Dieses Kurz-Essay ist nicht datiert, aber wahrscheinlich kurz nach oder während der Bremen-Periode entstanden – mit Sicherheit jedenfalls ziemlich lange vor dem “Animagie”-Dialog mit seinen magisch-tiefenpsychlogischen Aspekten und dessen Anspruch, eine “allgemeingültige” Theorie aller TG-Phänomene zu geben.
Gerade das macht ihn im Vergleich besonders interessant.)


(Margot Trugmaid, Diplomandin)

Zur Theorie eines Typs nicht-transsexueller T.


Ist ein Protest gegen die gesellschaftlich normierten und auferlegten Geschlechtsrollen. Dieser T. sagt im Effekt:
„Ihr (die Gesellschaft) habt die Menschen eingeteilt in Männer, denen bestimmte Verhaltenswelsen verboten sind (z.B. „Weichheit”, „Zärtlichkeitsbedürfnis“, „sich-Schmücken“ etc.), während andere („Härte“, „Konkurrenzkampf“ usw.) von ihnen verlangt werden; andererseits Frauen, denen diese Verhaltensweisen zugestanden werden (u.a. deshalb, weil sie dem „vom Geschlechtstrieb umnebelten männlichen Verstand“[Schopenhauer] angenehm erscheinen). Es handelt sich dabei um eine im wesentlichen von Männern eingeführte und vertretene Einteilung.


Ich protestiere gegen diese Einstellung – aber nicht offen und allgemein, sondern (da meine Denkkategorien ebenfalls von diesem Modell geprägt sind) dadurch, daß ich diese Kategorien akzeptiere, aber durch mein Verhalten ad absurdum führe:


Ich zeige Euch, daß ich Mann als Frau verkleidet alle sog. ‚weiblichen’ Eigenschaften auch (re-)produzieren kann, sogar so gut, daß Männer mich als Frau akzeptieren und typische Reaktionsweisen wie gegenüber einer Frau zeigen; damit ist bewiesen, daß diese Eigenschaften nicht ursächlich Frauen vorbehalten sind – daß also Eure Einteilungsbasis nicht auf dem Geschlecht, sondern willkürlich definierten „Geschlechterrollen“ beruht .


(Das ist die typische indirekte Beweisführung, die etwas beweist, indem sie das Gegenteil unterstellt und dieses dann ad absurdum führt ) .
Nun genießt er aber während dieser „Beweisführung“ neben dem („logischen“) Triumph dieses ad-absurdum-Führens zugleich die „Annehmlichkeiten“ dieser Einteilung, d.h. die „Frauen-Privilegien“ der Gesellschaft (realiter oder zumindest in seiner Einbildung). Dies zu genießen ist einerseits (zum Beweis) notwendig, andererseits (nach dem „Bewiesenen“) „unrecht“; „rechtens“ wäre es ja vielmehr, als Mann jetzt von der Geschlechterrolle abweichen zu dürfen, nicht als Pseudofrau deren Geschlechtsrolle mitzubenutzen!


Situativ erlebt er aber im T. „the best of three worlds“: Erstens ist er – nach der konventionellen Geschlechtsrolle – Mann und hat sich i.a. den gesellschaftlichen Konventionen angepaßt (ist z.B. geschäftlich erfolgreich, oder Familienvater etc.); zweitens genießt er „als Frau“ die Privilegien der anderen Geschlechtrolle; drittens aber hat er durch seine „Beweisführung“ diese beiden Rollen „aufgehoben“ und sich die Möglichkeit bzw. Realität einer Welt bewiesen, in der diese beiden Rollen gar nicht „gelten“, sondern ihm vielmehr die individuelle Entfaltung seiner spezifischen Persönlichkeit möglich wäre (oder ist).
Symbol dieser Trias ist der T., der als elegante Dame gekleidet seine Geschäftsbriefe auf Tonband diktiert und dreifach „genießt“ : a) ich diktiere einen „männlichen“ Brief , b) ich tue dies aber „als Dame“, und c) und Ihr wißt, nenn Ihr diesen Brief bekommt, nicht, daß ich ihn in dieser Doppelrolle bzw. Rollenaufhebung diktiert habe!


Der T. möchte also die Geschlechtsrollen gar nicht generell abschaffen, sondern nur für sich privat. Das unterscheidet ihn vom Sozialreformer, aber auch vom Transsexuellen, der ja die Rolle wechseln will.


Entscheidendes Motiv ist das „ich weiß es besser als Ihr!“, das ja nur solange gilt, wie die anderen es eben nicht besser wissen!
Er gleicht gewissermaßen einem Kaufmann, der festgestellt hat, daß in zwei Ländern die Wechselkurse der Währungen nicht übereinstimmen – aber, weit davon entfernt, die Finanzministerien dieser Staaten darauf hinzuweisen, aus dieser Kursdifferenz für sich persönliche geschäftliche Vorteile zieht.


Dabei kommt zu dem „intellektuellen“ Vergnügen daran, es besser zu wissen, noch ein doppeltes“existenzielles“:
1) während „man“ ihm früher gesagt hat, die Geschlechterrollen seien gewissermaßen „anatomisch“ fixiert – was ihm bei abweichenden Wünschen Wunschversagungen und Selbstwertzweifel auferlegte – ist er jetzt dieses Problem „los“, und zwar kraft einer „überlegenen“ eigenen „Leistung“: nämlich des beweisenden „Praktizierens“.
2) Darüber hinaus kann er sich aber jetzt als Wesen fühlen, das die Charakteristika beider „Geschlechter“ (in Wirklichkeit allerdings nur beider Rollen!) vereint, also als „göttlicher Hermaphrodit“ im Sinne von Platos Urwesen.
Das Prinzip des ad-absurdum-Beweises hat nun die eigentümliche Folge, daß der T. die „traditionellen“ Geschlechterrollen betont statt verwischt, aber mit dem Korrolar, daß sie eben nur Rollen seien, die er nach Belieben wechseln darf.
In diesem Sinne ist er überhaupt nicht „emanzipiert“: im Gegenteil wählt er „als Frau“ mit Vorliebe typische „Rollen“ der patristischen Weltordnung – die „Halbweltdame“, die „Hausfrau“, das „Dienstmädchen“, ja die „Mutti“ oder „Krankenschwester“; er würde kaum auf die Idee kommen, sich als „emanzipierte Frau“ zu verkleiden, oder als geschlechtsunsicherer Blue-Jeans-Teenager. Genau so achtet er „als Mann“ darauf, ziemlich konventionell gekleidet zu sein – er würde wahrscheinlich keine seidenen Herren-Unterwäsche tragen, und schon gar nicht ein Herren-Hemd mit Spitzen oder Lochstickerei
Natürlich sympathisiert er „intellektuell“ mit der Idee, solche Konventionen zu durchbrechen: er „kann verstehen“, wenn Männer oder Frauen dies tun – bloß hält er wahrscheinlich insgeheim eine Frau für blöd, wenn sie auf die reizvollen „trappings“ ihrer Geschlechtsrolle verzichtet!


Die existenzielle Bedeutung dieses „Beweises“ führt nun aber dazu, daß er ihn v o l l z i e h en muß – und zwar perfektioniert und immer wieder:
d.h. während es dem Mathematiker genügt, einen ad-absurdum-Beweis einmal geführt zu haben (bzw. dessen jederzeitige Wieder-Vollziehbarkeit – „Allgemeingültigkeit” – zum System der Mathematik gehört), muß der T. als „Naturwissenschaftler“ „experimentell“ arbeiten – und (nach dem „Induktionsprinzip“) mit wiederholten Experimenten. Daß diese Experimente zudem lustvoll für ihn sind, unterscheidet ihn gar nicht sehr vom fanatischen Wissenschaftler, der ja auch “gern forscht“.
Das Gefährliche daran ist nun, daß nicht abzusehen ist, wie weit ihn diese „Experimente“ führen. Genügt es zur Beweisführung, wie eine Frau auszusehen? Oder muß man auch ihre Tätigkeiten ausführen? Oder müßte man nicht in letzter Konsequenz auch wie eine Frau mit einem Mann ins Bett gehen?

(Hellmut Wolfram kommt immer wieder auf die im letzten Satz ausgedrückte “letzte Konsequenz” zurück – was einen orthodoxen Psychoanalytiker a la Stekel darin bestätigen würde, ihn als “unbewußt homosexuell” einzuordnen. Wie schon Havelock Ellis ausführt, greift ein solcher Ansatz aber zu kurz, um die spezifisch “transvestitischen” Phänomene zu klären (und macht Personen dieser Art unnötig nervös!).
H.W. scheint im Alter aber dieses Problem durch seinen “Harem virtueller Schwestern” gelöst zu haben, mit dem er unbesorgt einen bunten Strauß der “Perversionen” von der Eventual-Päderastie bis zum Pseudo-Inzest praktizieren (oder zumindest illusionieren) kann… was mich besonders freut, weil ja auch ich zu diesem Harem gehöre!)


(Margot Trugmaid. Diplomandin)