Eine Hommage an eine Frau mit vielen Namen

Kategorie: Persönliches

Informationen über die Person, die auch HEKATE war

Ruhrpott-Abenteuer (1958)

Anm. Jula: das ist keine Geschichte, sondern Hekate beschreibt ein Romanprojekt und analysiert sie aus Sicht der Autorin in verschiedenen Ebenen (Plot, Vermarktung, Crossdressing)

Dieses Abenteuer begann zunächst im Weltraum.

Da hatte sich nämlich plötzlich – ausgerechnet in der Kuppel des Blauen Salons auf dem Luxus-Raumliner OMEGA III – ein Stagmid gezeigt: was er eigentlich gar nicht durfte, denn nach Meinung aller Experten (wie etwa des Professors der intergalaktischen Kulturgeschichte Paran Ingor) waren Stagmiden – rätselhafte Weltraum-Phänomene in Gestalt einer schwarzen Kugel mit zwei meterlangen Ästen, die intensive Ultrakurzwellen ausstrahlen konnten – seit Jahrhunderten ausgestorben. Dieser hier war es offenbar nicht, was zu aufgeregten Reaktionen führte – umso mehr, als es schien, ein Rebell habe ihn an Bord geschmuggelt, um so einen unbekannten Agenten des Mutterplanetensystems Sol unschädlich zu machen.

Aber Job Ingor – Paran Ingors gerade frisch von der Akademie gekommener Sohn – hat dazu seine eigenen Gedanken: denn sein persönlicher Roboter Robert C hatte von Kollegenrobotern erfahren, daß sie im Auftrag Parans heimlich eine Kiste mit Altertümern aus den Ausgrabungen seines bestgehaßten Kontrahenten Glohun stibitzt und an Bord der OMEGA III gebracht hatten – und in solchen Altertümern scheint Glohun Stagmiden verborgen zu haben (weil er in Wirklichkeit der Kopf jener Rebellion ist). Was aber schlicht und kurz bedeutet, daß gar nicht Glohun dem Stagmiden an Bord geschmuggelt hat – sondern (wenn auch nur aus versehen) der höchst ehrenwerte Professor Paran Ingor selbst: und da ehrenwerte Professoren kaum Rebellen-Kisten klauen, bleibt Job nur der Schluß, daß offenbar sein Vater selbst der gutgetarnte Geheimagent von Sol sein muß…
Was dieser sogar auch zugibt – aber als ihm Job begeistert seine Unterstützung anbietet, belehrt er ihn nüchtern, hier gehe es nicht um irgendein Detektiv-Spiel, sondern um höchste weltraumweite Politik, für die er – so gescheit er sein möge – in seinen Jahren noch nicht das Format habe: am besten sei er deshalb für die nächsten 24 Stunden in seiner Koje aufgehoben…

Wenn sich an diesem Punkt – so war zumindest meine Überlegung – nicht jedem begeisterten jugendlichen Science-Fiction-Fan entrüstet die Nackenhaare sträubten und er fieberhaft hoffte, Job werde nun einen Weg finden, genau das Gegenteil zu beweisen: dann kannte ich die Leserschaft der Zukunftsromanhefte des Pabel-Verlags schlecht.

Um Himmelswillen nicht so anspruchsvoll wie in meinen ersten Kurzgeschichten – die immerhin mehrfach als “beste” der jeweiligen Utopia-Magazine abgeschnitten hatten – solle ich bitte diesmal schreiben, hatte mir der Herausgeber eingeschärft: bloß hübsch spannend und abenteuerlich. Um meinen Ruf als hochkarätiger SF-Autor brauche ich mir dabei keine Sorgen zu machen – denn solche Heftromane würden sowieso immer unter verlagseigenen Pseudonymen erscheinen (im diesem Falle: “Roy Chester”): dafür gebe es aber hier auch – statt der 30,- bis 50,- für Kurzgeschichten im Spezialmagazin – dank der höheren Auflage 500,- Mark Honorar; das entsprach immerhin einem halben Brutto-Monatsgehalt meiner damaligen Stellung als Assistent in der Werbeabteilung eines Stahlkonzerns – und noch dazu als Nebenverdienst ohne Steuerabzüge! – dafür konnte man, fand ich, schon mal (und sei es auch nur als Handübung) mehr fürs “breite Publikum” schreiben:

es war fast wie im Karneval, wo man treiben konnte, wozu man Lust hatte, weil einen unter der Maske sowieso niemand erkannte – aber wozu hatte ich denn nun hier mal Lust? Den rätselhaften “Stagmiden” hatte ich – nach Form und Eigenschaften – (tatsächlich!) aus einem Traum übernehmen können, den ich mal als Student der Physik gehabt hatte (deswegen seine “Dipol-Strahlung); den gescheiten, aber noch nicht recht für voll genommenen Job hatte ich mir als Identifiktionsfigur für die vermutlichen Leser konstruiert; aber was, das er jetzt anstellen könnte; würde denn nun mir ganz persönlich gefallen?!
Wer Fräulein Anima von 1940 kennt, ahnt es schon: wäre es nicht herrlich, einem Verlag, der mir in einer Story die sex-triefende Passage

“So war es kein Wunder, daß ich als erste an der Schachtmündung ankam. Es war auch gut so, denn der Anblick einer gutgewachsenen Frau in Büstenhalter und Schlüpfer am Ort einer Katastrophe ist, wie ich annehme, ungewöhnlich und auch ablenkend.”

aus Rücksicht auf Jugenschutzparagraphen gestrichen hatte (doppelt hintersinnig, weil die ganze Story durch eine frauengestaltige Roboterin erzählt wurde!) – also diesem Verlag nunmehr mit der harmlosesten Miene der Welt ein ganzes Romanheft hindurch ein Crossdressing-Abenteuer unterzujubeln?!

Sorgfältig brachte ich die nötigen Elemente in Position: erstens sieht Job zufällig eine Liste der bei der Panik im Blauen Salon Verletzten – auf der unter vielen anderen Namen auch eine “Sheila Keith, Journalistin, Rippenbruch, keine Lebensgefahr” steht [noch ahnt niemand was Arges] – zweitens beschreibt Job, wie er beim Rhetorik-Dozenten der Akademie, der ihm in der Theatergruppe wegen seiner schlanken Figur oft Frauenrollen aufhalste, wenigstens gelernt habe, wie man in Ohnmacht fällt: was er benutzt, um in seiner Kabine so elegant gegen das Gitter des Ventilationsschachts zu fallen, daß er durch das lose Gitter plötzlich in diesem Schacht verschwinden kann, bevor sein Vater die List duchschaut hat [führt noch immer irre] – und drittens landet er nach einer Odyssee durch staubige Schächte in einem eleganten Appartement, wo ihn eine einspurige Robot-Zofe mit “Gnä Frau wünschen? Zum Tee empfiehlt sich heute dies Modell Ynial, Kelchform, mit aparten Glanzeffekten – “ empfängt [merkt der Leser noch immer nix?] – aber erst als der treue Robert C, der Signale über Jobs Schacht-Abenteuer aufgefangen hat, in dem Appartement auftaucht, wobei Job erfährt, daß dieses ausgerechnet der (immobiliserten) Journalistin Sheila Keith gehört, kommt ihm plötzlich die Erleuchtung, wie er sich jedermann ausfragend unerkannt durch die ganze OMEGA III bewegen könnte:

“Stop, Fräulein Zofe: Ich wünsche das Kelchkleid zum Tee – und die ganze übrige
Kriegsbemalung einer gnädigen Frau!”

(wobei ich die Crossdresserei noch potenzierte, indem er auch noch das Gehirn seines Robert C gegen das der Robotzofe austauscht, damit der ihm nun in Zofenform nachtrippeln kann – während die Ärmste mit Roberts Gehirn zurückbleibt, das Job, um Nachfragen zu stoppen, mit “Paß auf: an dem, was ich jetzt sage, ist kein wahres Wort! Stimmt’s ?” zeitweilig hoffnungslos paralysiert hat… ]

Von da an verknotete sich die Handlung – in der außer Paran Ingor auch noch ein alter Raumschiffer, der in Wirklichkeit ein junger Rebell war, ein windbeuteliger Außenminister, die Kommandantin der OMEGA III und deren undurchsichtiger Manager auftauchten – fast mühelos immer weiter: bis zu dem Punkt, wo Job unversehens der wirklichen Sheila Keith (die nur irrtümlich als verletzt gemeldet worden war) in die Arme läuft und sich mit ihr um Presseausweis und Zofe zu streiten beginnt …

Womit der berüchtigte Punkt jeder frei zusammenfabulierten Handlung erreicht war, wo man sich endlich ernsthaft Gedanken darüber machen muß, wie man denn nun das interessante Durcheinander all dieser Handlungsfäden um Himmelswillen zu einer ebenso logisch einwandfreien wie dennoch überraschenden Lösung führen will ?!

Dazu hätte ich am jetzt vor mir liegenden Wochenende Zeit gehabt. Meine Frau war schon seit Beginn der Woche – mit den beiden Kindern und ihrer Schwester – zu einer Kur ins Bayrische gefahren; ich hatte im größten Topf, den ich der Küche finden konnte, eine Bechamelsoße bereitet und viele Scheiben Pellkartoffeln hineingeschnitten, was jeweils portionsweise erwärmt mit Rote-Beete-Salat als Beikost die Mittagessen sicherstellte; das ganze bisherige Manuskript hatte ich nochmal von Anfang an durchgelesen – es gefiel mir alles bis hierhin durchaus – bloß die erlösende Intuition wollte sich nicht einstellen. Genauer gesagt: ich war irgendwie mehr neidisch auf den schlanken Job, der da nach Herzenslust mit Kelchkleid und Zofe herumschwänzeln konnte, während ich mir bloß den Kopf über seine Abenteuer zerbrechen mußte.

Aber – wieso eigentlich? Vielleicht – flüsterte Fräulein Anima raffiniert – fehlte mir für den entscheidenden Einfall irgendeine praktische Erfahrung? Noch, redete sie mir ein, diese Idee nur ganz unverbindlich erwägend, zog ich erst einmal meine Büro-Kluft aus, rasierte mich nochmal und stieg in ein schönes angenehm warmes Bad. Und im Bademantel inspizierte ich dann mal Schränke und Schubladen:
hm – da war eigentlich ja alles da, was man für solch ein Experiment brauchte – natürlich kein Kelchkleid Modell Ynial – aber BH und Hüfthalter und Strümpfe und Garnitur und Unterrock – das paßte, wie ich konstatierte, alles (wo nötig passend ausgestopft) erstaunlich gut, wenn man die grazile Figur meiner Frau bedachte – Schuhe? Die waren unter Garantie zu klein (36 oder weniger – sie hatte Probleme genug, in den Größen überhaupt was einigermaßen Elegantes zu finden und nicht nur Kinderschuhe) – aber zum Glück hatte meine Schwägerin ein Paar herzlich ausgetretene Trotteurs bei uns stehenlassen: paßten (und kein Problem mit zu hohen Hacken). Kleid? Na ja – etliche zu knapp, aber ein ziemlich biederes Hausfrauenkleid mit grünem Schottenkaro und plissiertem Rock saß, aus welchen Gründen auch immer, wie angegossen.

So weit, so gut: jetzt hätte ich ‘ne Robotzofe gebraucht, die mich raffiniert schminkte und mir – wie Job im Weltraum – eine von -zig “metallisch schimmernden Perücken” zur Wahl anbot! Statt-dessen experimentierte ich also so gut ich konnte mit Puderquaste und Lippenstift – sah am Ende gar nicht so schlecht aus: aber die Frisur! Wir hatten ja nun nicht mehr die Garconne-Schnitte der Golden Twenties – einen Hut könnte ich aufsetzen, der den größten Teil des Haars abdeckte – und dann vorn so rechts und links zwei dicke Strähnen herausholen und geschwungen wieder unter die Hutkrempe stecken: nun, das sah gar nicht so schlecht aus – erst recht, als ich noch das Paar großer dreieckiger Metall-Ohrringe, das ich mir mal gekauft hatte, dazunahm – bloß daß keine vernünftige Frau einen solchen Hut im Haus zu so einem Kleid aufsetzte?!
Logische Konsequenz: dazu gehörte auch ein Mantel. Und da hatte ich ja meiner Frau einen todschicken cremegelben Gabardine-Hänger mit schwarzen Paspeln gekauft, den sie aus irgendeinem Grunde nicht mit auf die Reise genommen hatte – und der stand auch mir zu dem Hut ausgezeichnet. Nur die nächste Konsequenz: eine solche Aufmachung gehörte offenbar nicht in die Wohnung, sondern auf die Straße!
Hm – jetzt begann die Sache ja langsam abenteuerlich zu werden.

[Fortsetzung: folgt!]

(Anm. Jula: …leider nicht!)

HEKATE – „Senior“ plus „Seniorita”

Interview mit einem eigenwilligen Alt-Crossdresser

Unter dieser Überschrift ist ein Interview mit meiner lieben, klugen Freundin Hekate in dem Buch „Geliebtes alter Ego“ von Daggi Binder erschienen, zu dem Hekate ein lesenswertes Vorwort geschrieben hat.

Mein geliebtes alter ego

Cover des Buches von Daggi Binder

„Welche Freude, wenn es heißt:
Alter, du bist alt an Haaren,
blühend aber ist dein Geist!“
(Lessing, Die 37. Ode Anakreons)

FRAGE: „HEKATE” – das klingt sehr altertümlich ?

HEKATE: Durchaus mit Absicht! Denn da gab es bei Robert Graves – das war auch der mit „Ich, Claudius, Kaiser und Gott” – eine faszinierende These zu den griechischen Mythen: Einst, In der übergangszeit vom Matriarchat zum Gottkönigtum, durfte der Prinzgemahl der herrschenden Mondpriesterin sie bei bestimmten Riten vertreten – aber nur, wenn er ihre geweihten Roben anlegte! Und die „Hekate” der Griechen war eine direkte Nachfolgerin der uralten Mondgöttin.

Hekate

F.:Also eine Art Schutzpatronin Deines Crossdressing?

H.: Ja – es passt alles so schön: geboren bin ich im Zeichen des Krebses, das traditionell der (als weiblich geltende) Mond beherrscht – doch der stand da genau in Opposition zur (männlichen) Sonne. Die griechische Hekate konnte „zwischen den Welten reisen” – gerade so wie ich! – und wurde dreigestaltig dargestellt: als zarte Maid, reife Frau und alte Vettel – und ich hab mich meiner Mutter zum ersten Mal, allerdings schon als „femme fatale”, mit 12 Jahren präsentiert, die meisten meiner Damenbilder zeigen mich mit 40 bis 45 Jahren, doch heute bin ich 77…

F.: Noch immer „aktiv”?

H.: Dazu nachher mehr – der Name soll zudem aber andeuten, dass ich eben keine „KISS-ME-KATE” bin, sondern eine „HE-KATE”! Ich frag mich oft, warum andere Crossdresser kaum analog „doppelbödige” Namen wählen – o.k., eine „Schöne HE-LENA” wär vielleicht etwas happig: aber, um mal bloß bei A zu bleiben, warum keine „ERANITA”, „ERANNY” oder „ERANNETTE”?

F.: Also „Gleichberechtigung” des Männlichen schon im Namen?

H.: Warum nicht? Ich verstünde zwar voll , wenn unsere „verwunschenen Prinzessinnen”, die Transsexuellen, nach ihrer „Erlösung” jede Erinnerung an den einstigen „Mann” auslöschen wollten. Aber warum sollten Crossdresser, die stolz darauf sind, sich ihres „weiblichen alter ego” nicht mehr zu schämen, nun andererseits ihr „männliches alter ego” wie etwas beinahe Ehrenrühriges verstecken? Ich z.B. hab als Manager und Freiberufler, Gatte und Vater traditionell „männliche Rollen” ebenso freudig ausgefüllt, wie ich dazwischen gern „Hekate gespielt” habe! Mir hat an dem Projekt hier von Anfang an imponiert, dass alle Teilnehmer ihre in beiden „Versionen” gleich offen präsentieren – in der Tat gehören ja auch beide zu unserer Persönlichkeit!

F.: Deshalb „präsentierst” Du Dich sogar gern auf dem gleichen Bild als Frau und als Mann – wie nebenan als „Diskussions-Partner”?
Animagie

Doppelte Hekate auf dem Titelbild des wundervollen Animagie-Dialoges, der hier als Download zu finden ist.

H.: Dort sollte das zwar zwei ganz bestimmte Typen „portraitieren” (wobei der weibliche davon nicht unbedingt mein „Ideal” war!). Aber ich gebe gern zu, meine beiden „alter egos” mögen einander – besonders nachdem ich vor vielen Jahren Witwer wurde – sehr gern: wofür die einige Psychologen eine neue grässliche Perversion erfunden haben, die „Autogynephilie”! Das Seltsame dabei ist nur: wenn die beiden „egos” einander im Gegenteil partout nicht ausstehen könnten, wäre das zwar keine Perversion, aber dafür eine Psychose – kurz verliert und lang bezahlt!

F.: Bei Dir weiß man oft nicht, wo der Ernst aufhört und der Spaß anfängt?!

H.:Oder umgekehrt – beides wie im Leben auch! Das gilt z.B.: von dem, was ich „den Mut zum schiefen Maul” nennen möchte: wie oft wollen wir doch bitterernst auf Fotos so „schön” oder „sexy” wie möglich wirken – aber wenn auch Regisseure fest zu glauben scheinen, in komische Situationen gerieten prinzipiell nur dicke oder schinakelige Frauen – das Leben lehrt, dass auch hübsche Mädchen oder schöne Damen mal ausrutschen und hinfliegen oder sonst was Groteskem zum Opfer fallen können: und ich habe es immer für den wahren Test meiner eigenen Fähigkeiten gehalten, selbst dabei noch immer möglichst „weiblich“ zu wirken und nicht wie ein „verkleideter Mann“. Warum trauen sich nicht mehr Crossdresser, öfter auch mal solchen Ulk auszuprobieren? Da könnte vielleicht vieles netter, lustiger und natürlicher wirken als in der 137. „Model“-Pose …

F.:Aber Du wolltest noch verraten, ob Du auch heute noch „crossdresserisch” aktiv bist?

H.: Von einem berühmten japanischen Kabuki-Schauspieler wurde erzählt, er habe sich erst im hohen Alter reif genug gefühlt, graziöse junge Mädchen ideal darzustellen. So talentiert fühle ich mich nicht: wenn ein Jubelgreis sich als alte Schachtel oder gar als Spätlese-Teenager herrichten wollte, muss nicht mehr unbedingt ein Kunstwerk herauskommen – auch wenn er das noch immer möchte! Als ich 70 wurde, hab ich das Problem mit meinem „geliebten Alter Ego” durchgesprochen – und es sagte mir: Schau – in der Lebensmitte hatten wir zwar zusammen eine schöne Zeit – aber eine schöne Jugend hab ich, in Drittem Reich, Krieg und Nachkriegszeit, nie gehabt ! Doch jetzt gibt’s Computer, Bildbearbeitung und wunderschöne Programme zum Testen von Make-up und Frisuren – warum „creierst” Du mir damit nicht, aus Deinen Jugendfotos, nachträglich das „ideale Jungmädchen-Leben”, das wir versäumt haben?!

F.: Also „virtuelles Crossdressing” am Bildschirm?
Junge Hekate

In der Oper

Hekate als Mädchen

H.: Ich weiß, dass „ge-fake-te” Bilder bei den meisten Crossdressern nicht hoch im Kurs stehen (verständlich, falls einer Pfunde wegschwindeln will, indem er seinen Damenkopf auf den Körper der „Miss Universum” setzt!) -aber hier ist das doch etwas anders: da wird ein Stück Lebensgeschichte „rekonstruiert”, die möglich gewesen wäre – ähnlich,. wie wenn z.B. ein Autor eigene „Jugend-Möglichkeiten” in einem Roman durchspielt: das würde man kaum ein „fake” nennen – sondern eher „creative Umsetzung”!

F.: Wäre das auch Deine Empfehlung für andere Crossdresser im Alter?

H.: Götter, wer bin ich, anderen was zu „empfehlen”?! Immer älter werden wir zwar alle – aber fertigwerden muss damit jede(r) auf seine eigene Art!

Für mich jedenfalls war meine durchaus erfolgreich: etwa konnte ich so bei einer sehr lieben Verwandten (einer keineswegs verklemmten, aber von Natur eher keuschen Jungfrau-Geborenen – das gibt’s) nach vielen Jahrzehnten endlich mein weibliches Alter Ego „outen” – als „virtuelles Schwesterchen” nahm sie es sofort in die Familie auf: ja als ich ihr jüngst zum 91. Geburtstag eine Karte ausdruckte, auf der gleich vier unterschiedliche solche Schwesterchen ihr im Reigen gratulierten, ging diese im Kreis der eingeladenen alten Damen von Hand zu Hand – und alle fanden den Einfall und seine Ausführung „entzückend”: auch ein kleiner Sieg auf dem Weg zu Akzeptanz des Crossdressing!

F.: Hekate – vielen Dank für Deine Anregungen und dies Gespräch!

HEKATES Abschied vom Forum

Anm. Jula: bereits im Krankenhaus liegend übermittelte Hekate diesen Text über ihre Freundin Elle an die Forist*innen

Hekates Communiqué an die Gemeinde « am: 29. August 2007, 01:07:00 am
Folgende Zeilen hat mir Hekate heute in die Feder gesprochen…

Liebe Gemeinde,

erst jetzt komme ich endlich dazu, Euch einmal persönlich anzusprechen, nachdem ihr Euch in der Zwischenzeit mit Communiqués von Freundinnen begnügen mußtet.

Da ich nichts davon halte, Dinge zu verschönern, die nicht besonders schön sind, hier kurz und brutal die Sachlage: Ich habe ein inoperables Karzinom in der Lunge, das nicht auf Bestrahlung und -wie wir inzwischen wissen- auch nicht auf Chemotherapie anspricht. Die weitere Entwicklung ist dem Schicksal überlassen.

Dies ist keine Tragödie, mitten aus dem vollen Leben heraus gerissen zu werden, auch wenn man noch viele Dinge vor sich hat. Ich hatte ein langes, schönes und in vielem auch erfolgreiches Leben, das ich Jedem von Euch auch gönnen würde.

Ein Schock, wie beim Kaninchen vor der Schlange ist überflüssig, so etwas mag es geben, wenn man mitten aus einem aktiven Leben haraus gerissen wurde. Mit neunundsiebzig Jahren kann man sich damit abfinden, den Rest in Ruhe zu erleben. Ich freue mich, daß mir meine letzten Jahre noch Gelegenheit gaben, so viele liebe Menschen wie Euch kennen gelernt zu haben und vielleicht dem Einen oder Anderen noch eine Freude gemacht zu haben und will versuchen, dem Wahlspruch meines Lieblingsautors Curt Goetz nachzueifern:

„Das Höchste wäre es, mit Humor sterben zu können.“

Ob es mir gelingt, weiß ich noch nicht, werde mir aber Mühe geben.

Die Zeit, die mir noch bleibt, werde ich versuchen, zusammen zu tragen, was Euch und uns von Nutzen sein kann. Um einem das Leben nicht unnötig schwer zu machen, hört sich gut an, ich habe nur meinen Zweifel, ob dies von Erfolg gekrönt ist.

In diesem Sinne übergebe ich Euch das nicht gerade vollständige, teilweise skandalöse, aber zum Teil auch vielleicht für Manche nützliche Vermächtnis der

ollen Hekate

Antwort #1

Deine Hellsichtigkeit und Dein unpathetischer Ton machen die Nachricht nicht weniger traurig, auch wenn Du es uns leichter machen möchtest.

Insoferne hoffe ich, da ich ja nicht glaube, auf einen Zufall, einen Irrtum, eine Laune der Natur, die Dir plötzlich doch weiteren Aufschub, mehr Kredit, vielleicht bloß mehr Überzugsrahmen gibt. Das Schicksal hat ja keinen Witz, aber hin und wieder feinen (?) Humor…

Was immer nun gewünscht werden kann, wünsche ich Dir, Hekate, vor allem aber, daß Du Deine bewundernswert würdige Weise nicht zu verlieren brauchst, was auch kommen mag.

Mit Kotau, C

[fett| ]

Antwort #2

Hekate!

Ich finde die Zeilen aus deinem Munde großartig, wenn nicht sogar grandios. Ich hoffe, dass du dir diese entspannte Haltung bis zum Schluss aufheben kannst, das es geht habe ich schon miterlebt. Mach das was dir Spaß macht und ärgere die Zivis und Schwestern nicht so doll!

Gute Reise und weiche Landung!
wünscht
Die Sarah :*

Antwort #3

Mach keinen Mist, Hekate! Kannst dich doch hier nicht einfach so davonstehlen wollen. Nee, nee, das geht nicht; schließlich wirst du hier noch gebraucht.

Ohne deine hilfreiche Hand kommt der Schüttelreimthread gar nicht weiter, und deine klugen Ausführungen fehlen in allen anderen Threads auch. Also reiß dich zusammen und beehre uns weiter mit deiner Weisheit!

Aber egal, was du planst oder wozu du gezwungen wirst: behalte deine Gelassenheit. Dein Weisheit wird dich ohnehin nie verlassen!

Cyrano, ein Fan…

Antwort #4

schön, daß Hekate einen Gruß für Alle hat. Es waren ja schon Einige bei ihr zu Besuch und manche nahmen und nehmen sogar ne lange Anfahrt in Kauf.

Hoffentlich schafft Hekate es öfter uns von Zeit zu Zeit mit ihren zauberhaften Nachrichten zu erfreuen.

Gibt es eine bessere Form mit dem Leben fertig zu werden, als mit Liebe und Humor? (Charles Dickens) Wenn man dem dicken Charles glauben kann (ich tus) dann ist Hekate auf dem richtigen Weg

Antwort #5

Hallo Hekate,

ich hoffe wir lesen noch viel von Dir, auch wenn die Zeit davon tickt.

Vielen Dank auch noch für die Fotomontagen die Du mir seinerzeit geschickt hast. ich hab Sie immer noch.

Liebe Grüße Anna

Antwort #6

Die von Cristin angesprochene Würde ist etwas, was ich an Dir, liebe Hekate, in der Tat bewundere – neben dem Sinn fürs Geschriebene im Verbindung mit einem gewissen Augenzwinkern.

Ich freue mich auf Deine Beiträge!

Vanja

Antwort #7

Ohje.. Ich weiß gar nicht was ich hier schreiben kann, da ich eigentlich mehr die niemals ernste Spaßtranse bin. Aber diesen Beitrag zu ignorieren kann ich auch nicht. Ich wünsche dir einfach mal für jeden Tag einen neuen Geburtstag! Auf dass du noch viele Geburtstage feiern wirst

Alles liebe Jessica

Zitat von ﻪﺟاﻮﺧ ﻦﯾﺪﻟاﺲﻤﺷ ﺪﻤﺤﻣ ﻆﻓﺎﺣ یزاﺮﯿﺷ : Über Sein und Nichtsein sei Kummerlos und sorgenfrei; Denn von jedem Sein, wie hoch, ist Nichtsein das Ende doch. (aus dem Persischen von Friedrich Rückert)

Antwort #8

Hallo Hekate,

Dein beredtes Stillschweigen über einen längeren Zeitraum war für mich in letzter Zeit Anlass genug um mir Sorgen zu machen. Und wie recht ich hatte lese ich – leider – aus deinem Communiqué.

Wir beide sind ja – wie Du weißt – altersmäßig nicht allzuweit von einander entfernt. Ich sehe mit großer Erleichterung, dass Du mit Dir und dem was auch immer vor Dir liegt im Reinen bist.

Ich grüße Dich mit großer Hochachtung vor Deiner beispielhaften Kraft.

Herzlichst Claudia

Antwort #9

hallo Hekate, wie die richtigen worte finden? darüber zerbreche ich mir seit gestern den kopf. gibt es überhaupt die richtigen worte ? bestimmt! ich wünsche dir für den rest deiner zeit alles gute, viel kraft und stärke und vor allem liebe freunde die dich begleiten, lieben und unterstützen. verliere nie den glauben und behalte bis zuletzt deinen wunderschönen humor, der uns so sehr erfreut und verzückt. im moment ist mein herz ganz bei dir.

diana becks

Antwort #10

Nur zwei Dinge

Durch so viel Form geschritten, durch Ich und Wir und Du, doch alles blieb erlitten durch die ewige Frage: wozu?
Das ist eine Kinderfrage. Dir wurde erst spät bewußt, es gibt nur eines: ertrage – ob Sinn, ob Sucht, ob Sage –dein fernbestimmtes: Du mußt.
Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere, was alles erblühte, verblich, es gibt nur zwei Dinge: die Leere und das gezeichnete Ich.
Gottfried Benn

Antwort #11

Hallo,
Hekate hat heute von ihrer Tochter die hier versammelten Antworten auf ihre Worte überbracht bekommen. Sie hat sich riesig gefreut, wie sie sich auch über weitere Worte (und auch den einen oder anderen zukünftigen Besuch) freuen wird…

Herzlich,

Elle+++

Antwort #12

Bin jetzt endlich mal dazu gekommen, diesen Thread durchzulesen und fühle mich schmerzlich an meine Mama erinnert Ich wünsche Dir, liebe Hekate, auch wenn ich Dich nicht kenne, eine gute Landung, viel Liebe, und sag bitte meiner Mama, daß ich sie vermisse und ganz doll lieb habe.

Mehr kann ich momentan mit Kloss im Hals und verweinten Augen nicht sagen.

Liebe Grüße Die Orientalmaus

Antwort #13

Zitat von: Cyrano am 29. August 2007,16:38:50 pm […] Ohne deine hilfreiche Hand kommt der Schüttelreimthread gar nicht weiter, und deine klugen Ausführungen fehlen in allen anderen Threads auch. Also reiß dich zusammen und beehre uns weiter mit deiner Weisheit! […]

Liebe Hekate, ich kann mich meinen Vorrednerinnen und Vorrednern nur anschließen. Ich wünsch dir alles alles Liebe und Gute. Und wie Cyrano schon geschrieben hat … der Schüttelreimthread stagniert ein wenig. Ich mein´ ich bin auch ganz gut darin Auf alle Fälle mal besser als die anderen Mädels und Jungs hier im Forum . An deine Klasse reiche ich natürlich nicht ran. Insofern muss ich noch ein wenig in deine „Schule“ gehen und noch fleißig lernen … also erst mich noch ein wenig in Sachen „Schüttelreim“ unterrichten … und dann sehen wir weiter. Ich halte die Augen offen hier im Forum nach deinen grandiosen Beiträgen

[fett|Antwort #14]

Antwort #14

Also Frau Hekatner,
so geht das nicht … so nicht, gell!

Sie sind anscheinend net in der Lage die zur Gesundung geforderten 31.487 Millionen male ihr „Hecki Hecki Patang“ vernünftig aufzusagen. Stattdessen lassen sie sich vom Salber einen quacken und verfassen moribunde Communiqués.

Als 2. Beischläferinsitzerin des örtlichen Gesundsprechvereines kann ich ihnen nur raten, solch ein lächerliches Karzinömschen umgehend unter den Tisch zu trinken. Wenn die Abbarätschens des ihnen zugeteilten Kassenarztes versagen, hülft nur Hülfe zur Selbsthülfe. Geben sie dem vermeintlichen Schicksal einen ordentlichen Tritt in den Anus, damit es sich seiner Verantwortung bewusst wird und schauen sie mit starrem Blick nach vorne … dorthin wo die Tafel mit der Aufschrift „Tumor ist, wenn frau trotzdem lacht!“ hängt.

Ich schlage vor, dass ich die Sache einmal persönlich mit ihnen anlässlich meiner Nemberch-Vorortseiung am 22.9. bespreche. Bitte teilen sie ihren flinken Heroldinnen mit, ob meine Anwesenheit erwünschet sei.

Wokommerdenndasonsthin … Frau Babsner

Anspieltip: „You only live twice“ – Nancy Sinatra

Antwort #15

Liebe Hekate,

ich bin froh, daß wir uns noch kennen lernen konnten. Du hast mich sehr beeindruckt:

Dein interessantes Leben, Deine Anima und wie Du mit ihr umgegangen bist, Deine tollen/wissenschaftlichen/unterhaltsamen/lehrreichen/… Texte, Deine Lebensweisheit und vor allem Dein Geist und Humor.

Du bist ein großes Vorbild und wirst mir fehlen, ich werde Dich nicht vergessen und unsere Sache weiter vorantreiben.

Nach meinem Eindruck hast Du Deinen Humor, trotz Deiner Situation, nicht verloren. Ich bin mir sicher, daß Du Deinen Humor auch nicht verlieren wirst.

Ich wünsche Dir alles Liebe und Gute sowie noch eine schöne Zeit, laß es Dir richtig gut gehen.

Viele liebe Grüße
Maya

Antwort #16

Hallo Hekate,

ich habe eine Weile gebraucht um zu wissen ob ich was schreiben soll oder nicht. Denn gerade dieses Thema weckt in mir einige schmerzhafte Erinnerungen an verluste von Menschen die ich sehr geliebt habe. Dazu kommt, dass wir uns nicht wirklich kennen außer von ein paar Threads hier im Forum.

Jedenfalls schicke ich Dir all meine Kraft, damit Du weiterhin mit Deiner momentanen Einstellung Dein Leben genießt. Wie gesagt ich habe schon ein paar Menschen begleitet und diejenigen die den Mut und die Kraft hatten sich davon nicht unterkriegen zu lassen haben gute Zeiten verlebt.

Mit tiefen und herzlichen Wünschen Jennifer

Anm. Jula: Hekate konnte das Forum nie mehr besuchen. Vom Krankenhaus übersiedelte sie in ein Hospiz, wo sie kurze Zeit später verstarb.

Um 1940: Anima regt sich

Vorab: 4 Absätze “Theorie”… [Auszug aus einem meiner Artikel]

Die “ANIMA” bildet oft die gegengeschlechtliche (und i.a. “unbewußte”) “Ergänzung” zu einem ( i.a. “bewußten”) völlig a n d e r e n “Seeleninhalt”:
nämlich der “PERSONA”, also dem “Bild”, der “Rolle” oder zuweilen sogar nur “Maske”, die ein Mensch nach außen hin gegenüber anderen “präsentiert” – und oft genug, weil stets die Gefahr besteht, in einer solchen Rolle “aufzugehen”, zugleich auch nach innen hin gegenüber seinem eigenen Ich:
anders gesagt, also jene Schnittstelle, an der Gesellschaft und Kultur entscheidend – und oft unheilvoll – in das Seelenleben des Individuums “hineinlangen” können.

So finden wir beim Mann oft eine einseitig und überzogen “männlich” geprägte “PERSONA”, die bei vielen Männern den Anspruch erhebt, ihre gesamte Persönlichkeit zu darzustellen, aber – gleichsam als “Opposition im Untergrund” dazu – eine (ohnehin vorhandene, aber in diesem Zusammenhang besonders wichtige) kompensatorische “ANIMA” als Vermittlerin all jener Aspekte, die er (bewußt oder unbewußt) “dem Weiblichen” zuordnet.

… und nun: die “Praxis”:

Großmeister in der Massenproduktion populärer “PERSONA”s für ganze Gruppen (“groß”)deutscher Menschen waren zweifellos die Nationalsozialisten. So hatten wir – als ich etwa 1940 zwölf Jahre alt war – direkt aus “Mein Kampf” die Deklaration des Führers, wie “Deutsche Jungen” zu sein hatten:
“Zäh wie Leder – flink wie Windhunde – und hart wie Kruppstahl!”

Das war unzweifelhaft klar und eindeutig. Und ebenso unzweifelhaft paßte in diese offenbar für deutsche Jungen verbindliche “PERSONA” nicht die Faszination der Vorstellung, sich irgendwann mal als schicke junge Dame anzuziehen! Wie war solch eine Idee bloß in meinen Kopf gekommen?!

Als Damen verkleideten sich – wußte ich aus Illustrierten oder Kriminalromanen – Knaben beim chinesischen Theater, Hochstapler und dergleichen Verbrecher oder zuweilen auch Detektive. Nun war ich weder ein Chinese noch ein Detektiv: war ich dann etwa vielleicht ein künftiger Verbrecher?
Abenteuerlich genug war ja eine solche Vorstellung schon:

[einsam, in Opposition zu Polizei, Recht, Ordnung und Konvention, geradezu richtig heroisch (paßte das etwa doch irgendwie zum gepriesenen Leitbild?! Aber: Heldentaten in Damenkleidung? Doch wohl fragwürdig!)]

  • andererseits allerdings auch ziemlich unbehaglich:
    [schon im 12. Lebensjahr unausweichlich zur Verbrecherlaufbahn bestimmt zu sein – von allen gejagt und am Ende doch entlarvt und erwischt zu werden: zumal ich ja eigentlich gar keine Lust hatte, jemand was Böses zu tun?]
    Allerdings – tröstete ich mich dann wieder – hatte sich selbst der typische Lausejunge Huckleberry Finn mal als Mädel verkleidet: und sogar untadelige Hitlerjungen hatten bei “Stadtgeländespielen” schon Mantel und Mütze ihrer Schwester angezogen, um so den Gegner unentdeckt auszuspionieren.
    Bloß – widersprach etwas in mir – träumten die bestimmt nachts nicht davon, und stellten sich auch nicht heimlich vor, mal wie eine richtig erwachsene junge Dame auszusehen! Nein: da war etwas zutiefst nicht in Ordnung mit mir, was mich anscheinend von all den normalen Jungen des Dritten Reichs unterschied: etwas “Dekadentes” (was immer das heißen mochte) – so wie ja auch, wie man uns immer wieder predigte, die Zeit von 1918 bis 1933, die “Systemzeit”, zu-tiefst “dekadent” gewesen war:
    da hätte ich wahrscheinlich besser hingepaßt, dachte ich dann resigniert – wo ja selbst die echten jungen Damen alle ausgesehen hatten, als wären sie verkleidete Buben (mit ”Bubikopf”) … !

    Um falsche Eindrücke zu vermeiden: all die Zeit über tändelte ich nicht etwa in Muttis Schürze, um – a la Charlotte von Mahlsdorf – im Haushalt zu helfen oder sonstig ‘Töchterliches” zu treiben: sondern saß zwischen Mathematik-büchern, Experimentier- und Metallbaukästen, über meinem Mikroskop oder in meinem eigenen kleinen chemischen Labor, das ich mir in der unbenutzten Speisekammer neben der Küche eingerichtet hatte – sah mich als künftigen Forscher – und trachtete im übrigen mit zusammengebissenen Zähnen, dem offiziell erwünschten Bild eines “Deutschen Jungen” möglichst nahezukommen!

    Aber Fräulein Anima war ein raffiniertes Weibsbild [nicht abfällig gemeint: ”Bild des Weibs” im Unbewußten!] und tat ganz harmlos so, als könne ich mir alle dekadenten Damen-Ideen ja ganz sachlich ausreden: Rein als Hypothese mal angenommen, ich hätte mich jetzt und hier als Mädchen verkleiden wollen – wie hätte ich das denn machen wollen? In der ganzen Wohnung wäre kein einziges Utensil dafür gewesen: kein Dienstmädchenkleid, daß ich hätte stibitzen können, kein Büstenhalter, kein Lippenstift, kein Kopftuch, ganz zu schweigen von einer “Perücke” oder einem “Gummibusen”, wie sie in Büchern offenbar für solche Fälle stets zur Verfügung standen – lediglich die lächerlich zu weiten Sachen meiner zu der Zeit schon recht korpulenten 54jährigen Mutter!

    Aber wie gesagt: Fräulein Anima war raffiniert – und wußte genau, daß man nur behaupten mußte, etwas sei eigentlich unmöglich: damit ich sofort begann, nachzugrübeln und möglichst sogar auszuprobieren, wie es dennoch gehen könne – ob nun beim Bau von Modellen, für die ich eigentlich die dritthöhere Nummer des Metallbaukastens benötigt hätte, oder bei scheinbar unlösbaren Mathematikproblemen (und auch später im Beruf haben mich immer die Projekte am meisten gereizt, die angeblich “nicht gehen” sollten); also begann ich auch hierzu mal – “bloß so als Denkaufgabe” – abends vor dem Einschlafen oder wenn ich mal allein in der Wohnung war, Punkt um Punkt für jedes einzelne Hindernis zu überlegen oder gar andeutungsweise zu testen, ob es denn in der Tat so völlig unüberwindlich wäre – und wenn mir dabei zuweilen ein ungewohnt angenehmes Kribbeln über den Leib lief, war das lediglich eine Art weiterer “Denkansporn”…

    … bis dann eines Tages natürlich zwangsläufig der Punkt kam, wo ich mir sagen mußte, daß das in der puren Theorie ja alles recht gut und schön sein mochte – der endgültige Beweis aber, wie auch in Wissenschaft und Technik, erst erbracht, wenn man es irgendwann auch einmal tatsächlich machte!
    So geschah es denn also, daß ich am Abend des 55. Geburtstags meiner Mutter
  • sie saß noch mit Gästen zusammen, während ich mich schon “zum Schlafengehen” empfohlen hatte – mit einigen rasch zusammengerafften Utensilien heimlich in ihr Schlafzimmer schlich und das “Mysterium Transformationis” eröffnete: Hemd, Hose, Schuhe und Socken aus. Über die nackten Beine mit grosser Sorgfalt, wie ich das mal im Kino gesehen hatte, vom Fuß aufwärts je einen ihrer “guten” Kunstseidenstrümpfe schrittweise nach oben gerollt, damit die Nähte auch genau hinten in Wadenmitte und gerade saßen, und oben mit je einem von den elastischen Ringbändern festgehalten, die mein Vater sonst zum Raffen seiner Hemdärmel trug (Mutters Korsett mit Strumpfhaltern zu benutzen, wäre bei dessen Größe eine Unmöglichkeit gewesen); ihre schmalsten und engsten Schuhe drüber, zuschnüren – immer noch ziemlich weit, aber es ging.

    Das einzig diskutable von ihren Kleidern – grün-schwarz gemusterte Kunstseide – mit einem Bindegürtel und etlichen Sicherheitsnadeln auf Taille bringen: reichte mir zwar fast bis zu den Knöcheln – na schön, war’s eben eine Art “Abendkleid” – Ärmel auch viel zu lang und weit, aber glücklicherweise mit Druckknöpfen am Handgelenk: gaben dadurch gerafft direkt einen hochmodischen Effekt! Fehlte noch der Busen: war eines der härtesten Probleme, da ja noch nicht mal ein etwa ausstopfbarer Büstenhalter zur Verfügung gestanden hatte – Lösung: ein altes aufblasbares Gummischiff für die Badewanne, das – unter mein Turnhemd unterm Kleid gestopft – eine durchaus akzeptable Rundung über der Brust ergab (natürlich ohne echten “Busen”-Einschnitt in der Mitte – aber da ich ja kein Dekollete hatte, fiel das nicht auf) – im langen Spiegel Höhe kontrolliert: nach meinen Messungen an Photos exemplarischer BDM-Sportsmaiden in Turnhemden mußten die (gedachten) Brustwarzen genau auf der Linie liegen, welche die Halbierungspunkte der Oberarme zwischen Ellbogen und Schultern verband – stimmt!

    Hm, so weit gar nicht übel – aber jetzt das Wichtigste: Kopf und Gesicht! Die Haare konnte ich glücklicherweise unter einem fertiggenähten schwarzen “Turban” verschwinden lassen, den meine Mutter zuweilen unterwegs trug – saß recht gut. Dazu rechts und links je einen ihrer langen geschliffenen Onyx-Tropfen-Ohrringe – da sie gottlob nichts vom Durchstoßen hielt, problemlos an die Ohrläppchen schraubbar. Dann mit der Quaste was von dem rosa-bräunlichen Puder, den sie zuweilen beim “Ausgehen” benutzte – natürlich erst zuviel, sah aus wie bei ‘nem Zirkusclown – aber das kannte ich schon von einem früheren Testexperiment: Überschuß vorsichtig abtupfen – blieb (da zum Glück Winter: kein Sonnenbrand oder sowas – glatte Gesichtshaut) ein interessanter samtiger “Teint”. Und nun: zur Krönung mit – da weder Lippenstift noch Schminke verfügbar! – dem Korken des Röhrchens Erdbeer-Einkochfarbe sorgsam spiegelkontrolliert über die leicht geöffneten Lippen streichen – – – ja: Tiefrot !!!

    “Und wer, meinst Du – “ schwärmte meine Mutter anderentags, “hat mir, als alle gegangen waren, in meinem Schlafzimmer als Letzte gratuliert?” – kleine Spannungspause – dann, noch immer entzückt: “Eine m o n d ä n e Frau !!!
    Und während meine Schwester (inzwischen 27, Ehefrau und Mutter), zu der sie das sagte, erst sie leicht verständnislos ansah, um dann – Hintergründe erahnend – mit großen, sanft bestürzten Augen den Blick auf mich zu wenden:

    der ich mich meinerseits bemühte, die möglichst arglose Miene des großdeutschen Leder-Kruppstahl-Windhund-Jungen zur Schau zu tragen, räkelte sich im Unbewußten Fräulein Anima ob des Kompliments wohlig eher wie eine systemzeit-dekadente Seiden-und-Goldhalsband-Katz: mit dieser Di-va-Rolle, dachte sie (soweit Anima’s denken können), hat er mir also eine echte Verbündete gewonnen – vielleicht hätte sie lieber gleich zwei bildschöne Töchter gehabt statt nur der einen? Und wenn er etwa auch die noch, träumte sie weiter, zu meiner nächsten, schwesterlichen Freundin machen könnte … ? Aber auf die Erfüllung dieses Traums mußte sie – wie gut, daß eine Anima als Archetyp “zeitlos” ist! – noch volle 5 Jahrzehnte warten…

Schon nach knapp 5 Jahren dagegen kam – fast kaum zu glauben! – jenes Jahr 1945, wo all die Deutschen Blockwarte und anderen Kleinformat-Helden ihre bisherigen “PERSONA”s ganz schnell ganz klein zusammenfalteten, um vor Spruchkammern und Entnazifizierungsausschüssen zu schwören, sie hätten all diese “PERSONA”s ja nur aus Angst vor der Gestapo getragen : und alibisuchend begannen, Stück für Stück die auf einmal gar nicht mehr dekadent, sondern eher nachahmenswert erscheinende “Systemzeit” wiederzuentdecken:

Und es erwies sich, daß Fräulein Anima völlig recht gehabt hatte: in die hätte ich von Anfang an viel besser gepaßt… !

D O S S I E R

„Name“: je nach Typ/Stimmung wechselnd,
Jahrgang: 1928
Größe: 176 cm (ohne Schuhe)
Konf.größe: einst: mit Glück 42, bequem 44/46 – heute: 🙁 !!!
Schuhgröße: mit Glück 39/40, bequem 41/42

:: A:: Zur allgemeinen Charakterisierung:

Beruf:
„Zwei Ballonfahrer hatten sich im Nebel verflogen. Endlich riß die Wolkendecke auf, sie erblickten einen Mann am Boden und riefen ihm zu: „Wo sind wir?“
Der überlegte tief und rief dann zurück: „Sie sind in der Gondel eines Ballons!“
Dies war eindeutig ein Mathematiker: er dachte lange nach – was er dann folgerte, war unwiderlegbar richtig – und niemand konnte den mindesten praktischen Nutzen daraus ziehen.“
(Selbstkritischer Mathematikerwitz aus dem Internet)

:: B :: Zum Werdegang im einzelnen:

Nach Studium der Mathematik und Physik in Göttingen und Hannover über Fachschriftstellerei zu technischer Werbung (Elektromedizin, Stahl), dann „Marketing“ und Marktforschung in Druck- und Verlagswesen (konnte man die ganze gute alte Mathematik auf einmal wieder brauchen!), Aufbau und Leitung eines EDV-Schulungs- und Rechenzentrums, Stabsstelle „Marketing“ eines Unternehmensverbandes.

Ab 1967 selbständig als freier Marketingberater:
Auslandsreisen, Lehr- und Vortragstätigkeit, „Grundlagenforschung“,
Konzeptionen für Verlage, Firmen und Werbeagenturen
(auch ’n paar deutsche & US-Preise für erfolgreiche Werbekampagnen)
Publikationen zum „Empfänger-orientierten Ansatz im Marketing“

1979/80: Organisation der ersten detaillierten Analyse des deutschen Werbedrucksachen-Markts und ihre Programmierung auf „Microcomputer“ (Datenbank für, nach 2 Jahren, über 40 000 Druckobjekte: Zugriff auch ohne – damals noch unerschwingliche – Festplatte in Sekunden!)
RKW-Broschüre: „Die 10 häufigsten Fehler beim Einsatz v. Microcomputern“
Parallel dazu: Forschungsvorhaben und -broschüren für fast alle großen deutschen Zeitschriftenverlage und Demo-Disketten dazu; Konzepte, Bildentwürfe und Texte für Multimedia-Schauen zu Grundsatz-Problemen der Direkt- und Katalogwerbung – und, um dazwischen auch mal was echt Wertvolles zu tun: Entwicklung eines „Praxis-Buchs“ (mit völlig neuer Zugriffs-Form) für eilige (und theorieferne) praktische Ärzte über Behandlungsmöglichkeiten der Parkinson-Krankheit und anderer dopaminerger Störungen (das dann, amüsanterweise, zudem ein „Hit“ an Universitätskliniken wurde!)

Andererseits hatte ich mal (vergl. Vorspruch zur „Animagie“) in einem Gestalter-Magazin etwas über „Magie und Werbung“ veröffentlicht, das ein Verleger später als „professorale Theoretisiererei“ bekrittelte – worauf ich aus Zorn genau nach den in diesem Artikel stehenden Prinzipien Computerprogramme für Promotion-Aktionen von Markenartiklern und Versicherungen bei Verbrauchermessen oder Supermärkten entwickelte, an denen mein Sohn mit seiner kleinen eigenen Firma nachher insgesamt einige hunderttausend Mark umsetzte…!

Im Jahr 2001 habe ich dann – auch wegen der Folgen eines Knöchelbruchs, der mir bei Reisen usf. etwas zu schaffen machten – meine „hauptberufliche“ Beratertätigkeit eingestellt: und kann mich nun all dem widmen, wozu ich vorher nicht gekommen bin!

Hobbies Geschichten schreiben, vorwiegend Science Fiction und „Strange Stories“
Maschinenmodelle bauen (Fischer-Technik, Märklin-Metallbaukästen)
Unterhaltungsmathematik und Denksportaufgaben
„Computer Recreations“ und Bildbearbeitung

Reisen (beruflich oder privat):
USA: New York, Chikago, Rochester ; Kanada: Montreal, Toronto;
Mexiko: Mexico City & Umfeld, Tula; Asien: Tokio, Osaka, Hongkong, Thailand;
Europa: London, Paris, Griechenland, Türkei, Kreta, Capri (Lieblingsinsel: 3x!)

Familie

:: A :: Engste:

seit 1949 verheiratet, seit 1992 verwitwet; 1 Sohn (1951), 1 Tochter (1954)

:: B :: Eltern, Vorfahren:

Vater:
Befähigter Ingenieur, eher nüchtern, aber vielseitig und „ingeniös“; auch wohl mutig (div. Auszeichnungen als Leutnant im 1. Weltkrieg).
ging von 1923-26 mal als „Organisator und Oberingenieur“ nach Kronstadt/Siebenbürgen in Rumänien (mit der ganzen Familie).
Ab 1928 ständig Auslandsreisen nach England, Belgien, Frankreich, 1932 sogar Sowjetrussland, 1933/34 bis Beirut, Jerusalem, Kairo.
Erlebte 1955 noch 50jähriges Berufsjubiläum, davon 25 Jahre Technischer Geschäftsführer des gleichen Unternehmens und viele Jahre anerkannte Koryphäe seines speziellen Fachgebiets.
Selbst im Ruhestand mit über 70 noch immer als Fachautor tätig.
{Vaters Vorfahren: mehrere Generationen von Maschinentechnikern, Maschinenbauern und später Maschinenfabrikanten.}

Mutter:
Unkonventionell, talentiert und sowohl „praktisch“ wie „musisch“: fand nichts dabei, mir als 5jährigem statt Märchen die Odyssee vorzulesen oder uns nachts um 11 rasch mal Grüne-Bohnen-Suppe zu kochen! Beruflich vor der Ehe und wieder im 1. Weltkrieg als Sekretärin tätig – hätte später nach guten Anfangserfolgen durchaus eine Karriere als Unterhaltungsschriftstellerin haben können: wenn sie nicht nach 1933 in unfassbarer Naivität als Thema gewählt hätte, wie ihre couragierte Heldin gerade noch verhindert, daß ein smarter Opportunist sich in den Besitz einer Firma setzt, indem er die Erben als „Nichtarier“ verleumdet (da’s ja aber doch „Arier“ waren, fand sie ihre Story ganz korrekt – bloß stand sie von da an halt auf einer schwarzen Liste!)
Umso peinlicher, daß der gleiche Schriftstellerverband dann bei einem anonymen Wettbewerb für eine Inschrift (zu einem der wenigen Projekte jener Tage, das sie mit gutem Gewissen anerkennen konnte) ahnungslos ausgerechnet ihren Vorschlag krönte – und dann zähneknirschend die Worte der „Unerwünschten“ in Marmor meißeln lassen mußte (wo sie noch heute stehen – an der Maschsee-Säule zu Hannover…)
{Mutters Vorfahren: die längste Linie führt bis 717 zurück, wo ein Herzog Thuring von Heyden [hach, citoyenne, muß ich mich schon wieder entschuldigen!] unter Karl Martell im Kampf gegen die Araber fiel. Da aber dessen Witwe Theodrada den ganzen Besitz der Kirche vermachte, tauchten die Nachkommen später als gutbürgerliche Richter, Prediger und Gelehrte – latinisiert als „Hedenus“ – auf: „gekrönter Poet“ war auch einer drunter – und ein Magister Erasmus Hedenus schrieb im 16. Jahrhundert unter dem gleichen Pseudonym „MEHA“, das meine Mutter später ganz ahnungslos und unabhängig (aufgrund einer völlig anderen Abkürzung) als Autorin gewählt hatte …
Ansonsten: Landwirte, Handwerker, Kaufleute usf. }

:: C :: Geschwister:

Die Eltern :: B :: hatten schon vor dem 1. Weltkrieg 3 Kinder:

        William

der Älteste, auch wissenschaftlich und mathematisch begabt, wählte aber dann unter dem Eindruck der 1929er Wirtschaftskrise, statt zu studieren, seine andere große Neigung als Beruf: die Musik. Mit der Gabe, aus jeder Krise doppelt so günstig hervorzugehen,. stieg er schon bald vom bloßen Musiker zum Kapellmeister auf und dies blieb ihm sein Leben lang treu: selbst als er nach Kriegsende, statt aus Norwegen entlassen zu werden, unerwartet noch ein Jahr lang nach Frankreich in Kriegsgefangenschaft geschickt wurde, endete das damit, daß er französische Militärkapellen schulen musste – und sogar, beim Besuch eines Generals, in französischer Korporals- Uniform die Kapelle dirigieren mußte! Und als er dann, endlich entlassen, sich bei einer Bergmannskapelle im Ruhrgebiet bewarb, war das Endresultat, daß er wegen seiner mathematischen Kenntnisse Leiter der Qualitätskontrolle dieser Zeche wurde…Leider ist er schon vor Jahren gestorben:

        Erich 

der zweite, war hingegen ein praktisches Universalgenie: Er konnte ebenso gut sein Motorrad reparieren, wie mit selbstgebauten Apparaten als Zauberkünstler auftreten; als er sich eine fast lebengroße Bauchrednerpuppe baute, modellierte er genau so ihren Kopf, wie er ihren Smoking schneiderte – und natürlich die gesamte elektrische Steuerung seines „Kasimir“ baute, bis hin zu dem Stuhl, auf dem dieser Bandoneon spielen konnte. Dank solcher Talente wurde er der ideale Meister eines technischen Versuchsraums, wo’s immer neue Probleme zu lösen galt. Leider lebt auch er heute nicht mehr.

        Margarete  

die jüngste, war noch in Siebenbürgen (s. oben bei „Vater“) ein rechter „Tomboy“, der am liebsten in Sepplhosen mit Hunden herumtobte – bis sich daraus, nach der Rückkehr nach Deutschland, plötzlich ein bildschönes Mädchen entfaltete: dem aber weder Ballettschule, Kunstakademie und Bildhauerei – noch Schwärme vonVerehrern so zu Kopf gestiegen wären, daß es seine Natürlichkeit und seinen goldigen Humor verloren hätte. Verheiratet, war sie dann eine ideale Mutter – und nach Kriegsende couragiert genug, über Zonengrenzen und Besatzungssperren hinweg auf eigene Faust nach ihrem – der Himmel wußte wo – internierten Mann (Österreicher) zu suchen [mal andersherum – Penelopes Irrfahrten zu Odysseus!] – und Kindergeschichten, die sie in späteren Jahren schrieb (mütterliches Erbteil!) landeten sogar im Österreichischen Rundfunk. Heute ist sie mit über 90 Jahren mehrfache Urgroßmutter, (kann zwar nur noch mit edelstählernen Kniegelenken gehen) aber nach wie vor voll unverminderter Geisteskraft und Lebensfreude.

… und dann kam in jene bereits einigermaßen unwahrscheinliche Familie

nach 15 Jahren Pause – als ziemlich unerwarteter Nachzügler noch ich! Und falls ein eifriger Amateur-Psychologe nun sogleich folgern sollte…
Aha!
Vater dauernd auf Reisen, fast nie zuhause.
Brüder schon viel zu erwachsen.
Bereits ältliche Mutter und blutjunge Schwester
teilen sich in Hauptlast der Erziehung:
da muß ja mit der Geschlechtsrollen-Identifikation
des heranwachsenden Knäbleins was danebengehen!
… dann hätte er im allertiefsten Grunde vielleicht gar nicht so unrecht:
aber vordergründig läge er zunächst mal total schief:
Ich wurde nicht etwa besonders mädchenhaft herausgeputzt.
Ich spielte nicht mit Püppchen statt mit Autos.
Bruder Erichs Zaubergeräte, Bruder Williams Schachbrett
und die Abenteuer des listenreichen Odysseus
faszinierten mich weitaus mehr als Schwesterchens Tand.
Etwa gar mit kleinen Mädchen zu spielen,
hätte ich unter meiner Würde gefunden:
zum Spielen hatte ich ja eine viel schönere große Schwester:
… und das ging nach deren glaubhaften Berichten etwa so:
„Also Du bist jetzt meine Braut – hier – “ ihr einen Teddybären überreichend,
“ – hast Du ein Kind – aber ich – “ meinen Holländer besteigend,
“ – muß jetzt wieder fort: denn ich bin ja ein Traktorsmann!“
und damit brauste ich, laute Motorengeräusche erzeugend, von dannen …
… selbst Alice Schwarzer hätte schwerlich ein krasseres Bild
maskuliner „Einknopf-Mentalität“ entwerfen können … !

Allerdings war ich natürlich (hast ja schon gemerkt, wie ich noch heute von ihr schwärme!) total „in love“ mit meiner bildschönen großen Schwester…

{ ich habe dafür im Stile Freuds als Gegenstück zum „Ödipus-Komplex“ den Begriff „Siegmund-Komplex“ – nach dem Völsungen-Geschwister- und Liebespaar Siegmund und Sieglinde, siehe Wagners „Die Walküre“ – für solche Sonderfälle geprägt (müsste Freud eigentlich auch gut gefallen haben: hieß ja selbst mit Vornamen Sigmund!) }

… und war zunächst felsenfest überzeugt, ich müsse nur erwachsen genug werden, um sie dann heiraten zu können: erst als man mir nach 1933 erklärte, die neue Regierung habe jetzt leider verboten, daß Schwestern ihre Brüder heiraten dürften, fand ich mich schweren Herzens damit ab (zu weiteren Nebenwirkungen dieser Regierung vergl. bei Um 1940: Anima regt sich)…

… aber selbst ein solcher „Siegmund-Komplex“ hätte sich ja schon auf dem normalen Weg der „Projektion“ lösen können – in der Tat hatte meine spätere Frau im Gesichtsschnitt eine typische Ähnlichkeit mit meiner Schwester! – ohne etwa zwangsläufig zu „Crossdressing“ zu führen?!

1966: Das vierundvierzigste Hexagramm

Anfang 1966 kam die Maschine eines planmäßigen Linienfluges der Lufthansa nach Bremen aus ungeklärten Gründen beim Anflug in Schwierigkeiten, stürzte beim Versuch der Notlandung auf dem Flughafen ab, fing Feuer und brannte völlig aus; es gab keine Überlebenden.

“In dieser Maschine – “ sagte der Psychologe Walter H., als der Rundfunk die Katastrophenmeldung durchgegeben hatte, und fuhr sich mit der Hand über die Augen, “- hätte auch ich gesessen, wenn ich nicht wegen Ihres Besuches einen Tag früher zurückgeflogen wäre: Sie haben mir – sozusagen – das Leben gerettet … !”
Und während ich erst einmal zuhause anrief, um meine Frau zu beruhigen, daß ich mit meinem Flug vor ein paar Stunden noch sicher in Bremen gelandet war, stellte er schon auf dem meterhoch verschneiten Balkon vor seinem Dach-Atelier die Flaschen Champagner kalt, mit denen wir dann zusammen mit seiner Frau auf die ‘Gnade des Schicksals’ anstoßen – und bei dieser Gelegenheit gleich Brüderschaft trinken würden.

Daß zwischen uns irgendeine nicht alltägliche Resonanz zu bestehen schien, hatte ich zwar schon beim ersten Kennenlernen gespürt – und das hatte sich auch gleich am ersten Abend vertieft, als wir nach dem gemeinsamen Abendessen in eine so umfassende und tiefsinnige Unterhaltung gerieten, daß die noch dabeisitzenden Verlagsmitarbeiter sie wie eine hochkarätige Nachtprogramm-Diskussion genossen. Aber daß gleich mein erster Besuch bei ihm in Bremen unter so ‘schicksalhaften’ Auspizien stehen würde, hatten wir verständlicherweise beide nicht erwartet: im Hinblick auf spätere Entwicklungen hätte ich mir allerdings in der Tat – obwohl ja dessen ‘lebensrettender’ Aspekt schwerlich mein Verdienst war – kaum einen glücklicheren ‘Ersten Auftritt’ in seiner persönlichen Sphäre wünschen können:

Da war seine Frau Gisela – klein, drahtig, energiesprühend – die eine der ersten war, die sich als Dr.med., was damals noch keineswegs üblich war, profund mit der chinesischen Akupunktur befaßt und sie erfolgreich in ihrer Praxis angewandt hatte: was ihr bei Kollegen den Spitznamen ‘die Pi(e)k-Dame’ einbrachte (meine anfänglich durchaus vorhandene Skepsis verschwand ein für allemal, als ich sie bei einem nächsten Besuch mit den typischen Symptomen einer beginnenden Angina um eine Tablette bat – worauf sie erwiderte: “Nein – Du kriegst nur eine Nadel: hierhin!” – und sich nach diesem einen Stich in die Halsgegend in der Tat nicht das geringste von einer Angina mehr manifestierte!). Wie ich später einmal erfuhr, hatte sie einst – aus sehr reichem Hause – gegen die halbe Welt um ‘ihren’ Walter gekämpft: und empfand ab jetzt wohl eine Art unlogischer, aber tiefer Dankbarkeit gegen mich dafür, daß ich ihn ihr ‘erhalten’ habe;

dann war da die alte Haushälterin Frau S. – Witwe des Chefkochs einer großen Übersee-Schiffahrtslinie – die Walter und Gisela verehrte und mit den schmackhaftesten Speisen verwöhnte: und beides sozusagen automatisch nun auch auf mich übertrug;

‘das Haustier’ – beider 5jährige Tochter Katja – die sich am liebsten wie ein Kätzchen in irgendeine weiche Ecke kuschelte und dem interessanten Treiben der Erwachsenen zusah: ich weiß nicht, ob sie mir die Rolle eines auf die Erde hinabgestiegenen Schutzengels der Familie zugeteilt hatte – jedenfalls behandelte sie mich, in ihrer reizend altklugen Art, etwa so;
und dann natürlich die Hauptperson, der beratende Psychologe etlicher Werbeagenturen und Verlage – nebenher ein abstrakter Maler nicht geringen Grades – mit soviel Eigenwilligkeit und Phantasie, daß er in mir nun erst recht den optimalen ‘Partner’ sah: “Wir haben genug Gemeinsames, um einander verstehen zu können – aber zum Glück auch soviel Unterschiede, daß jeder dem anderen immer wieder was Neues bieten kann!” charakterisierte er einmal – sicher nicht ganz unrichtig – unser Verhältnis zueinander.

Der konkrete Anlaß für jenen ersten Besuch – und viele folgende – war eine sehr komplexe, in vier aufeinanderfolgenden Phasen durchzuführende Studie über einen neuen Typ von Verlagsobjekt, das bei den (für seine wirtschaftliche Existenz entscheidenden) Werbeleuten und Mediaplanern der großen Agenturen auf eine Fülle hemmender Vorurteile und Mißverständnisse gestoßen war, die es jetzt auszuräumen galt. Walter hatte die psychologischen Forschungsmethoden und die Fachkräfte zu deren Anwendung – ich mußte die Systematik, die Strategie und die Konzepte entwickeln, um die zunächst total unübersichtliche Fülle der Zugriffe und Resultate so aufzubereiten, daß die Angesprochenen sie nicht – was für sie am bequemsten gewesen wäre – ignorieren würden, sondern im Gegenteil (wie ich’s für meinen Hausgebrauch als Ziel formulierte) “so gespannt verfolgen wie einen Fernseh-Krimi”…

… ein reichlich ehrgeiziges Ziel, in dessen Verfolgung ich mich Mai/Juni 1966 sogar- nachdem die “Fachleute” der damit beauftragten Werbeagentur mein Konzept, die Veröffentlichung der Studie durch Briefe und Muster von Publikationen ähnlichen Typs aus aller Welt vorzubereiten, als “in der Theorie bestechend, aber in der Praxis undurchführbar” erklärt hatten – im fliegenden Start selbst zur Reise an all diese Verlagsorte in England, USA, Kanada, Mexiko und Asien aufmachen mußte, um zu demonstrieren, daß es doch ‘ging’ ! Doch das lag Anfang 1966 noch weit in der Zukunft…

Pin-Wand

Da stellte ich mich in Bremen erst einmal – in dem schönen großen Büroraum einen Stock tiefer, den Walter gerade erst angemietet und eingerichtet hatte – mit vielen Stichwort-Kärtchen und Nadeln vor eine große Pin-Wand und versuchte die Resultate der beiden ersten Studien-Phasen in irgendeine halbwegs zwingende Ordnung zu dressieren; und da das oft bis spät in die Nacht ging, war es recht gut, daß er vorausschauenderweise dort auch ein Gästebett eingeplant hatte.

Nur ein Besuch reichte für all das allerdings nicht aus – und so setzten wir uns in den folgenden Monaten regelmäßig in Bremen zusammen, bis das endgültige Konzept allmählich Gestalt annahm. Es muß wohl nach der dritten oder vierten solchen “Experten-Konferenz” gewesen sein – wir hatten gerade die interviewenden jungen Psychologen für die kommende “Verifikationsphase” bei etlichen hunderten von Befragten eingewiesen – als wir beide, einigermaßen ermattet, am Abend noch ein paar Flaschen Wein (weniger waren es bei Walter nie) zusammen tranken und im Gespräch wieder einmal vom hundersten in tausendste kamen – so auch auf das berühmte jahrtausendalte chinesische Orakelbuch I GING, das ‘Buch der Wandlungen’.

Natürlich habe Gisela das – bzw. die klassische Übersetzung von Wilhelm – in ihrer Bibliothek chinesischer Werke. Und natürlich auch die traditionell zum Orakelnehmen verwendeten 50 Schafgarbenstengel. Nur hätten sie es jetzt lange Zeit nicht mehr benutzt – als sie es das letzte Mal für eine befreundete Familie befragten, sei irgendetwas über ein Feuer herausgekommen, von dem Gefahr drohe: und bald darauf seien beide mit ihrem Auto verunglückt – eingeklemmt und in den Flammen des sich entzündenden. Benzins bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Seitdem hätten sie es zusammen mit den Behälter der Schafgarbenstengel lieber auf seinem rituell vorgeschriebenen Platz – einem Bord höher als das Haupt eines Menschen – stehen lassen. Aber er könne es ja mal wieder herunterholen – und, wenn ich das wolle, für mich befragen.

Was wir dann auch taten. In dem komplexen sechsfachen Ritual des jeweils dreimaligen Teilens und Abzählens entstand als unterste eine (“weibliche”)Yin-Linie – darüber aber fünfmal je eine (“männliche”)Yang-Linie – alle “ruhende” Linien, die sich nicht weiter veränderten: also blieb nur das eine entstandene Hexagramm als Ganzes zu deuten.

Nun war ich eigentlich darauf gefaßt, daß jetzt eher eine ebenso schwerverständliche wie vieldeutige altchinesische Aussage über Schildkröten oder bronzene Opfertiegel herauskommen würde – mit der niemand besonders viel anfangen konnte. Versuche Dir nun also meine Empfindungen vorzustellen, als ich unter der Überschrift

Hexagramm 44. GOU / DAS ENTGEGENKOMMEN

knapp und sachlich las:
DAS URTEIL
Das Entgegenkommen.
Das Mädchen ist mächtig.
Ein solches Mädchen
heiratet man nicht.

Das Zimmer, in dem wir zusammensaßen, war – wie immer – gut geheizt. Dennoch lief mir ein ganz kleiner Schauer des Fröstelns über den Rücken…

Dann rückte ich etwas näher zu Walter – und sagte ihm, um was für eine Art von Mädchen es sich dabei handelte …

Bild Gou Jula: liegt mir leider nicht vor

Im Interesse der Objektivität muß ich hier einschalten:
Die Schafgarbenstengel wurden von Walter gehandhabt. Ich habe dabei nicht im einzelnen kontrolliert, ob er sie exakt gemäß den Regeln des I GING behandelte – oder sie irgendwie abweichend manipulierte. So ist rein objektiv nicht auszuschließen
a) daß er als Psychologe aus Beobachtungen an mir zu der Vermutung gekommen sein könnte, ich habe vielleicht gewisse einschlägige Probleme, die ich ihm besser offenbaren solle
b) daß er darauf unter den 64 Hexagrammen des I GING nach dem einen gesucht haben könnte, dessen “Urteil” im weitesten Sinne solche Probleme ansprach
c) und daß er bei dieser passenden Gelegenheit ein Befragen des I GING provoziert haben könnte, das er so manipulierte, daß ich mit dem Text dieses bestimmten Hexagramms konfrontiert werden würde: in der Hoffnung, mich dadurch zu veranlassen, mit ihm über dieses Thema (das ich sonst schwerlich von mir aus angeschnitten hätte) zu sprechen.

Subjektiv muß ich allerdings sagen, daß mir eine derart subtil-jesuitische “Intrige” im Stil von Schillers “Geisterseher” kaum viel wahrscheinlicher vorkommt, als die – gleichermaßen ‘rationale’ – Annahme, daß es sich einfach um eines jener völlig zufälligen, aber gerade dadurch besonders verblüffend wirkenden Zusammentreffen gehandelt habe, die ja in der Realität weitaus häufiger auftreten, als es der sog. ‘Gesunde Menschenverstand’ zu erwarten pflegt – oder als die dritte, objektiv ja auch nicht von vornherein zu verwerfende Hypothese, daß eben an einem Orakel, das Millionen von (wie die Geschichte lehrt, ja schwerlich primitiven) Chinesen Jahrtausende über zu ihren politischen oder persönlichen Problemen befragt haben, doch “was dran sein” könnte!^]

Im faktischen Resultat übrigens ist es bemerkenswerterweise verhältnismäßig gleichgültig, welche der drei obigen Annahmen zugetroffen haben mag – denn wie sagt der (wahrscheinlich von Kungtse stammende)

Kommentar zur Entscheidung

Entgegenkommen bedeutet Antreffen. Das Schwache tritt dem Festen entgegen.
“Ein solches Mädchen heiratet man nicht.” Das bedeutet, daß man nicht dauernd mit ihr leben kann.
Wenn Himmel und Erde zusammentreffen, so kommen alle Geschöpfe in feste Linien. Wenn das Feste die Mitte und das Rechte trifft, so geht alles unter dem Himmel herrlich voran.
Groß wahrlich ist der Sinn der Zeit des Entgegenkommens.

Oder weniger archaisch gesagt: Mit diesem Abend begannen die herrlichsten vier Jahre für Fräulein – oder vielmehr inzwischen Madame – Anima. In der wunderbar unkonventionellen und vorurteilsfreien Atmosphäre Walters und Giselas fand sie zum ersten Mal die Chance und Gelegenheit, sich wirklich so frei zu entfalten, wie sie es sich immer erträumt hatte:
allerdings erst, nachdem ich die unerwartet dazwischengeschobene “Round-the-World”- Tour erfolgreich hinter mich gebracht hatte: Aber dann wurde der große, mit Bad, Toilette und Schlafgelegenheit in sich abgeschlossene Büroraum mit seinen lichtdichten Vorhängen das “Atelier”, in dem Madame Anima sich – nach der wissenschaftlichen Arbeit des Tages – abends, mit einer Flasche Wein und einer Platte schmackhafter Snacks aus Frau S.s Küche, nach Herzenslust schminken, kostümieren und fotografieren konnte. Die erste Echthaar-Damenperücke hatte noch die hilfreiche Gisela – mit eiserner Stirn unter dem Motto “da sollen zu einer Party alle Damen als Herren und alle Herren als Damen kommen” – zusammen mit mir in einem einschlägigen Geschäft gekauft; aber bald störte es mich überhaupt nicht mehr, in Kaufhäusern mal eben eine Kunst- oder Echthaar-Perücke “für eine Aufführung” selbst zu besorgen.
Ein abschließbarer Einbauschrank füllte sich bald mit Kleidern, Mänteln und allem, was eine elegante Dame sonst noch brauchte – und was ich in der Bremer Innenstadt, ohne Sorgen um etwa peinliche Begegnungen mit Leuten, die mich kannten, nach Lust und Laune einkaufen konnte; sollten mal wirklich für irgendeine Aufnahme spezielle Accessoires fehlen, war Gisela immer bereit, mir mal rasch was zu borgen – die gelbe Umhängetasche der “SIE” im Animagie-Dialogbild zum Beispiel hatte sie mir, zusammen mit farblich passenden Schuhen (die ich seltsamerweise problemlos tragen konnte), für die Hosenanzugs-Aufnahmeserie geliehen.
Madame
Bei den ersten Aufnahmen – für die mich anfangs stets noch Walter knipsen mußte – machte ich natürlich noch alle erdenklichen Anfängerfehler: unter-betonte Augenpartie, verschminkte Nase, zu kleines Kußmündchen – dennoch wirkte Madame Anima im Gesamteindruck schon erschreckend “echt”.

Aber wenn sie ehrlich war, mußte sie zugeben, daß von ihr dabei etwa so viel archetypische Faszination ausging,

Madame

wie von der Chefin einer gutbürgerlichen Bierschwemme … Doch das änderte sich in den nächsten Monaten: Schritt um Schritt gewann Madame an Profil, Ausstrahlung und Persönlichkeit – und präsentierte sich in den nächsten Aufnahmen bereits als reif-welterfahrene “interessante Frau” – recht ladylike und mit einem wissenden Lächeln um die Lippen.

Blueprint for beauty

All das kam freilich nicht von ungefähr: denn in diesen Monaten wurde – nach wohl-durchdachten Handskizzen des (nicht bloß “abstrakten”) Malers Walter als “Maskenbildner” – jeder Pinselstrich in Madames Antlitz so systematisch geplant wie ein Apollo-Unternehmen: und Gisela begutachtete oft am anderen Tag fasziniert, was unsere gemeinsamen Bemühungen aus dem “Rohmaterial” meines Gesichts erschaffen hatten…

Denn – vor allen Dingen nachdem ich mich Anfang 1967 selbständig gemacht hatte – nach Bremen kam ich jetzt regelmäßig, um gemeinsam mit Walter neue Studien zu planen, durchzuführen und nicht zuletzt in unzähligen Präsentationen wirksam der Fachöffentlichkeit vorzustellen.
Präsentation
Bild Präsentation – in dem ich gerade am Overhead-Projektor eine Schemadarstellung erläutere, während Walter daneben in der rechten unteren Ecke zu sehen ist

Jedesmal Untersuchungen mit “Pionier-Charakter” – unser “Bremer Arbeitskreis”, wie wir ihn getauft hatten, begann in Fachkreisen allmählich zu einem Qualitäts-Begriff zu werden – “alles unter dem Himmel” schien, wie im Kommentar verhießen, “herrlich voranzugehen”…

… nur heißt das I GING eben nicht umsonst das “Buch der Wandlungen”:
Im Sommer 1969 hatte Walter, wie er mir halb nachdenklich, halb spöttisch erzählte, einen seltsamen Traum, in dem er eine schwarze Uhr sah, die nicht Stunden und Minuten, sondern ein Datum mit Tag und Monat anzeigte – und im Traum, fügte er hinzu, habe er gewußt, daß es eine “Todesuhr” sei.
Der Tag, den sie angezeigt hatte, war ein Datum im November gewesen – und als ich ihn, noch immer halb im Scherz, nach diesem Datum anrief, um mich zu erkundigen, ob er immer noch lebe, lachten wir beide doch ein wenig erleichtert auf.

Dann kamen wieder viele neue Aufgaben – und als ich ihn im November 1970 zum letztenmal in Bremen besuchte, sagte er gerade, er freue sich auf das Wochenende zum Ausruhen – es sei in der letzten Zeit doch ein wenig viel gewesen – als das Telefon klingelte und eine von ihm beratene Werbeagentur anrief, ob er nicht übers Wochenende kommen könne, um noch einmal die bevorstehende Präsentation bei einem prospektiven neuen Kunden durchzusprechen.

Wie üblich, ließ er sich dazu breitschlagen – er flog hin – fand dann, daß es sicherer sei, wenn er selbst die Kernpunkte bei der Präsentation vortragen werde – tat das mit durchschlagenden Erfolg – die Agentur gewann dadurch den Kunden – und beim gemeinsamen Umtrunk am Abend griff er sich plötzlich ans Herz und kippte um: der herbeigerufene Arzt konnte nur noch “Tod durch Kreislauf-Versagen” feststellen.

Das Datum seines Todestages war genau das, welches er 1969 auf der Todesuhr seines Traumes gesehen hatte.
[Eine “strikt rationale” Erklärung hierzu – außer, daß dies schon wieder einmal einer jener ‘unwahrscheinlichen Zufälle’ gewesen sei – habe ich bis heute noch nicht gefunden.]

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