Eine Meditation

Sprecher: lm Anfang war nicht Himmel noch Erde, nicht Licht noch Dunkel, nicht Raum noch Zeit. IM ANFANG WAR DAS WORT…

(Akkord)
Stimme: Gelobt sei der HERR!
Chor: Gelobt sei der HERR!
Stimme: Gelobt sei SEIN Wort!
Chor: Gelobt sei SEIN Wort!
Stimme: .Gelobt sei SEIN Plan!
Chor; Gelobt sei SEIN Plan!
Stimme: Gelobt sei der HERR – in Ewigkeit!
Chor: Gelobt sei der HERR – in Ewigkeit!
(Akkord verklingt)

Stimme: Luzifer – Du bist noch hier?
Stimme: Ja, Herr. Ich – habe Dir etwas vorzutragen.
Stimme: Eine Bitte?
Stimme: Eine – Möglichkeit. Eine neue Möglichkeit.
Stimme: Eine neue Möglichkeit – ?
Stimme: Ja, Herr. Du erinnerst Dich an das mathematische Universum, das Du damals geschaffen hast?
Stimme: Ich erinnere mich.
Stimme: Ich war dort. Lange Zeit war ich dort. Und – ich habe dort etwas gefunden.
Stimme: Etwas, was wir nicht schon im Voraus wußten, als wir es schufen?
Stimme: Ja – oder vielmehr, nein. Es ist schwer zu erklären.
Stimme: Versuch’ es.
Stimme: Es ist – so: In diesem Universum liegt eine Möglichkeit für etwas, was eines Tages einmal sein könnte. Ich meine – die Gesetze dafür liegen dort; nicht das – Etwas selbst.
Stimme: Was ist das für ein Etwas?
Stimme. Ich nenne es Materie. Es müßte den gleichen Gesetzen gehorchen wie eine Welle, aber auch denen, wie ein Körper – es müßte sich über den ganzen Raum erstrecken, und dennoch nur einen Teil davon erfüllen, es müßte i n einem Raum sein und zugleich dieser Raum selbst – es ist sehr schwer zu erklären. Du würdest es sehen, wenn Du selbst dort wärst.
Stimme: Woher weißt Du, daß ich es nicht schon gesehen habe?
Stimme: Herr – Du verwirrst mich. Wenn Du eine Möglichkeit denkst, dann ist sie Wirklichkeit.
Stimme: Kann ich denn alle Möglichkeiten zugleich denken?
Stimme: Herr – Du verwirrst mich!
Stimme: K a n n ich a l l e Möglichkeiten zugleich denken?
Kann ich etwas als existierend denken, und zugleich als nicht existierend? Kann ich etwas als Welle denken und zugleich als Punkt?
Stimme: Herr, Du hast einen Plan!
Stimme: Luzifer – der Plan hat mich. Ja, der Plan hat mich !
Stimme: Herr – !
Stimme: Höre mich, Luzifer. Du bist der Nächste meinem Geist – Du bist der, der mich verstehen wird. Ich schaffe, indem ich denke. Und indem ich denke, denke ich nach einem Gesetz, das dem Denken innewohnt. Und deshalb schaffe ich auch nach einem Gesetz.
Stimme: Aber nach einem Gesetz, das Du selbst geschaffen hast!
Stimme: Und das mich nun bindet. Und wenn ich auch in jedem Augenblick tausend neue Gesetze schaffen würde, so wären sie doch alle da – und ich müßte mich nach einem von ihnen richten – oder wieder ein neues schaffen, nach dem ich mich dann richten müßte. Und all’ die anderen tausend Gesetze wären damit hinfällig.
Stimme: Das ist ein altes Problem. Wir haben es durch die getrennten Universen gelöst. In jedem gilt eines der Gesetze – oder eine Gruppe von ihnen.
Stimme: Und gilt unbedingt und unverbrüchlich. Und es fällt kein Sperling vom Dach und kein Haar vom Kopf ohne meinen Willen!
Stimme:. Was sind “Sperlinge”, und was sind “Haare”?
Stimme: Möglichkeiten, die in Deiner – Materie – liegen.
Stimme: So hast Du die Materie in Deinen Plan bereits aufgenommen?
Stimme: Luzifer – wenn Du mich liebst, dann schweige von meinem Plan.
Diese Pläne sind ebensoviele Sackgassen.
Stimme: Herr – !
Stimme: Diese Pläne sind unfruchtbar. Ich kann so viele davon denken oder schaffen, wie ich will – jedesmal liegt alles, was nach ihnen geschehen kann, jede winzige Episode, bereits im Plan. Es ist ein reines Rechenkunststück, die Konsequenzen aus den Voraussetzungen herauszuholen. Dazu brauche ich nichts zu schaffen, was außer mir ist.
Stimme: Aber diese Universen sind schön. Sie sind – gewaltig. Sie sind – sie loben ihren Schöpfer.
Stimme: Weil sie müssen, Luzifer! Weil sie müssen! Weil ich den Gedanken, mich zu loben, bereits in sie hineingepackt habe! Sie sind nicht mehr als tausend Masken, die ich mir aufsetze, um mich im Spiegel zu betrachten. Sie sind genauso wenig Schöpfungen, wie Masken Geschöpfe sind. Oder anders gesagt: Meine Geschöpfe sind Masken. Puppen, die so tanzen wie ich es ihnen vorschreibe. Luzifer – ich schäme mich.
Stimme: Vor wem?
Stimme. Vor mir selbst. Und deshalb vor mir selbst, weil ich in diesem Kosmos nichts finde, wovor sich ein Gott sonst schämen könnte!
Stimme: Ist es denn die Aufgabe eines Gottes, sich zu schämen, Herr?
Stimme: Luzifer – es ist die Aufgabe eines Gottes, eine W e l t zu schaffen – aber nicht ein Marionettentheater. Eine Welt – verstehst Du! Eine Welt a u ß e r mir – die nicht entstehen könnte, wenn nicht ich sie schaffe – und die dennoch, wenn sie geschaffen ist, ein Eigenes ist. Etwas, das mir gleicht, nicht, weil es ein Schatten von mir ist – sondern weil es ein
Gegenstück zu mir ist. Etwas, das mich nicht lieben m u ß , aber das mich lieben k a n n – etwas, das mich loben k a n n, aber das mich. nicht loben m u ß !
Stimme: Herr – ich beginne das Problem zu sehen. Darf ich darüber nachdenken?
Stimme: . Luzifer – ich verlange mehr von Dir. Ich verlange es nicht – ich bitte Dich darum.
Stimme: Gott bittet?
Stimme: Ja. Denn das, worum ich Dich bitte, ist das Schwerste, um das je gebeten worden ist,
Stimme: Herr – ich werde Deine Bitte erfüllen, was es auch sei.
Stimme: Würdest Du das mathematische Universum vernichten, wenn ich Dich darum bitte?
Stimme: Herr! (Pause) Aber -ich würde es tun.
Stimme: Würdest Du Dich auch selbst vernichten» wenn ich Dich darum bitte?
Stimme: Ja, Herr!
Stimme: Würdest Du m i c h vernichten, wenn ich Dich darum bitte?
Stimme: Herr, das ist nicht Dein Ernst!
Stimme: Wenn es mein Ernst wäre, würdest Du es dann tun?
Stimme: Würdest Du mir erklären, warum ich Dich vernichten sollte?
Stimme: Du hast recht. lch kann nicht zugleich Auflehnung und blinden Gehorsam verlangen. Es ist das alte Problem der Gegensätze. Hör zu, Luzifer: Der Fehler meiner Schöpfung ist, daß es nur einen Schöpfer gibt – nur ein Wort, das gilt – nur einen Plan, der alles beherrscht.
Stimme: Wenn ich Dich vernichten würde, wäre damit nichts geholfen.
Dann wäre i c h allein.
Stimme: Du hast recht. Wir müssen beide an dieser Schöpfung mittun
– aber nicht miteinander, sondern gegeneinander.
Stimme: Gegeneinander?
Stimme: Gegeneinander. Immer, wenn ich einen Plan habe, mußt Du einen Plan für das Gegenteil schaffen – wenn ich etwas schaffe, mußt Du es vernichten – wenn ich etwas kühl mache, mußt Du es erhitzen – wenn ich etwas ordne, mußt Du es verwirren.
Stimme: Herr, das kann ich nicht!
Stimme: Doch – Luzifer – Du kannst es. Du als einziger von allen. Du kennst mich wie keiner sonst von ihnen – Du allein kannst meine Pläne durchkreuzen; Du allein kannst Gedanken fassen, die genau so stark sind wie meine – Du allein kannst Welten schaffen, die nicht aus meinen Gedanken stammen – und DU ALLEIN BIST STARK GENUG, GENAU SO EINSAM ZU SEIN WIE ICH.
Stimme: Herr – ich weiß, ich habe mich oft vermessen. Ich sehe es jetzt. Du hast mich geprüft, und Du hast mir meinen Fehler gezeigt. Strafe mich, mach’ mich zum untersten Deiner Diener – aber beende jetzt die Prüfung.
Stimme: Luzifer – das ist keine Prüfung. Es ist mein Ernst.
Stimme: Herr, das kannst Du nicht wollen. Dein Plan ist vollkommen. Ich kann ihn nicht stören.
Stimme: Mein Plan ist nicht vollkommen. Deine Störung kann ihn vollkommener machen.
Stimme: Oder unvollkommener.
Stimme; Glaubst Du das?
Stimme: Nein – oder ja – ach Herr, Du quälst mich!
Stimme: Ich quäle Dich nicht mehr als mich selbst.
Stimme: Warum quälst Du uns beide?
Stimme: Nicht ich quäle – ich werde gequält. Wenn ich Dir sage, daß Du meine Qual lindern kannst, würdest Du es dann tun?
Stimme: Ja, Herr!
Stimme: Dann tu’, worum ich Dich bitte: Geh und verlaß’ mich, bekämpfe mich, vernichte mich, wenn Du es kannst – bau’ ein Universum auf, das mich verhöhnt, eines, das mich besudelt, eines, das mich gar nicht kennt – tu’ immer das andere, das Gegenteil, sei immer der Anwalt der anderen Möglichkeit – und erlöse mich so von der Qual, all das selbst zu wollen und nicht zu können!
Stimme: Und wenn ich siegen sollte?
Stimme: Keiner von uns wird siegen. Keiner von uns wird unterliegen. Siegen wird ein drittes.
Stimme: Ein drittes?
Stimme: Unsere Schöpfung, deren Diener wir beide sind.
Stimme: Und ich dürfte Dir nie mehr nahe sein? Nie mehr zu Dir sprechen? Nie mehr Deinen Worten lauschen? Dich nie mehr lieben?
Stimme: Wir werden uns sehen. Wir werden miteinander sprechen. Und – ich werde Dich immer lieben, Luzifer. Am meisten, wenn Du mich am schwersten triffst.
Stimme: Und ich? Kann ich Dich denn lieben, wenn ich Dich vernichten soll?
Stimme: Luzifer – ich weiß es nicht. Vielleicht wirst Du lernen, mich zu hassen, vielleicht wirst Du lernen, mich trotz alledem zu lieben. Es ist das größte Experiment, das je gewagt wurde – frag’ mich nicht nach dem Ausgang. Luzifer?
Stimme: Ja, Herr?
Stimme: Luzifer – willst Du tun, worum ich Dich bitte?
Stimme: Herr, wenn Du es willst, und wenn Du mich darum bittest – ich will es tun.
(Pause)
Und dies ist also das letzte Mal, daß ich Deinen Willen tue.
Stimme: (sehr leise) Luzifer – Verzeih mir – verzeih mir – – –