich den Sessel dorthin rückte: entdeckte dort die Möglichkeit, die Beine mehr oder minder elegant übereinanderzuschlagen – und rannte dann, um die Sache perfekt zu machen, wieder nach oben, um die Sandalen anzuziehen.
Als ich jetzt die Treppe hinunterstieg, spürte ich bis ins Rückgrat den eigentümlich veränderten Takt, wenn man in Damenschuhen ging – und begann nun in der Diele vor dem Spiegel überhaupt das „mädchenhafte Gehen“ auszuprobieren, bei dem man (so hatte ich das irgendwo gelesen) versuchen mußte, die Füße hintereinander auf eine gedachte Linie zu setzen. Aber ob das wirklich richtig aussah, konnte man im Spiegel wieder nicht recht feststellen, weil man nach drei Schritten zu weit weg war, um die eigenen Füße noch ins Spiegelbild zu bekommen.
Es war alles ziemlich ungeschickt – aber ich hatte mich noch nie in meinem Leben so wohl gefühlt wie jetzt, da ich hier in Fräulein Lieselottes rotgestreiftem Fähnchen vor dem Spiegel posierte!
Eigentlich hätte ich ja nun einmal dieses Kleid wieder ausziehen und die anderen anprobieren können – aber war es nun die Erinnerung an das reichlich umständliche Überziehen des Kleids, oder das Faible, das ich schon immer für glatte Damenregenmäntel gehabt hatte: ich kam jetzt erst einmal auf die Idee, noch diesen Mantel – aus rötlichem, metallschimmernden Plastikstoff – überzuziehen. Als ich ihn vom Bügel nahm, entdeckte ich zu meiner Freude, daß unter ihm auch noch ein Kopftuch aus dem gleichen Plastikstoff hing: also konnte ich in diesem Regenkostüm auch noch den schon bewährten Kopftuch-Effekt weiter ausnutzen!
Dann aber auch gleich richtig, dachte ich und streifte die Sandalen ab, um auch noch die glatten schwarzen Regenstiefel überzuziehen. Sie saßen wie angegossen und umschlossen meine Füße in den glatten Seidenstrümpfen mit einem strammen, aber noch nicht unangenehmen Druck; da ihre Absätze etwas höher waren als die der Sandalen, hatte ich in ihnen, wie ich im Spiegel mit freudiger Überraschung feststellte, ausgesprochen zierliche, schmale Damenfüßchen.
Und der Mantel war phantastisch: Unter dem glatten, schimmernden Plastikmaterial zeichneten sich meine Mädchenbrüste, wenn ich den Stoff straff durch den Gürtel nach unten zog, aufregend gerundet ab – und das Plastik-Kopftuch umschmeichelte meine Wangen so glatt, daß mein Gesicht noch hübscher aussah als zuvor!
Fräulein Lieselotte hatte bei diesem Mantel nicht, wie bei den meisten anderen Kleidungsstücken, gespart: das konnte ich sehr genau beurteilen, weil ich nie an einem solchen Mantel in einem Schaufenster vorübergegangen war, ohne Machart und Preis gründlich zu studieren: Das hier war keiner von den billigsten Regenmänteln, die man um zehn oder zwanzig Mark bekam – nein, dieser Mantel hatte ein weites, schwingendes Unterteil, das beim Gehen angenehm um die Hüften und Knie raschelte – and oben ein ausgearbeitetes Oberteil, das den Busen ordentlich herauskommen ließ! Ich ging nochmal nach oben und holte mir auch noch den Plastikschirm – spannte ihn auf und paradierte damit vor dem Spiegel hin und her: jetzt war ich wirklich eine schicke junge Dame, wetterfest und modisch gekleidet, jederzeit bereit, im Regen spazierenzugehen!
Und wenn ich das jetzt wirklich täte ?!
Der Gedanke traf mich (das sagt man öfter, aber diesmal war es wirklich so) wie ein Schlag. Ich mußte tatsächlich erst einmal Luft schnappen, so unerwartet und gewagt – aber auch so reizvoll war der Einfall:
Es war schon ziemlich spät geworden – fast neun Uhr abends. Zu der Zeit waren bestimmt nicht mehr viele Menschen auf der Straße – erst recht nicht bei dem Regen, der zwar nachgelassen hatte, aber noch immer in feinen Tropfen gefallen war, als ich das letzte Mal aus dem Fenster gesehen hatte – und nicht in dieser ruhigen Vorstadtgegend. Daß mich also jemand aus der Nachbarschaft sah, wenn ich aus dem Haus ging oder zurückkam, war unwahrscheinlich. Und wenn schon: wußte denn jemand, wen Tante Irma gerade zu Besuch hatte ? Das konnte ja genau so gut auch eine junge Dame sein, die da wegging oder kam…
Und daß mich jemand auf der Straße anhalten oder ansprechen würde, war auch kaum zu erwarten, Wahrscheinlich würde ich noch nicht mal jemand begegnen – und wenn schon: was würde er sehen ? Eine hübsche junge Dame in Regenkleidung, die es eilig hatte, wieder irgendwo ins Trockene zu kommen!
Aber mal den schlimmsten Fall gesetzt, daß mich – na, sagen wir, die Polizei anhalten und nach meinem Ausweis fragen würde (den mußte ich natürlich mitnehmen): Was konnte mir schon passieren ? Ich hatte mir eben einen Jux gemacht. Wegen einer Wette. Oder um Bekannte oder Verwandte zu veralbern, Strafbar war das ja nicht – ich tat niemand etwas Böses, wollte auch nicht, wie der schöne Connny , Juwelen oder Geheimakten stehlen (was sowieso niemand von einem halbwüchsigen Jungen erwartet hätte); das Schlimmste könnte sein, daß man mir einen ernsten Verweis gab, solchen Unfug nicht zu wiederholen.
Aber warum sollte die Polizei eigentlich um neun Uhr abends im Regen eine harmlose junge Dame anhalten ? Doch höchstens, wenn ihr etwas an dieser jungen Dame verdächtig vorkam: Und sah ich irgendwie verdächtig aus ? Sah ich vielleicht gar wie ein verkleidetes männliches Wesen aus, das irgendwelche finsteren Pläne ausführen wollte ? Na also das zeigte mir ein Blick in den Spiegel: wenn ich aussah wie ein verkleideter Jüngling, dann sahen 50 Prozent aller wirklichen Mädchen noch viel verdächtiger aus!
Die Sache begann mich immer mehr zu reizen. Ich wünschte mir jetzt fast – nicht gerade eine Polizei-Kontrolle, aber ein paar Leute, die mir begegnen würden:: bloß um mal auszuprobieren, ob ihnen irgendwas auffallen würde! Daß ein kleines Risiko dabei war, machte dieses Experiment nur umso spannender: zumal das Risiko auch im ärgsten Fall keine ernste Sache war. Eher würden sich selbst die Polizisten amüsieren, daß da ein Jüngling als fesches Dämchen einherspazierte.
Trotzdem mußte ich dieses Risiko so klein wie möglich halten, Das hieß: ich mußte perfekt sein – so, daß niemand auch nur die Idee eines Verdachts kommen konnte! Was fehlte dazu noch ? Eigentlich nur noch eines, ohne das eine junge Dame schwerlich auf die Straße gehen würde: eine Handtasche Noch während ich das überlegte, stieg ich – zum wievielten Male an diesem Abend ? – ins Obergeschoß hinauf, um mir die Umhängetasche aus dem Schrank zu holen.
Und was noch ? Ach ja – Handschuhe wären noch ein hübsches Detail: Hände waren – hatte ich mal irgendwo gelesen – verräterisch, und wenn man sie unter glatten Damenhandschuhen verstecken konnte, sollte man auch dieses Risiko nicht laufen, Nur hatte Fräulein Lieselotte keine Handschuhe. Aber vielleicht Tante Irma?
Bei uns zuhause lagen Handschuhe immer in irgendeiner Schublade in der Diele herum. Hier war es glücklicherweise auch so: nach kurzem Suchen entdeckte ich ein Paar schwarze Damenhandschuhe aus schwarzem Nappaleder, die mir – natürlich, bei Tante Irmas Wurstfingern! -ohne weiteres paßten. Ich zog sie über, straffte das Leder nocheinmal zwischen den Fingern, wie ich das irgendwo gesehen hatte – sehr hübsch! Nun noch ein letzter Blick in den Spiegel: Kopftuch sitzt richtig – Stirnlocke schaut hervor – Tasche hängt flott über der Schulter – ach so, du dummer Hund, willst Du mit dem aufgespannten Regenschirm durch die Tür spazieren ? Zumachen – und draußen vor der Tür wieder auf!
So – der Vorsicht halber das Licht ausmachen (man braucht einen neugierigen Nachbarn nicht mit Gewalt aufmerksam zu machen!) – hast Du Deinen Ausweis? Ein paar Mark Geld – falls Du es brauchst? Und den Hausschlüssel?
Alles da. Ich straffte die Schultern – Bauch herein, Brust heraus (Brüste heraus!), tief Atem holen:
Und so ging ich zum erstenmal in meinem Leben als junge Dame auf die Straße.
Vielleicht hätte ich es lassen sollen: dann wäre vieles anders gekommen.
Zweites Kapitel: Spaziergang mit Folgen
„Er kam als Girl so echt geschlendert
als hätt er das Geschlecht geändert!”
Der Regen hatte fast aufgehört – aber die ganze Straße lag noch in glänzender Nässe und spiegelte die spärlich entlang der einsamen Straße verteilten Laternen wieder.
Ich hatte mich, als ich auf die Straße getreten war, erst einmal rasch nach rechts und links umgesehen – alles war völlig menschenleer. Dann hatte ich den Schirm aufgespannt (wenn ich ihn einmal mitgenommen hatte, wollte ich ihn auch aufspannen – und außerdem hatte ich dann wenigstens mit der einen Hand etwas zu tun: denn es wollte mir jetzt beim besten Willen nicht einfallen, was junge Damen auf der Straße mit den Armen machten: schlenkerten sie die beim Gehen hin und her ? Oder ließen sie sie reglos nach unten hängen? Das eine kam mir so unnatürlich vor wie das andere!) und erst einmal mit ein paar raschen Schritten – die ich aber doch möglichst mädchenhaft klein hielt – die Nähe der Haustür verlassen: falls jetzt jemand mich sah, konnte er lange überlegen, aus welchem Haus ich wirklich gekommen war …
Die Luft war nach dem Regen frisch und ziemlich kühl. Irgendwie war es ungewohnt, interessant und ein wenig erregend, zu spüren, wo eigentlich Luft an den Körper einer jungen Dame kam: da wehte es fremdartig kühl zwischen die Oberschenkel, die ja sonst wohlverpackt – selbst bei einer kurzen Männerhose – unter dickem Stoff steckten, jetzt aber nur von den dünnen Seidenstrümpfen umkleidet waren; andererseits war der Kopf unter dem Plastiktuch so ungewohnt eingepackt, daß sich sogar meine Schritte auf der Straße anders anhörten – oder lag das an der Art, wie ich den Fuß aufsetzte?
Machte ich das überhaupt richtig ? Jetzt, auf der harten glatten Straße und vor das Problem gestellt, wirklich mehr als drei Schritte zu gehen wie vorhin vor dem Spiegel, überfielen mich plötzlich die ärgsten Zweifel: Gut, ich bemühte mich, kleine kurze Schritte zu machen – und dabei die Füße möglichst hintereinander auf eine imaginäre Linie zu setzen (kam daher der Ausdruck „auf den Strich gehen“?! ) – aber irgendwie kam beim Aufsetzen des Fußes immer der ungewohnt hohe Absatz zuerst mit einem kleinen Ruck auf den Boden – und dann erst kippte die Fußspitze nach, War das in Ordnung ? „Ihre hohen Hacken klapperten auf dem glatten Marmor der Hotelhallee“ – na schön, aber klapperten sie, weil „sie“ zuerst mit den Hacken auftrat ? Wäre sie da nicht ganz schön auf dem glatten Marmor ausgerutscht?
Ich bemühte mich, den Fuß anders aufzusetzen – aber nach ein paar Schritten hatte ich dabei das Gefühl, wie ein Storch im Salat zu gehen. Zum Teufel, wie ging denn nun eine junge Dame wirklich?! Hm – wie kommen Sie mit ihren ganzen Beinen zurecht, Herr Tausendfüßler?
Wahrscheinlich war das, was ich da machte, die dümmste Methode: wenn es eines gab, was eine junge Dame beim Gehen ganz bestimmt nicht tat – dann war es, bei jedem Schritt zu überlegen, wie sie gehen müsse! Ich entschloß mich, es darauf ankomrnen zu lassen: wenn ich nur darauf achtete, die Schritte etwas kürzer wie gewohnt zu machen – und im übrigen vor allem daran dachte, daß ich eine hübsche junge Dame sei, die an einem kühlen Abend, mit verständlicher Eile, irgendwo hin gehen wollte: dann würde ich auch, eher jedenfalls als mit allen Experimenten, den richtigen Gang herausbekommen!
Aber wohin wollte die junge Dame denn eigentlich?
Bis jetzt war ich erst einmal einfach die Straße entlanggegangen. Aber die war ja zweifellos irgendwo einmal zuende. Sollte ich dann einfach kehrt machen und wieder heimgehen? Das gefiel mir ehrlich gesagt gar nicht: irgendwo wollte ich ja nun doch – natürlich in gebührender Distanz – an irgendeinem anderen Menschen vorbeikommen und, wenigstens aus der Ferne, wirklich für eine junge Dame gehalten werden!
Besonders gut kannte ich mich in der Gegend zwar nicht aus. Aber in der Nähe der Autobus-Haltestelle, an der ich heute morgen – so kurze Zeit war das erst her, und da hatte ich noch nicht geahnt, daß ausgerechnet Tante Irma mir meinen jahrelangen Traum erfüllen würde! – ja, also dort, wo ich heute morgen ausgestiegen war, gab es wenigstens ein paar Läden mit Schaufenstern: und da sowohl Bushaltestellen wie Schaufenster für Leute da sind, mochte wohl dort auch die Chance am größten sein, an irgendwelchen Leuten vorbeizukommen!
Also – wie war das gewesen: in der richtigen Richtung ging ich zweifellos schon – Tante Irmas Haus lag ziemlich am Ende der Straße. Dann war ich links um die Ecke gebogen – also mußte ich jetzt, in entgegengesetzter Richtung, rechts abbiegen, Das war auch noch eine Straße mit Wohnhäusern – größeren mehrstöckigen zwar; und die mündete dann auf die eigentliche Verkehrsstraße, die nach links in die Stadt führte – nach rechts, wenn ich mich richtig erinnerte, dagegen in ein Gebiet, das zur Zeit erst bebaut wurde. Irgendwo ganz hinten mündete sie – nach einem kleinen Waldstück – dann in einen Ort, der neuerdings in die Stadt eingemeindet worden war. Na ja, bis dorthin wollte ich gewiß nicht marschieren – aber da führte die Autobus-Linie hin, die an der Haltestelle stoppte: „Törn“ oder so ähnlich hieß der Ort.
Hinten an der Ecke, wo die jetzige Straße auf die Hauptstraße mündete, lag ein Restaurant. Anscheinend – nach dem Eingang und dem großen Transparent zu urteilen – keine einfache Gastwirtschaft, sondern schon etwas „Gehobeneres“: „Fichtenhof“ oder so ähnlich. Ich war vielleicht hundert Meter von der Ecke entfernt, als die Tür des Lokals sich öffnete und eine ganze Gesellschaft – drei Pärchen schienen es zu sein – herauskam.
Du gehst stur weiter, befahl ich mir, Du bist eine junge Dame auf dem Heimweg, und diese Leute interessieren Dich so gut wie gar nicht. Denk überhaupt nicht an sie – denk daran, daß Du jetzt schon eine Viertelstunde zu spät dran bist, und daß – na ja nun, wer ? Deine Mutter, Deine Tante, Dein Mann ( ja, warum zum Teufel sollte ich nicht jung verheiratet sein ?!) – also daß Dein Mann sowieso schon auf Dich wartet –
Jetzt war ich bis auf ein paar Meter an die Gruppe herangekommen, Sie machten aus dem Heimgehen einen furchtbaren Umtrieb, die drei Frauen – übrigens hatte keine von ihnen einen so schicken Regenmantel wie ich: – drängelten sich unter dem überdachten Eingang, während einer der Herren mit viel Umstand ein Auto aus einer Parklücke herauszumanövrieren suchte und die beiden anderen etwas gelangweilt herumstanden.
Ich rauschte – eilige junge Dame mit züchtig kurzen, aber schnellen Schritten – knapp einen halben Meter an dem einen von ihnen vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen; dann fiel mir ein, daß soviel Desinteresse nun auch schon wieder unnatürlich war – und ich warf, natürlich ohne den Kopf zu wenden, wenigstens einen Blick auf den anderen, Er war ihn, wie ich feststellte, kaum wert: ein blaßblonder junger Mann mit einem runden, (vielleicht vom Alkohol) hochroten Kopf – und da er sich auch noch gerade in diesem Augenblick zu den Frauen unter dem Eingangsdach umdrehte, konnte ich wirklich nicht feststellen, ob er mich überhaupt mit Verstand gesehen hatte.
Das ärgerte mich irgendwie: und deshalb drehte ich – freilich ohne im Gehen zu zögern – nun doch den Kopf wenigstens zu den Frauen und schaute sie einen Moment lang an: eine war strohblond und ziemlich dick, die andere rothaarig und hager, die dritte allerdings auffallend hübsch, mit langen schwarzen Locken. Wenn die drei mich allerdings zur Kenntnis nahmen (und angeblich sieht jede Frau jede andere, die an ihr vorbeigeht, kritisch an): dann ließen sie es sich nicht anmerken. Bestimmt jedenfalls stieß keine von ihnen die andere an und fragte: Du, geht da nicht ein verkleideter Mann?!
Dennoch hatte ich das Gefühl, Blicke im Rücken zu spüren, als ich mich wieder von der Gruppe entfernte – aber es machte mich nicht nervös: der schimmernde Regenmantel umschloß mich wie ein Zauberpanzer, dem die kritischsten Blicke nichts anhaben konnten…
Ich bog um Ecke. Jetzt, da mich die Gruppe nicht mehr sehen konnte, verminderte ich mein Tempo ein wenig – hier waren nun ja auch schon ein paar Schaufenster, in die ich einen Blick werfen wollte:
Ein Radiogeschäft – Fernsehapparate, Stereogeräte mit Knöpfen und Skalen wie Computer in Teakholz, Autoradios – wenig interessant für eine junge Dame. Ein Selbstbedienungsladen mit groß plakatierten Sonderangeboten – wenn ich eine Ahnung gehabt hätte, ob drei Mark fünfundvierzig für ein Pfund Rinderbraten billig oder teuer war! Aber wahrscheinlich würde eine jungverheiratete Frau – die Rolle faszinierte mich inzwischen ein wenig – als tüchtige Hausfrau so etwas mit Interesse zur Kenntnis nehmen: allerdings nicht mit soviel Interesse, daß sie extra stehenblieb Das war beim nächsten Geschäft – drei Häuser weiter – schon wahrscheinlicher: ein Schuhgeschäft mit Stiefeln, Schuhen, Sandalen – „die Frühjahrsmode für den Fuß“ – da konnte man einen Augenblick stehenbleiben und die Modelle und Preise betrachten.
Hinten an der Haltestelle hielt der Autobus. Ein paar Leute stiegen aus und kamen die Straße herunter, Ich kalkulierte einen Augenblick: sollte ich die hier erwarten und an mir vorbeigehen lassen? Nein, das dauerte zu lange – so ewig blieb kein vernünftiger Mensch an einem Schaufenster stehen, Also weiter, marsch – aber schön langsam, denn ich wollte schon gern vor einem hellerleuchteten Schaufenster stehen, wenn diese Leute an mir vorbeigingen.
Na – da kam ja auch das Richtige: ein Mieder– und Wäschegeschäft. Da konnte sich eine Frau schon ein paar Minuten in den Auslagen verlieren – und das waren ja auch wirklich verdammt raffinierte Sachen: dieses gelbe Nachthemd mit den schwarzen Spitzen und dem dazu passenden Negligé – oder das rote dort drüben! – und dann diese Büstenhalter und Korsettchen und Strumpfhaltergürtel (nein, „Strapsgürtel”!) – oder im anderen Fenster die Bademoden: Bikinis und Einteilige mit unerwarteten Öffnungen, die mit schwarzem Wollnetz überspannt waren, Badehauben mit Blumengärten aus Gummi – oder hinten heraushängenden falschen Locken – da brauchte ich nicht wie beim Supermarkt weibliches Interesse zu heucheln, das interessierte mich ja wirklich, vielleicht mehr als manche Frau!
In dem Schaufenster mit den Badeanzügen war eine mit Spiegeln umkleidete Säule: ausgezeichnet, um – während ich die Auslagen zu studieren schien – auch die Passanten zu beobachten. Erst kamen zwei junge Mädchen – furchtbar jung, fast noch Kinder – die sich kichernd irgendwas zu erzählen hatten und mich anscheinend darüber völlig übersahen, Dann ein junges Paar – der Mann offenbar völlig mit seiner Begleiterin beschäftigt. Aber der nächste, ein junger Mann in einem Trenchcoat, wandte sogar nocheinmal den Kopf nach mir um, als er schon vorüber war!
War jetzt irgendwas nicht in Ordnung an mir – oder war „zu viel“ in Ordnung?! Ich spürte jetzt doch ein bißchen Nervosität, als der nächste Passant – ein älterer Herr mit einem schlohweißen Bürsten-Schnurbart und einer Hornbrille – mich auch ausgesprochen interessiert musterte: sooo sensationell konnte ja nun eine junge Dame, die sich ein Schaufenster ansah, auch wieder nicht sein?!
Dann kamen zwei altere Damen – Typ Tante Irma – die in der Tat auch vor dem Schaufenster haltmachten (warum, wußte der Himmel – von all den ausgestellten Sachen paßte für sie bestimmt nichts!). Sie unterhielten sich dabei ungeniert – allerdings war nicht festzustellen, worüber: nur „daß es eine Schande sei“ und „man sich ja geradezu genieren müsse”. Meinten sie nun die Modelle im Schaufenster? Anscheinend nicht, denn für die hatten sie zwischendurch lobende Worte – „die Ida hat auch so einen – für Teneriffa jetzt“; oder warfen sie tatsächlich verstohlene Seitenblicke auf mich?!
Aber wieso zum Teufel? Natürlich mochte es nach Meinung solcher Klatschtanten eine Schande sein, wenn ein männliches Wesen in Mädchenkleidung spazierenging – eventuell „genierten sie sich geradezu“, wenn sie so etwas sahen: aber wenn sie keine Röntgenaugen hatten, dann konnten sie doch nicht in den zwei Minuten, die sie mich überhaupt gesehen hatten, bereits endgültig mein wahres Geschlecht festgestellt haben? Sooo unmöglich sah ich doch nun bestimmt nicht aus: da hätte man die hagere Rothaarige vorhin am Lokal weitaus eher für einen verkleideten Mann halten können als mich!
“- auch so eine von denen?” hörte ich die eine der beiden – offenbar etwas lauter als beabsichtigt – noch murmeln, als ich mich kurz entschlossen abwandte und weiter die Straße hinunterzustiefeln begann: ewig konnte ich ja sowieso nicht vor dem Schaufenster stehenbleiben!
Hatten die jetzt mich gemeint? Und wenn ja, in welchem Sinn? „Eine von denen“ deutete ja nicht gerade darauf hin, daß sie mich nicht für ein weibliches Wesen hielten – wenn sich das auf mich bezog: aber „eine von welchen“? Eine von denen, die Regenmäntel trugen? Das war ja keine ”Schande”. Eine von denen, die sich Schaufenster ansahen? Das taten die Tanten, ohne sich zu „genieren“, ja selbst. Also eine von denen, die abends spazierengingen? Das taten die Ollen doch auch – allerdings, ohne dabei von Männern angestarrt zu werden…
Ich war unbewußt immer schneller gegangen und kam jetzt schon in die Nähe der Haltestelle, Dort standen immer noch – in ein tiefsinniges Gespräch mit einem Freund versunken, der sie anscheinend mit dem Fahrrad erwartet hatte, einige halbwüchsige Jungen – erheblich jünger als ich. Als sie mich herankommen sahen, drehte sich der eine um, murmelte den anderen etwas zu, und alle brachen in unterdrücktes Gelächter aus.
Ich brauchte wirklich meine ganzen Nerven, um unbeirrt weiterzugehen – hing mir irgend etwas verkehrtes heraus? War das Kopftuch verrutscht? Oder was fanden diese Jungens an mir so komisch?!
„Hallo – Törner Wald!“ rief einer von ihnen mit kicksender Stimme, worauf die anderen in erneutes Gelächter ausbrachen.
Was zum Teufel war nun das wieder?! Offenbar nichts an mir oder meiner Kleidung: „Törner Wald“ war wahrscheinlich das Waldstück, das da die Straße hinunter auf dem Weg nach Törn lag. Aber was war am Törner Wald so Lustiges – insbesondere in Verbindung mit mir? Beziehungsweise mit einer jungen Dame mit Schirm und Regenmantel, die abends zu einer Autobushaltestelle kam?
Es mißfiel mir irgendwie, noch weiter auf diese albernen Kerle zuzugehen. Aber kehrt machen und gewissermaßen vor ihnen davonlaufen wollte ich natürlich erst recht nicht! Also machte ich eine kühne Schwenkung zur gegenüberliegenden Straßenseite, wo die Bushaltestelle zur Stadt lag.
Was ich dort sollte oder wollte, war mir zwar auch nicht klar – aber zumindest war es eine elegante Art, den Jungens da auszuweichen. Drüben angekommen, fiel mir nichts Besseres ein, als die Tafel mit den Abfahrtszeiten zu studieren: Nicht, daß ich ernstlich Autobus hätte fahren wollen – obwohl die Idee gar nicht so ohne Reiz gewesen wäre – aber was kann man schon an einer Bushaltestelle viel anderes tun als schauen, wann der nächste Bus fährt?
“ ’s is Feier-ooohmt, ‘s is Feier-ooohmt, die AAAhrbeit is vollbracht!“ grölten die Jungens drüben auf einmal im Chor und warfen mir dabei verstohlene Blicke zu.
Wieso hatten die jetzt plötzlich ihren Sinn für schlesische Volkslieder entdeckt?
Jedenfalls hatte ich keine Lust mehr, mich von diesen Spaßvögeln weiter anpflaumen zu lassen! Ich warf noch einmal einen Blick auf die Tafel an der Haltestellensäule – konsultierte dann pantomimisch meine Armbanduhr (in Wirklichkeit hatte ich gar keine um), zuckte die Achseln („Dauert mir zu lange“) und ging davon – wieder in meine alte Richtung zurück.
Dabei versuchte ich, mir einen Raum auf die bisherigen, etwas seltsamen Vorgänge zu machen: Daß jemand Feierabend macht – meinetwegen auch erst um halb zehn Uhr abends – weil er seine Arbeit vollbracht hat, ist ja nun auch nicht so arg spaßig: selbst wenn diese Arbeit irgendwo in der Gegend des Törner Waldes – was immer das im einzelnen sein mochte – stattfand. Auch schändet Arbeit – meinetwegen Schichtarbeit mit Schluß um neun Uhr Abends -nicht und veranlaßt auch niemand, sich zu genieren, wenn er eine solche Arbeiterin sieht.
Es sei denn – und damit begann ein Gefühl ungeheuren Spaßes in mir aufzusteigen – wenn diese Arbeit von einer ganz bestimmten Art ist, die überwiegend von Damen im Freien ausgeübt wird: ich konnte es zwar noch immer nicht recht glauben – aber die hielten mich für eine Nutte! Eine Nutte, die ihre „Schicht“ am Törner Wald – anscheinend ein Begriff für alle (wir hatten zuhause auch so Gegenden am Stadtrand, wo beschäftigungslose Damen am Rain einer Autostraße herumstanden) – beendet hatte und nun, zum Ärgernis der braven Bürger, durch moralisch einwandfreie Straßen heimtrippelte!
Wenn das so war – und anders konnte ich mir diese ganzen seltsamen Reden tatsächlich nicht erklären: dann – ich mußte mich tatsächlich innerlich vor Lachen schütteln – bezweifelten die meine Weiblichkeit keineswegs, sondern dachten vielmehr gerade das Gegenteil! Konnte ich mir einen schöneren Triumph für die „Echtheit“ meiner Aufmachung vorstellen?!
Was mochten die sich denn nun alle nur so im Einzelnen gedacht haben: der junge Mann km Trenchcoat ? Wieviel die wohl für einmal nimmt ? Ob die’s gut kann? Stramme Titten hat sie ja – was die wohl für ’ne Möse hat? Oder der alte Lustmolch mit dem Schnurbart: Ob der überlegt hatte, ob er nicht doch auch mal ’nen Abendspaziergang zum Törner Wald machen sollte? Vielleicht sogar – wegen mir? Und die Klatschtanten: weit entfernt davon, die Wahrheit zu ahnen, hatten die mich „mit dem untrüglichen Instinkt der erfahrenen Frau“ sofort als „eine von denen“ identifiziert! Nein war das köstlich!!
Ganz durchschaute ich allerdings damals die Zusammenhänge doch noch nicht. Der eigentlich springende Punkt an der Sache war nämlich der: durch die Eingemeindung Törns waren die Sperrbezirke, die eine löbliche Stadtverwaltung für die Tätigkeit dieser Damen festgelegt hatte, verschoben worden – mit dem Effekt, daß angestammte Plätze verwaisten und dafür andere, wenn auch zunächst recht illegal und probeweise, ins Geschäft zu kommen begannen. Speziell entlang der Autostraße nach Törn begann sich die Front der Sünde allmählich stadteinwärts zu verschieben – die abends unbelebten Baustellen vor dem Törner Wald boten da so manches verschwiegene Eckchen – so daß die Entrüstung der alten Tanten über das Auftauchen einer kessen Puppe mitten in ihrem Wohnbezirk gar nicht so unverständlich war.
Dagegen gab ich mich ganz dem prickelnden Gefühl hin, das meine Entdeckung in mir auslöste: Ich – eine Nutte ! Keineswegs also eine brave Ehefrau, die heim zu ihrem Mann eilte – im Gegenteil, eine gar nicht brave Stundenfrau, die von (wer weiß wie vielen!) Männern zurückkam! Was die mir so alles zutrauten – da mußte ich doch wirklich höchst naturgetreu aussehen…
In meinen Gedanken hatte ich gar nicht darauf geachtet, wie weit ich inzwischen schon auf der anderen Straßenseite weitergegangen war – ich schreckte erst auf, als ich neben mir überhaupt keine Häuser mehr sah. Ich mußte schon längst an der Einmündung der Straße, die nach Hause führte, vorüber sein!
Ich ging unwillkürlich etwas langsamer, als ich jetzt versuchte, mich wieder zu orientieren: rechts von mir war ein Grasstreifen, und dahinter in einigen Metern Abstand ein Drahtzaun, hinter dem sich irgendwelche nur unklar zu erkennenden Stapel abzeichneten – ein Lagerplatz? Oder schon eine von den Baustellen, die da nach Törn zu lagen? Und links, auf der anderen Straßenseite, lag zwar ein langgestrecktes Gebäude, aber ohne Fenster – eine Art Lagerhalle oder Fabrikgebäude? Jedenfalls ging ich hier entschieden verkehrt! Es war ganz natürlich, daß ich mich jetzt nach links über die Schulter umsah, ob ich eigentlich dort hinter mir irgendwo die Leuchtschrift des „Fichtenhofs“ entdecken könne, an dem ich offenbar in Gedanken vorbeigelaufen sein mußte.
Nur konnte man unglücklicherweise mein langsameres Schlendern und diesen Blick über die Schulter auch völlig anders interpretieren! Das merkte ich allerdings erst, als plötzlich ein Auto, das bisher ganz normal die Straße entlang gefahren war, sein Tempo verlangsamte und scharf rechts an den Gehsteig heranfuhr Jemand kurbelte die Scheibe herunter, und eine gemütliche Männerstimme fragte:
„Na Frolleinchen – wohin denn so alleine?“
Was ich in dem Moment dachte, konnte ich mir auch später nicht mehr ganz zurechtsortieren – aber automatisch beschleunigte ich meine Schritte, starr geradeaus sehend, wieder. Die Idee, die dem zugrundelag, war wohl, dadurch anzudeuten, ich sei keine „von denen“ – sondern vielmehr ein anständiges Mädchen, das es eilig habe, nach Hause zu kommen. Das war soweit schon in Ordnung – nur hatte es einen entscheidenden taktischen Fehler: Ich strebte nämlich in solcher Eile keineswegs den Wohngebieten anständiger Mädchen entgegen – sondern vielmehr dem Törner Wald, dem Revier der weniger anständigen Mädchen!!
Und genau so faßte das der Mann im Auto seinerseits auf: wahrscheinlich auch nicht ganz im Klaren darüber, wo denn nun das „jagdfreie“ Gebiet der Törn Waldnymphen wirklich beginne, unterstellte er wohl in schönem Optimismus, ich wolle bloß noch etwas weitergehen, um dann in Ruhe in nähere Verhandlungen mit ihm eintreten zu können – und fuhr am Straßenrand im Schrittempo hinter mir her!
Ich spürte seinen Blick geradezu im Rücken, während ich mit steifem. Rückgrat weiter so schnell wie möglich die Straße hinuntertrippelte. Dabei wurde mir kühl und schwül zugleich – und das Herz klopfte mir ‚ nicht nur vom schnellen Gehen bis zum Halse: ich war mir jetzt klar darüber, daß ich genau in die verkehrte Richtung lief – aber wenn ich jetzt kehrt gemacht hätte: mußte der Freier im Auto das nicht erst recht für ein Eingehen auf seine Absichten halten? Er fuhr immerhin so weit hinter mir, daß er ohne weiteres Zeit gehabt hätte, dann auch noch einladend die Tür zu öffnen oder gar auszusteigen!
Nach rechts vom Gehsteig konnte ich auch nicht weg – da war nach zwei Metern der blödsinnige Drahtzaun. Die einzige Möglichkeit, die ich sah, war noch die: rasch – und möglichst ohne daß man meine Absicht vorher erkennen konnte – die Straße zu überqueren und dann auf der anderen Seite eilends, am besten sogar in undamenhaftem Laufschritt; wieder in belebtere Gegenden zu gelangen!
Erstens, dachte ich, würde das dem fehlgeleiteten Freudensucher im Auto – unmißverständlicher als jetzt – zu verstehen geben, daß ich nichts mit ihm im Sinn hatte; und selbst wenn er das nicht verstehen sollte oder wollte, hätte er sein Auto erst wenden müssen, um mir auf der anderen Straßenseite und in entgegengesetzter Richtung zu folgen – was ihn jedenfalls (da er aller Voraussicht nach kein waghalsiger Auto-Gangster, sondern ein im Grunde braver Verkehrsteilnehmer war) etliche Zeit aufgehalten hätte: lange genug jedenfalls, um mir einen guten Vorsprung zu sichern.
Was ich bei diesem an sich ganz logischen Plan nicht bedachte, war, daß auch der Mann im Auto sich, während er da die Törner Straße entlangstrebte, seine Gedanken machte: wollte sie nun – oder wollte sie nicht ? So im Schrittempo hinter der enteilenden Schönen herzuzuckeln, war ja wirklich im Grunde albern – jetzt wollte er endlich wissen, woran er war!
Zu diesem Zwecke beschloß er, mich in einem raschen Spurt zu überholen und dann – ein paar Meter vor mir – anzuhalten, um die Sache, gewissermaßen Auge in Auge, endgültig zu klären.
Daß wir beide unsere Pläne genau im gleichen Moment die Tat umsetzten, hätte beinahe zu einer Katastrophe geführt, auf die keiner von uns vorbereitet war: Genau, als der Autofahrer durchstartete, sah er mich plötzlich völlig unerwartet direkt vor seinem Kühler auf die Straße stürzen – und ich sah seine Scheinwerfer wie die feurigen Augen eines gierigen Untiers auf mich losschießen!
Glücklicherweise – denn bremsen hätte er auf die kurze Entfernung kaum mehr rechtzeitig können! – hatte ich die Geistesgegenwart, mich mit einem völlig unmädchenhaften Satz auf die andere Straßenseite zu retten: dort allerdings kam ich mit meinen Gummistiefeln auf dem regenglatten Asphalt hoffnungslos ins Schliddern – und landete der Länge nach im Rinnstein.
Daß bei alledem auch noch ein Hund wie irr angefangen hatte zu kläffen, kam mir erst zum Bewußtsein, als ich – nachdem ich einige lange Sekunden tief atmend auf allen Vieren verharrt hatte, eine sympathische Männerstimme sagen hörte:
„Ruhig, Strupps, verdammt nochmal, ruhig!“ Und dann besorgt:
„Haben Sie – äh – ist Ihnen etwas passiert?!“
Ich hob den Kopf (da ich noch immer auf allen Vieren dalag, muß ich dabei wohl wie eine dressierte Sphinx im Plastikregenmantel ausgesehen haben) und schüttelte ihn schwach. Dann zog ich ein Knie an und versuchte, mich aufzurichten.
„Warten Sie – ich helfe Ihnen!“ Eine kräftige Hand streckte sich mir entgegen, Sie gehörte zu einem jungen Mann in einem blauen Nylonregenmantel, an dessen anderer Hand; mit kurzgefaßter Leine, ein noch immer aufgeregter Foxterrier zappelte.
„Danke – es geht schon!“ hörte ich mich sagen, während ich mich dankbar von dem kräftigen Männerarm emporziehen ließ.
Später wurde mir klar, daß ich in diesem Moment ein Problem gelöst hatte, das mir vorher die schlimmsten Sorgen gemacht hatte: das der Stimme, Ich war fest entschlossen gewesen, unterwegs kein Wort von mir zu geben, um mich nicht durch eine undamenhafte Stimmlage zu verraten – denn der Versuch, mit „hoher“ Stimme zu sprechen, hatte nur ein klägliches Kicksen geliefert; aber in diesem Augenblick war ich noch so durcheinander, daß ich alle guten Vorsätze vergaß und einfach zu reden begann.
Nun sprach ich ganz gewiß nicht im Sopran – aber, wie jedermann am Telefon oder im Radio hören kann, tun eine ganze Menge Mädchen das auch keineswegs, sondern haben eine tiefere, manchmal sogar ausgesprochen jungenshafte Stimme: was ihnen aber nicht die geringsten Sorgen macht, weil sie ja wissen, daß sie Mädchen sind (die Sorgen beginnen erst, wenn man keins ist!). Natürlich sind solche Stimmen trotzdem weich – aber genau die Situation, in der ich meine ersten Worte sagte, entschuldigte jede Heiserkeit oder Rauheit, die jemand vielleicht sonst aufgefallen wäre. So stutzte denn auch mein unerwarteter Helfer keineswegs, sondern war offensichtlich nur erleichtert, daß ich wieder auf den Beinen stand.
Mein erster Griff, als ich jetzt wieder etwas klarer dachte, war allerdings zum Kopftuch: saß das noch richtig? Für meinen Helfer, der ja nichts von meinen speziellen Problemen ahnte, muß es allerdings mehr so ausgesehen haben, als habe sofort die sprichwörtliche weibliche Eitelkeit wieder die Oberhand gewonnen, wie ich da sofort Frisur und Kopfschutz kontrollierte!
„Alles in Ordnung ?“ fragte er, noch immer Besorgnis in der Stimme. Ich nickte – stumm, denn inzwischen war mir das ganze Tonlagenproblem plötzlich siedendheiß wieder bewußt geworden – und versuchte zum Ausgleich ein schüchternes, dankbares Lächeln: wobei ich instinktiv – wenn auch aus den völlig verkehrten Gründen! – genau das tat, was auch jedes echte junge Mädchen in dieser Situation getan hätte.
„Hier – Ihr Schirm“ Er bückte sich und sammelte den noch immer aufgespannten Schirm, den ich beim Sturz losgelassen hatte, aus dem Rinnstein auf.
“Wie ist denn das passiert ?“ fragte er, während er mir den Schirm wieder in die Hand drückte.
Ich schob erst einmal das Band der Umhängetasche, das mir auf den Arm heruntergerutscht war, wieder über die Schulter. Jetzt mußte ich ja – verdammt noch einmal – etwas antworten, wenn ich ihn nicht wirklich stutzig machen wollte. Aber wie? Jetzt hohe Töne zu versuchen, hätte bestimmt eine weitere Katastrophe gegeben!
Er sah mich noch immer fragend an, mein Zögern wohl als Verlegenheit auslegend.
ch faßte einen Entschluß: wenn ich ziemlich tonlos sprach, kam die Tonlage kaum zum Tragen – und so hauchte ich:
„Der Mann – da im Auto – hat mich belästigt – “ (was wiederum, ausversehen, so „rollenecht“ herauskam, daß ich es auch nach langen Proben nicht besser geschafft hätte!)
„Auto ?“ wiederholte er und sah die Straße hinunter, die jetzt menschenleer dalag.
„Der hat sich schnellstens verdrückt!“ stellte er kopfschüttelnd fest. „Man sollte die Kerle doch – „
Er unterbrach sich und sah mich wieder vor ober bis unten an:
„Und Ihnen ist wirklich nichts passiert ?“
Das hatte ich inzwischen auch überprüft: Ich hatte mal wieder mehr Glück als Verstand gehabt. Im Dreck war ich zwar gelandet – aber das ließ sich von Mantel und Handschuhen leicht wieder abwaschen; die Handschuhe hatten auch verhindert, daß ich mir die Hände irgendwie aufgeschunden hätte. Mit dem rechten Schienbein war ich zwar gegen die Bordkante gerammt – aber das hatte wiederum der Regenstiefel aufgefangen –
„Laufmaschen – “ hauchte ich wieder und versuchte dazu erneut ein Lächeln. Es muß entzückend mädchenhaft gewirkt haben.
„Laufmaschen!“ wiederholte mein Retter ernsthaft, als sei dies nun in der Tat eine Mitteilung, die ihn zutiefst erschüttere. Dann gab er sich – selbst für mich spürbar – innerlich einen Ruck und sagte bestimmt: „Ein Mädchen wie Sie sollte wirklich nicht um diese Zeit allein hier herumlaufen! Wenn es Ihnen recht ist, dann begleite ich Sie lieber den Rest des Weges!“
Ich schlug die Augen nieder. Wie werde ich den jetzt bloß wieder los, dachte ich fieberhaft.
„Aber nein – das ist wirklich nicht nötig -“ protestierte ich, aber wegen der verdammten Stimmlage wieder so tonlos, daß man es beim besten Willen nicht ernst nehmen konnte.
Und das tat er denn auch nicht:
“Doch, doch – hier treiben sich neuerdings die seltsamsten Gestalten herum!”
Zum Beispiel Jünglinge in Damenregenmänteln, mußte ich unwillkürlich im Stillen denken!) “Es ist wirklich kein Problem – ich führe sowieso bloß Strupps spazieren! Wohin wollten Sie denn?”
“Also gut -” gab ich nach (ich konnte in diesem Flüsterton ja keine endlosen Dialoge mit ihm halten) “bis zum Fichtenhof – da an der Ecke – von da komme ich dann schon allein weiter -”
Wenn mein Begleite beobachtet hatte, daß ich vorher sehr energisch in die genau entgegengesetzte Richtung gestrebt war – dann überging er das jedenfall jetzt mit Stillschweigen. Er trat galant auf meine linke Seite (ich war ja jetzt eine Dame mit all deren Privilegien!) und wir brachen auf.
Es war irgendwie ein angenehmes Gefühl, als ritterlich beschütztes Mädchen neben einem netten Herrn zu gehen – denn nett war der junge Mann zweifellos: mit einem intelligenten, offenen Gesicht – eher ein bißchen schüchtern als allzu forsch – aber mit einer von Herzen kommenden Hilfsbereitschaft und erstklassigen Manieren. Ganz bestimmt interessierte ihn diese junge Dame, die er da aus dem Rinnstein aufgelesen hatte, verständlicherweise auch – aber statt sie mit den Augen halb auszuziehen, wie der junge Kerl im Trenchcoat vorhin, ging er sittsam neben mir her, seinen Strupps an der Leine, und wandte den Kopf zurückhaltend gerade nur so weit zu mir, wie es erforderlich war, um höfliche Konversation zu machen:
“Das muß ein ganz schöner Schreck für Sie gewesen sein – hat Ihnen denn niemand gesagt, daß man hier neuerdings ein bißchen vorsichtig sein muß, wenn man abends allein spazierengeht?”
Konversation nun war allerdings gerade das, worauf ich keineswegs erpicht war – ich hatte noch immer ständig Angst, daß mir ein falscher Ton herausrutschen könnte – aber nur mit Kopfschütteln und Nicken kan ich ja auch nicht durch! Ich mußte mich eben darauf verlassen, daß er eine unerwartete Rauheit der Stimme noch der soeben zitierten Aufregung zugutehalten würde…
“Ich bin ja nur für ein paar Tage hier zu Besuch!” gab ich kund.
“Dann müssen Sie ja einen schönen Eindruck von unserer Gegend bekommen haben! Sie müssen nämlich wissen – “
Mit vorsichtigen Umschreibungen, um meine (von ihm selbstverständlich unterstellten) keuschen Gefühle nicht zu verletzen, bemühte er sich, mir zu erklären, inwiefern man hier die anständigen Spaziergängerinnen nicht mehr so leicht von den weniger anständigen unterscheiden könne – was ich mir nicht allein der Information halber gern anhörte, sondern auch, weil es mir erlaubte, mit gelegentlichem Nicken, “ach” und “ah so” die Strecke bis zum Fichtenhof zu überbrücken, ohne zu langen Antworten verpflichtet zu sein.
Als wir vor dem Lokal angekommen waren, blieb ich stehen:
“Vielen Dank, das war wirklich sehr nett von Ihnen – “ begann ich mich zu verabschieden – aber da ich in meine hauchzarten Worte überhaupt keinen bestimmten Ton legen konnte, überging mein Begleiter das großzügig:
“Aber das kommt gar nicht in Frage – jetzt will ich auch wissen, daß Sie wohlbehalten zuhause angekommen sind!” erklärte er liebenswürdig, aber nachdrücklich. Ich war nicht ganz überzeugt, daß es nur Pflichtbewußtsein war, das ihn antrieb – zusätzlich wollte er wohl auch gern herausfinden, wo ich wohnte: und genau das wollte ich natürlich nicht!
Aber – ein Mädchen zu sein, ist in solch einem Falle ein schweres Handicap: und erst recht, ein Mädchen zu sein, das sich nicht trauen darf, ein lautes Wort zu sagen!
Ich neigte also ergeben meinen Kopf – und wir gingen weiter. Daß ich jetzt um die Ecke zu biegen beabsichtigt hatte, war leicht zu erraten – also schwenkte er ganz selbstverständlich neben mir in die Seitenstraße ein. Nachträglich wurde mir klar, daß dieses stete hauchzarte Protestieren, gefolgt von sofortigem Nachgeben, typisch wie die Koketterie eines wohlbehüteten “Mädchens aus besseren Kreisen” wirken mußte – etwas unzeitgemäß, aber dafür umso reizvoller! Deshalb wurde mein Begleiter – in seiner zurückhaltenden Art – wahrscheinlich auch immer kühner:
“Dort drüben – “ er zeigte auf den Eingang eines modernen Hauses, “wohne ich übrigens!” Er unterbrach sich: “Oh, verzeihen Sie, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt: Alexander Mertens!” Er hielt dazu tatsächlich inne und machte eine kleine korrekte Verbeugung, die ich mit gnädigem Neigen des Köpfchens und einem herzlichen Lächeln erwiderte – äußerst herzlichem Lächeln, um mich dadurch der Verpflichtung zu entziehen, nun auch meinerseits irgendeinen verzweifelt ausgedachten Namen (“Lieselotte Schwanenhals”? “Lieselotte Gänseschmalz”?) zu nennen.
Natürlich hatte dieses Lächeln unvermeidliche Folgen:
“Und wenn Sie wieder einmal abends allein über die Törner Straße müssen – dann klingeln Sie einfach im Vorbeigehen: und in einer Minute bin ich unten!” Das schien ihm jetzt nachträglich doch etwas zu kühn vorzukommen: “Mit Anstandswauwau natürlich!” fügte er rasch hinzu und wies mit einem fast verlegenen Lächeln auf den Terrier Strupps.
Dieser Herr Mertens war wirklich ein netter Kerl – und hätte in der Tat, dachte ich, etwas besseres verdient als ausgerechnet eine Mogelpackung wie mich! Das Lächeln, mit dem ich seine Worte – wiederum in gezielter Stummheit – beantwortete, war durchaus ehrlich gemeint: und so faßte er es, wie sich später herausstellen sollte, auch auf…
Jetzt waren wir an der Ecke meiner Straße angelangt.
“Also dann – “ versuchte ich aufs Neue, loszukommen.
“Aber – die paar Schritte bringe ich Sie nun auch noch!” schnitt er mir mit einem Ton, der gerade wegen seiner Herzlichkeit keinen Widerspruch zuließ, das Wort ab. Ich ergab mich in mein Schicksal: was machte es schließlich aus, wenn Herr Alexander Mertens, der bestimmt nichts mit Tante Irma und Onkel Anton zu tun hatte, sah, in welches Haus ich ging! In ein paar Tagen war ich – das hatte ich ihm ja ausdrücklich gesagt – sowieso wieder weg.
In bester Tanzstundenmanier brachte er mich bis zur Haustür. Ich überlegte den ganzen Rest des Weges, was ich ihm zum Abschied noch Nettes sagen könnte – aber mehr als:
“Und noch einmal – vielen Dank!” (plus liebem Lächeln) brachte ich nicht zusammen.
“Aber – das war doch selbstverständlich!”
Er verbeugte sich nocheinmal korrekt – blieb aber eisern auf der Straße stehen, bis ich meinen Schlüssel aus der Tasche gefingert und die Tür aufgeschlossen hatte.
Ich fühlte mich verpflichtet, ihm in Hineingehen nocheinmal – wie Queen Elisabeth – zuzuwinken: dann schloß sich die Tür hinter mir, und ich holte tief Luft.
Seitdem der Mann im Auto mich angesprochen hatte, hatten sich die Ereignisse so überstürzt – hatte ich dauernd irgendein aktuelles Problem bewältigen müssen – daß ich die Hauptsache überhaupt nicht mit Verstand genossen hatte:
Als Mädchen war ich ein durchschlagender Erfolg.
Nicht nur, daß mich die verschiedensten Leute einem Beruf zugeordnet hatten, der weiß Gott typisch weiblich war: Wenigstens ein Mann war sogar offensichtlich willens gewesen, Zeit und Geld zu opfern, um von mir solche typisch weiblichen Leistungen einzutauschen – und ein zweiter hatte mich, obwohl er mich mitten aus dem Rinnstein aufgelesen hatte, mit allen Ehren als schutzbedürftiges Weib behandelt (und, das wurde mir jetzt erst richtig klar, in seiner zurückhaltenden Art einen regelrechten Flirt mit mir begonnen!).
Ich schaltete das Dielenlicht an und trat vor den Spiegel:
Ja – ich sah aber auch reizend aus. Die frische Luft hatte meine Wangen unter dem Puder noch ein wenig gerötet, die Stirnlocke war jetzt richtig ungezwungen zerzaust, auf dem glatten schimmernden Plastikstoff von Kopftuch und Mantel glänzten ein paar Regentropfen, der Stoff straffte sich keß über den wohlgerundeten Brüsten – und wenn ich jetzt mit den vollen roten Lippen einmal so in den Spiegel lächelte, wie ich Herrn Alexander vorhin angelächelt hatte: dann hatte ich selbst Lust, dieses hübsche Mädel mitten auf den appetitlichen Mund zu küssen!
Ob ich das hätte tun sollen: Einen schnellen, unerwarteten Abschiedskuß für den selbstlosen Retter – und dann rasch ins Haus laufen?
Oder – ich schaute nochmal kritisch in den Spiegel – wie wäre denn so ein richtiger langer, schöner Abschiedskuß gewesen? Einer, bei dem er seinen Arm leicht – oder auch fest? – um meine Taille gelegt hätte, bei dem ich den Kopf in den Nacken zurückgelehnt und meine Brüstchen an seine Brust geschmiegt hätte?
Oder — wenn ich jetzt dem Mann im Auto nicht entkommen wäre? Wenn der jetzt tatsächlich vor mir am Straßenrand gehalten und mich in seinen Wagen gezogen hätte – um mit fiebrigen Händen an meinen Armen, meinen Schultern, meinen Brüsten herumzufummeln, die sich da so aufreizend unter dem Mantel abzeichneten? Aber was – ganz woandershin hätte der gegriffen: hier zwischen die Beine, wo Mantel und Rock hochgerutscht wären, um das weiße Fleisch über den Strumpfrändern an meinen Oberschenkeln freizugeben –
Wenn mir vorhin kühl und schwül zugleich geworden war – jetzt wurde mir heiß und schwindlig. Wie benommen ließ ich den Mantel, den ich bis zu den Hüften hochgeschoben hatte, wieder heruntergleiten und ging zwei schwankende Schritte bis zum Fuß der Treppe – preßte meine Schenkel von rechts und links gegen den Pfosten des Treppengeländers, rieb den vorgewölbten Unterleib kreisend am Pfosten, während ich mit der Rechten die stramme Kugel der linken Brust unter dem glatten Mantelstoff streichelte – spürte einen heißen Schauer nach dem anderen über den Rücken hinunterlaufen, bis er kühl in meinen Hoden prickelte – unter dem Plastikkopftuch dröhnte es mir in den Ohren, Lichter tanzten vor meinen geschlossenen Augen – ohne sie zu öffnen, zog ich mich am Treppengeländer hoch, tänzelte Stufe um Stufe nach oben, während ich spürte, wie mein Glied, heiß und prall angeschwollen, den seidenen Schlüpfer spannte, Rock und Mantel hob, die es bei jedem Schritt streichelten und umschmeichelten – ich spürte plötzlich keine Stufe unter den Füßen mehr, riß die Augen wieder auf und taumelte hinüber zur Tür des Mädchenzimmers, riß sie auf und ließ mich stöhnend, erleichtert vornüber auf das Bett fallen, mit beiden Händen die strammen falschen Brüste umspannend.
„Frolleinchen – “ (Frolleinchen … !) „wohin denn so alleine ?!“ wiederholte ich genußvoll und wühlte mich tiefer in die weichen Kissen. „Eine von denen—!“ zischelte die Stimme der Klatschtante lüstern, „eine – von – denen!“ – „ein Mädchen wie Sie -“ klang Alexander Mertens Stimme mit sanftem Vorwurf, “ sollte wirklich nicht alleine hier herumlaufen!“ – alleine – wohin denn so alleine, Frolleinchen – Frolleinchen – Mädchen – ein Mädchen wie Sie! – (ein Mädchen wie i c h!) – ein Frol – lein – chen – !
Wohlig zog ich die Beine an und schob mich – mit dem glatten Mantel rutschte ich leicht wie ein Schlitten über das Federbett – mit vollem Leib auf das Lager, dessen stramme Daunenkissen sich um meinen Körper schmiegten. Beim Vornüberfallen hatte sich mein Glied, das unter Rock und Schlüpfer steil emporgestiegen war, platt zwischen Bauch und Kissen gepreßt – jetzt drückte es heiß und klopfend wie ein Stück fremden Fleischs gegen die kühlere Haut meines Unterleibs unter der dünnen Mädchenwäsche, die es bei jeder Bewegung gleitend umstreichelte – ich streckte die Beine lang aus und rutschte dabei ein Stück nach oben über das Daunenbett – spreizte die Knie auseinander und packte mit den Oberschenkeln das üppige Kissen, preßte es zwischen die glatten Seidenstrümpfe – rutschte dabei wieder ein Stück< nach unten – streckte die Beine, ohne das Kissen loszulassen -glitt auf meinem glatten Mantel wie auf Öl über die schwellenden Polster –
„Frol – lein – chen – wo – hin – denn – so – al – lei – ne – ! – “ kicherte ich im Rhythmus des Auf- und Abgleitens in mich hinein und knetete im gleichen Takt die weichen Kugeln unter dem glatten Plastik – „Frol – lein – chen – du – Klei – ne – wo – hin – so – al – lei – ne – ? “ keuchte ich und hielt wieder – schwer atmend – inne, während mir ein süßer Schauer nach dem anderen über den ganzen Leib jagte, von den Zehenspitzen in den engen Gummistiefeln bis zum Nackenwirbel unter dem glatten Kopftuch, in dem mein Kopf, zur Seite gelegt, über das Kopfkissen geglitten war, als streichle mit jemand die Wange. Langsam verebbte der letzte kühle Schauder, wieder spürte ich die pulsierende Hitze in meinem Glied unter dem flachgepreßten Bauch klopfen- genau wie mein Herz schlug und mein Atem ging, das Blut in meinen Ohren dröhnte und goldene Schleier vor meinen Augen wogten…
Ich wälzte mich etwas auf die Seite und zerrte mit den Zähnen erst den einen Handschuh von meinen Fingern, dann den anderen. In den bloßen Händen lagen die falschen Brüste unter dem glatten Plastik des Mantels wie kühles, nacktes Fleisch gegen meine Handflächen. „Glat-te-Tit-ten-Wat-te-Tit-ten-die-glatt-glit-ten- “ begann ein neuer Rhythmus in meinem Kopf zu hämmern, während meine Hände über die glatten Kugeln zuckten – „net-te-Tit-ten-Nut-ten-tit-ten-Tit-ten-ei-nes-Trans-ves-ti-ten-“ und mein Leib begann im gleichen Takt mit zu wippen – „-und-die-net-te-Nut-te-hat-te-glit-sche-glat-te-Tül-len-tit-ten-toll-aus-Wat-te-“ und dann hörten die Worte auf, aber mein Körper ruckte immer weiter in dem aufreizenden kurzen Rammeltakt über das Kissen – das Bett knarrte bei jedem Ruck mit -aber ich konnte nicht mehr aufhören, als sei ein toller Motor in meinen Hüften — ! — ! — ! — ! — !
Und dann – ohne daß der Ruckeltakt aufhörte, er lief wie der Rhythmus einer Musikstücks weiter – floß plötzlich eine köstliche, sanfte Woge wohliger Wärme über mich hin – breitete sich aus, verrann – aber da kam schon die nächste, noch höher, noch schöner – ich riß den einen Arm hoch und preßte das kühle Plastiktuch des Ärmels, unter dem straff und weich das Fleisch meines Oberarms zu spüren war, in den aufgerissenen Mund – saugte mit hungrigen Lippen die kühle Rundung in mich hinein, spürte die Glätte des Mantels wie eine Liebkosung auf meiner Zunge – und dann hörte ichlich ganz nahe an meinem Ohr eine Stimme sagen: „Komm – Liebste – wir wollen ficken!“
Und in einer dröhnenden Woge von Gold und Wärme und Süße begann die Welt um mich zu versinken, während ich spürte, wie ein heißer öliger Strom aus meinem schwellenden Glied schoß …
Danach lag ich noch endlose Zeit auf dem Bett: ohne Gedanken – ohne mich zu rühren – leer und doch noch voll von den Gefühlen, den Sinnenreizen, die ich Herzschlag für Herzschlag immer wieder nachzuerleben schien – ohne Anstrengung, mich bewußt an irgendetwas zu erinnern: nur so, wie sie von selbst in meinen Gliedern, meinen Nervenenden, meinem Fleisch nachzuklingen schienen – – –
Endlich spürte ich das Glitschige, Klebrige an meinem Leib doch so stark, daß ich mich – widerwillig und fast noch verschlafen -auf den Rücken wälzte. Langsam erwachte ich wie aus einem Traum. Gab es das ? Konnte der Leib eines Menschen wirklich all diese irren, süßen, unfaßbaren Dinge empfinden ? M e i n Leib?
Langsam löste ich meine Hand von der Brust, die sie immer noch zärtlich umschloß, und ließ sie langsam über den kühlen Plastikstoff des Mantels nach unten gleiten. Nicht mein Leib — dieser fremde, glattgepanzerte Mädchenleib, in den ich ihn verwandelt hatte, war es gewesen, der all das empfinden konnte!
Jetzt verstand ich auch, warum ich immer den. Drang gehabt hatte, diese zauberhafte Verwandlung zu vollziehen!
Noch immer halb in dem Erlebnis der vergangenen Stunde befangen, setzte ich mich auf und schwang langsam die Beine vom Bett. Mir war noch ein bißchen ’schwindlig – aber nach ein paar Sekunden erhob ich mich doch und tastete mich durch das dunkle Zimmer zum Lichtschalter neben der Tür.
Die Helligkeit ließ mich mit den Augen blinken – aber dann begrüßte mich aus dem Spiegel über dem Waschbecken gleich wieder das nun schon vertraute hübsche Mädchenantlitz; zwar auch ein wenig unordentlich, das Kopftuch schief gerutscht , der Lippenstift verschmiert – aber mit blitzenden Augen, geröteten Wangen und von einem warmen, glücklichen Lächeln umspielt.
„Das war etwas – was ?!“ sagte ich laut zu meinem Spiegelbild.
Die banalen Worte brachten mich wieder richtig auf die Erde zurück. Ich warf einen Blick auf das zerwühlte Bett: das sah ja schön aus! In meinem Rausch hatte ich natürlich mit keinem Gedanken mehr an meinen Sturz in den Rinnstein gedacht – und jetzt war das frische weiße Bettzeug mit dem, sorgfältig einmassierten, Straßendreck von Mantel und Stiefeln von oben bis unten verschmiert; auf dem Kopfkissen zeigten sich dafür rosafarbene und knallrote Schmierer von Puder und Lippenstift!
Mit mir selbst sah es auch nicht um soviel besser aus: Kopftuch und Mantelärmel klebten mir vor Schweiß auf der Haut – und von meinem Bauch kleckerte jetzt, wo ich stand, kaltes Sperma auf die Oberschenkel herunter.
Merkwürdigerweise ernüchterte oder bedrückte mich das alles gar nicht: Ich konnte mich nicht erinnern, mich jemals so wohl gefühlt zu haben! Gutgelaunt und kopfschüttelnd ging ich daran, die Folgen meiner Orgie – jetzt konnte ich mir etwas unter den Worten „orgiastische Kulte“ vorstellen! – wieder zu beseitigen:
Mantel und Kopftuch warf ich erstmal, nachdem ich sie ausgezogen hatte, über den Stuhl neben dem Bett. Das Kleid, unter dem Mantel zwar etwas verdrückt und mit zwei großen Schweißflecken unterAchseln, hatte wenigstens keinen Saft abbekommen – ich zog es, nachdem ich Reißverschluß und Knöpfe weit geöffnet hatte, vorsichtig über den Kopf und hängte es gleich auf seinen Bügel.
Beim Unterrock hatte ich (wie so oft an diesem denkwürdigen Abend) wieder mal mehr Glück als Verstand gehabt: Offenbar war mein Glied so gut in den Schlüpfer eingepackt gewesen, daß nur ein wenig Feuchtigkeit, aber kein Schmierfleck auf den glänzenden Satin gekommen war. Schlimm allerdings sahen Hemdchen und Höschen aus: ich weichte sie gleich, als ich sie vom Leibe hatte, im Waschbecken mit etwas warmem Wasser ein und versuchte, mit Toilettenseife und einer Nagelbürste die stickigen Flecken herauszubekommen. Glücklicherweise hatte aber das Hemd wieder den Hüftgürtel geschützt, so daß ich nur mit einem Waschlappen das entfernen mußte, was mir die Oberschenkel hinunter bis zu den Strumpfrändern gelaufen war. Mein Glied wusch ich auch gleich mit Seifenschaum ab – es fühlte sich ganz wohlig an, die glatte Eichel mit dem weißen Schaum zu massieren, aber es war kein Vergleich zu dem völlig aus dieser Welt entrückten Erlebnis vorhin! – und trocknete alles mit einem Frottierhandtuch nach, ohne Strümpfe und Hüfthalter abzulegen.
Das nasse Hemdchen und Höschen hängte ich neben dem Handtuch über die Stange — sollte es bis morgen früh wieder trocken werden! — und sah nochmal in den Spiegel: nein, Lippenrot und Puder blieben drauf — das Kopfkissen war einmal verschmiert.
Ich ging zum Schrank und holte das rosa Nachthemd heraus, schlüpfte hinein – die geraffte Brust modellierte sich hübsch über meinem Wattebusen – setzte mich auf die Bettkante und zog endlich die Stiefel aus. Jetzt war es doch ganz angenehm, die Zehen wieder spreizen und bewegen zu können – und einen blauen Fleck hatte ich auch am Schienbein, wo ich gegen die Bordkante geprallt war …
Ich stand nocheinmal auf, löschte das Licht und kuschelte mich dann wohlig unter die Kissen: saubermachen würde ich das alles morgen!
Die glatte Seide des Nachthemds fühlte sich angenehm über den Seidenstrümpfen an meinen Beinen an, als ich mich mit angezogenen Schenkeln auf die Seite drehte und wieder mit der Hand die kugelige Wölbung an meiner Brust umschloß.
Eines stand jedenfalls fest für mich, als ich das Daunenbett über meine nackten Schultern zog und langsam in den Schlaf hinüberdämmerte: keine Minute der kommenden zehn Tage wollte ich anders als in diesen entzückenden, berückenden, streichelnden, schmeichelnden Mädchenkleidern verbringen !
Drittes Kapitel: Geometrische Progression
“Er dachte nicht dran, irgendwie sexuell‘ anzubandeln
doch nachher begann es ihn bisexuell anzuwandeln:
es rührt sich in ihm etwas Weibliches schrill
das etwas ganz Unbeschreibliches will…“
Dem Wortlaut nach wurde ich diesem Gelübde schon am nächsten Tage untreu: denn am späten Vormittag saß ich – in konventioneller Männerkleidung – im Autobus, der in die Stadt fuhr; aber da ich darunter, bis auf den Unterrock, völlig in Damenwäsche – selbst Strümpfe und den, freilich inhaltsleeren, Büstenhalter – gehüllt war, fühlte ich mich fast genau so wohl.
Ein ungeheures Wohlbehagen, das bei jedem Gedanken an jede Einzelheit der vergangenen Nacht in mir aufstieg, war überhaupt das Grundmotiv dieses ganzen Tages gewesen; zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich durch und durch alles getan, was ich wollte – und Minute für Minute war ich dafür mit neuen, ungeahnt erregenden Erlebnissen belohnt worden!
Selbst die aufregenden Augenblicke vor dem Auto des unerwarteten Freiers waren jetzt, in der Rückschau, abenteuerlicher und spannender als alle erdichteten Erlebnisse des schönen Conny mit seinen sowieso etwas nach Papier riechenden Brillantenkolliers und Safe-knackereien: sollte mir erst einmal jemand nachmachen, aus einem simplen Abendspaziergang im Regen soviel an aufregenden Erlebnissen herauszuholen, wie ich es schon am ersten Abend geschafft hatte! Die ganze Welt sah plötzlich, selbst im trivialsten Detail, faszinierend anders aus, wenn man sie durch die Augen eines Mädchens (oder noch exakter, durch die Augen eines als Mädchen Verkleideten!) ansehen konnte!
Schon das Aufwachen am Morgen war ungewohnt und herrlich gewesen: nach tiefem, erquickendem Schlaf, an dessen Träume ich mich nur noch unscharf erinnerte – ein Detail nur, isoliert und unverständlich, aber gerade deshalb Anregung zu faszinierenden Spekulationen, war mir im Gedächtnis geblieben: Irgendwer hatte sich mir mit einer rosafarbenen Visitenkarte als „Contessa die Rimini“ vorgestellt, (aber wer? Ich konnte mich beim besten Willen nicht mehr erinnern!) – aus solch erholsamem Schlaf also zu erwachen und als erstes die schmeichelnde Seide eines Damennachthemds zu spüren – sich wohlig in ihr zu dehnen und an den Beinen das unbeschreibliche Gefühl von über Seide gleitender Seide zu genießen: was konnte sich – als Beginn eines Tages – damit vergleichen ?!
Dann: ein langes, genußvolles Bad in Tante Irmas Luxus-Badezimmer – und anschließend wieder das festliche Anlagen hübscher Wäsche aus Fräulein Lieselottes Schrank – darüber, das war nun eine neue lohnende Idee gewesen, ein seidener, bestickter Morgenrock aus Tante Irmas Schränken (bei solch einem losen Gewand störte es kaum, daß sie eine um ein rundes Dutzend größere Kleidernummer hatte!) – und dann ein luxuriöses Frühstück mit knusprigen, vorsichtig durch den Türspalt hereingeholten Brötchen, duftendem Bohnenkaffee und dreierlei Marmelade, zu dem ich es mir nicht nehmen ließ, mich in dem rotseidenen Kimono in die tiefen Polstersessel des Wohnzimmers zu lümmeln und mich dabei als „Hausherrin“ zu fühlen.
Dann allerdings hatte der „Ernst des Lebens“ begonnen: Nachdem ich eine Kittelschürze aus Fräulein Lieselottes Schrank übergeworfen hatte, zog ich erst einmal das Bett ab – sein Überzug sah aus wie ein Schaustück aus einer Waschpulver-Reklame „… und nun wollen wir testen, ob auch diese stark verschmutzte Wäsche …“! – und ich machte mich daran, die Waschmöglichkeiten des Hauses zu explorieren.
Im Keller gab es eine vollautomatische Waschmaschine, alle nötigen Waschmittel und – als Zusatz-Überraschung – ein geblümte Gummischürze, die ich natürlich als erstes einmal umband: sie raschelte fast so angenehm um die Oberschenkel wie der Mantel gestern abend – und straffte sich, wenn man die Gummiband-Träger richtig anzog, auch ähnlich wirkungsvoll über der Brust (obwohl ich da – gegenüber der jetzigen Watte – noch große Verbesserungsmöglichkeiten sah!).
Dergestalt als Hausfrau uniformiert, widmete ich mich sachlich dem Studium der „Waschprogramme“, die bemerkenswert übersichtlich auf einer Klappe der Maschine angegeben waren – und als ich diese Informationen noch durch die Anpreisungen auf den Packungen ergänzt hatte, fühlte ich mich technisch in der Lage, von Bettwäsche bis zu spinnwebzarten Spitzen so ziemlich alles auf der Welt farbschonend, ohne Grauschleier und – soweit möglich – blendend-strahlend weiß zu waschen.
Nachdem die Maschine rumpelnd in einen der mehreren von mir als zweckmäßig erachteten Vorwaschgänge eingetreten war, ließ ich mich – in einem neuen Anfall hausfraulichen Pflichtbewußtseins – in der Diele nieder, um auf dem Notizblock neben dem Telefon eine Liste all der Verrichtungen aufzustellen, die ich (trotz aller privaten Pläne) offenbar nicht vernachlässigen durfte, wenn ich meine hundert Mark für die zehn Tage ehrlich verdienen wollte. Zwischendurch schielte ich allerdings immer wieder einmal zum Dielenspiegel hinüber und freute mich über den Anblick der jungen Hausfrau in ihrem blauen Kittelschürzchen mit der tomatenroten Gummischürze, dem karierten Kopftuch und den roten Lippen.
Ärgerlich fand ich es freilich, daß ich auch im Haus mit einem Kopftuch herumlaufen mußte – zumal mir das im Nacken gebundene Tuch nicht ganz so gut gefiel wie das unter dem Kinn geknotete von gestern! Und – wenn ich wirklich kritisch vor den Spiegel trat und mein Gesicht genau besah: mit dem make-up ließ sich offensichtlich auch noch mehr tun als jetzt! Man müßte bloß genau wissen, was – und wie!
Kurz entschlossen kehrte ich zu meiner Liste zurück und setzte fein säuberlich all das in Klammern, was ich heute jedenfalls nicht tun wollte — um Zeit zu gewinnen, einen Einkaufsbummel in der Stadt zu machen. Ebenso radikal beschloß ich, die zwanzig Mark „Reserve“, die ich gestern bei den Bierkästen eingespart hatte (heute hätte der Biermann klingeln sollen – dann hätte ich ihn stilecht empfangen können!), auf das Konto „Schönheit und Körperpflege“ zu transferieren.
Der dritte Entschluß fiel mir schwerer – aber nüchtern betrachtet gab es da keine andere Wahl: diese Einkäufe konnte ich nicht in Mädchenkleidern machen. Erstens war ich mir noch nicht so ganz sicher, ob ich mir bei Tageslicht all das leisten konnte, was gestern bei Laternenschein durchgegangen war – zweitens regnete es nicht, so daß ich kein rechtes Motiv für Regenmantel und vor allem Regenkopftuch gehabt hätte – und drittens gab es vor allem bei so einem Einkauf so viel zu fragen und zu verhandeln, daß ich lieber ohne ständige Stimm-Probleme auftreten wollte.
Ich probierte noch einmal – mit Sprechen, Flüstern, Singen und Kreischen – alle Möglichkeiten durch und kam zu dem Ergebnis: Flüstern und tonlos sprechen konnte ich natürlich. Andererseits gelang mir auch ein – meiner Meinung nach zumindest – recht naturechtes Quieken und Kreischen im höchsten Sopran: doch das war nur für Sonderfälle – etwa beim Anblick einer Maus oder falls ich mal tun Hilfe rufen müßte! – geeignet. Singen konnte ich – auf einer oben und unten zu kurzen Tonleiter – etwa so eindrucksvoll wie ein Schuljunge im Stimmbruch, was mir in jeder Beziehung wenig nützte: dennoch nahm ich die Gelegenheit wahr, auf diese Weise irgendwelche Schlager zu „trällern“, während ich mich ums Blumengießen und ähnliche , unaufschiebbare Hausarbeiten kümmerte – man konnte nie wissen, wofür es gut war (später stellte ich fest, wofür: um einen schmerzenden Hals zu bekommen).
Das Problem war und blieb das normale Sprechen. Echt in eine höhere Tonlage konnte ich es nicht transferieren, ohne in einen ausgesprochen komisch wirkenden Charleys-Tanten-Alt mit gelegentlichem totalem Stimmausfall zu geraten: aussichtslos! Andererseits war es möglich, normal – mit nur ganz wenig angehobener Tonlage – ziemlich scharf auf der Grenze zwischen „männlich“ und „weiblich“ zu sprechen: und es gab sogar Schauspielerinnen und Sängerinnen, die in einer solchen Stimmlage ausgesprochen „sexy“ wirkten! Nur hatten die natürlich den entscheidenden Vorteil, daß von vornherein niemand an ihrem weiblichen Geschlecht zweifelte …
Also führte alles auf das ursprüngliche Problem zurück: wenn ich sonst in jedem Detail überzeugend wie ein Mädchen wirkte, konnte ich es wahrscheinlich auch riskieren, zu sprechen – wie der gestrige Abend ja schließlich bewiesen hatte. Aber mit diesen Details haperte es – genau besehen – noch an allen Ecken und Enden; und deshalb mußte ich, gerade um hier etwas in Ordnung zu bringen, schweren Herzens nocheinmal für meinen Einkaufsgang in Männerkleider zurück.
Als ich mich umzog und zugleich das Mädchenzimmer noch etwas aufräumte, machte ich zufällig eine neue Entdeckung, deren Tragweite ich – in jeder Beziehung – allerdings erst später erkennen sollte: unten in Fräulein Lieselottes Nachttisch lag ein Stoß billiger Heftromane – „Bedrohtes Glück“, „Lindas Geheimnis“, „Um eine Grafenkrone“ und so weiter – die mich, bei aller Liebe zum Mädchendasein, bisher herzlich wenig interessiert hatten. Aber vielleicht war doch irgendein Krimi darunter, den ich auf der langweiligen Busfahrt als Lektüre mitnehmen konnte ? Den fand ich zwar nicht – dafür aber ein nicht besonders geschickt mit einem Umschlag aus Zeitungspapier versehenes, broschiertes Buch, das sich beim Aufschlagen als das „Kama-sutra – das Lehrbuch der indischen Liebeskunst“ entpuppte.
Dem Inhaltsverzeichnis nach war es so unterschiedlichen Themen wie „den vierundsechzig Künsten“ (nicht etwa Liebeskünsten, sondern unter anderem „Tätowieren“, „Chemie und Mineralogie“ oder „die Kunst, Menschen zu verkleiden oder ihr Aussehen zu ändern“ – darüber hätte mehr drinstehen dürfen! -, „den verschiedenen Arten, Frauen zu schlagen, und den dies begleitenden Lauten“ oder „dem Benehmen eines Mannes, der mehrere Frauen sein eigen nennt“ gewidmet. Ich konnte mir zunächst nicht recht vorstellen, daß es die Erwartungen Fräulein Lieselottes – was immer sie im Einzelnen gewesen sein mochten – erfüllt hatte: aber als Autobus-Lektüre war es vielleicht doch noch interessanter als „Lindas Geheimnis“.
Auch für mich erwies sich das Kamasutra zwar als interessant (begann es doch mit einem philosophischen Dialog zwischen Meister und Schüler über die Grundlagen des Glückes auf dieser Erde), doch die nerventötende Pedanterie des alten Vatsyayana – etwa im Stile von „spreitzt jedoch die Frau, während sie den Mann auf die rechte Backe küßt, den linken kleinen Finger ab, so nennt man dies ‚dea Kuß mit abgespreitztem linken kleinen Finger‘ “ – verhinderte nachhaltig, daß mich der Text irgendwie unziemlich erregte; bis er mir völlig unerwartet – ausgerechnet unter dem unwahrscheinlichen Titel „Auparishtaka“! – einen echten Schlag unter die Gürtellinie versetzte. „Es gibt zwei Sorten von Eunuchen oder Hermaphroditen -“ stellte er gleich im ersten Satz wie selbstverständlich fest, „die einen, welche die Rolle von Männern wählen, und die anderen, die es bevorzugen, sich als Frauen zu verkleiden.“ Mit steigender Erregung las ich weiter: „Die Eunuchen, die sich als Frauen kleiden, ahmen das schöne Geschlecht in jeder Weise nach, in Kleidung, Sprache, Manieren, Freundlichkeit, Schüchternheit, Sanftheit und Bescheidenheit – und die höchste Erfüllung der Liebe, welche Frauen in den sanften Tiefen der Yoni empfangen, bewillkommnen diese Eunuchen in ihrem Munde. Dies – “ natürlich wieder die unvermeidliche Klassifizierungssucht des ollen Inders! – „nennt man Auparishtaka,“ Es ging noch weiter: „Diese ‚weiblichen‘ Eunuchen – “ zum Teufel mit seinen ‚Eunuchen‘! – „empfinden beim Geschlechtsverkehr im Munde sinnliche Erregung , und verdienen zugleich auf diese Weise einen angenehmen Lebensunterhalt, und sie führen das Leben von Kurtisanen.“
Ich las gespannt noch ein paar Absätze weiter – doch da verlor er sich wieder in technisch detaillierte Gebrauchsanweisungen und Klassifikationen (“die siebte Stufe nennt man das Essen des Mangos”) und schließlich sogar in einen Gelehrtenstreit darüber, welche Gesellschaftsschichten miteinander „Auparaishtaka“ treiben dürften (zwischen Mann und Frau natürlich) und ob dies dem Essen von Hundefleisch gleichzusetzen sei – Fragen, die mich nicht mehr im geringsten interessierten!
Wenn ich einmal annahm, daß „Eunuchen“ nicht – wie ich das bisher wußte – „kastrierte Männer“ bedeutete, sondern ein Übersetzerfehler war (und darauf schien mir die Gleichsetzung von „Eunuchen“ und „Hermaphroditen“ verdammt hinzudeuten!): dann gab es da also im alten Indien irgendwelche Männer (ob nun mit oder ohne Hoden), die zunächst einmal eine ähnliche Neigung gehabt zu haben schienen wie ich – nämlich. Frauenkleider anzuziehen. Das konnte ich ihnen nachfühlen, denn die indische Frauenkleidung, den „Sari“ nannte man sie wohl, fand ich ausgesprochen hübsch. Und daß diese Sari-Männer dann auch in Sprache und Manieren das schöne Geschlecht nachahmten, war eigentlich die selbstverständliche Konsequenz.
Was mich daran erschütterte, war zweierlei: erstens, daß der alte Inder von diesen Menschen wie von einer ganz normalen Gesellschaftsklasse – Brahminen, Kshatrias oder Vaishyas – redete, ohne in irgendwelche Entrüstung auszubrechen und die Flüche irgendwelcher Gottheiten auf solche Widernatürlichkeit herabzubeschwören.
Und zweitens, daß diese nachgemachten Frauen offenbar den Mund als Yoni benutzten und damit “das angenehme Leben von Kurtisanen“ führten.
Die wären also – dachte ich unwillkürlich sofort – gestern abend am Auto nicht davongelaufen. Im Gegenteil: die hätten sich mit „Auparishtaka“ einen schönen Abend gemacht und dafür noch Geld kassiert!
Aber die Frage, der ich kaum ausweichen konnte, war: wie stand es in dieser Beziehung nun eigentlich um mich?!
In der Vergangenheit war es mir gelungen, die zwei Themen „Frauenkleidung“ und „Geschlechtsverkehr“ in wasserdicht getrennte Abteilen aufzubewahren: da gab es natürlich – wie ich aus flüchtig gehörten Bemerkungen oder gelegentlichen, zurückhaltend umschreibenden Zeitungsberichten wußte – „abartig veranlagte“ Individuen, „warme Brüder“ oder „Schwule“, die als Männer Männer „liebten“; aber wie sie das eigentlich machten, darauf wies bloß der Ausdruck „Arschficker“ hin: eine bei dem Mangel an sonstigen geeigneten Öffnungen verständliche, aber für mein Gefühl doch ziemlich unappetitliche Methode, der ich keinen besonderen Reiz abgewinnen konnte. Zudem schienen diese Homosexuellen aber in der Mehrzahl überhaupt kein Interesse für Frauenkleider zu haben – im Gegenteil von Muskeln, „griechischen Jünglingskörpern“ und „schönen Knaben“ (was immer das im einzelnen bedeuten mochte) zu schwärmen.
Man konnte — hatte ich bisher geglaubt – von der Idee, sich wie ein Mädchen zu kleiden, fasziniert sein, ohne das Geringste mit diesen Männern zu tun zu haben. Daß man sich allerdings bereits nicht mehr in Mädchenkleidung auf die Straße wagen konnte, ohne unerwartet rasch mit dem Problem erotischer Kontakte konfrontiert zu werden – das hatte mir der gestrige Abend ziemlich handgreiflich bewiesen. Und nun meinte der alte Herr Vatsyayana – gerade wegen seiner Pedanterie eine Autorität, die man nicht leichthin beiseiteschieben konnte! – Männer, die ein Faible für Frauenkleider hätten, bezögen zugleich auch „sinnliche Erregung“ daraus, die Schwänze anderer Männer in den Mund zu nehmen!
Daß das für den Besitzer des Schwanzes ein angenehmes Gefühl sein mochte, konnte ich mir schon ausmalen (insbesondere, wenn ich die detaillierte Schilderung des achtstufigen „Auparishtaka“ mit meinen Gefühlen von heute nacht verglich … ) – aber „erregte“ mich nun etwa auch der Gedanke, meinerseits so (wie nannte der Inder das:) „am Mango herumzuknabbern“? Im Moment erregte die Vorstellung, jemandes – möglichst gar noch ungewaschenen und nach Heringslake riechenden – Schwanz halb herunterzuschlucken, bei mir weniger „Sinnenlust“ als Übelkeit! Oder kam etwa auch dabei, wie der Volksmund es hatte, „der Appetit beim Essen“?!
Ich war nicht ganz undankbar, daß der Autobus gerade, als ich an dieser Stelle angekommen war, hielt – und ich mich anderen Problemen zuwenden mußte: ich kannte mich in der Stadt kaum aus – aber irgendein großes Kaufhaus müßte eigentlich alles, was ich suchte, zu bieten haben. Glücklicherweise sah ich auch gleich von der Haltestelle aus jenseits des Platzes eines liegen.
Jetzt, am späten Vormittag, herrschte dort nur mäßiger Andrang – einkaufende Hausfrauen, ein paar junge Leute, vereinzelt alte Rentner; ich konnte mich erst einmal in Ruhe umsehen. Hier, ziemlich nahe am Eingang, waren gleich die Kosmetik-Stände: ein paar lange Gondeln mit den billigeren Angeboten – an der Wand Theken, hinter denen junge Damen, nachdem sie offenbar vollen Gebrauch von allen denkbaren Produkten (angefangen bei falschen Wimpern und endend bei falschen Fingernägeln) gemacht hatten, gelangweilt auf Interessenten für die unzähligen teureren Marken-Serien harrten. Ich strich – etwas unbehaglich: denn was hatte ein junger Mann hier in diesem Arsenal weiblicher Schönheit eigentlich zu suchen – zunächst einmal zwischen den Regalen herum, um. mir eine Vorstellung von den Preisen machen zu können. Das schien ja zu gehen: da konnte man offenbar für ein paar Mark schon allerhand erwerben – die Frage war nur, was!
Doch auch dafür hatte ich schon meine Ideen: Kürzlich, auf dem Bahnhof, als ich ankam, war mir an einem Zeitschriftenstand „Das große Schönheitsheft“ einer Frauenzeitschrift aufgefallen, das versprach, „alles über make-up, Schönheitspflege, Frisuren für den Sommer“ zu vermelden. Auf der Suche nach einem Zeitschriften-Stand entdeckte ich allerdings erst einmal das, was mich am meisten faszinierte: den Stand mit den Damen-Perücken – oder „Zweitfrisuren“, wie ein großes Transparent verkündete.
Der Freude über diese Entdeckung folgte allerdings die Enttäuschung auf dem Fuße: „350,- DM“ – „275,- DM“ – „185,- DM“ – ja selbst ein paar einzelne Locken zur Verlängerung einer Frisur kosteten (abgesehen davon, daß sie mir überhaupt nichts genützt hätten) noch über hundert Mark! Ich wäre – in wilder Mißachtung aller finanziellen Vorsicht – bereit gewesen, den größten Teil meiner insgesamt hundertzwanzig Mark für eine schicke Damenfrisur zu opfern: aber so konnte ich nicht einmal „in Versuchung“ geraten – soviel Geld hatte ich einfach nicht.
Diese Erkenntnis mußte ich erst einmal verdauen. Ohne Perücke war ich – was immer ich sonst schaffte – darauf angewiesen, meinen Kopf durch ein Tuch oder einen Schal zu verhüllen; das hatte zwar gestern im Regenmantel ausgesprochen hübsch ausgesehen – aber schon heute morgen war ich nicht voll zufrieden gewesen, und irgendwann kam bestimmt eine Situation, in der es überhaupt keinen Anlaß mehr gab, sich etwas um den Kopf zu wickeln! Zudem war es – meinem Empfinden nach – zutiefst unnatürlich, wenn eine junge Dame ihre Haare ständig vor den Blicken der Umwelt versteckte: unnatürlich und damit irgendwie verdächtig – und verdächtig zu sein, konnte ich mir mit meiner zweitklassigen Stimme schon erst recht nicht leisten!
Außerdem wollte ich wissen, wie ich mit einer vollen Damenperücke aussehen würde: denn daß das erst die Krönung jeder Verkleidung war, und alle andere nur eine halbe Sache, stand fest! Ich überlegte: welche Möglichkeiten, dieses Problem zu lösen, gab es ? „Kaufen Sie gleich – benutzen Sie unseren bequemen Kunden-Kredit!“ forderte ein Schild an der Wand auf. Schon gut — aber in einer wildfremdem Stadt, ohne Referenzen, ohne nachweisbares Einkommen würde man mir kaum einen solchen Kredit nachwerfen (ganz abgesehen davon, daß ich nicht gewußt hätte, wie ich ihn je zurückzahlen sollte); und selbst wenn das alles geklappt hätte, wäre endgültig selbst der großzügigste Bearbeiter stutzig geworden, wenn ich Kredit ausgerechnet für den Kauf einer Damenperücke aufgenommen hätte! Diese Idee konnte ich getrost vergessen.
Genau so unpraktikabel waren alle anderen Gedanken, mit Anzahlungen, Umtausch oder ähnlichen Tricks wenigstens für ein paar Stunden in den Besitz einer solchen Perücke zu kommen: „Aus hygienischen Gründen sind Zweitfrisuren vom Umtausch ausgeschlossen“ verkündete ein weiteres Schildchen. Nein – was ich brauchte, war Bargeld auf den Tisch: und dann möglichst schnell und endgültig verschwinden, ehe jemand anfing, darüber nachzudenken, was ich mit einer Damenperücke wohl vorhaben mochte!
Nachdem das so weit klar war, sollte man – dachte ich – zumindest feststellen, wieviel Bargeld. Ich kehrte an den Perücken-Stand zurück und sah mir die lockige Pracht näher an:
„Meine Schwester – “ erklärte ich der freundlichen, korpulenten Dame hinter dem Stand, die etwas gelangweilt an den Lockenköpfen herumbürstete, mit überflüssiger Ausführlichkeit, „wollte wissen, was Sie da so an Perücken dahaben. Gibt es da einen Prospekt oder sowas?“
Es gab natürlich, wie ich vermutet hatte, keinen – so daß ich mir mit einer Mischung aus Genuß und Qual eine lange Lektion über Echthaar, Kunsthaar, maschinentressierte und handgeknüpfte Scheitel oder Ansätze, Stretchbasis und Toupierung anhören mußte – wobei es mir unter anderen Umständen bestimmt Spaß gemacht hätte, daß die Verkäuferin schon im dritten Satz in ihren gewohnten Jargon -„so etwas können Sie natürlich auch als Abendfrisur tragen“ – verfiel und ich sie richtig aus dem Takt brachte, als ich vorsichtig protestierte: „Also – ich vielleicht weniger!“. Aber im Grunde bestätigte das Ganze nur, was ich schon wußte: je schöner, desto teurer – und im Ganzen alles unerschwinglich für mich! Ich verabschiedete mich mit vielem Dank und versprach, „meine Schwester“ nun selbst vorbeizuschicken.
Weitergekommen war ich dadurch keinen Schritt: ich wußte zwar, daß ich schon für hundertfünfundsiebzig Mark – hübsch passender Preis, dachte ich grimmig – eine gutaussehende Perücke bekommen könnte, aber leider hatte ich hundertfünfundsiebzig Mark ebensowenig wie dreihundertfünfzig!
Natürlich: wenn ich sämtliche Sachen Fräulein Lieselottes in ein Leihhaus gebracht hätte (wenn es sowas heutzutage überhaupt noch gab, was ich gar nicht genau wußte, und wenn ich es hier finden würde), dann hätte man mir dafür vielleicht Geld gegeben – aber ob genug, und selbst wenn, dann hätte ich zwar eine Perücke, aber wieder nicht zum Anziehen gehabt! Ich entschloß mich mit einem inneren Ruck, das Problem erst einmal zurückzustellen, und kaufte am Zeitungsstand – für drei Mark fünfzig, allerhand Geld, aber durchaus noch in meinem geplanten Etat von zwanzig Mark – das „Schönheitsheft“.
Das Kaufen war nicht allzu schlimm – schließlich brachte man eher seiner Schwester Zeitschriften mit als zum Beispiel Perücken! – aber dann rollte ich das dicke Heft doch lieber zur Rolle zusammen, um nicht mit einem solchen Titel unter dem Arm irgendwen bei meinen weiteren Käufen auf falsche (exakter gesagt: richtige!) Ideen zu bringen; mein nächster Einkauf zum Beispiel war an sich harmlos – aber in Verbindung mit ungewöhnlichem Interesse für weibliche Dinge vielleicht doch verdächtig: ich besorgte mir nämlich in der Spielzeugabteilung einige Luftballons – „extra große“, wie ich mit einer Story über einen Kindergeburtstag begründete.
Neben der Spielzeug-Abteilung im Obergeschoß war der Erfrischungsraum – und das brachte mich auf die Idee, dort gleich eine Kleinigkeit zu essen und dabei in Ruhe die Zeitschrift zu studieren, um für meine restlichen Einkäufe besser „theoretisch vorbereitet“ zu sein. Das Essen war dort – wie meist in Kaufhäusern – durch einen „WerbeZuschuß“ besonders preiswert: und das tat meinem Etat gut. Freilich waren auch andere Leute auf diese Überlegung gekommen, so daß ich erst nach einigem Suchen einen leeren Tisch in einer Ecke fand, wo ich – ungestört von einem neugierigen Gegenüber – meine Schönheitsstudien treiben konnte; ich bestellte ohne langes Suchen das Tagesmenü und schlug dann das Heft auf.
Die drei Mark fünfzig hatten sich, wie ich bald erfreut feststellte, gelohnt: mit wissenschaftlicher Gründlichkeit begann das Heft bei den Gesichtsformen – oval, rund, dreieckig, viereckig – und Teint-Grundfarben, schritt dann über Haar- und Hautfarbe zu den passenden Kleiderfarben fort und lieferte dann detaillierte Beschreibungen des Schminkens von Gesicht, Mund und Augen – mit speziellen Hinweisen für die „Korrektur“ kleiner Fehler, wie einer zu breiten oder zu spitzen Nase und so fort. „Unentbehrlich für diesem Sommer : die Zweitfrisur!“ erklärte es dann, rücksichtslos kaum vernarbte Wunden wieder aufreißend, und demonstrierte wiederum in Skizzen das Zusammenspiel von Gesichtsform und Frisur.
Es war – stellte ich fest, als mein Essen kam und ich das Heft beiseitelegen mußte – fast so gründlich in seiner Art wie das Kamasutra bei der Schilderung des Auparishtaka.
Inzwischen hatte ich nun doch einen Tischgefährten bekommen: einen Herrn mittleren Alters mit einer dunklen, eckigen Hornbrille und etwas künstlerischer Frisur, der mir irgendwie bekannt vorkam – hatte er nicht irgendeinem Stand auch schon mal neben mir gestanden? Doch kümmerte er sich seinerseits überhaupt nicht um mich, sondern versank gleich, nachdem er sich gesetzt und sein Essen bestellt hatte, in das Studium irgendwelcher Akten, die er aus einem eleganten Köfferchen geholt hatte.
Während des Essens kamen mir drei Ideen zum Perückenproblem. Die erste beruhte darauf, daß – wie ich aus der Zeitschrift entnommen hatte – offenbar auch Versandhäuser Perücken anboten. Nun könnte ich – unter dem Namen des abwesenden Fräulein Lieselotte, deren Nachnamen ich ja irgendwie herauskriegen würde – dort eine Perücke auf Ratenzahlung bestellen (ich wußte, daß die Formulare dafür keine allzugenauen Auskünfte verlangten); sie für die paar Tage, die ich sie brauchte, benutzen – und dann, Umtauschverbot oder nicht, einfach wieder zurückschicken. Das kostete mich nur die Anzahlung – sagen wir, 35 Mark auf 175 – und aller Voraussicht nach würden die Leute, wenn ich das Ganze unter dem Motto „die Bestellerin ist nicht mehr da“ zurückschickte, nichts mehr unternehmen (und wenn, dann war Fräulein Lieselotte in Spanien – und sie durften sich mit Tante Irma herumschlagen): alles etwas am Rande der Legalität, aber eigentlich nichts Böses – für mich sogar ein ausgesprochenes Verlustgeschäft, was mir die Sache subjektiv sowieso erlaubt erscheinen ließ! Der Haken daran war nur der Zeitfaktor: wenn ich erst einen Katalog anfordern mußte – der erst in drei Tagen kam – und dann die Lieferung nochmal länger dauerte: dann bekam ich die Perücke genau am Tag meiner Abreise und konnte noch fünfunddreißig Mark dafür blechen!
Die zweite Idee war, irgendwo eine Perücke zu leihen. Im Karneval ging das auf jeden Fall – und auch jetzt würde man, unter dem Vorwand einer Theater-Aufführung oder so, eine Perücke für einige Tage ausleihen können. Die Frage war nur, wo und wie in einer wildfremden Stadt!
Die dritte Idee – verdammt noch mal, war nicht gestern abend jemand eigens mit dem Auto hinter mir hergefahren, um sein Geld bei mir loszuwerden ?!
Der Gedanke war natürlich verrückt und aller Voraussicht nach aus siebzehn Gründen, die mir noch einfallen würden, undurchführbar – aber es prickelte reizvoll, ihn genau so wie die anderen durchzudenken! Jemand aufzugabeln, war – erwiesenermaßen – nicht schwer. Mit ihm im Flüsterton zu verhandeln, auch nicht. Dann allerdings…
Ich stand erst einmal auf, um auf die Toilette zu gehen. Dort stellte ich, etwas nervös, fest, daß mein Glied schon wieder wie gestern abend stand. War da also.an dieser Auparishtaka-Sache doch was dran? Aber Unsinn! Zudem hatte ich nicht die geringste Ahnung, was die Damen da im Einzelnen taten – und was sie dafür kassierten: Fünf Mark? Oder fünfzig? Und wie oft wollte ich denn das machen, bis ich hundertfünfundsiebzig Mark zusammenhatte?!
Nein – die aussichtsreichste Idee, beschloß ich, während ich an den Tisch zurückkehrte, war doch das Leihen. Neben dem Aufzug war ein öffentlicher Telefon-Apparat – da mußte es ein Telefonbuch geben, in dem man vielleicht die richtigen Adressen fand! Ich zahlte und ging, ohne daß mein Gegenüber aufblickte.
Unter „Kostümverleih“ oder „Theaterfriseur“ fand ich nichts im Branchenteil des Telefonbuchs – wohl aber unter „Perücken“ etliche Aressen, die sich allerdings mehr auf Handel als auf Verleih zu beziehen schienen. Immerhin konnte ich dort ja einmal anrufen – aber das kostete wieder Geld, während ich es von Zuhause aus umsonst tun konnte…
Unentschlossen stand ich unter der halboffenen Kuppel und überlegte, ob ich mir nicht wenigstens die Adressen und Nummern aufschreiben sollte – der Himmel wußte, ob das Telefonbuch zuhause auch einen Branchenteil hatte! Aber jetzt merkte ich, daß ich nichts zum Schreiben bei mir hatte …
„Wollten Sie sich was notieren ? Bitte – „
Der Herr von meinem Tisch stand neben mir und hielt mir einen goldenen Kugelschreiber hin. Wo kam der auf einmal her ? Ach so, nebenan war ja der Lif. Ich dankte freundlich und begann etwas nervös die Nummern und Straßen abzuschreiben – guckte der mir dabei über die Schulter ? Na und wenn schon – von der Geheimpolizei, die Dich wegen Deiner nächtlichen Eskapaden überwacht, wird er wohl nicht gleich sein, spottete ich innerlich über meine Nervosität.
Dennoch war ich froh, als ich meinem unbekannten Helfer seinen Kugelschreiber zurückgeben konnte und ihn mit dem gerade angekommenen Lift entschwinden sah. Ich gab mir einen Ruck und fuhr – auf alle Fälle – lieber mit den Rolltreppen ins Erdgeschoß zurück, obwohl ich dabei (aus kaufhauspsychologisch wohlerwogenen Gründen) jedesmal ein Stück durch die einzelnen Etagen laufen mußte. In der Abteilung „Damenoberbekleidung“ lächelten mich fünf Dekorationspuppen – alle mit lockigen Perücken, .zum Teufel! – in den verschiedensten Lederkostümen träumerisch an; am liebsten hätte ich einer von ihnen die Locken abgenommen, wenn das nicht auch wieder einigermaßen auffällig (und noch dazu illegal) gewesen wäre!
Na – aber wenigstens für das make-up wußte ich jetzt, was ich wollte: mit meiner neuen Story – „wir brauchen da für eine Aufführung…“ – besorgte ich mir einen Satz preiswerte falsche Wimpern, ein Fläschchen flüssigen „Eye-Liner“ mit einem feinen Pinsel, eine Tube make-up-Creme und, als ich feststellte, daß das Geld noch reichte, künstliche Fingernägel, die wie Blättchen an einem Plastik-Stiel aufgereiht waren, und eine Flasche roten Nagellack. Fast zehn Mark ausgegeben – aber dafür brauchte ich dann heute eben kein Essen mehr!
Als ich zahlte, war es mir für einen Augenblick, als tauche hinter einer Spiegelsäule nocheinmal die eckige Hornbrille meines Tischnachbarn von vorhin auf – aber bis ich mich vergewissern konnte, war niemand mehr zu sehen. Und wenn schon – schließlich hatte der gute Mann ja auch das Recht, hier im Kaufhaus hin- und herzugehen, soviel er wollte? Begann ich schon Gespenster zu sehen?
Ich fragte die Dame, die mich – freundlich, aber offensichtlich ohne tief über meine Story nachzudenken – bedient hatte, noch nach dem Weg zu der ersten Adresse meines Perücken-Zettels: aber das schien ausgerechnet am anderen Ende der Stadt zu sein! Ich hatte heute kein Glück mit dieser Sache, konstatierte ich, und begann mich auf den Heimweg zu machen.
Der Bus war, wie das Busse so an sich haben, natürlich gerade weg, als ich an der Haltestelle ankam. Dafür entdeckte ich aber etwas anderes, als ich während des Wartens die Schaufenster studierte: in einer Drogerie lagen, in durchsichtige Plastikrollen verpackt, Kunsthaar-Zöpfe zum unwahrscheinlich billigen Preis von acht Mark! War das ein Wink des Himmels? Ich ging hinein und erstand, wieder “für eine Aufführung”, einen schwarzen Zopf. Keine Perücke, aber wenigstens irgendetwas Haarähnliches! Jetzt konnte ich doch ein kleines bißchen zufriedener nach Hause fahren …
Auf der Heimfahrt blätterte ich wieder im Kamasutra – aber der ansonsten so geschwätzige Autor kam nie mehr auf das Thema seiner als Damen verkleideten „Eunuchen“ zurück: lediglich bei der Behandlung der Chancen, Frauen königlicher Harems zu verführen, erwähnte er nocheinmal flüchtig, daß sich junge Männer natürlich als Frauen verkleiden könnten, um sich dort einzuschleichen – verzichtete aber, ganz entgegen seiner sonstigen Art, darauf, nun sämtliche dieser Möglichkeiten im Einzelnen aufzuführen und mit Fachausdrücken zu belegen. Denn er hatte ein weitaus besseres Rezept: die beste Methode von allen sei nämlich, meinte er, sich mit einer Salbe aus der Asche vom Herzen eines Ichneumons, der Frucht des Tumbi und Schlangenaugen zu bestreichen, wodurch man überhaupt völlig unsichtbar werde …
Was mir, da ich weder Ichneumons noch Tumbi zur Verfügung hatte und eigentlich auch gar keine indischen Haremsdamen verführen wollte – obwohl, wie er vertraulich verriet, die Frauen des Königs der Aparatakas ausgesprochen schlampig bewacht würden! – alles herzlich wenig nützte. Immerhin schien es so, als müsse das Tragen von Frauenkleidung nicht unbedingt mit Auparishtaka einhergehen – was mich wiederum einigermaßen beruhigte…
Zuhause angekommen, ging ich als pflichtbewußter Mensch als erstes zur Waschmaschine im Keller, die sich zwar vollautomatisch abgeschaltet hatte, aber natürlich immer noch unter Strom stand – nahm die Bettwäsche heraus, die in der Tat wieder ziemlich sauber geworden zu sein schien, und hängte sie auf der Terrasse – regengeschützt, denn es hatte wieder begonnen, sich zu umziehen – auf den Trockenständer.
Dann allerdings wandte ich mich – aufatmend aus meinen Männerkleidern schlüpfend – den Errungenschaften des heutigen Tages zu. Da waren zunächst einmal meine Luftballons, die ich sorgsam aufblies, bis sie mir die richtige Größe zu haben schienen – nur mißlang der Versuch, sie etwa auch in dieser Größe luftdicht abzubinden, immer wieder!
Aber gerade das brachte mich auf eine grandiose Idee: wenn ich die Dinger statt mit Luft am Hahn des Waschbeckens vorsichtig voll Wasser laufen ließ, konnte ich sie – an dem über den Wasserhahn gezogenen Ansatz – in aller Ruhe hängen lassen, bis ich mit dem Abbindefaden zur Hand war!
Nachträglich erwies sich das aber nur als der kleinste Vorzug – denn wassergefüllt bekamen die Ballons jetzt genau das Gewicht und die Konsistenz einer üppigen Mädchenbrust; und als ich sie in die Schalen des Büstenhalters schob, entdeckte ich noch ein Drittes: über den elastischen Blasen konnte ich die – glücklicherweise keineswegs eisenharten! – Muskeln meines Brustkorbs so zusammenschieben, daß sich ein geradezu erschreckend naturgetreuer Buseneinschnitt aus echtem Fleisch ergab!
Diese Entdeckung faszinierte mich so, daß ich der Reihe nach alle drei Büstenhalter Fräulein Lieselottes ausprobierte und schließlich bei dem blieb, der das beängstigend weiblichste Dekolleté ergab: so echt, daß die zarten, appetitlichen Rundungen, die erst unter dem Stoff völlig unmerkbar in die künstlichen Gummibrüste übergingen, mich selbst spürbar zu erregen begannen …
Fing ich jetzt an, mich in mich selber zu verlieben? Oder vielmehr in meinen neuen, weiblich ausstaffierten Körper? Langsam kannte ich mich selbst nicht mehr aus – aber es war auch viel schöner, nicht nachzudenken und nur diese strammen, schweren Mädchenbrüste genußvoll unter dem glatten Stoff zu streicheln …
Es fehlte nicht viel – und ich hätte mich gleich wieder , am hellichten Tag, aufs Bett geschmissen, um dieses neue wollüstige Gefühl voll auszukosten – doch da schrillte (glücklicher- oder unglücklicherweise, wie man will) plötzlich unerwartet in der Diele unten das Telefon.
Bis ich mich aufgerafft hatte und unten angekommen war, hatte allerdings der unbekannte Anrufer bereits wieder aufgehängt. Wer konnte das gewesen sein? Nun – vielleicht irgendein Anruf für Onkel Anton oder Tante Irma, die sowieso nicht da waren; also hatte der Anrufer , nichts versäumt. Immerhin hatte er mich aber so weit abgelenkt, daß ich mir wieder bewußt wurde, wieviel ich heute noch auszuprobieren hatte, und etwas ruhiger wieder nach oben stieg – nicht ohne dabei freilich genußvoll zu spüren, wie die schweren, weichen Gummiblasen vor meiner Brust bei jeder Treppenstufe ein wenig hüpften wie bei einem strammbusigen Mädel!
Wie erst die Büstenhalter, so probierte ich jetzt alle Kleider im Schrank durch, bis ich das fand, in dem der Ausschnitt am tiefsten war: ein blaukariertes, dirndlähnliches Hauskleid, über dessen viereckig ausgeschnittenem Mieder genügend Raum frei blieb, um mein neugeschaffenes Dekolleté höchst wirkungsvoll zu präsentieren …
Dann ging ich in Badezimmer hinüber, um dort auf dem Waschtisch, vor dem dreiteiligen Spiegel, meine Kosmetika und ihre Gebrauchsanweisung, das Schönheitsheft, auszubreiten. Wie vorgeschrieben, begann ich, ein Handtuch um die Haare gewickelt, mit der Analyse der Gesichtsform – und stellte erfreut fest, was ich eigentlich schon seit gestern abend wußte: ich kam verheißungsvoll nahe an die Idealform – „oval“ – heran. Die Nase war vielleicht ein bischen zu breit – die Brauen sahen natürlich, genau besehen, auch zu schwer aus: aber das konnte man ja alles korrigieren.
Tante Irmas Kosmetik-Ausrüstung war zwar …alles andere als raffiniert – aber wenigstens hatte sie eine Pinzette, mit der ich, über Onkel Antons Rasierspiegel gebeugt, die stärkeren schwarzen Brauenhaare auszuzupfen begann: und dann feststellte, daß ich fast nicht mehr aufzuhören wußte, bis ich endlich alle zu tief oder zu hoch sitzenden Härchen losgeworden war und nur noch eine schmale Braue über einem beängstigend hohen Brauenbogen übrigblieb.
Dann wusch ich das Gesicht gründlich mit Tante Irmas teurer Toilettenseife und begann nun – „hauchzart“, wie das Schönheitsheft es verlangte – die Teintcreme aufzutragen, sie sorgsam nach unten zum Halsansatz hin verstreichend. So, das war auch geschafft.
Zum Problem entwickelten sich jedoch die Wimpern, die zunächst überall kleben blieben – nur nicht da, wo sie hingehörten: und das Anbringen eines Lidstriches wurde zur echten Tortur.
Die sich allerdings lohnte: denn als ich jetzt noch etwas grünen Lidschatten auf den Augenlidern verteilt hatte, strahlten meine Augen faszinierend unter den schweren falschen Wimpern hervor wie bei einer der Damen in den zahlreichen Werbeanzeigen des Hefts.
Mit etwas mehr Routine zog ich jetzt nocheinmal die Brauen – vorsichtig genug der zurechtgezupften neuen Form folgend – nach: und traute meinen Augen nicht.
Allerdings nicht wegen des Effekts – sondern weil ich plötzlich, quer mit Kugelschreiber an den Rand der entsprechend Seite des Heftes geschrieben, die ich zur Kontrolle aufgeschlagen hatte, dort die Worte:
„Telefon 35 78 22 ab 18 Uhr“
entdeckte.
Ein Reklame-Eindruck – wie ich im ersten Moment noch dachte – war das bestimmt nicht: denn man sah deutlich, wie sich die Kugelschreiberschrift auf der Rückseite und der folgenden Seite durchgeprägt hatte.
Und wenn es ein Kugelschreiber war – dann kannte ich auch diese ausgefallene blaugrüne Farbe: Ich sprang auf und suchte nebenan in der Tasche meines Jacketts den Zettel mit den Perücken-Adressen – kein Zweifel, das war der gleiche Kugelschreiber; und diese Telefonnummer mußte der Mann mit der Hornbrille – jetzt stand mir das wieder ganz klar vor Augen – auf die aufgeschlagene Seite des Zeitschriftenhefts geschrieben haben, während ich auf der Toilette gewesen war!
Einen Augenblick lang spürte ich im Unterleib das gleiche Gefühl wie in einem nach unten startenden Aufzug: und er hatte mitangehört, wie ich mir am Stand im Erdgeschoß die Perücken zeigen ließ! Hatte wahrscheinlich auch in der Spielzeugabteilung meinen Kauf der Luftballons beobachtet! Und hatte dann – ganz bestimmt – auch im Erdgeschoß gewartet, bis ich mit der Rolltreppe hinunterkam, um auch noch meine letzten Einkäufe mitzuerleben!
Irgendwo hatte einmal etwas über einen „untrüglichen Instinkt“ gelesen, mit dem „abartig Veranlagte“ einander überall erkennen. Wenn es einen solchen Instinkt gab – und wenn er auf mich „angesprochen“ hatte: dann war es verständlich, daß der Mann mit der eckigen Brille mir weiter nachgegangen war, um Schritt für Schritt meine verräterischen Einkäufe zu verfolgen – schon der dauernde Wechsel der „ Story von der Schwester zum Kindergeburtstag und dann zur „Aufführung” sprach ja Bände! – und wenn er dann noch, als ich draußen war, gesehen hatte, daß ich ein „Lehrbuch der indischen Liebeskunst“ mit mir herumtrug. . . !
Einen Moment später wich meine Panik allerdings wieder kühlerer Überlegung: gut – wenn er das alles getan und beobachtet hatte, was hatte er daraus für Folgerungen gezogen ? Daß ich „einer von denen“ sei? Wahrscheinlich. Daß ich mich als Frau verkleiden wollte ? Ganz bestimmt. Und was hatte er dann gemacht? Eigentlich ja etwas ungemein Diskretes und Zurückhaltendes: er hatte mir seine Telefonnummer aufgeschrieben. Er hatte mich nicht angesprochen – oder vielmehr doch, aber völlig unverfänglich, als er mir den Kugelschreiber borgte – hatte mich nicht angerührt und war auch, das wußte ich nun ganz bestimmt, nicht etwa außerhalb des Kaufhauses hinter mir hergekommen.
Das hieß: er hatte mir – wahrscheinlich in allerbester in solchen Kreisen üblicher Form – die Entscheidung überlassen, ob ich auf seine Telefonnummer zurückkommen würde oder nicht. Wenn ich es nun eben nicht tat, dann kannte er mich nicht – ich ihn nicht – und in ein paar Tagen würde ich sowieso wieder weg sein. Sollte es doch dann irgendeinen Menschen hier in der Stadt geben, der wußte, daß ich ein paar ungewöhnliche Einkäufe gemacht hatte – was ging mich das an‘?! Außer dem allerdings beängstigenden Gefühl, daß ich neuer-dings – ob nun in Mädchen- oder Männerkleidern – einen stetig wachsenden Strom von mehr oder minder eindeutigen Offerten hinter mir herzuziehen begann: und war das nicht irgendwo auch ein Kompliment? – war das alles überhaupt kein Grund zur Beunruhigung.
Ich sah wieder in den Spiegel und klapperte probeweise ein paarmal mit den wimpernschweren Lidern: ich wollte mich jetzt bei meinem Vergnügen nicht stören lassen!
Die obere Gesichtspartie sah jetzt schon ganz phantastisch aus – nun mußte ich noch den Mund richtig hinkriegen. Auch das wurde, trotz Schönheitsheft, eine harte Arbeit, bei der ich immer wieder mit Fettcreme alles abschminken mußte, weil ich irgendwo zu weit herausgepatzt hatte und mehr down- als damenhaft aussah: aber endlich war auch das geschafft – und vollendet!
Ein paar Millimeter nach außen verlegter Schwung der Oberlippe – Bruchteile eines Millimeters verstärkte Unterlippe: was das ausmachte ! Aus einem ganz alltäglichen Männermund war da jetzt ein vor erotischer Lockung geradezu vibrierender Frauenmund geworden – und dazu die verheissungsvoll strahlenden Augen – wenn ich nun doch zum Teufel nur auch noch eine volle Lockenperücke gehabt hätte!
Nun ja – jetzt mußte es eben so gut gehen, wie es ging. Haar genug war ja in dem Kunsthaarzopf – bloß eben zunächst an der völlig falschen Stelle; es brauchte mehr als eine Stunde mühsamen Experimentierens mit Tuch, Haarklemmen, Faden und zum Schluß sogar Heftpflaster, bis ich daraus etwas gezaubert hatte, womit ich einigermaßen zufrieden sein konnte: die linke Seite des etwas asymmetrisch unter dem Rand des Schals befestigten Zopfes, den ich in zwei Hälften geteilt hatte, hing über der Wange in einer Locke herunter, die ich dann nach hinten wieder unter den Tuchrand eingefangen hatte – die rechte Hälfte dagegen schwang sich erst einmal in einer schrägen schweren Welle über die Stirn, ehe sie auch unter dem Tuchrand verschwand; und die äußersten Spitzen der langen Zopfhaare deuteten irgendwo zwischen den Falten am Hinterkopf an, daß dort auch noch damenhaft lange Haare drunterstecken müßten.
Es war eine völlige Freistil-Frisur fern von allem, was das Schönheitsheft für den Sommer empfahl – aber als ich die komplizierte Konstruktion endlich vorsichtig um meinen Kopf drapiert und auf-atmend mit einer Sicherheitsnadel hinten zusammengeklammert hatte, war ich mit der Wirkung vollauf zufrieden: jetzt rahmte wenigstens rabenschwarzes Haar das zarte Oval des Mädchenantlitzes ein – und genau dieser Rahmen hatte zum vollen Effekt noch gefehlt: das war eine Puppe, die man geradezu auf der Stelle küssen wollte!!!
Genau in diesem Augenblick schrillte wieder das Telefon. Einen Augenblick dachte ich mit kaltem Entsetzen an den Mann mit der Hornbrille – aber der hatte gar nicht meine Telefonnummer, sondern nur ich seine! Erleichtert aufatmend sauste ich diesmal in undamenhaftem Tempo die Treppe hinunter – diesmal wollte ich wissen, wer da anrief, schon um beruhigt zu sein.
„Hier bei Lindemann —“ meldete ich mich etwas atemlos.
„Gestatten Sie, hier spricht Mertens – Alexander Mertens“ antwortete eine gepflegte Männerstimme. „Ich hatte vorhin schon einmal angerufen, aber da meldete sich bei Ihnen niemand. Ich hatte gestern die Ehre – “ er unterbrach sich , „aber sind Sie das nicht selbst am Telefon?“
Ich konnte fast nicht mehr: da machte ich mir stundenlange Gedanken über meine Stimme, kickste und knödelte – und dann, wenn ich mich ganz normal am Telefon meldete, erkannte Herr Mertens meine charmante Stimme selbst durch den Draht! Einen Augenblick schwankte ich noch, ob ich nicht doch noch einen Rückzieher machen sollte – aber das Kompliment war zu verführerisch:
“Ja – Herr Mertens!“ flötete ich freudig,. „Wie haben Sie mich denn – ”
„Oh – “ er war schon wieder etwas verlegen, „die Nummer Ihrer Verwandten steht doch im Telefonbuch! Aber weshalb ich anrufe : Zunächst einmal natürlich wollte ich fragen, ob Sie die Aufregung von gestern abend gut überstanden haben – und dann – “ er zögerte wieder etwas (weil er jetzt, wie sich gleich herausstellte, eine faustdicke Lüge produzieren wollte) “ – und dann habe ich heute , das heißt genau genommen war es Strupps, an der Stelle, wo Sie da gestern abend gestürzt waren, etwas gefunden, was Sie vielleicht verloren haben könnten, und da wollte ich nun -„
Ich überlegte, während er sprach: Konnte ich da wirklich was verloren haben? Aber woher oder woraus? Nein, das sah doch viel eher so aus, als habe der erfindungsreiche Herr Mertens den ganzen Tag lang nach einem plausiblen Vorwand gesucht, sich heute wieder melden zu können!
„Gefunden ?!“ fragte ich – am Telefon erheblich mutiger mit der Stimme als im persönlichen Gespräch. „Aber was denn ?!“
„Oh – so ein kleines – äh , Dingsda – wie soll ich Ihnen das beschreiben jetzt am Telefon – sagen Sie, kann ich nicht rasch bei Ihnen vorbeikommen und es Ihnen gleich geben, wenn Sie jetzt doch zuhause sind?“
Alexander, Alexander – lügen mußt Du auch erst noch richtig lernen, dachte ich kopfschüttelnd; ich war neugierig, was er da eigentlich angeschleppt bringen wollte – aber das brachte mich zum eigentlichen Problem zurück: wollte ich denn Herrn Mertens hier im Haus empfangen?
Hätte man mich das vorher gefragt, so wäre meine Antwort natürlich gewesen, daß mir nichts ferner lag, als hier – im geheimen Hauptquartier gewissermaßen – wildfremde Leute zu empfangen: und am allerwenigsten als Mädchen kostümiert.
Aber hatte nun weibliche Unlogik bereits so weit von der Kleidung auf mich selbst abgefärbt – oder war es, weil ich mich ausgerechnet in diesem Augenblick so wunderhübsch herausgeputzt hatte, daß ich geradezu Sehnsucht nach einem Pu-blikum hatte – oder war es wirklich diese verdammte Auparishtaka-Sinnenlust?! – jedenfalls antwortete ich, als er schon etwas beunruhigt fragte:
„Hallo – sind Sie noch am Apparat, bitte ?!“
mit schöner Liebenswürdigkeit:
“Nun ja – wenn es Ihnen nichts ausmacht, Herr Mertens – „
„Aber ganz im Gegenteil!“ versicherte er etwas gar zu ehrlich. „In drei Minuten bin ich bei Ihnen!“
„Also gut – in drei Minuten !“ bestätigte ich fröhlich und hängte ein.
Ich wußte nicht, wie sich ein wirkliches junges Mädchen benimmt, wenn es in drei Minuten den Besuch eines netten jungen Herrn erwartet: ich jedenfalls hopste wie ein aufgeregtes Huhn vor dem Spiegel herum, zupfte hier noch ein Löckchen und da noch das Kleidchen, um alle meine Reize voll zum Tragen zu bringen, und trainierte dazwischen rasch noch die Tonlage für die Begrüßungsworte, knipste das Dielenlicht abwechselnd an und aus – über der ganzen Maskerade war es schon dämmrig geworden – und müßte auf jeden außenstehenden Betrachter den Eindruck holdester bräutlicher Erwartung gemacht haben, bis endlich die Klingel schellte und ich meinen Besucher – der Vorsicht und der Nachbarn halber nun doch ohne Dielenlicht – einlassen konnte.
„Kommen Sie doch herein, Herr Mertens!“ sagte ich mit erstaunlich wohlgelungenem warmem Timbre und schaltete das Licht ein.
Aber wahrscheinlich hätte ich genausogut mit der Blechstimme eines Science-Fiction-Film-Computers sprechen können – Herrn Mertens wäre es nicht aufgefallen: der gute Junge war von meinem Anblick völlig überwältigt.
Wahrscheinlich war es gerade der Kontrast zwischen dem schlichten Hauskleidchen und rustikalen Kopftüchlein einerseits – dem raffinierten und dadurch schon wieder unauffälligen make-up andererseits: oder war es der Ausschnitt, der einem Schenkmädchen in einem Musketier-Film alle Ehre gemacht hätte – jedenfalls sah er mich an wie ein Archäologe, der soeben die Venus von Milo – aber völlig intakt – ausgegraben hat, und brachte kein Wort heraus.
Nun hatte Alexander Mertens anscheinend die geheimnisvolle Gabe, den weiblichen Charme in mir zu ungeahnten Leistungen zu beflügeln, ohne daß ich mich darum im geringsten bewußt zu bemühen brauchte. Ich trat also instinktiv zwei Schritte zurück – dadurch noch besser genau unter dem Licht der Dielenlampe landend – und sagte aus einer momentanen Inspiration heraus schelmisch drohend:
„Und – ganz ohne Anstandswauwau heute ?!“
Immerhin gab ihm das endlich ein Stichwort, um die Sprache wiederzufinden:
„Ach ja, Strupps – nein, den guten Strupps habe ich zuhause gelassen – in fremden Häusern stiftet der oft Unheil, der gute Kerl – „
„Schade – er ist so süüß!“ plapperte das wildgewordene Mädchen in mir weiter.
Aber kommen Sie doch richtig herein – ich bin schon furchtbar neugierig!“
„Hm – ja – vielen Dank!“ rettete er sich erst einmal in seine ihn nie im Stich lassenden korrekten Manieren zurück.
„Wollen Sie nicht ablegen?“ fragte ich, ganz charmante Gastgeberin.
„Oh – nein – ja, doch – danke!“
Ich konnte mich gerade noch stoppen, sonst hätte ich ihm aus versehen aus dem Mantel geholfen – so reichte ich ihm nur mit der Geste einer Orden verleihenden Königin einen Kleiderbügel hin und schritt dann voran ins Empfangszimmer.
Ich persönlich fand die „repräsentative“ Einrichtung von Tante Irmas Haus zwar fürchterlich – aber für einen korrekten Besucher wie Alexander Mertens war sie wie maßgeschneidert. Wir machten beide in einem Höflichkeitswettbewerb, dessen Regeln er erheblich besser beherrschte als ich, wiederholte Anstalten, uns in den Sesseln niederzulassen, dabei aber auf den anderen zuwarten – bis ich schließlich durch ein kühnes Strategem doch, als er sich gerade endgültig niedergelassen hatte, wieder aufstehen konnte:
„Darf ich Ihnen etwas anbieten?“
„Aber bitte nein – machen Sie sich doch keine Umstände – “ wehrte er ab. Aber jetzt wollte ich meine Revanche für gestern abend, wo ich mit meinen Ablehnungsversuchen nie durchgekommen war:
„Aber doch: einen Kognak ? Oder einen Whisky ?“ (Hoffentlich fand ich das Zeug nachher auch im Schrank!)
„Aber ich weiß wirklich nicht – „
„Nun geben Sie mir doch keinen Kooorb !“ schmollte ich. „Ich hätte Sie gestern abend schon mit hereinbitten sollen, nachdem Sie sich so nett um mich gekümmert hatten! Tante Irma hat mir richtiggehend Vorwürfe gemacht!“
Um Himmelswillen, was spann sich denn meine weibliche Inspiration da alles zusammen? Aber es wirkte:
„Also dann einen Kognak !“ ergab sich mein Gast in sein Schicksal.
Gottseidank – Kognak wußte ich, und konnte ihn ohne allzuviel Herumkramen kredenzen. Indessen hatte sich auch Herr Mertens wieder gesammelt und ging nun seinerseits in die Offensive:
„Nun setzen Sie sich aber endlich aber auch und schauen Sie sich an, was Strupps – “ (dieser ahnungslose Komplize!) „- da heute gefunden hat – genau an der Stelle, wo – “ er brach ab („wo ich Sie aus dem Rinnstein geholt habe“ konnte er ja schlecht sagen, und „wo Sie gefallen sind“ gemahnte vielleicht zu peinlich an „gefallenes Mädchen“?)
Nicht ohne Dramatik griff er in die Westentasche seines korrekten Anzuges und holte ein winziges Seidenpapierpäckchen heraus, das er mir über den Tisch zureichte. Ich mußte mich vorbeugen – und gab ihm dabei mit lustvollem Prickeln einen unerwartet tiefen Einblick in meinen ohnehin schon recht freigiebigen Ausschnitt (soll er doch sehen, was wir alles an Lager haben!).
„Wollen Sie es denn nicht auspacken ?“ erkundigte er sich, (ich mußte nicht soviel Gedanken nachhängen, sondern mich wieder auf die Intuition verlassen – sonst fiel ich noch aus der Rolle!).
„Oh ja – entschuldigen Sie – “ Es war fast ein Strapaze, mit den ungewohnten langen falschen Fingernägeln das Papier auseinanderzufalten – aber zumindest konnte ich dabei eine Schau mit meinen jetzt noch viel schmaler und damenhafter wirkenden Händen abziehen. Dann lag das Wunderding endlich vor mir:
Eine winzige silberne Sphinx als Armkettchen-Anhänger. Sehr geschickt gemacht – sowas könnte eine junge Dame wirklich abends im Rinnstein verloren haben!
„Oh – ist die niedlich!“ begeisterte ich mich – aber dann fügte meine computerschnell arbeitende weibliche Intuition hinzu: „Aber soviel Geld hätten Sie doch nicht ausgeben dürfen!“
Es dauerte genau drei Sekunden – ein-und-zwan-zig, zwei-und-zwan-zig, drei-und-zwan-zig, zum Mitzählen – bis die Implikation meiner Worte auch Herrn Mertens klargeworden war: aber dann hatte er auch in seiner methodischen Art alles wieder auseinandergenommen, was in diesen Satz eingepackt war.
„Sie – Sie sind mir also nicht böse ?“ fragte er und sah mich so treuherzig an wie sein Strupps, wenn man ihn mit einem geklauten Knochen erwischt hätte.
“Ich – “ – kleine dramatische Pause – dann ein warmes Lächeln mit niedergeschlagenen Augen: “ – ich bin noch nie auf eine so reizende Art beschwindelt worden!“ (mein Damen-Computer übertraf sich selbst – das war bühnenreifer Dialog! Und das ging noch weiter:)
„Aber – “ Augen auf und strahlender Blick! “ – dahinter komme ich immer: das müssen Sie sich merken, Herr Mertens!“ (… und noch immer kam was: ich hob das Glas und lächelte ihn über den Rand hinweg an) “ – und darauf: Chin-chin!“
„Chin-chin!“ wiederholte er erleichtert (Chin-chin war Blödsinn, weil es nur zu Eiswürfeln im Glas paßte – aber „Prost!“ wäre an dieser Stelle noch weniger gegangen: man soll halt keine Cocktail-Konversation machen, wenn man bloß Kognak auf den Tisch bringt!).
Damit allerdings war der Faden bei mir zunächst mal abgerissen – und bei Alexander Mertens auch (bühnenreife Konversation war ohnehin nicht seine Stärke). Wir saßen also da und schauten uns gegenseitig an.
Irgendwie ist es eine Schande, wie Du mit dem netten Kerl da herumflirtest, sagte etwas in mir. Der kann ja nun wirklich nichts dafür, daß er ausgerechnet auf Dich hereinfallen mußte: Und daß Du ihn jetzt noch immer weiter an der Nase herumführst, ist regelrecht gemein.
Aber reizvoll – verdammt reizvoll, antwortete eine andere Stimme (das wildgewordene Mädchen in mir?). Nun laß mir doch auch einmal mein Vergnügen – ich verspreche ihm ja schließlich nicht die Ehe! Er weiß schließlich genau, daß ich in ein paar Tagen wieder abreise – und es liegt überhaupt kein Grund zu der Annahme vor, daß er etwas anderes will als ein bißchen mit einem netten Mädchen reden. Nun bin ich zur Zeit ein nettes Mädchen – warum also soll ich nicht mit ihm reden ? Und zwar so nett wie möglich ?!
Indessen hatte auch der Mertens-Computer – langsamer und methodischer als mein neuentdeckter, aber dafür auch mit profunderen Ergebnissen aufwartend – gearbeitet.
„Ja – “ sagte er und warf einen philosophischen Blick auf das silberne Sphinxchen auf dem Tisch,“ was wird nun aber aus dem armen Tierchen?“
Auch er schlug jetzt die Augen voll zu mir auf: „Ich meine ja, daß es sich bei Ihnen immer noch wohler fühlen würde als bei mir oder gar im Rinnstein, aber – „
„Müssen wir das denn unbedingt heute abend entscheiden ?!“ Mein Blitzcomputer – mit seiner Spezialität der doppelten Implikation – hatte wieder zugeschlagen: und wieder brauchte der andere seine Zeit, um dieses neue Doppelpaketchen zu sortieren.
“Nein – das müssen wir natürlich nicht h e u t e abend entscheiden!“ stimmte er dann begeistert zu. „Aber – wenn Sie heute abend Zeit hätten – „
Fragender Blick unter falschen Wimpern hervor –
“- dann dachte ich, da Sie ja gestern gar keinen schönen Eindruck vom Spazierengehen in unserer Stadt bekommen haben – und da heute das Frühlingsfest losgegangen ist – „
(Ach ja – das hatte ich vom Bus aus gesehen: ein Riesen-Rummelplatz mit Karussells und Schaubuden!)
„- und Sie Zeit und Lust hätten – natürlich nur wenn Ihre Frau Tante einverstanden wäre – „
(Oh Gott ja – die Tante als Anstandsdame hatte meine wildgewordene Intuition ja auch noch in die Sache hineingemischt!)
“ – dann hätte ich Ihnen furchtbar gern unsere Stadt mal von einer netteren Seite gezeigt!“
Die dritte Offerte! Ich mußte ja Sex aussenden wie eine Radarstation!
Jetzt ist Schluß, befahl die nüchterne Stimme in mir. Jetzt hörst Du gefälligst mit dem Unfug auf.
Gerade jetzt, wo es unterhaltsam wird? protestierte das wildgeworden« Mädchen. Was kann denn schon auf so einem Bummel passieren?!
“Nun ja – also ich weiß nicht – – “ temporisierte ich.
„Sie sind mir also doch noch böse?” Treuherziger Terrierblick – wenn man es genau besah, war der Alex in seiner Art genau so raffiniert wie ich!
“ – – wie das Wetter heute abend wird!“ bog mein unverwüstlicher Computer den Satz rasch noch um. „Es scheint sich wieder ein Regenwetter zusammenzuziehen!“
„Aber – im Regen sehen Sie doch immer besonders reizend aus!“
schoß Alexander Mertens mit schwerem Kaliber in die sich auftuende Bresche – genau mitten ins Herz des Regenmantel-Ticks meines wildgewordenen Mädchens! (ich hatte allmählich das Gefühl, daß sich unsere Flirt-Computer bereits längst einig waren, während wir noch glaubten, uns frei zu entscheiden … )
Es kam, wie es kommen mußte: in einer Dreiviertelstunde würde ich – das hatte ich nun doch herausgehandelt, um keinen allzu auffälligen Publikumsverkehr in Tante Irmas Haus zu provozieren – an Alexander Mertens Haustür klingeln („da meine Tante auch nicht alles zu wissen braucht!“- so kam die gute Tante, die mein Computer rechtzeitig eingespeichert hatte, jetzt zu Ehren – und mich – treulich von meinem Beschützer begleitet – in die sanften Wogen des Rummel-Vergnügens stürzen.
Und damit verabschiedete sich Herr Alexander Mertens – in dem Gefühl, eine siegreiche Schlacht geschlagen zu haben. Das Sphinxchen hatte er wieder eingepackt – es war ja schließlich eine Garantie für den übernächsten Abend …
Viertes Kapitel: Rummel – Bummel
„… so ging er mit seinem Fange zum Bummeln
doch war er noch immer zu bange zum Fummeln …“
Rummelplätze – stellte ich fest – sollte man überhaupt nur als schicke junge Dame besuchen: zweckmäßigerweise begleitet von einem netten jungen Herrn, der einen intensiv, aber zurückhaltend anhimmelt.
Wir erfüllten diese Voraussetzungen fast vollkommen: Alexander Mertens zu hundert Prozent – ich mit den mir nur zu bewußten Einschränkungen; aber zumindest äußerlich fühlte ich mich in bester Form (noch präziser gesagt, in besten Formen).
Ich hatte für diesen Rummel-Bummel wieder das angezogen, was ich inzwischen privat als meine „große Nutten-Uniform“ bezeichnete: Lackstiefel, Regenmantel und Kopftuch (letzteres diesmal freilich über meine mit so großer Mühe drapierten Locken und das alte Tüchlein hinweggebunden, was zumindest dem Volumen nach eine größere .Haarfülle vortäuschte, als ich sie zu meinem Leidwesen derzeit noch besaß); die Umhängetasche hatte ich wieder keß über die Schulter geschlungen, aber den Schirm diesmal zuhause gelassen. Der glänzende Stoff straffte sich wieder aufreizend über meinen Gummibrüsten, und der weite Mantel wippte kokett bei jedem Schritt, den ich am Arme meines Begleiters tat.
Das Einhängen hatte sich genau so selbstverständlich ergeben, wie die Gelegenheit, ihm – das hatte wieder mein losgelassener Flirt-Computer vollbracht – eine vertrauliche Anrede bei voller Wahrung des Inkognitos zu gewähren: als er im Bus endlich auf das – ja seit langem fällige – Thema zu sprechen kam, daß er meinen Namen noch immer nicht wisse, hatte ich ihm mit vieldeutigem Lächeln erklärt:
„Heute abend dürfen Sie mich Sylvia nennen!“
Wieso ich ausgerechnet auf Sylvia verfiel, weiß ich bis heute noch nicht: weder zu Rhea Silvia, der vestalischen Jungfrau, deren nicht so ganz jungfräulichem Verhalten Mars gegenüber die Knaben Romulus und Remus ihre Existenz verdankten – noch zur heiligen Silvia, die (ich weiß nicht, ob auf ähnliche Weise) Mutter des Papstes Gregor des Großen gewesen war, hatte ich irgendeine innere oder äußere Beziehung; aber ich fand den Namen jedenfalls höchst weiblich, kapriziös und passend.
„Sylvia“ und „Alex“ (so hatte ich ihn kühn gekürzt) besiegelten diese – offiziell ja nur auf einen Abend beschränkte – neue Intimität sogleich an einer Bude mit „echtem Alpen-Enzian“ (übrigens einem der scheußlichsten Gesöffe, die mir je – als Mann oder Fräulein – über die Lippen gekommen waren): und entfesselt, wie die Sylvia in mir an diesem Abend nun einmal war, bot sie ihre kirschroten Lippen nach dem verbrüdernden Schluck dem überraschten Alex zu einem ebenso kurzen wie keuschen Küßchen!
Ich selbst war über diese neue Eigenmächtigkeit fast genau so verblüfft wie mein Partner: aber genau wie er höchst gentlemanlike – das heißt, mit einer Mischung aus Zurückhaltung und Energie, die andeutete, daß er sich in der Tat zurückhalten mußte – auf diese unvermutete Offerte einging, so benutzte Sylvia die Gelegenheit, ihn dabei gerade so kurz, daß er Absicht oder Zufall nicht unterscheiden konnte, ihre wohlgerundeten Brüstchen spüren zu lassen. Dann lachte sie ihn wieder an – charmant im unklaren lassend, ob das eine Aufforderung oder im Gegenteil amüsiertes In-die-Schranken-Weisen sei…
Was eigentlich heute abend mit mir los sei – darüber war ich mir selbst in fast beunruhigender Weise nicht mehr klar: ich war abwechselnd schockiert und dann wieder in prickelnder Weise gereizt von den Aktionen dieses Fräulein Sylvia – das sich benahm, als habe es nur auf eine solche Gelegenheit gewartet, um ein Arsenal weiblicher Koketterie loszulassen, das ich selbst nie in mir vermutet hatte! Jetzt wieder am Arm ihres Begleiters, versäumte sie keine Gelegenheit, „ausversehen“ mit der linken Brust oder Hüfte in Kontakt mit ihm zu geraten – immer natürlich nur, wenn irgendeine Wendung oder ein Anhalten vor einer Bude das absolut unverfänglich erscheinen ließ; und das Gefühl warmer, straffer Männerlippen auf dem weichen, einladenden Sylvia-Mund genoß ich noch viele Minuten später in der Erinnerung weiter.
In der Tat verging nur kurze Zeit – dann verlor sich alle Erinnerung daran, daß ich bisher in ganz anderer Kleidung, mit ganz anderen Regeln, in ganz anderer Person durch die Welt gegangen war: heute abend war ich das Mädchen Sylvia – ein ebenso hübsches wie, was mich anfangs so verblüfft hatte, ungemein charmantes Mädchen mit einer eigenen, faszinierenden Persönlichkeit, der ich gefesselt wie der Hauptdarstellerin eines Films zuschaute: nur mit dem Unterschied,,daß ich diesmal mit Leib, Seele, Haut und Haar (wenn auch nur einem Kunsthaarzopf!) in ihr drinsteckte!
Wie auf der Achterbahn (die wir natürlich, Sylvia an den abschüssigen Stellen im entzückendsten Diskant aus voller Kehle kreischend und sich haltsuchend mit Arm und Mädchenbrust an Alex klammernd, genußvoll erlebten) ließ auch ich mich von den überraschend programmierten Spiralen und Sturzfahrten dieser entfesselten Mädchenseele einfach mitreißen: im Stillen wohl überzeugt, daß – genau wie bei der Achterbahn – schon nichts passieren könne.
Daß wirklich nichts passierte, lag wohl überwiegend an Alex, der – bei aller Faszination, die diese entzückende, wohlgeformte und charmante Sylvia auf ihn ausüben mußte – mit einer schon fast übermenschlichen Zurückhaltung perfekter Gentleman blieb: da verirrte sich selbst im Dunkel der Geisterbahn nie die Hand des Arms, den er schützend um meine schmalen Mädchenschultern gelegt hatte, an eine unziemliche Stelle – noch, in der Enge einer Riesenradgondel, etwa auf mein seidenbestrumpftes, verführerisch nahe neben dem seinen liegendes Knie…
Auch das akzeptierte Sylvia in mir mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit: daß sie für Alex nicht „so eine“ sei, bei der man versuchen könnte, am zweiten Abend bereits irgendwo uneingeladen herumzufummeln, schien ihr hundertprozentig klarzusein; dagegen benutzte sie jede Gelegenheit – und sei es selbst das Essen eines Heringsbrötchens – ihn in ungemein damenhafter, aber unübersehbarer Weise darauf aufmerksam zu machen, daß sie eine Frau mit allem, was man sich an Kurven, Grazie und unausgesprochenen Verheißungen nur wünschen könne, sei! Und wenn er es auch nicht in handgreiflichen Gesten zeigte: Sylvia, mit diesem neuentdeckten weiblichen Instinkt in mir, spürte fast körperlich, daß jede dieser Botschaften ihr Ziel erreichte…
Die Krisis diesen Abends kam vor dem „Casino de Paris“ – einer mit rührender Naivität, Ölfarbe und bunten Glühbirnen als das, was man sich vor fünfzig Jahren in Hinterschlummersdorf als „Pariser Leben“ ausgemalt haben mochte, aufgeputzte Schaubude, vor deren verwitterten Gold- und Silber-Stuckfüllungen sich eine herausfordernd geschminkte Dame mit weißvioletten Locken und einem von Taftrüschen strotzenden schwarzen Abendkleid beschwörend bemühte, Besucher anzulocken:
“ … und wieder beginnt in wenigen Augenblicken die neue Vorstellung, die neue Revue, die neue Schau in unserem Casino de Paris -dem Paradies der schönen Frauen!“
Die „schönen Frauen“ standen – zu viert – unbeweglichen Gesichts und innerlich wahrscheinlich in der kühlen Nachtluft frierend, in mehr oder minder paillettenbesetzten Abendkleidern auf der Vorderbühne der Bude und wirkten kaum so, als seien sie soeben einem für sie geschaffenen Paradies entsprungen; der fünfte im Bunde war ein hagerer Mann, dessen Gaunervisage zu seinem Frack ebenso paßte wie die Ankündigung zu der ganzen, Müdigkeit ausstrahlenden Szene.
“Wollen wir uns das Paradies noch näher schildern lassen ?“ raunte Sylvia ihrem Begleiter mit unterdrücktem Lachen zu.
„Lieber nicht – “ sagte Alex ernst, „sonst erfaßt mich nämlich eventuell ein Sinnentaumel – Sie wissen schon, Tannhäuser im Venusberg oder sowas…“
„Genau in solch einer Versuchung wollte ich Sie schon immer einmal sich bewähren sehen: jetzt gerade!“ dekretierte Sylvia streng.
„… und gerade auch Sie, meine Damen: gönnen Sie Ihren Herren auch einmal einen Blick in die Geheimnisse der Stadt der Liebe, des Schööönen Paris!“ knödelte die Violettgelockte vertraulich. „Wir Frauen wissen doch – da holen sie sich den Appetit, aber gegessen wird zuhause – !“
Pflichtschuldigst brachen einige brave Bürgerinnen, die im Vollbesitze ihrer hundertachtzig Kilo am Arme ihrer „Herren“ – biederen Eisenbahnschaffners- und Gemüsehändlersgestalten – vor der Bude stehengeblieben waren, in zurückhaltende Fröhlichkeit über diesen originellen Scherz aus. Ermutigt fuhr die Anpreiserin des Paradieses fort:
„Und da haben wir als erstes unsere charmante Estelle, die mit ihren schönen Künsten …“
Estelle, unter starrem make-up unausweichlich den Vierzigern zustrebend, schaltete ein „charmantes“ Lächeln ein und bewies ihre Kunstfertigkeit, indem sie sich im Verlauf von vier Tanzschritten einmal um die eigene Achse drehte und dabei ein noch recht wohlgeformtes Bein aus dem Rockschlitz blitzen ließ.
„Mich übermannt’s -“ warnte Alex ernsthaft.
“ … Ihnen noch viel, viel mehr zu zeigen als es hier draußen die Behörden erlauben!“ gurrte die Ausruferin. „Und nun erst die reizende Claudette – „
Claudette – rundes Kindergesicht mit kühngeschminkten Lippen und Brauen – knickste mit der Grazie eines jungen Fohlens.
„… könnte sie noch für ein Kind halten,“ (so ganz an der Realität konnte selbst die Weißviolette nicht vorbei), „aber … “ fuhr sie mit geheimnisvoll gesenkter Stimme fort,“ … sehen Sie sie erst in unserer Revue, und Sie werden sagen: nein, das ist kein Kind mehr – “
„Lasterhöhle!“ murmelte Alex schockiert. „Das kann man ja keinem Menschen zumuten … „
„Sie wollen sich nur der Versuchung entziehen – “ zischelte Sylvia zurück, “ – Sie bleiben hier!“
„Aber nun – “ die Anpreiserin hob ihre Stimme und wies auf die dritte „schöne Frau“, “ Sylvia !!!“
Sylvia die Zweite – zweifellos die Bestaussehende der ganzen Runde – warf unter dicken falschen Wimpern einen verheißungsvollen Blick ins Publikum.
„Sylvia Orchidea – das Mysterium von Montmatre! “ fuhr die Ausruferin, mit unerwartetem Sinn für Alliterationen, fort: „Jahrelang in Stätten des Lasters vor lüsternen Augen zur Schau gestellt -„
„Ich sag’s doch: Lasterhöhle!“ flüsterte Alex mir wieder zu.
“ – bis sie endlich der berühmte Gelehrte, Professor Charcot von der Academie Francaise, aus diesem unwürdigen Dasein erlöste und den Medizinern der Welt dieses einmalige Phänomen als unlösbares Rätsel vorstellte – „
Sylvia die Zweite hob einen schwarzen Straußenfederfächer, Rätselhaftigkeit symbolisierend, vors Antlitz.
„Sylvia Orchidea – geheimnisumwittertes Spiel der Natur, über das sich die Wissenschaft heute noch nicht einig ist: Mann oder Weib?!”
Die Erwiderung, die ich auf der Zunge gehabt hatte, blieb mir im Halse stecken.
Wenn ich direkt auch körperlich zusammengefahren war – glücklicherweise fiel es schwerlich auf, denn nach dieser dramatischen Ankündigung reckten auch die anderen Zuschauer, die sich inzwischen angesammelt hatten, die Hälse – als Sylvia Orchidea nun mit wohlberechneter Langsamkeit den Fächer wieder sinken ließ und der Reihe nach ein durchaus weibliches Gesicht mit vollen sinnlichen Lippen, einen schlanken Hals, wohlgeformte Schultern und einen halbentblößten Busen forschenden Blicken präsentierte, .den Fächer dann ganz sinken ließ und provozierend hüftenschwenkend dem Eingang ins Budeninnere zuschritt. An der Tür machte sie noch einmal halt und schmiß, während sie sich lüstern am Türbalken räkelte, einen verführerischen Blick ins Publikum:
„Ist es möglich – “ beschwor die Weißviolette, „kann dieses Bild hinreißender Schönheit, betörenden Reizes – dieser Körper, dieses Antlitz, diese Grazie – “ sie wies ausgestreckten Armes auf die rotlockige Schöne, “ – in Wahrheit ein Mann sein ?!!”
Selbst Alex schien diesmal um einen Kommentar verlegen – ich, verständlicherweise, erst recht.
“Kommen Sie in unsere Schau – sehen Sie es selbst: dann enthüllt sich Ihnen auch dies Geheimnis – das Geheimnis der rätselhaftesten schönen Frau aus dem schööönen Paris !“ Und damit rauschte Sylvia Orchidea mit einem letzten aufreizenden Hüftenschwung durch den Vorhang nach innen.
„Doch nicht minder staunen werden Sie über Frou-Frou mit ihren gewagten – „
Doch im Moment war mir der Sinn für solche Ankündigungen – geschweige denn für geistvoll-amüsierte Kommentare dazu! – völlig vergangen. Diese „Sylvia Orchidea“ (mußte sie – oder er? – sich auch noch ausgerechnet meinen Namen ausborgen?) hatte mich gleich dreifach schwer angeschlagen: zunächst, wie jedermann verstehen wird, fühlte ich mich aus dem Traumland, in dem ich eben noch wohlig geschwebt hatte, jäh auf den Boden der peinlich-schalen Fakten zurückgeholt: ich war eben keineswegs eine charmante, weiblich-überlegene Sylvia – sondern ein mit Luftballons, Schaumgummipolstern und Kunsthaar für acht Mark aufgeputzter junger Mann, der (ein heiß-kaltes Gefühl der Scham begann in mir aufzusteigen) nicht einmal ehrlich genug war, seine Abnormität in einer Schaubude auszustellen, sondern geschmacklos genug, damit einen völlig harmlosen, netten Kerl, der ihm nichts Böses getan hatte, hereinzulegen! Wenn ich nun schon nicht normal, sondern abwegig veranlagt war – welches Recht hatte ich, den unbeteiligten Alex in meine Abnormitäten mitzuverwickeln?!
Doch zugleich mit dieser lähmenden Ernüchterung stieg, sie überlagernd und fast in den Hintergrund drängend, eine ganz andere Gedankenkette in mir auf: bis jetzt war die Idee, als Mann Frauenkleider anzulegen, meine ganz persönliche, einsame Passion gewesen. Gewiß hatte ich irgendwo gelesen und gehört – und jedes Wort darüber begierig verschlungen! – daß es sicher auch andere Männer („Damenimitatoren“, gelegentlich in Zeitungsmeldungen erwähnte „Gauner“ oder „Abwegige“ – oder meinen speziellen Helden, den „schönen Conny“) geben mochte, die auch so etwas taten: aber das waren weltenferne, unpersönliche Berichte gewesen – jetzt hatte hier, kaum fünf Meter von mir entfernt, so ein Mann gestanden: lustvoll-erschreckend „echt“ hergerichtet – im hautengen Goldlamee-Abendkleid – mit üppiger tizianroter Perücke! Auch so einer wie ich!
Und ganz offenbar – während ich der lächerlichste Anfänger war – ein Routinier in diesen Dingen: ohne die Ankündigung der Ausruferin wäre ich nicht im Traum auf die Idee gekommen, ihn für etwas anderes zu halten, als was er schien – eine „tolle Frau“!
Wie machte er das? Wie war er überhaupt dazu gekommen? Wie lebte er, wenn er nicht auf der Schaubudenbühne stand – auch als Frau? Oder in Männerkleidern? War das für ihn nur eine artistische Rolle – wie für irgendeinen. Schauspieler, der im Film Frauenkleider anziehen mußte – oder spürte er dabei genau die gleiche faszinierende Lust wie ich? Irgendwo ließ mich der Gedanke nicht mehr los, mit dieser „Sylvia Orchidea“ zu sprechen – ihr (oder vielmehr ihm) von meiner abwegigen Leidenschaft zu erzählen, vielleicht gar Erfahrungen, Gemeinsamkeiten, Tips auszutauschen, ihn. gar sagen zu hören: „… endlich kann ich mich mal mit jemand aussprechen, der genau so fühlt wie ich!“?
Aber Unsinn. Der – oder die – hatte gewiß etwas anderes im Sinn, als mit mühsam hergerichteten Amateuren herumzuplaudern. Oder? Noch schlimmer: wenn diese Sylvia Orchidea – „jahrelang in Stätten des Lasters vor lüsternen Augen zur Schau gestellt“ – nun total verdorben, pervers, verbrecherisch war? Nur darauf lauerte, mich, der ich ohnehin schon in erschreckender Weise auf die „schiefe Bahn“ geraten war, endgültig in unaussprechliche Laster einzuführen?! War ich ernstlich sicher, dem widerstehen zu können? Sollte ich solche Menschen nicht lieber wie die Pest meiden – genau so, wie ich diesen seltsamen Telefonruf in der Damenzeitschrift nie benutzen würde!
Denn – und das war das dritte und Erschreckendste: Obwohl – oder gerade weil? – ich wußte, daß all die Schönheit, die sexuelle Ausstrahlung dieser Sylvia Orchidea künstlich, angeschminkt, ausgepolstert und. gefälscht war – irgendwo war mir all das siedendheiß ins Blut gegangen, tausendmal heißer als etwa die Ansprecherei gestern abend: irgendwo in mir stieg es golden-woIkig-schwindelnd auf bei der Vorstellung, diesen üppig-verlockenden falschen Frauenleib in meine Arme zu reißen, seine künstlichen Brüste und Hüften gegen meine zu pressen, mit den Händen in den Locken dieser Frauenperücke zu wühlen und diese lüstern zurechtgeschrninkten Lippen zu küssen – und dabei mit einer hämischen, niederträchtigen Freude zu wissen, daß das alles Schwindel, Trug und Täuschung war, daß unter diesen roten Locken ein Männerscheitel, hinter den schweren Brüsten ein platter Männerleib, unter dem enganliegenden Rock ein praller Schwanz versteckt lag!!!
„Ja – wollen wir nun – oder nicht?“ riß mich Alexanders Stimme aus diesen irren Träumereien. Ich fuhr auf: inzwischen hatten sich offensichtlich genug Interessenten angesammelt, um die Ausruferin zu der dringlichen Aufforderung zu reizen, „unsere Vorstellung – unsere Revue- unsere einmalige Schau in unserem schöööönen Casino de Paris“ alsogleich zu besuchen.
Ja – wollte ich – oder wollte ich nicht? Mühsam versuchte ich mich aus meinen einsamen Gedankenspielen wieder in die Rolle des netten, charmant amüsierten Fräulein Sylvia zurückzutasten. Was würde denn eine ganz normale junge Dame an dieser Stelle sagen?! Ich wußte es nicht mehr! Sylvia, das vorhin noch so unfehlbar funktionierende „Mädchen in mir“, hatte sich scheinbar in unerreichbare Ferne zurückgezogen und ließ mich – in ihren Kleidern, ihrer Rolle – allein und hilflos zurück…
„Was meinen Sie?“ versuchte ich verzweifelt die Entscheidung Alexander zuzuschieben. Aber der schien – vielleicht, weil ich mich in den letzten Minuten so still und seltsam verhalten hatte, fuhr es mir mit neuem Schrecken durch den Kopf? – auch merkwürdig unentschlossen:
„Ihr Wunsch ist mir Befehl!“ gab er – schien es nur so, oder war es wirklich nur ein lauer Aufguß seiner früheren lustigen Laune? – zurück.
Ich gab mir einen Ruck: Du bist jetzt total unfähig, die charmante Sylvia zu spielen, wenn Du mit ihm weitergehst – wenn ihr hineingeht, hast Du erst einmal etliche Minuten Zeit, Dich wieder zu fangen, sagte ich mir (und außerdem siehst Du die Sylvia Orchidea wieder, ergänzte eine schleimig-hämische Stimme im Hintergrund … ).
„Also dann hinein in unser schööönes Casino de Paris!“ antwortete ich mit einem müden Versuch, wieder in den alten amüsierten Tonfall zurückzukehren.
Fast schien es, als habe unser Entschluß, die „schöne Schau“ zu besuchen, nun auch den Bann bei den übrigen Zuschauern gebrochen – denn hinter uns drängten sich nun auch brave Bürger, picklige Jünglinge und ein paar junge Paare zur Kasse, an der die Violettgelockte mit nüchterner Geschäftsmäßigkeit Zweimarkstücke kassierte. Die Bude – Bänke aus Holzbrettern vor einer winzigen Bühne mit schäbigem purpurrotem Vorhang – füllte sich zusehends, wenn auch, trotz der Versicherung „Die Vorstellung beginnt sofort!“, noch einige Minuten vergingen, bis auch die hinteren Bänke so besetzt waren, daß die „Direktion“ (repräsentiert wohl durch die Violette und den Galgenvogel im Frack, der sich als „Hellseher“ betätigen wollte) es tatsächlich für rentabel hielt, anzufangen.
Alex – wie immer vorbildlicher Kavalier – hatte für uns Plätze in der vordersten Bankreihe ergattert; mit dem – beabsichtigten oder unbeabsichtigten – Ergebnis freilich, daß wir in drangvoller Enge saßen: Alex zu meiner Linken, zu meiner Rechten ein feister Bäckermeisterstyp, der – ganz im Gegensatz zu meinem Begleiter – gar nicht abgeneigt schien, diese Enge zu allerlei Kontakten mit meinem rechten Knie und Brüstchen auszunutzen. Hätte mich das vor kurzem vielleicht noch amüsiert, zog ich mich jetzt wie ein scheues Reh nach links zurück – und konnte, als wiederum etwas unerwartete Folge, konstatieren, daß Alex (nach einem fragenden Blick, ob mir das wohl um Himmelswillen auch recht sei!) schützend seinen Arm um meine Schulter legte und mich so, zumindest oberhalb der Gürtellinie, gegen den unternehmungslustigen Dickwanst abschirmte. Es wäre durchaus wohlig gewesen, so in seinen Arm geschmiegt zu sitzen – wenn ich das Mädchen Sylvia von vorhin noch in mir gehabt hätte: aber hatte das sich, vor diesen irr-lüsternen Phantasien von eben nicht entsetzt ins Reich der Ideen zurückgezogen?
Nun – vielleicht (hoffentlich!) kam sie langsam zurück; der Beginn der Vorstellung – gurrend von der Weißvioletten als „Pariser Wäsche-Modenschau“ angekündigt – jedenfalls war kaum geeignet, den geilen Wollüstling in mir weiter zu locken: die ältliche Estelle und die zu junge Claudette (im Mittelwert hätten sie zweimal das Richtige ergeben) sowie die farblose Frou-Frou hopsten in Hemdchen, die zwar durchsichtig, aber im übrigen weder für Weib noch Mann in mir erregend waren, in emsiger Folge über die Bühne und reckten ihre Arme im mehr oder minder erfolgreichem Bemühen, dadurch ihre teils schlaffen, teils unterentwickelten Brüste in besseres Licht zu setzen.
„Lasterhöhle!“ kommentierte Alex schwach.
„5-Tonnen-Laster!“ gab ich, mühsam nach früherer Originalität tastend, ebensoleise zurück.
In der zweiten Abteilung gab sich Madame Exteile redlich Mühe, erotisch aufreizend in einem knappen Büstenhalter einherzutanzen – was nur insofern ein wenig pointenlos blieb, als jedermann sich schon in der vorigen Nummer von Qualität und Quantität des Inhalts dieses Halters überzeugt hatte. Danach betrat die minderjährige Claudette die Bühne, eine Art Vorhängegardine über den schmächtigen Leib drapiert, und absolvierte verbissen ihren „Schmetterlingstanz“, bei dem ein Projektor im Hintergrund erst farbige Flecken, dann mehr oder minder bunte Falter-Fotos auf die wedelnden Schleier warf.
Nach soviel beängstigender Pariser Erotik glaubte man wohl, dem Publikum eine Erholungspause gönnen zu müssen – und „Garvin, der Mann mit dem sechsten Sinn“ begann, Frau Direktor als Medium benutzend, seine telepathischen Fähigkeiten („die die Gelehrten der Academie Francaise in sprachloses Staunen. versetzt hatten“) zu beweisen. In wohlvertrauter Weise tat er das dadurch, daß er im Publikum irgendwelche Gegenstände ergriff, die seine violette Partnerin dank standardisierter Fragen – „Sage mir, was habe ich hier wohl in der Hand? – zum Staunen der naiveren Zuschauer mühelos identifizierte. Dennoch brachte mich (was beweist, daß man nie „nie“ sagen soll!) Garvin, der Mann mit dem sechsten Sinn, in der Tat zu fassungslosem Staunen – und zugleich dazu, daß Fräulein Sylvia aus ihrem Exil zurückzukehren begann; und das kam so:
Hinten beginnend – weil’s da schwerer aussah – hatte sich Monsieur Garvin. bis zur ersten Reihe durchgearbeitet, wo sein Blick (wieder einmal ein Kompliment ?!) natürlich an mir hängenblieb:
„Und Sie, Mademoiselle — wollen auch Sie mier raischän eine Gegenstand aus Ihre ‚andtaschää?“
„Raischän Sie ihm!“ feuerte mich Alex an, „Aber was Kompliziertes!“
Ich fingerte an Fräulein Lieselottes Umhängetasche. Was „Kompliziertes“ hatte ich da schon drin? Schlüssel, Taschentuch, Portemonnaie, Lippenstift, Puderdose – Personalausweis wäre was Interessantes, wisperte mir eine perverse Stimme zu („Lies wie diese scharrrmantää junge Mademoiselle ‚ eißt ?“ – „Hugo!“) – Blödsinn, aber vielleicht steckte da in dem Nebenfach mit dem Reißverschluß noch irgendwas Ungewöhnlicheres? Ich hatte es ehrlich gesagt bisher noch gar nicht aufgemacht!
Ich zog den Verschluß auf – tastete im Halbdunkel der Bude etwas Glattes, Gefaltetes – zog es heraus –
„O mon Dieu – das sein ßweierlei – wälschääs Sie meinen, Mademoiselle?“ – protestierte Monsieur Garvin in seinem nervenaufreibenden Akzent.
„Das da – “ hauchte ich und drückte ihm ein eselsohriges Foto in die Hand.
„O – ßein ßärr iiiteressann‘: eine Fotoh! Was kannst Du mir sagen ist abgebildet auf diesem Bild?“ (Die Fragen mußten – im Gegensatz zu seinem übrigen Gerede — immer schön in den einwandfreien gestelzten Formulierungen des Codes gegeben werden).
„Das Bild – das Bild – “ stöhnte sein Medium “ – ach – verschwommen – wolkig – eine Frau – eine junge Dame – neben ihr wer? Ein Mann – ein. Mann – ich sehe nichts mehr – doch: die Frau – das Mädchen – sie ist es, sie selbst, die Ihnen das Bild gegeben hat!“
Was bewies, daß ich – zumindest im Halbdunkel und im Kopftuch – irgendwie einigermaßen ähnlich aussehen mußte wie das unbekannte Fräulein Lieselotte.
Aber nicht das war es, was mich zum fassungslosen Staunen brachte: sondern das andere, was ich da zusammen mit dem Foto aus dem Nebenfach der Handtasche geholt hatte und jetzt noch immer wie träumend zwischen den Fingern hielt: eine ganze Reihe säuberlich zu einem Päckchen zusammengefalteter Fünfzigmarkscheine!
So viele Fragen und Komplikationen diese unerwartete Entdeckung in der Folge nach sich ziehen sollte – damals, das weiß ich noch sehr genau, war mein erster Gedanke beim Anblick dieser Banknoten nur: Das ist Deine Perücke …! Und ich fühlte fast schon, wie füllige Frauenlocken meinen Nacken zu umspielen begannen …
Dieser Gedanke war so übermächtig, das alle anderen, naheliegenderen Fragen – woher kommt dieses Geld? darfst Du es überhaupt anrühren? Wieso hat die Lieselotte es einfach mit ihren Sachen zurückgelassen? – mir erst einzufallen begannen, als ich bereits wieder unterbrochen wurde:
„Ist das rieschtiesch ?“ fragte Monsieur Garvin stolz und hielt mir das Foto – Fräulein Lieselotte in einem mir unbekannten Kleid neben einem ebenso unbekannten jungen Mann – unter die Nase.
„Stimmt das?!“ mischte sich auch der Dicke neben mir ein und beugte sich mit gespieltem Interesse zu mir herüber – dabei wie von ungefähr seine linke Hand genußvoll auf meinen Oberschenkel stützend.
„Ja – das ist richtig – “ bestätigte ich dem Hellseher mit strahlendem Augenaufschlag, „aber das -“ mit spitzen Fingern nach der Hand des Dicken greifend, sie wie ein unangenehmes Tier emporhebend und dann verächtlich fallenlassend “ – ist nicht richtig!“
Der Dicke murmelte etwas und schrumpfte spürbar in sich zusammen; Alex warf ihm einen halb empörten, halb amüsierten Blick zu; Monsieur Garvin wandte sich diskret dem letzten „entliehenen Objekt“ zu – ich aber kuschelte mich wohlig in den schützenden Arm meines Begleiters und spürte eine weiche, sanfte Welle der Beruhigung in mir aufsteigen: Sylvia war wieder zurückgekehrt – mit ihrer blitzschnellen weiblichen Intuition, ihrer charmanten Überlegenheit und, so hoffte ich wenigstens, Selbstsicherheit. Jetzt konnte mir nichts mehr passieren – mit soviel Geld in der Tasche und soviel Sylvia im Leib…
Ich sollte diese Beobachtung später noch öfter und präziser machen: bei all ihrer faszinierenden Persönlichkeit war diese Sylvia in mir im Grunde ein höchst naives Frauenzimmer – in unerwarteten Komplikationen, angesichts roher Sexualität (oder aber, wenn sie das Gefühl hatte, nicht so hübsch zu sein wie andere) fiel sie wie eine viktorianische Lady in Ohnmacht: um aber bei jedem verlockenden bißchen Damenputz (sei es nun ein fesches Kleid oder eine neue Perücke) – ganz zu schweigen von Komplimenten! – sofort wieder voll ins Leben zurückzukehren!
Die Bewährungsprobe kam sogleich: Fräulein Frou-Frou hatte – unter wohlverdientem Applaus – in einer lebensgefährlichen Verrenkung das Taschentuch, das hinter ihr auf dem Boden lag, mit den Lippen aufgehoben (und dabei, damit auch der lüsternere Teil des Publikums nicht zu kurz kam, ihren Oberleib beachtlich aus dem knappen lila Korsett recken müssen); nun verschwand sie knixend – der schäbige Purpurvorhang, vor dem sie ihre Kunst gezeigt hatte, öffnete sich wieder -und, kurvenreich auf eine weiß-goldene Chaiselongue gegossen, zeigte sich dem Publikum zweifellos der Höhepunkt der Vorstellung: Sylvia Orchidea.
Zu den schmeichelnden Klängen der Barkarole aus „Hoffmanns Erzählungen“, die überraschend wohltönend aus den Lautsprechern hinter der Bühne drangen, räkelte er-sie sich kurtisanig in den Polstern, umarmte die weißen Schultern („komm, oh komm, oh Lie-hie-besnacht …“) mangels. Partners mit den eigenen, damenhaft schlanken Händen, strich, sich langsam weiter nach unten tastend, wollüstig über Busen, Taille und Hüften und reckte dann, sich sehnsüchtig aufsetzend (“ … oh sti-hil-le das Verlangen …“), ein empörend schönes Damenbein im schwarzen Netzstrumpf aus dem Schlitz des enganliegenden Goldlameekleides.
Netzstrümpfe will ich auch, dekretierte das Mädchen Sylvia in mir, die machen unerhört schöne Beine.
Wenn sich dieses Bein so anfühlen würde, wie es aussieht, flüsterte eine andere Stimme in mir dazwischen.
Warum drückt der Alex mich auf einmal so an sich? fragte ein dritter Teil mit sanfter Verblüffung.
Aber nun hatte sich Sylvia Orchidea (“ … schöner als der Ta-hag uns lacht …“) endlich vollends erhoben, das Bein vorerst wieder in den schimmernden Falten des Rocks verschwinden lassend, und wandte sich erneut ihren weißen wohlgeformten Schultern (“ … die schö-hö-ne Liebesnacht .,.“) zu, um dann die Hände nochmals schmeichelnd (“ … Zephire lind und sacht, die uns kosend umfangen …“) über den ganzen üppigen Leib gleiten zu lassen – wobei irgendwann unmerklich das Kleid in diesen Händen hängenblieb, in dessen flimmernden Stoff er-sie übermannt das Haupt vergrub (“ … Zephire haben ; mir – Deine Küsse gebracht … !“) und dann (“ … ja-ha ah-aah . . .“) diese überflüssige Hülle zu Boden gleiten ließ: einen träumhaften, den goldpailletenbesetzten Halter fast sprengenden Busen ‚und darunter eine fast ebenso traumhafte Taille über üppigen Hüften in knappem, gold-und-schwärz glitzernden Höschen enthüllend!
So ’ne Figur schaffe ich auch, kommentierte Sylvia in mir katzig, sogar mit noch schlankerer Taille – wenn ich bloß den Fummelskram dazu hätte! Dich jetzt abtatschen, wie es der Dicke vorhin versucht hat …! – hechelte die andere Stimme. Wo hat der Alex seine Gedanken – und wo hat er auf einmal seine Finger? alarmierte ein dritter Teil.
Aber nun schien Sylvia Orchidea – nach aufreizend langsamem, geilen Wiegen des Leibs und erneutem Streicheln ihrer weißen Haut mit dem schwarzen Straußenfederfächer – langsam auch der Überzeugung geworden zu sein, daß die Liebesnacht nun endlich kommen müsse: mit einem verheißungsvollen Blick unter den langen falschen Wimpern hervor wandte er-sie nun den – schlank-weißen – Rücken zum Publikum und begann, schräger Hüfte die schönen Beine reckend, endlich („Stih-le da-has Verlaaangen!“) am Büstenhalterverschluß zu nesteln.
och dann verzögerte sich das Unvermeidliche nochmals, weil beim Umwenden der Straußenfederfächer nur die schönen Schultern freigab, während Sylvia Orchidea mit der anderen Hand den winzigen (wo zum Teufel hatte er die Polster gelassen?!) Büsterhalter mit vieldeutigem Lächeln pendeln ließ. Nocheinmal wiegte er-sie sich verführerisch in den Hüften, während die Damen des Barkarolen-Duetts im Lautsprecher sich zum Finale steigerten („Schö-hö-ne Lie-hie-bes*-nacht !!!“) – um dann, während die schwüle rot-violette Bühnenbeleuchtung jäh in nüchternes Weiß umschlug, mit kühnem Schwung den verhüllenden Fächer nach links – die tizianrote Lockenperücke nach rechts wegzureißen – und sich steif zu verbeugen.
Der Schock war – trotz allen vorbereitenden Wissens – perfekt: Silvia Orchidea hatte nicht nur eine brettplatte Männerbrust — sondern auch eine Vollglatze.
Einige Frauen – vielleicht solche, die draußen die Ankündigung nicht richtig mitbekommen hatten – quiekten schrill vor überraschtem Vergnügen (es faszinierte mich später immer wieder, daß Frauen von einer vollendeten Imitation – genauer gesagt, von deren Enthüllung – in einer ganz eigenartigen Weise erfreut und begeistert sind: so als wollten sie ausdrücken „ätsch, da bist Du geiler Bock aber schön hereingefallen“ oder was immer sich in ihrem Hirn dabei abspielen mag).
Sylvia in mir war sanft damenhaft schockiert (eine Lady, und sei sie noch so männlichen Geschlechts, tut so etwas nicht!). Hinreißend häßlich, stöhnte die andere Stimme in mir verzückt. Jetzt hat aber der Alex seine Hand auf meinem Schenkel, konstatierte der dritte Part verblüfft.
Der Vorhang war rasch gefallen – und die Frau Direktor scheuchte uns jetzt geradezu aus der Bude, weil sie inzwischen eine neue Ladung Schaulustiger aufgesammelt hatte, die schon hereindrängten.
Auch ich stand auf, Sylvia nahm die Gelegenheit wahr, im Gedränge wiederholt mit allen Kurven gegen Alex Leib gedrängt zu werden, und dann standen wir in einer Gasse neben der Bude in der kühlen Abendluft.
„C’est Paris!“ sagte Sylvia und holte tief Luft.
„Das kann man wohl sagen – “ bestätigte Alex mit ungewohnter Düsterkeit, legte – wie selbstverständlich – seinen Arm um Sylvias Taille (und die ist schlanker als bei der Orchidea, triumphierte diese), und wir bogen wieder in den Strom der Rummel-Bummler auf der Hauptstraße ein.
“Also jedenfalls – “ resümierte Alex, nachdem wir eine Weile stumm nebeneinanderhergewandelt waren, als müsse er das Kapitel unbedingt noch offiziell abschließen, „war diese Orchidee da um Klassen besser als alles andere – so etwas könnte in jedem Nachtklub auftreten statt in dieser Bruchbude!“
“Ach – und ich dachte, das wäre ein Nachtklub gewesen?!“ verwunderte sich Sylvia mit weitaufgerissenen Kleinmädchenaugen. „Nun bin ich aber enttäuscht!“
Und was interessiert Dich eigentlich an dieser falschen Orchidee da? fauchte sie innerlich. Wenn Du für verkleidete Männer schwärmst, haste ja hier einen am Arm!
“Soll ich Sie denn mal in einen richtigen Nachtklub schleppen?“ griff Alex – nicht gerade virtuos – das Stichwort auf.
„In dieser – “ Sylvia gestikulierte, fast wie ihr Namensbruder, an ihrem Regenmantel herunter, “ – rauschenden Pariser Abendrobe?!“
„Nein – “ räumte Alex ein, „aber wenn wir nun morgen mal ganz groß ausgehen würden?“
Und ich in meiner neuen Perücke, jubelte Sylvia in mir. Und vielleicht reicht es auch noch zu einem ganz tollen Kleid und Schuhen?
„Sie sind ein raffinierter Wüstling, der unschuldige Mädchen vom Pfade der Tugend locken will!“ tadelte Sylvia streng, und fügte dann im gleichen Ton hinzu: „Versuchen Sie es weiter so!“
„Am bösen Willen soll es mir nicht fehlen – “ gab Alex inspiriert zurück.
Aber jetzt hielt ich es nicht länger aus – jetzt mußte ich erst einmal dieses vom Himmel gefallene, wundersame Perückengeld, das all meine Probleme zu lösen versprach, in Ruhe anschauen und zählen – und da es sicher einigermaßen seltsam ausgesehen hätte, wenn ich das mitten auf dem Festplatz getan hätte, sagte ich kühn:
„Darf ich Sie mit diesen finsteren Plänen mal eine Minute allein lassen?“
Alex stutzte erst – aber dann wurde ihm klar, daß auch das ätherischste Wesen einmal menschliche Bedürfnisse haben könne.
„Selbstverständlich – dort drüben, glaube ich“, fügte er, hilfsbereit wie immer, hinzu – und stürzte mich damit, ohne es zu ahnen, in ein neues Abenteuer.
Nicht, daß ich etwa nun auch noch (wie es das ja geben soll) der erotischen Faszination der Damentoilette im anderen Sinne des Wortes erlegen wäre – glücklicherweise gab es auch noch einige wenige Perversionen, die keinerlei Reiz für mich hatten; zudem war die – von einer fürsorglichen Stadtverwaltung hinter den Buden aufgestellte – fahrbare Bedürfnisanstalt mit Trockenklos wohl auch kaum geeignet, irgendjemand zu faszinieren: sie stank zwar nicht gerade so penetrant wie ein Männerpissoir – war aber im übrigen schwerlich anheimelnder.
Nein, die neue Komplikation nahte diesmal aus einer ganz anderen Richtung – rückblickend gesagt, aus mehreren zugleich, die ich erst im Lauf der Zeit richtig erkannte.
Zunächst aber zog ich mich erst einmal auf ein stilles Örtchen zurück, ließ mich auf der Klosettbrille nieder und holte nocheinmal das Geld aus der Tasche. Beim trüben Licht einer schwachen Glühbirne faltete ich das Päckchen auseinander; daß es etliche Geldscheine gewesen waren, hatte ich ja schon gesehen – aber als ich jetzt in Ruhe zählte, war ich doch nocheinmal erschüttert: Dreizehn – teils alte, teils neue, aber allem Augenschein nach völlig echte Fünfzigmarkscheine. Sechshundertundfünfzig deutsche Mark.
Das Ganze begann immer mehr die Qualität eines legendären Wunders (ähnlich dem Rosenkörbchen der heiligen Hildegard – oder wer war es?) anzunehmen. Sechshundertfünfzig Mark waren – wenn ich Tante Irma für unwahrscheinlich großzügig einschätzte – immer noch mindestens zwei Monatsverdienste des Hausmädchens Lieselotte. real gesprochen, also eher das, was sie sich in einem halben oder ganzen Jahr hätte zusammensparen können. Und dieses Geld ließ sie dann – genau, wenn sie auf Urlaub nach Spanien fahren wollte! – unbekümmert in der Handtasche zurück? Und kümmerte sich seit fast einem Vierteljahr nicht mehr im Geringsten darum?!
Das war etwa genau so unwahrscheinlich wie die Annahme, Tante Irma habe das Geld als Überraschung für ihren lieben Neffen in Fräulein Lieselottes Tasche versteckt!
Hatte die Lieselotte das Geld – vielleicht in Tante Irmas Haus – geklaut? Und war dann aus Angst vor der Entdeckung nicht mehr zurückgekommen? Das sah zwar zunächst plausibel aus – stimmte aber vorn und hinten nicht: wenn sie nicht gerade übergeschnappt war, hätte sie den Zaster doch 1) mitgenommen oder 2) wenigstens besser versteckt!
Nein – im Augenblick konnte ich mir nur eine Erklärung denken, die zu den Fakten (und übrigens auch zu verschiedenen anderen Seltsamkeiten, die mir jetzt erst auffielen) paßte: Fräulein Lieselotte mußte – neben ihrer Hausarbeit – noch eine andere, sehr viel ergiebigere Einnahmequelle gehabt haben. Und es gab ja ganz in der Nähe eine Stelle, wo junge Damen Geld – wahrscheinlich sogar viel Geld – verdienten: den Törner Wald.
Das paßte mit verschiedenen anderen Dingen zusammen: mit dem unerwartet teuren Regenmantel zum Beispiel, der überhaupt nicht in den Etat eines Hausmädchens paßte – dessen Eignung als Nutten-Tracht ich aber schon am eigenen Leibe erlebt hatte; zu dem kostbaren Satin-Unterrock, der ebenso merkwürdig von Fräulein Lieselottes anderer Wäsche abgestochen hatte; zum „Kamasutra“ im Nachttisch, das durchaus ein – wenn auch etwas altmodisches – Lehrbuch für eine Amateur-Nutte gewesen sein konnte; und vor allem zu dem – für Tante Irma so verblüffenden – Entschluß, sich endgültig in das „süße Leben“ zu stürzen und überhaupt nicht mehr zurückzukommen.
So wenig ich mit der Absicht an die Frage herangegangen war, Fräulein Lieselottes Ehre anzutasten: das schien mir die einzige vernünftige Hypothese zu sein. Sie erklärte zwar nicht – machte aber zumindest plausibler, daß Fräulein Lieselotte mal Geld (wieviel mochte das für sie gewesen sein? Eine Abendkasse?!) in ihrer Handtasche vergaß: wahrscheinlich hatte sie woanders so viel, daß es ihr überhaupt nichts ausmachte. Oder sie hatte es dort als kleine „Schmuhkasse“ gesammelt, während sie ihren Hauptverdienst (der „junge Kerl“, den sie da kennengelernt hatte, nahm auch etwas verdächtige Züge an) irgendwo anders ablieferte?
Möglich, daß meine Logik etwas von dem Wunsch getrübt war, dieses Geld aus dem Spargroschen eines armen Hausmädchens (den anzurühren mir nun doch recht gemein erschienen wäre) in den Sündenlohn einer im Mammon schwimmenden Kurtisane zu verwandeln: spätere Ereignisse zeigten, daß ich bis hierhin nahezu richtig geschlossen hatte. Leider nur nahezu. Aber das merkte ich erst viel zu spät.
Jetzt jedenfalls steckte ich die Scheine befriedigt wieder in die Tasche zurück: eine kleine Anleihe für eine schicke Perücke schien mir unter solchen Umständen durchaus gerechtfertigt – gerechtfertigter jedenfalls, als wie ein Märtyrer neben diesem unerwarteten Himmelsgeschenk in Qual und Verzicht zu versinken, während die Lieselotte sich in Spanien ein feines Leben machte und wahrscheinlich schon total vergessen hatte, daß da in einer abgelegten Tasche noch ein paar Fünfzigmarkscheine moderten!
Ich stand auf, öffnete die Tür der stillen Klause und trat draußen noch vor den Spiegel, um mir die Hände zu waschen und einen Blick auf meine Frisur zu werfen: ich fand mich nach wie vor recht hübsch und zupfte nur mit spitzen Fingern noch ein wenig an den falschen Locken, als ich plötzlich eine Mädchenstimme hinter mir sagen hörte:
„Entschuldigen Sie – „
Ich wandte mich um. Die junge Dame, die mich angeredet hatte – außer mir zur Zeit anscheinend die einzige ‚Kundin‘ des Etablissements – trug einen weißen, flauschigen Wollmantel wie ein Lämmchen und hatte ein hübsches, wenn auch ein wenig strenges Gesicht. Mit ihren glatten, halblangen blonden Haaren erinnerte sie mich ein wenig an einen mittelalterlichen Pagen, der sich als Mädchen verkleidet hat ( “ . , , da trug Bayard der Page der Hökerinnen Kleid… “) oder eine Shakespearesche Heldin, die sich als Page verkleidet hatte („Were it not better, because that I am more than common tall, that I did suit me all points like a man?“). Unglücklicherweise war sie, wie sich herausstellen sollte, weder das eine noch das andere.
„Entschuldigen Sie, daß ich Sie hier so einfach anspreche – “ wiederholte sie und sah mich an wie das sprichwörtliche gehetzte Reh, “ – aber ich bin in einer einfach furchtbaren Situation!“
Nun ist gewiß nach allen Regeln des gesunden Menschenverstands das Letzte, was sich ein als Dame verkleideter junger Mann in einer. Damentoilette auf den Hals holen sollte, ein unbekanntes junges Mädchen in einer „furchtbaren Situation“. Doch vielleicht hatte ich unbewußt das Gefühl, ich müsse dem Schicksal, das mir da so unvermutet Perückengeld beschert hatte, auch einen Gegendienst leisten – vielleicht war es auch bloß einmal wieder die entfesselte Sylvia, die sich jetzt auch an einer „Geschlechtsgenossin“ versuchen wollte: jedenfalls legte ich ihr beruhigend die Hand auf den Arm und sagte weltweise:
„So furchtbar, das wir sie zu zweit nicht packen, kann sie gar nicht sein!“ (Die Rolle der kühnen Amazone war für Sylvia zwar völlig neu, aber offenbar gerade darum sofort reizvoll).
Ein dankbarer Blick aus den braunen Rehaugen belohnte mich.
„Oh – ich wußte gleich, daß Sie – daß ich Sie – “ verhedderte sie sich und schloß dann etwas unlogisch: „Aber ich kann das wirklich nicht von Ihnen verlangen!“
„Sie können mir zumindest – “ wisperte die kühne Sylvia (das war mal wenigstens eine Situation, wo man nach Herzenslust und ohne Stimm-Sorgen wispern durfte!) ihr ermutigend zu, „mal erzählen, worum es eigentlich geht – dann werden wir weitersehen!“
Das Pagen-Lamm-Reh holte tief Atem und sammelte sich sichtlich.
„Ich bin ja selbst schuld – “ begann sie (wie so viele Leute in „furchtbaren Situationen“ verspätet festzustellen scheinen!), „ich hätte gar nicht mitgehen sollen: aber dann hatte ich solchen Hunger – und es sah ja auch erst so aus, als würde alles richtig nett werden: aber dann, fing der Schwede auf einmal an, so merkwürdig zu gucken und zu reden – und dann dauernd mit den Händen – “ Sie schüttelte sich und verstummte.
„Also – jetzt noch einmal ganz langsam von vorn: mit wem sind Sie mitgegangen? Und wer will jetzt was von Ihnen?“ begann Sylvia sie geduldig zu verhören.
Die Geschichte, die sich nach einigem Stocken in immer schnellerem Fluß enthüllte, war im Grunde ebenso unsensationell wie – für die Betroffene – unerfreulich: In ihrem Büro war ein wichtiger Kunde aus Schweden erschienen. Es hatte ewiglange Verhandlungen beim Chef gegeben, sie war als einzige außer der Chefsekretärin im Büro geblieben, um die Vertragsentwürfe noch ins Reine zu schreiben – und dann hatte der Chef, ein Holzgroßhändler, großherzig vorgeschlagen, man solle doch mit den Mädchen rasch noch auf dem Volksfest ein Brathähnchen essen fahren, wenn sie schon so lange im Büro gesessen hätten. Pagen-Lamm-Rehchen – mit leerem Magen und unklaren Vorstellungen von großen Managern – war zunächst begeistert mitgegangen: aber dann hatten Chef und Schwede immer mehr Bier und Schnaps getrunken, wobei der Chef seine Sekretärin und der Gast aus dem Norden das Lämmchen zu betätscheln begann.
„Und ich dachte immer, die Frigga wäre so eine nette Kollegin – aber die will mich doch jetzt regelrecht an den Schweden verkuppeln! Noch nicht mal meine Handtasche hat sie mich mitnehmen lassen, als ich mich hierher entschuldigt hab‘ … “ schloß sie (anscheinend wahrhaftig instinktlos in ihrer Wahl „netter Kolleginnen“) entrüstet.
„Und – warum lassen Sie die ganze Gesellschaft nicht einfach sitzen und verschwinden nach Hause?“ fragte ich nicht unlogisch.
„Aber – ich habe doch keinen Pfennig Geld – noch nicht mal meinen Schlüssel: das ist doch alles in der Handtasche!“ Und, gleich noch Schlimmeres aufzeigend: „Und was passiert dann morgen, wenn ich wieder ins Büro komme? Die machen mich doch fertig!“
„Und – dieser Schwede ist also wirklich vollkommen ekelhaft?“ erkundigte sich die weltgewandte Sylvia vorsichtig – schließlich gab es (ihrer Meinung nach) durchaus naheliegende Auswege aus der Situation! Das Pagen-Reh-Lamm schüttelte sich:
„Erst dachte ich, der ist ganz nett – und harmlos: aber was der alles für Sachen zu sagen anfängt – von Lederkorsetts und Stiefeln und Au – Auparikscha – „
„Auparischtaka?“ erkundigte sich Sylvia fasziniert . ( Fräulein Lieselotte oder ich würden mit dem glänzend ausgekommen sein, dachte sie).
Das Mädchen warf mir einen befremdeten Blick zu:
„Kennen Sie das – was ist das denn eigentlich?!“ Aber dann schüttelte sie sich wieder: „Jedenfalls doch was Scheußliches! Und dann immer diese Tatscherei … „
Nein, konstatierte Sylvia, hier war Hopfen und Malz verloren. Aber schon begann ihr unfehlbarer Computer in anderer Richtung zu arbeiten:
„Nun passen Sie mal auf – wenn Sie jetzt von hier zurückkämen und würden die ganze Gesellschaft einfach nicht mehr finden: dann wäre doch alles in Ordnung, nicht wahr? Im Gegenteil – die müßten sich morgen noch lang und breit entschuldigen, weil sie Sie ohne Handtasche mutterseelenallein auf dem Festplatz sitzengelassen haben…”
Das Pagen-Reh-Lamm riß die Unschuldsäugen weit auf.
„Schon – “ gab es zögernd zu, „aber die warten doch da vorne auf mich – und dann habe ich ja noch immer keinen Pfennig – „
„Sie haben – “ Sylvia griff mit bestimmter Geste in ihre Umhängetasche, “ hier fünfzig Mark. Damit fahren Sie mit dem nächsten Taxi in ein recht teures Hotel, übernachten dort und hängen die Rechnung morgen Ihrem Chef auf – weil der ja Schuld dran war, daß Sie nicht in Ihre Wohnung konnten! Und daß die da warten … “ wieder begann Sylvias Computer zu klicken „…mit dem Auto von dem Schweden sind Sie alle hierhergefahren?“
„Ja – aber – “ Das Pagen-Reh-Lamm starrte noch immer auf den Fünfzigmarkschein in ihrer Hand.
“Dann steht also das Auto hier noch irgendwo in der Nähe? Wenn nun mit diesem Auto – „
Sylvia verstummte, und ihr Schützling blickte mit genau so stummer Be-wunderung zu der geschwungenen Mädchenstirn auf, hinter der sich jetzt offenbar grandiose Pläne zu gestalten begannen. Bewundert zu werden – diesmal der Abwechslung halber sogar von einem Mädchen – beflügelte Sylvias Intuition immer: und in Sekunden fügte sich zur ersten Idee eine zweite und dritte – bis eine satanische Intrige Gestalt gewann.
„Aber das geht doch nicht – “ protestierte das Pagen-Reh-Lamm schwach, als ich ihr in Umrissen die geplante Kampagne schilderte.
„Das werden Sie sehen, wie das geht!“ wischte Sylvia alle Einwände weg. „Los jetzt – zeigen Sie mir, wo Ihre Leute auf Sie warten!“
Hinter einer Bude hervorlugend, erblickten wie das Trio – an die Theke einer Schnapsbude gelehnt und offensichtlich schon wieder einen hebend – alsogleich:
Den Chef – einen strammen, hochgewachsenen Mann in mittleren Jahren, der, leicht angeheitert, seinen seriösen Homburg weit aus der Stirn in den Nacken geschoben hatte, was ihm (völlig zu Unrecht) etwas von einem Chikagoer Gangsterboß zu geben schien; die verräterisch-kupplerische Chefsekretärin Frigga – eine überschlanke, fast hagere Dame Mitte Dreißig, die, im strengem Schneiderkostüm und mit glatt hinten zum Knoten zusammengefaßtem Blondhaar genau so trügerisch seriös aussah, wie ihr Chef zu Unrecht gangsterhaft (daß dieser – äußerlich so kühl-sachliche – Typ öfter als vermutet eher nymphoman ist, wußte ich in meiner relativen Unschuld damals noch nicht); und – der Schwede.
Letzterer war zweifellos die größte Überraschung: wie wohl die meisten Menschen, hatte ich bei dem Wort „Schwede“ unwillkürlich an einen schlanken, hochgewachsenen blonden Wikinger-Nachfahren mit kühnen Zügen gedacht – dieser hier war zwar groß (fast zwei Meter, jedenfalls noch ein Stück größer als der auch nicht gerade kleine Holzhändler), aber auch entsprechend breit – und keineswegs blond, sondern stolzer Besitzer eines tiefschwarzen Kinnbartes nebst ebensolchen Kopfhaars. Mit seiner breiten, fleischigen Nase und (als einzigem nordischen Attribut) hellblau-wäßrigen Augen hinter einer mächtigen Hornbrille sah er eher wie eine Kreuzung zwischen einem russischen Pelzhändler und einem Ölscheich aus; es leuchtete mir jetzt gerade etwas mehr, ein, wieso dem armen Pagen-Reh-Lamm angst und bange vor seinen großen, schwärzbehaarten Pranken geworden sein mochte!
Gar nicht weit von dieser Gruppe entfernt erspähte ich auch den treulich wartenden Alex und glitt – regenmantelraschelnder Schatten einer jungfrauenschützenden Harnischmaid – durch das Gedränge zu ihm hinüber:
„Alex – jeden Abend eine verfolgte Unschuld retten ist zwar etwas viel verlangt: aber jetzt müssen Sie mir helfen!“ raunte ich ihm verschwörerisch zu. „Sehen Sie da drüben den bärtigen Bären ? Aus dessen Klauen müssen wir ein Unschuldslamm retten, das mir gerade auf der Toilette schluchzend an die Brust gesunken ist!“
Natürlich war Sylvia dem etwas sachlich-nüchterneren Alex wieder mal meilenweit voraus – aber nach längerem aufgeregten Flüstern hatte er die Situation doch soweit verstanden, daß er fragte:
„Gut – gern: aber wie ? Soll ich den Wüstling jetzt mal kurz zum Duell fordern – oder – „
„Im Gegenteil: Sie gehen furchtbar freundlich und höflich zu den Dreien hinüber und sagen ‚Ihnen gehört doch der schwedische Wagen, der dort hinten an der Talstraße steht? Bitte kommen Sie doch sofort zu Ihrem Auto – man hat die Scheibe eingeschlagen und versucht was zu stehlen!‘ Woraufhin …“
„Woraufhin die mich erst mal fragen, woher ich wüßte, daß der Wagen. ihnen gehört!“ wandte Alex skeptisch ein.
„Also das tun die als Letztes: erstens gehört ihnen der Wagen ja tatsächlich. Zweitens sind sie durch die Nachricht viel zu aufgeregt – und drittens schon viel zu betrunken, um noch nachzudenken. Zudem verschwinden Sie ja sofort wieder – „
„Ich verschwinde sofort wieder?! Und mit welcher Begründung?”
„Weil Sie sofort weiter zur Polizei wollen, um der auch Bescheid zu sagen -„
„Und hinterher stellt sich heraus, daß ich das nie getan habe! Sehr verdächtig!“
Aber Sylvias Inspiration arbeitete auf Hochtouren: „Überhaupt nicht verdächtig – weil Sie genau das nämlich auch tun! Hier ist doch bestimmt irgendwo eine Polizeibereitschaft – und dort sagen Sie ganz treu Bescheid, an einem schwedischen Wagen in der Talstraße habe man das Fenster – „
„Ja, ja – eingeschlagen und versucht, den Wagen auszurauben – und die entsetzten Besitzer seien schon auf dem Weg zur Stätte des Unheils. Worauf sich Polizei und Schweden am Auto troffen und feststellen – „
“ – daß die Scheibe in der Tat eingeschlagen ist und viele aufgeregte Leute herumstehen!“
Alex sah mich konsterniert an: „Wieso denn das ?!“
Sylvia lächelte triumphierend zurück: „Weil ich zusammen mit unserem Unschuldslamm inzwischen einen Stein hineingeschmissen habe!“
Alex richtete sich mit einiger Autorität auf:
“Sylvia – das geht doch nicht. Erstens ist es Sachbeschädigung, und zweitens viel zu gefährlich. Wenn Sie jemand sieht – “
„Natürlich sieht uns jemand! Weil wir gleich danach in höchsten Tönen zu kreischen anfangen und jedermann in zehn Meilen Umkreis zurufen, wie zwei finstere Gestalten in Lederjacken vor unseren Augen –
„Unmöglich!“ Alex schüttelte entschieden den Kopf.
„Also Alex – nun seien Sie doch kein Frosch! Uns Unschuldsmädchen passiert gar nichts – und da wir zufällig wissen, wem der Wagen gehört, enteilen wir schleunigst, um Bescheid zu sagen – sind längst weg, ehe der Schwede da ist – „
„Also ich weiß nicht – soll ich nicht lieber den Stein – “
Am liebsten hätte er mir in seinem ritterlichen Kavaliersstreben genau den Teil zugeschoben, den ich nicht haben wollte (freiwillig der Polizei auf die Bude zu rücken – so weit ging Sylvias Mut nun doch noch nicht!). Schließlich griff ich kurz entschlossen zur Erpressung:
„Also machen Sie, was Sie wollen – ich geh jetzt mit dem Lamm Steine schmeißen! Sonst dauert das alles nämlich so lange, daß die noch ihre Frigga auf die Suche nach ihr schicken…“
Und damit machte ich kehrt und verschwand, noch ehe Alex sich gefaßt hatte, in der Menge.
Fünftes Kapitel: Komplikationen
„… durch seinen frauenhaften Gang
macht er manch grauenhaften Fang
und mußte nun zwischen gleich zwei Kavalieren,
einer Dame – und Auparishtaka lavieren …”
Sylvias Rettungsaktion verlief (wie ich später feststellen sollte, eine typische Eigenschaft ihrer intuitiven Pläne!) an allen kritischen Stellen ebenso planmäßig wie erfolgreich – um dann an der einzigen Stelle, um die sich selbst der skeptische Alex keine Sorgen gemacht hatte, umso ärger aus dem Konzept zu geraten.
Daß der scheinbar gefährlichste Teil mühelos klappte, hatte meine weibliche Intuition völlig richtig vorausgesehen: wenn harmlose Passanten, vom Frühlingfest heimkehren, eine Scheibe klirren und gleichzeitig zwei holde Mädchen erschrocken aufschreien hören – dann vermuten sie alles in der Welt, nur nicht, daß ebendieselben Mädchen zuvor mit vereinten Kräften (ich war nie sehr sportlich) ebendieselbe Scheibe mit einem Feldstein – glücklicherweise hatte man irgendwelche Zeltplanen mit solchen Steinen beschwert, sonst hätten wir lange nach einem suchen können! – eingeschlagen haben …
So fand sich auch sofort ein guter Bürger, der versprach, solange neben dem Wagen Wacht zu halten, bis wir die – uns glücklicherweise bekannten – Eigentümer alarmiert hätten …
„… und jetzt müssen Sie verschwinden!“ zischte ich dem Unschuldslamm zu.
Gleich kommt Ihr Chef mit Anhang – dann müssen Sie weg sein!“
„Aber – Ihr Geld – “ versuchte sie zu protestieren.
„Ich rufe Sie morgen in Ihrer Firma an – “ sagte ich (was besseres fiel mir nicht ein), „dann können wir das ja ausmachen – jetzt müssen Sie weg!“
„Ach – ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll … „
„Dann tun Sie’s morgen!“ fauchte ich etwas brutal – dieses ewige Getrödel, bis jedermann machte, was ich ihm sagte, begann mir auf die Nerven zu gehen! Aber dann sah mich die gerettete Unschuld wieder so verwirrt an, daß ich sie zum Zeichen, ich sei keineswegs böse, sondern nur in Eile – einen Augenblick freundschaftlich in den Arm nahm, um sie dann mit einem merklichen Schubs endlich auf den Weg zu schicken.
Außer ziemlich viel Wollmantel hatte ich dabei eigentlich nichts von ihr gespürt – aber wenn ich auch gegenüber Damen Sylvias untrüglichen Instinkt gehabt hätte …
Doch davon später.
Im Augenblick hatte ich ganz andere Sorgen: bei meinem eiligen Aufbruch hatte ich natürlich völlig versäumt, mit Alex irgendwas darüber auszumachen, wie wir uns nach erfolgreichem Abschluß der Aktion eigentlich wiederfinden wollten – auf einem immer noch belebten Festplatz keine ganz simple Sache!
Nicht, daß ich – mit meiner wiedergefundenen (durch die letzten Ereignisse sogar unerhört gestärkten!) Sylvia-Courage – nicht auch allein nach Hause gekommen wäre: aber es wäre verdammt unfair gewesen, ihn erst um einen Haufen Mühe und Schwindeleien zu bitten und ihn dann – wahrscheinlich noch um mein Wohlergehen besorgt! – allein auf dem Festplatz herumirren zu lassen!
Immerhin – auf dem Festplatz mußte er ja noch sein (dem Plan nach in der Gegend der Polizeibereitschaft). Also steuerte ich dorthin zurück.
Und dabei bemerkte ich die erste Unprogrammäßigkeit: An mir vorüber strebte – noch immer den Hut im Nacken – mit verständlicher Eile eine Gestalt dem Schauplatz unserer kürzlichen Aktionen entgegen, in der ich unschwer den Chef des Unglückslamms wiedererkannte. Aber wieso strebte er allein?! Wo waren die beiden anderen geblieben?
Die Antwort auf diese Frage hatte ich kaum eine Minute später, als ich böser Ahnung voll wieder den ursprünglichen Standplatz des Trios an der Schnapsbude erreichte: Die standen noch immer dort!
Mochte es nun Verantwortungsgefühl gegenüber dem erwarteten Pagen-Reh-Lamm gewesen sein – oder, wesentlich unethischer, der Wunsch des ollen Schweden, seinen Leckerbissen sicher wieder in die Hände zu bekommen – oder hatten sie einfach schon zu sehr unter Alkohol gestanden: aus welchen Gründen auch immer – sie hatten nach der Hiobsbotschaft nur den Chef losgeschickt, um die Lage in Augenschein zu nehmen.
Das durfte nicht sein. Mein ganzer Plan basierte darauf, daß das arme Reh-Lamm ihre Begleiter eben nicht mehr wiederfinden würde, wenn sie von der Toilette kam (daß sie dort ohnehin schon unverständlich lange hockte, würden sich die anderen in ihrer etwas alkoholumnebelten Stimmung morgen hoffentlich nicht mehr ins Gedächtnis rufen können!); aber wie sollte das je glaubhaft werden, wenn zwei von ihnen noch eisern an der alten Stelle Wacht hielten?
Na ja, gottseidank war ich ja auch noch da.
Ich steuerte also kühn auf die beiden los und sagte (vorsichtshalber zu der Sekretärin, die immerhin noch dienstliche Pflichten zu erfüllen hatte):
„Entschulden Sie – Herr Lescherd – “ (glücklicherweise hatte das Lämmchen den Namen erwähnt!) „läßt Sie bitten, doch sofort zum Wagen zu kommen – wegen der Papiere!“ setzte ich, ebenso allgemein wie plausibel, hinzu.
Das nun wiederum stimmte: auch jetzt kam keiner der beiden auf die Idee, zu fragen, wieso ausgerechnet ich diese Botschaft überbrächte. Aber die tüchtige Frigga hatte mit einem anderen Problem zu kämpfen, das keiner von uns vorausgesehen hatte: der olle Schwede – er hieß, was mich unter anderen Umständen wahrscheinlich zu hysterischen Heiterkeitsausbrüchen hingerissen hätte, übrigens ausgerechnet „Törnewald“! – war nicht gewillt (oder fähig), seinen Platz zu verlassen.
„Sie gehen ßu meine gute Freund Kalle – “ dekretierte er mit schwerer Zunge, „isch warte hier auf das Fräulein Pamela!“
An sich war das arithmetische Problem simpel: zwei Verschwörer können zwar zwei Opfer weglocken – aber das dritte? Wer konnte aber auch ahnen, daß der schwedische Holzhacker (oder was immer er war) die Vandalenakte an seinem Mercedes mit solch souveräner Gleichgültigkeit aufnehmen würde!
Fräulein Frigga war fast genau so verzweifelt wie ich, wenn auch aus etwas anderen Gründen: einerseits wurde ihr immer klarer, das sie mit der Handtasche der armen Pamela auch die Verantwortung übernommen hatte – andererseits verlangte ihr Chef dringend nach ihr – und zu allem Überfluß stellte sich ein wichtiger Kunde bockbeinig und volltrunken mitten auf den Festplatz, wo sie ihn auch nicht allein lassen konnte!
„Sie warten noch auf jemand?“ warf ich mich hilfsbereit in die Bresche. „Wenn ich nun hierbleiben und der Dame Bescheid sagen würde – wie sieht sie denn aus?“
„Wenn Sie das tun wollten – “ griff Frigga erleichtert zu. „Sie hat einen weißen Flausch-Wollmantel und blondes, kurzes Haar – sie wollte da drüben – Sie wissen schon – und wenn Sie ihr sagen, daß wir beim Wagen auf sie warten – „
Ich beschwor, dies treulich zu tun – ja, direkt vor der Toilette ihrer zu harren – und entließ die beiden, Törnewald brummelnd und in der Tat wie ein Bär von der Dompteuse Frigga abgeführt, mit einem Seufzer der Erleichterung.
Jetzt fehlte mir nur noch der gute Alex. Hoffentlich hatte ihn die Polizei nicht mit zum Tatort geschleppt? Aber er wäre doch hoffentlich intelligent genug gewesen, sich unter dem Motto „Ich sollte bloß Bescheid sagen, weil die schwedischen Herrschaften sofort zum Wagen wollten!“ jeglicher Zeugenschaft zu entschlagen? Fürchterlich, wenn man allen Leuten ständig alles erklären mußte, um sicher zu sein, daß sie keinen neuen Unfug trieben!
Nach dem weisen Grundsatz des großen Valentin aus Chestertons „Blauem Kreuz“ – daß man nämlich jemand, von dessen Aktionen man keine Ahnung hat, am besten auch ohne jeglichen Plan findet! – driftete ich planlos über den Festplatz: und fand mich schließlich zu meiner eigenen Überraschung wieder vor der Bude des „Casino de Paris“.
Die „schönen Frauen“ standen – Sylvia Orchidea natürlich wieder in voller tizianroter Lockenpracht – diesmal womöglich noch gelangweilter als vorher herum; die Violettgelockte rasselte ihre Sprüche mit unverminderter Begeisterung herunter – und Monsieur Garvin sah noch gaunerhafter aus als früher.
„… rätselhafte Kräfte, ein sechster Sinn erlaubt es ihm, Experimente auszuführen, die selbst den Gelehrten der Academie Francaise ….”
Ich studierte gerade – mit durch Erfahrung geschärften Blick – das atemberaubende Dekolleté meines Namensvetters, als mich plötzlich sanft jemand von hinten auf die Schulter tippte. Alex, dachte ich automatisch – aber als ich mich umdrehte, ragte vor mir, schwankend aber imposant, die Bärengestalt Törnewalds.
Mit einiger Mühe beugte er sich nieder, bis sein schwarzumbarteter Mund – enzian- und bierduftend – etwa in der Höhe meines Ohres schwebte, und raunte mir verschwörerisch zu:
„Isch – “ er deutete der Sicherheit halber mit der Rechten auf seinen mächtigen Brustkorb „- bin ihr entwischt!“ Er lachte glucksend.
„Isch – “ er neigte sich noch näher zu mir, mich in eine Wolke von Tabak- und Bieratem hüllend, „habe in Schweden auch ßo eine Ssseckretärin.“ Er schüttelte melancholisch sein mächtiges Haupt. „Ißt tüschtisch – ßehr tüschtisch – aber kann man ßich mit ßie amüßieren?!“
Oh Gott, jetzt habe ich den am Hals! dachte ich – seltsamerweise nicht ganz so verzweifelt, wie ich es (entweder als sittsame junge Dame oder als seiner Mängel bewußter Jüngling) eigentlich hätte sein müssen: Dieser schwedische Bär hatte etwas von einem Naturereignis, dem man sich als schwacher Mensch nicht entgegenstemmen konnte.
Dennoch versuchte ich das:
„Aber die Schau hier ist sehr gut zum Amüsieren!“ sagte ich verheißungsvoll (vielleicht ernüchterte Sylvia Orchidea ihn wieder genug, um ihn endlich zum Heimgehen zu bringen).
Er blickte mich kritisch an: „Ssie haben schon geßehen ?“
„Ja – “ nickte ich, „sehr gut – sehr charmant!“ (ich kam mir schon vor wie die Weißviolette).
Aber das war genau das Verkehrte:
„Dann gehen wir nischt noch einmal hinein!“ entschied Törnewald.
Wieder beugte er sich so dicht zu mir, daß sein Bart fast meine Wange kratzte: „Ssoll Isch Ihnen ßagen, was die da ßind?“ fragte er vertraulich, mit beredter Geste auf die Damen des Casino de Paris weisend: „Schschschneeehühner!“
Er nickte philosophisch. „Bloße – Schneehühner!“
„Ssie – “ er drehte mich mit seinen Riesenpranken wie ein Spielpüppchen zu sich um und hielt mich mit ausgestreckten Armen an den Schultern, um mich gründlich zu mustern – „Sssie ßind ßehnmal schschscharmanter alß diese Schschneehühner alle ßußarnmen!“
Jetzt geht das wieder los! dachte Sylvia – pflichtschuldige Verzweiflung mit prickelnder Freude am Kompliment (davon konnte sie bekanntlich, nie genug hören) gemischt. Aber genau das inspirierte sie wieder zu einer auf den ersten Blick irren – aber, wie der Erfolg beweisen sollte, wirkungsvollen Aktion:
„Mein Herr – “ hauchte sie mit niedergeschlagenen Augen wie die arme schöne Gouvernante in Fräulein Lieselottes ‘Um eine Grafenkrone’, „Sie sind sehr – gütig – aber hier, vor all den Leuten – man würde denken – „
Soviel mädchenhafte Scheu weckte selbst in Törnewalds umnebelten Gehirn wieder die Erinnerung an längstvergessene Tanzstundenjahre: er ließ meine Schultern los, reckte seinen riesigen Brustkorb und räusperte sich hörbar.
„SSSelbstverständlich – !“ murmelte er korrekt. „Ingmar Törnewald – “ er deutete wieder, der siche-reren Identifizierung halber, auf seine eigenen Brust, „kompromm – prottim – iert keine Dame – !“ Und dann, nachdem alle meine Worte bis in sein Bewußtsein gedrungen waren: „Gehen wir alßo!“
Das war nun zwar genau wieder nicht das, was ich eigentlich hätte wollen müssen – denn inzwischen begann die auffallende Gestalt Tornewalds, zusammen mit seinen Aktionen, schon fast mehr Aufmerksamkeit bei den Schaulustigen zu erregen, als das ganze Ensemble des Casino de Paris; und als er mir nun – wie sagt man: „mit altväterischer Grandezza“ – seinen Arm anbot, gerieten wir endgültig in den Mittelpunkt des Aufsehens.
Was nun allerdings wiederum insofern nützlich war, als der herumirrende Alex auf den Auflauf aufmerksam wurde und – wieder mal meine Unschuld rettend – auf der Szene erschien.
Diesmal aber mußte der Sylvia-Computer direkten Kontakt mit dem seinen aufgenommen haben – denn er tat nach einem kurzen Blick auf die Situation das einzige, was sie noch retten konnte:
Mit einer superkorrekten Verbeugung trat er auf Törnewald zu, warf sich seinerseits – so gut er konnte – in die Brust, und sagte weithin hörbar wie ein Bühnenschauspieler:
„Alexander Mertens. Darf ich Ihnen meinen Dank dafür aussprechen, daß Sie Fräulein Sylvia sicher durch diesen Festtrubel geleitet haben?“
Törnewald blinzelte einen Moment – was war das nun wieder?! – gab aber dann, in genau so tönender Bühnensprache, dröhnend zurück:
„Eine Ssselbsverßtändlichkeit und eine Ehre!“ – gefolgt von einer Verbeugung, deren Korrektheit und Tiefe ich ihm in seinem Zustand nie zugetraut hätte. „Ingmar Törnewald!“ fügte er – verspätet Alex‘ Vorstellung erinnernd – hinzu.
Das Publikum – endgültig das Casino de Paris vergessend – war fasziniert: sowas gab es also tatsächlich und nicht nur in Dreigroschen-Romanen – es fehlte nur noch, daß die sechsspännige Kutsche mit dem treuen alten Diener vorfuhr.
Fräulein Sylvia – nun gleichfalls bühnenbewußt – dankte ihrem einen Beschützer mit gnädigem Neigen des Kopfes und ließ sich dann, in prächtiger Choreographie, von dem anderen übernehmen.
„Darf ich – “ Alex übertraf sich selbst, „Sie noch zu einem gemeinsamen Abschiedstrunk einladen ?“
“Ich würde mich sehr freuen – “ hauchte Sylvia (angesichts so vieler Zuschauer wieder mal ihrer Stimme nicht sicher – aber deshalb keineswegs bereit, auf ihren Part zu verzichten) dazwischen.
Törnewald zwinkerte wieder. „Abschiedstrunk!“ wiederholte er tief nachdenklich, „Abschiedstrunk – ßelbstverständlich: eine Ehre!“
Und mit einer Behendigkeit, die man seinem massigen Körper wiederum nicht zugetraut hätte, schwenkte er korrekt rechts neben mir ein. Daß wir zum Abgang keinen Applaus auf offener Szene bekamen, lag wahrscheinlich nur daran, daß er zu unerwartet kam.
„Herr Törnewald – “ gab Sylvia in leichtem Konversationston zum besten, „hält die Damen vom Casino de Paris für Schneehühner!“ (Sie war wieder mal völlig übergeschnappt – mit einem Herrn links und einem zweiten rechts!)
„Beziehungsweise Schneehähne!“ erwiderte Alex (der Himmel mochte wissen, was er in Wirklichkeit von dem Ganzen dachte!) ernsthaft.
„Oh – gibt es auch Schnee h ä h n e , Herr Törnewald?!“ himmelte Sylvia (sie konnte keine Erwähnung ihres Namensvetters vertragen, ohne irgendwie eifersüchtig zu werden) zu dem Schweden hinüber.
Was immer er nun auch davon verstanden haben mochte (wahrscheinlich weniger als nichts), Ingmar Törnewald konnte keiner Dame etwas abschlagen:
„Schschschneehähne?“ wiederholte er nachdenklich – bis sich sein Gesicht strahlend erhellte: „Aber ja – ganße Felder davon!“
„Und – völlig ohne Hühner ?” fragte Sylvia, fasziniert von der surrealistischen Wendung, die das Gespräch zu nehmen begann.
Wieder überlegte Törnewald kurz; „Das meißte Jahr ja – “ gab er dann kund, “ – ßie kommen nur in die Laichzeit!“
Es ist schwer abzusehen, welche weiteren Enthüllungen über das Sexualleben der Schneehühner die Weiterführung dieses Themas noch ergeben hätte – wäre nicht Alex, in verständlicher Beunruhigung, jetzt eingefallen:
„Wir bringen Sie doch am besten gleich noch in Ihr Hotel?“
Törnewald kehrte – mit sichtbarer Anstrengung – aus der unermeßlichen Weite der skandinavischen Schneehahnfelder in die Gegenwart zurück:
„Aber erßt – “ erinnerte er sich, „nehmen wir eine Abschschiedstrunk!“
„Eben – „, räumte Alex diplomatisch ein, „das wollen wir ja in der Bar Ihres Hotels tun!“
„In die Bar von das Hotel – ?“ meditierte der Schwede, bis er sich über die Genialität dieses Einfalls voll klargeworden war: „Aber ja – daß ißt gut!“ Doch nun wirkte der einmal gegebene Denkanstoß unerbittlich weiter: „Aber ich ßage Ihnen jetßt noch besser: wir nehmen hier eine Abschschiedstrunk – und in die Bar noch eine!“
Unseligerweise hatte nämlich Alex diese Wendung des Gesprächs ausgerechnet eingeleitet, als wir an der Schnapsbude vorbeikamen, an der Törnewald vorhin schon mit seinen Geschäftsfreunden gezecht hatte – und so gelang es uns nicht, ihn weiterzubringen, bevor wir dort mit ihm ein weiteres Glas (um exakt zu sein, Doppelglas) Gebirgs-Hirnbeergeist geleert hatten:
„Ssssu Ehren – “ betonte Törnewald galant, „von unßere Fräulein Sssylvie!“
„Sylvia!“ korrigierte sie sanft (sich wieder höchst behaglich der Situation hingebend).
“Sssylvie – ja!“ bestätigte der Schwede mit gewisser Endgültigkeit.
Wir brachten ihn schließlich nur von der Bude weg, nachdem er eine weitere ganze Flasche Himbeergeist – „für dem Weg“ – gekauft hatte; jedoch „dem Weg“ erwies sich, unglücklicherweise, als langwierig.
Anders als es Alex erhofft hatte, waren nämlich Taxis am Ausgang des Festplatzes Mangelware – und wenn schon einmal eines auftauchte, stürzten Trauben heimkehrender Familien mit schlaftrunkenen Kindern, angetrunkene Alliierte und andere schwer auszupunktende Anwärter auf es zu. Ein wohlerzogener Mensch wie Alex hatte dabei kaum Chancen.
„Kommen Sssie, Sssylvie – gehen wir!“ brummelte Törnewald mit gutgespielter Harmlosigkeit, als Alex wieder einmal in einen Disput mit einem angeblich schon seit Stunden wartenden Familienvater verwickelt war, und tänzelte mit bärenhafter Grazie auf meine Linke, mir den Arm bietend.
„Wir bleiben !“ erwiderte ich mit der freundlichen Festigkeit einer geschulten Krankenschwester.
„Sssie bleiben ?“ fragte er vorsichtig.
„Ich bleibe – und Sie bleiben!“ bestätigte ich.
“Wenn Sssylvie bleibt – bleiben isch auch!“. entschied er dann. „Aber dann trinken Sssie und isch!“
Und damit offerierte er mir die Flasche Himbeergeist, die unvorsichtigerweise nicht mit einem schwer zu entfernenden Korken, sondern nur mit einer Schraubkappe verschlossen worden war. Wenig gewohnt, Schnaps aus Flaschen zu trinken, bekam ich statt des geplanten damenhaften Nipp-Schlückchens eine mörderische Dosis des scharfen Gesöffs mit – die mir aber, und damit kündigten sich weitere Komplikationen an, unerwartet gut schmeckte. Dann tat Törnewald einen gewaltigen Zug, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und warf danach einen feldherrnhaften Blick auf die Lage.
Eben war wieder ein Taxi herangerollt – aber noch ehe sich weitere Anwärter melden konnten, war Törnewald mit unsicheren, aber schnellen Schritten darauf zugesteuert, blockierte mit seinem mächtigen Leib sämtliche Türen und erklärte sachlich:
„Isch kaufe den Taxi!“
Da er dabei dem verblüfften Fahrer seine – nach Dicke und Format seiner übrigen Persönlichkeit würdige – Brieftasche unter die Nase hielt, klang das gar nicht so unglaubhaft: jedenfalls schien sich der Taxifahrer blitzschnell zu erinnern, daß wir ihn ja „per Funk vorbestellt“ hätten, womit er auch einen der unseligen Familienväter, der sich, eines seiner zahlreichen Kinder auf dem Arm, an die Taxitür gedrängt hatte, abwies.
„Sssie – “ sagte Törnewald, den Mann scharf ansehend, „kaufen sisch auch einen Taxi!“ Und mit abschätzendem Blick auf die Kinderschar: “Einen größßeren! „
Damit drückte er dem sprachlosen Vater einen Geldschein in die Hand und öffnete im gleichen Zug die Taxitür, um sich mit der Grazie eines zur Tränke hinabsteigenden Nilpferds auf die engen Polster zu schieben. Wie der Mann auf diesen unverhohlenen Frühkapitalismus reagierte, war mir zu verfolgen leider nicht mehr möglich, weil mich Törnewald mit gewaltigem Arm aus dem Taxi heraus um die Taille packte und – indem er mich mit dem anderen Arm wie bei einem Judo-Griff einfach in den Kniekehlen vom Boden hob – als zappelndes Paket auf seinen Schoß zog.
Angeblich gibt es einen chinesischen Ratschlag dafür, wie sich Jungfrauen in aussichtsloser Lage verhalten sollen, wenn man sie vergewaltigen will: „Entspannt Euch – und genießt es wenigstens!“.
Viel anderes blieb auch mir hier nicht übrig. Zugeben mußte ich, daß man auf dem gewaltigen Schoß Törnewalds wenigstens genug Platz – etwa wie auf einem mittleren Klubsofa – hatte; auch war ich in meinem stoffreichen Plastik-Regenmantel so gut verpackt, daß keine unmittelbare Gefahr von Intimitäten, die ich mir nicht leisten konnte, bestand. Und als nun auch noch Alex, der die Situation inzwischen endlich erfaßt hatte, die Tür auf der anderen Wagenseite aufriß und sich energisch auf den Sitz neben uns fallen ließ, schien die Lage wieder einigermaßen unter Kontrolle.
„Und wohin bitte ?“ fragte der Taxifahrer geschäftsmäßig.
„Na – in die Bar!“ dröhnte Törnewald, mich noch immer liebevoll an seine breite Brust drückend, nicht ohne Entrüstung darüber, daß solch selbstverständliches Ziel dem Fahrer nicht von allein klar sei.
„Und – in welche bitte ?“ fragte der Fahrer sachlich weiter.
„In die Bar von mein Hotel – natürlisch!“ Der Schwede schien nun über solche Begriffsstutzigkeit ernstlich böse, zumal ihn diese Fragerei nur bei der viel inter-essanteren Beschäftigung störte, mit seinen behaarten Pranken meinen plastikverpackten Oberleib mit inniger Konzentration abzutasten – ich konnte den guten Alex nur durch ausdrucksvolles Mienenspiel davon abhalten, mir (was in dem engen Taxi sowieso praktisch unmöglich gewesen wäre) irgendwie zu Hilfe zu kommen.
„Und welches ist Ihr Hotel, bitte?“ versuchte sich der Taxifahrer wie in einem Quiz-Spiel einen Schritt weiter an die Lösung heranzutasten. „Ich meine – wie heißt es?“ setzte er der Deutlichkeit halber noch hinzu.
„Ja – Sssylvie, wie heißt unßere Hotel?!“ wandte sich Törnewald vorwurfsvoll an mich.
„Fahren Sie erst mal los – wir sagen Ihnen das Hotel gleich!” schaltete sich Alex in gelinder Verzweiflung ein – denn noch immer beobachteten uns, durch die Taxifenster, die unmündigen Kinder der wartenden Familie mit vor Staunen runden Augen.
„Wie Sie wünschen – “ räumte der Fahrer ein und startete – mich dabei nochmal kräftig gegen Törnewalds mächtigen Brustkasten schleudernd.
Leider war es nicht zu leugnen, daß „Sssylvie“ sich schamlos daran amüsierte, wie Törnewalds Pratzen mit geradezu spürbarer Faszination ihre falschen, aber griffechten Rundungen explorierten; was daraus entstanden wäre, hätten wir beide allein in dem Taxi gesessen, war nur schwer zu entscheiden – aber unter dem stabilisierenden Einfluß des danebensitzenden, offensichtlich mit heldenhaften Entschlüssen zum Schutze meiner Unschuld ringenden Alex hatte all das wieder einmal die nützliche Folge, Sylvias Inspiration zu beflügeln:
“Haben Sie nicht im Hotel so ein kleines Kärtchen bekommen – mit Ihrer Zimmernummer?“ erkundigte sie sich hilfreich.
Törnewald blinzelte – in seiner Konzentration auf „Sssylvies“ rechtes Brüstchen, das in seiner riesigen Tatze voll verschwunden war, gestört: „Habe isch – ?“ erkundigte er sich unsicher.
„Bestimmt haben Sie!“ Ich rutschte – nicht ohne daß Sylvia dabei das erregende Gleiten und Streicheln an Gesäß und Beinen genoß – auf dem glatten Plastik meines Mantels ein Stück über seine mächtigen Schenkel und wandte mich voll zu ihm um. „Vielleicht in Ihrer Westentasche?“
Brummelnd gestattete Törnewald es, daß ich – nicht ohne dauernd mit meinen falschen Fingernägeln irgendwo hängenzubleiben (der Teufel weiß, wie verbrecherische Damen Männern die Brieftaschen klauen, wenn sie so lange Nägel haben!) – seine Taschen durchsuchte und dabei – schon Alex zuliebe – langsam immer mehr Distanz von ihm gewann; als ich endlich tatsächlich das Zimmerkärtchen in seiner Brusttasche entdeckt hatte, ließ ich mich – es dem Fahrer nach vorn reichend – auf atmend in die schmale Ritze, die zwischen dem Schweden und Alex noch auf dem Rücksitz geblieben war, gleiten.
Dabei entdeckte nun Törnewald auf einmal wieder, daß er ja auch noch die Flasche mit dem Himbeergeist bei sich habe – und ruhte nicht eher, bis er mir wieder eine beängstigende Dosis eingeflößt hatte: dabei ruhte sein linker Arm noch immer besitzesstolz um meine Schultern – nur daß es nun seine Linke war, die genußvoll und selbstvergessen mit der Rundung des anderen Brüstchens spielte. Das arme Pagen-Reh-Lamm hatte vollkommen recht gehabt: bei sich behalten konnte der gute Ingmar seine Pratzen nicht, wenn er etwas Weibliches in Griffnähe hatte (oder, wie hier, zu haben glaubte); nur schien Sylvia dies bloß als eine etwas andere, handgreiflichere, aber nicht weniger schmeichelhafte Art der Bewunderung aufzufassen wie etwa jene, die sich in Blicken oder Komplimenten ausdrückte.
Dennoch versäumte sie natürlich nicht, Alex durch beredtes Augendeckelklappern anzudeuten, das sie all dies nur im Interesse des lieben Friedens über sich ergehen lasse – auch, als ihr Törnewald zum drittenmal die Flasche mit dem Himbeergeist reichte.
In Wirklichkeit hatte ich ein echtes Bedürfnis nach einen kräftigenden Schluck. Denn inzwischen war mir ernüchternd wieder zum Bewußtsein gekommen, daß ich zwar in Bezug auf weibliche Formen recht überzeugend ausstaffiert war – keineswegs aber (uraltes Problem) in Bezug auf die Frisur. Bis jetzt waren ja die Situationen – trotz ihrer Vielfalt – immer noch so gewesen, daß ich mein Kopftuch über den falschen Locken nicht abzulegen brauchte: aber wenn wir jetzt tatsächlich, wie beschlossen, in der Hotelbar noch einen „Abschiedstrunk“ nehmen sollten, konnte ich das ja schlecht in Regenmantel und Plastik-Kopftuch tun – fast ebenso schlecht übrigens, fiel mir dazu noch ein, in Fräulein Lieselottes kariertem Haushaltsdirndl, dessen freigiebiger Ausschnitt zwar Törnewald gewiß fasziniert hätte: das aber schwerlich in eine vornehme Hotelbar paßte. Und wie es wirken sollte, daß ich dazu wie beim großen Hausputz auch noch ein kariertes Tuch um den Kopf tragen mußte …
“Jetzt aber so schnell wie möglich heim …!” raunte ich deshalb Alex zu, als wir endlich (Törnewald hatte “den Taxi” nun doch nicht gekauft, sondern dem Fahrer nur einen Hundertmarkschein in die Hand gedrückt) in der Hotelhalle standen.
Alex nickte (wenn auch in völliger Unkenntnis meiner wahren Motive) verständnisvoll – aber wir hatten die Rechnung ohne Ingmar Törnewald gemacht, der offenbar während der Taxifahrt (oder des genußvollen Abtastens meiner gummielastischen Reize?) neue Energien gesammelt hatte.
„Tschetßt – “ erklärte er volltönend und schwenkte seine Himbeergeistflasche, „trinken wir dieß noch auß – und dann gehen wir in der Bar!“
Unbekümmert um die befremdeten Blicke des Portiers – glücklicherweise waren wenigstens nicht mehr viele Gäste in der Halle – offerierte er mir die Flasche zum viertenmal; und ich nahm mit dem Mut der Verzweiflung den letzten Schluck. Sylvia, wieder mal durch Haar-Sorgen nervös geworden, hatte jetzt, wo es mal nötig gewesen wäre, natürlich nicht die Spur einer rettenden Inspiration zu bieten; und Alex schüchterne Versuche, den Schweden auf andere Gedanken zu bringen, waren – wenn Törnewald sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte – von vornherein zum Scheitern verurteilt. Was sich die Hotelangestellten beim Anblick einer Himbeergeist aus der Flasche trinkenden jungen Dame dachten, war mir jetzt auch schon egal – jedenfalls hatte ich wieder ein paar kostbare Sekunden gewonnen.
Wie zum Hohn standen in den Schaufenstern und Schaukästen der Hotelhalle die entzückendsten Cocktailkleider – bei dem Frisiersalon sogar elegante Damenperücken – ausgestellt; sechshundert Mark hatte ich auch noch in der Handtasche – nur passierte das alles genau einen Abend zu früh! Und Sylvia fiel und fiel kein genialer Schachzug ein, um das Problem zu lösen …!
Die Lösung kam – freilich nur als Auftakt neuer Komplikationen! – diesmal aus völlig unerwarteter Richtung: und zwar von der Hotelbar, zu der Törnewald – trotz aller Ablenkungsversuche des guten Alex – mit unwiderstehlicher Gewalt hinstrebte: präziser gesagt, kam sie aus dieser Hotelbar – und zwar in Gestalt einer, zwar nicht mehr mit ihrem weißen Wollmantel, sondern einem schlichten, aber salonfähigen Büro-Kostümchen bekleideten – wohlbekannten Dame.
Der Schwede zwinkerte – wie immer, wenn ihm Unerwartetes widerfuhr – unter zusammengezogenen buschigen Brauen:
„Das Fräulein Pamela!“ brüllte er dann freudig über die ganze Hotelhalle hinweg.
An sich war das Ganze keineswegs so unlogisch: Vor das Problem gestellt, sich – ohne Gepäck und auf Rechnung ihrer Firma! – über nacht in einem Hotel einzumieten, wie ihr Sylvia das so kühn empfohlen hatte, war der armen Pamela (naheliegenderweise) nur das Hotel eingefallen, in dem ihre Firma eben Besucher unterzubringen pflegte. Daß naheliegenderweise auch Törnewald dort einquartiert sein könnte, hatte sie entweder nicht bedacht – oder sie hatte, an sich ganz richtig, unterstellt, daß sie ihm dort ja kaum mehr über den Weg laufen werde. Das wäre auch nie geschehen – hätte sie sich nicht, aus welchen Gründen auch immer, hinreißen lassen, nach den Aufregungen des Abends vor dem Schlafengehen noch einen beruhigenden Cocktail in der Hotelbar zu schlürfen; und daß dieser ihr – bei gedämpfter Musik und dem Duft der großen weiten Welt – so gut schmeckte, daß es nicht bei einem blieb, hatte sie exakt solange aufgehalten, bis sie nun (wie die Heldin einer Groschenserie) genau in die Arme ihres lüsternen Verfolgers lief.
Das geschah allerdings nicht wörtlich: Zwar eilte Törnewald – mit zielstrebigen, wenn auch etwas unsicheren Schritten – auf sie zu, um sie aller Voraussicht nach in der Tat in seine Arme zu schließen; aber – von Flügeln der Angst getragen und ihn mühelos überholend – war Sylvia vor ihm bei der, wie das sprichwörtliche Kaninchen beim Anblick der Kobra, erstarrten Pamela.
„Sie freuen sich, ihn zu sehen!“ zischte ich ihr zu und schloß sie dann, in herzlicher Begrüßung, wie eine Langvermißte in die Arme. Uns alle beide auf einmal kann selbst Törnewald nicht umarmen, dachte ich dabei nicht unlogisch. Was sich Pamela selbst bei dieser ganzen Szene dachte, konnte ich nicht ahnen – ich war schon höchst zufrieden, als sie den Schweden, der nun freudestrahlend vor uns stand, in der Tat mit einem tonlosen „Ich freue mich, Sie zu sehen!“ begrüßte. Was nun allerdings weiter passieren sollte, wußte ich auch nicht.
Die Rettung kam diesmal von Alex, der als letzter herbeigeeilt war und – ob aus Inspiration oder nur, weil er instinktiv in solchen Situationen auf seine korrekten Umgangsformen (als unfehlbare Pausenfüller) zurückgriff – Törnewald im schönsten Gesellschaftskonversationston bat:
„Würden Sie mich der Dame bitte vorstellen ?“
Appelle an seine weltmännischen Verpflichtungen waren – wie schon erwiesen – stets geeignet, den Schweden automatisch in Aktion zu setzen; so präsentierte er auch jetzt, mit schwerfälliger Grazie und noch schwererer Zunge – den guten Alex der verwirrten Pamela, die naturgemäß nicht das Geringste mit ihm anzufangen wußte: zumal er, in dem verzweifelten Bestreben, uns allen eine Atempause zu verschaffen, auf keinen besseren Einfall kam, als ihr gewichtig zu versichern, er stamme keineswegs aus der hanseatischen Linie der Familie Mertens, sondern sei vielmehr – wenn sie so wolle – nur ein Namensvetter derselben; sie muß ihn eher für einen entfernten Verwandten des Grafen Bobby gehalten haben.
„Und nun – “ verkündete Törnewald, auf sein urursprünglichstes Ziel zurückkommend, „gehen wir alle in der Bar !“
Jetzt setzte Sylvias Computer, zumindest momentan, wieder ein:
„Oh ja!“ flüsterte sie begeistert. „Besorgen Sie uns einen recht hübschen Platz – wir wollen uns nur – “ sie gestikulierte an sich und Pamela herunter – “noch ein bißchen hübsch machen!“
„Aber daß ßind Sssie doch schon – “ protestierte der Schwede naiv, ließ sich jedoch, als ich, Pamela willenlos hinter mir herzerrend, der Damentoilette zustrebte, von Alex doch in die Bar hinübersteuern.
Es schien, dachte ich mit einer gewissen Distanz (die wohl ursächlich mit dem vielen Himbeergeist zusammenhing), vom Schicksal bestimmt, daß ich die verfolgte Pamela prinzipiell auf Damentoiletten retten mußte; diesmal allerdings war es eine hochelegante, mit Seidentapeten ausgeschlagene und von einer würdigen Matrone bewachte Hotelhallentoilette.
„Keine Sekunde – “ flüsterte das Pagen-Reh-Lamm mit unerwarteter Energie, „bleibe ich mit diesem – diesem Tier unter einem Dach!“
„Aber – “ wisperte ich, durch die neugierigen Blicke der Toilettenfrau merklich gehemmt, „Sie haben doch hier schon das Zimmer!“
„Das ist mir ganz egal!“ Pamela – auch ihrerseits, durch einige Cocktails zuviel, enthemmt – stampfte mit dem Fuß auf den Boden wie ein zorniges kleines Mädchen; dann sah sie mich wieder mit ihren großen hilflosen Rehaugen an: “ Sagen Sie: kann ich nicht bei Ihnen schlaf… – ich meine, übernachten ?!“
Das hatte mir nun gerade noch gefehlt.
Aber auf den zweiten Blick erschien die Idee (wieder von der olympischen Höhe des Himbeergeistes herab betrachtet) gar nicht so absurd: wenn wir uns jetzt – Alex rücksichtslos mit Törnewald in der Bar hockenlassend – still und heimlich aus dem Hotel verdrückten, waren wir (so schien es mir zumindest) eigentlich alle akuten Probleme los: und bis morgen konnten wir dann in Ruhe überlegen, was sich aus den Trümmern unserer scheinbar hoffnungslos zusammengebrochenen Intrige noch retten ließ.
Doch – so überzeugte mich Pamela leise, aber eindringlich – als alleinstehendes Mädchen ohne jedes Gepäck (sie hatte ja noch nicht einmal eine Handtasche bei sich!) war es ihr schon in diesem Hotel nur gelungen, unterzukommen, weil man sie am Empfang zufällig von ihrer Firma her kannte: ich glaubte ihr, daß sie in einem neuen Hotel wieder unlösbare Probleme vorfinden würde – und war es genaugenommen so katastrophal, sie mit in Tante Irmas Haus zu nehmen? Mal abgesehen davon, daß diese mich dort gewiß nicht zum „Hauswächter“ eingesetzt hatte, um es zu einer Art Asyl für verfolgte Mädchen zu machen – Räume und Betten gab es dort ja genug: und was die Nachbarschaft anging, so kam es jetzt auf eine junge Dame mehr oder weniger, die man vielleicht nachts ins Haus verschwinden sah, auch nicht mehr an!
In gewohnter Umsicht – wenn auch befremdlich blind für alle sonstigen Komplikationen, die sich aus diesem neuen Plan ergeben konnten! – begann Sylvia ihn sogleich in die Tat umzusetzen: Ihre Freundin – Pamela zeigte, nach einem sanften Tritt auf den Fuß, ein schmerzverzerrtes Antlitz zur Bestätigung – sei von plötzlicher Migräne überfallen und müsse eilends per Taxi nach Hause geleitet werden, erläuterte sie der Toilettenfrau (die dies, ob sie es nun glaubte – oder dergleichen Fluchten schon öfter erlebt hatte?- verständnisvoll aufnahm); den Herren in der Bar sei dies durch einen Boten – besser noch, fiel mir ein, durch ein paar Zeilen mitzuteilen, die ich hastig (der damenhaften Handschrift halber lieber von Fräulein Pamela, aber unter meinem Namen) auf einen Bogen Hotelpapier, den die hilfsbereite Frau produzierte, kritzeln ließ und an „Herrn Alexander Mertens“ adressierte. Indessen hatte die Wächterin der Frauengemächer bereits per Telefon – vornehme Hotels haben sowas auch dort – vom Empfang ein Taxi bestellen lassen, so daß es uns nur noch oblag, wie scheu sichernde Rehe durch die Halle zu huschen, um nicht nochmal irgend jemand Unpassendem in die Arme zu laufen. Daß die arme Pamela nun auch noch ihren Mantel auf dem Zimmer zurücklassen mußte, entsprach nur dem Stil dieses Abends, ihren gesamten Besitz an den verschiedensten Stellen der Stadt zu verteilen.
Erst draußen in der kühlen Abendluft stellte ich fest, wie sehr mir Törnewalds Himbeergeist in die Beine gefahren war – ich war regelrecht froh, mich neben Pamela in die Polster des neuen Taxis sinken lassen zu können. Wie das aber öfter in diesem Zustand geschieht, beobachtete ich mich selbst dabei von einer höheren Ebene herunter sehr kühl, distanziert und sorgfältig – mit einem gewissen Stolz darauf, daß ich trotz meines leichten Schwebegefühls noch alles richtig machte.
„Ach – Fräulein Sylvia – wie soll ich Ihnen nur danken, daß Sie das alles für mich tun!“ sagte Pamela ernsthaft und sah mich wieder mit ihren großen waidwunden Rehaugen an.
„In solchen Situatschonen – “ erwiderte ich, jedes Wort sorgsam artikulierend, ebenso tugend- wie unwahrhaft, „müssen wir Mädschen doch zßusammenhalten! Zßumal – “ wie Perlen auf einer Kette liefen all die Ereignisse an mir vorüber, die ja die arme Pamela noch kennenlernen mußte, um überhaupt wieder aufs Laufende zu kommen – „ja, wenn Sie das genau nehmen, gerade ich Schschuld daran bin, daß Sie dem Schschweden nochmal in die Arme gelaufen sind!“
Außerordentlich stolz auf meine Sprachflüssigkeit – wenn auch nach wie vor dankbar, daß das, schon des Taxifahrers wegen, wispernd geschehen konnte – versuchte ich ihr die mehr oder minder skandalösen Vorfälle seit unserer Trennung zu schildern; ob mir das so vollkommen gelang, wie es mir damals erschien, daran hatte ich allerdings später große Zweifel. Immerhin konnte ich einige Höhepunkte nicht ausgelassen haben, denn am Schluß fragte Pamela mit unverhohlenem Entsetzen: „Dann hat der Kerl Sie also auch noch belästigt?!“
Sylvia lächelte fraulich-nachsichtig:
“Sagen wir – er zßeigte seine Bew-wunderung sehr offen … „
„Nein – ! “ Pamela wurde tatsächlich bei der bloßen Vorstellung noch schamrot! “ – das kann ich mir wirklich nicht verzeihen, daß ich Sie da auch noch hineingezogen habe !“ Nun schienen ihr gar auch noch die Tränen zu kommen …
Irgendwie war es ja schade, daß ich nicht mit Abstand das Groteske einer Situation genießen konnte, ein junges Mädchen darüber trösten zu müssen, daß ein besoffener Schwede sich an den Luftballons meines falschen Busens ergötzt hatte: aber in der Tat hatte ich alle Hände voll damit zu tun, die arme Pamela wieder zu beruhigen – schluchzende Mädchen machten anscheinend Sylvia genau so nervös wie die meisten Männer.
„Aber ich glaube – “ murmelte Pamela schließlich, die großen Unschuldsaugen unter tränenschweren Wimpern bewundernd zu mir aufschlagend, „Sie können sogar mit so etwas fertigwerden, ohne – “ sie suchte sichtlich nach dem richtigen Ausdruck“ – ohne sich was zu vergeben! Ich wollte – “ seufzte sie, „ich wäre ein Mädchen wie Sie!“ (welcher Wunsch sich glücklicherweise nicht erfüllte).
„Mir – “ fügte sie vertraulich hinzu und lehnte sich vertrauensvoll an mich, „wird es immer richtiggehend übel, wenn ein Mann so – so – mit den Händen – “ Sie schüttelte sich wieder. „Vielleicht ist das, weil ich mit Vierzehn mal …“ fuhr sie noch leiser fort – ließ aber dann den Satz unvollendet.
Nun war ich – abgesehen einmal von diesem seltsamen Gefühl, über den Dingen zu schweben! – immerhin noch klardenkend genug, um zu registrieren, daß sich hier neue Komplikationen anbahnen könnten: bei allem Genuß, den es Sylvia bereitete, so „von Frau zu Frau“ über intimere Dinge zu plaudern, ließ es sich nicht verhehlen, daß wir bei dieser fast krankhaften Scheu unseres Pagen-Reh-Lamms vor Männern am Rand einer Katastrophe balancierten, falls es je …
Glücklicherweise war das Taxi genau in diesem Moment vor unserer Haustür angekommen. Ich zahlte – ohne Fräulein Lieselottes Sündenlohn hätte ich mir diese ganze Rettungsaktion überhaupt nicht leisten können! – warf einen sichernden Blick auf die menschenleere Straße (in Sicht war niemand, und wenn zu der späten Stunde unwahrscheinlicherweise noch Nachbarn hinter Gardinen lauern sollten, konnte ich’s auch nicht ändern!) – und zog dann meinen Schützling rasch und energisch in den Schatten des Eingangs.
Theoretisch zumindest hatte ich die Dinge völlig unter Kontrolle: ich konnte die scheue Pamela in Tante Irmas und Onkel Antons Schlafgemach packen, in mein Zimmer verschwinden, abschließen und am anderen Morgen erst wieder zum Vorschein kommen, nachdem ich wieder einwandfrei mädchenhaft hergerichtet war; aufs Baden mußte ich eben mal verzichten oder es nachholen, wenn ich meinen Gast, der ja sowieso einigermaßen pünktlich ins Büro mußte, verabschiedet hatte. Und dann konnte ich endlich in Ruhe meine Perücke kaufen gehen!
All das konnte ich zweifellos – nur tat ich, wie sich bald herausstellen sollte, etwas völlig anderes.
Sextes Kapitel: Sündenfall
“ … nie hilft man einer Lesbe, ohne
daß dieselbe es belohne … „
Vielleicht wäre auch wirklich alles so verlaufen, wie ich es als ungefährlich geplant hatte – wenn Alex nicht gewesen wäre.
Ich hatte meinen Schützling (nachdem ich mich in der Diele vorsichtig aus meinem Regenmantel und Kopftuch geschält hatte – glücklicherweise saß darunter noch alles, einschließlich der Haare unter dem zweiten Tuch, einwandfrei) mit gluckenhafter Betulichkeit und mehrfach betonend, wie nötig sie jetzt Ruhe brauche, ins eheliche Schlafzimmer verfrachtet, ihr den Weg ins benachbarte Bad und zur Toilette gezeigt und ihr sogar den Wecker gestellt (damit sie mir morgens vor diesem Zeitpunkt möglichst nicht in den Weg liefe) – mit Mühe abgewehrt, daß sie mir nochmals dankbar für alles um den Hals fiel – ihr eine gute Nacht gewünscht und mich endlich in mein keusches Mädchengemach zurückgezogen; hatte aufatmend die Tür abgeschlossen und allein und genußvoll Stück um Stück meiner hübschen Sylvia-Sachen abgelegt – bis auf den Büstenhalter und seinen Inhalt natürlich, auf den ich auch nachts nicht verzichten wollte – hatte das Nachthemd übergestreift und war gerade im Begriff, endlich auch das blaukarierte Tuch mit meiner Patent-Locken-Konstruktion zu entfernen – als plötzlich durch das nächtlich stille Haus das Telefon schrillte.
Was war das nun wieder? Hastig warf ich Tante Irmas seidenen Morgenrock über und wäre beinahe bereits aus der Tür geschossen, als mir einfiel, daß auch die exzentrischste Dame schwerlich mit einem blaukarierten Kopftuch zum bestickten Seidenkimono herumlaufen würde! Während das Telefon nervensägend weiterklingelte, fummelte ich mit fliegenden Fingern einen Chiffonschal Fräulein Lieselottes über das andere Tuch – in der Hoffnung, man könne dies für die Nachttracht eines Mädchens, das sich die Haare aufgedreht hat, halten – und stürzte endlich die Treppe hinunter.
Natürlich war es der gute Alex. Er rief an, um zu melden, daß er unseren Freund Törnewald – allerdings nur mit Hilfe des Barmixers und des Nachtportiers – endlich zu wohlverdienter Ruhe auf sein Hotelzimmer verfrachtet habe; wir also von demselben nichts mehr zu befürchten hätten; er, Alexander Mertens, hingegen noch in jeder Beziehung zu unseren Diensten stünde – insbesondere, falls ich seine Zeugenschaft benötigen sollte, um meiner Tante …
„Alex – “ erkundigte sich Sylvia mit untrüglichem weiblichen Instinkt, „wieviel – also exakt wieviel haben Sie mit Herrn Törnewald noch getrunken, bevor er unter den Tisch fiel?“
„Och – hm – natürlich habe ich da auch so etwas – so ein bißchen- “ begann er mit verdächtiger Vagheit, „aber – „
„Alex – “ unterbrach ihn Sylvia zuckersüß, „Sie leisten jetzt niemand mehr irgendwelche Dienste – Sie legen auch nicht Zeugnis für jemand ab – Sie legen sich jetzt lediglich schleunigst ins Bett: da gehören Sie nämlich jetzt hin!“ (Sylvia hätte eine ausgezeichnete Ehefrau abgegeben.) „Die arme Pamela und ich werden Ihnen nie vergessen, was Sie alles für uns getan haben – “ fügte sie aufrichtend hinzu, „aber alles weitere besprechen wir doch lieber morgen! Auch – “ fiel mir plötzlich ein, „die Frage mit dem Nachtklub! Gute Na-acht!“
Ich legte den Hörer auf und versuchte mir einen Augenblick auszumalen, welchen Effekt so ein nächtlicher Anruf wohl gehabt haben würde, wenn ich wirklich mit Pamela mitten in der Nacht bei einer sittenstrengen Tante Unterschlupf gesucht hätte: Der gute Alex mußte ganz schön angeschlagen gewesen sein!
Jedenfalls aber hatte er mit seinem Telefongeklingel eines erreicht: nämlich, die scheue Pamela wieder aufzuschrecken, die inzwischen an der Brüstung des Obergeschosses erschienen war (sie mußte übrigens mit dem Ausziehen noch länger herumgetrödelt haben als ich – denn sie war immer noch im Unterrock, exakter gesagt einem kurzen schwarzen Hemdröckchen, in dem sie unerwartet ’sexy‘ aussah).
„Was war denn los ?“ rief sie halblaut zu mir herunter.
Nun traute ich mir zwar allerhand zu – selbst an meinen geborstenen Alt hatte sich Pamela inzwischen ja schon gewöhnt – aber halblaut durch Haus zu rufen und dabei nicht in verkehrte Tonlagen zu geraten, nicht! Deshalb hüpfte ich lieber leichtfüßig – gut, daß ich mir am Nachmittag in meinem Drang nach Perfektion sogar die Zehennägel lackiert hatte! – wieder die Treppe zu ihr hinauf und legte ihr erst einmal beruhigend die Hand auf den Arm.
Das war bereits der erste Fehler. Bisher, unter Wollmantel oder Kostüm, war es eine ganz unverbindliche Geste gewesen, ihr beruhigend die Hand auf den Arm zu legen: jetzt aber war dieser Arm nackt, glatt und weich – und der Effekt eher beunruhigend. Den zweiten Fehler machte ich gleich hinterher:
„Ach – “ sagte ich nämlich, „das war nur der gute Alex, der Bescheid sagen wollte, daß Ihr Freund aus Schweden inzwischen sündlos eingeschlummert ist!“
Nach allen Regeln der Logik hätte dies Pamela beruhigen sollen. Was wirklich geschah, war aber, daß sie schluckend sagte:
„Das ist – wohl wirklich – ein sehr netter Kerl, dieser – Alex!“ und, nachdem sie diesen Namen mit spürbarer Verbissenheit hervorgestoßen hatte, aufschluchzend in meine Arme sank.
Hatte ich mir bisher vielleicht geschmeichelt, Frauen erheblich besser verstehen zu können als die meisten Männer – jetzt stand ich, ob nun qua Sylvia oder selbst, vor einem Rätsel: War Pamela neidisch, daß ich einen so netten Kavalier an der Hand hatte, während, sie sich mit dem dicken Schweden herumschlagen mußte? Hatte sie die Erinnerung an irgendwelche Unziemlichkeiten Törnewalds nocheinmal übermannt? Oder hatte sie einfach in der Hotelbar zu viele Cocktails getrunken?
Was auch immer – jedenfalls stand ich jetzt, entgegen allen guten Vorsätzen, im dünnen Damennachthemd und Seidenkimono mit einem fast ebenso leichtbekleideten Mädchen in den Armen; und zu allem Überfluß noch einem schluchzenden Mädchen, das ich ja nun beim besten Willen nicht einfach umdrehen und mit einem sanften Schubs wieder ins Bett schicken konnte!
Ihr mütterlich und verständnisvoll den Arm um die nackten Schultern zu legen, wie ich es instinktiv tat, schien zwar eine beruhigende Wirkung auf Pamela zu haben – aber wiederum eine zwar verständliche, aber weder mütterliche noch beruhigende Wirkung auf mich! Solange sie nur ihr Köpfchen vertrauensvoll an meinen zwar falschen, aber doch recht naturgetreuen Busen lehnte, ging das ja noch an – aber wenn sie sich nun auch noch unter der Gürtellinie schutzsuchend an mich drängen sollte?
Irgendwie muß Sylvias Computer wieder einmal sehr viel weiter gewesen sein als ich mit meinen rationalen Überlegungen und Besorgnissen. Denn während ich mich sanft, aber bestimmt auf sicherere Distanz von Pamelas Körper löste, konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, nun auch noch mein schockierendes Nutten-Abenteuer von gestern zur Sprache zu bringen:
„Also wissen Sie – “ plauderte sie fröhlich, als sei nichts geschehen, daher, “ – eigentlich, kenne ich ihn auch erst seit gestern abend! Aber da habe ich ihm gleich zu Füßen gelegen – „
Sei es nun, daß Sylvia (die ja in vieler Beziehung ein Aas war) perverse Freude daran empfand, Pamela wieder prompt verwirrt die Rehaugen aufreißen zu sehen – oder ob sie darauf spekulierte, daß Neugier immer ein gutes Kompensativ für Tränenausbrüche sei: Jedenfalls hatte sie den doppelten Erfolg, daß mein Pagen-Reh-Lamm auch seinerseits wieder damenhafte Distanz von mir wahrte – andererseits aber auf die Bemerkung:
“ … aber das muß ich Ihnen in Ruhe erzählen!“
sofort mit der Einladung:
“ … dann kommen Sie doch noch auf einen Sprung zu mir herein!“
reagierte.
Ob ich das nun eigentlich wollte – oder nicht wollte: darüber war ich mir selbst nicht im Klaren; und, scheinbar wohl nur aus dem Wunsch, mir erst nocheinmal eine Atempause vor dieser neuen Situation zu schaffen, verfiel ich auf eine Idee, die sich nur meinem himbeergeist-beflügelten Hirn als genial präsentieren konnte:
„Aber wissen Sie was: da hole ich uns erst noch etwas zu trinken!“ Und damit entfloh ich erst einmal wieder die Treppe hinunter.
Aber ganz ähnlich wie gestern abend hatte ich damit genau die verkehrte Richtung gewählt: wenn ich (wie ich das vielleicht unklar im Sinne gehabt hatte) zusätzliche Kleidungsstücke suchte, mit denen ich mich vor naheliegenden Problemen schützen konnte – dann entfernte ich mich von diesen, nämlich von Fräulein Lieselottes Zimmer, immer weiter; schlimmer noch – ich hatte geradezu provoziert, daß nun auch Pamela mit einem: „Warten Sie, ich helfe Ihnen doch … “ hinter mir herkam.
Was, zum Teufel, konnte man denn jetzt trinken?! Schließlich keinen Apfelsaft oder vielleicht Kamillentee! Wieder erschien es mir als echte Genieleistung, mich in diesem Augenblick daran zu erinnern, daß in Tante Irmas Kühlschrank – aus welchen Gründen auch immer – zwei Flaschen Sekt standen, die ich nun triumphierend hervorholte. Pamela machte wieder mal große runde Augen, fragte dann aber mit unerwartet praktischem Sinn, wo sie denn Gläser holen könne – und fand sie trotz meiner vagen Angaben sogar auch, während ich, in herzlich unorthodoxer Weise, den Sektkorken nach Entfernung des Drahts mit einer an sich zum Abdrehen von Dosendeckeln bestimmten Zange soweit lockerte, daß er gerade, als sie zurückkam, mit einem befriedigenden „plop“ aus der Flasche glitt.
Dies fanden wir nun beide aus irgendeinem unerklärlichen Grunde ungeheuer lustig und füllten – Pamela im Sopran, ich in gedämpftem Alt kichernd – unsere Gläser auf dem Küchentisch wie zwei Schulmädchen, die einen großen Streich vorbereiten; erhoben unsere Gläser und prosteten uns verschwörerisch zu.
Der eiskalte Sekt schmeckte – auf Anhieb – herrlich. Anschließend mußte Pamela, der etwas in den falschen Hals geraten war, prusten und niesen, was wiederum Anlaß gab, ihr intensiv den Rücken zu klopfen …
Immerhin dachte ich auch jetzt noch klar genug, um eilig wiederum den Rückzug aus dieser intimen Nähe anzutreten, bevor Gefährliches geschah – und um dies nachträglich zu motivieren, hüpfte ich ins Wohnzimmer, wo ich plötzlich Onkel Antons teures Kofferradio entdeckte. Dies erschien mir nun nachträglich eine hervorragende Erklärung für den Ausflug – insbesondere, als ich nach mehrfachem Tastendrücken von irgendeinem Sender nächtliche Tanzmusik hereinbekam.
Mit all dem – Sekt, Gläsern und Radio – zogen wir nun (unerfindlicherweise auf Zehenspitzen, obwohl uns ja die Musik laut genug begleitete) wieder ins eheliche Schlafgemach zurück, wobei ich (mich innerlich noch immer zu meiner Umsicht und überlegenen Kontrolle über die Situation beglückwünschend) nach Abstellen aller mitgeführten Gegenstände genau auf der entgegengesetzten Bettkante Platz nahm – vorsichtshalber die ganze Breite des Doppelbettes zwischen Pamela und mich legend.
Nun aber wollte sie unbedingt die Geschichte des gestrigen Abends hören – die ihr Sylvia, in der Erinnerung schwelgend, offensichtlich höchst eindrucksvoll berichtete, Höhepunkte durch weitere gemeinsame Sektschlucke markierend.
Pamela äußerte an solchen Stellen wiederum ernsthaft den Verdacht, daß alle Männer „Tiere“ seien, die „alle dasselbe“ im Sinne hätten – war von meiner heldenhaften Flucht vor deren Nachstellungen wieder tief beeindruckt („Ich wäre gestooorben, wenn mir so etwas -„) – begann aber wieder still zu werden, als der rettende Alex in der Erzählung auftauchte. Dies hätte mich noch nicht so sehr verwirrt – sehr viel mehr aber, daß sie indes (was ja eigentlich ganz natürlich war) allmählich begann, sich weiter auszuziehen.
Erst hob sie nur ihr unverschämt kurzes Hemdröckchen, um gedankenverloren erst den einen, dann den anderen Strumpfhalter loszunesteln (sie trug, was ich mit Interesse registrierte, keineswegs die unromantischen Strumpfhosen, die damals modern zu werden begannen -sondern noch traditionelle damenhafte dunkelbraune Strümpfe, mit noch dunklerem Rand, über dem ein schmaler Streifen weißer Haut unter der Spitzenkante ihres Schlüpfers hervorblitzte) – streifte dann, das schlanke Bein auf die Bettkante setzend, den Strumpf langsam und liebevoll halb herunter …
Ich unterbrach meine Erzählung, um – einem plötzlichen Impuls gastgeberischer Pflichten folgend – unsere Sektgläser neu zu füllen. Ausgerechnet an dieser Stelle war es nun dem Programmgestalter unseres Mitternachtssenders eingefallen, ein Potpourri von „Pariser Melodien“ einzufügen – und ob ich das nun bewußt wahrnahm oder bloß einer plötzlichen Assoziation folgte: jedenfalls brachte mich das auf die Idee, das sowieso anscheinend wenig Anklang findende Thema „Alex“ abzubrechen – und anstattdessen kehlig in ein imaginäres Mikrophon zu flüstern:
„Und nun, meine Damen und Herren – willkommen in unserem schöönen Casino de Pariiih!“ Damit drückte ich Pamela das frischgefüllte Glas in die Hand und forderte sie mit kühner Geste auf, es hinunterzustürzen – was sie auch willig tat und mich dann erwartungsvoll ansah: offensichtlich hatte sie auch auf dem Festplatz einiges von diesem ununterbrochenen Vortrag mitbekommen.
Die Musik gab stimmungsvoll der Ansicht Ausdruck, daß ganz Paris offenbar nichts anderes vorhabe, als von der Liebe zu träumen – Metro nach Büroschluß kann der Autor dieses Texts bestimmt nie gefahren sein – und inspirierte mich, zusammen mit Pamelas Interesse, zu weiteren Ausführungen:
„Als Höhepunkt unserer großen Gala-Vorstellung, unserer einmaligen Revue schöööner Frauen – “ fuhr ich mit geheimnisumflorter Stimme fort, „sehen Sie – sofern Sie über achtzehn Jahre alt oder in Begleitung Ihrer Erziehungsberechtigten sind – nun unsere entzückende Pamela – “ ich wies mit großer Geste auf ihren halbabgestreiften Strumpf, der nach der Unterbrechung immer noch an der hübschen Rundung ihres Unterschenkels baumelte, “ – mit ihrem unnachahmlichen Stripp – Tee – Aase – Akt ‚Die Geheimnisse von Paris‘!“
Pamela, unerwartet in den Mittelpunkt meiner Szene gerückt, sah mich noch etwas unsicher an – unbewußt in bester Striptease-Tradition an ihrem Strumpfrand herumspielend – aber jetzt war Sylvia (ob sie es nun einfach nicht lassen konnte, ihr Lieblingsspiel „Pagen-Reh-Lamm-Schockieren“ zu spielen – oder wieder einmal bereits viel mehr verstanden hatte, als ich in meiner Harmlosigkeit) richtig in Schwung:
„Leider – “ fuhr sie, zu einem imaginären Publikum gewandt, fort, „untersagt es der Gesetzgeber, daß sie ihren geheimnisumdunkelteri linken Strumpf bereits hier draußen von ihrem bezaubernden Pariser Bein ganz herunterstreift – aber wenn sie unsere Schöööne Schau, die einmalige Revue des Scharms und der Pikanterie besuchen, dann – “ ich gestikulierte wieder anfeuernd – „dann wird sie dieses Bein, das die Kapazitäten der Academie Française in seiner Rätselhaftigkeit mit dem Lächeln der Mona Lisa im Louvre zu vergleichen gewillt waren, in seiner ganzen sinnverwirrenden Schönheit enthüllen – ja, mehr noch – „
Jetzt war Pamela (die ja, wie man immer bedenken muß, fast so viele Cocktails vor unserem Sekt getrunken hatte, wie ich Himbeergeist) endlich auch gepackt und begann mitzuspielen: sie setzte sich graziös auf die Bettkante und reckte nun ihr Beinchen in der Tat kühn empor, zärtlich den Strumpf immer weiter herunter- oder genauer gesagt, heraufschmeichelnd und ihn schließlich nicht ohne Triumph schwenkend.
“ – aber mehr noch, auch den anderen Strumpf – – – !“ kündigte ich nunmehr an, eine Spannungspause einlegend (insbesondere, weil mir allmählich nichts mehr einfiel).
Doch jetzt war meine kleine Pamela – ob nun durch meinen Vortrag oder die schmeichelnde Musette-Musik inspiriert – ihrerseits in Stimmung geraten: das nackte Bein halb anziehend, ließ sie sich langsam hintenüber auf Tante Irmas Bett sinken – das andere Bein hebend, es erst versonnen streichelnd und dann liebevoll umarmend, bis sie schließlich auch diese zweite zarte Hülle abgestreift hatte.
„Doch unser schöönes Pariiih und unsere bezaubernde Pamela haben noch mehr Geheimnisse -“ temporisierte ich etwas einfallslos, bis sie – nach einem fragenden Blick zu mir – auf mein zustimmendes Nicken nun auch, sich wieder aufrichtend, ihr Hemdröckchen hochzustreifen begann und es schließlich – nachdem sie sich prompt mit dem Kopf darin verfangen hatte – mit etwas verwuschelten Haaren stolz mit hochgestreckten Armen über dem Kopf hielt: dann aber in einem unerwarteten Temperamentsausbruch entschlossen „ins Publikum” schleuderte.
Sie trug jetzt – wie ich als profunder Kenner weiblicher Unterkleidung ja hätte erwarten müssen – nur noch Schlüpfer und Büstenhalter. Aber als sie jetzt – ohne es zu ahnen, genau so raffiniert wie „Sylvia Orchidea“ – instinktiv mir (oder unserem imaginären Publikum) den Rücken zuwandte, während sie etwas ungeschickt mit beiden Händen am Verschluß ihres Büstenhalters herumoperierte, kam mir auf einmal siedendheiß zum Bewußtsein, daß sie jetzt dieses letzte Kleidungsstück ausziehen würde – und keineswegs, um wie „Sylvia Orchidea“ damit die Illusion zu enden…
Irgendwie hatte ich im Augenblick das Gefühl, Dinge in Bewegung gesetzt zu haben, die ich nicht mehr kontrollierte. Bei Sylvia Orchidea war das in Ordnung – man sah, was man schon vorher gewußt hatte: keinen Busen – platte Männerbrust. Bei einem Striptease in einem Nachtklub – zumindest im Kino hatte ich das ja schon gesehen – war die Sache auch in Ordnung: Tusch – Applaus – Scheinwerfer aus. Aber was zum Teufel machte man mit einem Mädchen mit nacktem Busen im Bett?
Insbesondere, wenn man ihre frischgewonnene jungfräuliche Freundin Sylvia war?! (Die allerdings – was nun Pamela wieder nicht ahnen konnte – noch nie eine nackte Frau aus anderthalb Meter Nähe gesehen hatte … )
Zumindest das Radio sorgte, als sie sich wieder zu mir umwandte, für den Tusch. Was gut war – denn mir wäre beim besten Willen kein Kommentar mehr eingefallen.
Jetzt geschah nämlich endgültig, was sich schon vorhin angekündigt hatte: eine verwirrte Pamela in Kostüm und Mantel konnte ich – oder Sylvia – mit Distanz, gar mit gewisser Überlegenheit behandeln. Aber eine Pamela mit reizend verwuscheltem Haar, schwarzem Spitzenschlüpfer und unerwartet wohlgerundeten, nackten Mädchenbrüsten mit großen erdbeerroten Nippeln – die mich auch noch beifallsheischend ansah …
Zu allem Überfluß waren die Pariser Melodien im Radio jetzt beim Grisettenmarsch aus der „Lustigen Witwe“ angekommen – und Pamela (das „scheue“, „schüchterne“ Pagen-Reh-Lämmchen?) war jetzt so aufgedreht, daß sie mit nackten Füßen wieder in ihre (aufreizend hochhackigen) Schuhchen schlüpfte und – die Arme graziös in die Hüften gestemmt – regelrecht provozierend mit winzigen Trippel-Schrittchen („trippel-trippel-trippel-trap – trippel-trippel-trippel-trapp – trippel-trippel-trippel-trippel – trippel-trippel-trippel-trapp“) auf mich zumarschierte – die süßen nackten Brüstchen bei jedem hart aufgesetzten Schritt ein wenig hüpfend – und genau zum Schluß direkt vor mir (ausversehen natürlich, dachte ich) auf dem Bettvorleger ausrutschte und sich an mir festhalten mußte – glücklicherweise primär an den Schultern; und auch ihre Brüstchen preßten sich wenigstens nicht direkt gegen mich, sondern erst einmal gegen meine (zwar künstlichen, aber sichere Distanz schaffenden),
„Ja wir sind die Grisetten
aus Pariser Kabaretten
Dodo, Cloclo, Margot, Bijou … „
jubelten die Damen im Radio begeistert, während Pamela – nach einem kleinen erschrockenen Aufquieken – in meine Arme sank und aus irgendeinem Grund in kicherndes Lachen ausbrach.
„Aber – “ mir fiel heute abend tatsächlich (war das Törnewalds Einfluß?) nie etwas anderes ein als Saufen – „darauf müssen wir anstoßen! “ wisperte ich begeistert und machte Pamelas weiße glatte Arme vorsichtig wieder von mir los, um ihr Glas zu holen und neu zu füllen. Daß sie sich dabei mit den Armen auf die Kante von Tante Irmas Toilettentisch stützte – und mir aus den Spiegeln gleich aus lauter verschiedenen Blickwinkeln noch dreimal zusätzlich zulächelte – mußte ich in Kauf nehmen (warum sieht eine Frau mit nacktem Oberleib so zauberhaft aus … ?).
„Das war doch bühnenreif – !“ komplimentierte ich sie (fast – Sylvias katzige Eifersucht beiseite – aus ehrlichem Herzen) „Auf den Star der Zukunft – Pamela de Pariiih!“
Aber statt mit mir anzustoßen, genierte sie sich plötzlich auf einmal wieder:
„Du denkst doch nicht, ich könnte sowas vor Leuten machen – ?!“ fragte sie mit ehrlichem Entsetzen. Und dann – als habe sie etwas ganz Entsetzliches getan, die Hand an die Lippen pressend: „Jetzt hab ich ‚Du‘ gesagt – – – ! „
„Na – wenn’s nicht mehr ist – “ sagte ich großzügig (Sylvia war immer bester Laune, wenn Pamela verwirrt war!), „dann trinken wir eben jetzt Brüderschaft – oder heißt das bei Mädchen Schwesternschaft ?“
Sie sah mich mit ihren großen braunen Rehaugen an, als habe ich ihr soeben ein ganz unfaßbares Angebot gemacht:
„Ehrlich – ?!“
„Bin ich denn schon mal nicht ehrlich gewesen?“ fragte Sylvia unschuldig; worauf Pamela prompt wieder errötete und die Augen niederschlug:
„Nein – nur – “ flüsterte sie fast unhörbar ,“ – daß ich mir schon immer eine Freundin wie Sie gewünscht hab‘ – „
Ausgerechnet! dachte Sylvia ironisch. Aber wenn sie’s nun glücklich macht?!
„Also – Pamela ?“ sagte sie und hob das Glas.
„Nein – da müssen wir doch erst die Arme durcheinanderschlingen!“ protestierte Pamela wichtig wie ein eifriges Schulmädchen. Nachdem dieses Werk vollbracht war – Sylvia konstatierte befriedigt, daß mein Arm dem Pamelas an Glätte nichts nachgab – hob auch diese mit verklärtem Lächeln ihr Glas:
„Also – Sylvia?“
Wir tranken – sehr nahe mit den Köpfen beisammen, ich spürte, wie es in Büchern immer heißt, „den zarten Duft ihres Haares“ (nur hatte ich bis jetzt noch nicht geahnt, daß ein Mädchen wirklich so zart duften konnte wie diese Pamela!) – und dann neigte sie erwartungsvoll den Kopf weit in den Nacken und. sah mich mit ihren großen süßen Rehaugen fasziniert an.
Ach so, das Brüderschaftsküßchen – dachte ich und beugte mich lächelnd mit gespitzten Lippen über sie. Sie hob mir den Mund ein Stückchen entgegen – unsere Lippen berührten sich –
Und dann schlüpfte ihre spitze weiche Zunge plötzlich sanft zwischen meine Lippen. „Dies nennt man den ‚Kampf der Zungen’ – “ hörte ich den gelehrten Autor des Kamasutram sachlich kommentieren: und dann war es mit der Sachlichkeit aus.
Hungrig saugten sich ihre sanften Lippen an den meinen fest – glatte nackte Arme schlangen sich um meinen Nacken – zogen mich herab zu diesen weißen runden Schultern, den festen runden Mädchenbrüsten, während sie immer weiter nach hinten auf den Toilettentisch sank – ein Arm glitt von meinem Nacken hinab um meine Taille, eine kleine kräftige Hand krallte sich in meinem Rücken fest – und noch immer schlängelte sich diese fremde, zärtliche Zunge zwischen meinen Lippen gegen meine Zähne: und als ich jetzt unwillkürlich den Mund öffnete, kreiste diese süße weiche Zungenspitze raffiniert und verliebt um die meine, während mich die weißen weichen Arme mit unerwarteter Kraft vornüber auf den nackten Frauenleib zogen, der jetzt schon fast flach auf dem Toilettentisch lag – die nackten Beine spreizten und hoben sich und schlossen sich wie eine sanfte Zange um meine Hüften – und noch immer war dieser wahnwitzig süße, saugende, zungenkreisende, lutschende, zutschende Kuß nicht zuende: bis sie endlich – mit einem kleinen, zärtlichen Biß in meine Zunge – ermattet ihre Lippen von meinen löste und tiefatmend stöhnte:
„So – eine Freundin – wie – Dich – hab ich mir – immer -gewünscht – !!!“
Und jetzt – da ich noch einmal aus diesem purpurgoldenen Rausch aufzutauchen die Chance hatte – wurde mir, zu spät, schlagartig alles klar:
Ihre krankhafte Scheu vor Männern. Der instinktiv-raffinierte Striptease von eben. Und ihre Fassungslosigkeit bei meinem naiven ‘Schwesternschafts’-Angebot – das für sie etwas ganz anderes bedeutet hatte …
Und noch viel mehr wurde mir in diesem einen Augenblick klar: ihre Bewunderung für die schlanke herbe Frigga. Ihr Schock, als ausgerechnet die – als tödlichen Verrat mußte es die arme kleine Pamela empfunden haben – sie den plumpen Zärtlichkeiten und Anträgen Törnewalds ausgeliefert hatte. Die echte Verzweiflung, mit der sie vor all dem – natürlich an einen Ort ’nur für Damen’! – geflohen war. Und dann das große Wunder: wie eine himmlische Schildjungfrau war, gerade in diesem Augenblick letzter Verlassenheit, plötzlich – vom schimmernden Mantel wie einer Walkürenbrünne umschlossen – die große kühne Retterin erschienen; hatte ohne Umschweife ihre Sache zur eigenen gemacht, gemeinsam mit ihr alle Probleme gelöst, sie selbst zur so kühnen Taten wie dem Einschlagen der Windschutzscheibe ihres Verfolgers beflügelt – und war dann, ihr kaum Zeit für ein Wort des Dankes lassend, ebenso plötzlich wieder im Dunkel verschwunden …
Was Wunder, daß sie all das erst einmal bei vielen Cocktails in der Hotelbar verdauen mußte, ehe sie in ihr einsames, kaltes Hotelzimmer hinaufging (es mußten, erkannte ich jetzt, bemerkenswert viele Cocktails gewesen sein – sonst hätte sie jetzt nie den Mut aufgebracht, ihrem Gefühl endlich einmal freien Lauf zu lassen…). Und gerade, als sie sich nun selbst einen Ruck gegeben hatte, nicht mehr verträumt einer verschwundenen Heldin nachzuhängen, sondern endlich wie ein vernünftiges Mädchen ins Bett zu gehen – genau in diesem Moment tauchten wie durch Zauberei alle wieder auf: der böse Menschenfresser, lüstern-drohend auf sie zuwankend – aber auch die mächtige schützende Fee, die sie rettend in die Arme schloß (hatte dieses unheimlich-unzuverlässige Luder Sylvia etwa auch diese dauernden ‚zufälligen’ Umarmungen arrangiert ?!)
Und war es nicht zu verstehen, daß Pamela jetzt die wiedergefundene große Mutter-Göttin-Schwester-Freundin nicht mehr loslassen wollte – daß sie sie, in der wundersam wiederholten Szene in den „Frauengemächern“, gleich beschwor (klassischer Freud’scher Versprecher!) „bei ihr schlafen“ zu können? Aber dann, tatsächlich bei ihr, hatte sie sich nocheinmal, wie ein vernünftiges Mädchen, zusammengenommen und sich brav allein in ihr Zimmer zurückgezogen.
Doch wie im Märchen hatte ihr das Schicksal zum dritten (und doch wohl unwiderruflich letzten?) Mal die Chance gewährt, die große fremdartig-mächtige Sylvia ins Brautgemach (Eheschlafzimmer mit Doppelbett – die Symbolik war lehrbuchmäßig!) zu holen:
Und diesmal hatte sie nicht mehr losgelassen.
Indem ich das alles in dieser Sekunde fast selbst durchlebte, stieg in mir ein großes Mitleid, eine große Zärtlichkeit für mein armes kleines Pagen-Reh-Lämmchen auf – für seine Einsamkeit, seine Sehnsucht, seinen großen Traum von der wunderbaren, zärtlichen, lieben, starken Freundin, die sie vor der ganzen bösen Welt – und besonders den Männern – beschützen würde; doch im Hintergrund glaubte ich auch das Gelächter eines unsterblichen Gottes oder Dämons zu hören, daß sie sich für diese Rolle ausgerechnet – mich ausgesucht hatte!
Bei all dem hatte ich freilich weitaus akutere Probleme.
An sich war es wirklich nur die vorspringende Kante des Toilettentisches, die mich vor einer unmittelbaren Katastrophe gerettet hatte: glücklicherweise hatte sie sich, als mich Pamela zu sich niederzog, schützend über mein steif und völlig undamenhaft angeschwollenes Glied geschoben, das sich jetzt noch immer schmerzhaft gegen die harte kalte Tischplatte preßte – ich konnte noch nicht einmal einen Schritt zurücktreten, ohne mich in der erschreckendsten Weise zu verraten!
Ganz vorsichtig stemmte ich meinen Oberleib mit den Armen soweit hoch, daß ich wenigstens nicht mehr völlig auf meiner Duzschwester Pamela lag. Mein Gesichtsausdruck muß wohl einigermaßen eigenartig gewesen sein – denn jetzt murmelte Pamela, die Augen erschrocken aufschlagend, fast tonlos:
„Bist Du mir jetzt – böse?!“
Wenn für nichts sonst: so mußte ich Sylvia allein dafür dankbar sein, daß sie in dieser. – für die Psychotherapie von Lesbierinnen singulär ungeeigneten – Situation plötzlich wieder voll (und mit unfaßbarem Einfühlungsvermögen) das Steuer übernahm:
„Aber – wer könnte Dir, Liebste, Süße, denn böse sein – “ flüsterte sie (zu meiner Verblüffung auch genau meinen Gefühlen Ausdruck gebend) mütterlich-liebevoll.
Es war ganz gut, daß ich – vollauf mit meinen anatomisch-technisch Problernen befaßt – diesen Dialog völlig Sylvia überlassen mußte: denn welcher vernünftige Mann wäre darauf gefaßt gewesen, daß die kleine Pamela nun – fast ein wenig beleidigt – weiterfragte:
„Aber bist Du denn nicht – entsetzt ?“
Sylvia war klug genug, darauf gar nicht einzugehen;
“Du bist wunderschön – “ sagte sie träumerisch (das Mädchen sagte ganz genau, was ich dachte!) und verschlang Pamelas nackten Leib fast mit gierigen Mädchenblicken (von deren Möglichkeit ich bisher nichts geahnt hatte – oder ging das nur mit falschen Wimpern?).
Darauf reagierte Pamela nun prompt – wenn auch wieder für mich höchst unerwartet:
„Aber Du – “ flüsterte sie, die Augen verlegen niederschlagend, „bist doch viel schöner als ich, Sylvia – viel reifer, fraulicher – “
Es war der irrsinnig komischste Dialog, den man sich vorstellen konnte – nur hatte ich nicht den geringsten Sinn für seine Implikationen, weil ich verzweifelt über das Problem nachdachte, wie ich meinen Schwanz bändigen könnte (wenn ich ihn bloß irgendwie zwischen die Schenkel klemmen könnte – aber wie überwindet man 12O° Winkeldifferenz?!) – während Sylvia sich natürlich (wie immer, wenn sie Komplimente bekam) in Pamelas Bewunderung badete:
„Eine Freundin – wie Dich – habe ich mir immer gewünscht – “ paraphrasierte sie kühn Pamelas Worte (hatte sie eigentlich damit auch für mich recht ? Der Himmel weiß – wenn ich so ein süßes Weib wie Pamela vorher nackt in meinen Armen gehabt hätte ? Aber was hätte die denn zu Hugo gesagt ?!!!) und beugte sich bewundernd über Pamelas goldige Brüstchen, ihre verlockende Walderdbeere ganz zart mit den Lippen berührend. (Sylvia war eine herrliche Hilfe in dieser Situation – durch das weite Vornüberbeugen rückte das Einfangen meines Schwanzes allmählich in den Bereich des technisch Möglichen! Wenn ich jetzt noch eine Hand freibekam … )
“O – o – oh Sylvia !“ stöhnte Pamela, als meine Lippen ihre Brust erreichten. Was Du mit der Zunge kannst, kann ich schon lange, dachte Sylvia überlegen und ließ die Zungespitze zweimal zärtlich um Pamelas verlockenden Nippel kreisen (natürlich tat sie damit meinen Bemühungen um Beherrschung keinen besonderen Dienst – was schmeckte aber auch ein Weib so herrlich! – aber mit Gewalt konnte man natürlich selbst jetzt … )
„Au – ah – ooooh – “ Ich hatte jetzt Pamelas rechte Brust fast zu dreiviertel im Mund – war das wunderbar! – und spürte wieder die purpurgoldnen Nebel von vorhin aufsteigen: Mädchen – ! Weich, rund, glatt – zart und fest – wie kann nur Haut und Fleisch so herrlich sein? Pamela! Ganz vorsichtig biß ich in die verlockende Frucht – sie zuckte ein wenig, wohlig – und wölbte dann ihre Brust noch weiter mir entgegen, kleine wohlige Laute wie eine Katze, die man krault, ausstoßend – – – (jetzt hatte ich den steifen Schwengel endlich gefangen: heiß und klopfend lag er jetzt zwischen meinen weichen Schenkeln, die ich X-beinig zusammenklemmen mußte – jetzt wußte ich langsam nicht mehr, wer mir heißer machte – Pamela oder Sylvia ?!)
“Sy – y – ylvja !“ schrie Pamela unerwartet leise auf und reckte sich in steifem Bogen hoch; jetzt hatte ich wieder beide Hände frei – und mit mich selbst verblüffendem Mut griff ich in den oberen Saum ihres schwarzen Schlüpfers, ihn mit einem wilden Ruck nach unten ziehend.
Verstandesmäßig hatte ich – wurde mir später klar – kaum eine Ahnung, was denn nun eigentlich darunter lag: außer – wie ich sah – einem herrlich verworfen aussehenden schmalen schwarzen Strumpfhaltergürtel auf weißer Haut …
Aber Sylvia wußte wieder mal viel mehr als ich. Kaum hatte ich meine Lippen von der süßen Brust gelöst, ließ sie mich schon wieder – diesmal wie vor einem Heiligtum in die Knie fallend – auf Pamela niedersinken: aber diesmal vor dem entzückenden duftigen Büschel ihrer Schamhaare. Und unter diesen duftigen Haaren – selbst hier roch sie genau so zart und verlockend wie vorhin am Kopf – lag etwas Weiches, Lippenhaftes, sich mir Öffnendes …
Auparishtaka – dachte ich plötzlich erleuchtet – ‚… ist nicht allein auf Männer beschränkt …!‘ (der gute alte Vatsyayana…!)! Und dann ließ ich meine Zunge zum ersten Mal die süß-salzige Pforte Pamelas berühren …
Ich habe Pamela nie gefragt, ob sie selbst einmal – oder oft? – dorthin gefaßt, sich dort gestreichelt oder gar mit irgendwelchen Instrumenten erregt hat: aber in dieser Nacht war es, als liebkose man sie dort zum ersten Mal in ihrem Leben – als entlade sich die ganze aufgestaute Sehnsucht ihrer einundzwanzig Jahre zum ersten Mal in diesem Moment, als sie die schöne Freundin Sylvia dort spürte –
Es war herrlich und grotesk zugleich. Pamelas wunderbar flockige Schamhaare gerieten mir dauernd in den Mund, als ich sie – instinktiv richtig – mit immer steigender Erregung dort unten küßte: und aufhören konnte und wollte ich ebensowenig, wie ich meine Hände zu Hilfe bekam – mit denen ich lustvoll die glatten, weichen Hüften, die Taille, ja sogar die süßen Brüste streicheln mußte; nicht zuletzt mußte ich ihre zuckenden Händchen bändigen, mit denen sie mir beinahe meine ganze kunstvolle Locken-Kopftuch-Konstruktion vom Schädel gerissen hätte – genau wie mit den Beinen, die manchmal unter meinen Achseln, manchmal auf meinen Schultern lagen! Es war für uns beide ein Glück, daß sie durch die ganze Vorgeschichte des Abends schon so kurz vor dem ersten Höhepunkt stand –
„Oooooh – ooooih ! ———- Sylllvja !“
Ihr zarter Leib hatte sich nocheinmal wild aufgebäumt und sank jetzt sanft und zufrieden wieder auf die harte Tischplatte zurück.
„Pamela – Liebste, Süße, Schönste – Du – uu !“ hauchte Sylvia dagegen, als sich mein Mund endlich wieder von ihren Schamlippen gelöst hatte.
„Sssylllvja!“ stöhnte Pamela nocheinmal zärtlich – und dann hatte ich mich (mit aller gebotenen Vorsicht und noch immer straff zusammengepreßten Oberschenkeln) wieder so weit aufgerichtet, daß ich meine Lippen wieder auf die glatte Haut ihres Leibs pressen konnte.
„Und – Du, Liebste ?!“ fragte Pamela, langsam aus ihrer Ekstase zurückkehrend, fast ängstlich.
Die Frage war nicht unberechtigt – aber ich streichelte sie beruhigend über die runden weißen Schultern:
„War es nicht schön – ?“ flüsterte Sylvia mit vieldeutigem Lächeln, “ – und wir haben doch noch die ganze Nacht vor uns … “ (das war nun wieder ein unerwartetes Extempore Sylvias – die ich immer mehr in den Verdacht bekam, neben allem anderen auch noch eine perfekte Kupplerin zu sein!).
Doch erst einmal zog ich Pamela – erst jetzt wurde mir klar, daß sie die ganze Zelt über mit ihrem armen nackten Rücken auf der kalten kantigen Glasplatte des Toilettentisches gelegen hatte: man spürte die Kanten noch in ihrer Haut! – zärtlich empor (und hatte endlich mal keine Sorgen, als sie sich liebevoll-ermattet gegen mich sinken ließ). Und es fiel ihr auch nicht auf, daß ich – als ich sie schwesterlich, den Arm um ihre Schultern gelegt, zu ihrem Bett geleitete – eher wie eine Art weiblicher Quasimodo zusammengekrümmt die zierlichsten Humpelschrittchen machen mußte, um meine Knie nicht voneinander entfernen zu müssen.
“Kommst Du noch ein bißchen zu mir?“ fragte sie leise verträumt, als sie unter die Decke schlüpfte.
Ein vernünftiger Mensch hätte vielleicht diese letzte Gelegenheit zur Flucht benutzt (schließlich, hätte die Stimme der Vernunft sagen können, war ich gestern abend auch allein fertiggeworden – ! ) – aber vernünftig war ich schon lange nicht mehr. Also ließ ich mich vorsichtig auf der Bettkante nieder – zog ebenso vorsichtig die Beine (mit geschlossenen Knien, wie bei einer Gymnastikübung) an und ließ mich dann neben ihr ins Bett rollen. Es war ein herrliches Gefühl, wie sie ihren süßen Körper vertrauensvoll an mich kuschelte und ihr Köpfchen an meine Schulter legte: nur wäre es jetzt schon sicherer gewesen, wenn ich wirklich ihre Freundin Sylvia gewesen wäre …
Wenn es Pamela befremdete, daß ich – im Gegensatz zu ihr – voll in Morgenrock und Nachthemd verpackt ins Bett gekrochen war: dann ließ sie sich jedenfalls nichts anmerken, sondern schmiegte ihre nackte Haut genußvoll an die glatte Seide des Kimonos über meinen falschen Brüsten, den Kopf zurückgelehnt und die Augen halb geschlossen.
„Du – Sylvia – ?“ sagte sie wohlig verschlafen.
„Ja – Pamela?“ (Unsere Dialoge waren so geistvoll, wie meist bei Verliebten).
„Stell Dir mal vor: wenn wir uns heute nun nicht getroffen hätten … “ meditierte sie träumerisch, „… kannst Du Dir das vorstellen … ?“
Ich wollte mir eigentlich gar nichts vorstellen, sondern nur weiter hingebungsvoll ihren Arm streicheln – aber Sylvia wußte glücklicherweise wieder die richtige Antwort:
„Das mußte alles wohl so kommen … !“ erwiderte sie weltweise.
Aber Pamela wollte nun einmal Schritt für Schritt die Wunder dieser Nacht nocheinmal durchleben:
„Du — Sylvia – ?“ begann sie von neuem (es war eine richtige kleine Beschwörungsformel – als müsse sie sich immer von neuem vergewissern, daß wirklich plötzlich eine solche Sylvia bei ihr war), „hast Du -“ sie überlegte angestrengt, wie sie das formulieren sollte “ – hättest Du da gedacht, daß wir … ?“
Sie brach ab und sah mich dafür zärtlich an. Sie sah so glücklich aus, daß mir fast die Tränen kamen (das ist eine von diesen Sachen bei mir: bei den ’schönen Stellen‘ im Kino oder sogar in einem Buch kann ich heulen wie ein Schloßhund – wahrscheinlich war das schon immer die romantische Sylvia! – denn im praktischen Leben, damals in der Schule zum Beispiel, habe ich eigentlich schon als Junge kaum geweint).
„Hättest – ich meine, hast Du denn … “ versuchte ich die Frage zurückzugeben und gab es dann genau so auf wie Pamela (jeder Autor, der auch nur ein bißchen auf sich hielt, hätte uns mit unseren Dialogen zum Teufel gejagt!). Aber diesmal gab Pamela wenigstens Antwort:
„Nein – “ sie schüttelte, immer noch ein wenig über sich selbst entsetzt, den Kopf.
Ich weiß nicht – wie Du da so plötzlich vor mir standst: so groß und schön und – ich weiß nicht – so kühn und so kühl – “ sie kuschelte sich noch enger an mich, „da hab ich, das weiß ich noch, gedacht: warum kannst Du nicht so sein – dann wäre sicher alles – anders – “ Sie schloß wieder die Augen und lächelte: „Aber lieb gehabt hab ich Dich gleich!“
Wieso kann eine Frau einem gleichzeitig das Gefühl geben, man müsse sie wie ein ganz kleines zartes Vögelchen vor aller Welt beschützen – und einen zugleich reizen, sich auf sie zu stürzen und jedes Fleckchen, jedes Teil ihres glatten weißen Leibs zu küssen, zu packen, aufzufressen … ?!
Natürlich tat ich weder das eine noch das andere.
Denn jetzt schlug sie ihre großen braunen Rehaugen, die immer so entzückend verwirrt schauen konnten, wieder auf und sah mich beistandsheischend an:
„Sag mal – bin ich nun eigentlich – wie sagt man – „
„Du bist meine ganz süße Pamela!“ unterbrach ich sie bestimmt (sexualpathologische Diskussionen hatten mir jetzt gerade noch gefehlt – !). Aber das genügte ihr diesmal doch nicht:
„Nein – ich meine, ist das nicht eigentlich furchtbar, daß wir hier so – als Mädchen, meine ich … „
„Furchtbar ? Fandest Du das furchtbar?! fragte Sylvia liebevoll-naiv. „Ich fands – “ sie streckte sich behaglich, „wunderbar!“
Doch das Thema ließ Pamela nicht los:
„Sag, Sylvia – “ sie wurde wieder ein bißchen rot, sprach aber dann tapfer weiter, „hast Du schon einmal – mit einem Mann – ?“
Ich brauchte ein paar Sekunden für die Antwort.
„Nein!“ sagte ich dann ehrlich (was ich mit mir selber gemacht hatte, galt hier ja wohl nicht).
Pamela warf mir einen Blick zu, der ’na – siehst Du ?!‘ zu sagen schien, und fragte dann noch leiser weiter:
„Und – mit einem Mädchen – ?“
„Nein!“ (das konnte ich nun ohne Zögern verneinen) „außer Dir, natürlich – “ setzte ich überflüssigerweise noch hinzu.
Aber nun hatte sich Pamela endgültig in das Problem verbissen.
„Aber – ich glaube – “ sagte sie nachdenklich, „bei Dir ist das alles doch – anders – “ (wie recht sie hatte!) „Du warst doch da mit diesem – “ sie mußte sich einen Moment überwinden, „diesem netten Axel oder wie er hieß – und Du hast sogar den Törnewald überstanden – “ Ihr kleines liebes Gesicht wurde seltsam hart: „Ich hab das doch auch schon versucht – glaub mir, ich hab’s versucht! – aber – “ Sie schluckte. „Ich kann’s nun mal nicht aushalten!“ stieß sie dann verzweifelt hervor, „wenn ich schon in den Augen seh, wie sie dann auf einmal – und wenn mich erst einer anfaßt – „
Ihr ganzer zarter Körper war hart und gespannt geworden, voller Abwehr – und löste sich erst wieder, als ich sie ganz sanft an mich drückte und ihre Schulter streichelte (wenn ich nicht so herrlich viel Himbeergeist und Sekt im Leib gehabt hätte, die vermieden, daß ich allzu logisch zu denken begann, hätte ich dabei ja das Gefühl haben müssen, mit Nitroglyzerin zu hantieren).
„Vielleicht – “ sagte sie dann so leise, daß ich es nur mit Mühe verstehen konnte, „ist das, weil – als ich vierzehn war, da hat mich mal einer – im Wald – abends, als ich vom Zug kam – “ Sie stockte und vergrub das Gesichtchen an meiner Schulter. Ich kam mir zum erstenmal an diesem Abend richtig gemein vor – aber wenn es nun eben mal half, daß ich ihr über den nackten glatten Rücken streichelte? (ganz egal, was ich dabei dachte oder spürte!)
„Sie haben mich dann operiert – “ sagte sie plötzlich sachlich. Ich hätte nie geglaubt, daß ihre Stimme so eisig hart klingen konnte. „Kinder kriegen kann ich deshalb auch nicht mehr. Den Mann haben sie später verhaftet – “ ihre Stimme klang immer noch so fremd und blechern, „die zwei vor mir hat er danach umgebracht. Ich weiß nicht – vielleicht, weil ich nicht geschrien hab – oder vielleicht hat’s ihm bei mir – “ sie spuckte die Worte fast aus wie etwas Ekelhaftes, “ – besser gefallen?!“
Was – dachte ich hilflos – sollte man darauf sagen? „Arme Pamela” oder so einen Blödsinn?! Ich kam mir in dieser ganzen Possen-Situation jetzt sowieso wie jemand vor, der sich plötzlich mit einer Faschings-Pappnase auf Golgatha entdeckt!
Gottseidank verstand Sylvia wieder mal alles viel besser. Während ich vor Mitgefühl mit der armen kleinen Pamela zerfloß – hatte sie mit ihrem unheimlichen weiblichen Spürsinn schon einmal. wieder den Satz verstanden, der in Pamelas Erzählung gefehlt hatte: nämlich den Satz darüber, wie gut es eigentlich ihr damals gefallen hatte … und über wen sie eigentlich am meisten entsetzt gewesen war …
Und deshalb fing sie einfach, ohne zu antworten, an, Pamela wieder zu küssen – und diesmal war es nicht Pamelas Zunge, die als erste Einlaß zwischen fremden Lippen forderte – !
Und Pamela – kleine süße heiße vollkommen durcheinander geratene Pamela! – fand und suchte hungrig, was sie sich selbst nicht eingestehen konnte: außer bei einem Mädchen …
Wenn ich irgendwann noch Verstand gehabt hatte – dann kam mir jetzt der letzte Rest davon abhanden: aber was soll man auch mit Verstand, wenn man ein kleines süßes wildes hungriges Tier in den Armen hat, das all seine aufregenden Reize verzweifelt anbietet – hingibt -genommen werden will – ?!
Zuerst liebte ich sie nur mit dem Mund: von den heißen gierigen Lippen hinauf zu den kühlen, unter weichen Lidern zuckenden Augen – und wieder hinunter zum weichen Hals, der pulsenden Schlagader (Dracula ist gar nicht so absurd – ), dieser entzückenden Stelle am Armansatz, wo man die Brüste schon ahnt – und dann an diese köstlichen reifen runden weichen Früchte, in die man die Zähne graben konnte, ohne satt zu werden – nur immer hungriger –
Aber Pamela – scharfe heiße wilde Pamela jetzt!!! – wollte mit ihrem ganzen Leib lieben: drängte ihn an mich, krallte sich mit den kleinen festen Händen in meine Schultern, meinen Rücken – packte meinen Oberleib zärtlich, aber unerbittlich aus den Falten des Kimonos – versuchte auch mit ihren scharfen Zähnchen meine Brüste unter der Seide des Hemds zu packen – und als ich ihr das mit ein paar unbewußten Wendungen unmöglich machte, klammerte sie wenigstens ihre weichen, unerwartet kräftigen Schenkel um die meinen – versuchte sich zwischen sie zu wühlen –
Das kann ja nicht gut gehen, sagte abschiednehmend die Stimme des Verstands – und dann zog er sich endgültig aus unserem Bett zurück. Immerhin noch mit dem Effekt, daß ich versuchte, meine Hand zwischen Pamelas Schenkel zu bringen – ehe ihre zwischen meinen ankam – und sie auch tatsächlich nocheinmal ablenkte:
„Hhhhhhch – Sylllvja – Hhhhhchch – “ keuchte sie, als ich mit den Fingerspitzen ihre süße, glitschige Furche zu liebkosen begann – fummelte mit fliegenden Fingern den Morgenrock ganz von meinem Oberleib – küßte und biß mich entfesselt in Kinn und Hals – kratzte mit ihren kleinen scharfen ‚Nägeln die glatte Seide über meinem Rücken – und drängte noch immer ihr Knie zwischen meine – warf sich plötzlich mit Macht platt auf den Rücken, mich auf sich reißend – stöhnte:
„Aaaaoooh – tu mir was – SSyllvja – nimm mich – chchhhh – “
und begrub dann meine Lippen mit dem feuchtesten, saugendsten, zutschendsten Kuß, den sie mir je gegeben hatte – wurde ganz schlaff unter mir – und schob dann plötzlich triumphierend ihr Knie zwischen meine Schenkel, es steil anwinkelnd, immer höher, immer höher –
Die purpurgoldnen Schleier wogten schon lange vor meinen Augen: unter mir zuckte Pamelas süßer zärtlicher glatter Leib – wölbte sich erwartungsvoll mir entgegen – ihre Schenkel hatten mein rechtes Bein wie eine Zange umfaßt – mit einer Art hilflosen, glücklichen Entsetzens spürte ich, wie mein Schwanz, endlich aus dem pressenden Gefängnis meiner Schenkel entkommen, sich aufzustellen begann – über Pamelas Schenkel glitt –
Ich dachte nichts mehr. Ich stemmte mich – brutal Pamelas Oberarm packend – hoch, drückte mit der anderen Hand ihren Schenkel beiseite – sie gab, nach einem kurzen Widerstand, plötzlich willig nach; und dann lag sie weit offen unter mir – und ich ließ mich ächzend auf sie nieder – fühlte, wie ich plötzlich in dieses zärtliche, herrliche, samtweiche Gefäß glitt –
„Ssylll – vja?!“ schrie Pamela plötzlich ganz spitz und hoch – aber dann bäumte sich ihr ganzer Leib mir entgegen – und während sich unsere Lippen wieder zu einem endlosen saugenden Kuß vereinten, begann ich endlich – endlich im Takt meines Blutes Besitz von ihr zu nehmen.
Es dauerte – glaube ich – unendlich lange: sie war ein weicher, zärtlicher, purpurgoldner Wagen, auf dem ich durch Weltall fuhr – durch blendende Milchstraßen violett-golden- roter Sterne, wogende Nordlichter, gleißende Schleier – und ich war der Motor, der Kolben im Zylinder dieses Wagens, wie von fremder Kraft getrieben – ihre Hände die Ventile, die auf meinem Rücken zuckten – ihr Mund das Steuer, ihre Brüste die Polster, meine Hände die Bremsen, die sie unerbittlich packten und doch die rasende Fahrt nicht aufhielten – und dann erreichten wir plötzlich den Rand des Weltalls: Pamela stöhnte und schrie erschrocken – als wir über die goldene weiche breite Kante stürzten – klammerte sich an mich, mit ihren Armen, ihren Lippen, ihren Händen, ihrer Scheide – und dann fielen wir, fielen —– fielen —— fielen —— mit der hilflosen, herrlichen Freude der nicht mehr Aufzuhaltenden in den leuchtenddunklen Strudel des Vergessens.
[ueber2|siebtes kapitel: nachher]
Woher kam nur der Schwanz, als gestern
wir uns doch liebten ganz als Schwestern?
Der Wecker schrillte – zumindest kam es mir so vor – mitten in meinem Schädel. Das war deswegen unangenehm, weil dieser Schädel an den Nahtstellen auseinanderzufallen drohte – und wenn der Wecker mitten in diesem empfindlichen Gebilde weiter solchen Lärm machte, würde es in vier oder mehr einzelnen Teilen auf das Kopfkissen fallen …
Über mich hinweg tastete ein schlanker weißer nackter Arm – ins Leere; denn dort, wo Pamelas Wecker in ihrer jungfräulichen Klause stand, befand er sich natürlich hier nicht. Aber das wurde mir erst erheblich später klar – zunächst erschien mir dieser dritte Arm, der da plötzlich vor mir herumtastete, als ausgesprochenes Wunder (ein Wunder, über das nachzudenken leider viel zu viel Anstrengung für meinen schmerzenden Schädel gewesen wäre). Aber üblicherweise gehörte ein Arm an eine Schulter, Die war auch da. Und über der Schulter ein süßes Gesichtchen – so mißbilligend-schmerzvoll verzerrt, wie es zu diesem unverschämten Wecker paßte
und das gehörte zu einer gewissen Pamela. So viel war mir schon klar.
Nur wieso diese Pamela – wenn ich mich recht entsann, eine Tochter von Silvia Orchidea und Alexander Mertens, bei deren Hochzeit ich Brautjungfer (oder Brautmutter?) gewesen war, und dann hatte mich ein dicker Wikinger auf einem Schneehahn entführt, weil ich Brunnhilde im Regenmantel war, und immer gefragt; „Frolleinchen, wohin denn so alleine?“ – also wie diese Pamela hier neben mich ins Bett kam, das war so schwierig zu erinnern. Viel schöner war die Erinnerung an eine tolle Fahrt durch den Weltraum mit ihr – auf einem zuckenden Wagen aus Frauenfleisch – wenn man sich in das vergraben könnte, dann würde auch der Schädel besser zusammenhalten …
Gottseidank – jetzt hörte das Geklingel auf. Aber da machte schon wieder jemand schrecklichen Lärm neben mir:
„Du – Sylvia – ?“ schrie da jemand – eigentlich schrie sie gar nicht, aber zu laut war es trotzdem! – „wie spät ist es denn?!“
Sylvia – das war ich. Soviel war mir ja auch klar – ich war ja gar nicht so schlecht. Früher war ich zwar nie eine Sylvia gewesen – aber das war ja jetzt gottseidank völlig anders. Ich hatte sogar ganz hübsche Mädchenbrüste, wie ich dankbar fühlte. Wenn man mich nur nicht immer Sachen fragen würde, die kein vernünftiger Mensch mit solchen Kopfschmerzen wissen konnte!
„Hmmmmm?!“ murmelte ich erst einmal mühsam.
„Hast Du – “ sie stöhnte leicht und ließ sich schlaff wieder auf die Kissen zurückfallen – „auch so einen Kopf?“
Ich überlegte logisch: Einen Kopf hatte ich – sogar sicher (wenn ich keinen gehabt hätte – was hätte mir dann so wehgetan?), Und offenbar hatte diese Pamela – die war übrigens ganz süß, erinnerte ich mich – auch einen Kopf. Ohne Kopf wäre sie ja auch gar nicht in der Lage gewesen, mich was zu fragen. („Mädchen ohne Kopf neben schlafenden Jüngling entdeckt … „) Aber hatte ich auch so einen Kopf wie sie? Wenn ich Sylvia war, dann ja – aber wenn ich der schlafende Jüngling war – ?
„Hmmmmm!“ erwiderte ich, mir alle Möglichkeiten offenhaltend.
„Und – “ fuhr Pamela – liegend offenbar etwas konversationsfähiger – verwundert fort, „hast Du auch so komisch geträumt?“
Komisch – das kam nun wieder ganz darauf an, was man als „komisch“ ansah. Ich war eigentlich ganz stolz darauf, Brünhilde im Regenmantel zu sein – aber der Wikinger mit seinem schwarzen Bart und der dicken Nase (Nasen waren ein Zeichen für die Entwicklung des männlichen Geschlechtsteils, oder wie war das gewesen ?) war schon ein bißchen komisch gewesen…
„Ich habe sogar geträumt – “ fuhr Pamela nachdenklich fort, „Du hättest mich – wie ein Mann – „
Sie stockte und richtete sich halb auf, plötzlich große forschende Rehaugen auf mich richtend. Ich fühlte plötzlich, daß ich hellwach wurde (leider ohne daß die Kopfschmerzen dadurch verschwanden – sie wurden mir im Gegenteil erst so richtig bewußt!): verdammt – eiskalt erinnerte ich mich plötzlich an alles!
Instinktiv tastete ich nach meinem Kopf.
Da war nichts. Kein Tuch, Keine Locken. Und das war doch – verdammt nicht in Ordnung – – – ?!
Die süßen braunen Augen wurden immer größer, ihr Blick immer befremdeter – ich spürte, wie sie sich unwillkürlich ein Stück zurückzog …
Ich widerstand einem Impuls, mir die Bettdecke über den Kopf zu ziehen und die ganze Welt – von diesen mißtrauischen Augen bis zu den Strahlen der Morgensonne, die wie bösartige Pinzetten unter meine Augenlider griffen – auszuschließen, bis ich endlich sicher sein konnte, daß mein Schädel nicht auseinanderfiel: irgendwie sagte mir schon die sachliche Überlegung, daß ich dieses Tuch um den Kopf doch nicht getragen hatte, um den Schädel zusammenzuhalten – sondern aus einem ganz anderen wichtigen Grund, der etwas mit dieser jetzt so argwöhnisch schauenden Pamela zu tun hatte …
Jedenfalls – ich setzte mich mit heroischer Anstrengung im Bett auf – war es (aus Gründen, die ich noch immer mehr im Gefühl hatte, als im klaren Verstand) sicher besser, wenn i c h jetzt noch mehr Abstand zwischen uns legte: als wenn sie ihrerseits davonlief, ich schwang die Beine über die Bettkante (es war doch erstaunlich, daß der Schädel bei alledem noch immer zusammenhielt), sammelte dort, einen Moment vornübergeneigt sitzenbleibend, neue Energie und erhob mich dann.
„Ich mache uns einen starken Tee – das hilft gegen diese – “ versuchte ich leichthin zu murmeln, ohne mich umzuwenden, “ – Kopfschmerzen!”
Vielleicht hätte ich sogar einen halbwegs würdevollen Abgang geschafft, wenn auf meiner Seite des Bettes eine Tür gewesen wäre. Wie immer in solchen Fällen, war da aber keine – ich mußte unter den großen Augen, die ich wie Brennstrahlen im Rücken fühlte, um das ganze riesenhafte Doppelbett herumgehen: begann mit zwei, drei gemessenen Schritten – wurde dann immer schneller – und verließ das Zimmer schließlich fluchtartig.
Am Treppengeländer mußte ich erst einmal innehalten – und dann stieg ich sehr vorsichtig, jede Stufe bis in alle Nähte meines zerspringenden Schädels spürend, ins Erdgeschoß hinunter. In dem Maße, wie ich mich von Pamela entfernte, begann mir die Situation immer klarer zu werden: aber was mir da klar wurde, ließ mich erst einmal wieder in die Kopfschmerzen zurückfliehen – die bei aller Unannehmlichkeit doch wenigstens eine wunderbare Entschuldigung waren, nicht zu denken.
In der Diele kam ich am Wandspiegel vorbei und warf einen vorsichtigen Blick hinein – w a s hatte Pamela jetzt eigentlich gesehen?!
Ich jedenfalls sah eine schlanke Gestalt – in einem rosaseidenen Damennachthemd – noch immer mit strammen, wohlgerundeten Mädchenbrüsten: aber mit einer allenfalls in den zwanziger Jahren erlaubten, verwuschelten kurzen Herrenfrisur – von Küssen einigermaßen verschmiertem make-up – einem Auge mit langen, schweren Wimpern – während das andere im Vergleich dazu viel kleiner und kurzwimpriger in das viel zu helle Morgenlicht blinzelte. Seltsamerweise sah ich immer noch ziemlich hübsch aus – feminin genug jedenfalls, um Pamelas Unsicherheit zu erklären.
Aber da meine ganze Locken-Konstruktion (und eine falsche Wimper!) irgendwo da oben im Bett liegen mußte, war das nur eine Verzögerung des Unvermeidlichen gewesen: ich erwartete jetzt jeden Augenblick, hysterische Schreie von oben zu hören –
Wieder flüchtete ich mich ersteinmal in die Kopfschmerzen zurück. Sie folgten gewissen Gesetzmässigkeiten: wenn ich zum Beispiel die Augen zumachte, wurden sie etwas schwächer – wenn ich mich vornüber beugte oder andere unerwartete Kopfbewegungen machte, wurden sie unerträglich. Vorsichtig tastete ich mich, starr erhobenen Hauptes, mit geschlossenen Augen in die Küche.
In verschiedenen Filmen und Romanen beginnen Frauen, die eben von einer seelischen Katastrophe erschüttert wurden, sich zu fassen, indem sie mechanisch irgendeine Hausarbeit beginnen. Ich weiß nicht, ob das eine typisch weibliche Reaktion ist, und ob ich versuchte, sie nachzuahmen – aber jedenfalls hatte ich gesagt, ich wolle einen starken schwarzen Tee kochen: und wenigstens da wollte ich Pamela die Wahrheit gesagt haben.
Während ich die Augen langsam wieder öffnete – wer zum Teufel hatte diese hellen Morgensonnen-Scheinwerfer eingeschaltet? – und einen Kessel mit Wasser füllte, begann ich ganz vorsichtig an einer Ecke des Problems, die nicht ganz so fürchterlich war: warum hatte ich eigentlich gestern abend den Wecker auf eine solch unchristliche Zeit – die Küchenuhr zeigte so etwas wie halb acht – gestellt ? Das war doch irgendwie wegen – ach ja, wegen Pamelas Büro gewesen: da hatte ich doch noch die Illusion gehabt, ich könne sie am Morgen, ohne daß sie etwas bemerkte, verabschieden …
Welcher Teufel hatte mich aber auch geritten, statt mich hinter verschlossener Tür zu verbarrikadieren, ausgerechnet mit einem Mädchen ins Bett zu kriechen? (Korrektur: meinte ich, es wäre irgendwo weniger kompliziert geworden, wenn ich mit einem Mann ins Bett gegangen wäre ?!). Jedenfalls – schweifte die Erinnerung plötzlich ab – ein ganz lieber Teufel: er hatte mir – uns? – doch diese herrliche Weltraum-Wagenfahrt verschafft; genauer gesagt, das wurde mir jetzt erst klar: die erste Frau, die ich in meinem Leben besessen hatte!
Einen Augenblick überlief mich – Kopfschmerzen, Probleme und Katastrophen beiseiteschiebend – wieder die Erinnerung an Küsse, weisse weiche Glieder, süße runde Früchte, eine zärtliche heiße Scheide, unseren Sturz in den wunderbaren Strudel jenseits des Weltalls …
Wenn das alles doch bloß ein bißchen weniger kompliziert passiert wäre – aber dann wäre es natürlich, mußte ich logisch weiter zugeben, überhaupt nicht passiert: denn vor einem Mann hätte sich überhaupt kein Mädchen schon am ersten Abend splitternackt ausgezogen, um gemeinsam ins Bett zu gehen – und nur ein Mädchen mit so komplizierten Gefühlen wie Pamela tat dann im Bett mit ihrer Freundin Sylvia die wunderbaren Dinge, die wir erlebt hatten …
An dieser Stelle – wenn doch bloß diese irren Kopfschmerzen nicht gewesen wären – gab es aber doch eine Inkonsequenz, wenn ich sie nur richtig finden könnte: da h a t t e sie sich doch gewünscht, daß „Sylvia“ ihr „was tun“ sollte: und das h a t t e sie doch, sogar mit einer gewissen Begeisterung, akzeptiert …
Ich hatte währenddessen unendliche Mengen schwarzer Teeblätter in eine Kanne geschaufelt – und jetzt schien das Wasser doch zu kochen. Man mußte also jetzt hinübergehen, den Kessel holen, und …
In diesem Augenblick ging die Tür der Küche auf. Blaß, die süße Stirn schmerzgerunzelt und die Augen einen Augenblick erholsam geschlossen, lehnte sich Pamela an den Türpfosten. Sie hatte Tante Irmas Morgenrock, der mir im Lauf der Nacht auch abhanden gekommen sein mußte, umgeworfen – und sah etwas aus wie eine Mischung aus Madame Butterfly, Ophelia und Lady Macbeth (wenn Tante Irma wüßte, wer ihren Kimono alles trägt – und in welchen Situationen! – mußte ich unwillkürlich denken).
Mir fiel nichts besseres ein, als nun tatsächlich meinen Teekessel zu holen und vorsichtig – in mehreren wohldosierten Güssen – das kochende Wasser auf die Teeblätter zu schütten. Dann ging ich mit erzwungener Harmlosigkeit zum Schrank und begann Teetassen und Zucker auf ein Tablett zu stellen.
Pamela hatte die Augen langsam wieder geöffnet. Sie sah mich wieder stumm, tragisch und forschend an – trat, als ich heldenhaft den Kopf nach ihr umwandte, zögernd einen Schritt auf mich zu – preßte dann wieder die Hand gegen die Stirn und schauderte zusammen.
„Erkälten werden wir uns auch alle noch! “ sagte sie dann mit Tränen in der Stimme, auf ihre nackten Füße weisend.
Ich ergriff das Tablett und begann würdevoll an ihr vorbei zur Küchentür zu schreiten – ihr mit einer Kopfbewegung (die ich lieber hätte sparen sollen – oder versuchte ich mich derart selbst zu strafen?) andeutend, mir zu folgen.
„Jetzt trinkst Du erst mal eine schöne Tasse heißen Tee – “ erklärte ich ihr mit dem sanften Nachdruck der kompetenten Sylvia.
Sie ließ sich mit einem kleinen Stöhnen in den Sessel am Dielentisch sinken.
„T e e – “ sagte sie, als umfasse diese Wort die ganze Tragödie des menschlichen. Daseins. „Gibt es denn hier keine einzige Kopfschmerztablette ?“
Ich spürte eine unfaßbare Erleichterung.
„Gleich – “ tröstete ich sie. „Trink jetzt erst mal – mit viel Zucker – “ Ich schaufelte ihr drei Löffel in die Tasse, rührte um und drückte ihr das dampfende Getränk in die Hand.
Irgendwo oben im Badezimmer gab es einen Medikamentenschrank. Die Treppe – aufwärts begangen – war zwar eine satanische Folter für meinen berstenden Schädel: aber ich hätte gern noch Schlimmeres auf mich genommen, solange Pamela bei solch ungefährlichen Themen verweilte …
Oben angekommen, kämpfte ich einen Augenblick lang mit der Versuchung, erst einmal nach meinem Kopftuch zu schauen. Aber dann schüttelte ich energisch den Kopf (ich mußte doch etwas masochistisch veranlagt sein! ) und wandte mich dem Badezimmer zu. Kaputt war sowieso alles …
Natürlich fand ich, wie in solchen Fällen meistens, keine Tabletten gegen Kopfschmerzen. Dafür aber eine Packung überstarker Migräne-Zäpfchen – besser als nichts, dachte ich, und wankte wieder nach unten.
Pamela hockte noch immer wie ein Häufchen Unglück in ihrem Sessel. Wenigstens ihren Tee hatte sie aber getrunken.
Nun hatte ich ja schon mehrfach Gelegenheit gehabt, zu bemerken, daß eine hilflose Pamela automatisch eine kompetente Sylvia auf den Plan rief. So war es auch hier wieder: Die Kopfschmerzen energisch in den Hintergrund drängend – genau wie alle anderen Probleme – übernahm Sylvia plötzlich wieder die Führung der Dinge.
“ … gegen spastische Schmerzzustände und Migräne!“ verlas sie den. Text der Packung wie eine Proklamation. „Das nimmst Du jetzt – sofort – und dann trinkst Du noch einen schönen heißen Tee. Inzwichen – “ (Sylvia war jetzt voll in Fahrt) „muß ich Dein Büro anrufen. Wie heißt diese abscheuliche Frigga mit Nachnamen?“
„Dreiunddreißig – einundzwanzig – zehn- “ sagte Pamela mechanisch ein Computer in einem Science-Fiction-Film. „Das ist die Nummer – “ ergänzte sie dann entschuldigend. „Sie heißt Fräulein Bachmann.“ Dann schloß sie beruhigt wieder die Augen: die große Sylvia würde schon alles machen …
Noch während ich dem Tuten des Telefons lauschte, hatte ich zwar nicht die geringste Ahnung, wie ich unsere vollkommen unprogrammäßig verlaufene Aktion von gestern abend eigentlich wieder einrenken sollte; aber als sich dann die Firma «Nord-Import« meldete, erkundigte ich mich – wenn auch mit füglich weich modulierter Stimme – nicht ohne geschäftsmäßige Schärfe:
„Gibt es in Ihrem Unternehmen eine gewisse – äh, Frigga Bachmann? Ja? Würden Sie bitte die Freundlichkeit haben, mich mit ihr zu verbinden?“
Wie üblich, dauerte es einige Sekunden, bis das Mädchen die Umschaltung vollbracht hatte – Sekunden, in denen jedoch Sylvias Computer, trotz aller Kopfschmerzen, blitzschnell einen neuen Plan konzipiert hatte:
„Fräulein – äh, Frigga Bachmaria?“ begann ich kühl. „Hier spricht Schwester Sylvia von der Inneren Mission!“
Pamela gab einen unklaren unterdrückten Laut von sich und riß die Augen wieder auf.
„Gestern abend – “ fuhr ich geschäftsmäßig fort, „wurde bei einer Ausweiskontrolle auf dem Volksfestplatz ein junges Mädchen ohne Ausweispapiere aufgegriffen, die angab, Pamela – Pamela – “ ich raschelte verzweifelt mit den Seiten des Telefonbuchs, als suche ich in irgendwelchen Akten, und versuchte Pamela durch gleichzeitige wilde Gesten klarzumachen, daß ich ja (wie mir viel zu spät einfiel) noch nicht einmal ihren Nachnamen wußte.
„Pamela Rehlein ?!“ half mir die kompetente Frigga aus der Verlegenheit, „Was um Himmelswillen ist mit ihr?“
„- Pamela Rehlein zu heißen,“ fuhr ich – nun wieder kühl überlegen – fort. „Sie erzählte eine – nun, sagen, wir, ziemlich unglaubwürdige Geschichte darüber, daß eine Kollegin namens Frigga Bachmann plötzlich mit ihrer Handtasche verschwunden sei – „
„Aber das stimmt !“ unterbrach mich Frigga beschwörend.
„Das stimmt?! “ Schwester Sylvia holte hörbar Atem, „Einen Moment:“ fuhr sie dann eisig fort. „Das heißt also, daß Sie – wenn ich richtig lese, als Chefsekretärin tätig? – mit den Ausweispapieren, dem gesamten Geld und den Schlüsseln einer jüngeren Kollegin einfach spurlos verschwinden und sie – „
„Ja!“ gab Frigga gequält zu, „Wir haben uns ja auch schon Vorwürfe gemacht – aber das war etwas mit dem Auto und der Polizei – „
„Sie hielten also einen Kraftwagen für wichtiger als einen jungen schutzlosen Menschen, der Ihnen sein gesamtes Eigenturn anvertraut hat? Nun ja – “ resignierte Schwester Sylvia, „solch eine Einstellung ist ja heute nicht mehr ungewöhnlich..“
Pamela hatte wieder verzweifelt die Stirn in. die Hand gestützt. Sie zitterte leicht – oder schluchzte sie? Ich konnte das nicht recht verfolgen, weil die bestürzte Frigga mich jetzt wieder telefonisch bedrängte:
„Ja, Sie haben ja völlig recht – aber was ist denn nun mit Fräulein Rehlein ?!“
“Fräulein Rehlein – “ erwiderte ich eisig, „wurde, da man sie mittellos, ohne Ausweispapiere und dem Augenschein nach unter Alkoholeinfluß. stehend aufgegriffen hatte – auch nicht festzustellen war, ob sie überhaupt nach dem Jugendschutzgesetz ohne Aufsicht Erwachsener – “ (Pamela machte eine wilde, schwer zu deutende Gebärde) “- zu dieser Stunde an öffentlichen Lustbarkeiten hätte teilnehmen dürfen – andererseits aber, nach dem alten Rechtsgrundsatz ‚in dubio pro reo‘ – “ Schwester Sylvia unterbrach sich und erklärte dann nachsichtig, „das sagt zu deutsch: ‚Im Zweifelsfalle zugunsten des Beschuldigten‘ – in unsere Obhut übergeben und zunächst zur Ausnüchterung – „
„Um Himmelswillen – !“ murmelte Frigga zerschmettert. „Die arme Pamela!“
„Als solche – “ sagte ich tugendlich, „beginnt sie mir allerdings jetzt auch zu erscheinen. Es obliegt uns zwar nicht, moralische Urteile zu fällen – “ ( jetzt war ich nicht mehr im Zweifel darüber, warum Pamela zuckte. Keineswegs jedenfalls vor Schluchzen) „aber ich kann doch nicht verhehlen, daß Sie durch Ihre – nun, zumindest leichtfertige Handlungsweise – „
„Ja doch – das gebe ich ja alles zu – aber wo haben Sie denn jetzt Pamela – Fräulein Rehbein, meine ich ?!“
„Zur Ausnüchterung, sagte ich – es wäre freundlich, wenn Sie mich nicht so o f t unterbrechen würden, Fräulein – h, Bachmann! – in die Obhut einer unserer Jugendpflegerinnen übergeben, die sie – da unsere Heime überbelegt waren – zunächst in ihrer eigenen Wohnung untergebracht – „
„Gottseidank!“ Frigg atmete auf. „Ich dachte schon, sie hätte in einer Zelle – „
„Wir – “ sagte ich nicht ohne Selbstgerechtigkeit, „nehmen die uns auferlegte Verantwortung ernster.“ Kleine Pause, zwecks besserer Einwirkung. „Deshalb habe ich es auch übernommen, die weitere Überprüfung dieser – recht eigentümlichen Vorgänge, in die auch ein volltrunkener Ausländer verwickelt gewesen sein muß – in die Wege zu leiten. Es – „
„Es ist, verehrte Schwester Sylvia – “ irgendwann mußte ja der Frigg auch einmal die Galle platzen, „jetzt doch alles geklärt. Sicher haben doch Sie wie wir jetzt nur das eine Interesse, das unschuldige Opfer dieser Verwicklungen so schnell wie möglich – „
„Sie erlauben, daß ich Ihnen widerspreche – “ Schwester Sylvia sprach mit einiger Autorität. „Wenn die Dinge so liegen – dann braucht das arme Kind jetzt vor allem einmal Ruhe, um sich von der ganzen Aufregung zu erholen. Ich werde zwar sofort alle zuständigen Stellen unterrichten, wie sich die Dinge aufgeklärt haben – aber Sie gestatten, daß ich Fräulein Rehlein im Moment bei uns in besseren Händen glaube als bei Ihnen!“ Etwas versöhnlicher setzte ich hinzu: „Später wird sie sich dann gewiß selbst mit Ihnen in Verbindung setzen – oder wird sie in Ihrem – Büro – „(Schwester Sylvia betonte das so , als meine sie etwas ganz anderes) „derzeit so dringend gebraucht ?!“
Frigg benutzte – wie gewünscht – die goldene Brücke zum Rückzug. „Aber nein – sie hatte ja gestern sowieso Überstunden gemacht – das war ja die ganze Ursache – „
„Sie verzeihen, wenn ich mich dem weiteren Studium dieser – Ursachen nicht mehr widmen kann,“ schloß ich zuckersüß. „Sie werden verstehen, daß unsere Institution noch viele andere Fälle zu bearbeiten hat, die – vielleicht – weniger harmlos sind als dieser -„
„Aber – Sie haben doch Mühe und Auslagen – “ fiel Frigg nun zum guten Schluß noch ein.
„Dies – “ sagte ich milde, „ist unsere Lebensaufgabe. Wenn Sie es für nötig halten, steht es Ihnen frei, eine Spende an eine der Organisationen – “ Ich hängte ein.
Pamela prustete jetzt endlich offen heraus.
„In besseren Händen – “ ahmte sie zuckersüß nach, als sie sich etwas beruhigt hatte. „Du – du – du Jugendpflegerin! Ausnüchterung! Jugendschutzgesetz! Man sollte Dich doch – „
„Man sollte – “ unterbrach ich sie, noch immer mütterlich-milde, „jetzt brav sein Zäpfchen gegen den Brummschädel nehmen und sich dann wieder schön ins Bettchen packen – nachdem Du das blöde Büro erstmal vom Halse hast !“
Pamela preßte wieder die Hand gegen die Stirn.
„Das Schlimmste ist – “ sagte sie schmerzvoll, „daß Du sogar recht hast.“ Sie erhob sich etwas unsicher, die Schachtel mit den Zäpfchen gegen die Brust gepreßt. „Aber – ” fuhr sie mit blitzenden Augen fort,“ wenn Du meinst, daß ich mir hier vor Dir ein Zäpfchen in den – in den – “ sie schüttelte wild den Kopf (wie ihre Miene zeigte, bekam ihr das genau so prompt schlecht wie mir) und wandte sich wütend zur Treppe.
Um dann stöhnend gegen das Geländer zu sinken; „Raufhelfen könntest Du mir wenigstens!“ murmelte sie vorwurfsvoll.
Zwar hatte auch ich während des Telefonats meine letzten Reserven an. Energie verbraucht – und schwamm jetzt durch ein abscheuliches Meer schmerzender, dröhnender Wellen, von denen nur nicht klar war, ob sie von außen an meinen Schädel brandeten – oder von innren: aber gerade deshalb konnte ich Pamelas Bitte zutiefst verstehen.
Es wäre denn – für einen objektiven Beobachter – auch schwer festzustellen gewesen, wer eigentlich wen die Treppe hinaufführte, als wir da unsere zerspringenden Schädel mit äußerster Vorsicht wieder ins Obergeschoß transportierten und zum Schlafzimmer wankten: Himbeergeist und Sekt – oder Cocktails und Sekt?
„Hier – “ streckte mir Pamela mit der Geste einer verzeihenden Königin die Schachtel hin, „Du brauchst so ein Ding genau so nötig wie ich!“
Da hatte sie unheimlich recht. Ich schaffte auch noch die paar Schritte bis ins Badezimmer – dann mußte ich mich erst einmal aufs Klo sinken lassen, ehe ich mit einiger Mühe das Zäpfchen aus seinem Cellophan geschält und an die richtige Stelle verbracht hatte (und sowas finden jetzt die Schwülen schön? dachte ich etwas unlogisch). Dann aber packte mich das – wie ich mir ganz glaubhaft einredete – Pflichtgefühl. Die Popobacken angestrengt zusammenpressend, ging ich mit kleinen Schrittchen. wieder zur Tür ins Schlafzimmer.
„Willst Du – “ fragte ich fürsorglich, „vielleicht noch eine Tasse heißen Tee?“
Pamela öffnete schläfrig die Augen.
„Tee – “ sagte sie verachtungsvoll. Und dann umspielte ein zartes Lächeln ihre Lippen: „Nun komm schon wieder ins Bett – “ sagte sie leise, „Schwester Sylvia!“
Das nächste Erwachen war sehr viel angenehmer als das erste – schon weil es von allein kam, nicht durch einen schrillenden Wecker. Und in dem tiefen Schlaf, in den uns das Medikament nocheinmal hatte fallen .lassen, waren die Kopfschmerzen auch spurlos verschwunden – nur daß noch, als Nachwirkung, eine Art olympische Abgeklärtheit zurückgeblieben war, die mich alles aus geruhsamer Distanz sehen ließ…
Außer Pamela, die sich wieder einmal vertrauensvoll dicht an mich gekuschelt hatte. Sie mußte schon ein wenig vor mir aufgewacht sein, denn eigentlich wurde ich davon wach, daß sie meinen Arm am Handgelenk hochhob – so hoch, daß er genau neben ihrem eigenen erhobenen Arm gestreckt hing – und vorwurfsvoll sagte:
„Es ist einfach unverschämt, daß Du weißere Arme hast als ich!“
Ich zog meinen. Arm, ohne daß sie ihn losließ, langsam und immer noch ausgestreckt beiseite – so daß der ihre, mit bis zur Schulter hochgerutschtem Kimonoärmel, dicht vor meinen Lippen lag.
„Das ist – zugegebenermaßen – unverzeihlich – „stimmte ich wohlig zu und küßte die nackte glatte Haut ihres Oberarms zärtlich, „aber D e i n e Arme kenne ich ja auch «erst seit gestern!”
Wenn dies auch nicht ganz logisch war, so gefiel es Pamela offenbar doch: denn sie schlang den diskutierten Arm kühl und seidig um meinen Nacken.
„Trotzdem hast Du überhaupt nicht so hübsch zu sein wie ein Mädchen!” verwies sie mich sanft, flocht aber zugleich – um anzudeuten, daß sie mir nicht a l l z u böse sei, ihr linkes Bein zierlich um meines. Dies veranlaßte mich wiederum, die ganze süße Pamela überhaupt mit dem freigewordenen Arm auf mich heraufzuziehen – wo sie zufrieden, warm und wohlig weich unter der glatten Kimonoseide liegenblieb.
„Wieso?” fragte ich dann gelassen.
Sie hob den Kopf und sah mich wieder mal aus ihren süßen großen braunen Augen befremdet an.
“Was: wieso – ?”
“Wieso – “ erläuterte ich ihr gemächlich, „habe ich nicht hübsch zu sein?”
Sie guckte entgeistert und suchte einen Moment lang nach Worten.
“Weil Du ein ganz hinterhältiges, gemeines Biest bist – “ sagte sie dann mit blitzenden Augen, „daß ich Dich erst für ein Mädchen halte – und dann – und dann -“
„Und dann – was?” erkundigte ich mich – wieder mit jenem wohlig distanzierten Interesse, das ich von meinem Zäpfchen noch zurückbehalten hatte, und streichelte genußvoll den glatten, weichen und doch festen Rücken unter der Seide ihres Morgenrocks.
Pamela runzelte die Stirn:
„Ich könnte Dir zum Beispiel jetzt die Nase abbeißen – “ theoretisierte sie ernsthaft, „Dann wärst Du für Dein Leben entstellt!“ Sie leckte sich mit der kleinen spitzen Zunge genußvoll die Lippen.
„Und hättest Du mich lieber so ?” fragte ich großzügig, „Dann beiß!”
(… und damit endet dieses Kapitel-Bruchstück leider …)