Anm. Jula: Die Geschichte wurde von HEKATE 2007 im Transtreff-Forum veröffentlicht.

Über die Story

Vor 50 Jahren – 1957 – konnte man schwerlich irgendwo eine TG-Story veröffentlichen. Aber am Sylvesterabend 1956 hatte das Fernsehen. Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“ gezeigt – und als ich ein Motiv daraus mit Asimovs „3 Grundgesetzen der Robotik“ kombinierte, zwang mich das – zum Befremden von Frau und Kindern – den ganzen Neujahrstag an die Schreibmaschine, bis zwar keine TG-Story fertig war: aber doch die Geschichte einer schönen Frau, die gar keine war – und damit ihr Problem hatte…
Ich kann der nostalgischen Versuchung nicht widerstehen, sie – genau 50 Jahre nach ihrer Entstehung – nochmal hier in TransTreff zu stellen. (Alle, die finden sollten, daß sie hierhin nicht passe , bitte ich dafür um Vergebung – so etwas wird nicht nocheinmal vorkommen!)

Es war zehn Uhr abends, und ich schloß, daß es Zeit sei, zu Bett zu gehe». Nicht, daß es für mich nötig gewesen wäre; aber ich hatte ’schon seit Jahren gelernt, mich den Gewohnheiten der Menschen um mich her anzupassen – es hatte keinen Sinn, aufzufallen und dadurch Aufmerksamkeit zu erregen.

Was den nächtlichen Schlaf anging, war es einfach, diese Regel zu befolgen: Ich zog meine Kleider aus, legte mich ins Bett und konnte acht Stunden ohne Störung die Probleme zu lösen versuchen, die mir der Tag gebracht hatte. Was allerdings mich selbst anging, war es erheblich schwieriger, nicht aufzufallen und nicht die Aufmerksamkeit der Menschen um mich her – zumindest der Männer – zu erregen.
Ich streifte das Kleid über den Kopf und warf es auf einen Stuhl. Der hohe Spiegel des Frisiertisches warf mein Bild zurück: Blondes, welliges Haar, ein ovales Gesicht mit leuchtenden blauen Augen und roten, geschwungenen Lippen, glatte, leicht bronzefarben schimmernde Haut und ein Körper, von dem man mir schon gesagt halte, eine klassische griechische Frauenstatue müsse für ihn Modell gestanden haben (was übrigens wörtlich stimmte, obgleich diese Tatsache den Sprecher sehr überrascht haben würde). Es war ein ästhetisch zweifellos vollkommener Anblick, und ich konnte Walter Grow durchaus nicht verübeln, daß er mich heiraten wollte.

Er sah in mir eine Frau von ungewöhnlicher Schönheit, die überdies die geistigen Qualifikationen eines Wissenschaftlers und die Energie eines Raumschiffkapitäns besitzen mußte – die ideale Lebensgefährtin für einen jungen, ideenreichen und ehrgeizigen Ingenieur des 21. Jahrhunderts; er wäre geradezu sträflich dumm gewesen, wenn er nicht auf diesen Einfall gekommen wäre, der für mich das komplizierteste Problem meiner ganzen bisherigen Existenz heraufbeschwor – ich konnte es ihm nicht verübeln, oder exakt ausgedrückt: ich hätte es ihm auch dann nicht verübeln können, wenn es mir rein technisch möglich gewesen wäre, einem Menschen etwas zu verübeln.

Der Fehler in Walters Plänen lag nur darin, daß unter der glatten kühlen Haut, die er so bewunderte, Kunststoffschaum und Leichtmetallschienen lagen, daß die leuchtend blauen Augen durch komplizierte Plastiklinsen ein Bild der Außenwelt auf die Elektrode eines Ikonoskops warfen, und daß das Gehirn, dessen exaktes Denken er so schätzte, ein kompliziertes Platinschwammgebilde war – ein positronisches Gehirn eben.

Natürlich war es verboten, positronische Gehirne in äußerlich wirklich menschenähnliche Roboter einzubauen. Aber ebenso natürlich war es, daß sich eines Tages jemand über dieses Verbot hinwegsetzen würde. In meinem speziellen Falle war es Dr. Dr. Griffon – einmal Doktor der Rechtswissenschaft, einmal Doktor der Psychiatrie – eine Kombination, die eigentlich sehr nahe liegt, aber selten zu finden ist. Soviel ich feststellen konnte, beschäftigte sich Dr. Dr. Griffen mit dem etwas heiklen Problem der Ehekrisen, als er auf die Idee kam, einen „weiblichen“ Roboter zu bauen. Weiblich nicht nur äußerlich, sondern auch nach der Struktur des positronischen Gehirns – oder exakt gesagt, deshalb auch äußerlich weiblich, damit das Gehirn bei seinem „Training“ die richtigen Eindrücke erhielt: Es ist technisch schwierig, in einem Gehirn zum Beispiel die Vorstellung der Freude an einem eleganten Abendkleid auszulösen, wenn dieses Kleid auf einem aus blechernen Ofenrohren zusammengesetzten Körper getragen werden soll.

Was exakt bei diesem Experiment eigentlich herauskommen sollte, habe ich nie feststellen können. Denn eines Abends drehte die planmäßige Postrakete nach New York City plötzlich von ihrem Kurs ab, senkte die Nase nach unten und sauste im Sturzflug zur Erde – genau auf das Landhaus Dr. Dr. Grlffons. Das Haus wurde von der explodierenden Rakete völlig zerstört, sein Besitzer kam um, und all seine Aufzeichnungen verbrannten. Was mich selbst anging, so übernahmen angesichts der heranbrandenden Flammen die eingebauten Reflexe zur Selbsterhaltung die Kontrolle, nachdem ich. mich bis zu Dr. Dr. Griffons Leiche durchgekämpft hatte. Ich entkam mit knapper Not aus dem Haus, ehe die Flammen über ihm zusammenschlugen.

Im allgemeinen hat jeder Roboter sehr spezifische Instruktionen für das, was er tun soll. Ich hatte eine gründliche Kenntnis der herrschenden Mode, der graziösesten Art, meinem wirklich hervorragend kunstvoll konstruierten Körper zu bewegen, sowie der aus Romanen und philosophischen Werken zu entnehmenden Formen weiblichen Verhaltens – aber über solche Dinge hinaus nur die Grundstrukturen, die jedem positronischen Gehirn in der Fabrik mitgegeben werden: ein allgemeines Streben, sich nützlich zu machen, und natürlich die drei Grundgesetze.

Ich stellte bald fest, daß diese Kombination wenig glücklich war. Es erschien einfach unmöglich, mit den fraglichen Fähigkelten auch nur eine einzige Tätigkeit ausüben, die ich als „nützlich“ in dem – wahrscheinlich ziemlich primitiven – Sinn meiner eingebauten Grundsätze bezeichnen konnte. Jedenfalls ist es mir bis heute noch nicht gelungen, den Nutzen von Mannequins, Bardamen, Filmschauspielerinnen oder repräsentativen Damen der Gesellschaft zu ermitteln. Jedoch erwies es sich, daß die immanenten Fähigkeiten des positronischen Gehirns zu exaktem Denken an vielen Stellen geschätzt wurden — wenngleich sie auch selten jemand in der äußeren Hülle vermutete, die sie bei mir gefunden hatten.

Immerhin gelang es mir, eine Beschäftigung als technische Zeichnerin in einem großen Werk in der Nähe zu finden. Da es zu den ausdrücklichen Instruktionen Dr. Dr. Griffons gehörte, daß ich meine Identität als Roboter solange wie irgend möglich vor jedermann verborgen halten solle, mußte ich mich ja irgendwie in die menschliche Gesellschaft einfügen. Ich war damals noch ziemlich ungeschickt und fiel auch prompt am dritten Tag auf, weil ich eine grundumständliche Schaltung gleich so ins Reine gezeichnet hatte, wie ich sie mir vorstellte – nämlich mit einem Drittel der Transistoren, die der Konstrukteur vorgesehen hatte. Er war mir darüber sehr böse – sein Chef dagegen hellbegeistert.

Daß ich damals einer ähnlichen Situation wie heute entging, lag nur daran, daß dieser Chef ungemein glücklich verheiratet war. So blieb sein Interesse für mich rein beruflich – er schickte mich in Spezialkurse, in denen ich eine Menge Wissen absorbierte, für das in den Speicherzellen noch Platz genug war – und gab mir eine entsprechende Stellung. Wahrscheinlich hätte er noch viel mehr mit mir angestellt, wenn nicht die Sache mit meinen Papieren gewesen wäre (ich besaß natürlich keine, und mußte ihm eine sehr umständliche Geschichte erzählen, um das zu erklären). Da die Aufträge seines Werkes – nicht zuletzt dank meiner Konstruktionen – immer geheimer und kriegswichtiger wurden, gab es bald beinahe nichts mehr, womit er mich noch betrauen durfte; er war sehr erleichtert, als er mich zu dem völlig öffentlichen und gar nicht irgendwie „abgeschirmten“ Erdwärmeprojekt abstellen konnte – als Betreuerin der bei uns gebauten Exkavatoren.

Ein Exkavator ist, kurz gesagt, ein Apparat, der die Materie vor sich auflöst und hinter sich wieder zusammensetzt – also ein sehr praktisches Ding, wenn man im Inneren der Erde herumkriechen will. Er ist außerdem schaltungsmäßig eine der kompliziertesten Apparaturen, die man sich überhaupt vorstellen kann – was verständlich wird, wenn man bedenkt, daß beim Abweichen auch nur einer der etwa zweihundertfünfzig Koordinaten plötzlich anstatt Granit hinter dem Exkavator Eisen, Blei, Schießpulver oder Speiseeis entstehen würde (der letztere Fall ist zwar noch nicht vorgekommen, aber theoretisch durchaus möglich). Die Betreuung der Exkavatoren nun ist die schöne Aufgabe, sämtliche Störungen dieser Schaltung nicht nur zu beheben, sondern möglichst von vornherein zu vermeiden. Ich glaube frei von Überheblichkeit zu sein, wenn ich sage, daß nur ein positronisches Gehirn ihr gewachsen ist.

Bevor ich zum Erdwärmeprojekt stieß, hatte Joe Calderon die Exkavatoren betreut – ein baumlanger, schweigsamer und keineswegs übel aussehender Kerl, der eine Art „Mädchen für alles“ bei diesem Projekt zu sein schien. Jedenfalls konnte man ihn heute im Konstruktionsbüro finden, wo er unglaubhaft exakte Zeichnungen machte – morgen im Sektor Geologie, wo er mit erstaunlicher Sicherheit die Gesteinsproben wiederfand, die Professor Langdon verlegt hatte – am dritten Tag bei den Mathematikern, wo er die elektronischen Rechenmaschinen reparierte. Er hatte seine Sache nicht übel gemacht, schien aber weder beleidigt noch sonderlich erfreut darüber, daß ich ihm die Arbeit jetzt abnahm.

An sich wäre nun alles in bester Ordnung gewesen. Die Arbeit am Erdwärmeobjekt – von der UNESCO eingerichtet und gefördert – diente unbedingt dem allgemeinen Wohl der Menschheit und konnte unmöglich zu Zwecken benutzt werden, die Menschen zu Schaden kommen ließen (eine wesentliche Bedingung – Kriegswaffen hätte ich, wegen des ersten Grundgesetzes, ohnehin nie entwerfen oder betreuen können). Sie verlangte meine ganzen Fähigkeiten, und die Menschen, die hier arbeiteten, brauchten mich und waren zufrieden mit mir. Hätte ich nun noch, anstatt dieses klassischen Körpers und der wundervollen blauen Augen, ein solides Metallgehäuse und Fotozellen gehabt . . .

Aber das stimmt nicht ganz. Mit einem Gehirn, das dieses Training erhalten hatte – ein raffiniert zusammengestelltes „weibliches“ Training – hätte ich in einem normalen Roboterkörper noch viel stärker jenes Gefühl der Leere empfunden, wie es mich jetzt schon zuweilen überkam. Soviel ich bis jetzt beobachten konnte, macht es einem Menschen nichts aus, Wissen, das er einmal aufgenommen hat, nicht mehr zu benutzen; es scheint sogar ein Grundzug menschlichen Verhaltens zu sein, daß man Dinge wider besseres Wissen tut. Ein positronisches Gehirn arbeitet da anders: Jede aufgenommene Information bildet ein Potential aus, das irgendwie in Aktion treten muß – nicht sofort, aber immerhin in absehbarer Zeit. Geschieht das nicht, dann entsteht eine Art Überlastung, die vielleicht das Gegenstück zum „Sich-unglücklich-Fühlen“ beim Menschen ist – jedenfalls ist sie ungemein störend.

So war es für mich unmöglich, die weiblichen Züge, die mein Gehirn einmal angenommen hatte, einfach zu ignorieren. Ich mußte mich – wie ich es gelernt hatte – elegant kleiden; ich konnte nicht steifbeinig durch die Gegend stiefeln, sondern mußte mich .in den Hüften wiegen; und – es war unvermeidlich – ich mußte auf gewisse Situationen so reagieren, wie es die Frauen in meinem Trainingsmaterial getan hatten. Es war beruhigend, das zu wissen – denn wenn diese Situation, in die ich jetzt geraten war, zwangsläufig aus meinem Training folgte, dann mußte doch irgendwo in meinen Speicherzellen auch die Lösung zu finden sein – die Lösung für das Problem, daß ein Mensch einen Roboter heiraten will. . .

Fest stand zunächst, daß dieses Problem nicht im Sinne Walters gelöst werden konnte. Es ist möglich, als Roboter mit Menschen zusammenzuleben, ohne daß sie etwas bemerken, wenn man sich entsprechend zurückhält – aber soviel ich aus Dr. Dr. Griffons Trainingsmaterial über die Ehe erfahren habe, ist sie das genaue Gegenteil einer zurückhaltenden Form des Zusammenlebens zweier Wesen. Es war unmöglich, Walters Wünsche zu erfüllen.

Jedoch war es genauso unmöglich, ihm den wahren Grund dafür zu erklären. Ich entsann mich aus meinem Trainingsmaterial einer uralten Oper, die „Offenbachs Erzählungen“ oder so ähnlich geheißen haben muß. Dort verliebt sich der Held in eine gewisse Olympia, die aber in Wirklichkeit eine mechanische Puppe ist (was sie durch gelegentliches Räderschnarren dem Publikum und allen Umstehenden deutlich zu erkennen gibt- nur der Held merkt nichts); das Ganze endet damit, daß ein gewisser Coppelius die Olympia in ihre Bestandteile zerlegt und der Held entsetzt aus der Gesellschaft flieht, die „hahaha, das ist geraten, er liebt einen Automaten!“ singt. Es bestand kein Zweifel, daß trotz der veränderten Zeitverhältnisse eine Erklärung des wahren Sachverhalts eine ähnliche Wirkung auf Walter haben würde. Und das widerspricht dem ersten Grundgesetz der Robotik, nach dem kein Roboter ein menschliches Wesen verletzen oder zu Schaden kommen lassen darf. Man könnte eine semantische Diskussion darüber anstellen, ob das auch seelische Verletzungen mit einbezieht – Tatsache war, daß es sie bei m i r mit einbezog. Schließlich hatte ich ein spezielles psychologisches Training hinter mir, das entsprechende Potentiale in meinem Gehirn aufgebaut haben muß.

Damit waren die zwei naheliegendsten Wege versperrt. Als dritte Möglichkeit blieb, mich irgendwie aus der ganzen Situation zu entfernen. Leider war diese Möglichkeit aber gleich zweimal versperrt: Erstens würde das Verschwinden des geliebten Wesens Walter ebenfalls verletzen – zwar etwas weniger als die Möglichkeit eins, aber immerhin noch soviel, daß das Potential zusammen mit dem zweiten, auf das ich gleich komme, zu hoch würde, um diesen Ausweg zuzulassen. Das erwähnte zweite Potential resultierte nun aus dem zweiten Grundgesetz, wonach jeder Roboter alle von Menschen gegebenen Befehle ausführen muß, sofern sie nicht gegen das erste Grundgesetz verstoßen. Ich hatte aber den Auftrag, mich um die Exkavatorenschaltungen zu bekümmern; ich konnte ihn nicht einfach liegenlassen und davonlaufen. Also mußte ich bleiben. Übrigens hätte ich auch nicht gewußt, unter welchem Vorwand ich gehen sollte – und wohin.
Blieb noch eine letzte Möglichkeit: Ich mußte mich irgendwie vernichten. Aber dagegen sprach Grundgesetz eins (es würde Walter ebenfalls verletzen), Grundgesetz zwei (auch dann konnte ich meinen Auftrag nicht weiter ausführen) und schließlich noch Grundgesetz drei: Jeder Roboter muß seine eigene Existenz erhalten, sofern das nicht gegen Regel eins oder zwei verstößt. Das waren drei Potentiale, die in derselben Richtung wirkten – und selbst wenn ich die Möglichkeit dagegen aufrechnete, Walter den großen Schmerz zu ersparen, daß seine Liebe einem Roboter gegolten hatte: es reichte einfach nicht. Ich hatte es bereits einmal ausprobiert (man soll nicht denken, daß ein positronisches Gehirn beliebig viel aushält, und dieses Problem ging hart an die Grenze dessen, was ich aushalten konnte!). Natürlich mußte ich eine Methode wählen, bei der mein Körper völlig vernichtet wurde. Also zum Beispiel in das Feld vor einem Exkavator hineinlaufen und sich auflösen lassen. Nur – es ging nicht. Meine Beine versagten einfach den Dienst, und für die nächsten Stunden ließen mich irgendwelche plötzlich aufgebauten Schutzpotentiale noch nicht einmal in die Nähe eines Exkavators.

Klar war mir aber eines: Es konnte so nicht weitergehen. Nicht nur, daß Walters Drängen immer heftiger wurde – ich spürte auch, daß mein Gehirn diesen Widerstreit der Potentiale einfach nicht mehr aushielt. Ich mußte damit rechnen, daß es eines Tages einfach einen Kurzschluß geben würde – und dann würde man einen Arzt holen, er würde meinen Körper untersuchen, und damit würde man feststellen, daß ich ein Roboter war, und das würde Walter verletzen, und das widersprach dem ersten Grundgesetz, und … und … und … so jetzt war ich wieder in dem Zirkel drin, der gerade das herbeizuführen drohte, was er vermeiden sollte.
Konnte ich versuchen, wie eine wirkliche Frau mit Walter zu brechen, indem ich mich einem anderen Mann an den Hals warf? Das würde ihn erstens verletzen, und zweitens bestand die Wahrscheinlichkeit, daß ich den anderen Mann in die gleiche Lage wie Walter bringen würde, also ihn auch verletzen — wieder verriegelten sich die Potentiale zu einer undurchdringlichen Mauer. Ich mußte erst einmal die neunzehnte Wurzel aus 11 398 895 183 373 143 ziehen (sie ist übrigens 7), um überhaupt wieder klar denken zu können.

Jedenfalls hatte Dr. Dr. Griffon allen Anlaß gehabt, sich mit Ehekrisen zu beschäftigen; wenn bereits ein bloßer Heiratsantrag in einem so geordneten positronischen Gehirn ein solches Chaos heraufbeschwor, was muß dann eine wirkliche Ehe aus dem menschlichen Gehirn machen! Ich konnte ihm nicht einmal böse sein, daß er mich zu diesem Zweck gebaut hatte – abgesehen davon, daß ein Roboter seiner Natur nach keinem Menschen böse sein kann . . .

Ich war mit meinen Überlegungen gerade so weit gekommen, als ich die Alarmsirene hörte (Verzeihung, eigentlich müßte ich sagen: Als die Luftschwingungen, die die Alarmsirene erzeugte, an die Mikrophone unter meinen rosigen Ohrmuscheln drangen, dort eine Serie von Stromschwankungen auslösten, die sich beim Vergleich mit den gespeicherten Aufnahmen der verschiedensten akustischen Eindrücke in meinen Speicherzellen als identisch mit einem Signal erwiesen, das Alarm bedeutete — aber ich verwende für gewöhnliche Zwecke die etwas abgekürzte, dem menschlichen Empfinden nachgebildete Ausdrucksweise, nachdem ich bei meinen Studien der Schaltungstechnik festgestellt habe, daß es Stunden dauern würde, die wirklichen Vorgänge zu beschreiben). Ich sprang vom Bett auf und aus dem offenen Fenster – das ist aus dem zweiten Stock für Menschen weniger angebracht, aber da mich kaum jemand beobachten würde, und mein Körper solche Dinge ohne weiteres aushielt, wählte ich den rascheren Weg.

Es gab nämlich, das hatte ich herausgefunden, einen Weg, mein Problem zu lösen. Er setzte eine einigermaßen unwahrscheinliche Kombinationen von Faktoren voraus – darunter zum Beispiel einen Alarm. Vielleicht war es dieser?
Ein Roboter kann, wenn er will, Geschwindigkeiten erreichen, die die eines Menschen um etwa den Faktor fünf übertreffen. Außerdem fallen bei ihm sämtliche Schrecksekunden und ähnliche Verzögerungen fort. So war es kein Wunder, daß ich als erster an der Schachtmündung ankam. Es war auch gut so, denn der Anblick einer gutgewachsenen Frau in Büstenhalter und Schlüpfer am Ort einer Katastrophe ist, wie ich annehme, ungewöhnlich und auch ablenkend.

Unterwegs hatte ich die Situation in den Schächten rekapituliert, wie sie jetzt vorliegen mußte. Ich muß dazu etwas auf die Technik des Erdwärmeprojektes eingehen, auf die Gefahr hin, daß ich Bekanntes wiederhole.

Wir arbeiteten in einem vulkanischen Gebiet. An verschiedenen Stellen waren Schächte senk-recht in die Erde getrieben worden, von denen jetzt Exkavatoren weitere Versuchsbohrungen ausgehen ließen: waagerecht, schräg oder senkrecht nach unten. Dabei gab es zwei Typen: Die exploratorische Bohrung, bei der der Exkavator hinter sich wieder die gleiche Materie erzeugte, wie vorher – also kein Schacht zurückblieb – und die permanente Bohrung, bei der die Materie in Gas verwandelt wurde, die Bahn des Exkavators also einen neuen, offenen Schacht ergab. Mit den exploratorischen Bohrungen wurde gleichsam die Landkarte – eine dreidimensionale Landkarte – des Erdinneren aufgenommen; die permanenten Bohrungen ergaben dann die Straßen und Wege – wiederum dreidimensional – in diesem Gebiet.

Natürlich kam dabei auch alles mögliche außer der Wärmeverteilung zutage: Bodenschätze, Höhlungen, Kanäle und Spalten, die noch glutflüssiges Magma enthielten, und dergleichen mehr. Der jetzige Alarm nun, vermutete ich, kam vom Punkt 301c. Das war eine natürliche Höhlung, die wir kürzlich angeschnitten hatten, und in der eine Steuerstation für Exkavatoren eingerichtet worden war. Man kann natürlich einen Exkavator auch selbst bedienen – in den kleinen Typen ist Platz für einen Menschen, in den größeren für zwei – aber wenn eine exploratorische Bohrung mitten durch einen Lavasee führt, könnte es dabei unangenehm warm werden. Deshalb werden die exploratorischen Bohrungen meist ferngesteuert durchgeführt – und je näher die Steuerstation am Bohrungsort liegt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit von Störungen durch Metalladern und ähnliche unterirdische Hindernisse für die Steuersignale. Das war wenigstens die Meinung Professor Langdons.

Walter Grow war strikt gegen die Steuerstation an Punkt 301c gewesen. Erstens, sagte er, liege dieser Punkt viel zu tief – die Temperatur sei viel zu hoch, um dort dauernd eine Station besetzen zu können. Langdon hatte darauf eine Asbesthütte mit doppelten Wandungen bauen lassen, in der es – das mußte man zugeben – immerhin noch erträglich war. Zweitens, hatte Walter Grow erklärt, sei der Bereich über 301c noch viel zu ungenügend exploriert – er befürchtete, daß dort noch flüssiges Magma in unmittelbarer Nähe liegen könne. Langdon hatte die Stirn kraus gezogen und in seiner schulmeisterlichen Art erklärt, gerade deshalb sei ja dort eine Steuerstation so nötig, damit man möglichst rasch die nötigen Explorationen vornehmen könne. Und wenn Grow Angst habe, dann werde er eben selbst die Steuerung übernehmen.

Walter hatte dann irgend etwas Respektloses gemurmelt und den Raum verlassen – Professor Langdon hatte sich wie ein Feldherr aufgerichtet und erklärt, noch heute nacht werde er die ersten Explorationen an Ort und Stelle vornehmen. Es lag nahe, daß dieser Alarm das unerwünschte Ergebnis seiner Heldenhaftigkeit war.

Ich fuhr in den Schacht ein und kam zum ersten Kontrollpunkt. Die Meßinstrumente bestätigten Walters düstere Voraussagen: Sie meldeten einen Einbruch glutflüssiger Gesteinsmassen unmittelbar oberhalb Punkt 301c. Sie sickerten jetzt, soviel man sehen konnte, durch die Hälfte des bisherigen Zuführungsschachtes – und es war nur eine Frage der Zeit, wann sie die ganze Höhlung ausgefüllt haben würden. Es konnte sein, daß die Asbesthütte Langdons eine Weile lang Schutz bot – aber nur, solange es nur Hitze und nicht Druck anging; waren erst einmal von allen Seiten die Massen heran, dann würde sie glatt zusammengequetscht werden.

Das war entsetzlich und ausgezeichnet. Entsetzlich, was Langdon anging – ausgezeichnet, was meinen Plan betraf. Der starrköpfige Gelehrte hatte durch sein Unglück die einzige Situation geschaffen, die meinen Problemen ein Ende machte. Ich schwang mich auf eines der Fahrzeuge und raste mit ihm zum nächsten Exkavatorenzentrum. Es war – auch dies wieder ein glücklicher Zufall – ein kleines, das augenblicklich nur mit einem Einmann-Exkavator bestückt war. Und das war zum Gelingen meines Planes unerläßlich.

Ich schwang mich in den Exkavator, schraubte die Luke hinter mir zu und stellte im Licht der rötlichen Glimmlampen den Hebel auf „Exploration“. Ich durfte keinen offenen Schacht hinter mir lassen, der den Gesteinsmassen einen weiteren Ausweg bot. Wahrscheinlich war an Langdons Explorator eine Störung aufgetreten – das Gestein hinter ihm hatte sich nicht mehr geschlossen, und dadurch war der Durchbruch entstanden. Das sollte mir nicht passieren.

Ich richtete die Steuerhebel direkt auf Punkt 301c – der gerade Weg ist bekanntlich der kürzeste, und die normalen Zugangsschächte waren ohnehin verstopft. Ein Exkavator auf Exploration ist nicht gerade eine Düsenrakete, aber in einer Stunde, dachte ich, würde ich es schaffen. Ich hatte Zeit zum Nachdenken.
Es war ein angenehmes Gefühl, nicht mehr dieses Durcheinander von halben Potentialen möglicher Folgen und Verstöße zu spüren, sondern nur noch eine klare Grundregel: Erstes Grundgesetz – ein Mensch ist in Gefahr, und muß gerettet werden. Du kannst ihn retten, also tu das Nötige. Walter Grow war eine Figur im Hintergrund geworden – er würde sich ängstigen, wenn er erfuhr, daß ich hier eingefahren. war, er würde mich nicht verstehen, er würde vielleicht auch beschämt sein, daß nicht er, sondern eine Frau zur Rettung aufgebrochen war: Aber das waren alles schwache Potentiale, übertönt von dem einen starken – Lebensgefahr!

Und auch meine Pflicht gegenüber den Exkavatoren trat davor zurück. Wenn mir etwas geschah, würde sich eben wieder Joe Calderon um sie kümmem – der nette, stille, intelligente Bursche, der sie einst unter sich gehabt hatte. Ich dachte gern an Joe Calderon – jetzt, wo das Durcheinander der Potentiale mich nicht mehr störte. Aus den Speicherzellen schwammen Eindrücke herauf: Ein paar nette Worte – eine Tür, die er mir offenhielt – ein bewundernder Blick, den ich einmal aufgefangen hatte. Man soll nicht denken, daß ein Roboter – und gerade ein als Frau trainierter Roboter – so etwas vergißt! Es war keineswegs unlogisch, daß ich jetzt an Joe dachte und nicht an Walter: Alle Eindrücke von Walter waren mit einem Dilemma verknüpft, also irgendwie negativ gefärbt – Joe hatte sich stets zurückgehalten, mich nie vor Probleme gestellt. Keine negativen Potentiale!

Ab und zu klickten die Zeiger in dem Plastikblock, der die dreidimensionale Wegespur aufzeichnete. Ich muß bald da sein. Und ich spürte auch – trotz der Isolation – allmählich die Wärme, die von draußen hereindrang. Ich fuhr schon durch glutflüssiges Magma!

Hoffentlich hielt Langdon die Rückfahrt aus! Es gab keine Kühlmöglichkeit mehr hier unten. Ich rechnete: Ja – es war zu schaffen. Allerdings saß Langdon schon viel länger in der Gluthitze als ich – und außerdem verträgt ein Roboter höhere Temperaturen als ein Mensch. Er würde wahrscheinlich auf der Rückfahrt ohnmächtig werden – aber wenn die Steuerstation noch lange genug zusammenhielt, konnte ich ihn von unten aus zurücksteuern. Nahm man ihn oben gleich in Empfang, konnte er gerettet werden.

Klick – kling! Ich mußte da sein. Sehen kann man aus einem Exkavator heraus nichts – es gibt kein Glas, das solche Temperaturen aushält. Aber ich hatte eine Art Radar – eine Kombination aus Schall- und elektrischen Welten – mit der ich die Steuerstation suchen konnte. Sie lag hoch – wenn wir Glück hatten, von den zähen, langsam steigenden Massen noch nicht erreicht.

Krrr! Ein Schnarren – die Nase des Exkavators mußte jetzt ins Freie gelangt sein: Kein Gestein zum Umwandeln mehr vor ihm! Noch ein paar Schübe – so, jetzt war er frei und schwamm wie ein seltsames Schiff auf dem glutflüssigen Meer. Peilen – mehr nach rechts – so – noch dichter – ganz dicht – die Luke einen Spalt auf: Ja – da war die Asbesthütte, kaum einen Meter vor ihm. Noch näher heran – die Gluthitze und die Gase, die hereindrangen, hätten jeden Menschen ohnmächtig werden lassen. Aber die Hütte schien noch intakt. Ein Glück, daß Walter Grow auf einer Anlegeschleuse für Exkavatoren bestanden hatte! Sonst hätte ich Langdon nie hier herausbekommen können!

So ging es. Die Luke legte sich gegen einen Deckel – beide klappten auf – ich stieg in einen dunklen Hohlraum – etwas hielt mich zurück – ich zerrte – ein Ruck – ein Stück der Plastikhülle meines linken Beines klebte an der glühendheißen Lukenumrandung, das stumpf schimmernde Leichtmetall lag offen – wie bringe ich nur Langdon über diese Kante, dachte ich – Asbesttücher auslegen, wird gehen!
Ich hielt einen Augenblick inne. Dieses Bein darf Langdon nicht sehen; sonst wird er erfahren, daß du ein Roboter bist, und wenn das Walter erfährt, dann wird er – aus, abschalten! Langdon retten ist wichtiger – höheres Potential – erste Regel –
Er lebte noch – er war sogar noch bei Bewußtsein. Aber er sah aus, als sei er schon zehnmal gestorben. Er versuchte mit ausgedörrter Kehle etwas zu krächzen, als er mich sah – es war nicht zu verstehen. Einen Augenblick beschäftigte sich mein Gehirn damit, zu überlegen, was er wohl sagen wollte: Grow hatte doch recht! oder: Sie hier, Miß Crawford? oder Hilfe? oder vielleicht: Was für ein schamloser Aufzug für eine junge Dame? Langdon war alles zuzutrauen.

Ich zerrte ihn hoch, schob ein paar Asbesttücher unter ihn und stopfte ihn, so gut es ging, durch die Schleuse in den Exkavator. Glücklicherweise kann man die Luken der Dinger auch von außen schließen – allerdings blieb die Hälfte meiner Hände daran hängen. Nun, das machte auch nichts mehr!

Ich drückte den Asbestdeckel zu und trat an die Steuerungen. Sie waren hitzebeständig – ich würde Langdon sicher zurücksteuern können. Zeiger I – Zeiger II – merkwürdig, wenn man nur noch ein stählernes Skelett anstatt runder Finger hat! Man wird richtig ungeschickt dabei! Klick – klack – Start – umschalten auf Exploration – so – jetzt hat er die Höhlenwand erreicht – wie schnell das Magma wohl steigt? – hoffentlich versagt der Exkavator jetzt nicht noch – ob sie ihn oben erwarten – ob sie wissen, daß ich hier unten bin?

Eine Stunde. Dann ist er oben. Inzwischen steigt das Magma, drückt gegen die Asbestwände – langsam weichen sie – es wird immer heißer – welche Höchsttemperatur hält ein Roboter aus? Das hätte ich längst einmal nachlesen sollen – jetzt ist es zu spät- drittes Grundgesetz: jeder Roboter muß seine eigene Existenz schützen – na, dem haben wir ein Schnippchen geschlagen – lächerlich, daß sich ein Roboter nicht selbst umbringen können soll – kommt nur auf die Bedingungen an: Einmann-Exkavator – Langdon hineintun oder selbst einsteigen? Glatte Rechnung – erstes Grundgesetz hat das höhere Potential, und du bleibst zurück – zur Feuerbestattung. Und keine Spuren! Niemand wird wissen, daß Joan Crawford ein Roboter war – niemand – nicht Walter- und auch nicht Joe – Joe – Hitze – Hitze – Joe – hilf mir doch, Joe, es ist so heiß – schmelze ich – ?

Es ist kühl. Kalt. Eiskalt. Herrlich kalt. Ich liege unter einem kalten Tuch. Rötliches Licht, wie in einem Exkavator. Einem großen Exkavator. Das ist doch ein Exkavator?

Das ist unmöglich. Ich bin geschmolzen. Gibt es für Roboter ein Leben nach dem Tode? Unsinn. Wenn das positronische Hirn geschmolzen ist, kann es nicht mehr denken. Also ist es nicht geschmolzen. Und wo bin ich? Exkavator. Großer Exkavator – Zweimannexkavator. Wo ist der zweite Mann? Dort ist er. Am Steuerbrett. Wer ist das? Joe? Ich bin doch geschmolzen. Vielleicht haben sich die Potentiale auf die Lava übertragen, und ich bin jetzt ein Lavagehirn. Und träume. Natürlich von den letzten Dingen, an die ich gedacht habe: Hitze – Kälte – Joe. Prüfen. Die Speicherzellen liegen nicht im Gehirn. Sie liegen im Rumpf. Also ist mein Rumpf auch noch da.

Der Mann, der aussieht wie Joe, dreht sich um.
*Miß Crawford? Haarscharf am Krematorium vorbei, was?“ Er lacht. Ich versuche mich halb aufzurichten. “Ist Langdon – ?“ Meine Stimme funktioniert also noch.

Joe nickt. „Ziemlich angesengt, aber man wird ihn zurechtflicken. Ich hätte ihn nicht mehr retten können. Ich war zu spät daran – der nächste Exkavator war zu weit weg – und die Zweimann-Modelle sind langsamer. Aber dafür kühler – günstigeres Verhältnis von Oberfläche zu Volumen. Aber für Sie bin ich noch zurechtgekommen. Sie halten allerhand Hitze aus!“

Das will ich wohl meinen. Plastik und Leichtmetall gegen Fleisch und Knochen. Knochen! Nein! Nein! Meine Hände!
Alles umsonst. Ich wäre verbrannt, geschmolzen, niemand hätte etwas gewusst – und nun kommt dieser Joe und rettet mich. In letzter Sekunde. Unmöglich. Aber er hat es geschafft. Und er hat – er muß meine Hände gesehen haben. Die Hände mit dem Leichtmetall, von dem die Plastikhülle in Fetzen hängt – und das aufgerissene Bein. Er muß es doch schon längst wissen – daß ich kein Mensch bin! Und alle anderen werden es sehen, wenn wir ankommen – und Walter wird es sehen – und alle werden sin-gen: “Hahaha, das ist geraten, er liebt einen Automa – “ Nein! Das darf doch nicht sein! Erstes Grundgesetz: Ein Roboter soll keinen Menschen verletzen oder –

“Ruhig! Das ist die Reaktion!” Joes Hand legt sich auf meine Schulter. “Sie haben viel durchgemacht – nun ruhen Sie!“

Er wendet sich zum Instrumentenbrett. “Ich bringe uns an einer Stelle zur Oberfläche, wo niemand wartet. Einfach irgendwo auf freiem Feld. Sie können jetzt keine Menschenmengen vertragen, die Sie als Heldin feiern wollen, nicht wahr?“

Ach Joe! Joe, du bist wunderbar! Du weißt es – und tust weiter so, als wäre ich ein Mensch. Aber das kann doch nicht gut gehen – es wird doch ein Arzt kommen, um mich zu untersuchen – es ist doch nur ein Aufschub –

“Ich verstehe ein bißchen was von erster Hilfe – “ sagte er. “Ich denke, wir werden Sie schon wieder zurechtflicken – auch die Brandwunden!“ Er dreht sich nicht um – ich soll sein Gesicht nicht sehen, wie er das sagt. Ach Joe, warum bin ich keine Frau! Ich würde dich – glaube ich – lieben können …

Und jetzt tut er etwas, das ich nicht begreifen kann. Er streicht über meinen Kopf – nein, in meinen Kopf? Das geht doch nicht! Aber jetzt wird es dunkel – und kühl – und ruhig –

Ich liege in einem Bett. Einem schönen weißen Bett. Ich habe ein hellblaues Nachtgewand an, und auf dem Nachttisch stehen Blumen. Ich sehe meine Hände, die auf der Decke liegen. Es sind zarte, feingliedrige Frauenhände, wie früher. Ich schiebe die Decke beiseite und sehe mein linkes Bein an – kein Metall, kein herunterhängendes Plastikpolster: Glatt, wohlgeformt wie früher. Joe? Brandwunden? Erste Hilfe?

Er hat mich „zurechtgeflickt“. Natürlich, Joe kann alles. Auch Plastik in Formen gießen und ein Metallske¬lett damit überziehen. Wie er es geschafft hat, mir die Ärzte vom Hals zu halten? Ich weiß es nicht. Joe kann das. Joe kann alles.

Wo ist er? Ich stehe auf, nehme einen leichten Morgenmantel um die Schultern. Als ich am Spiegel vorbeigehe, sehe ich mein Bild: Blondes, welliges Haar, ovales Gesicht, blaue Augen, rote Lippen – das ist wieder Joan Crawford, die schöne, die vollkommene Frau. Und beginnt damit alles von neuem? Ich will nicht darüber nachdenken. Ich trete aus der Tür, auf den Gang.

Stimmen. Ich kenne sie. Das ist Joe – und das? Ist Walter! Nein – das darf doch nicht sein! Erstes Grundgesetz – heiraten – ablehnen – weggehen – vernichten – Potential gegen Potential –

Was sprechen sie?
“ – dir nur Glück wünschen. Von Herzen. Glaub es mir!“

“Dank dir, Walter. Gerade von dir freut es mich besonders.“ Das ist Joe! Worüber sprechen sie?

“Joe – du weißt, daß ich Joan sehr, sehr gern gehabt habe. Ich wollte sie heiraten. Aber – in jener Nacht, wo wir alle im Schacht standen – und ich genau so gut wie du wußte, daß sie allein unten war: Da habe ich mich nicht getraut, sie zu holen. Aber du! Und seitdem weiß ich, wer sie wirklich verdient hat. Verzeih mir, wenn ich vorher nie gemerkt habe, was sie dir bedeutet!“

“Laß gut sein, Walter! Ich habe es ja auch nie gezeigt – und ich habe es selbst nicht gewußt, vielleicht, bis zu jener Nacht. Sie war für mich – nun, sagen wir, unerreichbar. Jetzt ist es anders – seit jener Nacht -„

“Kein Mensch – keiner von uns – hätte sich da hinuntergewagt Die Hitze muß furchtbar gewesen sein. Und dann noch Tage ohne ärztliche Hilfe!“

“Na ja, ich hatte mich ganz schön verfranzt mit meinem Exkavator. Ein Wunder, daß ich nicht bei den Antipoden herausgekommen bin! Aber Gott sei Dank haben wir uns beide einigermassen wieder herausgerappelt!“

“Kann man Joan schon sprechen?“

“Lieber nicht – sie hat noch immer unter dem Schock zu leiden. Es war zuviel – selbst für sie!“

„Ich verstehe noch immer nicht, wieso sie als erste unten war – and wie sie auf die wahnwitzige Idee kam, Langdon zu retten – „

Joe unterbrach ihn. „Ein Mensch war in Gefahr. Ist das nicht genug?“

Ich wandte mich um und ging in mein Zimmer zurück. Ich setzte mich auf die Bettkante – nicht, weil ich im Stehen nicht hätte nachdenken können; aber es paßt besser zu einer Frau, nicht wahr?

Joe konnte alles. Er hatte das Problem „Walter“ gelöst, mit dem ich nicht fertig geworden war – er hatte sein Leben eingesetzt, um mich zu retten – und was bekam er als Lohn dafür? Eine mechanische Puppe! “Hahaha, das ist geraten – „

Furchtbar! Und er mußte sich dazu noch Glückwünsche anhören, und Sprüche über seine tiefe Liebe zu mir. Dabei kannte er doch die Wahrheit!

Die Tür ging auf. Joe trat ein.
“Joe! Ich – du weißt – ?“

“Freilich, Joan. Jetzt weiß ich es. Und das ist sehr, sehr gut so.“

“Gut?“

“Ja – sonst hätte ich dich ja gar nicht wieder zurechtflicken können, um nur etwas zu nennen.“ Er lachte ein wenig.

“Aber – Joe – ich habe eben mit angehört, was Walter mit dir gesprochen hat. Verzeihst du mir das, ja? Ich wollte es wirklich nicht, aber – „

“Keine Sorge. Übrigens lobt er mich völlig überflüssig. Ich konnte gar nicht anders, als in den nächsten Exkavator springen und dich herausholen.“

“Aber keiner von den anderen hat doch – „

“Eben. Wie Walter sehr richtig sagte – kein Mensch hätte sich da hinuntergewagt. Aber das erste Grundgesetz – „

“Joe!“ Ich sprang auf. Ich sah ihn an. Genau, Zentimeter für Zentimeter.

“Joan, du wirst nichts finden“, sagte er, noch immer lächelnd. “Dr. Griffon verstand seine Sache ausgezeichnet.”

“Griffon?”

“Ja – er baute dich doch, weil er Eheprobleme am Modell studieren wollte. Ist dir erstaunlichem Elektronengehirn niemals eingefallen, daß zu einer Ehe immer zwei gehören? Ich bin das Gegenstück, das er gerade ein paar Tage vor seinem Tod fertiggestellt hatte – unsere ‘Hochzeit’ hat die Rakete dann verhindert. Ich muß nach der einen Seite davongelaufen sein, und du nach der anderen. Aber ich war, glaube ich, bereits besser konditioniert als du – ich war von dir angezogen, als ich dich zum ersten Mal sah. Aber ich hielt dich für eine Frau – und fühlte mich wenig wohl, weil ich dir nicht nahekommen durfte. Ich hielt dich immer noch für eine Frau, als ich dich aus Stützpunkt 301c holte – sonst wäre ich ja nicht nach dem ersten Grundgesetz hinter dir hergefahren, nicht wahr? Dann allerdings – „

Ich trat zu ihm, hob mich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuß. Es fiel mir sehr leicht – bei meinem Training.
“Joe – “ sagte ich, “dann könnte das Experiment des Dr. Dr. Griffon jetzt also – wenn auch etwas verspätet – beginnen?“

(E n d e)
(Einige Bemerkungen folgen in meinem nächsten Posting!)

Nachbemerkungen von Hekate:

Noch ein paar Bemerkungen zur „Olympia 2057“:

Eure netten Kommentare haben mich beruhigt, daß es zumindest nicht völlig „daneben“ war, diese Story nach 50 Jahren noch einmal hier in TransTreff zu posten – habt Dank dafür!

Erstmals erschienen ist sie 1957 – gerade so, wie ich sie am Neujahrstag in die Schreibmaschine getippt hatte – im deutschen „UTOPIA SCIENCE FICTION Magazin“ Nr.7 des Pabel Verlags: und wurde laut Leserumfrage als die „beste Story des Hefts“ bewertet – was mich damals ziemlich stolz machte, da sie als einzige deutsche neben 9 Übersetzungen britischer und US-Spitzenstories stand .

Deshalb ließ ich ihr auch noch 2 weitere Geschichten mit den gleichen Hauptpersonen und „robotischen“ Themen folgen – „LEVIATHAN 2084“ und „AZAZEL 3000“ – folgen: da deren Schwerpunkte aber nicht mehr im TG-Bereich lagen, kann ich sie kaum auch hier in TransTreff posten. Falls sie dennoch eine von Euch interessieren sollten: auf eine PM (mit eMail-Anschrift) schick ich ihr *.doc-Files.

Natürlich wären diese Stories nie ohne Asimovs Grund-Idee entstanden – wie Newton mal bescheiden sagte „ich stand auf den Schultern von Riesen!“ – aber das Thema „weiblicher Robot als Lebensgefährtin“ hat er erst 31 Jahre später (1988 in „Prelude to Foundation“) behandelt : und in „AZAZEL 3000“ konnte ich sogar schon damals sein späteres „Nulltes Grundgesetz“ vorwegnehmen…

Vielleicht wär ich so eine grosse Science-Fiction-Autorin geworden – wenn man mir bloß nicht für anderes so viel höhere Honorare gezahlt hätte…

Die unpoetisch geldgierige HEKATE