Eine Hommage an eine Frau mit vielen Namen

Monat: Juni 2023 (Seite 5 von 6)

Um 1940: Anima regt sich

Vorab: 4 Absätze “Theorie”… [Auszug aus einem meiner Artikel]

Die “ANIMA” bildet oft die gegengeschlechtliche (und i.a. “unbewußte”) “Ergänzung” zu einem ( i.a. “bewußten”) völlig a n d e r e n “Seeleninhalt”:
nämlich der “PERSONA”, also dem “Bild”, der “Rolle” oder zuweilen sogar nur “Maske”, die ein Mensch nach außen hin gegenüber anderen “präsentiert” – und oft genug, weil stets die Gefahr besteht, in einer solchen Rolle “aufzugehen”, zugleich auch nach innen hin gegenüber seinem eigenen Ich:
anders gesagt, also jene Schnittstelle, an der Gesellschaft und Kultur entscheidend – und oft unheilvoll – in das Seelenleben des Individuums “hineinlangen” können.

So finden wir beim Mann oft eine einseitig und überzogen “männlich” geprägte “PERSONA”, die bei vielen Männern den Anspruch erhebt, ihre gesamte Persönlichkeit zu darzustellen, aber – gleichsam als “Opposition im Untergrund” dazu – eine (ohnehin vorhandene, aber in diesem Zusammenhang besonders wichtige) kompensatorische “ANIMA” als Vermittlerin all jener Aspekte, die er (bewußt oder unbewußt) “dem Weiblichen” zuordnet.

… und nun: die “Praxis”:

Großmeister in der Massenproduktion populärer “PERSONA”s für ganze Gruppen (“groß”)deutscher Menschen waren zweifellos die Nationalsozialisten. So hatten wir – als ich etwa 1940 zwölf Jahre alt war – direkt aus “Mein Kampf” die Deklaration des Führers, wie “Deutsche Jungen” zu sein hatten:
“Zäh wie Leder – flink wie Windhunde – und hart wie Kruppstahl!”

Das war unzweifelhaft klar und eindeutig. Und ebenso unzweifelhaft paßte in diese offenbar für deutsche Jungen verbindliche “PERSONA” nicht die Faszination der Vorstellung, sich irgendwann mal als schicke junge Dame anzuziehen! Wie war solch eine Idee bloß in meinen Kopf gekommen?!

Als Damen verkleideten sich – wußte ich aus Illustrierten oder Kriminalromanen – Knaben beim chinesischen Theater, Hochstapler und dergleichen Verbrecher oder zuweilen auch Detektive. Nun war ich weder ein Chinese noch ein Detektiv: war ich dann etwa vielleicht ein künftiger Verbrecher?
Abenteuerlich genug war ja eine solche Vorstellung schon:

[einsam, in Opposition zu Polizei, Recht, Ordnung und Konvention, geradezu richtig heroisch (paßte das etwa doch irgendwie zum gepriesenen Leitbild?! Aber: Heldentaten in Damenkleidung? Doch wohl fragwürdig!)]

  • andererseits allerdings auch ziemlich unbehaglich:
    [schon im 12. Lebensjahr unausweichlich zur Verbrecherlaufbahn bestimmt zu sein – von allen gejagt und am Ende doch entlarvt und erwischt zu werden: zumal ich ja eigentlich gar keine Lust hatte, jemand was Böses zu tun?]
    Allerdings – tröstete ich mich dann wieder – hatte sich selbst der typische Lausejunge Huckleberry Finn mal als Mädel verkleidet: und sogar untadelige Hitlerjungen hatten bei “Stadtgeländespielen” schon Mantel und Mütze ihrer Schwester angezogen, um so den Gegner unentdeckt auszuspionieren.
    Bloß – widersprach etwas in mir – träumten die bestimmt nachts nicht davon, und stellten sich auch nicht heimlich vor, mal wie eine richtig erwachsene junge Dame auszusehen! Nein: da war etwas zutiefst nicht in Ordnung mit mir, was mich anscheinend von all den normalen Jungen des Dritten Reichs unterschied: etwas “Dekadentes” (was immer das heißen mochte) – so wie ja auch, wie man uns immer wieder predigte, die Zeit von 1918 bis 1933, die “Systemzeit”, zu-tiefst “dekadent” gewesen war:
    da hätte ich wahrscheinlich besser hingepaßt, dachte ich dann resigniert – wo ja selbst die echten jungen Damen alle ausgesehen hatten, als wären sie verkleidete Buben (mit ”Bubikopf”) … !

    Um falsche Eindrücke zu vermeiden: all die Zeit über tändelte ich nicht etwa in Muttis Schürze, um – a la Charlotte von Mahlsdorf – im Haushalt zu helfen oder sonstig ‘Töchterliches” zu treiben: sondern saß zwischen Mathematik-büchern, Experimentier- und Metallbaukästen, über meinem Mikroskop oder in meinem eigenen kleinen chemischen Labor, das ich mir in der unbenutzten Speisekammer neben der Küche eingerichtet hatte – sah mich als künftigen Forscher – und trachtete im übrigen mit zusammengebissenen Zähnen, dem offiziell erwünschten Bild eines “Deutschen Jungen” möglichst nahezukommen!

    Aber Fräulein Anima war ein raffiniertes Weibsbild [nicht abfällig gemeint: ”Bild des Weibs” im Unbewußten!] und tat ganz harmlos so, als könne ich mir alle dekadenten Damen-Ideen ja ganz sachlich ausreden: Rein als Hypothese mal angenommen, ich hätte mich jetzt und hier als Mädchen verkleiden wollen – wie hätte ich das denn machen wollen? In der ganzen Wohnung wäre kein einziges Utensil dafür gewesen: kein Dienstmädchenkleid, daß ich hätte stibitzen können, kein Büstenhalter, kein Lippenstift, kein Kopftuch, ganz zu schweigen von einer “Perücke” oder einem “Gummibusen”, wie sie in Büchern offenbar für solche Fälle stets zur Verfügung standen – lediglich die lächerlich zu weiten Sachen meiner zu der Zeit schon recht korpulenten 54jährigen Mutter!

    Aber wie gesagt: Fräulein Anima war raffiniert – und wußte genau, daß man nur behaupten mußte, etwas sei eigentlich unmöglich: damit ich sofort begann, nachzugrübeln und möglichst sogar auszuprobieren, wie es dennoch gehen könne – ob nun beim Bau von Modellen, für die ich eigentlich die dritthöhere Nummer des Metallbaukastens benötigt hätte, oder bei scheinbar unlösbaren Mathematikproblemen (und auch später im Beruf haben mich immer die Projekte am meisten gereizt, die angeblich “nicht gehen” sollten); also begann ich auch hierzu mal – “bloß so als Denkaufgabe” – abends vor dem Einschlafen oder wenn ich mal allein in der Wohnung war, Punkt um Punkt für jedes einzelne Hindernis zu überlegen oder gar andeutungsweise zu testen, ob es denn in der Tat so völlig unüberwindlich wäre – und wenn mir dabei zuweilen ein ungewohnt angenehmes Kribbeln über den Leib lief, war das lediglich eine Art weiterer “Denkansporn”…

    … bis dann eines Tages natürlich zwangsläufig der Punkt kam, wo ich mir sagen mußte, daß das in der puren Theorie ja alles recht gut und schön sein mochte – der endgültige Beweis aber, wie auch in Wissenschaft und Technik, erst erbracht, wenn man es irgendwann auch einmal tatsächlich machte!
    So geschah es denn also, daß ich am Abend des 55. Geburtstags meiner Mutter
  • sie saß noch mit Gästen zusammen, während ich mich schon “zum Schlafengehen” empfohlen hatte – mit einigen rasch zusammengerafften Utensilien heimlich in ihr Schlafzimmer schlich und das “Mysterium Transformationis” eröffnete: Hemd, Hose, Schuhe und Socken aus. Über die nackten Beine mit grosser Sorgfalt, wie ich das mal im Kino gesehen hatte, vom Fuß aufwärts je einen ihrer “guten” Kunstseidenstrümpfe schrittweise nach oben gerollt, damit die Nähte auch genau hinten in Wadenmitte und gerade saßen, und oben mit je einem von den elastischen Ringbändern festgehalten, die mein Vater sonst zum Raffen seiner Hemdärmel trug (Mutters Korsett mit Strumpfhaltern zu benutzen, wäre bei dessen Größe eine Unmöglichkeit gewesen); ihre schmalsten und engsten Schuhe drüber, zuschnüren – immer noch ziemlich weit, aber es ging.

    Das einzig diskutable von ihren Kleidern – grün-schwarz gemusterte Kunstseide – mit einem Bindegürtel und etlichen Sicherheitsnadeln auf Taille bringen: reichte mir zwar fast bis zu den Knöcheln – na schön, war’s eben eine Art “Abendkleid” – Ärmel auch viel zu lang und weit, aber glücklicherweise mit Druckknöpfen am Handgelenk: gaben dadurch gerafft direkt einen hochmodischen Effekt! Fehlte noch der Busen: war eines der härtesten Probleme, da ja noch nicht mal ein etwa ausstopfbarer Büstenhalter zur Verfügung gestanden hatte – Lösung: ein altes aufblasbares Gummischiff für die Badewanne, das – unter mein Turnhemd unterm Kleid gestopft – eine durchaus akzeptable Rundung über der Brust ergab (natürlich ohne echten “Busen”-Einschnitt in der Mitte – aber da ich ja kein Dekollete hatte, fiel das nicht auf) – im langen Spiegel Höhe kontrolliert: nach meinen Messungen an Photos exemplarischer BDM-Sportsmaiden in Turnhemden mußten die (gedachten) Brustwarzen genau auf der Linie liegen, welche die Halbierungspunkte der Oberarme zwischen Ellbogen und Schultern verband – stimmt!

    Hm, so weit gar nicht übel – aber jetzt das Wichtigste: Kopf und Gesicht! Die Haare konnte ich glücklicherweise unter einem fertiggenähten schwarzen “Turban” verschwinden lassen, den meine Mutter zuweilen unterwegs trug – saß recht gut. Dazu rechts und links je einen ihrer langen geschliffenen Onyx-Tropfen-Ohrringe – da sie gottlob nichts vom Durchstoßen hielt, problemlos an die Ohrläppchen schraubbar. Dann mit der Quaste was von dem rosa-bräunlichen Puder, den sie zuweilen beim “Ausgehen” benutzte – natürlich erst zuviel, sah aus wie bei ‘nem Zirkusclown – aber das kannte ich schon von einem früheren Testexperiment: Überschuß vorsichtig abtupfen – blieb (da zum Glück Winter: kein Sonnenbrand oder sowas – glatte Gesichtshaut) ein interessanter samtiger “Teint”. Und nun: zur Krönung mit – da weder Lippenstift noch Schminke verfügbar! – dem Korken des Röhrchens Erdbeer-Einkochfarbe sorgsam spiegelkontrolliert über die leicht geöffneten Lippen streichen – – – ja: Tiefrot !!!

    “Und wer, meinst Du – “ schwärmte meine Mutter anderentags, “hat mir, als alle gegangen waren, in meinem Schlafzimmer als Letzte gratuliert?” – kleine Spannungspause – dann, noch immer entzückt: “Eine m o n d ä n e Frau !!!
    Und während meine Schwester (inzwischen 27, Ehefrau und Mutter), zu der sie das sagte, erst sie leicht verständnislos ansah, um dann – Hintergründe erahnend – mit großen, sanft bestürzten Augen den Blick auf mich zu wenden:

    der ich mich meinerseits bemühte, die möglichst arglose Miene des großdeutschen Leder-Kruppstahl-Windhund-Jungen zur Schau zu tragen, räkelte sich im Unbewußten Fräulein Anima ob des Kompliments wohlig eher wie eine systemzeit-dekadente Seiden-und-Goldhalsband-Katz: mit dieser Di-va-Rolle, dachte sie (soweit Anima’s denken können), hat er mir also eine echte Verbündete gewonnen – vielleicht hätte sie lieber gleich zwei bildschöne Töchter gehabt statt nur der einen? Und wenn er etwa auch die noch, träumte sie weiter, zu meiner nächsten, schwesterlichen Freundin machen könnte … ? Aber auf die Erfüllung dieses Traums mußte sie – wie gut, daß eine Anima als Archetyp “zeitlos” ist! – noch volle 5 Jahrzehnte warten…

Schon nach knapp 5 Jahren dagegen kam – fast kaum zu glauben! – jenes Jahr 1945, wo all die Deutschen Blockwarte und anderen Kleinformat-Helden ihre bisherigen “PERSONA”s ganz schnell ganz klein zusammenfalteten, um vor Spruchkammern und Entnazifizierungsausschüssen zu schwören, sie hätten all diese “PERSONA”s ja nur aus Angst vor der Gestapo getragen : und alibisuchend begannen, Stück für Stück die auf einmal gar nicht mehr dekadent, sondern eher nachahmenswert erscheinende “Systemzeit” wiederzuentdecken:

Und es erwies sich, daß Fräulein Anima völlig recht gehabt hatte: in die hätte ich von Anfang an viel besser gepaßt… !

D O S S I E R

„Name“: je nach Typ/Stimmung wechselnd,
Jahrgang: 1928
Größe: 176 cm (ohne Schuhe)
Konf.größe: einst: mit Glück 42, bequem 44/46 – heute: 🙁 !!!
Schuhgröße: mit Glück 39/40, bequem 41/42

:: A:: Zur allgemeinen Charakterisierung:

Beruf:
„Zwei Ballonfahrer hatten sich im Nebel verflogen. Endlich riß die Wolkendecke auf, sie erblickten einen Mann am Boden und riefen ihm zu: „Wo sind wir?“
Der überlegte tief und rief dann zurück: „Sie sind in der Gondel eines Ballons!“
Dies war eindeutig ein Mathematiker: er dachte lange nach – was er dann folgerte, war unwiderlegbar richtig – und niemand konnte den mindesten praktischen Nutzen daraus ziehen.“
(Selbstkritischer Mathematikerwitz aus dem Internet)

:: B :: Zum Werdegang im einzelnen:

Nach Studium der Mathematik und Physik in Göttingen und Hannover über Fachschriftstellerei zu technischer Werbung (Elektromedizin, Stahl), dann „Marketing“ und Marktforschung in Druck- und Verlagswesen (konnte man die ganze gute alte Mathematik auf einmal wieder brauchen!), Aufbau und Leitung eines EDV-Schulungs- und Rechenzentrums, Stabsstelle „Marketing“ eines Unternehmensverbandes.

Ab 1967 selbständig als freier Marketingberater:
Auslandsreisen, Lehr- und Vortragstätigkeit, „Grundlagenforschung“,
Konzeptionen für Verlage, Firmen und Werbeagenturen
(auch ’n paar deutsche & US-Preise für erfolgreiche Werbekampagnen)
Publikationen zum „Empfänger-orientierten Ansatz im Marketing“

1979/80: Organisation der ersten detaillierten Analyse des deutschen Werbedrucksachen-Markts und ihre Programmierung auf „Microcomputer“ (Datenbank für, nach 2 Jahren, über 40 000 Druckobjekte: Zugriff auch ohne – damals noch unerschwingliche – Festplatte in Sekunden!)
RKW-Broschüre: „Die 10 häufigsten Fehler beim Einsatz v. Microcomputern“
Parallel dazu: Forschungsvorhaben und -broschüren für fast alle großen deutschen Zeitschriftenverlage und Demo-Disketten dazu; Konzepte, Bildentwürfe und Texte für Multimedia-Schauen zu Grundsatz-Problemen der Direkt- und Katalogwerbung – und, um dazwischen auch mal was echt Wertvolles zu tun: Entwicklung eines „Praxis-Buchs“ (mit völlig neuer Zugriffs-Form) für eilige (und theorieferne) praktische Ärzte über Behandlungsmöglichkeiten der Parkinson-Krankheit und anderer dopaminerger Störungen (das dann, amüsanterweise, zudem ein „Hit“ an Universitätskliniken wurde!)

Andererseits hatte ich mal (vergl. Vorspruch zur „Animagie“) in einem Gestalter-Magazin etwas über „Magie und Werbung“ veröffentlicht, das ein Verleger später als „professorale Theoretisiererei“ bekrittelte – worauf ich aus Zorn genau nach den in diesem Artikel stehenden Prinzipien Computerprogramme für Promotion-Aktionen von Markenartiklern und Versicherungen bei Verbrauchermessen oder Supermärkten entwickelte, an denen mein Sohn mit seiner kleinen eigenen Firma nachher insgesamt einige hunderttausend Mark umsetzte…!

Im Jahr 2001 habe ich dann – auch wegen der Folgen eines Knöchelbruchs, der mir bei Reisen usf. etwas zu schaffen machten – meine „hauptberufliche“ Beratertätigkeit eingestellt: und kann mich nun all dem widmen, wozu ich vorher nicht gekommen bin!

Hobbies Geschichten schreiben, vorwiegend Science Fiction und „Strange Stories“
Maschinenmodelle bauen (Fischer-Technik, Märklin-Metallbaukästen)
Unterhaltungsmathematik und Denksportaufgaben
„Computer Recreations“ und Bildbearbeitung

Reisen (beruflich oder privat):
USA: New York, Chikago, Rochester ; Kanada: Montreal, Toronto;
Mexiko: Mexico City & Umfeld, Tula; Asien: Tokio, Osaka, Hongkong, Thailand;
Europa: London, Paris, Griechenland, Türkei, Kreta, Capri (Lieblingsinsel: 3x!)

Familie

:: A :: Engste:

seit 1949 verheiratet, seit 1992 verwitwet; 1 Sohn (1951), 1 Tochter (1954)

:: B :: Eltern, Vorfahren:

Vater:
Befähigter Ingenieur, eher nüchtern, aber vielseitig und „ingeniös“; auch wohl mutig (div. Auszeichnungen als Leutnant im 1. Weltkrieg).
ging von 1923-26 mal als „Organisator und Oberingenieur“ nach Kronstadt/Siebenbürgen in Rumänien (mit der ganzen Familie).
Ab 1928 ständig Auslandsreisen nach England, Belgien, Frankreich, 1932 sogar Sowjetrussland, 1933/34 bis Beirut, Jerusalem, Kairo.
Erlebte 1955 noch 50jähriges Berufsjubiläum, davon 25 Jahre Technischer Geschäftsführer des gleichen Unternehmens und viele Jahre anerkannte Koryphäe seines speziellen Fachgebiets.
Selbst im Ruhestand mit über 70 noch immer als Fachautor tätig.
{Vaters Vorfahren: mehrere Generationen von Maschinentechnikern, Maschinenbauern und später Maschinenfabrikanten.}

Mutter:
Unkonventionell, talentiert und sowohl „praktisch“ wie „musisch“: fand nichts dabei, mir als 5jährigem statt Märchen die Odyssee vorzulesen oder uns nachts um 11 rasch mal Grüne-Bohnen-Suppe zu kochen! Beruflich vor der Ehe und wieder im 1. Weltkrieg als Sekretärin tätig – hätte später nach guten Anfangserfolgen durchaus eine Karriere als Unterhaltungsschriftstellerin haben können: wenn sie nicht nach 1933 in unfassbarer Naivität als Thema gewählt hätte, wie ihre couragierte Heldin gerade noch verhindert, daß ein smarter Opportunist sich in den Besitz einer Firma setzt, indem er die Erben als „Nichtarier“ verleumdet (da’s ja aber doch „Arier“ waren, fand sie ihre Story ganz korrekt – bloß stand sie von da an halt auf einer schwarzen Liste!)
Umso peinlicher, daß der gleiche Schriftstellerverband dann bei einem anonymen Wettbewerb für eine Inschrift (zu einem der wenigen Projekte jener Tage, das sie mit gutem Gewissen anerkennen konnte) ahnungslos ausgerechnet ihren Vorschlag krönte – und dann zähneknirschend die Worte der „Unerwünschten“ in Marmor meißeln lassen mußte (wo sie noch heute stehen – an der Maschsee-Säule zu Hannover…)
{Mutters Vorfahren: die längste Linie führt bis 717 zurück, wo ein Herzog Thuring von Heyden [hach, citoyenne, muß ich mich schon wieder entschuldigen!] unter Karl Martell im Kampf gegen die Araber fiel. Da aber dessen Witwe Theodrada den ganzen Besitz der Kirche vermachte, tauchten die Nachkommen später als gutbürgerliche Richter, Prediger und Gelehrte – latinisiert als „Hedenus“ – auf: „gekrönter Poet“ war auch einer drunter – und ein Magister Erasmus Hedenus schrieb im 16. Jahrhundert unter dem gleichen Pseudonym „MEHA“, das meine Mutter später ganz ahnungslos und unabhängig (aufgrund einer völlig anderen Abkürzung) als Autorin gewählt hatte …
Ansonsten: Landwirte, Handwerker, Kaufleute usf. }

:: C :: Geschwister:

Die Eltern :: B :: hatten schon vor dem 1. Weltkrieg 3 Kinder:

        William

der Älteste, auch wissenschaftlich und mathematisch begabt, wählte aber dann unter dem Eindruck der 1929er Wirtschaftskrise, statt zu studieren, seine andere große Neigung als Beruf: die Musik. Mit der Gabe, aus jeder Krise doppelt so günstig hervorzugehen,. stieg er schon bald vom bloßen Musiker zum Kapellmeister auf und dies blieb ihm sein Leben lang treu: selbst als er nach Kriegsende, statt aus Norwegen entlassen zu werden, unerwartet noch ein Jahr lang nach Frankreich in Kriegsgefangenschaft geschickt wurde, endete das damit, daß er französische Militärkapellen schulen musste – und sogar, beim Besuch eines Generals, in französischer Korporals- Uniform die Kapelle dirigieren mußte! Und als er dann, endlich entlassen, sich bei einer Bergmannskapelle im Ruhrgebiet bewarb, war das Endresultat, daß er wegen seiner mathematischen Kenntnisse Leiter der Qualitätskontrolle dieser Zeche wurde…Leider ist er schon vor Jahren gestorben:

        Erich 

der zweite, war hingegen ein praktisches Universalgenie: Er konnte ebenso gut sein Motorrad reparieren, wie mit selbstgebauten Apparaten als Zauberkünstler auftreten; als er sich eine fast lebengroße Bauchrednerpuppe baute, modellierte er genau so ihren Kopf, wie er ihren Smoking schneiderte – und natürlich die gesamte elektrische Steuerung seines „Kasimir“ baute, bis hin zu dem Stuhl, auf dem dieser Bandoneon spielen konnte. Dank solcher Talente wurde er der ideale Meister eines technischen Versuchsraums, wo’s immer neue Probleme zu lösen galt. Leider lebt auch er heute nicht mehr.

        Margarete  

die jüngste, war noch in Siebenbürgen (s. oben bei „Vater“) ein rechter „Tomboy“, der am liebsten in Sepplhosen mit Hunden herumtobte – bis sich daraus, nach der Rückkehr nach Deutschland, plötzlich ein bildschönes Mädchen entfaltete: dem aber weder Ballettschule, Kunstakademie und Bildhauerei – noch Schwärme vonVerehrern so zu Kopf gestiegen wären, daß es seine Natürlichkeit und seinen goldigen Humor verloren hätte. Verheiratet, war sie dann eine ideale Mutter – und nach Kriegsende couragiert genug, über Zonengrenzen und Besatzungssperren hinweg auf eigene Faust nach ihrem – der Himmel wußte wo – internierten Mann (Österreicher) zu suchen [mal andersherum – Penelopes Irrfahrten zu Odysseus!] – und Kindergeschichten, die sie in späteren Jahren schrieb (mütterliches Erbteil!) landeten sogar im Österreichischen Rundfunk. Heute ist sie mit über 90 Jahren mehrfache Urgroßmutter, (kann zwar nur noch mit edelstählernen Kniegelenken gehen) aber nach wie vor voll unverminderter Geisteskraft und Lebensfreude.

… und dann kam in jene bereits einigermaßen unwahrscheinliche Familie

nach 15 Jahren Pause – als ziemlich unerwarteter Nachzügler noch ich! Und falls ein eifriger Amateur-Psychologe nun sogleich folgern sollte…
Aha!
Vater dauernd auf Reisen, fast nie zuhause.
Brüder schon viel zu erwachsen.
Bereits ältliche Mutter und blutjunge Schwester
teilen sich in Hauptlast der Erziehung:
da muß ja mit der Geschlechtsrollen-Identifikation
des heranwachsenden Knäbleins was danebengehen!
… dann hätte er im allertiefsten Grunde vielleicht gar nicht so unrecht:
aber vordergründig läge er zunächst mal total schief:
Ich wurde nicht etwa besonders mädchenhaft herausgeputzt.
Ich spielte nicht mit Püppchen statt mit Autos.
Bruder Erichs Zaubergeräte, Bruder Williams Schachbrett
und die Abenteuer des listenreichen Odysseus
faszinierten mich weitaus mehr als Schwesterchens Tand.
Etwa gar mit kleinen Mädchen zu spielen,
hätte ich unter meiner Würde gefunden:
zum Spielen hatte ich ja eine viel schönere große Schwester:
… und das ging nach deren glaubhaften Berichten etwa so:
„Also Du bist jetzt meine Braut – hier – “ ihr einen Teddybären überreichend,
“ – hast Du ein Kind – aber ich – “ meinen Holländer besteigend,
“ – muß jetzt wieder fort: denn ich bin ja ein Traktorsmann!“
und damit brauste ich, laute Motorengeräusche erzeugend, von dannen …
… selbst Alice Schwarzer hätte schwerlich ein krasseres Bild
maskuliner „Einknopf-Mentalität“ entwerfen können … !

Allerdings war ich natürlich (hast ja schon gemerkt, wie ich noch heute von ihr schwärme!) total „in love“ mit meiner bildschönen großen Schwester…

{ ich habe dafür im Stile Freuds als Gegenstück zum „Ödipus-Komplex“ den Begriff „Siegmund-Komplex“ – nach dem Völsungen-Geschwister- und Liebespaar Siegmund und Sieglinde, siehe Wagners „Die Walküre“ – für solche Sonderfälle geprägt (müsste Freud eigentlich auch gut gefallen haben: hieß ja selbst mit Vornamen Sigmund!) }

… und war zunächst felsenfest überzeugt, ich müsse nur erwachsen genug werden, um sie dann heiraten zu können: erst als man mir nach 1933 erklärte, die neue Regierung habe jetzt leider verboten, daß Schwestern ihre Brüder heiraten dürften, fand ich mich schweren Herzens damit ab (zu weiteren Nebenwirkungen dieser Regierung vergl. bei Um 1940: Anima regt sich)…

… aber selbst ein solcher „Siegmund-Komplex“ hätte sich ja schon auf dem normalen Weg der „Projektion“ lösen können – in der Tat hatte meine spätere Frau im Gesichtsschnitt eine typische Ähnlichkeit mit meiner Schwester! – ohne etwa zwangsläufig zu „Crossdressing“ zu führen?!

Redaktionelle Anmerkungen

Die Texte wurden mir von Hekate zur Verfügung gestellt. Wie sich aus einigen der beigefügten Anmerkungen ergibt, durchaus in der Absicht, dass ich diese nach ihrem Tod veröffentliche. Die Veröffentlichung erfolgt mit dem Einverständnis ihrer zwei Kinder, denen ich für das Vertrauen danke.

Die Interpretation der Texte wird teils dadurch erleichtert, dass Hekate selbst oder eines ihrer Alter Egos (häufig die Diplomandin Trugmaid) sich bereits als ihre eigene, durchaus kritische Bewerterin betätigt hat.

Die Texte wurden von mir nur minimal redigiert. Hekates Eigenheiten bei Interpunktion und Textgestaltung habe ich deshalb 1:1 übernommen, auch wenn sie manchmal stutzig macht.

Auch Sprache und Rechtschreibung wurden von mir nicht angetastet. Die Texte stammen nun mal aus dem letzten Jahrhundert und das darf man ihnen gerne anmerken.

Als einzigen Eingriff habe ich die von Hekate so gern verwendeten eckigen Klammern, die gern als Steuerzeichen interpretiert werden, meist durch runde Klammern ersetzt.

Meine Anmerkungen habe ich immer mit „Anm. Jula“ gekennzeichnet.

Redaktionelle Anmerkungen ohne diesen Hinweis stammen von Hekate. Dabei sollte nicht verwirren, dass sowohl die Namen der Autor/innen als auch der Kommentator/innen vielfältig sind. Es ist trotzdem immer Hekate!

1966: Das vierundvierzigste Hexagramm

Anfang 1966 kam die Maschine eines planmäßigen Linienfluges der Lufthansa nach Bremen aus ungeklärten Gründen beim Anflug in Schwierigkeiten, stürzte beim Versuch der Notlandung auf dem Flughafen ab, fing Feuer und brannte völlig aus; es gab keine Überlebenden.

“In dieser Maschine – “ sagte der Psychologe Walter H., als der Rundfunk die Katastrophenmeldung durchgegeben hatte, und fuhr sich mit der Hand über die Augen, “- hätte auch ich gesessen, wenn ich nicht wegen Ihres Besuches einen Tag früher zurückgeflogen wäre: Sie haben mir – sozusagen – das Leben gerettet … !”
Und während ich erst einmal zuhause anrief, um meine Frau zu beruhigen, daß ich mit meinem Flug vor ein paar Stunden noch sicher in Bremen gelandet war, stellte er schon auf dem meterhoch verschneiten Balkon vor seinem Dach-Atelier die Flaschen Champagner kalt, mit denen wir dann zusammen mit seiner Frau auf die ‘Gnade des Schicksals’ anstoßen – und bei dieser Gelegenheit gleich Brüderschaft trinken würden.

Daß zwischen uns irgendeine nicht alltägliche Resonanz zu bestehen schien, hatte ich zwar schon beim ersten Kennenlernen gespürt – und das hatte sich auch gleich am ersten Abend vertieft, als wir nach dem gemeinsamen Abendessen in eine so umfassende und tiefsinnige Unterhaltung gerieten, daß die noch dabeisitzenden Verlagsmitarbeiter sie wie eine hochkarätige Nachtprogramm-Diskussion genossen. Aber daß gleich mein erster Besuch bei ihm in Bremen unter so ‘schicksalhaften’ Auspizien stehen würde, hatten wir verständlicherweise beide nicht erwartet: im Hinblick auf spätere Entwicklungen hätte ich mir allerdings in der Tat – obwohl ja dessen ‘lebensrettender’ Aspekt schwerlich mein Verdienst war – kaum einen glücklicheren ‘Ersten Auftritt’ in seiner persönlichen Sphäre wünschen können:

Da war seine Frau Gisela – klein, drahtig, energiesprühend – die eine der ersten war, die sich als Dr.med., was damals noch keineswegs üblich war, profund mit der chinesischen Akupunktur befaßt und sie erfolgreich in ihrer Praxis angewandt hatte: was ihr bei Kollegen den Spitznamen ‘die Pi(e)k-Dame’ einbrachte (meine anfänglich durchaus vorhandene Skepsis verschwand ein für allemal, als ich sie bei einem nächsten Besuch mit den typischen Symptomen einer beginnenden Angina um eine Tablette bat – worauf sie erwiderte: “Nein – Du kriegst nur eine Nadel: hierhin!” – und sich nach diesem einen Stich in die Halsgegend in der Tat nicht das geringste von einer Angina mehr manifestierte!). Wie ich später einmal erfuhr, hatte sie einst – aus sehr reichem Hause – gegen die halbe Welt um ‘ihren’ Walter gekämpft: und empfand ab jetzt wohl eine Art unlogischer, aber tiefer Dankbarkeit gegen mich dafür, daß ich ihn ihr ‘erhalten’ habe;

dann war da die alte Haushälterin Frau S. – Witwe des Chefkochs einer großen Übersee-Schiffahrtslinie – die Walter und Gisela verehrte und mit den schmackhaftesten Speisen verwöhnte: und beides sozusagen automatisch nun auch auf mich übertrug;

‘das Haustier’ – beider 5jährige Tochter Katja – die sich am liebsten wie ein Kätzchen in irgendeine weiche Ecke kuschelte und dem interessanten Treiben der Erwachsenen zusah: ich weiß nicht, ob sie mir die Rolle eines auf die Erde hinabgestiegenen Schutzengels der Familie zugeteilt hatte – jedenfalls behandelte sie mich, in ihrer reizend altklugen Art, etwa so;
und dann natürlich die Hauptperson, der beratende Psychologe etlicher Werbeagenturen und Verlage – nebenher ein abstrakter Maler nicht geringen Grades – mit soviel Eigenwilligkeit und Phantasie, daß er in mir nun erst recht den optimalen ‘Partner’ sah: “Wir haben genug Gemeinsames, um einander verstehen zu können – aber zum Glück auch soviel Unterschiede, daß jeder dem anderen immer wieder was Neues bieten kann!” charakterisierte er einmal – sicher nicht ganz unrichtig – unser Verhältnis zueinander.

Der konkrete Anlaß für jenen ersten Besuch – und viele folgende – war eine sehr komplexe, in vier aufeinanderfolgenden Phasen durchzuführende Studie über einen neuen Typ von Verlagsobjekt, das bei den (für seine wirtschaftliche Existenz entscheidenden) Werbeleuten und Mediaplanern der großen Agenturen auf eine Fülle hemmender Vorurteile und Mißverständnisse gestoßen war, die es jetzt auszuräumen galt. Walter hatte die psychologischen Forschungsmethoden und die Fachkräfte zu deren Anwendung – ich mußte die Systematik, die Strategie und die Konzepte entwickeln, um die zunächst total unübersichtliche Fülle der Zugriffe und Resultate so aufzubereiten, daß die Angesprochenen sie nicht – was für sie am bequemsten gewesen wäre – ignorieren würden, sondern im Gegenteil (wie ich’s für meinen Hausgebrauch als Ziel formulierte) “so gespannt verfolgen wie einen Fernseh-Krimi”…

… ein reichlich ehrgeiziges Ziel, in dessen Verfolgung ich mich Mai/Juni 1966 sogar- nachdem die “Fachleute” der damit beauftragten Werbeagentur mein Konzept, die Veröffentlichung der Studie durch Briefe und Muster von Publikationen ähnlichen Typs aus aller Welt vorzubereiten, als “in der Theorie bestechend, aber in der Praxis undurchführbar” erklärt hatten – im fliegenden Start selbst zur Reise an all diese Verlagsorte in England, USA, Kanada, Mexiko und Asien aufmachen mußte, um zu demonstrieren, daß es doch ‘ging’ ! Doch das lag Anfang 1966 noch weit in der Zukunft…

Pin-Wand

Da stellte ich mich in Bremen erst einmal – in dem schönen großen Büroraum einen Stock tiefer, den Walter gerade erst angemietet und eingerichtet hatte – mit vielen Stichwort-Kärtchen und Nadeln vor eine große Pin-Wand und versuchte die Resultate der beiden ersten Studien-Phasen in irgendeine halbwegs zwingende Ordnung zu dressieren; und da das oft bis spät in die Nacht ging, war es recht gut, daß er vorausschauenderweise dort auch ein Gästebett eingeplant hatte.

Nur ein Besuch reichte für all das allerdings nicht aus – und so setzten wir uns in den folgenden Monaten regelmäßig in Bremen zusammen, bis das endgültige Konzept allmählich Gestalt annahm. Es muß wohl nach der dritten oder vierten solchen “Experten-Konferenz” gewesen sein – wir hatten gerade die interviewenden jungen Psychologen für die kommende “Verifikationsphase” bei etlichen hunderten von Befragten eingewiesen – als wir beide, einigermaßen ermattet, am Abend noch ein paar Flaschen Wein (weniger waren es bei Walter nie) zusammen tranken und im Gespräch wieder einmal vom hundersten in tausendste kamen – so auch auf das berühmte jahrtausendalte chinesische Orakelbuch I GING, das ‘Buch der Wandlungen’.

Natürlich habe Gisela das – bzw. die klassische Übersetzung von Wilhelm – in ihrer Bibliothek chinesischer Werke. Und natürlich auch die traditionell zum Orakelnehmen verwendeten 50 Schafgarbenstengel. Nur hätten sie es jetzt lange Zeit nicht mehr benutzt – als sie es das letzte Mal für eine befreundete Familie befragten, sei irgendetwas über ein Feuer herausgekommen, von dem Gefahr drohe: und bald darauf seien beide mit ihrem Auto verunglückt – eingeklemmt und in den Flammen des sich entzündenden. Benzins bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Seitdem hätten sie es zusammen mit den Behälter der Schafgarbenstengel lieber auf seinem rituell vorgeschriebenen Platz – einem Bord höher als das Haupt eines Menschen – stehen lassen. Aber er könne es ja mal wieder herunterholen – und, wenn ich das wolle, für mich befragen.

Was wir dann auch taten. In dem komplexen sechsfachen Ritual des jeweils dreimaligen Teilens und Abzählens entstand als unterste eine (“weibliche”)Yin-Linie – darüber aber fünfmal je eine (“männliche”)Yang-Linie – alle “ruhende” Linien, die sich nicht weiter veränderten: also blieb nur das eine entstandene Hexagramm als Ganzes zu deuten.

Nun war ich eigentlich darauf gefaßt, daß jetzt eher eine ebenso schwerverständliche wie vieldeutige altchinesische Aussage über Schildkröten oder bronzene Opfertiegel herauskommen würde – mit der niemand besonders viel anfangen konnte. Versuche Dir nun also meine Empfindungen vorzustellen, als ich unter der Überschrift

Hexagramm 44. GOU / DAS ENTGEGENKOMMEN

knapp und sachlich las:
DAS URTEIL
Das Entgegenkommen.
Das Mädchen ist mächtig.
Ein solches Mädchen
heiratet man nicht.

Das Zimmer, in dem wir zusammensaßen, war – wie immer – gut geheizt. Dennoch lief mir ein ganz kleiner Schauer des Fröstelns über den Rücken…

Dann rückte ich etwas näher zu Walter – und sagte ihm, um was für eine Art von Mädchen es sich dabei handelte …

Bild Gou Jula: liegt mir leider nicht vor

Im Interesse der Objektivität muß ich hier einschalten:
Die Schafgarbenstengel wurden von Walter gehandhabt. Ich habe dabei nicht im einzelnen kontrolliert, ob er sie exakt gemäß den Regeln des I GING behandelte – oder sie irgendwie abweichend manipulierte. So ist rein objektiv nicht auszuschließen
a) daß er als Psychologe aus Beobachtungen an mir zu der Vermutung gekommen sein könnte, ich habe vielleicht gewisse einschlägige Probleme, die ich ihm besser offenbaren solle
b) daß er darauf unter den 64 Hexagrammen des I GING nach dem einen gesucht haben könnte, dessen “Urteil” im weitesten Sinne solche Probleme ansprach
c) und daß er bei dieser passenden Gelegenheit ein Befragen des I GING provoziert haben könnte, das er so manipulierte, daß ich mit dem Text dieses bestimmten Hexagramms konfrontiert werden würde: in der Hoffnung, mich dadurch zu veranlassen, mit ihm über dieses Thema (das ich sonst schwerlich von mir aus angeschnitten hätte) zu sprechen.

Subjektiv muß ich allerdings sagen, daß mir eine derart subtil-jesuitische “Intrige” im Stil von Schillers “Geisterseher” kaum viel wahrscheinlicher vorkommt, als die – gleichermaßen ‘rationale’ – Annahme, daß es sich einfach um eines jener völlig zufälligen, aber gerade dadurch besonders verblüffend wirkenden Zusammentreffen gehandelt habe, die ja in der Realität weitaus häufiger auftreten, als es der sog. ‘Gesunde Menschenverstand’ zu erwarten pflegt – oder als die dritte, objektiv ja auch nicht von vornherein zu verwerfende Hypothese, daß eben an einem Orakel, das Millionen von (wie die Geschichte lehrt, ja schwerlich primitiven) Chinesen Jahrtausende über zu ihren politischen oder persönlichen Problemen befragt haben, doch “was dran sein” könnte!^]

Im faktischen Resultat übrigens ist es bemerkenswerterweise verhältnismäßig gleichgültig, welche der drei obigen Annahmen zugetroffen haben mag – denn wie sagt der (wahrscheinlich von Kungtse stammende)

Kommentar zur Entscheidung

Entgegenkommen bedeutet Antreffen. Das Schwache tritt dem Festen entgegen.
“Ein solches Mädchen heiratet man nicht.” Das bedeutet, daß man nicht dauernd mit ihr leben kann.
Wenn Himmel und Erde zusammentreffen, so kommen alle Geschöpfe in feste Linien. Wenn das Feste die Mitte und das Rechte trifft, so geht alles unter dem Himmel herrlich voran.
Groß wahrlich ist der Sinn der Zeit des Entgegenkommens.

Oder weniger archaisch gesagt: Mit diesem Abend begannen die herrlichsten vier Jahre für Fräulein – oder vielmehr inzwischen Madame – Anima. In der wunderbar unkonventionellen und vorurteilsfreien Atmosphäre Walters und Giselas fand sie zum ersten Mal die Chance und Gelegenheit, sich wirklich so frei zu entfalten, wie sie es sich immer erträumt hatte:
allerdings erst, nachdem ich die unerwartet dazwischengeschobene “Round-the-World”- Tour erfolgreich hinter mich gebracht hatte: Aber dann wurde der große, mit Bad, Toilette und Schlafgelegenheit in sich abgeschlossene Büroraum mit seinen lichtdichten Vorhängen das “Atelier”, in dem Madame Anima sich – nach der wissenschaftlichen Arbeit des Tages – abends, mit einer Flasche Wein und einer Platte schmackhafter Snacks aus Frau S.s Küche, nach Herzenslust schminken, kostümieren und fotografieren konnte. Die erste Echthaar-Damenperücke hatte noch die hilfreiche Gisela – mit eiserner Stirn unter dem Motto “da sollen zu einer Party alle Damen als Herren und alle Herren als Damen kommen” – zusammen mit mir in einem einschlägigen Geschäft gekauft; aber bald störte es mich überhaupt nicht mehr, in Kaufhäusern mal eben eine Kunst- oder Echthaar-Perücke “für eine Aufführung” selbst zu besorgen.
Ein abschließbarer Einbauschrank füllte sich bald mit Kleidern, Mänteln und allem, was eine elegante Dame sonst noch brauchte – und was ich in der Bremer Innenstadt, ohne Sorgen um etwa peinliche Begegnungen mit Leuten, die mich kannten, nach Lust und Laune einkaufen konnte; sollten mal wirklich für irgendeine Aufnahme spezielle Accessoires fehlen, war Gisela immer bereit, mir mal rasch was zu borgen – die gelbe Umhängetasche der “SIE” im Animagie-Dialogbild zum Beispiel hatte sie mir, zusammen mit farblich passenden Schuhen (die ich seltsamerweise problemlos tragen konnte), für die Hosenanzugs-Aufnahmeserie geliehen.
Madame
Bei den ersten Aufnahmen – für die mich anfangs stets noch Walter knipsen mußte – machte ich natürlich noch alle erdenklichen Anfängerfehler: unter-betonte Augenpartie, verschminkte Nase, zu kleines Kußmündchen – dennoch wirkte Madame Anima im Gesamteindruck schon erschreckend “echt”.

Aber wenn sie ehrlich war, mußte sie zugeben, daß von ihr dabei etwa so viel archetypische Faszination ausging,

Madame

wie von der Chefin einer gutbürgerlichen Bierschwemme … Doch das änderte sich in den nächsten Monaten: Schritt um Schritt gewann Madame an Profil, Ausstrahlung und Persönlichkeit – und präsentierte sich in den nächsten Aufnahmen bereits als reif-welterfahrene “interessante Frau” – recht ladylike und mit einem wissenden Lächeln um die Lippen.

Blueprint for beauty

All das kam freilich nicht von ungefähr: denn in diesen Monaten wurde – nach wohl-durchdachten Handskizzen des (nicht bloß “abstrakten”) Malers Walter als “Maskenbildner” – jeder Pinselstrich in Madames Antlitz so systematisch geplant wie ein Apollo-Unternehmen: und Gisela begutachtete oft am anderen Tag fasziniert, was unsere gemeinsamen Bemühungen aus dem “Rohmaterial” meines Gesichts erschaffen hatten…

Denn – vor allen Dingen nachdem ich mich Anfang 1967 selbständig gemacht hatte – nach Bremen kam ich jetzt regelmäßig, um gemeinsam mit Walter neue Studien zu planen, durchzuführen und nicht zuletzt in unzähligen Präsentationen wirksam der Fachöffentlichkeit vorzustellen.
Präsentation
Bild Präsentation – in dem ich gerade am Overhead-Projektor eine Schemadarstellung erläutere, während Walter daneben in der rechten unteren Ecke zu sehen ist

Jedesmal Untersuchungen mit “Pionier-Charakter” – unser “Bremer Arbeitskreis”, wie wir ihn getauft hatten, begann in Fachkreisen allmählich zu einem Qualitäts-Begriff zu werden – “alles unter dem Himmel” schien, wie im Kommentar verhießen, “herrlich voranzugehen”…

… nur heißt das I GING eben nicht umsonst das “Buch der Wandlungen”:
Im Sommer 1969 hatte Walter, wie er mir halb nachdenklich, halb spöttisch erzählte, einen seltsamen Traum, in dem er eine schwarze Uhr sah, die nicht Stunden und Minuten, sondern ein Datum mit Tag und Monat anzeigte – und im Traum, fügte er hinzu, habe er gewußt, daß es eine “Todesuhr” sei.
Der Tag, den sie angezeigt hatte, war ein Datum im November gewesen – und als ich ihn, noch immer halb im Scherz, nach diesem Datum anrief, um mich zu erkundigen, ob er immer noch lebe, lachten wir beide doch ein wenig erleichtert auf.

Dann kamen wieder viele neue Aufgaben – und als ich ihn im November 1970 zum letztenmal in Bremen besuchte, sagte er gerade, er freue sich auf das Wochenende zum Ausruhen – es sei in der letzten Zeit doch ein wenig viel gewesen – als das Telefon klingelte und eine von ihm beratene Werbeagentur anrief, ob er nicht übers Wochenende kommen könne, um noch einmal die bevorstehende Präsentation bei einem prospektiven neuen Kunden durchzusprechen.

Wie üblich, ließ er sich dazu breitschlagen – er flog hin – fand dann, daß es sicherer sei, wenn er selbst die Kernpunkte bei der Präsentation vortragen werde – tat das mit durchschlagenden Erfolg – die Agentur gewann dadurch den Kunden – und beim gemeinsamen Umtrunk am Abend griff er sich plötzlich ans Herz und kippte um: der herbeigerufene Arzt konnte nur noch “Tod durch Kreislauf-Versagen” feststellen.

Das Datum seines Todestages war genau das, welches er 1969 auf der Todesuhr seines Traumes gesehen hatte.
[Eine “strikt rationale” Erklärung hierzu – außer, daß dies schon wieder einmal einer jener ‘unwahrscheinlichen Zufälle’ gewesen sei – habe ich bis heute noch nicht gefunden.]

Zu C. G. Jung

Forenpostings zu Jungs Anima]

Auf die Gefahr hin, als alte Schulmeisterin zu erscheinen, muß ich hier mal noch etwas richtigstellen: bei diesem Thema und verwandten höre ich öfter, „Anima“ und „Animus“ seien die weibliche und männliche Komponenten einer menschlichen Psyche o. ä.

Das war aber nicht das, was der Urheber dieser Fachworte, der Tiefenpsychologe C.G. Jung, damit meinte – sondern sein Konzept war weitaus komplexer und aufschlußreicher:

Ausgangspunkt war für ihn die „PERSONA“
(von „per sonare“=“hindurchtönen“, nämlich der Maske des antiken Schauspielers, durch die seine Stimme erklang)

  • also die „Maske“ oder „Front“, die jeder von uns den anderen zeigt.
    Jung: Persona
    Manche Menschen glauben ihr Leben lang, daß dies natürlich auch ihr echtes Wesen, ihre „Persönlichkeit“ sei. Aber die meisten von uns spüren, daß sie in Wirklichkeit auch Wesenszüge und Eigenschaften haben, die zu diesem Bild gar nicht recht passen wollen – und verbannen sie in einen dunklen Gegenbereich, den „SCHATTEN“
    Jung: Schatten

Oft sind es Züge ihres eigenen „SCHATTEN“s, die sie öffentlich und bei anderen am meisten ablehnen oder sogar bekämpfen (eine beliebte Lustspielfigur war die sittenstrenge alte Jungfer, die überall „Sünde“ wittert) – aber der Vorwurf der „Heuchelei“ wäre oft ungerecht: denn den meisten sind die Gründe solcher Reaktionen – und die Inhalte ihres eigenen „Schattenbereichs“ – gar nicht bewußt.

Das gilt natürlich auch – und erst recht – von allem im eigenen Wesen, das z.B. ein Mann als „nicht-männlich“ (=“weibisch“) empfinden würde; nur erhebt sich da nun ein arges Dilemma: ohne gewisse „Resonanz-Kreise“ für Weibliches würde er jeder Frau im Grunde so fremd und verständnislos gegenüberstehen wie einem „Alien“ – er könnte sie allenfalls (wie Feministinnen gern sagen) „als bloßes Lustobjekt gebrauchen“, aber nie zu einer echten seelischen Partnerschaft mit ihr gelangen.

Also könnte er ohne diese Teile seines Wesens nicht leben – aber mit ihnen auch nicht!

Dieser „unlösbare Widerspruch“ treibt nun zwangsläufig seltsame Blüten: in den nicht bewußt kontrollierten „Schattenbereich“ abgedrängt und dort nochmal speziell „abgekapselt“, formieren sich diese Elemente zu einem „autonomen Komplex“, einer Art eigenständiger „Seelen-Frau“ oder „Frauen-Seele“: der „ANIMA“ !
Jung: Anima
In ihr sammelt sich alles, was – auch nur entfernt – als „weiblich“ erscheint: von (positiven oder negativen) „Frauen- und Mutter-Bildern“ über Lust-Auslöse-Reize bis zu mythologischen Figuren und Funktionen (die sogar aus uralten – „archetypischen“ – Inhalten eines „kollektiven Unbewußten“ stammen könnten) – und entwickelt, als unbewußte Gegenspielerin der bewußten „männlichen PERSONA“, oft geradezu poltergeisthafte Aktivitäten: wenn z.B. „starke Männer“ in Wirtschaft, Sport oder Politik ab und zu mal reagieren wie beleidigte Primadonnen oder keifende Fischweiber – dann sind unbewältigte „ANIMA“s im Spiel …

Ganz analog hat auch jede Frau ihre – gleichsam „offizielle“ – weibliche „PERSONA“, deren negativierten „SCHATTEN“ – und darin oder dahinter ihren „ANIMUS“: mit all den „männlichen“ Zügen, die sie oft bei Männern sucht und bei sich selbst meist nicht wahrhaben will.
Jung: Animus
Ein typischer „Partnerkrach“ entsteht z.B., wenn sich ein rechthaberischer „ANIMUS“ der Frau über irgendwas mit einer überempfindlichen „ANIMA“ des Manns in die Haare gerät…

Offenbar kann aber diese Konzeption auch neues Licht auf verschiedene in diesem thread aufgezeigte „Transgender“-Probleme werfen – doch das schreib ich besser in ein Extra-Posting

Die ach so gern dozierende HEKATE

@all:
Jung hat einmal gesagt, auf dem Weg zur Selbstfindung eines Mannes sei die Integration des eigenen „SCHATTEN“s das Gesellenstück (wie etwa zu lernen, daß „Mut“ nicht ist, „keine Angst zu kennen“ – sondern zu entscheiden, was man trotz eigener Angst tut) – das Meisterstück aber sei der richtige Umgang mit der eigenen „ANIMA“.

Einer der schlimmsten Fehler mancher „normaler Männer“ kann es z.B. sein, das ganze Idealbild ihrer eigenen ANIMA auf eine bedauernswerte Partnerin zu „projizieren“, die vielleicht das eine oder andere Merkmal dieses Idealbilds aufweist – sich deshalb „auf den ersten Blick“ in sie (in Wahrheit aber nur in die eigene ANIMA!) zu verlieben – und ihr später ständig bitter zu verübeln, wenn sie ihr nicht total entspricht, sondern sich als eigenständige Persönlichkeit „entpuppt“!

Der alternative (und eigentlich weitaus harmlosere) Lösungsversuch des TV wäre nach diesem Modell, seiner eigenen ANIMA ein „Eigenleben“ zu gönnen, indem er sie mehr oder minder oft als „Teilzeitfrau“ an und aus sich selbst kreiert! Im härtesten Falle verliebt er sich selbst dann derart in diese fleisch- (und silikon-)gewordene ANIMA, daß er gar keine andere Partnerin mehr braucht („Autogynephilie“); in anderen Fällen „vertritt“ er so für einen Partner dessen eigene „ANIMA“ (die ja auch nur das „Hirnprodukt eines Mannes“ ist); ja selbst der Buhmann so mancher einschlägigen Diskussion, der berüchtigte „fetischistische Transvestit“, könnte vielleicht bloß seine ANIMA so eng mit bestimmten „Symbolen“ identifiziert haben, daß diese allein schon genügen, sie „heraufzubeschwören“ ?
Im Normalfall des ganz „heterosexuell“ orientierten TV dagegen sollten ihm ja eigentlich all seine Partnerinnen dankbar sein, daß er es nicht ihnen zumutet, seine ANIMA „darzustellen“ – sondern sich dieser harten Strapaze selbst unterzieht (und auch nur mit sich selbst hadert, wenn ihm das nicht voll gelingen sollte); in der Tat finden es manche Partnerinnen von TVs wunderbar, so zu einem „Liebhaber“ auch noch eine „Freundin“ zu gewinnen – andere dagegen stürzt es (verständlicherweise, wenn sie die Zusammenhänge nicht durchschauen) in die ärgsten Probleme.

Die eigentliche TS aber, die ja im Grunde nur endlich „als Frau leben“ möchte, muß nach diesem Konzept (zu allen anderen medizinischen, amtlichen und sozialen Problemen) auch noch das gesamte vorherige Schema völlig umkehren: jetzt will sie der Welt (und sich selbst) ja eine völlig weibliche PERSONA präsentieren – müssen da nicht alle dafür unpassenden Elemente, insbesondere alles „männliche“, zum verachtet-abgelehnten SCHATTEN werden – und speziell die einstige „männliche PERSONA“, die sie lange Zeit gezwungenermaßen zeigen mußte, jetzt zu einem unheimlichen Gegenstück des „ANIMUS“?

Verständlich, daß vielen TS angesichts der Notwendigkeit dieser totalen und strapaziösen Umkehrung das lockere Jonglieren eines wohladaptierten
TV mit seiner PERSONA und ANIMA als leichtfertige Spielerei erscheinen muß – gegen die sie mit der ganzen „ehrlichen Entrüstung“ jedes „Schatten-Leugners“ und der vollen Rechthaberei eines weiblichen ANIMUS zu Felde ziehen: nicht zuletzt gegen die Zumutung eines anbiederischen „wir sitzen doch alle im gleichen Boot“ !

Dabei stimmt nun gerade das, wenn es um die Reaktionen der sogenannten „Normalmenschen“ geht, nach dem PERSONA/SCHATTEN-Konzept exakt: wer nämlich Zustandekommen und Funktion von SCHATTEN oder gar ANIMA/ANIMUS nicht durchschaut, packt alles, was nicht ins geläufige PERSONA-Schema „Mann ist Mann – und Frau ist Frau!“ zu passen scheint, ohne viel Überlegen in die globale SCHATTEN-Kategorie „Lauter Perverse!“ (oder zumindest „alles schräge Vögel!“) – und kommt noch nicht mal auf die Idee, dabei etwa Homosexuelle, Transvestiten, Transsexuelle oder andere Gruppen auseinanderzuhalten – denn zum „Ablehnen“ genügt eine „negative Gemeinsamkeit“ wie z.B. „Entspricht nicht (wie ich) dem gängigen Leitbild ‚Mann‘!“ bereits vollkommen.

[Daß im Gegensatz dazu jemand, den einer schon seit langem in die Kategorie „mir sympathisch“ oder „guter Kumpel“ eingeordnet hatte, bei ihm oft auch nach einem „Outing“ darin bleibt, steht dazu nicht im Widerspruch: „Ich kann Menschen beurteilen!“ gehört nämlich auch zu jenen Eigenschaften der eigenen PERSONA, die die meisten Menschen nicht in Zweifel ziehen wollen. Selbst Hitler konstatierte mal in einer Rede mit ironischer Verzweiflung „jeder Deutsche kennt wenigstens einen anständigen Juden!“ – nur hat das den deutschen Juden als Gruppe nicht viel genützt (wenn auch so manchem einzelnen davon!).]

Was nützen aber nun all solche Betrachtungen eigentlich?!

Ich persönlich behaupte: sehr viel. Denn beeinflussen kann man etwas erst dann, wenn man versteht, wie es zustandekommt – denn sonst versucht man gar zu leicht, wie es ein erfahrener Praktiker mal bei der Fehlersuche am Computer sagte, „das falsche Schwein zu schlachten“…

Eure optimistische Problem-Schlachtermeisterin HEKATE

Nun zur Sache:
Wenn mein 45-Zeilen-Feuilleton („Jung for Dummies“) Jungs PERSONA-SCHATTEN-ANIMA-Modell dennoch halbwegs richtig dargestellt haben sollte, beruhigt mich das – schließlich hab ich nur mal theoretische Physik studiert und nicht etwa Psychologie.
Als ich es Mitte des vorigen Jahrhunderts – wo man sich Wissen zu TG-Phänomenen noch mühselig selber zusammensuchen mußte – in seinen Werken entdeckte, habe ich es (arg unwissenschaftlich) nicht zuvor erst kritisch hinterfragt, sondern als eine Art „Überlebens-Konzept“ benutzt: bei der Frage, ob man einen Teil seines Wesens amputieren muß oder integrieren kann, greift man erst mal nach allem, was helfen könnte!

Hier sollte das ursprünglich bloß die Korrektur eines irrigen Sprachgebrauchs werden (so wie „Widerspruch“ <> „Wiederspruch“ ) – dann kamen ein paar Bildchen dazu – und endlich als Illustration, wie das denn z.B. auf die TG-Problematik angewendet aussehen würde.

Ich hab mich zwar redlich bemüht, stets einschränkend „nach diesem Modell“ o.ä. dazuzusagen – aber dennoch steh ich nun mit dem Odium des oberflächlichen „terrible simplificateurs“ da.

Vollig zu Recht – denn genau das ist die Methode des theoretischen Physikers: wenn es bei einem bestimmten Problem ausreicht, Planeten wie „Massenpunkte“ zu behandeln, tut er’s – ohne zu noch fragen, ob es auf ihnen auch Ozeane, Papageien oder politische Parteien gibt.

Vielleicht gerade deshalb hat mich an Jungs PERSONA- SCHATTEN-ANIMA-Modell fasziniert, daß es auch eine erstaunliche Robustheit gegenüber individualgenetischen, neurobiologischen oder ontologischen Spezialfragen aufweist – es setzt eigentlich nur dreierlei voraus:

1) Es gibt in einer Gesellschaft gewisse Leitbilder, nach denen sie jedes Individuum durch Erziehung, Anerkennung/Tadel usw. auszurichten sucht
2) Indivuelle Züge, die zu seinem Leitbild nicht passen, will das Individuum meist nicht wahrhaben („verdrängt“ sie in seinen „Schatten“)
3) Die Gesellschaft umfaßt 2 interagierende „Geschlechter“, deren Eigenschaften sich in ihren Leitbilder weitaus krasser unterscheiden als bei vielen realen Individuen.

Ich möchte das an einem „Gedankenexperiment“ (auch seit Galilei eine Erbsünde der theoretischen Physiker) demonstrieren:
Das fragliche Individuum sei ein völlig normales Mädchen (mit Eierstöcken, Gebärmutter, weiblichen Hormonen und „Instinkten“ usf.) – nur sei es (wie Prinzessin Ozma in Frank L. Baums „Land of Oz“) bei seiner Geburt von einer Hexe mit dem Fluch belegt worden, jedermann äußerlich wie ein Junge zu erscheinen. Denoch würde es sich anfänglich in vielem „wie ein Mädchen“ verhalten – aber da es ja alle für einen Jungen halten, der natürlich auch zu einem solchen „erzogen“ werden müsse, würde es dafür jedesmal scharf getadelt werden: solange, bis es sich all das „abgewöhnt“ (=verdrängt) hat und es, zusammen mit sonstigen „negativen“ Eigenschaften, im abzulehnenden „Schatten“ ablegt. Nun muß es aber auch mit anderen Kindern interagieren: naturgemäß „läge“ ihm das bei Mädchen besser – vieles, was sie tun, gefiele ihm selbst auch: aber das ist ja alles (für Jungen) „verboten“ – sondern „nur was für Mädchen“. Wie lange würde es dauern, bis sich all das spezifisch in einem erst recht als „unjungenhaft“ zu verdrängenden „Mädchen-Bild“ (einer „Anima“) kristallisiert ? Und welchen Grund hätte sie, ein analog verdrängtes „Jungen-Bild“ (einen „Animus“) zu entwickeln? „Junge“ ist sie doch bereits laut der ihr eingebläuten „Persona“!
Ich verzichte darauf, jetzt auch nochmal durchzuturnen, wie sich all das nach einer „Erlösung“ (oder bei der ersten Menstruation!) konvulsivisch umkehren müßte: dies soll ja keine TG-Fantasystory werden – sondern nur eine Demonstration, daß der Jungsche PERSONA-SCHATTEN-ANIMA-Mechanismus ganz unabhängig von Anatomie oder Neurobiologie abläuft, sondern primär von der Diskrepanz zwischen gesellschaftlichen Leitbildern und individuellen Eigenschaften abhängt (und vom einem „Verdrängungs“-Mechanismus bewußt schwer erträglicher Vorstellungen – aber daß es den gibt, scheint doch wohl allgemein akzeptiert?)

Wieso sich (real) kontinuierlich verteilte Eigenschaften wahrnehmungsmäßig zu bimodalen Extremen verdichten, dafür hat 1976 ZEEMAN Modelle nach der – noch abstrakt-universelleren – THOMschen „Katastrophentheorie“ der Singularitäten angegeben;
aus einem erweiterten solchen Modell („Schmetterlings-Katastrophe“ mit 4 Kontrollfaktoren) hatte er sogar zusammen mit Psychotherapeuten HEVESI ein neue Methodik zur Behandlung der anorexia nervosa entwickelt. Sie soll gute Erfolge erzielt haben. Mit ähnlichen Methoden hat er aber ebenso gesellschaftliche Probleme wie Gefängnisrevolten untersucht.

Vielleicht sollten auch wir, statt über die Therapie von TVs zu diskutieren, Methoden zum Therapieren der Gesellschaft suchen.

Die alles katastrophal vereinfachende HEKATE

An diesem gedankenreichen Thread wurde vielleicht als Einziges zuweilen bemängelt, daß manche Postings zu lang und/oder zu akademisch geworden seien. Um diesem Trend entgegenzusteuern, möchte ich deshalb hier zitieren, was ich vor über 30 Jahren mal als Extrakt der damals verfügbaren Theorien gedichtet hatte:

Tiefenpsychologie des Transvestitismus in Schüttelreimen

Wer die penislose Frau scheut,
liebt die Transvestitenschau (Freud)

Minderwertigkeitsvorwürfe alter Tadler
überkompensiert in Frau’ngestalt er (Adler)

Archetyp’sche Anima-Bejahung
fühlt er in Perücke und BH (Jung)

Dämon

Noch was zum Thema “Rechenmaschine”

Hekates Vorbemerkung an mich

So anno 1996 wollte ein Herr Luxbacher meine “Rechenmaschine” in einem Beitrag über die Technikgeschichte der Rechenautomaten für ein Science-Fiction-Jahrbuch des Heyne-Verlags zitieren – was mich damals veranlaßte, ihm noch ein paar Gedanken dazu aufzuschreiben (die dann offenbar etwas über seinen Horizont gingen!) Da ich sicher bin, daß dieses bei Dir nicht der Fall sein wird, hier eine Kopie davon:

Der Text

Die Idee, den „Laplaceschen Dämon“ mit einer Rechenmaschine auszurüsten, damit er nun die „mathematische Analyse“ – vermöge derer aus dem gegenwärtigen Zustand der Welt jeder künftige oder vergangene Zustand abzuleiten wäre – auch wirklich durchführen kann (denn wer hätte je schon eine „mathematische Analyse“ ohne irgendein materielles Substrat – sei es nun Bleistift und Papier oder das Gehirn eines Mathematikers – gesehen?) – führt nun zu einer überraschenden Konsequenz, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte:

eine solche Maschine müßte ja für jedes Elementarteilchen dieser „Welt“ mindestens eine Speicherstelle enthalten, in der jeder mögliche Zustand dieses Teilchens darstellbar wäre. Selbst die allersparsamste Realisierung einer solchen Speicherstelle wäre nun jedoch mindestens wiederum so ein Teilchen (das die fraglichen Zustände annehmen könnte).

Das ergäbe dann aber nochmals genau so viele Teilchen, wie es in dieser „Welt“ überhaupt gibt! Aus diesem Dilemma gäbe es nur drei Auswege:

:: Ein (abzählbar) unendliches“ Universum ::
In einer Welt, die „unendlich viele“ Teilchen enthielte, könnte auch eine Teilmenge solcher Teilchen (z.B. der Teil, aus dem der Dämon seine Rechenmaschine baut) noch immer „unendlich viele“ Teilchen umfassen – also genug, um auch alle übrigen auf diese Teilmenge „abzubilden“ [siehe jede Einführung in die Cantorsche Mengenlehre: die „Teilmenge“ der ungeraden (ganzen) Zahlen umfaßt genauso „unendlich viele“ Zahlen wie die Gesamtmenge aller (ganzen) Zahlen überhaupt usf.]. Die Frage ist nur, wie eine „unendlich große“ Rechenmaschine funktionieren würde (und ob der Dämon nicht auch „unendlich lange“ brauchen würde, um ihre Resultate abzulesen); zudem ergäbe die Annahme „unendlich vieler“ p h y s i s c h e r „Teilchen“ im Universum (anders als bei rein mathematischen Elementen wie
Zahlen usf.) andere kaum lösbare Widersprüche.

:: Identische Parallelität ::
Bei dieser Annahme wären die Teilchen, aus denen der Dämon seine Maschine baut, in der Tat Stück für Stück genaue „Kopien“ der Teilchen in dem Universum, das er vorausberechnen will – nur dürfen sie selbst dabei n i e in irgendeine W e c h s e l w i r k u n g mit jenen Teilchen des („Nicht-Maschinen“-)Universums treten (denn um a u c h noch eine solche dar- zustellen, hätte er „nicht genug Speicherstellen“ in seine Maschine!). Das wären dann ziemlich genau die Verhältnisse wie bei Leibniz´schen „Monaden“: die existieren auch alle parallel nebeneinander her, ohne je miteinander in Wechselwirkung zu treten („Monaden haben keine Fenster“) – aber dank der „prästabilisierten Harmonie“ [bei der Maschine würde man sagen: weil ihre Teilchen ja genau so „programmiert“ sind, sich ebenso zu verhalten wie die des zu berechnenden Universums] l a u f e n sie auch dennoch exakt parallel. Wieder gibt es aber das leidige „Zeit-Problem“: offenbar könnte gerade deshalb die Maschine mit ihren Berechnungen auch erst genau zu dem Zeitpunkt fertig sein, wo als das „voraus“-zuberech- nende Ereignis im wirklichen Universum ohnehin gerade wirklich eintritt!

Da wäre dann die dritte mögliche Annahme im Grunde viel einfacher – nämlich:

:: Faktische Identität ::
Statt gekünstelt neben das „wirkliche“ Universum noch eine (Maschinen-)Kopie zu stellen, die sowieso jedesmal bloß gerade das als „Resultat“ ausgeben könnte, was „nebenan“ in der Wirklichkeit ohnehin im gleichen Moment passiert, könnte man also viel simpler sagen:
die einzige „Rechenmaschine“, die dem Laplaceschen Dämon zeigen könnte, wie sich das
Universum entwickeln wird, ist – eben dieses Universum selbst!
Und wenn man statt „Dämon“ jetzt z.B. „Schöpfer“ sagen würde. hieße das: was aus einer Welt werden kann, erfährt selbst ihr Schöpfer auch erst, indem er sie eben erschafft – womit wir bei einer ziemlich unerwarteten Paraphrase des Mottos meiner alten Story wären: „cum deus calculat, fit mundus“ !

Nun war mir diese Überlegung allerdings keineswegs klar, als ich die Geschichte damals schrieb: sonst hätte ich mich nicht mit all den dort konstruierten Argumenten von „Professor“ und „Assistent“ herumgeschlagen, die alle haarscharf an dieser simplen Pointe vorbeigehen.

Ich kam auf diese Betrachtungsweise erst etwa 1964 – als ich gerade als Geschäftsführer ein Rechenzentrum aus der Taufe hob – und hatte damals naturgemäß schwerlich die Muße, sie irgendwie schriftstellerisch zu vertiefen.

Aus heutiger Sicht wird freilich klar, daß dies im Grunde schon damals auf ein zentrales Phänomen der „Chaos-Theorie“ zielte: Prozesse, die zwar durchaus programmierten Regeln folgen – deren Entwicklung aber so komplex ist, daß die einzige Art, herauszufinden, wie sie ablaufen werden, eben darin besteht, sie tatsächlich (z.B. im Computer) ablaufen zu lassen!

Was für Sie – „ideen-geschichtlich“ – an all dem vielleicht interessant sein könnte, ist aber nun: im Grunde folgt all das ja schon – wie skizziert logisch Schritt für Schritt – aus der (da-mals durch die technische Entwicklung der programmierbaren Elektronenrechner nahege-legten) Idee, nicht bloß immer wie Laplace davon zu reden, wie „man durch mathematische Analyse das ganze Universum vorausberechnen könne“ – sondern zu fragen, wie denn eine M a s c h i n e aussehen müsse, die das tun könnte (eine ganz analoge Fragestellung – wie müßte denn eine M a s c h i n e aussehen, die jede mathematische Funktion berechnen könnte – wurde ja, im Konzept von Turing, auch höchst fruchtbar für die mathematische Grundlagenforschung).

Nun war ich mit meiner „Rechenmaschinen“-Story anscheinend der erste, der diese Frage aufwarf (und damals allerdings nur ziemlich oberflächlich zu „beantworten“ suchte). Aber so weit mir bekannt ist, wurde diese Fragestellung danach weder im Bereich der Science Fiction – noch in der auch recht breiten Literatur zu den Themenkreisen „Willensfreiheit und Determinismus“, „Grenzen des Computers“ oder „Chaos und Berechenbarkeit“ wieder auf-gegriffen – obwohl sie doch auf einem sehr direkten Weg zu fruchtbaren Erkenntnissen führt.

Warum wohl ?

Theoretisch

Dieses Kurz-Essay ist nicht datiert, aber wahrscheinlich kurz nach oder während der Bremen-Periode entstanden – mit Sicherheit jedenfalls ziemlich lange vor dem “Animagie”-Dialog mit seinen magisch-tiefenpsychlogischen Aspekten und dessen Anspruch, eine “allgemeingültige” Theorie aller TG-Phänomene zu geben.
Gerade das macht ihn im Vergleich besonders interessant.)


(Margot Trugmaid, Diplomandin)

Zur Theorie eines Typs nicht-transsexueller T.


Ist ein Protest gegen die gesellschaftlich normierten und auferlegten Geschlechtsrollen. Dieser T. sagt im Effekt:
„Ihr (die Gesellschaft) habt die Menschen eingeteilt in Männer, denen bestimmte Verhaltenswelsen verboten sind (z.B. „Weichheit”, „Zärtlichkeitsbedürfnis“, „sich-Schmücken“ etc.), während andere („Härte“, „Konkurrenzkampf“ usw.) von ihnen verlangt werden; andererseits Frauen, denen diese Verhaltensweisen zugestanden werden (u.a. deshalb, weil sie dem „vom Geschlechtstrieb umnebelten männlichen Verstand“[Schopenhauer] angenehm erscheinen). Es handelt sich dabei um eine im wesentlichen von Männern eingeführte und vertretene Einteilung.


Ich protestiere gegen diese Einstellung – aber nicht offen und allgemein, sondern (da meine Denkkategorien ebenfalls von diesem Modell geprägt sind) dadurch, daß ich diese Kategorien akzeptiere, aber durch mein Verhalten ad absurdum führe:


Ich zeige Euch, daß ich Mann als Frau verkleidet alle sog. ‚weiblichen’ Eigenschaften auch (re-)produzieren kann, sogar so gut, daß Männer mich als Frau akzeptieren und typische Reaktionsweisen wie gegenüber einer Frau zeigen; damit ist bewiesen, daß diese Eigenschaften nicht ursächlich Frauen vorbehalten sind – daß also Eure Einteilungsbasis nicht auf dem Geschlecht, sondern willkürlich definierten „Geschlechterrollen“ beruht .


(Das ist die typische indirekte Beweisführung, die etwas beweist, indem sie das Gegenteil unterstellt und dieses dann ad absurdum führt ) .
Nun genießt er aber während dieser „Beweisführung“ neben dem („logischen“) Triumph dieses ad-absurdum-Führens zugleich die „Annehmlichkeiten“ dieser Einteilung, d.h. die „Frauen-Privilegien“ der Gesellschaft (realiter oder zumindest in seiner Einbildung). Dies zu genießen ist einerseits (zum Beweis) notwendig, andererseits (nach dem „Bewiesenen“) „unrecht“; „rechtens“ wäre es ja vielmehr, als Mann jetzt von der Geschlechterrolle abweichen zu dürfen, nicht als Pseudofrau deren Geschlechtsrolle mitzubenutzen!


Situativ erlebt er aber im T. „the best of three worlds“: Erstens ist er – nach der konventionellen Geschlechtsrolle – Mann und hat sich i.a. den gesellschaftlichen Konventionen angepaßt (ist z.B. geschäftlich erfolgreich, oder Familienvater etc.); zweitens genießt er „als Frau“ die Privilegien der anderen Geschlechtrolle; drittens aber hat er durch seine „Beweisführung“ diese beiden Rollen „aufgehoben“ und sich die Möglichkeit bzw. Realität einer Welt bewiesen, in der diese beiden Rollen gar nicht „gelten“, sondern ihm vielmehr die individuelle Entfaltung seiner spezifischen Persönlichkeit möglich wäre (oder ist).
Symbol dieser Trias ist der T., der als elegante Dame gekleidet seine Geschäftsbriefe auf Tonband diktiert und dreifach „genießt“ : a) ich diktiere einen „männlichen“ Brief , b) ich tue dies aber „als Dame“, und c) und Ihr wißt, nenn Ihr diesen Brief bekommt, nicht, daß ich ihn in dieser Doppelrolle bzw. Rollenaufhebung diktiert habe!


Der T. möchte also die Geschlechtsrollen gar nicht generell abschaffen, sondern nur für sich privat. Das unterscheidet ihn vom Sozialreformer, aber auch vom Transsexuellen, der ja die Rolle wechseln will.


Entscheidendes Motiv ist das „ich weiß es besser als Ihr!“, das ja nur solange gilt, wie die anderen es eben nicht besser wissen!
Er gleicht gewissermaßen einem Kaufmann, der festgestellt hat, daß in zwei Ländern die Wechselkurse der Währungen nicht übereinstimmen – aber, weit davon entfernt, die Finanzministerien dieser Staaten darauf hinzuweisen, aus dieser Kursdifferenz für sich persönliche geschäftliche Vorteile zieht.


Dabei kommt zu dem „intellektuellen“ Vergnügen daran, es besser zu wissen, noch ein doppeltes“existenzielles“:
1) während „man“ ihm früher gesagt hat, die Geschlechterrollen seien gewissermaßen „anatomisch“ fixiert – was ihm bei abweichenden Wünschen Wunschversagungen und Selbstwertzweifel auferlegte – ist er jetzt dieses Problem „los“, und zwar kraft einer „überlegenen“ eigenen „Leistung“: nämlich des beweisenden „Praktizierens“.
2) Darüber hinaus kann er sich aber jetzt als Wesen fühlen, das die Charakteristika beider „Geschlechter“ (in Wirklichkeit allerdings nur beider Rollen!) vereint, also als „göttlicher Hermaphrodit“ im Sinne von Platos Urwesen.
Das Prinzip des ad-absurdum-Beweises hat nun die eigentümliche Folge, daß der T. die „traditionellen“ Geschlechterrollen betont statt verwischt, aber mit dem Korrolar, daß sie eben nur Rollen seien, die er nach Belieben wechseln darf.
In diesem Sinne ist er überhaupt nicht „emanzipiert“: im Gegenteil wählt er „als Frau“ mit Vorliebe typische „Rollen“ der patristischen Weltordnung – die „Halbweltdame“, die „Hausfrau“, das „Dienstmädchen“, ja die „Mutti“ oder „Krankenschwester“; er würde kaum auf die Idee kommen, sich als „emanzipierte Frau“ zu verkleiden, oder als geschlechtsunsicherer Blue-Jeans-Teenager. Genau so achtet er „als Mann“ darauf, ziemlich konventionell gekleidet zu sein – er würde wahrscheinlich keine seidenen Herren-Unterwäsche tragen, und schon gar nicht ein Herren-Hemd mit Spitzen oder Lochstickerei
Natürlich sympathisiert er „intellektuell“ mit der Idee, solche Konventionen zu durchbrechen: er „kann verstehen“, wenn Männer oder Frauen dies tun – bloß hält er wahrscheinlich insgeheim eine Frau für blöd, wenn sie auf die reizvollen „trappings“ ihrer Geschlechtsrolle verzichtet!


Die existenzielle Bedeutung dieses „Beweises“ führt nun aber dazu, daß er ihn v o l l z i e h en muß – und zwar perfektioniert und immer wieder:
d.h. während es dem Mathematiker genügt, einen ad-absurdum-Beweis einmal geführt zu haben (bzw. dessen jederzeitige Wieder-Vollziehbarkeit – „Allgemeingültigkeit” – zum System der Mathematik gehört), muß der T. als „Naturwissenschaftler“ „experimentell“ arbeiten – und (nach dem „Induktionsprinzip“) mit wiederholten Experimenten. Daß diese Experimente zudem lustvoll für ihn sind, unterscheidet ihn gar nicht sehr vom fanatischen Wissenschaftler, der ja auch “gern forscht“.
Das Gefährliche daran ist nun, daß nicht abzusehen ist, wie weit ihn diese „Experimente“ führen. Genügt es zur Beweisführung, wie eine Frau auszusehen? Oder muß man auch ihre Tätigkeiten ausführen? Oder müßte man nicht in letzter Konsequenz auch wie eine Frau mit einem Mann ins Bett gehen?

(Hellmut Wolfram kommt immer wieder auf die im letzten Satz ausgedrückte “letzte Konsequenz” zurück – was einen orthodoxen Psychoanalytiker a la Stekel darin bestätigen würde, ihn als “unbewußt homosexuell” einzuordnen. Wie schon Havelock Ellis ausführt, greift ein solcher Ansatz aber zu kurz, um die spezifisch “transvestitischen” Phänomene zu klären (und macht Personen dieser Art unnötig nervös!).
H.W. scheint im Alter aber dieses Problem durch seinen “Harem virtueller Schwestern” gelöst zu haben, mit dem er unbesorgt einen bunten Strauß der “Perversionen” von der Eventual-Päderastie bis zum Pseudo-Inzest praktizieren (oder zumindest illusionieren) kann… was mich besonders freut, weil ja auch ich zu diesem Harem gehöre!)


(Margot Trugmaid. Diplomandin)

Zwei Skalen

Anm. Jula: Diesen theoretischen Zugang hat Hekate im Rahmen einer Forumsdiskussion entwickelt. Auslöser war die häufiger auftretende Behauptung, männlich und weiblich seien die zwei Enden einer Skala. Das sieht Hekate anders:

1. Posting

Es überrascht mich etwas, daß all die hier versammelten Natur- und Geisteswissenschaftlerinnen bisher immer nur von einer Skala von „M“ bis „W“ zu sprechen scheinen, auf der eine Person ihrer Eigenart nach einzuordnen sei. Aber könnten „M“ und „F“ nicht ebensogut zwei durchaus separate „Dimensionen“ sein, auf deren Skalen jede Person eigene Werte hat?
Das ist keineswegs nur eine persönliche oder abstruse Idee von mir – schon vor 50 Jahren schrieb z.B. der Psychologie-Professor PETER R. HOFSTÄTTER in dem eher populären Band „Psychologie“ des FISCHER LEXIKONS:

„Die häufig anzutreffende Vorstellung, nach der die beiden Typen ‚(M und W) die Endpunkte eines Kontinuums … markieren, in dessen Mitte die geschlechtslosen Neutralformen … liegen, ist daher zugunsten einer zweidimensionalen Darstellung … zurückzuweisen. Irreführend und, wie Erfahrungen in der Psychotherapie zeigen, verhängnisvoll wirkt sich die von innerlich unsicheren Personen manchmal zur Lebensmaxime erhobene Gleichung aus: ‚männlich‘ = ‚unweiblich‘, ‚weiblich‘ = ‚unmännlich‘ …“.

Damit wäre – um nur eine der vielen interessanten Konsequenzen zu nennen – Tanjasterns ursprüngliche Frage ebenso überraschend wie befriedigend beantwortet:

Man könnte sehr hoch auf der W-Skala stehen (z.B. am liebsten ganz als Frau leben wollen), ohne daß das im Widerspruch zu dem gleichzeitigen persönlichen Wert auf der M-Skala stünde!

Entschuldigung – es ist einfach zu tief in der Nacht, um noch weitere Folgerungen aus diesem Konzept auszuführen:

es meldet sich dazu bei Tageslicht wieder

die nächt- und doppelgeschlechtliche HEKATE erspruch in sich

2. Posting

Wenn meine Anregung, wie Veronika meint, unser gemeinsames Anliegen fördert, so freut mich das sehr. Gerade deshalb fühl ich aber verpflichtet, noch genauer zu präzisieren, was sie eigentlich bedeutet:

Es gibt nämlich nicht nur eine „M/W-Skala“, die von der Aufspaltung in getrennte „M“- bzw. „W“-Skalen profitieren kann – sondern viele einzelne für die unterschiedlichsten geistigen und materiellen Aspekte des „Transgender-Problems“ vom Selbstbild bis zum Hormonspiegel.

Nehmen wir nur mal einen so „simplen“ Aspekt wie „Aussehen“
Für die sog. „Normalos“ ist (oder war zumindest mal) sonnenklar – lauter saubere Gegensatzpaare: „M“ hat kurze Haare – „W“ hat lange; „M“ knöpft Kleidung links über rechts – „W“ rechts über links; „M“ trägt Hosen – „W“ trägt Röcke … o weh, stimmt schon nicht mehr: „W“ trägt heutzutage schon öfter Hosen als Röcke – „M“ hat oft genug lange Haare und „W“ kurze – na ja. „moderne“ (= „entartete“) Zeiten?
Aber „früher“ war’s eher noch schlimmer: ob geschminkter und perückentragender altägyptischer Adliger – römischer Senator in wallender Toga – „Sonnenkönig“ Louis XIV.mit Allongeperücke und hohen Hacken oder Rokoko-Kavalier mit Zopf – wenn sie heut durch die Straßen gingen, würde ihnen die Stimme des gesunden Volksempfindens (vertreten durch Gassenjugend oder Besoffene) oft genug lauthals „Transe!“ – oder noch präziser „Arschficker!“ – nachrufen: und selbst der Papst entginge dem nur haarscharf dank der Medienpopularisierung seiner Amtstracht.

Offenbar müßte man jedem Outfit sowohl einen Indexwert auf einer „M“-Skala wie einen zweiten auf einer „F“-Skala geben – und diese Indexwewerte wären keine Naturkonstanten, sondern variabel je nach Peiode, Kulturkreis und sozialem Umfeld: genau wie das gerade herrschende jeweilige „gesunde Volksempfinden“!

Das gilt aber nicht nur für das „Aussehen“, sondern sinngemäß genauso für jeden anderen Aspekt der „Männlichkeit“ oder „Weiblichkeit“ – wie etwa „Verhalten“, „Körper“, „Sexualität“ usf. :

und das könnte höchst optimistisch stimmen: wie hier schon mehrfach erwähnt, wandeln sich solche „Indizes“ inzwischen nicht mehr erst in Jahrhunderten – sondern, bei der heutigen Kommunikations-Intensität, bereits in Jahrzehnten – wenn nicht bald gar in Jahren!

Allerdings nur „darauf zu warten“, daß da auch im Trandgender-Bereich „alles besser werden“ könnte, wird nicht genügen. Wenn man da gezielt etwas erreichen will, muß man schon fragen, wie solche „Wandlungen“ eigentlich funktionieren – und dieses Wissen dann auch praktisch umsetzen.

Mit beidem sieht es derzeit aber noch traurig aus – bei einer „Randgruppe“, die sich noch immer (begeistert) in Fraktionen zerfasert, deren jede überzeugt ist, daß die andere das ganze „Image“ der einzig wahren verdirbt – und deren Mitglieder noch immer viel zu oft von Selbstzweifeln geplagt und entmutigt werden.

Gerade deshalb finde ich diesen Thread mit seinem ehrlichen Bemühen, einander gegenseitig – wie auch sich selbst und die Reaktionen der sog. „Normalen“ – besser zu verstehen, so wertvoll!

Die kommunikationstheoretisch optimistische HEKATE

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