Anm. Jula: das ist keine Geschichte, sondern Hekate beschreibt ein Romanprojekt und analysiert sie aus Sicht der Autorin in verschiedenen Ebenen (Plot, Vermarktung, Crossdressing)
Dieses Abenteuer begann zunächst im Weltraum.
Da hatte sich nämlich plötzlich – ausgerechnet in der Kuppel des Blauen Salons auf dem Luxus-Raumliner OMEGA III – ein Stagmid gezeigt: was er eigentlich gar nicht durfte, denn nach Meinung aller Experten (wie etwa des Professors der intergalaktischen Kulturgeschichte Paran Ingor) waren Stagmiden – rätselhafte Weltraum-Phänomene in Gestalt einer schwarzen Kugel mit zwei meterlangen Ästen, die intensive Ultrakurzwellen ausstrahlen konnten – seit Jahrhunderten ausgestorben. Dieser hier war es offenbar nicht, was zu aufgeregten Reaktionen führte – umso mehr, als es schien, ein Rebell habe ihn an Bord geschmuggelt, um so einen unbekannten Agenten des Mutterplanetensystems Sol unschädlich zu machen.
Aber Job Ingor – Paran Ingors gerade frisch von der Akademie gekommener Sohn – hat dazu seine eigenen Gedanken: denn sein persönlicher Roboter Robert C hatte von Kollegenrobotern erfahren, daß sie im Auftrag Parans heimlich eine Kiste mit Altertümern aus den Ausgrabungen seines bestgehaßten Kontrahenten Glohun stibitzt und an Bord der OMEGA III gebracht hatten – und in solchen Altertümern scheint Glohun Stagmiden verborgen zu haben (weil er in Wirklichkeit der Kopf jener Rebellion ist). Was aber schlicht und kurz bedeutet, daß gar nicht Glohun dem Stagmiden an Bord geschmuggelt hat – sondern (wenn auch nur aus versehen) der höchst ehrenwerte Professor Paran Ingor selbst: und da ehrenwerte Professoren kaum Rebellen-Kisten klauen, bleibt Job nur der Schluß, daß offenbar sein Vater selbst der gutgetarnte Geheimagent von Sol sein muß…
Was dieser sogar auch zugibt – aber als ihm Job begeistert seine Unterstützung anbietet, belehrt er ihn nüchtern, hier gehe es nicht um irgendein Detektiv-Spiel, sondern um höchste weltraumweite Politik, für die er – so gescheit er sein möge – in seinen Jahren noch nicht das Format habe: am besten sei er deshalb für die nächsten 24 Stunden in seiner Koje aufgehoben…
Wenn sich an diesem Punkt – so war zumindest meine Überlegung – nicht jedem begeisterten jugendlichen Science-Fiction-Fan entrüstet die Nackenhaare sträubten und er fieberhaft hoffte, Job werde nun einen Weg finden, genau das Gegenteil zu beweisen: dann kannte ich die Leserschaft der Zukunftsromanhefte des Pabel-Verlags schlecht.
Um Himmelswillen nicht so anspruchsvoll wie in meinen ersten Kurzgeschichten – die immerhin mehrfach als “beste” der jeweiligen Utopia-Magazine abgeschnitten hatten – solle ich bitte diesmal schreiben, hatte mir der Herausgeber eingeschärft: bloß hübsch spannend und abenteuerlich. Um meinen Ruf als hochkarätiger SF-Autor brauche ich mir dabei keine Sorgen zu machen – denn solche Heftromane würden sowieso immer unter verlagseigenen Pseudonymen erscheinen (im diesem Falle: “Roy Chester”): dafür gebe es aber hier auch – statt der 30,- bis 50,- für Kurzgeschichten im Spezialmagazin – dank der höheren Auflage 500,- Mark Honorar; das entsprach immerhin einem halben Brutto-Monatsgehalt meiner damaligen Stellung als Assistent in der Werbeabteilung eines Stahlkonzerns – und noch dazu als Nebenverdienst ohne Steuerabzüge! – dafür konnte man, fand ich, schon mal (und sei es auch nur als Handübung) mehr fürs “breite Publikum” schreiben:
es war fast wie im Karneval, wo man treiben konnte, wozu man Lust hatte, weil einen unter der Maske sowieso niemand erkannte – aber wozu hatte ich denn nun hier mal Lust? Den rätselhaften “Stagmiden” hatte ich – nach Form und Eigenschaften – (tatsächlich!) aus einem Traum übernehmen können, den ich mal als Student der Physik gehabt hatte (deswegen seine “Dipol-Strahlung); den gescheiten, aber noch nicht recht für voll genommenen Job hatte ich mir als Identifiktionsfigur für die vermutlichen Leser konstruiert; aber was, das er jetzt anstellen könnte; würde denn nun mir ganz persönlich gefallen?!
Wer Fräulein Anima von 1940 kennt, ahnt es schon: wäre es nicht herrlich, einem Verlag, der mir in einer Story die sex-triefende Passage
“So war es kein Wunder, daß ich als erste an der Schachtmündung ankam. Es war auch gut so, denn der Anblick einer gutgewachsenen Frau in Büstenhalter und Schlüpfer am Ort einer Katastrophe ist, wie ich annehme, ungewöhnlich und auch ablenkend.”
aus Rücksicht auf Jugenschutzparagraphen gestrichen hatte (doppelt hintersinnig, weil die ganze Story durch eine frauengestaltige Roboterin erzählt wurde!) – also diesem Verlag nunmehr mit der harmlosesten Miene der Welt ein ganzes Romanheft hindurch ein Crossdressing-Abenteuer unterzujubeln?!
Sorgfältig brachte ich die nötigen Elemente in Position: erstens sieht Job zufällig eine Liste der bei der Panik im Blauen Salon Verletzten – auf der unter vielen anderen Namen auch eine “Sheila Keith, Journalistin, Rippenbruch, keine Lebensgefahr” steht [noch ahnt niemand was Arges] – zweitens beschreibt Job, wie er beim Rhetorik-Dozenten der Akademie, der ihm in der Theatergruppe wegen seiner schlanken Figur oft Frauenrollen aufhalste, wenigstens gelernt habe, wie man in Ohnmacht fällt: was er benutzt, um in seiner Kabine so elegant gegen das Gitter des Ventilationsschachts zu fallen, daß er durch das lose Gitter plötzlich in diesem Schacht verschwinden kann, bevor sein Vater die List duchschaut hat [führt noch immer irre] – und drittens landet er nach einer Odyssee durch staubige Schächte in einem eleganten Appartement, wo ihn eine einspurige Robot-Zofe mit “Gnä Frau wünschen? Zum Tee empfiehlt sich heute dies Modell Ynial, Kelchform, mit aparten Glanzeffekten – “ empfängt [merkt der Leser noch immer nix?] – aber erst als der treue Robert C, der Signale über Jobs Schacht-Abenteuer aufgefangen hat, in dem Appartement auftaucht, wobei Job erfährt, daß dieses ausgerechnet der (immobiliserten) Journalistin Sheila Keith gehört, kommt ihm plötzlich die Erleuchtung, wie er sich jedermann ausfragend unerkannt durch die ganze OMEGA III bewegen könnte:
“Stop, Fräulein Zofe: Ich wünsche das Kelchkleid zum Tee – und die ganze übrige
Kriegsbemalung einer gnädigen Frau!”
(wobei ich die Crossdresserei noch potenzierte, indem er auch noch das Gehirn seines Robert C gegen das der Robotzofe austauscht, damit der ihm nun in Zofenform nachtrippeln kann – während die Ärmste mit Roberts Gehirn zurückbleibt, das Job, um Nachfragen zu stoppen, mit “Paß auf: an dem, was ich jetzt sage, ist kein wahres Wort! Stimmt’s ?” zeitweilig hoffnungslos paralysiert hat… ]
Von da an verknotete sich die Handlung – in der außer Paran Ingor auch noch ein alter Raumschiffer, der in Wirklichkeit ein junger Rebell war, ein windbeuteliger Außenminister, die Kommandantin der OMEGA III und deren undurchsichtiger Manager auftauchten – fast mühelos immer weiter: bis zu dem Punkt, wo Job unversehens der wirklichen Sheila Keith (die nur irrtümlich als verletzt gemeldet worden war) in die Arme läuft und sich mit ihr um Presseausweis und Zofe zu streiten beginnt …
Womit der berüchtigte Punkt jeder frei zusammenfabulierten Handlung erreicht war, wo man sich endlich ernsthaft Gedanken darüber machen muß, wie man denn nun das interessante Durcheinander all dieser Handlungsfäden um Himmelswillen zu einer ebenso logisch einwandfreien wie dennoch überraschenden Lösung führen will ?!
Dazu hätte ich am jetzt vor mir liegenden Wochenende Zeit gehabt. Meine Frau war schon seit Beginn der Woche – mit den beiden Kindern und ihrer Schwester – zu einer Kur ins Bayrische gefahren; ich hatte im größten Topf, den ich der Küche finden konnte, eine Bechamelsoße bereitet und viele Scheiben Pellkartoffeln hineingeschnitten, was jeweils portionsweise erwärmt mit Rote-Beete-Salat als Beikost die Mittagessen sicherstellte; das ganze bisherige Manuskript hatte ich nochmal von Anfang an durchgelesen – es gefiel mir alles bis hierhin durchaus – bloß die erlösende Intuition wollte sich nicht einstellen. Genauer gesagt: ich war irgendwie mehr neidisch auf den schlanken Job, der da nach Herzenslust mit Kelchkleid und Zofe herumschwänzeln konnte, während ich mir bloß den Kopf über seine Abenteuer zerbrechen mußte.
Aber – wieso eigentlich? Vielleicht – flüsterte Fräulein Anima raffiniert – fehlte mir für den entscheidenden Einfall irgendeine praktische Erfahrung? Noch, redete sie mir ein, diese Idee nur ganz unverbindlich erwägend, zog ich erst einmal meine Büro-Kluft aus, rasierte mich nochmal und stieg in ein schönes angenehm warmes Bad. Und im Bademantel inspizierte ich dann mal Schränke und Schubladen:
hm – da war eigentlich ja alles da, was man für solch ein Experiment brauchte – natürlich kein Kelchkleid Modell Ynial – aber BH und Hüfthalter und Strümpfe und Garnitur und Unterrock – das paßte, wie ich konstatierte, alles (wo nötig passend ausgestopft) erstaunlich gut, wenn man die grazile Figur meiner Frau bedachte – Schuhe? Die waren unter Garantie zu klein (36 oder weniger – sie hatte Probleme genug, in den Größen überhaupt was einigermaßen Elegantes zu finden und nicht nur Kinderschuhe) – aber zum Glück hatte meine Schwägerin ein Paar herzlich ausgetretene Trotteurs bei uns stehenlassen: paßten (und kein Problem mit zu hohen Hacken). Kleid? Na ja – etliche zu knapp, aber ein ziemlich biederes Hausfrauenkleid mit grünem Schottenkaro und plissiertem Rock saß, aus welchen Gründen auch immer, wie angegossen.
So weit, so gut: jetzt hätte ich ‘ne Robotzofe gebraucht, die mich raffiniert schminkte und mir – wie Job im Weltraum – eine von -zig “metallisch schimmernden Perücken” zur Wahl anbot! Statt-dessen experimentierte ich also so gut ich konnte mit Puderquaste und Lippenstift – sah am Ende gar nicht so schlecht aus: aber die Frisur! Wir hatten ja nun nicht mehr die Garconne-Schnitte der Golden Twenties – einen Hut könnte ich aufsetzen, der den größten Teil des Haars abdeckte – und dann vorn so rechts und links zwei dicke Strähnen herausholen und geschwungen wieder unter die Hutkrempe stecken: nun, das sah gar nicht so schlecht aus – erst recht, als ich noch das Paar großer dreieckiger Metall-Ohrringe, das ich mir mal gekauft hatte, dazunahm – bloß daß keine vernünftige Frau einen solchen Hut im Haus zu so einem Kleid aufsetzte?!
Logische Konsequenz: dazu gehörte auch ein Mantel. Und da hatte ich ja meiner Frau einen todschicken cremegelben Gabardine-Hänger mit schwarzen Paspeln gekauft, den sie aus irgendeinem Grunde nicht mit auf die Reise genommen hatte – und der stand auch mir zu dem Hut ausgezeichnet. Nur die nächste Konsequenz: eine solche Aufmachung gehörte offenbar nicht in die Wohnung, sondern auf die Straße!
Hm – jetzt begann die Sache ja langsam abenteuerlich zu werden.
[Fortsetzung: folgt!]
(Anm. Jula: …leider nicht!)
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