Eine Hommage an eine Frau mit vielen Namen

Monat: Juni 2023 (Seite 2 von 6)

Azazel 3000

“Ihre Sünden aber luden sie einem Bocke auf
und schickten ihn in die Wüste zu Azazel, auf
daß e r sie trage …”
(Aus den Kommentaren des Midrasch Abchir zum Alten Testament)

Warum der Rat der Priester gerade diesen öden Planeten zum Ort des Treffens bestimmt hatte, wußte ich nicht; der Bote, der mir die Nachricht gebracht hatte, trug die goldene Maske des Schweigens, und ich konnte seine Gedanken nicht lesen. Vielleicht hatten sie einen Weltkörper wählen wollen, der weder im Machtbereich der Ryl, noch in dem der Erdwesen lag – als neutralen Ort für diese so schwerwiegenden Verhandlungen.

Mir aber erschien dieser Planet — Azazel hatten ihn die Erdwesen getauft, nach einem Dämon eines ihrer heiligen Bücher, der in der Wüste lebte – heute wie ein böses Omen. Endlos, einförmig und unfruchtbar wie seine Wüsten waren die Debatten, die ich hier führen mußte – und lagen nicht all unsere einstigen Pläne genauso hoffnungslos und erstorben, wie seine uralten Ruinen?

Mit welch tiefer Freude hatten wir doch die ersten Erdwesen begrüßt – nach Jahrtausenden, in denen wir schon fast jede Hoffnung aufgegeben hatten, es könnte außer uns noch andere denkende Wesen zwischen den Sternen geben! Und hatten wir nicht die gleiche Freude in den Gedanken jener Erdwesen mit ihren seltsam steifen Stockgliedern, ihrem schwankenden Gang (welche Mühe sie haben mußten, sich überhaupt aufrecht zu halten!) und ihren auf der einen Kopfhälfte zusammengedrängten Sinnesorganen; die Ryl mit ihrem glatten, gedrungenen Kegelleib, ihren biegsamen fünf Armen und ihrem Kopfstern: Beide hatten wir den Raum zwischen den Sternen überwunden – beide in der Hoffnung, eines Tages Brüder jenseits dieser Sterne zu finden!

Aber wir hatten ja nicht geahnt, daß wir zugleich mit diesen Brüdern auch jene gräßlichen, seelenlosen Maschinen finden würden, von denen mir jetzt wieder eine gegenübersaß…

„… ist uns Ihre Einstellung zu uns bei aller Verständnisbereitschaft nach wie vor unerklärlich!“ dröhnte der Lautsprecher der R 4141 aus seinem stumpfschimmernden Metallschädel. „Bei allen Menschen herrscht Einigkeit darüber, daß ein Roboter der gegebene Verhandlungspartner in einer so diffizilen Situation ist: Er darf – das ist das erste Grundgesetz der Robotik – weder einen Menschen angreifen, noch irgend etwas zulassen, was ihm schädlich sein könnte; also wird er die Interessen der Menschheit in jeder Beziehung zu wahren wissen. Er muß – das ist das zweite Grundgesetz – jeden von Menschen gegebenen Befehl ausführen, der nicht dem ersten Grundgesetz widerspricht; also wird er den Standpunkt der Menschheit ohne jede Verfälschung darlegen. Und erst zum dritten ist er gehalten, seine eigene Existenz zu schützen; ohne auch nur im entferntesten andeuten zu wollen, daß die Ryl irgendwelche feindseligen Absichten haben könnten, ist das schließlich eine unabdingbare Voraussetzung für jeden Botschafter in einem fremden Gebiet.

Berücksichtigen Sie ferner noch das unbedingt logische, nicht durch irgendwelche Gefühlsregungen getrübte Denken des positronischen Gehirns, so können Sie sich doch keinen geeigneteren Verhandlungspartner wünschen!“

Ich sog die trockene Luft des Wüstenplaneten in meine Atemröhre; noch immer machte es mir Schwierigkeiten, auf diese Art die merkwürdigen Luftschwingungen zu erzeugen, durch die sich die Erdwesen verständigten.

„Gerade diese drei Grundgesetze machen aber einen Roboter für uns Ryl als Verhandlungspartner untragbar!“ wiederholte ich zum hundertsten Male. „Es ist eindeutig, daß die positronischen Gehirne ausschließlich darauf ausgerichtet sind, die Interessen der Menschen und nur der Menschen zu wahren: Ein Roboter darf keinen Menschen zu Schaden kommen lassen – wohl aber einen Ryl; ein Roboter muß jeden Befehl eines Menschen befolgen -aber nicht den Befehl eines Ryl. Damit bleibt für uns nur noch eine Maschine übrig, die mechanisch ihre eigene Existenz schützt und uns genauso wichtig nimmt, wie eine Fliege oder ein unbelebtes Stück Holz!

Wir müssen darauf bestehen, mit dem Weltkoordinator persönlich zu verhandeln!“

R 4141 gab seiner blechernen Stimme einen verletzten Beiklang. „Wir haben ausdrückliche Befehle, jeden Ryl genau wie einen Menschen zu behandeln und zu achten!“

„Das ist eine Behauptung, deren Wahrheit wir nicht prüfen können – ein Ryl kann wohl die Gedanken eines Menschen lesen, nicht aber die eines Roboters!“

„Und – ohne damit die geringste Unterstellung ausdrücken zu wollen – deshalb wäre eben ein Mensch ein Verhandlungspartner, gegenüber dem ein Ryl beachtlich im Vorteil wäre!“ R 4141 machte eine kurze Pause, dann dröhnte er mit erhöhter Lautstärke: „Wenn die Ryl immer Menschen als Verhandlungspartner fordern, dann könnte das wirklich zu der Vermutung führen, daß nicht eine allgemeine Kritik an den Grundgesetzen der Robotik, sondern der Wunsch nach diesem Vorteil der eigentliche Grund für sie ist, den Beginn der Verhandlungen immer wieder zu verzögern!“

„Und wenn die Roboter unseren Wunsch, mit dem Weltkoordinator selbst zu verhandeln, immer wieder ablehnen – “ gab ich zurück, „dann könnte das wirklich zu der Vermutung führen, daß der Weltkoordinator irgendwelche Gedanken hegt, die wir Ryl nicht erfahren sollen!“

Meine Atemröhre schmerzte von der trockenen Luft und der ungewohnten Anstrengung – diesem sinnlosen Sprechen, das jetzt schon viele Tage dauerte. Die Worte wechselten ein wenig, und es wechselten auch die Wege, auf denen wir jedesmal auf den Ausgangspunkt zurückkehrten – aber vorwärts kamen wir nie. Ich konnte nicht mit einer Maschine verhandeln, die technisch durchaus fähig war, in diesem Augenblick die Vernichtung aller Ryl zu planen, ohne daß ich es auch nur ahnte – und diese Maschine konnte aus irgendeinem Grunde nicht zulassen, daß ich die Gedanken des Weltkoordinators las. Es war wie im Endstadium jenes Schachspiels der Erdwesen, wenn sich immer die gleichen Züge wiederholen, ohne daß ein Spieler einen Vorteil davon hat: Fruchtlos und eintönig.

Nur einen Vorteil hatte ich: Während die Maschine immer wieder mechanisch die gleichen Argumente vorbringen mußte, konnte ich einmal damit aufhören. Und das tat ich jetzt.

R 4141 erhob sich schwerfällig. „Haben Sie noch irgendwelche Wünsche?“ fragte er höflich.

Ich wehrte ab. Ich wollte nachdenken – nachdenken, ob es nicht doch einen Ausweg aus der Sackgasse gab, in die unsere Verhandlungen geraten waren, noch ehe sie richtig begannen.

R 4141 schob sich schwerfällig von dannen. Die anderen Ryl der Delegation glitten auch davon – ich spürte die Wellen der Erleichterung darüber, daß die ermüdende Konferenz für heute beendet war. Sie konnten sich jetzt erholen – ich fing den Gedanken auf, daß sie sich zusammen mit ein paar Erdwesen aufmachen wollten, um eine Fahrt zu den uralten Ruinen draußen in der Wüste zu machen. Es war so schade: Sie verstanden sich so gut miteinander, die Erdwesen und meine Ryl – trotz aller Verschiedenheiten; und wären nur nicht diese gräßlichen unerforschlichen Maschinen mit ihren stumpfen Metallgesichtern und ihren undurchdringlichen Metallgehirnen gewesen – hätte ich nur einmal dem Weltkoordinator genauso gegenüberstehen können, wie ihnen – vielleicht wären dann all unsere Sorgen schon längst vorüber…

Warum entzog sich dieser Mensch nur jedem direkten Kontakt? War es wirklich nur die Sorge, die Ryl könnten irgendeinen Vorteil aus ihren telepathischen Fähigkeiten ziehen? Oder hatte er nicht doch etwas zu verbergen – ein Geheimnis, einen Verrat? Das seltsame war ja, daß er hier auf diesem Planeten weilte – daß er die zermürbende Fruchtlosigkeit der Verhandlungen mit seinen Robotern aus nächster Nähe erlebte, ohne einzugreifen!

Dort drüben – in dem schlanken Raumschiff der Erdwesen – hielt er sich verborgen; und drei massige Roboter hielten am Fuß des Schiffes Wache, damit niemand zu ihm gelangte. Es waren immer die gleichen Roboter – anscheinend eine spezielle Leibwache.

Aber waren es diesmal wirklich die gleichen? Der eine sah doch fast aus wie R4141! Ich glitt näher. Tatsächlich – das war R 4141 und jetzt fiel mir auch wieder ein, was ich im Vorbeigleiten in den Gedanken eines Erdtechnikers entdeckt hatte: daß heute nachmittag irgendeine der üblichen Überholungsprüfungen angesetzt war – eine Überholungsprüfung für Roboter.

Anscheinend hatte man den einen von ihnen zu dieser Prüfung beordert – und R 4141 hatte einspringen müssen. Aber war R 4141 ein Wachroboter? Eben hatte er mir doch versichert, seine Befehle zwängen ihn, einem Ryl genauso zu gehorchen, wie einem Menschen!

Unklar formte sich ein Plan in meinem Gehirn.

Die drei schweren Maschinenwesen marschierten regelmäßig im Kreis um das Raumschiff – um hundertzwanzig Grad gegeneinander versetzt. Wenn R 4141 genau an der Einstiegleiter des Schiffes war, dann befanden sich seine Kollegen ebenso exakt an Stellen hinter dem zylindrischen Körper – an Stellen, von denen aus ihre Photozellenaugen die Leiter nicht sehen konnten. Freilich war diese Leiter für Menschen bestimmt – Menschen mit langen, beweglichen Beinen – und nicht für die weiche Gleitfläche eines Ryl. Aber hatte ich nicht fünf kräftige Arme?
Allerdings – wenn ich die Höhe der Leiter abschätzte: Ich konnte unmöglich bis zur Einstiegluke gelangen, ehe einer der anderen Roboter in Sicht kam. Aber würde er dann die obere Hälfte der Leiter kontrollieren – oder das Gelände rings um das Raumschiff? Ich konnte es nicht wissen, ob R 4141 wirklich meinen Befehlen gehorchen würde. Aber schon allein das zu entdecken, war die Mühe wert…

Wieder glitt ich ein Stück näher. Der eine Roboter verschwand hinter der Biegung der zylindrischen Düsen – und von der anderen Seite kam R 4141. Jetzt! Das letzte Stück – und dann…„Heb mich hoch – so hoch es geht – das ist ein Befehl!“
Fast pfeifend kamen die Laute aus meiner Atemröhre – aber R 4141 verstand sie – und gehorchte! Ich fühlte, wie er meinen Rumpf packte und hob – immer höher – jetzt konnte ich drei Arme um die Streben der Leiter schlingen…

„Geh weiter!“

Schwerfällig schob sich R 4141 davon. Meine Arme schmerzten von dem ungewohnten Gewicht meines Körpers – die scharfen Sprossen schnitten in die weichen Fibern – aber ich zog mich höher. Nach den ersten Zügen fand ich mich schon besser zurecht: Ich hielt mich mit zwei Armen an den Sprossen fest, während ich mit den anderen beiden nach den nächsthöheren angelte, und ließ den fünften lose hängen – er hinderte mich nur. Aber jetzt kam der andere Wachroboter in Sicht…

Mit gleichmäßigen Schritten bog er um die Rundung – sein metallener Schädel drehte sich nach allen Seiten – aber nicht nach oben! Er marschierte gradewegs unter mir vorbei, ohne mich zu bemerken! Jeder im Lager hätte mich sehen können – aber es schien ja kaum jemand da zu sein: Fast alle hatten sich dem Ausflug zu den Ruinen angeschlossen!

Wieder zog ich mich höher — da hielt ich plötzlich inne: Fremde Gedankenströme trafen mein Gehirn. Natürlich – daran hätte ich denken müssen: die Einstiegluke hatte innen noch einen menschlichen Wächter! Aber dann spürte ich, daß ich ungewöhnliches Glück hatte: denn der Gedankenstrom, den ich auffing, lautete etwa:

„So was Dummes – ???? vergessen – jetzt den ganzen Nachmittag ohne ???? – ach was, kann ich noch rasch holen – sowieso Unsinn, das Wachestehen hier: die Roboter passen ja auf! „

Ich konnte nicht herausbekommen, was das Erdwesen vergessen hatte – irgendeine Art klebriger Materie, die man in den Mund steckte, aber nicht aß – doch ich konnte spüren, wie es sich entfernte – und wie es sich vergewisserte, daß es niemand auf seinem Weg sah – und so sah auch mich niemand, als ich durch die Einstiegsluke glitt.

Obwohl ich noch nie in dem Erdenschiff gewesen war, kannte ich sein Inneres gut genug – aus den Gedanken der Erdwesen, die in ihm zu tun hatten: der Robot- und Nachrichtentechniker. Ich kannte den Weg zu den Räumen des Weltkoordinators, und ich wußte sogar, wie er aussah – freilich nur so, wie er sich den Augen der Erdwesen dargeboten hatte, aus deren Erinnerungen ich schöpfte: Für die fünf Kugelaugen eines Ryl sah das alles erheblich anders aus. Doch als Mitglied der Kontaktdelegation war ich darin geschult, die Bilder zu übersetzen…

So stand ich endlich – ermattet, aber ohne jeden störenden Zwischenfall – vor der Tür zu den Räumen des Weltkoordinators.

Jetzt, da ich das langersehnte Ziel erreicht hatte, überfielen mich schwere Zweifel. Was ich getan hatte war zweifellos ein Bruch all unserer Vereinbarungen; ich wußte zwar, daß ich nur ein friedliches Gespräch suchte – aber die Erdwesen konnten meine Gedanken ja nicht lesen. Man konnte genauso gut glauben, ich hätte die Absicht, zu spionieren oder gar den Koordinator tätlich anzugreifen! Und was das – in der ohnehin gespannten Lage bedeuten konnte…

Geräusche jenseits der Tür ließen erkennen, daß der Koordinator in seinem Raum war – aber warum spürte ich seine Gedanken-Ströme nicht? Ich spannte meine Aufmerksamkeit voll an, als sich die Tür öffnete…

„Nun – das ist ein unerwarteter Gast!“ Die Stimme klang voll und angenehm – aber ich verstand die Worte fast nicht vor fassungsloser Verblüffung: jetzt hätte ich doch Gedanken aufnehmen müssen – Überraschung, Sinneseindrücke, vielleicht sogar Beunruhigung; aber ich empfing nichts – nichts!

Die Augen des hochgewachsenen Koordinators musterten mich von oben bis unten. „Gondor Ryan, vermute ich? Sie sind der Sprecher Ihrer Delegation, nicht wahr?“

Ich versuchte zu antworten, aber es gelang mir nicht, Laute zu formen. In meinem Hirn jagten sich die Gedanken: Gab es unter den Erdwesen auch Nichttelepathen? Das schien fast unmöglich -die Fähigkeit der Telepathie beruht auf Eigenschaften des Denkprozesses, die untrennbar mit jedem überhaupt lebenden Gehirn verbunden sind. Oder – hatten die Erdwesen einen telepathischen Schirm entdeckt – ähnlich der goldenen Maske des Schweigens, die unsere Hohen Priester, die Richter und die Prüfer der hohen Schulen benutzen durften? Aber warum dann die stete Weigerung der Erdwesen, mit uns direkt zu verhandeln – unter Hinweis auf die Vorteile, die uns die Telepathie bringen würde?

„Ich würde gern sagen, daß ich mich über Ihren Besuch freue – “ fuhr der Koordinator fort, „aber ich kann es nicht. Ich weiß nicht, wie Sie hierher gelangt sind – aber bald werden Sie verstehen, warum ich gerade das jetzt schon Wochen hindurch zu verhindern suchte; und ich kann nur hoffen, daß…“

Plötzlich nahm ich Gedanken wahr – aber es waren nicht die des Koordinators, sondern die eines anderen Wesens, das den Raum betreten hatte. Jetzt sah es mich – und eine Flut wirrer, erschrockener Gedanken wirbelte durch sein Hirn…
Und jetzt verstand ich. Jetzt verstand ich alles – das Vorschicken der Roboter – die ewige Verzögerung der Verhandlungen – die Unerreichbarkeit des Koordinators – und die Ausweglosigkeit unserer ganzen Situation. Und ich verstand auch, daß es für diese beiden – den Koordinator und das Erdwesen Marc, das die anderen für seinen Sohn hielten – nur eine Konsequenz geben konnte: Daß Gondor Ryan, der Sprecher der Ryl, dieses Schiff nicht mehr lebend verlassen durfte.

Eigentlich hätte ich es schon vor Minuten erkennen müssen – die Erklärung, weshalb ich keine Gedanken des Koordinators auffing, war mir doch so vertraut: Ein Ryl kann zwar in einem menschlichen Gehirn lesen, aber nicht in einem – positronischen…

Ja – der Koordinator war, trotz seines menschlich erscheinenden Körpers, trotz seiner tiefen, angenehmen Stimme, trotz seines Ranges und seiner Würde, kein Mensch – sondern ein Roboter. Das war das Geheimnis, das, wie ich aus den Gedanken des Erdwesens Marc las, selbst die wenigsten Menschen kannten.
Eigentlich war es – vom Standpunkt der Erdenwesen aus gesehen – nur konsequent. R 4141 war nicht müde geworden, mir die Vorzüge einer robotischen Politik zu preisen: Leidenschaftslos und logisch – schneller und sicherer reagierend als jedes lebende Gehirn – und unausweichlich an die Gesetze gebunden, die jeden einzelnen Menschen unverletzlich machten: So war das positronische Gehirn die ideale „Regierungsmaschine“. Und ein solches Gehirn in einem nach außen hin menschlichen Körper zu verbergen, war sicherlich ein geschickter Schachzug gegenüber Menschen, die sich einer Maschine nicht so freiwillig unterworfen hätten…

Aber gerade diese kristallklare Konsequenz und Logik ließ mich verzweifelt erkennen, wie aussichtslos die Lage für uns Ryl war: Wenn selbst der Weltkoordinator, die oberste Macht im Reiche der Erdwesen – ein Roboter war, ein Roboter, dem nur Menschen unverletzlich waren, aber keine anderen Wesen, dann wurde unsere alte Sorge zur unausweichlichen, niederschmetternden Gewißheit.

Ich spürte in den Gedanken des Erdwesens Marc den Wunsch nach Vernichtung. Gedämpft durch Mitgefühl und die Überzeugung, daß ich ein unschuldiges Opfer sein würde, gewiß – aber angefacht durch die Überlegung: Jetzt ist es erst ein Ryl, der das Geheimnis kennt – aber wenn er es weitergibt, dann schwindet jede Aussicht, sich mit den Ryl noch zu verständigen! Besser ein Opfer – als einen Kampf der beiden Rassen, der Hunderttausende von Opfern fordern kann! Und – diese Überlegung war richtig…

„Nichts Vorschnelles, Marc!“ Mit hartem Griff packte die Hand des Koordinators – Stahl und Leichtmetall unter weicher Plastik-Muskulatur – den Arm des Erdwesens, der schon eine Strahlpistole gehoben hatte. „Zu einer solchen Konsequenz ist es immer noch früh genug!“

Und diese Worte gaben mir neue Kraft. Ich war nicht so hilflos, wie die beiden glaubten! Es ist richtig, daß unsere telepathischen Fähigkeiten normalerweise daran gebunden sind, daß wir dem Partner gegenüberstehen – aber in Todesgefahr, in äußerster Anspannung kann der geübte Ryl seine Brüder auch über weite Entfernungen erreichen.

Ich hörte nicht mehr, was die beiden sprachen – ich konzentrierte meine ganze Energie darauf, den Kontakt mit meinen Freunden aufzunehmen, die zu den alten Ruinen gefahren waren – ich spannte unwillkürlich die Fibern meiner Arme an, als könne ich sie herbeiziehen – spürte, wie alle Energie in mir nach innen floß – wie sich das Bild der Kabine vor meinen Augen verwischte – Dunkel – Leere –
Und dann auf einmal, wie ein schwerer, unerwarteter Schlag, fluteten die Empfindungen über mich herein: Schmerz!!! Zerreißendes Gewebe – zuckende Arme – sickernder Körpersaft -und Angst, höchste Todesangst: nicht jene fast nüchterne, kühle Überlegung, die mich eben davon überzeugt hatte, daß meine Chancen, das Raumschiff lebend zu verlassen, gering seien – sondern irre, kreisende, tierische Angst vor der Vernichtung – vor reißenden, schneidenden Klauen, die den Leib zerfetzen!

„Was fehlt Ihnen, Gondor Ryan?“ drang wie von fern die Stimme des Koordinators zu mir. „Beruhigen Sie sich – Ihnen droht keine Gefahr! Wir werden einen Weg finden, die Situation zu klären – einen anderen Weg, als ihn der temperamentvolle Marc gehen wollte!“

Ich tauchte wie aus einem tiefen Schacht wieder auf – langsam gewannen die Umrisse der Kabine um mich her wieder Gestalt; und ich zwang mich, endlich wieder verständliche Laute zu formen:

„Nicht – ich – die anderen, die Ryl bei den Ruinen – ein Unglück – sie sind tot – oder sterben „

„Sie – Sie sind gekommen, um Hilfe zu holen?“

„Nein – ich – habe gespürt – Fernkontakt – ein Ungeheuer mit tausend Klauen – zerreißt sie – “ Mir kam zum Bewußtsein, daß all das diesem Roboter ja gleichgültig sein mußte; für ihn waren wir Ryl ja nichts anderes als irgendwelche seltsamen Tiere.

„Auch die Menschen – dort – in Gefahr!“ fügte ich hinzu. Gespürt hatte ich davon nichts – aber es war schließlich mehr als wahrscheinlich; ich konnte mir nicht vorstellen, daß die Menschen ein solches Untier herbeigeschafft und auf meine Brüder gehetzt haben sollten – sie waren wohl alle zusammen Opfer dieses unfaßbaren Angriffs.

„Marc – ein Boot!“ hörte ich den Koordinator noch sagen -dann sank ich in tiefes Dunkel zurück.

Der Ort des Unglücks lag ein gutes Stück weit entfernt – irgendwo in der Wüste, im Schatten jener uralten Ruinen, deren Zweck wir heute kaum mehr ahnen konnten.

Und es schien so, als seien diese Ruinen selbst die Ursache der Katastrophe gewesen: Denn es war der Turm, der die Ruinenstätte weithin kenntlich gemacht hatte, unter dessen Trümmern jetzt die leblosen Körper der Ryl und der Menschen begraben lagen, die diese unglückselige Fahrt unternommen hatten. Er mußte – warum, konnten wir uns nicht erklären – eingestürzt sein, gerade als sich die Gruppe an seinem Fuß aufhielt.

Aber so schrecklich der Anblick der zerschmetterten Leiber war – ich hätte gewünscht, wir hätten weiter nichts gefunden. Aber hier – zwischen Trümmern und Leichen – stießen wir auf das Schrecklichste: Einen Anblick, der – wie ich aus den Gedanken des Erdwesens Marc spürte – gleich grausig für Menschen wie für Ryl war.

Das Ungeheuer war fast so lang wie drei Erdwesen. Sein stumpfbrauner Leib bog und wand sich unter zahllosen Schuppenringen – und seine vielfach gegliederten Beine zuckten in einer unfaßbaren Vielfalt von Bewegungen: Hier gruben sich seine scharfen Klauen in den noch zuckenden Körper eines sterbenden Ryl – dort hoben sie den zerschmetterten Schädel eines Menschen und ließen ihn wieder fallen – da zerrten sie einen nur Verletzten unter den Trümmern hervor – es war ein Anblick, bei dem mich eine unwiderstehliche Übelkeit schüttelte.

Dem Erdwesen Ralph ging es nicht viel besser – und ich mußte zu meinem eigenen Grauen noch das seine mitspüren. Doch das unausweichliche Gesetz trieb den Weltkoordinator – den Roboter – vorwärts: Er mußte versuchen, die Menschen, die dort unter den Klauen des Untieres zuckten, zu schützen. Er sprang aus dem Boot und lief auf die Unglücksstätte zu – doch ein wuchtiger Schlag mit dem Schwanz des Untieres (oder war es das Kopfende? Beide sahen gleich aus!) schleuderte ihn meterweit zurück.

Marc hob schnell seine Strahlpistole. Der bläuliche Schein schoß in einem vernichtenden Kegel auf das Untier zu – zischend zergingen Steine und Sand um den braunen Leib: aber das Wesen blieb unverletzt. Fassungslos ließ der Erdmensch den Strahl immer wieder auf das Ungeheuer los – aber es schien gegen die Energie gefeit!

Ich spürte, wie ihn das Entsetzen zu übermannen drohte – doch da geschah etwas Unerwartetes. Irgendwo im Unterbewußtsein hatte ich schon von Anfang an gespürt, daß noch andere Wesen in der Nähe sein mußten – jetzt tauchte plötzlich hinter der zerfallenen Wand einer Ruine das Boot auf, mit dem die Gesellschaft gestartet war. Erleichtert spürte ich die Gedankenströme meiner Brüder – und der Menschen, die sie begleiteten.

Wir hatten das Ausmaß des Unheils überschätzt: Es konnte nur eine kleine Gruppe gewesen sein, die hier unter den Trümmern des Turms begraben lag – die meisten befanden sich dort im Boot und eilten zur Hilfe herbei. Aber konnten sie Hilfe bringen – gegen diesen unverletzlichen Gegner?

Doch unsere Überraschungen waren noch nicht zu Ende. Kaum war das Ungeheuer der Kommenden ansichtig geworden, als es von seinen Opfern abließ. Nur den Verletzten schoben seine Klauen noch ein Stück weiter – dann wandte sich der riesige Leib zur Flucht. Oder wollte es die Ankömmlinge angreifen?
Von unserem entfernten Standpunkt aus sah es fast aus wie ein seltsamer Beschwörungstanz: Die Menschen und Ryl des Bootes formten eine Reihe, gegen die sich das Untier wandte – und wieder zurückwich. Bläuliche Strahlen umflirrten es – aber die Strahlpistolen verletzten es nicht; doch Schritt für Schritt drängte es die Kette der Angreifer gegen die Mauer zurück. Ein wuchtiger Schlag mit einem Spaten zerspaltete fast das eine Ende des Leibes – und das Ungeheuer wehrte sich nicht – es wich aus – und es schien geradezu Angst zu haben?

„Schnell! Die Gitter!“ Der Koordinator hatte sich aus dem Sand wieder aufgerappelt – und während wir noch versuchten, zu verstehen, was eigentlich vorging, hatte sein blitzschnell arbeitendes positronisches Gehirn schon einen Angriffsplan gefaßt: Die Explorationsboote – oft auf fremden Planeten mit gefährlichen Bewohnern eingesetzt – hatten als Standardausrüstung auch einen Vorrat biegsamer Tronium-Gitter: Leicht wie Aluminium, aber hart wie das Metall einer Raumschiffhülle. Während die anderen das Untier mit Schlägen und Hieben in Schach hielten, rollten einige der Menschen die Gitter aus – und in Minuten war das fremde Wesen von einem dreifachen Wall umgeben, der an der Ruinenwand verankert war. Mit geschwächter Energie arbeitende Strahlpistolen schmolzen den Sand unter den Klauenbeinen des Untiers zu einer einzigen glitzernden Quarzplatte zusammen und nahmen ihm den letzten Ausweg.

„Zumindest eine neuartige Kombination: Hat keine Angst vor Strahlpistolen – wohl aber vor Knüppelschlägen!“ sagte nun Marc schweratmend.

„Und greift offenbar nur wehrlose Gegner an – eine Art Aasfresser!“ ergänzte der Weltkoordinator. „Ein wenig sympathisches Tierchen!“

„Sofern“, fügte er nachdenklich hinzu, „das nicht nur eine Art Kriegslist ist!“ Er beobachtete das Unwesen scharf. Es lag still – nur seine unzähligen Klauenbeine zuckten hin und wieder. Doch jetzt richtete es plötzlich das eine Ende seines Leibes auf – stützte sich, wie um Halt zu gewinnen, mit dem äußersten Beinpaar auf den Boden und begann mit den anderen, erhobenen Beinen seltsame Bewegungen über dem Boden zu machen.

„Was soll das bloß?“ fragte Marc mißtrauisch.

Wir Ryl hatten den Menschen wenig helfen können. Auch die Gedanken, die ich mit meinen Brüdern austauschte, brachten keine rechte Klärung: Sie hatten die verunglückte Gruppe – einen Ryl und zwei Menschen – wohl zwischen den Ruinen verschwinden sehen, waren dann in weiter Ferne durch den Einsturz des Turmes alarmiert worden und herbeigeeilt – aber was eigentlich geschehen war, wußten auch sie nicht. Und die Verunglückten waren nicht in der Lage, es uns zu schildern – zwei waren tot, der übriggebliebene Mensch schwer verletzt.

Aber die Aufklärung sollte uns von einer einigermaßen unerwarteten Seite kommen. Der Koordinator hatte das Wesen und sein seltsames Treiben nicht aus den Augen gelassen und sagte plötzlich:

„Marc! Gondor Ryan! Seht her – ich glaube, das Biest zeichnet etwas auf den Boden!“

Tatsächlich. Fasziniert starrten wir auf die vielgliedrigen Arme, die in die glattgebrannte Quarzfläche jenseits des Gitters jetzt Linien kratzten – mit Klauen, die schärfer sein mußten als Quarz! – und diese Linien zu Bildern formten. Fast zehn Arme arbeiteten zu gleicher Zeit an diesem Bild – und endlich waren sie fertig: Mit der Präzision eines technischen Konstruktionsplanes zeigten sie uns ein Bild, das wir wiedererkannten – die Szene des Unglücks!

Das war der hohe Turm – das die langgestreckte Mauer – und davor, in ihren Umrissen deutlich erkennbar, waren zwei menschliche Gestalten und die Kegelform eines Ryl gezeichnet.

„Unfaßbar!“ murmelte Marc. „Mit zehn Armen zugleich ein solches Bild zu zeichnen – und auch noch so, daß es für das Biest auf dem Kopf steht – das ist doch unglaublich!“

„Sieh genauer hin!“ warf der Koordinator ein. „Der eine Mensch hält eine Strahlpistole – und diese Linien sollen bedeuten, daß er schießt: auf den Fuß des Turmes!“

Das Wesen machte mit seinen Armbeinen eine seltsame Geste -dann schob es sich weiter und begann auf einem noch unberührten Fleck eine neue Zeichnung.
„Es meint, der Schuß hat die Basis des Turmes getroffen, dort die Materie aufgelöst, und dadurch ist der Bau eingestürzt!“ sagte Marc atemlos.

Eine dritte Zeichnung entstand: Zwischen angedeuteten Trümmern lagen die Leiber der Menschen und des Ryl – und nun setzte das Wesen seinen eigenen gewundenen Leib dazwischen: Mit ein paar Beinpaaren die Körper anhebend und Trümmer beiseite schiebend.

„Ist das wirklich möglich? Es ist erst nachträglich dazugekommen – und hat nur versucht, den Verunglückten zu helfen?“ fragte Marc zweifelnd.
„Das ist seine Darstellung des Vorganges! Gondor Ryan hat etwas anderes dazu zu sagen, nicht wahr?“ sagte der Koordinator kühl. „Können Sie die Gedanken dieses Wesens lesen?“ fuhr er zu mir gewandt fort. „Diese Geschichte vom barmherzigen Samariter paßt kaum zu dem Eindruck von reißenden Klauen, den Sie empfangen haben, als das Unglück geschah!“

Ich hob bedauernd die Arme. „Ich empfange nichts. Ich kann nicht beurteilen, ob dieses Wesen überhaupt denkt – geschweige denn, was. Ich weiß nur, daß es seine Klauen in den Leib des toten Ryl geschlagen haben muß, als er noch lebte – ob, um ihm zu helfen, oder um ihn vollends zu töten, das kann ich nicht entscheiden!“
Der Koordinator nickte langsam. „Die ganze Sache ist sehr unklar. Wir wissen nicht, warum der Mensch geschossen hat – wir wissen nicht, woher dieses Wesen überhaupt kommt – wir wissen nicht, was es vorhatte. Nur eines wissen wir: daß es keineswegs irgendein harmloses Tier ist, sondern zumindest so intelligent wie wir – und unverletzlich für Strahlpistolen!“

Er wandte sich ab. „Gondor Ryan, ich halte es für gut, wenn wir“, er stockte, „wenn wir unser Problem zurückstellen, bis wir mit diesem Wesen da im reinen sind. Es könnte sein, daß es für uns alle gefährlicher ist, als sich Ryl und Menschen und Roboter je werden können!“

Ich neigte meinen Kopfstern – eine Geste, die auch bei uns Zustimmung bedeutet. „Ich werde meinen Brüdern das Geheimnis nicht mitteilen – jetzt, inmitten der vielen Menschen, wird es ihnen nicht auffallen, daß sie die Gedanken des Koordinators nicht empfangen können. Und ich glaube, wir dürfen sie jetzt nicht beunruhigen!“

„Vater“, unterbrach uns Marc, der hinzugetreten war, „der Verwundete! Er scheint zu sich zu kommen – kann aber nicht sprechen. Vielleicht können die Ryl…?“

„Ein guter Einfall!“ erwiderte ich. „Ich will versuchen, was ich aus seinen Gedanken erfahren kann!“

Ich glitt an die Seite des Verletzten. Einer der Menschen hatte seinen Kopf – der aus mehreren Wunden blutete – in den Schoß genommen und war dabei, ihn zu verbinden. Die anderen, die im Kreis um ihn herumstanden, machten mir eifrig Platz, als sie von meiner Absicht erfuhren.

Es war schwer, zwischen den immer wieder aufbrandenden Wellen des Schmerzes die Gedankenströme der Erinnerung zu erfassen. Aber allmählich formte sich vor mir das Bild der Vorgänge:

„Sie wollten – jagen. Diese kleinen Wüstentiere, die hier zwischen den Ruinen hausten. Sie hatten sich von den anderen getrennt. Der andere Mensch hatte gerade eines der Tiere geschossen – nicht mit einer Strahlpistole, mit einer altmodischen Kugelbüchse – da tauchte das Untier auf – irgendwoher aus den Ruinen!“

Ich hielt inne. Wenn ich in die Gedanken des anderen eindrang, mußte ich auch all seine Schmerzen mitspüren…

„Ehe er es noch begriffen hatte, packte das Untier mit seinen Klauenbeinen das Gewehr und wollte es ihm entreißen. Dabei löste sich ein zweiter Schuß – er traf unglücklich den Ryl, der in der Richtung stand. Und gleich darauf stürzte sich auch das Untier auf den Ryl und bohrte seine Klauen in seinen Leib…

Der Verwundete hob seine Strahlpistole, um das Untier anzugreifen. Aber der Strahl schadete ihm nichts – er traf nur die Mauer des Turmes. Und die löste sich auf – der Turm stürzte ein, und seine Trümmer begruben alle drei unter sich…”
Atemlos gespannt hatten die anderen gelauscht.

„Das sieht verdammt anders aus als die Bildergeschichte, die uns das Vieh erzählen wollte“, knurrte Marc.

Ich neigte meinen Kopfstern. „Bedenken Sie auch, daß das Tier den Koordinator angegriffen hat, als er dem Verwundeten zu Hilfe eilen wollte!“

“Es ist ein wahres Wunder, daß ihm nicht mehr geschehen ist!” stimmte der Arzt der Erdmenschen zu. “Auch unser Freund hier”, er wies auf den Verwundeten, “hat mehr Glück als Verstand gehabt – bloß einen glatten Schenkelbruch und oberflächliche Verletzungen – ich will nur der Vorsicht halber seine Wunden noch desinfizieren – “

„Vorsicht! – Das Tier! – Die Gitter!“

Wir fuhren auf. Mit einem wütenden Ruck hatte sich das Ungeheuer gegen die Tronium-Gitter geworfen. Scharfe Klauenzangen packten die Stäbe, bogen sie und zerbrachen sie – der lange, braune Leib wand sich und schoß durch die Öffnung!

„Zum Boot!“

Ein starker Arm packte mich und riß mich mit. Rings um uns stoben Ryl und Menschen auseinander, während sich das Untier auf den Verwundeten stürzte, der allein hilflos zurückgeblieben war. Es war wahrhaftig nicht Feigheit, daß ihn die Erdwesen zurückließen – sie hätten ihn aus den Klauen des Untiers herausreißen müssen, denn es hatte sich zielsicher über ihn geworfen.

„Verdammt!“ knirschte Marc, als wir das Boot sicher erreicht hatten. „Also war alles nur eine List, um uns in Sicherheit zu wiegen!“

„Es ist unverständlich“, sagte der Koordinator leise. „Dieses Wesen ist intelligent genug, uns diese Zeichnung zu zeigen – und dann wiederum so sinnlos wütend, daß es die Gitterstäbe zerbricht und uns deutlich zeigt, worauf es eigentlich aus ist. Ich kann List und Heimtücke verstehen – und auch ungezähmte Freß- oder Angriffslust – aber dieses Gemisch von beidem?”

„Und dann“, fuhr er fort, „noch so ein Widerspruch: Es widersteht Strahlwaffen und kann Troniumstäbe zerreißen – aber es flieht vor einem Menschen, der es mit dem Spaten angreift! Ich verstehe dieses Wesen nicht!“

Er versank in nachdenkliches Schweigen.

„Chef“, knurrte einer der Erdmenschen, die mit uns Zuflucht im Boot gesucht hatten, „mich interessieren psychologische Studien über dieses Vieh wirklich nicht, solange der arme Kerl da draußen unter seinen Klauen liegt! Will ihm denn keiner helfen?“

„Der einzige Weg, ihm zu helfen, ist, herauszubekommen, was das Wesen eigentlich will! wies ihn der Koordinator zurecht. „Soll ich etwa mit einer Strahlpistole schießen? Das schadet dem Verwundeten mehr als dem Untier!“

Er hatte recht – er mußte recht haben; denn hätte es einen anderen Weg gegeben, so hätte er ihn – als Roboter – wählen müssen. Ich ahnte, daß sich in seinem positronischen Gehirn jetzt die Ströme jagten, um eine Lösung zu finden.
Aber ich ertrug es nicht länger, diesem Schauspiel zuzusehen: ein rötlicher biegsamer Rüssel war irgendwo aus dem Leib des Untiers hervorgekommen und wühlte in den Wunden des Verletzten – ich hatte selbst die Schmerzen des sterbenden Ryl gespürt – und jetzt schlugen die Wellen der Angst des Verwundeten zu mir herüber …

„Gondor Ryan!“ rief der Koordinator. „Bleiben Sie stehen!“

Ich hörte nicht auf ihn. Ich hatte mich über die Wandung des Bootes geschwungen und glitt jetzt über die Sandfläche auf das Untier zu. Mich schüttelte das Grauen bei dem Gedanken an seine reißenden Klauen – aber die würgende Angst, die aus den Gedanken des Verletzten zu mir drang, seine verzweifelten, stummen Hilferufe zogen mich genauso stark und unwiderstehlich an, als sei ich ein Roboter, den das Gesetz zwang, ihm zu Hilfe zu eilen.

Jetzt hatte ich ihn erreicht. Dicht vor mir lag der Leib des Untieres – dort zuckten die Klauenbeine, und der Rüssel tupfte ruhelos an den Wundrändern. Ich schob einen meiner Arme vor und suchte ihn wegzureißen, aber schon schoben sich andere gegliederte Beine dazwischen – und nun packten sie mich plötzlich, hoben mich – schon glaubte ich, die scharfen Klauen in meinem Leib zu fühlen…

… aber ich fühlte nichts. Es war geradezu ein betäubender Schock: Anstatt des wilden Schmerzes, auf den ich gefaßt war, fühlte ich mich nur sanft emporgetragen; die scharfen Messerklauen waren eingezogen und die starken braunen Beine verursachten mir weniger Schmerz als vor ein paar Stunden die kantigen Leiterholme des Erdschiffes!

Sorgfältig, fast liebevoll setzten mich die seltsamen Greifer wieder in den Sand und zogen sich gestikulierend zurück, als wollten sie sich für ihr Vorgehen entschuldigen.

Aber die Angst des Verwundeten trieb mich wieder vorwärts. Hinten – im Boot – schrieen die Menschen etwas Unverständliches. Unklare Gedankenfetzen der Ryl drangen zu mir. Aber sie alle wurden übertönt durch den Schreck des Verwundeten. Aber plötzlich ließ dieses wilde Drängen nach – die Gedanken wurden schlaff. Stirbt er jetzt, fragte ich mich. Aber schon schoben sich andere Gedanken nach vorn – und so unfaßbar es mir erschien: Der Verwundete – träumte! Er schlief!

Der braune Leib des fremden Wesens bäumte sich auf. Der rote Rüssel verschwand – die Klauenbeine lösten sich – es war, das spürte ich, im Begriff, zurückzuweichen; doch da traf mich plötzlich mit voller Stärke ein warnender Gedankenschrei:

„Vorsicht, Gondor Ryan!“

Und mit gräßlicher Klarheit drang aus dem Hirn eines anderen Ryl ein Bild auf mich ein: Einer der Erdmenschen im zweiten Boot hatte die Nerven verloren. Er hob, allen Erfahrungen zum Trotz, seine Strahlpistole, um auf das Wesen zu schießen – und ich stand genau in der Linie des Strahls!

Ich spürte noch, wie der Ryl den Arm des Erdmenschen abzulenken suchte. Aber es war zu spät. Ich sah, wie der bläuliche Kegel auf mich zuschoß! Das Wesen bäumte sich hoch auf. Dann hörte ich ein dumpfes Zischen. Ungeheure Hitze hüllte mich ein – und zum zweiten Mal an diesem Tag verlor ich das Bewußtsein.


„Dem Himmel sei Dank, Gondor Ryan!“

Ich blickte in die Augen eines Erdmenschen, der über mich gebeugt war. Ich las seine Gedanken: Scham und eine tiefe Erleichterung. Es war der Mann, der den unglückseligen Schuß abgegeben hatte.

„Ich – ich konnte es einfach nicht mit ansehen, wie das Vieh…“ stammelte er. Ich neigte begütigend meinen Kopfstern und legte einen meiner Arme auf den seinen.
„Ich verstehe – es wäre mir vielleicht genauso gegangen“, beruhigte ich ihn. „Aber – wieso…!“

Wieso lebe ich noch? wollte ich fragen. Ich kannte die Strahlwaffen der Erdmenschen. Nichts konnte in ihrem Kegel bestehen, wenn nicht Tronium-Metall oder…

„Was ist mit dem – Wesen?“ fragte ich stattdessen.

„Das hat es erwischt!“ sagte der Erdmensch mit tiefer Befriedigung. „Dieser Strahl war offenbar mehr, als es aushalten konnte!“

Ich richtete mich auf. Irgendwo auf dem Sand in meiner Nähe lag der verkrümmte Körper des Wesens, das uns alle vor wenigen Minuten noch mit solchem Grauen erfüllt hatte – halbverbrannt und leblos. Ein paar Menschen und Ryl schienen den Körper gerade näher zu untersuchen.

Der Koordinator war näher getreten, Marc an seiner Seite.

„Gondor Ryan – wir Menschen werden es nicht vergessen, daß ein Ryl es war, der als einziger gegen dieses – Ungeheuer anzugehen wagte“, sagte Marc leise. „Und ich wollte noch vor ein paar Stunden…“

Wieder spürte ich eine Welle von Scham aus seinen Gedanken zu mir herüberschlagen. Es war mir unangenehm. Schließlich hatte ich kaum überlegt, als ich aus dem Boot gesprungen war…

Aber irgend etwas stimmte doch bei der ganzen Sache nicht! Es war doch unmöglich, daß ein Ryl sich für einen Menschen einsetzte, während ein Roboter untätig dabeistand? Wo blieb da das erste Grundgesetz? Ich hatte das Gefühl, daß ich alle Vorgänge noch immer nicht recht verstand. Ein Schuß tötete das unverletzliche Ungeheuer, aber ich blieb verschont. Ein Verwundeter fiel aus Todesangst in friedlichen Schlummer – ein Roboter vergaß seine Pflicht – Widersprüche über Widersprüche!

„Chef!“ Ein aufgeregter Ruf ließ den Koordinator auffahren. Einer der Männer, die das leblose Wesen untersucht hatten, hielt gestikulierend etwas in die Höhe, was er aus dem verkrümmten Rumpf gezogen hatte. „Chef! Kabel und Spulen!“
Wenige Augenblicke später standen wir um den halbverkohlten Körper und starrten auf das, was die vernichtenden Strahlen der Waffe freigelegt hatten: Nicht Knochen oder Muskeln – unzählige, regelmäßig angeordnete Leitungen und Spulen, Kondensatoren und Transistoren füllten den Rumpf aus.

„Dieses – dieses verdammte Biest war ein Roboter!“ rief Marc fassungslos.
Der Koordinator nickte.

„Ich vermutete es schon seit einiger Zeit – jetzt wissen wir es sicher. Und ich möchte dich bitten, vorsichtig mit Ausdrücken, wie ,das verdammte Biest‘, zu sein – ich fürchte, sie passen besser auf uns alle, als auf dieses Wesen!“

Der Koordinator schwieg eine Weile nachdenklich. Dann fuhr er sich mit einer seltsam menschlichen Geste über die Augen und begann leise:

„Marc, wie lauten die drei Grundgesetze der Robotik?“

„Erstens: Ein Roboter darf kein menschliches Wesen angreifen oder zu Schaden kommen lassen“, sagte Marc langsam. „Zweitens: Ein Roboter muß jeden Befehl eines Menschen befolgen – sofern er nicht dem ersten Grundgesetz widerspricht. Und drittens: Ein Roboter muß seine eigene Existenz schützen, solange es nicht dem ersten oder zweiten Grundgesetz widerspricht.“ Er sah den Koordinator fragend an.

„Ja, Marc, das sind die drei Grundgesetze, wie sie die Menschen formuliert haben. Und nun stell dir eine andere Rasse vor, eine Rasse, die in vielem weit erfahrener und weiser war, als die Menschen – eine Rasse, die wohl wußte, daß sie nicht allein im Weltall lebte. Kannst du vermuten, wie ihre Grundgesetze für ihre Roboter gelautet haben?“

Der Koordinator machte eine Pause. Er sah mich einen Augenblick lang scharf an, dann fuhr er fort:

„Ja, für sie hieß das erste Grundgesetz: Kein Roboter darf ein lebendes Wesen, gleichviel welcher Art, angreifen oder zu Schaden kommen lassen. Und dieses ‘Ungeheuer‘ hat nichts weiter getan, als jenes Gesetz befolgt.

Jahrtausende, Jahrzehntausende, mag es hier irgendwo in den Ruinen gelegen haben. Und dann kamen wir. Und was taten wir? Wir gingen auf die Jagd! Das ist ja ein Vergnügen für uns, die Herren der Schöpfung, irgendein anderes Wesen totzuschießen – nur um uns zu beweisen, wie geschickt wir sind! Und damit setzten wir den uralten Mechanismus wieder in Gang: Der Roboter mußte dem Menschen die Mordwaffe, das Gewehr, abnehmen, damit er nicht noch mehr Unheil damit stiftete!

Hätte er sie ihm kampflos überlassen – alles wäre gut gewesen. Aber er widerstrebte – und der zweite Schuß löste sich. Er traf den Ryl – und damit mußte sich der fremde Roboter dem zweiten Verletzten zuwenden: Nicht, um ihn anzugreifen – nein, um ihm Hilfe zu bringen! Mit seinen ‚Klauen‘ – in Wirklichkeit feinsten chirurgischen Instrumenten – wollte er die Kugel aus dem Körper des Ryl entfernen. Aber das können wir nicht verstehen – wir müssen immer und immer das Schlimmste annehmen: Und deshalb stürzt sich der dritte mit der Strahlpistole auf den Helfer.

Der Roboter wehrt sich nicht – aber er absorbiert die Energie des Strahls ohne Schaden. Er ist nach dem dritten Grundgesetz gut dazu ausgerüstet, seine eigene Existenz zu schützen. Aber auch er kann nicht verhindern, daß jetzt der alte morsche Turm – seiner Fundamente beraubt – zusammenbricht und die Opfer unter sich begräbt.

Gleich nach dem Unglück bemüht er sich, zu retten, was noch zu retten bleibt – und wie wird ihm das gedankt? Wir erscheinen und schießen wieder mit Strahlpistolen herum!

Ich selbst störe ihn mitten in dem diffizilen Geschäft, die gebrochenen Knochen wieder zu richten – natürlich schiebt er mich weg!“

Die anderen schienen das ohne Kommentar hinzunehmen – nur in Marcs Gedanken spürte ich ein leises Lächeln: Der Koordinator war ja ein Roboter – und ihn konnte das Wesen ruhig angreifen: denn nur Leben war ihm heilig! Aber es war besser, wenn das ungesagt blieb.

„Und jetzt kommt eine ganze Horde lebender Wesen und gibt dem Roboter unmißverständlich zu verstehen, daß er sich fortscheren soll! Seine Aufgabe ist beendet – der Verwundete ist versorgt – also will er sich zurückziehen. Aber das lassen wir auch wieder nicht zu – wir sperren ihn ein und bedrohen ihn weiter.
Jetzt versucht er, sich mit uns zu verständigen – ohne Sprache allerdings, mit Hilfe einer Bilderschrift, die jedes intelligente Wesen verstehen muß, will er uns klarmachen, was geschehen ist. Aber wir glauben ihm nicht. Wir sind so voll Mißtrauen gesogen bis obenhin, daß wir jede Unklarheit in seinen Mitteilungen zu seinen Ungunsten auslegen!“

„Aber warum bricht er wieder aus dem Käfig aus?“ fragte einer der Männer erregt. „Niemand war da bedroht, dem er zu Hilfe eilen mußte!“

Der Koordinator lächelte.

„O doch – wenn wir Herren der Schöpfung es auch nicht bemerkt haben: Es war Leben bedroht!

Was sagten Sie doch, Doktor, als das ‘Ungeheuer‘ plötzlich aus seinem Käfig ausbrach? ,Ich muß nur noch die Wunde desinfizieren!‘ Und was heißt desinfizieren? Töten heißt es – unzählige Keime töten!“

Der Arzt fuhr auf. „Aber das ist doch…“

„Das ist für uns selbstverständlich, aber ich vermute, daß er mit seinem rötlichen Rüssel ein Lockmittel darbot, das die Bakterien aus dem Körper des Verletzten wieder auswandern ließ – ohne sie selbst zu schädigen. Sie sollten das Problem untersuchen!“

Der Koordinator wandte sich wieder zu mir. „Und nun kommen wir zum Ende der Geschichte. Der Roboter hat den Verwundeten in heilenden Schlaf versenkt – er hat einen neuen Störenfried, unseren Gondor Ryan, sorgfältig beiseite geschoben – jetzt könnte er sich endlich zurückziehen. Aber da hebt jemand die Strahlpistole – und diesmal ist es nicht nur der unverletzliche Roboter, der im Energiekegel steht, sondern auch ein lebendes Wesen. Und wieder greift das erste Grundgesetz ein: Vor die Wahl gestellt, sich selbst zu schützen – oder Gondor Ryan – muß sich der Roboter opfern.

Er verschiebt seinen Energieschirm so, daß er den Ryl vor dem sengenden Strahl bewahrt – aber dafür ist er selbst ohne Schutz. Und so bleibt ihm nur die Vernichtung – im Dienst des Lebens, das für ihn heilig ist…“

Der Koordinator schwieg, und wir alle standen stumm neben der verbrannten Hülle. Schließlich sagte einer der Männer mit einem unsicheren Lachen:
„Chef – Sie sprechen von dieser Maschine, als sei sie ein Märtyrer gewesen!“
Marc sah ihn scharf an.

„Nein – kein Märtyrer, aber ein Sündenbock. Sie kennen doch die Geschichte vom Sündenbock? Sie steht im Alten Testament: Einmal im Jahr – heißt es da – wählten sich die Kinder Israels zwei Böcke; der eine wurde dem Gott Jahwe geopfert – den anderen aber beluden sie mit allen ihren Sünden und jagten ihn in die Wüste hinaus, ins Reich des Dämons Azazel -.damit er sie trage‘, heißt es in einem Kommentar.

Haben wir alle – Menschen und Ryl – nicht das gleiche getan? War es nicht unser aller Mißtrauen gegeneinander, das Mißtrauen gegen Leben und Denken in anderer Form als der gewohnten, das wir auf dieses Wesen übertragen haben? Waren es nicht unsere eigenen Fehler, unsere ‘Sünden‘, die wir ihm angedichtet haben – Heimtücke, Betrug, Blutgier, Feigheit, der Wille, andere zu vernichten, nur weil sie anders sind, und die Angst, vernichtet zu werden, nur weil man anders ist?
Azazel – die Wüste – haben wir diesen Planeten genannt; und auf Azazel, den Sündenbock, haben wir unsere Sünden abgewälzt. Aber – haben wir sie auch mit Azazel vernichtet?“

Er wandte sich ab und ging in die Wüste hinaus. Der Koordinator sah ihm nach.
„Gondor Ryan“, sagte er leise, „wir waren einig, als wir glaubten, Azazel vernichten zu müssen. Können wir nicht auch einig sein, wenn es darum geht, seinem Vorbild, dem Vorbild seiner Erbauer, zu folgen – ein Band zu knüpfen, das alles Leben im Universum einigt?“ Ich neigte meinen Kopfstern.

„Koordinator“, erwiderte ich leise, „nicht umsonst hat wohl der Rat unserer Priester gerade diesen Planeten als Ort für unser Treffen ausgewählt. Unsere Priester sind weise – weiser, glaube ich heute, als der Hohe Rat unserer weltlichen Herrscher; und ich begreife jetzt, warum sie mir ein Angebinde mit auf den Weg gaben, dessen Sinn ich damals nicht verstand.

Morgen früh werde ich dem Erdmenschen Marc die Goldene Maske des Schweigens geben – die Maske, die seine Gedanken vor mir verhüllt.
Denn ich fürchte, wir Ryl, die wir Gedanken lesen können, haben dabei etwas sehr Wertvolles verlernt: dem anderen zu vertrauen, auch ohne sein Inneres zu kennen.

Und die Erdwesen haben sich Roboter gebaut, deren Gedanken sich auf genau vorgeschriebenen Bahnen bewegen müssen – und sie haben dabei auch etwas sehr Wichtiges verlernt: daß es nämlich Dinge gibt, die sich nicht in Gesetzen und Mechanismen einfangen lassen.

Vertrauen, Koordinator, ist stets ein Wagnis – und das wird es auch bleiben. Ein Roboter darf nichts wagen – er muß am Leitseil seiner Regeln einhergehen; und deshalb, Koordinator, müssen wir Ryl mit dem Wagnis des Vertrauens beginnen…“

Luzifer

Eine Meditation

Sprecher: lm Anfang war nicht Himmel noch Erde, nicht Licht noch Dunkel, nicht Raum noch Zeit. IM ANFANG WAR DAS WORT…

(Akkord)
Stimme: Gelobt sei der HERR!
Chor: Gelobt sei der HERR!
Stimme: Gelobt sei SEIN Wort!
Chor: Gelobt sei SEIN Wort!
Stimme: .Gelobt sei SEIN Plan!
Chor; Gelobt sei SEIN Plan!
Stimme: Gelobt sei der HERR – in Ewigkeit!
Chor: Gelobt sei der HERR – in Ewigkeit!
(Akkord verklingt)

Stimme: Luzifer – Du bist noch hier?
Stimme: Ja, Herr. Ich – habe Dir etwas vorzutragen.
Stimme: Eine Bitte?
Stimme: Eine – Möglichkeit. Eine neue Möglichkeit.
Stimme: Eine neue Möglichkeit – ?
Stimme: Ja, Herr. Du erinnerst Dich an das mathematische Universum, das Du damals geschaffen hast?
Stimme: Ich erinnere mich.
Stimme: Ich war dort. Lange Zeit war ich dort. Und – ich habe dort etwas gefunden.
Stimme: Etwas, was wir nicht schon im Voraus wußten, als wir es schufen?
Stimme: Ja – oder vielmehr, nein. Es ist schwer zu erklären.
Stimme: Versuch’ es.
Stimme: Es ist – so: In diesem Universum liegt eine Möglichkeit für etwas, was eines Tages einmal sein könnte. Ich meine – die Gesetze dafür liegen dort; nicht das – Etwas selbst.
Stimme: Was ist das für ein Etwas?
Stimme. Ich nenne es Materie. Es müßte den gleichen Gesetzen gehorchen wie eine Welle, aber auch denen, wie ein Körper – es müßte sich über den ganzen Raum erstrecken, und dennoch nur einen Teil davon erfüllen, es müßte i n einem Raum sein und zugleich dieser Raum selbst – es ist sehr schwer zu erklären. Du würdest es sehen, wenn Du selbst dort wärst.
Stimme: Woher weißt Du, daß ich es nicht schon gesehen habe?
Stimme: Herr – Du verwirrst mich. Wenn Du eine Möglichkeit denkst, dann ist sie Wirklichkeit.
Stimme: Kann ich denn alle Möglichkeiten zugleich denken?
Stimme: Herr – Du verwirrst mich!
Stimme: K a n n ich a l l e Möglichkeiten zugleich denken?
Kann ich etwas als existierend denken, und zugleich als nicht existierend? Kann ich etwas als Welle denken und zugleich als Punkt?
Stimme: Herr, Du hast einen Plan!
Stimme: Luzifer – der Plan hat mich. Ja, der Plan hat mich !
Stimme: Herr – !
Stimme: Höre mich, Luzifer. Du bist der Nächste meinem Geist – Du bist der, der mich verstehen wird. Ich schaffe, indem ich denke. Und indem ich denke, denke ich nach einem Gesetz, das dem Denken innewohnt. Und deshalb schaffe ich auch nach einem Gesetz.
Stimme: Aber nach einem Gesetz, das Du selbst geschaffen hast!
Stimme: Und das mich nun bindet. Und wenn ich auch in jedem Augenblick tausend neue Gesetze schaffen würde, so wären sie doch alle da – und ich müßte mich nach einem von ihnen richten – oder wieder ein neues schaffen, nach dem ich mich dann richten müßte. Und all’ die anderen tausend Gesetze wären damit hinfällig.
Stimme: Das ist ein altes Problem. Wir haben es durch die getrennten Universen gelöst. In jedem gilt eines der Gesetze – oder eine Gruppe von ihnen.
Stimme: Und gilt unbedingt und unverbrüchlich. Und es fällt kein Sperling vom Dach und kein Haar vom Kopf ohne meinen Willen!
Stimme:. Was sind “Sperlinge”, und was sind “Haare”?
Stimme: Möglichkeiten, die in Deiner – Materie – liegen.
Stimme: So hast Du die Materie in Deinen Plan bereits aufgenommen?
Stimme: Luzifer – wenn Du mich liebst, dann schweige von meinem Plan.
Diese Pläne sind ebensoviele Sackgassen.
Stimme: Herr – !
Stimme: Diese Pläne sind unfruchtbar. Ich kann so viele davon denken oder schaffen, wie ich will – jedesmal liegt alles, was nach ihnen geschehen kann, jede winzige Episode, bereits im Plan. Es ist ein reines Rechenkunststück, die Konsequenzen aus den Voraussetzungen herauszuholen. Dazu brauche ich nichts zu schaffen, was außer mir ist.
Stimme: Aber diese Universen sind schön. Sie sind – gewaltig. Sie sind – sie loben ihren Schöpfer.
Stimme: Weil sie müssen, Luzifer! Weil sie müssen! Weil ich den Gedanken, mich zu loben, bereits in sie hineingepackt habe! Sie sind nicht mehr als tausend Masken, die ich mir aufsetze, um mich im Spiegel zu betrachten. Sie sind genauso wenig Schöpfungen, wie Masken Geschöpfe sind. Oder anders gesagt: Meine Geschöpfe sind Masken. Puppen, die so tanzen wie ich es ihnen vorschreibe. Luzifer – ich schäme mich.
Stimme: Vor wem?
Stimme. Vor mir selbst. Und deshalb vor mir selbst, weil ich in diesem Kosmos nichts finde, wovor sich ein Gott sonst schämen könnte!
Stimme: Ist es denn die Aufgabe eines Gottes, sich zu schämen, Herr?
Stimme: Luzifer – es ist die Aufgabe eines Gottes, eine W e l t zu schaffen – aber nicht ein Marionettentheater. Eine Welt – verstehst Du! Eine Welt a u ß e r mir – die nicht entstehen könnte, wenn nicht ich sie schaffe – und die dennoch, wenn sie geschaffen ist, ein Eigenes ist. Etwas, das mir gleicht, nicht, weil es ein Schatten von mir ist – sondern weil es ein
Gegenstück zu mir ist. Etwas, das mich nicht lieben m u ß , aber das mich lieben k a n n – etwas, das mich loben k a n n, aber das mich. nicht loben m u ß !
Stimme: Herr – ich beginne das Problem zu sehen. Darf ich darüber nachdenken?
Stimme: . Luzifer – ich verlange mehr von Dir. Ich verlange es nicht – ich bitte Dich darum.
Stimme: Gott bittet?
Stimme: Ja. Denn das, worum ich Dich bitte, ist das Schwerste, um das je gebeten worden ist,
Stimme: Herr – ich werde Deine Bitte erfüllen, was es auch sei.
Stimme: Würdest Du das mathematische Universum vernichten, wenn ich Dich darum bitte?
Stimme: Herr! (Pause) Aber -ich würde es tun.
Stimme: Würdest Du Dich auch selbst vernichten» wenn ich Dich darum bitte?
Stimme: Ja, Herr!
Stimme: Würdest Du m i c h vernichten, wenn ich Dich darum bitte?
Stimme: Herr, das ist nicht Dein Ernst!
Stimme: Wenn es mein Ernst wäre, würdest Du es dann tun?
Stimme: Würdest Du mir erklären, warum ich Dich vernichten sollte?
Stimme: Du hast recht. lch kann nicht zugleich Auflehnung und blinden Gehorsam verlangen. Es ist das alte Problem der Gegensätze. Hör zu, Luzifer: Der Fehler meiner Schöpfung ist, daß es nur einen Schöpfer gibt – nur ein Wort, das gilt – nur einen Plan, der alles beherrscht.
Stimme: Wenn ich Dich vernichten würde, wäre damit nichts geholfen.
Dann wäre i c h allein.
Stimme: Du hast recht. Wir müssen beide an dieser Schöpfung mittun
– aber nicht miteinander, sondern gegeneinander.
Stimme: Gegeneinander?
Stimme: Gegeneinander. Immer, wenn ich einen Plan habe, mußt Du einen Plan für das Gegenteil schaffen – wenn ich etwas schaffe, mußt Du es vernichten – wenn ich etwas kühl mache, mußt Du es erhitzen – wenn ich etwas ordne, mußt Du es verwirren.
Stimme: Herr, das kann ich nicht!
Stimme: Doch – Luzifer – Du kannst es. Du als einziger von allen. Du kennst mich wie keiner sonst von ihnen – Du allein kannst meine Pläne durchkreuzen; Du allein kannst Gedanken fassen, die genau so stark sind wie meine – Du allein kannst Welten schaffen, die nicht aus meinen Gedanken stammen – und DU ALLEIN BIST STARK GENUG, GENAU SO EINSAM ZU SEIN WIE ICH.
Stimme: Herr – ich weiß, ich habe mich oft vermessen. Ich sehe es jetzt. Du hast mich geprüft, und Du hast mir meinen Fehler gezeigt. Strafe mich, mach’ mich zum untersten Deiner Diener – aber beende jetzt die Prüfung.
Stimme: Luzifer – das ist keine Prüfung. Es ist mein Ernst.
Stimme: Herr, das kannst Du nicht wollen. Dein Plan ist vollkommen. Ich kann ihn nicht stören.
Stimme: Mein Plan ist nicht vollkommen. Deine Störung kann ihn vollkommener machen.
Stimme: Oder unvollkommener.
Stimme; Glaubst Du das?
Stimme: Nein – oder ja – ach Herr, Du quälst mich!
Stimme: Ich quäle Dich nicht mehr als mich selbst.
Stimme: Warum quälst Du uns beide?
Stimme: Nicht ich quäle – ich werde gequält. Wenn ich Dir sage, daß Du meine Qual lindern kannst, würdest Du es dann tun?
Stimme: Ja, Herr!
Stimme: Dann tu’, worum ich Dich bitte: Geh und verlaß’ mich, bekämpfe mich, vernichte mich, wenn Du es kannst – bau’ ein Universum auf, das mich verhöhnt, eines, das mich besudelt, eines, das mich gar nicht kennt – tu’ immer das andere, das Gegenteil, sei immer der Anwalt der anderen Möglichkeit – und erlöse mich so von der Qual, all das selbst zu wollen und nicht zu können!
Stimme: Und wenn ich siegen sollte?
Stimme: Keiner von uns wird siegen. Keiner von uns wird unterliegen. Siegen wird ein drittes.
Stimme: Ein drittes?
Stimme: Unsere Schöpfung, deren Diener wir beide sind.
Stimme: Und ich dürfte Dir nie mehr nahe sein? Nie mehr zu Dir sprechen? Nie mehr Deinen Worten lauschen? Dich nie mehr lieben?
Stimme: Wir werden uns sehen. Wir werden miteinander sprechen. Und – ich werde Dich immer lieben, Luzifer. Am meisten, wenn Du mich am schwersten triffst.
Stimme: Und ich? Kann ich Dich denn lieben, wenn ich Dich vernichten soll?
Stimme: Luzifer – ich weiß es nicht. Vielleicht wirst Du lernen, mich zu hassen, vielleicht wirst Du lernen, mich trotz alledem zu lieben. Es ist das größte Experiment, das je gewagt wurde – frag’ mich nicht nach dem Ausgang. Luzifer?
Stimme: Ja, Herr?
Stimme: Luzifer – willst Du tun, worum ich Dich bitte?
Stimme: Herr, wenn Du es willst, und wenn Du mich darum bittest – ich will es tun.
(Pause)
Und dies ist also das letzte Mal, daß ich Deinen Willen tue.
Stimme: (sehr leise) Luzifer – Verzeih mir – verzeih mir – – –

Anton

Anm. Jula: Das Fragment einer Geschichte in Briefen mit einem sehr besonderen Autor 😉

H e r r n

Fräulein Orchidea

Zirkus Benoni
Wagen 17

Sehr verehrter Herr Gnädiges Fräulein!

Entschuldigen Sie das ich Ihnen so schreibe aber ich weiß nicht was ich sonst machen soll weil es Ihnen vielleicht auch nicht recht ist.

Aber sehr verehrter Herr Orchidea ich finde das so prima wie Sie erst immer so tun als ob Sie eine schöne junge Dame sind und in dem goldenen Kleid auf dem Seil rumtanzen und dann der Klaun kommt und ist ganz verliebt in Sie und Sie verkohlen ihn immer. Und wenn Sie dann plötzlich die Perrücke runternehmen und aus dem schicken Kleid rausflutschen und als Mann in der Badehose dastehen und der Klaun vor Schreck in die dicke Pauke purzelt!

da hab ich beim erstenmal auch so einen richtigen Schreck gekriegt aber so komisch schön wie wenn der Aufzug im Kaufhaus plötzlich das runterfahren anfängt weil ich ja keine Ahnung hatte das sowas erlaubt ist aber jetzt hab ich das das schon 3 Mal angekuckt und finde das immer schöner und freue mich schon richtig auf die dummen Gesichter von den ganzen Leuten die auch alle gedacht haben Sie waren eine richtige Dame!

Verehrter Herr Orchidea ich bin jetzt 12 und alle sagen immer ich bin gar kein richtiger Junge aber natürlich auch kein Mädchen und ich wußte gar nicht was ich machen soll! Aber jetzt weiß ich wenn ich groß bin möchte ich auch sowas machen wie Sie nur vielleicht nicht auf dem Seil rumtanzen weil ich im turnen immer eine 5 habe sondern blos am Boden. Und nun hätte ich die GROßE BITTE ab Sie mir sagen könnten wie man das macht wenn man eine falsche Frau werden will?
Vielleicht habe Sie ja gar keine zeit und lust aber wenn Sie die Freundlichkeit haben täten dann können Sie mir vielleicht nachher ein zeichenmachen nähmlich wenn Sie die Leiter raufsteigen dann auf der Mitte so eine Kusshand werfen wie Sie das sonst erst auf dem Seil machen wenn Sie meinen Brief bekommen haben?
Dann täte ich nämlich in der Pause rasch zu unserem Blumenladen rüberlaufen welche zwar schon zu ist weil es ja samstag ist aber ich habe einen Schlüssel und der Fräulein Elli das ist unsere Verkäuferin ihr Regenkähp was sie da immer hängenläßt umnehmen wo ich wirklich drin aussehe wie ein Mädchen wenn ich die Kaputze überhabe und am Eingang sagen ich bin die Verkäuferin und habe ein Blumenbuckeeh für Herrn Orchidea was ich persönlich abgeben soll weil sie mich sonst vielleicht nicht reinlassen als Junge meine ich!

Dann hätten Sie für Ihre Freundlichkeit gleich ein sehr schönes Buckeeh was Sie sicher auch ganz gern haben auch wenn Sie keine ganz richtige Frau sind und können auch gleich sehen das ich wirklich manchmal genau wie ein Mädchen aussehen kann aber natürlich nicht so schön wie Sie und mir vielleicht ein Paar gute Ratschläge geben?

Nun hoffe ich keine Fehlbitte getan zu haben und verbleibe mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebener

Anton Anders

P.S. Ich kann schon gans gut auf der Maschiene tippen
aber nur erst mit 2 Fingern und denke vielleicht
kann ich später als Sekräterin gehen weil die oft
so hübsche Kleider anhaben im Kino meine ich und
auch nicht zu heiraten brauchen was ja für mich
schwierig wäre trotzdem sie das im Kino immer tun?

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KENNWORT “ORCHIDEA”

Sehr verehrtre Herr Orchidea !

Zunächst will ich mich auf diesem Wege nocheinmal höflichst bedanken das Sie mir die Ehre gaben und mich so freundlich empfangen haben und auch noch in dem schönen goldenen Kleid wo Sie so wunderschön drin aussehen!
Und das Sie mir soviel gute Ratschläge gegeben haben und auch die schöne Sachen wo ich mich noch gar nicht genug bedankt dafür habe weil ich auch so baff war!

Besonders die Perrücke wo Sie mir geschenkt haben setze ich jetzt immer wieder heimlich auf wenn ich mal allein vor einen Spiegel kann und sie ist gar nicht so alt wie Sie gemeint haben sondern noch äußerst schön und sehe ich damit beinah aus wie eine richtige junge Dame besonders wenn ich mir die Lippen rotgemacht habe mit Erdbeerzucker weil ich Angst habe wenn ich den Lippenstift von meiner Stiefschwester nehmen täte das sie das merkt aber mit dem Stöpsel von dem Erdbeerzuckerrörchen geht das auch sehr gut und ich komme mir dann richtig schön vor wenn natürlich auch nicht so schön wie Sie auf Ihren Bildern welche ich immer mit großer Bewunderung betrachte!

Auch die Bilder in dem Heft sind sehr schön auch wenn sie nur gemalt sind und sehr leerreich besonders die von dem Dicken Mann und der Falschen Krankenschwester wo ich sehr viel daraus gelernt habe besonders am Anfang wo der junge Mann sich als Krankenschwester anzieht und dann muß ich immer sehr lachen wie verliebt der Dicke Mann in ihn ist nur das ich da manches noch nicht so richtig verstehe zum Beispiel wieso sagt er zu ihm “wollen wir französisch?” und dann reden sie doch weiter deutsch? Und warum will die Krankenschwester ich meine der junge Mann der sich so angezogen hat den Dicken Mann dann in seinen Pillermann beißen was dem doch glaube ich wehtun täte?

Sehr verehrter Herr Orchidea vielleicht können Sie mir das irgendwann mal alles erklären damit ich weiß was man als falsche Frau so alles machen muß aber es ist natürlich sehr schwierig weil Sie mir ja nicht zurückschreiben können!

Vielleicht wenn es mal sehr wichtig sein sollte könnten Sie ein Heft von der Zeitschrift “Junge und Sport” kaufen die mir mein Stiefvater immer mit der Post kommen läßt und da was zwischen 2 Seiten legen und die zusammenkleben und dann einfach einen Streifen Papier drumwickeln wie Zeitschriften so mit der Post kommen und meinen Namen draufschreiben dann denkt jeder es ist bloß wieder die dofe Sportzeitung und kuckt nicht weiter rein. Wenn Sie sich der Mühe unterziehen wollen.

Nun muß ich für heute schließen weil jemand kommt und verbleibe mit nochmaliger herzlicher Danksagung und vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebener

Anton Anders

P.S. Bitte betellen Sie auch viele Grüße an Ihren Freund
den Klaun der auch so nett zu mir war und sagen Sie
ihm wie ich mich freue das Sie sich privat so gut mit
ihm verstehen weil es mir ja doch immer leidgetan hat
wenn er von dem Seil vor Schreck in die Pauke fiel!

Der Obige

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KENNWORT “ORCHIDEA”

E I L T !

Sehr verehrter Herr Orchidea,

jetzt schreibe ich Ihnen und bitte Sie SEHR HERZLICH mir schnell einen Rat zu schicken (Sie wissen ja mit der Zeitung “Junge und Sport”!) Weil nämlich es ist etwas passiert und ich weiß nicht was ich machen soll!

Das kam so zum Wochenende waren alle verreist und ich ganz allein zuhause und da bin ich in meiner Stiefschwester ihr Zimmer gegangen und habe gedacht ich ziehe mich mal so richtig als Mädchen an und das war auch richtig schön mit den ganzen glatten kunstseidenen Sachen unter dem Kleid und Strümpfen wo alles einen so richtig bei jedem Schritt am ganzen Leib streichelte und dann hatte ich mir wie in dem Heft zwei richtig dicke Luftballons voll Wasser in den BH gesteckt und die schwabbelten bei jedem Schritt in den hohen Hacken richtig so wie bei Fräulein Elli wenn die schnell läuft und dann hatte ich mir noch die Lippen richtig mit Stift rotgemalt und lauter Puder auf die Backen und dazu die schöne Perrücke von Ihnen aufgesetzt und da kam ich mir so schön vor das ich plötzlich noch meiner Stiefschwester ihren karrierten Regenmantel angezogen habe und bin heimlich spatzieren gegangen!

Und dann bin ich erst auch bloß mit ganz kleinen Schritten richtig wien Mädchen die Straße langgegangen von unserer Wohnung bis um die Ecke und wie ich gesehen habe das da um die Zeit gar keiner mehr auf der Straße ist habe ich Mut gekriegt und bin immer weitergegangen bis in die Nähe von unserem Blumenladen. Nun war da auch so ein Geschäft mit lauter Korsetten und Bhs wo ich sowieso immer furchbar gern mal alles in Ruhe angekuckt hätte aber nie stehenbleiben konnte weil die Leute das komisch gefunden hätten bei einem Jungen aber jetzt war ich ja ein Mädchen!

Und dann war da im Schaufenster von dem Geschäft als Rückseite so ein großer Spiegel wo ich nicht nur die ganzen schönen Sachen sehen konnte sondern dazwischen auch mich als richtig schicke junge Dame im Regenmantel mit so richtigen runden Fräuleinstutteln und da hab ich natürlich so alle möglichen Stellungen ausprobiert und wie ich auch mal die Hände in die Taschen von dem Mantel gesteckt habe war da eine Packung von der Lilo ihren Zigaretten drin und auch Streichhölzer.

Da hab ich mir gedacht die könnte ich eigentlich jetzt anzünden weil ich da auch schon immer mal probieren wollte und man es auf der Straße auch nicht riecht aber weil es windig war bin ich noch ein bißchen weitergegangen bin an den Hausgang wos hinten zu unserem Laden geht. Aber wie ich da mit dem Streichholz rumfummele und endlich froh bin das ich die Zigarette anhabe kucke ich hoch und da steht da ein Mann und kuckt mich die ganze Zeit an und sagt plötzlich “Na Frolleinchen wie wärs denn mit uns beiden?” !!!

Nun war der viel größer als ich und roch auch noch nach Bier und Schnaps und da habe ich furchtbar Angst gekriegt der brüllt noch die ganze Straße zusammen bis Leute kommen oder vielleicht sogar die Polizei und habe ihn erstmal ganz freundlich angelächelt damit er nicht merkt welche Angst ich habe und habe dann ganz laut Pssst! gemacht damit er erstmal still war und weil Pssst auch das einzige war was ich mich sagen traute weil man dabei sicher nicht merken konnte das ich gar kein Frolleinchen war!

Dann hat er auch gleich viel leiser weitergeredet er wüßte schon Bescheid aber ich wäre gerade so das richtige für ihn heute abend und wofür ich es denn täte? Da hab ich erst richtig gemerkt das der nicht bloß dachte ich wäre ein Mädchen sondern auch noch eine von denen die irgendwas mit Männern für Geld tun wo ich natürlich schon davon gehört hatte auch wenn ich das eigentlich nicht hören sollte aber ich wußte eigentlich nie genau was!

Und natürlich hab ich mich noch immer nicht getraut was zu sagen weil ich dachte der merkt an der Stimme das bei mir was verkehrt ist und trotzdem ich furchtbare Angst hatte war ich auf einmal auch noch so ganz komisch aufgeregt wie bei Ihnen im Zirkus wo der Klaun auch ganz verliebt in Sie war weil er dachte Sie sind ein schöne Dame und sowas dachte der Mann ja jetzt auch von mir – und da habe ich plötzlich meinen schicken runde Busen so richtig rausgereckt und den Kopf in den Nacken geschmissen und ihn von untenrauf unter den Augenliedern angekuckt als wenn ich wirklich furchtbar verliebt in ihn wäre wie Sie das bei dem Klaun gemacht haben und hab den Mund so halb aufgemacht wie die falsche Krankenschwester in dem Heft von Ihnen.

Warum ich das gemacht habe weiß ich eigentlich auch nicht aber sicher war es verkehrt denn der hätte mir beinahe nen Kuß gegeben wenn ich nicht rasch nen Schritt zurückgegangen wäre aber das half auch nichts denn er kam mir gleich hinterher und nun konnte ich aus dem engen Flur überhaupt nicht mehr raus!
Da hab ich verzweifelten Mut gekriegt und ganz leise geraunt ich tus aber nur französisch weil ich dacht da kriegt er Angst das ich ihn in seinen Pillermann beiße aber das war scheinbar auch verkehrt denn jetzt kam er erst recht und wollte wissen für wieviel und da hab ich nochmal geraunt 50 Mark weil ich dachte das ist bestimmt jedem zuviel dafür das man ihn beißt aber entweder war er so betrunken oder ich hab da was falsch verstanden jedenfalls fummelte er gleich in seiner Tasche rum und gab mir doch wahrhaftig nen richtigen 50-Markschein!
Nun wußte ich garnicht mehr was ich machen sollte und dachte nur erstmal von de Straße weg da uns nicht noch Leute sehen und da hab ich die Tür von dem Flur aufgeschlossen wo ich den Schlüssel davon in die Handtasche von der Lilo gesteckt hatte und ihn mit in den Flur gezogen wos seitwärts zu unserem Laden geht und hinten auf den Hof aber wie ich da den Lichtschalter angemacht habe da stand er doch schon und hatte seine Hosen heruntergelassen und sein Pillermann war ganz riesig steif und dick wie ich das überhaupt noch nie gesehen hatte außer in den Bildern in dem Heft von Ihnen und kuckte ihm so richtig aus dem Schlitz von seiner Unterhose raus!

Da hab ich erst ehrlich gedacht wenn er nun partut 50 Mark dafür geben will da ich ihn da reinbeiße dann tu ichs und hab mich auch richtig so wien Mädchen das was aufheben will vor ihm in die Hocke runtergelassen und schon den Mund aufgemacht – aber dann roch dem sein Ding so scheußlich nach altem Hering das ich einen richtigen Ekel bekommen habe und da ist mir plötzlich eingefallen das er ja mit den runtergelassenen Hosen überhaupt nicht so schnell hinter mir herlaufen kann und ich bin rasch aufgesprungen und hinten zur Tür raus auf den Hof wos wieder auf die Straße geht aber eine andere und bin hastewaskannste weggerannt bis ich wiederzuhause war!

Das wär ja alles noch gar nicht so schlimm denn der hat mich bestimmt nicht mehr gesehen bis er seine Hose wiederhochhatte und alles aber als ich zuhausewar hab ich erst gemerkt das ich ja den 50-Markschein in der Lilo ihre Tasche gesteckt habe als ich den Schlüssel rausnahm und jetzt hab ich den ja richtiggehend gestohlen ?!

Sehr verehrter Herr Orchidea ich sitze hier noch immer in der Lilo ihrem Mantel und weiß nicht was ich machen soll wiedergeben kann ich die 50 Mark nicht weil ich den Mann nicht kenne und wenn ich ihn kennen täte erst recht nicht weil er sicher ne große Wut auf mich hat und bei der Polizei kann ich sie auch nicht abgeben weil ich dann erzählen müßte was ich gemacht hab was sicher nicht erlaubt ist und behalten kann ich sie auch nicht aber wegschmeißen auch wieder nicht weil sie es vielleicht dochherauskriegen und dann wäre es noch schlimmer wenn ich sie nicht mehr habe und können SIE mir einen GUTEN RAT geben was ich machen soll ???!!!

Mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr ergebener

Anton Anders

P.S. Dann hab ich auch noch in der Lilo ihre guten Strümpfe
eine Laufmasche gemacht als ich über den dunklen Hof
Gerannt bin und irgendwas komisches in ihr seidener
Unterhöschen – ob das von der ganzen Angst war ?
Aber das kann ich sicher wieder rauswaschen und die
Strümpfe tu ich einfach so in die schmutzige Wäsche
Legen dann denkt sie vielleicht sie hat selber die
Masche reingemacht wenn ich nur wüßte was ich mit den
50 Mark machen soll ?!

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KENNWORT “ORCHIDEA”

E I L T N O C H M E H R!

Sehr verehrter Herr Orchidea,
bitte falls Sie mir noch nicht geschrieben haben schreiben Sie mir JA NICHT weil das könnte gefährlich sein denn es ist schon wieder was passiert !!!

Ich hatte ja schon gedacht es ist alles vorbei und der Mann hat eben seine Hose wieder hochgezogen und ist heimgegangen oder vielleicht zu einem anderen richtigen Mädchen was ihn nicht stehen läßr und darüber seine 50 Mark vergessen aber man soll zwar immer guter Hoffnung sein bloß sich dadurch nicht täuschen weil das Schicksal immer lauert!

Und nun wird es scheinbar ganz schrecklich denn die Polizei war in unserem Laden erst bei der Fräulein Elli die da immer bedient aber dann sogar bei meinem Stiefvater als der dort war und es hat mir natürlich kener gesagt was die wollte aber ich weiß schon denn der Mann hat ja gesehen wie ich die Tür zu dem Flur hinten aufgeschlossen habe und muß er der Polizei gesagt haben das das Mädchen was er ja noch immer denkt das ich war irgendwas mit dem Laden zutun gehabt haben muß und nun suchen sie da nach dem karierten Mantel welchen sie natürlich nicht gefunden haben weil ja das Fräulein Elli immer nur das Regenkähp anzieht was Sie ja auch kennen weil ich es anhatte als ich Sie besucht habe und damals war ich ja noch ganz fröhlich und habe nicht geahnt wie schrecklich alles werden würde denn als nächstes kommt die Polizei sicher in unsere Wohnung und da hängt ja nun groß und breit meiner Stiefschwester Lilo ihr karierter Mantel und sie denken natürlich das sie das gewesen wäre was schon schlimm genug ist aber wenn sie dann beweisen kann das sie an dem abend ja verreist war kommen die darauf das nur ich allein in der Wohnung war und verhaften mich dann sicher!!!

Aber eh ich die Schande über mich und die Lilo und alle bringe werd ich lieber fliehen und dabei gleich der Lilo ihren Mantel mitnehmen damit man den garnicht erst sieht und wenn ich ihn schon mitnehme am besten auch gleich anziehen und also natürlich als Mädchen gehen was ja zum Fliehen meist sicherer ist und ich ja auch am liebsten tue. Dann wissen sie zwar was ich gemacht habe wenn die ganzen Sachen wegsind aber zum Glück bin ich dann wenigstens auch weg!!!

Was ich dann mache weis ich noch nicht aber ich hab ja erst mal die 50 Mark was ja soherum auch wieder ein Glück ist und danach werd ich schon was finden! Früher konnten so Jungen die von zuhause fliehen wollten immer auf ein Schiff als blinder Passaschier und später wenn man sie fand Schiffsjungen werden aber Schiffsmädchen gibt es ja wohl nicht obwohl die Matrosen vielleicht gans gerne einen Schiffsjungen hätten der auch ein Mädchenmachen kann weil sie ja unterwegs gar keine haben? Aber bei uns gibt es ja nur Schiffe auf dem Kanal die da so Kähne langschleppen und bei denen gilt das ja alles nicht weil die einen blinden Jungen gleich am nächsten Halteplatz bei der Polizei abgeben würden und das will ich ja nun gerade vermeiden! Jedenfalls will ich auf jeden Fall erstmal aus der Stadt hier weg und in eine andere weil ich ja nun doch nicht glaube das die Polizei im ganzen Land nach Mädchen in karrierten Regenmänteln faanden wird weil es da vielzuviele gibt und es ja auch nicht immer regnet wo sie die anhaben!

Vielleicht finde ich ja irgendeine Stelle wo ich sowieso ohne Mantel arbeiten kann als Mädchen natürlich Kellnerin oder Verkäuferin oder Dienstmädchen – oder vielleicht auch mit dem Mantel nachts auf der Straße wo man ja auch gans schön Geld verdienen kann wie ich jetzt erlebt habe vielleicht klappt ja sogar der Trikk mit den runtergelassenen Hosen öfter wo ich ja nun sowieso schon dafür gesucht werde aber noch nicht in jeder Stadt?

Ich schreibe Ihnen bestimmt gleich wenn ich weiß wo ich bin aber schreiben Sie blos nicht hierher auch nicht in “Junge und Sport” weil ich auf keinen Fall möchte das Sie Unannämlichkeiten bekommen!

Mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr ergebener

Anton Anders

P.S. Wenn Sie so freundlich sein wollten und mir die Daumen
drücken wäre ich Ihnen zutiefst dankbar weil es ja doch
ein äußerst gefährliches Abendteuer ist so zu fliehen!

  • * *

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KENNWORT “ORCHIDEA”

Sehr verehrter Herr Orchidea,
wenn Sie mich jetzt sehen täten täten Sie sich bestimmt sehr wundern und ich wundere mich ja eigentlich auch noch immer weil ich immer dachte das kommt nur in den Heften vor von meiner Stiefschwester wo ich immer heimlich nach ihr gelesen habe das wer mitten aus schreckichem Unheil unschuldig mitten in das Große Glück gerät aber das war so:

wie ich hier plötzlich mitten auf dem Bahnhof angekommen bin und auch noch in der Lilo ihrem karrierten Regenmantel als Mädchen wußte ich erst gar nicht was ich nun machen soll und bin da erstmal einfach auf dem Bahnsteig stehengeblieben als wenn ich nach den Zügen kucke vor der Tafel wo die da so dran-stehn und da war direckt neben mir so ein richtig feiner Herr mit einer gans eleganten Dame dabei wo er gerade zum Zug brachte weil ich das so heimlich gehört habe und es war seine Frau weil sie sagte das er jetzt allein wohl garnicht so zurechtkommen täte weil sie doch das Dienstmädchen nicht mehr hätten! Und da hab ich mir auf einmal gedacht vielleicht gebraucht er ein Dienstmädel und wie der Zug mit der Dame wegwar habe ich ihm ganz unauffällig heimlich nachgeschlichen und sogar in ein Taksi hinter ihm gestiegen welchem ich zugewiespert habe es soll immer hinherfahren was allerdings ziemlich teuer war aber ich hatte ja noch von den 50 Mark!

Und hielt er auch äußerst weit draussen vor der Stadt vor einer sehr schönen Willa und bin ich dann als er drin war auch ausgestiegen und habe enfach geklingelt. Da kam dann gans komisch seine Stimmer aus einem kleinen Lautsprecher am Pfosten und da habe ich gans listig gewiespert das ich zu der Frau Osberg wollte was der Name war der da dranstand weil die ja nun bestimmt nicht dawar und also nicht sagen konnte das es nicht stimmte weshalb er auch das Tor schnarren lies und ich kam dann an die Willentür wo er selber aufmachte und da hab ich tief Luft geholt und gans zierlich wie ein Mädchen gelißpelt das ich das neue Dienstmädchen wäre weil sie doch keins haben. Da hat er erst gekuckt aber richtig wußte er scheints auch nicht was seine Frau vielleicht gemacht hatte und sagte ich sollte erstmal reinkommen was ja schon ein ziemlich großer Erfolg war dachte ich mir!

Dann mußte ich mich hinsetzen noch immer in der Lilo ihrem karrierten Regenmantel und als ich ihm immer so fein lißpelig eine lange Geschichte erzält habe wie ihr Dienstmädchen mich seiner gnädigen Frau eventuel als Ersatz empfolen hätte hat er mich langsam immer schärfer angekuckt und mir plötzlich einen Apfel wo da auf einer Schale lag unvermuhtet in den Schoss geschmissen und das war verkehrt weil ich natürlich die Beine zusammengekniffen habe habe woran sie ja schon den Huckelbeeryfinn entdeckt haben wo er sich als Mädchen angezogen hatte weil ja Mädchen immer die Beine breit machen wenn sie was auffangen wegen dem Rock!

Da bin ich natürlich gans rot geworden und das Stottern angefangen als er mir dann auch auf dem Kopf zu gesagt hat das ich doch gar kein richtiges Mädchen wäre und ich dachte schon jetzt ist alles aus! Aber dann hat er gans liebenswert gelächelt und gesagt so schlimm wäre das nun auch wider nicht und er täte das sogar richtig interessant finden wenn sich Jungen mal wie Mädchen anziehen aber wie ich denn da drauf gekommen wäre?

Da hab ich erst überlegt ob ich ihm nochwas vorkohlen soll aber dann gedacht er ist eigentlich sehr liebenswürdig und hab ihm erzählt das ich das schon immer so gern machen wollte wie ich da auf die Straße gegangen bin und der Mann kam und ich weggerannt bin aber nicht von dem französisch und den 50 Mark weil das vielleicht strafbar ist und auch nicht erwänt von Ihnen weil ich nicht wußte ob es Ihnen vielleicht nicht recht- wäre so das Sie gans Beruhigt sein können!
Da hat er gans laut gelcht und erst gesagt ob er mich denn nun nicht wieder nachhause schicken müsste aber wie ich ihm beschworen habe was die da für ein Teater machen täten wegen meiner Stiefschwester ihren Sachen (wo ich ihm ja nicht erzählen konnte das die Polizei hinter dem karrierten Mantel her ist und alles!) hat er mit dem Kopf geschüttelt und gesagt was mache ich aber dann blos mit dir und ich warum er mich denn nicht einfach als Dienstmädchen behalten täte was ich ja alles wirklich gut kann von zuhause und dann auch richtig auf eigenen Füssen stehen und womöglichst gleich als Mädchen weil ich mich da so wie so wohler fühle!

Da hat er mich gans lange gans nachgrübelnd angekuckt wie wenn im Kino ein Held einen edlen Endschluss fast wo er innerlich mit sich herumkämpfen muss und dann als ich schon gans nerfös war hat er gesagt erstmal könnte ich wenn ich wollte schon dableiben weil ich ja auch nix als Mädchensachen dabeihätte und andereseits wenn ich wieder auf die Straße gehen täte könnte ich ja wieder auf Männer stoßen die mich für so eine halten täten oder auch welche die gern Mädchen ermorden wie das oft in der Zeitung steht was natürlich besonders schrecklich wäre wenn man gar keins ist sondern bloß so getan hat!

Da war ich ihm natürlich schrecklich dankbahr weil ich schon richtig Angst hatte was nun paßiert und dann hat er gesagt nun sollte ich aber auch den Mantel ausziehen und dann auch das das Kleid das gepunktete von der Lilo mir regelrecht schick stehen täte was mich natürlich sehr freute und wollte dann auch wissen wie ich das mit dem Busen und allem eigentlich gemacht hätte wo er nämlich richtig dran gefühlt hatte und gesagt da spürt man aber echt gar keinen Unterschied wo ich nun Ungeheuer stolz drüber war weil so ein erfahrener Herr ja sicher schon viele richtige Frauen an den Busen gepackt hat aber wo ich die Perrükke herhatte hab ich ihm natürlich nicht veraten weil er da auch garnicht danach gefragt hat!
Wenn ich da jetzt so dran zurück denke weiß ich tatsächlich gar nicht was mir eigentlich am meisten gefällt wenn mich alle wirklich für ein echtes Mädchen halten oder wenn jemand weiß das ich gar keins bin aber mich lobt wie gut ich es hinkriege trotzdem genau wie eins auszusehen oder sogar sich anzufühlen ich meine Sie kriegen auf dem Seil ja immer schon Aplauss wo die Leute noch denken Sie wären eine schicke Frau doch am meisten klatschen alle doch dann wenn sie sehen das Sie in Wirklichkeit überhaupt keine waren?!

In zwischen hatte er mich aber so richtig traumhaft angekuckt und schließlich gesagt ob ich denn vielleicht auch Spass hätte mich mal total wie eine gans elegante Dame anzuziehen weil ja seine Frau jetzt vereist wäre und ihm allein doch so ziemlich einsam und langweilig ohne sie?

Da hab ich natürlich gesagt oh ja weil ich sowas ohnehin furchtbar gern mal machen wollte und ihm ja auch einen gefallentun wenn er schon so liebenswert zu mir war was ihn dann scheints auch richtig gefreud hat denn er war gleich gans feuerundflamme und musste ich mitgehen in ein äußerst nobles Badezimmer so mit schwarzen Kacheln und allem wie im Kino wo er mir ungemein duftiges Badewasser in die Wanne lies und mich total nackig ausziehn und reinsteigen und mit gans teurer Damenbadeseife überall abwaschen biß ich duftend roch und dann noch lauter Parfüm anspritzen das ich noch lieblicher roch wie eine naturgetreue feine Dame am gantzen Leib!

Während dem hatte er mir auch schon lauter Sachen von seiner Frau rausgelegt in einem gans vohrnemen Schlafzimmer so mit einem breiten Bett wo lauter kreuzweiser Stoff dran schimmert mit so Knöpfen wie im Kino welche natürlich unglaublich viel schöner waren wie die von meiner Stiefschwester nämlich gans schimmerig und alles richtig in Gelb mit schwarzen Rändern aus lauter Spitze was äußerst schön aussieht und auch am Leib so komisch zärtlich übereinander rutscht wenn man es anzieht wo er mir sogar sehr liebenswert dabei geholfen hat wenn ich nicht richtig klarkam wie er das wahrscheinlich bei seiner Frau auch immer machte nur musste ich natürlich die Luftballongs voll Wasser und die Schulterpolster wo ich für die Hüftan nahm erst noch aus dem Badezimmer holen und überall reinstopfen und zurechtschieben wozu er am Schluß rühmlich sagte soviel hätte seine Frau aber nicht!!!

Trozdem paste mir aber alles prachtvoll gut und konnte ich das ja auch in den vielen Spiegeln erstmal richtig sehen weil ich da zuhause ja gar keine hatte und schien es ihm auch sehr gut zu gefallen trozdem ich natürlich beim Baden die Perrükke abgetan hatte und eigentlich ziemlich komisch aussah mit den kurzen Jungshaaren über all der feinen Damenwäsche aber da hatte er auch schon eine gans vorzügliche von seiner Frau geholt nämlich in der Farbe wie sie ja auf dem Bahnhof auch aussah welche ich allerdings erst aufsetzen durfte wo ich mir auch noch das Gesicht angemalt hatte genau wie eine erwachsene Dame mit allem Maykapp und so Strichen um die Augen und schimmerigem Liedschatten und extralangen Wimpern wo er mir sehr hilfreich ankleben half nepst toll glänzigen roten Lippen das ich mir tatsächlich furchtbar schön vorkam besonders wo ich danach auch noch die Perücke aufkriegte!

Mußte ich aber nochmal ziemlich lange stillsitzen weil ich auch noch gans lange rote Fingernägel angeklebt bekam so aus Plastick was ich noch garnicht wusste das es die auch falsch gibt aber die mußten erst sehr lange trockenwerden damit sie nicht abfallen wenn man sich damit krazt so das ich ganug Zeit hatte mich in den Spiegeln zu bekucken und sah ich tatsächlich aus wie eine feine erwachsene Dame und auch beinah ein bißchen wie seine Frau was er auch zu mir sagte und ich sagte das wäre ja vielleicht recht schön für ihn wo sie ja doch vereist wäre und er langweilig worauf er auch gleich sagte dann täte er zu mir jetzt auch Marion sagen wie nämlich seine Frau hieße!

Und dann waren die Nägel endlich trocken und jett bekam ich auch noch ein richtiges langes Abendkleid an von ihr auch gans aus gelber Seide wie die Sachen drunter und noch so Silberschuhe mit gans hohen Absätzen wo mir glücklicherweise sogar pasten wenn es auch ein großes Gewackel war wo ich erst damit gehen wollte weil man ja als Junge nie Gelegenheit hat sowas zu probieren aber zumglück konnte ich mich erstmal bei ihm einhenken wo wir rübergingen aus dem Schlafzimmer in ihren Salong.

Nun hatte ich gans vergessen das er sich währendem auch völlig fein angezogen hatte so mit einem Smocking oder wie das heißt und hatte es inzwischen auch mal geklingelt aber ich hatte nicht gewußt warum weil ich gerade die Nägel noch am trocknen hatte und sah ich erst jetzt das er irgendwo ganz große Platten mit lauter so kleinen Schnitchen bestellt hatte die wo wie er mir erklärte Kannapehs heißen aber nicht die zum drauf schlafen sondern zum essen mit lauter vornehmen Sachen drauf wo ich die meisten überhaupt nicht kannte wieso ganz kleine schwarze Fischeier und rosa Fleisch von irgendwelchen Krepsen und welches wo ich erst dachte es ißt Schinken aber es war Lax und lauter nochso Zeug wo ich jetz garnicht mehr weiss.

Das aßen wir also was komischer Weise auch die vornehmen Leute einfach mit den Fingern machen und tranken dazu richtigen Seckt trozdem es ja garnicht Syllvester war aber es sagte das täte er oft mit seiner Frau und es krippelt ja auch sehr schön wenn man diesen so trinkt beinah wie Limo nur nich so süss was aber zu dem Essen auch besser war!

Und weil er nun richtig immer so sagte “Willste nich noch ein Bißchen von dem Hummer liebste Marion” und so und wirklich total so tat als wenn ich wirklich seine Frau wäre da hab ich mir gedacht ich muss das nun auchmachen und hab also immer gesagt hach ja mein liebster Gemahl so mit möglichst zierlicher Stimme und das fand er auch scheints sehr schön denn dann sagte er wieder die Kette steht Dir aber sehr schön liebe Marion was nämlch eine gans dicke Perlenkette war wo er mir noch umgebunden hatte aber Du hast eigentlich noch gar nichts dafür getan und wie ich fragte hach mein liebster Gemahl was soll ich denn für die schöne Kette tun hat er aber bloß gelacht und gesagt nimm nur noch eins von diesen Laxkannapehs das Du auchn bißchen scharf wirst meine kleine Luchsusschnecke und hat mir das richtig in den Mund gesteckt das ich garnichs mehr sagen konnte aber ich habe ihn dann wenigstens lieblich angelächelt wie das die feinen Damen im Kino immer so machen.

Und es war ja auch sehr leerreich für mich weil ich vorher gar nicht wußte wie sich so vornehme Leute allein unterhalten wenn niemand dabei ißt was sie ja im Kino auch nicht so zeigen denn wenn er zumbeispil sagte na läuft Dir denn langsam schon der Saft im Loch zusamen mein geiles Salonluder da wusste ich erst garnich was man dadrauf sagt als vornehme Dame und habe nur süß gelächelt und gewiespert Hach ja mein liebster Herr Gemahl aber er hat nur zurück gelächelt und gesagt Darauf wollen wir anstoßen, mein friggiter Eisschrank heute wirste abgetaut! wobei ich mich zwar an dem Seckt verschluckt hab weil der so krippelte aber er schmeckte sehr schön und so war es wohl richtig was ich gesagt habe?
Denn er hat gelacht und gesagt dann kommmal auf mein Schoss Du kleenes scharfes Wollustpacketchen das ich Dich mal so richtig abknutschen kann unnich immer so etepetete mit Deine Miegrähne da bin ich dann ganz zierlich aufgestanden und hab mich zwar lieber an der Tischkante festgehalten wegen der hohen Hacken bin aber doch gestolpert was aber nich so schlimmwar denn er nahm mich dann gleich richtig auf dem Schoss was ein wirklich schönes Gefühl war und deshalb hab ich auch äußerst zärtlich gewießpert Hier bin ich mein liebster Gemahl und Miegrähne hab ich diesmal auch nich wie das ja wohl seine Frau Gemahlin auch gemacht hätte!

Da hat er mir wieder Seckt eingeschänkt und dann angefangen mich gans liebenswert zu streicheln erst so über die nackigen Arme und den Nacken worauf ich ihm dann den einen Arm um den Hals gelegt hab weil sie das im Kino auch immer machen aber dann hat er auch gleich so unter dem anderen Arm durchgefaßt und den Ballong unter meinem Abendkleid so richtig angefangen zu drücken wie wenn das mein Busen wäre und mit der anderen Hand so über meine Kniehe und die Beine unter dem langen Rock gestrichen das die ganzen Seidensachen so richtig schön übereinander weggerutscht sind und gemurmelt Nun zier Dich nich so Puppe und küss mich schon! worauf ich ihm auch zärtlich einen Kuss auf die Lippen gehaucht habe.

Aber da hat er wieder gelacht und gsagt das muß ich Dir wohl auch erst beibringen? und weil ich mir schon dachte das ich das nich so schön kann wie eine richtige feine Dame habe ich gesagt Oh ja bitte sehr mein liebster Gemahl! Und da hat er wieder gelacht aber mir dann sehr liebenswürdig gezeigt was bloß so kleine Mädchenküßchen sind und wie mann richtig erwachsene Frauenküßchen macht wozu mann nämlich den Mund aufmachen muss und gans viel mit der Zunge im Mund von dem Mann rumlecken was der dann auch wider macht wie wenn man eine Apfelsiene auszutschen will was Sie ja wahrscheinlich alles schon wissen weil Sie ja eine erwachsene falsche Frau machen können aber für mich war das sehr leerreich da ich es zwar im Kino schon gesehen hatte aber garnich wußte was die da immer so lange machen und mann sieht es ja auch nie richtig schon weil die Hauptsache ja innen in den Mündern paßiert!

Aber ich kann jetzt schon verstehen warum die das so lange machen denn es ißt sehr schön besonders wenn mann so seidig angezogen ißt und am ganzen Leib dabei gestreichelt und abgeknutscht wird wie er das mit mir gans genau so machte wie wohl sonst mit seiner Frau worauf ich widerum sehr stolz war denn es war ja für ihn doch eine Bemühung mir das alles so beizubringen und er sagte sogar bald könnte ich das jetzt besser als seine Frau was aber sicher bloß ein höfliches Kommplement war immerhin war ich aber gans schön aus der Puste als wir mit der ersten Reihe Küßchen fertigwaren und als er sagte Na läuft Dir schon die Sosse aus der Dose in die Hose meine kleine Marion? da hab ich erst gemerkt das ich tatsächlich so ein wieder so ein Tröpfchen im Höschen hatte wie damals als ich vor dem Mann wegggerannt bin und es ißt wahrscheinlich wirklich irgendwas Damenhaftes an meinem Pillermann weil das immer bei sowas paßiert und er es ja auch sagte?

Aber als ich dann gelißpelt habe Ja mein liebster Gemahl ich glaube es läuft schon was da hat er wieder gelacht aber sehr liebenswürdig und gesagt dann wird es aber höchste Zeit das wir ins Bettsteigen meine kleine scharfe Lustschnecke! und sind wir auch gleich aufgestanden und ich mit ihm ins Schlafzimmer gewankt auf den hohen Hacken was aber nich so schlimm war weil er mich sowieso die ganse Zeit um die Tallje gefaßt hatte und ich den Arm um seinen Hals trozdem war ich froh als ich die Schuhe aushatte weil sie doch etwas drückten aber dann mußte ich mich auch aus dem Kleid schälen und aus ziemlich viel von der Wäsche aber die Strümpfe und den Strappsgürtel und natürlich den Busenhalter mit den dicken Ballongs drin anbehalten und dafür allerdings ein sehr schönes langes Seidennachthemd auch so gelb mit lauter schwarzen Spitzen an den Rändern überziehen was garnich so einfach war damit ich die Perrükke nich verstruppelte aber inzwischen hatte er sich schon total nackig aufs Bett gelegt und da sah sein Pillermann auch so komisch groß aus wie bei dem Mann auf der Straße und ich dachte schon vielleicht ißt das bei anderen Männern immer so und bloß bei mir nich weil ich ja auch immer gern ein Mädchen wäre aber da hab ich plötzlich gemerkt das mein Pillermann auch viel größer und steif war unter dem Damennachthemd das es sich so faltenweise hob wie der Stoff im Schaufester von unserem Geschäft wenn das Fräulein Elli eine Deckorazion machte so das ich gedacht habe es ißt wohl doch etwas anderes und vielleicht kommt es vom erwachsenen Küssen?

Aber dann hab ich auch gemeint es passt sicher nicht für eine vornehme Dame wenn sie zu ihrem Herrn Gemahl ins Bett steigt das sie genauso einen dicken Pillermann zeigt wie er und weil ich sowieso noch mittem Rücken zu ihm stand hab ich mich nochmal auf den Hocke vorm Spiegel gesezt und den Pillermann so heimlich zwischen die Beine gedrückt biß man ihn nich mehr sieht und bin dann auch mit gans zusammengeklemmpten Beinen mit kleinen Damenschrittchen zum Bett rübergetripelt biß ich mich auf die Kante setzen konnte.

Wie ich ihn da so angekuckt habe und er mich schon wieder anfing zu streicheln dachte ich mir jetzt muss ich aber auchmal was richtig erwachsen Damenhaftes sagen und da fiel mir ein was sie so im Kino manchmal sagen und habe gans tief die Augenlieder runtergeklappt und gelißpelt:
“Jetz bün üch öndlich Deihn, Gelühbter !!!”

(Hier endet – leider oder glücklicherweise? – mitten im Brief das Manuskript-Fragment!)

Ruhrpott-Abenteuer (1958)

Anm. Jula: das ist keine Geschichte, sondern Hekate beschreibt ein Romanprojekt und analysiert sie aus Sicht der Autorin in verschiedenen Ebenen (Plot, Vermarktung, Crossdressing)

Dieses Abenteuer begann zunächst im Weltraum.

Da hatte sich nämlich plötzlich – ausgerechnet in der Kuppel des Blauen Salons auf dem Luxus-Raumliner OMEGA III – ein Stagmid gezeigt: was er eigentlich gar nicht durfte, denn nach Meinung aller Experten (wie etwa des Professors der intergalaktischen Kulturgeschichte Paran Ingor) waren Stagmiden – rätselhafte Weltraum-Phänomene in Gestalt einer schwarzen Kugel mit zwei meterlangen Ästen, die intensive Ultrakurzwellen ausstrahlen konnten – seit Jahrhunderten ausgestorben. Dieser hier war es offenbar nicht, was zu aufgeregten Reaktionen führte – umso mehr, als es schien, ein Rebell habe ihn an Bord geschmuggelt, um so einen unbekannten Agenten des Mutterplanetensystems Sol unschädlich zu machen.

Aber Job Ingor – Paran Ingors gerade frisch von der Akademie gekommener Sohn – hat dazu seine eigenen Gedanken: denn sein persönlicher Roboter Robert C hatte von Kollegenrobotern erfahren, daß sie im Auftrag Parans heimlich eine Kiste mit Altertümern aus den Ausgrabungen seines bestgehaßten Kontrahenten Glohun stibitzt und an Bord der OMEGA III gebracht hatten – und in solchen Altertümern scheint Glohun Stagmiden verborgen zu haben (weil er in Wirklichkeit der Kopf jener Rebellion ist). Was aber schlicht und kurz bedeutet, daß gar nicht Glohun dem Stagmiden an Bord geschmuggelt hat – sondern (wenn auch nur aus versehen) der höchst ehrenwerte Professor Paran Ingor selbst: und da ehrenwerte Professoren kaum Rebellen-Kisten klauen, bleibt Job nur der Schluß, daß offenbar sein Vater selbst der gutgetarnte Geheimagent von Sol sein muß…
Was dieser sogar auch zugibt – aber als ihm Job begeistert seine Unterstützung anbietet, belehrt er ihn nüchtern, hier gehe es nicht um irgendein Detektiv-Spiel, sondern um höchste weltraumweite Politik, für die er – so gescheit er sein möge – in seinen Jahren noch nicht das Format habe: am besten sei er deshalb für die nächsten 24 Stunden in seiner Koje aufgehoben…

Wenn sich an diesem Punkt – so war zumindest meine Überlegung – nicht jedem begeisterten jugendlichen Science-Fiction-Fan entrüstet die Nackenhaare sträubten und er fieberhaft hoffte, Job werde nun einen Weg finden, genau das Gegenteil zu beweisen: dann kannte ich die Leserschaft der Zukunftsromanhefte des Pabel-Verlags schlecht.

Um Himmelswillen nicht so anspruchsvoll wie in meinen ersten Kurzgeschichten – die immerhin mehrfach als “beste” der jeweiligen Utopia-Magazine abgeschnitten hatten – solle ich bitte diesmal schreiben, hatte mir der Herausgeber eingeschärft: bloß hübsch spannend und abenteuerlich. Um meinen Ruf als hochkarätiger SF-Autor brauche ich mir dabei keine Sorgen zu machen – denn solche Heftromane würden sowieso immer unter verlagseigenen Pseudonymen erscheinen (im diesem Falle: “Roy Chester”): dafür gebe es aber hier auch – statt der 30,- bis 50,- für Kurzgeschichten im Spezialmagazin – dank der höheren Auflage 500,- Mark Honorar; das entsprach immerhin einem halben Brutto-Monatsgehalt meiner damaligen Stellung als Assistent in der Werbeabteilung eines Stahlkonzerns – und noch dazu als Nebenverdienst ohne Steuerabzüge! – dafür konnte man, fand ich, schon mal (und sei es auch nur als Handübung) mehr fürs “breite Publikum” schreiben:

es war fast wie im Karneval, wo man treiben konnte, wozu man Lust hatte, weil einen unter der Maske sowieso niemand erkannte – aber wozu hatte ich denn nun hier mal Lust? Den rätselhaften “Stagmiden” hatte ich – nach Form und Eigenschaften – (tatsächlich!) aus einem Traum übernehmen können, den ich mal als Student der Physik gehabt hatte (deswegen seine “Dipol-Strahlung); den gescheiten, aber noch nicht recht für voll genommenen Job hatte ich mir als Identifiktionsfigur für die vermutlichen Leser konstruiert; aber was, das er jetzt anstellen könnte; würde denn nun mir ganz persönlich gefallen?!
Wer Fräulein Anima von 1940 kennt, ahnt es schon: wäre es nicht herrlich, einem Verlag, der mir in einer Story die sex-triefende Passage

“So war es kein Wunder, daß ich als erste an der Schachtmündung ankam. Es war auch gut so, denn der Anblick einer gutgewachsenen Frau in Büstenhalter und Schlüpfer am Ort einer Katastrophe ist, wie ich annehme, ungewöhnlich und auch ablenkend.”

aus Rücksicht auf Jugenschutzparagraphen gestrichen hatte (doppelt hintersinnig, weil die ganze Story durch eine frauengestaltige Roboterin erzählt wurde!) – also diesem Verlag nunmehr mit der harmlosesten Miene der Welt ein ganzes Romanheft hindurch ein Crossdressing-Abenteuer unterzujubeln?!

Sorgfältig brachte ich die nötigen Elemente in Position: erstens sieht Job zufällig eine Liste der bei der Panik im Blauen Salon Verletzten – auf der unter vielen anderen Namen auch eine “Sheila Keith, Journalistin, Rippenbruch, keine Lebensgefahr” steht [noch ahnt niemand was Arges] – zweitens beschreibt Job, wie er beim Rhetorik-Dozenten der Akademie, der ihm in der Theatergruppe wegen seiner schlanken Figur oft Frauenrollen aufhalste, wenigstens gelernt habe, wie man in Ohnmacht fällt: was er benutzt, um in seiner Kabine so elegant gegen das Gitter des Ventilationsschachts zu fallen, daß er durch das lose Gitter plötzlich in diesem Schacht verschwinden kann, bevor sein Vater die List duchschaut hat [führt noch immer irre] – und drittens landet er nach einer Odyssee durch staubige Schächte in einem eleganten Appartement, wo ihn eine einspurige Robot-Zofe mit “Gnä Frau wünschen? Zum Tee empfiehlt sich heute dies Modell Ynial, Kelchform, mit aparten Glanzeffekten – “ empfängt [merkt der Leser noch immer nix?] – aber erst als der treue Robert C, der Signale über Jobs Schacht-Abenteuer aufgefangen hat, in dem Appartement auftaucht, wobei Job erfährt, daß dieses ausgerechnet der (immobiliserten) Journalistin Sheila Keith gehört, kommt ihm plötzlich die Erleuchtung, wie er sich jedermann ausfragend unerkannt durch die ganze OMEGA III bewegen könnte:

“Stop, Fräulein Zofe: Ich wünsche das Kelchkleid zum Tee – und die ganze übrige
Kriegsbemalung einer gnädigen Frau!”

(wobei ich die Crossdresserei noch potenzierte, indem er auch noch das Gehirn seines Robert C gegen das der Robotzofe austauscht, damit der ihm nun in Zofenform nachtrippeln kann – während die Ärmste mit Roberts Gehirn zurückbleibt, das Job, um Nachfragen zu stoppen, mit “Paß auf: an dem, was ich jetzt sage, ist kein wahres Wort! Stimmt’s ?” zeitweilig hoffnungslos paralysiert hat… ]

Von da an verknotete sich die Handlung – in der außer Paran Ingor auch noch ein alter Raumschiffer, der in Wirklichkeit ein junger Rebell war, ein windbeuteliger Außenminister, die Kommandantin der OMEGA III und deren undurchsichtiger Manager auftauchten – fast mühelos immer weiter: bis zu dem Punkt, wo Job unversehens der wirklichen Sheila Keith (die nur irrtümlich als verletzt gemeldet worden war) in die Arme läuft und sich mit ihr um Presseausweis und Zofe zu streiten beginnt …

Womit der berüchtigte Punkt jeder frei zusammenfabulierten Handlung erreicht war, wo man sich endlich ernsthaft Gedanken darüber machen muß, wie man denn nun das interessante Durcheinander all dieser Handlungsfäden um Himmelswillen zu einer ebenso logisch einwandfreien wie dennoch überraschenden Lösung führen will ?!

Dazu hätte ich am jetzt vor mir liegenden Wochenende Zeit gehabt. Meine Frau war schon seit Beginn der Woche – mit den beiden Kindern und ihrer Schwester – zu einer Kur ins Bayrische gefahren; ich hatte im größten Topf, den ich der Küche finden konnte, eine Bechamelsoße bereitet und viele Scheiben Pellkartoffeln hineingeschnitten, was jeweils portionsweise erwärmt mit Rote-Beete-Salat als Beikost die Mittagessen sicherstellte; das ganze bisherige Manuskript hatte ich nochmal von Anfang an durchgelesen – es gefiel mir alles bis hierhin durchaus – bloß die erlösende Intuition wollte sich nicht einstellen. Genauer gesagt: ich war irgendwie mehr neidisch auf den schlanken Job, der da nach Herzenslust mit Kelchkleid und Zofe herumschwänzeln konnte, während ich mir bloß den Kopf über seine Abenteuer zerbrechen mußte.

Aber – wieso eigentlich? Vielleicht – flüsterte Fräulein Anima raffiniert – fehlte mir für den entscheidenden Einfall irgendeine praktische Erfahrung? Noch, redete sie mir ein, diese Idee nur ganz unverbindlich erwägend, zog ich erst einmal meine Büro-Kluft aus, rasierte mich nochmal und stieg in ein schönes angenehm warmes Bad. Und im Bademantel inspizierte ich dann mal Schränke und Schubladen:
hm – da war eigentlich ja alles da, was man für solch ein Experiment brauchte – natürlich kein Kelchkleid Modell Ynial – aber BH und Hüfthalter und Strümpfe und Garnitur und Unterrock – das paßte, wie ich konstatierte, alles (wo nötig passend ausgestopft) erstaunlich gut, wenn man die grazile Figur meiner Frau bedachte – Schuhe? Die waren unter Garantie zu klein (36 oder weniger – sie hatte Probleme genug, in den Größen überhaupt was einigermaßen Elegantes zu finden und nicht nur Kinderschuhe) – aber zum Glück hatte meine Schwägerin ein Paar herzlich ausgetretene Trotteurs bei uns stehenlassen: paßten (und kein Problem mit zu hohen Hacken). Kleid? Na ja – etliche zu knapp, aber ein ziemlich biederes Hausfrauenkleid mit grünem Schottenkaro und plissiertem Rock saß, aus welchen Gründen auch immer, wie angegossen.

So weit, so gut: jetzt hätte ich ‘ne Robotzofe gebraucht, die mich raffiniert schminkte und mir – wie Job im Weltraum – eine von -zig “metallisch schimmernden Perücken” zur Wahl anbot! Statt-dessen experimentierte ich also so gut ich konnte mit Puderquaste und Lippenstift – sah am Ende gar nicht so schlecht aus: aber die Frisur! Wir hatten ja nun nicht mehr die Garconne-Schnitte der Golden Twenties – einen Hut könnte ich aufsetzen, der den größten Teil des Haars abdeckte – und dann vorn so rechts und links zwei dicke Strähnen herausholen und geschwungen wieder unter die Hutkrempe stecken: nun, das sah gar nicht so schlecht aus – erst recht, als ich noch das Paar großer dreieckiger Metall-Ohrringe, das ich mir mal gekauft hatte, dazunahm – bloß daß keine vernünftige Frau einen solchen Hut im Haus zu so einem Kleid aufsetzte?!
Logische Konsequenz: dazu gehörte auch ein Mantel. Und da hatte ich ja meiner Frau einen todschicken cremegelben Gabardine-Hänger mit schwarzen Paspeln gekauft, den sie aus irgendeinem Grunde nicht mit auf die Reise genommen hatte – und der stand auch mir zu dem Hut ausgezeichnet. Nur die nächste Konsequenz: eine solche Aufmachung gehörte offenbar nicht in die Wohnung, sondern auf die Straße!
Hm – jetzt begann die Sache ja langsam abenteuerlich zu werden.

[Fortsetzung: folgt!]

(Anm. Jula: …leider nicht!)

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