Erster Zwischenbericht
über Recherchen zu den Themen “Tante” und “Dienstmädchen”]
in den Fragmenten des Hellmut Wolfram

[Bei den Vorarbeiten für meine Abschlußarbeit zum Erwerb der Würde einer literarisch-erotischen Diplom-Haushaltshilfe stieß ich unter anderem auf ein Fragment, das vermutlich gerade für Freundin Jula von großem Interesse sein dürfte, weil es in frappierender Beziehung zu ihren Bemerkungen vom 18. Oktober steht.
Margot Trugmaid, Diplomkandidatin]

In seiner “Nachbremischen Frustrationsperiode” hat Hellmut Wolfram immer wieder einmal – zwischen seinen sachlichen und wissenschaftichen Arbeiten – zur Abreaktion nicht realisierbarer Umkleidungs-Impulse rasch mal ein paar Seiten über irgendeine imaginäre TV-Situation in die Schreibmaschine geklopft, die meist ohne ernstliche Handlung oder Pointe abbrechen. In diesem i.a. weder literarisch noch psychologisch besonders wertvollen Material findet sich auch das folgende Fragment, welches das sonst vergleichsweise selten auftretende Motiv einer “den Neffen unter ihre Fittiche nehmenden selbstbewußten Dame” auftaucht.

(Solche Damen sind in der übrigen TV-Amateurliteratur natürlich an sich äußerst häufig: wenn man mal die “Dominanten” ausscheidet, die den – insgeheim davon Begeisterten – in die Kleider zwingen, sind es vor allem liebevolle Mütter, die ihrem Sohn zu einer Zweit-Existenz als “Tochter” – die sie schon immer gern gehabt hätten – verhelfen; manche gehen sogar soweit, ihren durch die Damenunterwäsche allzu erregten Sohn selbst manuell wieder zu beruhigen, damit er sich dann weiter schmücken kann! Falls sie ihn aber nicht gleich zur Operation anmelden, suchen sie ihm eine verständnisvolle Frau, die er dann in schönem Brautkleid ehelichen kann usf. )

Da die hier auftretende Tante gewisse eigenwillig von diesem Schema abweichende Züge aufwies, habe ich mich zunächst erkundigt, ob für diese etwa irgendeine reale Tante des Autors Modell gestanden habe. Das, erklärte er glaubhaft, sei nicht der Fall: wie sie ja auch optisch durchaus nebelhaft bleibt – ihr hervorragendster Zug ist ja nur die Begeisterung, mit der sie ihre unerwartete “Nichte” willkommen heißt und so perfekt wie möglich machen will (in der Tat gegen Ende hin möglicherweise ein wenig z u perfekt?).

Aber nun hier erst mal der Text – der eingeklammerte Titel wurde von mir nachträglich ergänzt:

[Eine äußerst hilfreiche Tante]

An diesem Samstag langweilte ich mich maßlos.

Tante Lissy war schon zu nachtschlafender Zeit mit dem Zug in die Kreisstadt gefahren, wo sie jedesmal ihre Einkäufe fürs Wochenende machte, und würde erst gegen zwei zurückkommen – sie hatte mir zwar den Frühstückstisch noch gedeckt und Kaffee warm- gestellt, aber mich dann mit einem Zettel gebeten, ich „solle alles schön in Ordnung bringen und das Mittagessen für zwei Uhr aufwärmen“ – wobei „alles schön in Ordnung bringen“ sich offenbar auch auf den Berg schmutzigen Geschirrs bezog, der von gestern, vermehrt um das heutige Frühstückszeug, noch herumstand!

Nicht, daß mir das allzu viel ausgemacht hätte – ich hatte ja schließlich zuhause auch oft im Haushalt geholfen – aber im Grunde war ja aufräumen, abwaschen und Essen aufwärmen doch ausgesprochen Arbeit für ein Dienstmädchen, nicht für einen zu Besuch gekommenen Neffen!

Während ich das so dachte, überfiel mich auf einmal eine Idee, die weittragende Folgen haben sollte.

Warum sollte ich diese ganze Arbeit nicht wirklich, statt als Junge, als „Dienstmädchen“ machen? Mich mal richtig wie ein Mädchen anzuziehen – der Gedanke hatte mich schon immer insgeheim gereizt: und hier hatte ich einen ganzen langen Vormittag Ruhe dazu, es würde die einigermaßen langweilige Hausarbeit mit einem abenteuerlichen Zug würzen, und nicht zuletzt Tante Lissy auf originelle Weise (und ohne daß sie es allzu übelnehmen konnte?) darauf hinweisen, daß sie mir doch ein wenig komische Dinge aufhalste!

Noch halb unentschlossen, schaute ich mich in der Küche um; da hing Tante Lissys buntgeblümter Küchenkittel – der müßte mir passen, denn wir hatten etwa die gleiche Größe – und daneben eine blaue Gummischürze – auch genau das Richtige fürs Geschirrabwaschen (zudem waren mir Gummischürzen, mit ihren neckischen Gummifalbeln am Rand und ihrem eigentümlichen Schlabbern bei jeder Bewegung, immer besonders mädchenhaft vorgekommen).

[Anmerkung: hier ergeben sich einmal detailliertere Aufschlüsse über die zweifellos etwas fetischistische Rolle solcher Gummischürzen – wie ja auch ich sie, allerdings noch ohne Falbeln, während meiner Recherchen trage; näheres dazu später beim Thema “Dienstmädchen”.
Margot Trugmaid]

Fehlte also nur noch dreierlei: Strümpfe und Schuhe – irgendwas für den Kopf, um meine kurzen Haare zu verdecken – und natürlich ein schicker Mädchenbusen!
Das Erste war das Komplizierteste: wenn mir nun Tante Lissys Schuhe gar nicht paßten?

Ich beschloß, die Ausführung der ganzen Idee davon abhängig zu machen: sozusagen als eine Art Orakel. Aber als ich im Flur am Schuhschrank wahllos irgendein Paar Pumps herausholte und – noch über meinen Socken – mit dem Schuhanzieher den rechten Schuh anprobierte, saß er wie angegossen!
Also würde ich es machen! Aber dann – fiel mir ein – kam noch allerhand dazu, um es wirklich richtig zu machen: Damenstrümpfe hielten – im Gegensatz zu Socken – nicht von allein, sondern mußten, wie ich aus Anzeigen wußte, auf ziemlich komplizierte Weise an Strumpfhaltergürteln verankert werden. Ebensowenig schwebte, wie ich aus der gleichen Quelle wußte, ein Busen von allein vor der Brust: sondern er bedurfte gleichfalls eines wohldurchdachten Halters!
Augenblick hätte ich da beinahe die Courage wieder verloren: denn all diese Dinge zu beschaffen, hieß natürlich Tante Lissys durchaus intimere Kleiderschrankfächer oder Schubladen zu durchwühlen – was sie durchaus hätte übelnehmen können. Aber – wie war es mit der Truhe für gebrauchte Wasche im Badezimmer?

Tatsächlich fand ich, als ich die ausräumte, alles, was ich für meine Maskerade brauchte: einen rosa satinschimmernden Hüftgürtel mit klirrenden Strumpfhaltern – einen ebenso rosa schimmernden Büstenhalter (beide kaum benutzt) – lange braune Seidenstrümpfe; und sogar noch einen rosa Unterrock mit hübschen Spitzen, den ich nach kurzem Überlegen gleichfalls mit aufsammelte.
Mit all dieser Beute zog ich mich in mein Zimmer zurück, zog mich bis auf die Unterhose aus und versuchte erst einmal den Büstenhalter umzuschnallen. Das gelang mir natürlich nur mit einigen Schwierigkeiten, da ich ihn hinter dem Rücken – ohne etwas zu sehen – zusammenhaken mußte, was ich erst beim dritten Versuch schaffte: aber dann saß er ganz glatt und stramm – allerdings noch, ohne das Geringste in seinen wohlgerundeten Schalen zu „halten“!

Was konnte man da nehmen? Nach kurzem Überlegen griff ich zu zwei Paar zusammengerollten Socken aus meinem Koffer und stopfte sie in die leeren Schalen, die sie zu hübschen Halbkugeln formten. Jetzt richtig aufgeregt, zog ich den Unterrock über den Kopf, streifte ihn herunter und glatt – und konnte im Spiegel wirklich ein höchst naturgetreu wirkendes Mädchen-Oberteil bewundern!
Mein Stolz darauf ging allerdings gleich wieder verloren, als ich versuchte, den Hüftgürtel richtig umzulegen: was war da innen und was außen, was vorne und was hinten? Ich mußte tatsächlich erst auf nackten Füßen hinunterlaufen und eine von Tante Lissys Frauenzeitschriften durchblättern, bis ich aus einem Miederinserat die nötigen Aufschlüsse gewann: und dann war es mindestens nochmal genau so ein Problem, die empfindlichen dünnen Seidenstrümpfe ohne Falten (und so, daß die Nähte hinten nicht total schief saßen!) an die Beine zu kriegen und mit den klirrenden Strumpfhaltern zu verankern!

Doch als das geschafft war, ging es nun sehr schnell, ein Paar Schuhe – vorsichtshalber mit nicht zu hohen Absätzen – herauszusuchen und anzuziehen und in der Küche den geblümten Kittel überzustreifen, zuzuknöpfen und unter dem Bindegürtel glattzuziehen: und als ich vor den langen Spiegel in der Diele trat, schaute mir aus ihm bereits eine ganz echt mädchenmäßig aussehende Figur entgegen – bis, allerdings, auf den Kopf.
Da mußte ich mir nun jedenfalls noch etwas einfallen lassen!

An der Garderobe hing ein bunter Schal – wenn ich den irgendwie über die Haare band? Ich probierte es: ja, wenn man die kurzen Haare nicht mehr sah, war der Effekt schon ganz verblüffend! Aber da fehlte noch immer was? Ach so, rote Lippen?!

Wieder raste ich ins Badezimmer, wo unter dem Spiegel allerlei Kosmetika Tante Lissys standen. Nach einigem Experimentieren und Herumschmieren – einmal mußte ich wütend alles mit Seife wieder abwaschen, weil ich mehr wie ein Zirkusclown aussah denn wie eine junge Dame – hatte ich es aber geschafft: was ich jetzt im Spiegel sah, war tatsächlich kein Jungengesicht mehr, sondern ein hübsches Mädel mit vollen roten Lippen, pfirsichfarbenen Teint und wohlgeschwungenen Brauen!

Daß auf dem Bord unter dem Spiegel auch noch ein paar Ohrringe lagen, verführte mich, die auch noch zu verwenden (glücklicherweise hatte Tante Lissy keine Ohrlöcher, sondern verwendete noch die altmodischen Schraubohrringe) – und ich merkte, daß sie den mädchenhaften Eindruck meines seltsam verwandelten Gesichts noch verstärkten.

Ich hatte mit alledem tatsächlich fast zwei Stunden vertrödelt – und klapperte jetzt einigermaßen hastig in Tante Lissys schwarzen Lackpumps in die Küche, um mich an meine Mädchenarbeit zu machen. Während ich Abwaschwasser ins Becken laufen ließ, band ich mir – einigermaßen triumphierend – die Gummischürze um, um die ich unsere Dienstmädchen so manches Mal beneidet hatte: lief sogar eigens nochmal in den Flur vor den Spiegel, um mich daran zu freuen, wie sich der glatte blaue Gummi hübsch über meinen falschen Dienstmädelbrüstchen straffte und beim Gehen – ich versuchte schüchtern, dabei die schmalen Hüften mädchenhaft zu schwenken – um meine Schenkel raschelte.
Eins jedenfalls hatte ich richtig berechnet: die Abwascherei und ganze Hausarbeit machte mir zehnmal soviel Spaß, wenn ich dabei wirklich als hübsches Dienstmädchen herumschwänzeln durfte! Und obwohl ich immer wieder einmal vor dem Spiegel haltmachte, um mich zu bewundern und mädchenhafte Posen auszuprobieren, hatte ich im Handumdrehen alles geschafft – und das Mittagsessen (es gab irgendeine zusammengekochte Gemüsesuppe) pünktlich auf dem Herd stehen, als ich den Schlüssel in der Flurtür hörte: und gleich darauf Tante Lissy in die Küche trat.

Ich hatte mir zwischendurch immer wieder überlegt, wie ich sie empfangen sollte – vielleicht mit einem tiefen Knix und „gnä’ Frau“ ? – aber jetzt traf es sich so, daß ich gerade mit den Löffel am Topf probiert hatte, ob das Essen schon warm genug sei: und so blieb ich in dieser Pose – schlug nachdenklich die Augen gegen die Decke – nickte dann befriedigt und spülte den Löffel, ohne mich recht nach Tante Lissy umzuschauen, unter dem Wasserhahn ab.

Die Tante war erst einmal – völlig verblüfft, ein fremdes Mädchen mit schönster Selbstverständlichkeit in ihrer Küche herumwirtschaften zu sehen – in der Tür stehen geblieben, die Hände noch voller Einkaufstüten; hatte mich dann, während ich unbeirrt meiner Haushaltsroutine weiter nachging, ein über das andere Mal gemustert und schließlich unsicher „Erich – – ?!“ gefragt – worauf ich ihr nun doch, wenn auch stumm, mit einem (hoffentlich) recht mädchen¬haften Knix antwortete …

Aber dann hatte sie die Situation endlich begriffen, ließ ihre Tüten auf den Boden sinken und brach in einen entzückten Schrei aus:
„Aber – das ist ja s ü ß !“ Sie schaute mich nocheinmal – jetzt mit vollem Genuß – von oben bis unten an und sagte dann fast andächtig: „Also – was wärst Du für ein hübsches Mädel geworden! ! ! „

Ich spürte, daß ich – vor Stolz oder Verlegenheit – fast ein wenig rot wurde: und schlug züchtig die Augen nieder.

Tante Lissy kam näher, mich noch immer Zoll für Zoll musternd:
„Aber – per f e k t !“ sagte sie bewundernd. „Hübsche Beine hat er auch – und die F i g u r !“ Sie brach wieder in entzücktes Lachen aus. „Wie hast Du das bloß gemacht?!“

Mir fiel nichts anderes ein, als verlegen meine Gummischürze über den Hüften glattzustreichen – da schloß sie mich auch schon richtig in die Arme:
„Also Erich – oder: E r i k a ? – Du glaubst ja nicht, wie gut Du mir so gefällst!“ rief sie, während sie mich richtig liebevoll über den Rücken streichelte, „so bleibst Du jetzt, wenn wir essen – und überhaupt – „

„Überhaupt – “ nahm Tante Lissy den Faden wieder auf, als wir nach dem Essen noch am Tisch saßen und sie sich ihre unvermeidlich Zigarette angesteckt hatte, “ gefällst Du mir als Mädchen viel besser!“ Sie schaute träumerisch dem Rauch ihres ersten Zuges nach. „Ich hab mir eigentlich immer gewünscht, daß ich mal ’ne hübsche Nichte bekomme, die ich so richtig verwöhnen kann – aber ihr habt ja alle nix als doofe Jungens auf die Welt gebracht!“

Sie lächelte mir vertraulich zu: „Deshalb finde ich es ja so schick, daß Du das endlich mal geändert hast – und daß Du auch gleich noch so s ü ß ausschaust dabei! Wie bist Du nur darauf gekommen?!“

„Na ja – “ murmelte ich verlegen, „irgendwie hat mir das schon immer mal Spaß gemacht, mich als Mädchen anzuziehen – „

„Und das k a n n s t Du aber auch! Weißt Du, Du machst da auch so richtig die ganzen Bewegungen genau wie ’n Mädchen – also kein Mensch würde merken … „

Sie hielt inne und überlegte – dann breitete sich ein amüsiertes Lächeln über ihr Gesicht:
„Du – wie wär’ das denn, wenn Du den ganzen Rest der Ferien hier als Mädchen bleiben würdest?“

Ich muß wohl ein recht dummes Gesicht gemacht haben, denn sie fuhr eifrig fort:
„Also weißt Du – daß Du hier bist, das hat doch noch kein Mensch von meinen Bekannten überhaupt richtig gemerkt: und da sage ich einfach, ich habe jetzt die Tochter von – von einer Freundin von mir zu Besuch, die hier ihre Ferien verbringt!“

Und wie um mich nun noch endgültig zu überreden:
„Du – ich hab noch ’ne ganze Menge Sachen, die kann auch ein junges Mädchen tragen – und wenn Du willst, kaufen wir Dir auch noch irgendwas ganz schickes Modernes nächste Woche!“

Irgendwie rieselte mir bei dem Gedanken, ganze drei Wochen als Mädchen leben zu können, ein wonniger Schauer nach dem anderen über den Rücken – aber ich zwang mich, pflichtschuldig zu protestieren:
„Aber das geht doch nicht gut – mit den Haaren allein schon, und mit der Stimme – !“
Aber jetzt war Tante Lissy voll in Fahrt:
„Also – für die Haare: da besorge ich Dir eine ganz schicke Perücke – ich hab doch da unseren Theaterverein, da krieg ich sowas – und mit der Stimme brauchst Du Dir gar keine Sorgen zu machen: die jungen Mädel heute, die reden sowieso so alle halb wie die Jungens – wenn Du halt gerade ein bißchen leise sprichst, so zurückhaltend, dann merkt das kein Mensch!“ Sie schaute mich forschend an: „Oder würde Dir das überhaupt keinen Spaß machen, mal so eine ganz süße junge Dame zu sein?“

Ich spürte, daß ich wieder rot wurde: „Och – doch – aber – wenn Du meinst –

“ Sie nickte befriedigt:
„Also abgemacht: Du bist jetzt unsere kleine E r i k a – warte mal, wie alt bist Du? Also mit der F i g u r -“ sie kicherte wieder ein bißchen , „da können wir leicht sagen achtzehn, neunzehn, zwanzig – und Du bist in den Ferien gekommen, um bei mir ein bißchen den Haushalt zu lernen – das macht Dir doch Spaß, oder – ? Du hast das doch alles so wunderhübsch ordentlich gemacht, das Geschirr und alles – und natürlich kann ich mit der T o c h t e r von meiner Freundin auch viel schicker ausgehen – ins Café und Kino (da kannst Du doch in alle nicht jugendfreien Filme so !) und in die Stadt: und dann sollst Du mal sehen, was meine Bekannten alle sagen, was Du für ein hübsches Mädel bist!“

Sie schüttelte sich innerlich vor Lachen: „Die paar Kleinigkeiten bring ich Dir leicht noch bei, daß Du eine perfekte junge Dame wirst – da müssen wir die Augenbrauen noch ein bißchen zupfen, und die Nägel lackieren, und – “ sie musterte mich kritisch,“ na ja, die Hüften könnten noch ein bißchen voller sein, und so – aber das kriegen wir alles noch hin!“
* * *
[An dieser Stelle hatte der Autor – entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, jedes weitere Kostümierungs- oder Rollen-Detail genußvoll auszumalen, einfach mitten auf der Seite den Ablauf mit drei Sternchen unterbrochen: um danach plötzlich recht unvermittelt in ein viel späteres Stadium zu springen: anscheinend war der LG-Druck so groß, daß er jetzt gleich in die Vollen gehen mußte?
Margot Trugmaid
]

„Was, Erika – Du hast ein R e n d e z v o u s ?!“ rief Tante Lissy begeistert.

„Aber da kann ich doch nicht hingehen – l“ protestierte ich.

„Und ob Du kannst – Du m u ß t ! Jedes junge Mädchen muß ein Rendezvous haben!“

„Aber ich bin doch gar kein Mädchen!“ wandte ich verzweifelt ein.

„Na dann umso mehr!“ entgegnete Tante Lissy unlogisch, „das ist doch der schönste Beweis dafür, daß Dich jeder für ein Mädchen hält! Du mußt ja – “ beruhigte sie mich, „gar nichts Besonderes machen – das tut ein wohlerzogenes Mädchen sowieso nicht – bloß höchstens so ein bißchen rumküssen – „

„Rumküssen ?“ fragte ich entsetzt.

„Na ja – nun sag bloß, Du kannst nicht küssen!“ meinte sie entrüstet – und ehe ich mich versah, hatte sie mich in die Arme genommen, und drückte mir einen kräftigen Schmatz auf die roten Lippen. „Und nun paß mal auf – “ fuhr sie fort, meinen Kopf in beide Hände nehmend, „jetzt preß mal die Lippen nicht so verzweifelt aufeinander, sondern laß mich mal ein bißchen machen – “ und plötzlich schob sich ihre kleine flinke Zunge zärtlich zwischen meine Lippen, während ihre Hände meinen Kopf unerbittlich festhielten – „nun mach schon die Zähne auseinander, Du keusche Susanne!“ flüsterte sie, einen Moment unterbrechend – und dann begannen unsere Zungen auf einmal ein seltsames und, wie ich zugeben mußte, angenehmes Spiel miteinander, während Tante Lissy ihren warmen Leib wohlig gegen den meinen preßte, gelegentlich ein wenig hin— und herrutschend.

„Na – macht das keinen Spaß?“ fragte sie dann, mich freigebend, noch schwer atmend.

Ich war noch vollkommen durcheinander:
„Und das soll ich – auch – ?“

Sie sah mich groß an: „Wenn es sich ergibt – meine ich! Bloß daß Du dann nicht dastehst wie ’ne hölzerne Puppe – das haben die jungen Herren nicht so gern!“

Ich wußte nicht, was ich sagen sollte – der Gedanke, daß ich da plötzlich wirklich wie ein Mädchen in den Armen eines jungen. Mannes liegen könnte, war ebenso erschreckend wie prickelnd reizvoll!

„Nun los – mach Dich hübsch!“ fuhr mich Tante Lissy liebevoll an. „Oder willst Du etwa keinen guten Eindruck machen?“

Noch immer wie halb im Traum ließ ich mich von ihr ins Schlafzimmer führen und wie für einen. Bühnenauftritt aufputzen:
„Hmmm – da ziehst Du am besten eins von meinen Miederhöschen an: da ist alles gut verpackt, wenn er wirklich da mal hinfassen, sollte – dann gibst. Du ihm übrigens ’ne Ohrfeige und wirst eiskalt, denn sowas schickt sich nicht beim ersten Rendezvous! – aber darüber kannst Du dann schon recht hübsche Tändelwäsche anziehen, f a l l s es sich mal ergäbe, daß er davon was zu sehen bekäme: und so ein b i s c h e n Parfum spritzen wir da auch drauf! “ Sie guckte in den Kleiderschrank: „Und dann vielleicht am besten so ‘nen Pullover mit Rollkragen – da bist Du oben auch so zu, daß er zwar ein bißchen über die Brüstchen streicheln könnte, aber nicht richtig ran …”

Sie warf einen Blick aus dem Fenster:
“ – und – ach Du lieber Gott, das fängt ja auch noch an zu regnen! Was machen wir denn da ? „

„Vielleicht Dein Regencape?“ schlug ich vorsichtig vor.

„Ach ja – das ist vielleicht sogar ganz schick, mit der Kapuze über Deinen Löckchen – paß bloß auf, daß da nichts verrutscht! -und vielleicht könntest Du auch noch die Regenstiefel dazu anziehen – wenn Du da mitten durch den Wald mußt – „

Und so geschah es auch: in Tante Lissys schwärzglänzenden Lackstiefeletten, das graue raschelnde Gummicape um die Schultern geworfen und die Kapuze tief ins Gesichtchen gezogen, stöckelte “Erika” durch den leichten Landregen zwischen den Bäumen auf die Waldlaube zu – im roten knappen Rollkragenpullover und hellgrauen Wickelrock über kessen falschen Brüstchen und Hüften, die Lippen einladend rot geschminkt und verlockend nach diskretem Parfüm duftend. Das Herz klopfte mir bis zum Halse, und beim Gedanken an das Kommende kroch mir ein Schauer über den anderen den. Rücken entlang:
auf der einen Seite hatte ich furchtbare Angst und gar eine Art Abscheu vor dieser ganzen Komödie – auf der anderen erregte es mich prickelnd, jetzt sozusagen den endgültigen Test meiner Mädchenrolle vor mir zu haben!

Ich holte noch einmal tief Atem, als ich vor der Waldlaube angekommen war, und drückte dann vorsichtig die Tür auf.

Tatsächlich stand er da.
„Oh, Fräulein Erika! Ich hatte schon Angst, daß Sie gar nicht kommen würden – bei dem Wetter!“ sagte er.

Sein bewundernder Blick reizte meine Eitelkeit bis zum äußersten: w a r ich nicht ein bildhübsches Mädchen? Und w a r er nicht scharf darauf, mit mir hier allein in der Laube zu sein ?! Ohne zu überlegen, trat ich viel näher auf ihn. zu, als ich vorgehabt hatte, und sagte mit dunkler verheißungsvoller Stimme:
“Dann – s t ö r t uns doch wenigstens niemand – ?“

Dabei muß ich. ihn wohl so erwartungsvoll von unten herauf angesehen haben – der Teufel hole Tante Lissy und ihre Zungenkünste! daß er tatsächlich sofort den Mut bekam, mich – Regencape und alles! – vorsichtig in die Arme zu nehmen…
Ich schlängelte meine – bis zum Oberarm nackten weißen glatten – Arme vorsichtig durch die Schlitze des Capes, bis ich sie , einigermaßen. zögernd, um seinen Oberkörper legen konnte – und ließ dabei den Kopf sanft in den Nacken sinken, daß die Kapuze von meinen falschen schwarzen Locken glitt.

Dieser Anblick nun – ob berechnet oder nicht – entflammte ihn nun genau zu dem, worauf ich innerlich ja schon die ganze Zeit vorbereitet war: zum ersten zögernden Kuß.

Es war ein ganz eigentümliches Gefühl, plötzlich diese trockenen Lippen – und darüber ein paar trotz Rasierens kratzende Bartstoppeln – auf den meinen zu spüren, während sich seine kräftigen Arme enger um meinen Leib schlossen: aber jetzt war ich einmal bei der Küsserei – warum dann nicht auch richtig, dachte ich und öffnete langsam erst die Lippen, dann die Zähne – und wagte schließlich auch die Zungenspitze hervor.

Er schmeckte etwas nach Tabak – hatte wohl beim Warten eine Zigarette geraucht – aber im Prinzip machte er alles fast genauso wie Tante Lissy. Jetzt wurde mir auch klar, warum dieses „Rumküssen” eigentlich völlig ungefährlich war: was den Mund angeht, sind Männer und Frauen nun wirklich so gleich gebaut, daß niemand einen Unterschied bemerken konnte. Und als mir das klar geworden war, gab ich mich mit vollem Genuß dem neuen reizvollen Zungenspiel hin…

Anmerkungen

Anm. Jula: Wiederum von der Diplomandin Trugmaid

Hier bricht das Fragment – gerade mit einem Seitenende – ab: ich glaube nicht ganz fehlzugehen in der Annahme, daß der Autor an dieser Stelle das Gefühl hatte, wenn er jetzt noch weitermache, gerate er auf eine derart glitschige und schiefe Ebene, daß er nicht mehr bremsen könne – sowohl was die Handlung betrifft: wie soll das denn – bei aller begeisterten Hilfe Tante Lissys – um Himmelswillen noch weitergehen oder gar enden, wenn nicht mit einer totalen Katastrophe irgendwelcher Art?

Wie auch, was die seine eigene Identifikation mit dem berichtenden “Ich” betraf: w o l l t e er insgeheim etwa wirklich mit (auch verdächtig nebulos bleibenden) jungen Herren “rumküssen” – und falls ja, was dann um Himmelswillen etwa noch alles?!

Es ist sehr aufschlußreich, dies Fragment etwa mit den (späteren) längeren Entwürfen um Sylvia, Anton und Susi zu vergleichen: in denen ist “Sylvia” zwar als Mädchen mit allerlei Männern von Herrn Mertens bis Törnewald unterwegs – landet aber am Ende doch mit Pamela im Bett; “Anton” dagegen ist zwar voll entschlossen, alles zu machen, was eine “falsche Frau” tun müsse – wenn ihm bloß jemand erklären würde, was das eigentlich alles ist (fehlt eine “Tante Lissy”!)

Und in “Susi” kann und weiß die zwar schon alles, was Anton erst noch lernen muß – aber der Erzähler ist diesmal genau der andere Partner (und wird am Ende von Susi zu einer “reifen Frau” weitergeschickt):
spürbar kämpft der Autor also jedesmal darum, nicht “ausversehen” in eine Situation wie “Erika” zu geraten – in der er die Kontrolle über sich (und die Folgen) verlieren könnte: und daß es im Grunde die allzu “hilfreiche” Tante Lissy war, die “Erika” aus lauter Begeisterung in diese Situation gebracht hatte, scheint ihn mißtrauisch gegen die Einführung ähnlicher Tanten in künftige Handlungen gemacht zu haben?

Anscheinend fühlt er sich allemal viel sicherer, wenn er den Weg ins Anima-Reich auf eigenen Faust und Verantwortung antreten kann – statt “entlastend” von einer Helferinnenfigur “an der Hand genommen zu werden” (und nicht so ganz sicher zu sein, wohin und wie weit die ihn eigentlich führen wird?).

Anmerkung von mir (ich will ja auch mal mitreden!):
nicht nur im Anima-Reich – sondern generell: bei der Wahl, über irgendein Thema “geschult zu werden” oder auf eigene Faust in der einschlägigen Literatur herumzustöbern, gewinnt bei mir regelmäßig der Bücherstoß
hwhcerf

Anm. Jula: „hwcerf“ ist das Kürzel, das die männliche Version von HEKATE, die eher technisch, pragmatisch ausgerichtet war, verwendete.