Als der Maler Miguel de Lorca im Abenddämmern vor der Schenke des Sanchezzo saß, an einer Skizze strichelnd, und zuweilen mit einem tiefen Zug aus dem Weinkrug die Erinnerungen an die Wechselfälle seines Schicksals herunterzuspülen suchte, trat ein alter, höfisch gekleideter Herr zu ihm und legte ihm die welke, mit kostbaren Ringen geschmückte Hand auf die Schulter.
„Ich will Euch etwas zeigen, Miguel de Lorca – “ hub er an, „und Euch eine Geschichte erzählen.“
Der Maler fuhr auf.
„Soll ich für Euch malen, Euer Gnaden?“ sagte er hastig, „Eure Tochter, oder Euer Windspiel?“ – denn er sah wohl, daß der andere von Adel und begütert sein mußte, und hoffte auf einen lohnenden Auftrag.
„Ihr habt immer für mich gemalt, Miguel de Lorca,“ erwiderte der Fremde mit einem seltsamen Lächeln, „die Teresa, das Gastmahl, den Gardeoffizier – „
„Ihr kennt meine Bilder?“ unterbrach ihn Miguel erregt.
„Ich besitze sie alle! Wollt Ihr sie sehen? Dann kommt!”
Und der Herr führte den Maler durch die dunkelnden Gassen zu einem großen, düsteren Haus; ein reich gekleideter Diener öffnete ihnen und führte sie beim Schein eines silbernen vielarmigen Leuchters durch Hallen und Gänge, über Treppen und Flure in eine lange, getäfelte Galerie. Dort hingen, vom Lichte unzähliger Kerzen bestrahlt, in kostbaren Rahmen viele Bilder; und als sie Miguel de Lorca besah, war ein jedes von seiner Hand.
Es begann mit den ersten ungelenken Versuchen, Bewegung und Wesen der Tiere festzuhalten, die man ihm als Hütejunge anvertraut hatte. Dann war der fremde Kavalier gekommen und hatte dem mürrischen Vormund mit Ernst gesagt, der Hütejunge Miguel solle in die große Stadt ziehen und bei dem Meister Tegas ein Maler werden; er hatte einen Beutel mit Goldstücken dagelassen und einen Brief, den der Junge dem Meister geben sollte. Und nachdem der Vormund den größeren Teil des Goldes« in seiner Lade geborgen hatte, hatte er Miguel mit frommen Sprüchen auf den Weg geschickt. Und nun, da Miguel den fremden Herrn beim Scheine der Kerzen näher besah, schien es ihm, als sei er kein anderer als der Kavalier, der ihn damals auf der Weide getroffen.
“Ihr habt ein scharfes Auge, Miguel de Lorca“, sagte der andere anerkennend, „das habe ich schon damals gespürt. Aber seht Euch die Bilder weiter an!“
Nun kamen sie zu den Arbeiten aus Miguels Lehrjahren. Mit jedem Bild hatte er ein neues Stück Handwerk gemeistert, hatte gelernt, dem Geschautem Form zu geben und die widerspenstige Fülle der Wirklichkeit zu bändigen.
„Viel habe ich von Meister Tegas gelernt”, sagte Miguel nachdenklich.
„Fast hättet Ihr zu viel von ihm gelernt. Doch ich glaube, er fand ein gewaltsames Ende?“
„Straßenräuber überfielen ihn, als er mit dem Lohn für eine Arbeit über Land heimkehrte. Ich führte seine Werkstatt fort – ich mußte doch auch für seine Tochter Teresa sorgen, die er meinem Schutz empfahl, als er verschied. Und man erkannte mich als seinen Nachfolger an – ich malte viel in jenen Jahren!”
„Und Ihr maltet auch Teresa?“
Des Malers Blick wurde düster.
„Ja ich malte Teresa – viele, viele Male; ich liebte Teresa, und die liebte mich. Wir hatten glücklich werden können – doch eines Tages fiel sie in ein hitziges Fieber, und wenn ich auch den berühmtesten Arzt herbeirief und die Arzneien mit Gold aufwog: Der schwarze Engel führte sie mit sich fort. Da hielt es auch mich nicht mehr in der Stadt, und ich zog davon.“
Weiter gingen sie, an immer neuen Bildern vorüber. Reifer waren sie jetzt, als habe der erste tiefe Schmerz des jungen Miguel ihnen allen den Stempel aufgeprägt. Doch dann standen sie vor einer Leinwand, die zeigte ein schönes, prächtig gekleidetes Weib mit schwarzen Locken und blauen Augen.
„Und wer ist das?“ fragte der Herr.
Bitter lächelte Miguel, als er antwortete:
“Das – ist die Cineara, die Komödiantin. Oh, sie war schön – noch schöner, als ich sie hier malte; und ihre Umarmung war wie berauschender Wein. Auch sie sagte, sie liebe mich – und vielleicht hat sie mich auch für einen Augenblick geliebt. Nur war ich ein Narr und glaubte, es müsse für immer sein. Ich wurde wieder seßhaft – ihr zuliebe. Ich malte viele Bilder – ihr zuliebe. Und ich merkte es gar nicht, daß es ihre Galane waren, die sich von mir abkonterfeien ließen und hinter meinem Rücken über den liebestollen Maler spotteten. Bis ich eines Abends einen Brief bekam, ich solle zu einen Wäldchen an der Stadtmauer gehen, wenn ich Cineara wirklich kennenlernen wolle. Ich weiß nicht, wer den Brief geschrieben hat – doch fand ich dort die Komödiantin in den Armen eines jungen Gardeoffiziers – ja, eben des Offiziers, vor dessen Bild wir gerade stehen.
Ich zog meinen Degen – doch er war der bessere Fechter. Ein Klosterbruder fand mich halbverblutet am Wegrand und nahm mich in sein Kloster mit. Als ich wieder genesen war, malte ich den frommen Brüdern zum Dank dies Altarbild – ich sehe, lhr habt sogar das in Eurer Sammlung!”
„Wie lange bliebt Ihr bei den Brüdern?”
“Oh, ich wäre gern mein Leben lang dort geblieben – dort war Ruhe und Frieden. Aber der Krieg kam ins Land, und eines Nachts holten mich Soldaten aus dem Kloster: Ich sei ein Spion, ein Verräter, riefen sie – und wäre ich nicht im Dunkel entwichen, weil meine Fesseln sich gelockert hatten, wäre ich wohl dort ums Leben gekommen. Das ganze Land war verwüstet, und ich war glücklich, als mich ein Kapitän als Matrose auf seinem Schiff annahm.
Doch kaum waren wir auf der freien See, merkte ich, daß unser Schiff auf Seeraub aus war. Nun – ich habe mich nicht gewehrt dagegen, und wenn es auch ein wildes Leben war: Ich habe manches dort draußen gelernt. Nur eines nicht: ich habe keinen Menschen umgebracht.
Vielleicht war es deshalb, daß mir der Schließer als einzigem die Tür öffnete und mich entkommen ließ, als all die anderen zur Richtstatt geführt wurden. Es war kein Vergnügen für mich – ich wäre sicher lieber mit Pedro und Jose und all den Genossen zur Hölle gefahren, als mich in Hafenspelunken und Hütten vor den Häschern zu verbergen. Schließlich brachten mich Schmuggler über die Grenze – und nun sitze ich hier vor Sanchezzos Schenke und male das, was mir noch zu malen übrig bleibt: Krüppel, Dirnen und Diebe.“
Und wirklich standen sie jetzt vor den letzten Bildern Miguels. Aus denen schauten Haß, Gier und Trauer um verlorene Tage; aber so häßlich die Fratzen waren, die er auf die Leinwand gebannt hatte – seine Kunst schien dabei nur noch gewachsen zu sein.
Als der Fremde schwieg, sagte der Maler schließlich:
„Euer Gnaden, ich habe Euch meine Geschichte erzählt. Aber wolltet nicht auch Ihr mir eine Geschichte erzählen, wenn Ihr mir die Bilder gezeigt hattet?”
„Dazu kommen wir jetzt“ sagte der Herr. “Ihr wißt, Miguel de Lorca, es gibt Menschen, die geben den Malern Geld, damit sie ihnen Bilder malen. Doch der Maler braucht kein Geld, damit er malen kann – er braucht etwas in seiner Brust, das ihn zwingt, zu malen. Und das können ihm jene nicht geben. Aber ich, ich habe es Euch gegeben!
Als ich sah, daß Ihr von Meister Tegas nichts mehr lernen konntet, habe ich Mörder gedungen, die ihn umbrachten. Denn sonst hättet Ihr ihn nachgeahmt und wäret nicht Ihr selbst geworden.
Dann wurdet Ihr bekannt und liebtet – und Liebe braucht ein Künstler; aber Achtung und eine Ehefrau hätten Euch zu einem geruhsamen Menschen werden lassen. So schickte ich Teresa Gift und bestach Arzt und Apotheker, Ihr statt Arzenei nur gefärbtes Wasser zu reichen. Cineara küßte Euch, weil ich ihr ein Geschmeide dafür gab; doch auch der Brief, der Euch in jenes Wäldchen gehen hieß, kam von mir. Der Offizier hätte wohl besser zugestochen, wäre er nicht mir untergeben gewesen; auch der Klosterbruder kam nicht von ungefähr – denn ein Künstler muß auch mit Gott einmal gesprochen haben. Doch ein frommer Laienbruder durftet Ihr, mein Miguel, nicht werden; so verleumdete ich Euch beim Feind, aber ich sorgte auch dafür, daß Ihr entkamt. Jene Seeräuber standen in meinem Sold; ich selbst lockte sie in den Hinterhalt, als ich glaubte, Ihr hättet genug von Sturm und Kampf erfahren. Mein Wort öffnete Euch die Kerkertür, meine Späher geleiteten Euch über die Grenze, und warum, glaubt Ihr, borgt der Schurke Sanchezzo Euch schon seit Monaten auf Wein, Brot und Käse?
Oh nein, Geld braucht der Künstler nicht – aber er braucht ein Schicksal, um daran zu wachsen; und das habe ich Euch gegeben!“
Hochaufgerichtet stand der Greis vor dem Maler, der ihn doch um Haupteslänge überragte; und ein seltsamer Stolz: lag in seiner Miene. Miguel de Lorca aber trat noch einem Schritt näher und hob die Hände; schwer ließ er sie auf die Schultern des Alten fallen.
„Teresa!“ sagte er rauh. „Ihr Mörder! Cineara! Ihr Kuppler! Ihr Verräter! Ihr – “ Die Stimme schien ihm zu versagen. „Und warum – Ihr Dämon – “ stieß er schließlich hervor, und eine Hände schlossen sich um den hageren Hals des anderen, „warum gesteht Ihr mir all das ? Habt Ihr vielleicht doch noch eine Spur von Reue und Gewissen ?!“
„Nicht das – “ sagte der Greis und lächelte fein. „Aber es fehlt Euch noch ein wichtiges Erlebnis, ehe Ihr ein ganz großer Künstler werden könnt: Ihr habt noch nie einen Menschen umgebracht … “
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