Eine Hommage an eine Frau mit vielen Namen

Autor: HEKATE (Seite 2 von 4)

Die englische Gouvernante

… lebt zu Beginn der Handlung bei einer Freundin, der Witwe eines verarmten britischen Adligen, die kaum mehr hat, als dessen verschuldetes Landhaus, und kümmert sich, während diese das Nötigste durch Übersetzungsarbeiten verdienen muß, um deren Jungen, den künftigen “Lord Glenarvon” – hat sich aber auf eine Anzeige hin beworben …

(… das Vorgespräch…)

Als ich am Sonnabend aus dem Dorf zurückkam, empfing mich Marjorie etwas aufgeregt in der Halle.

„Es ist jemand aus Deutschland da – wegen der Anzeige! Ein Dr. Bollinger oder so – ich glaube, er ist der Hausarzt und gerade zu einem Kongreß in London – er radebrecht zwar entsetzliches Englisch und sieht aus wie Goldfinger, du weißt schon, dieser deutsche Schauspieler da im Film, aber ich glaube, er ist ganz nett: mit Tom jedenfalls versteht er sich schon prächtig – “ wisperte sie mir atemlos zu.

„Mit Tom?!“ fragte ich – etwas albern, denn es lag ja nahe, daß sich jemand, der meine Eignung als Gouvernante prüfen wollte, auch für meinen Schützling interessierte; aber ich war im Moment wirklich völlig durcheinander. Zudem sah ich aus wie frisch unterm Tore hereingekrochen!

„Also halt ihn bitte noch ein bißchen bei guter Laune – ich muß mich wenigstens etwas zurechtmachen!“ beschwor ich sie.

„Aber wieso – Du siehst doch so sehr hübsch aus – “ behauptete Marjorie und wollte mich schon am Arm in die Bibliothek ziehen.

Ich machte mich los. Mühsam einen hysterischen Unterton in meiner Stimme unterdrückend, sagte ich bestimmt: „Marjorie, Du weißt, wie sehr es für mich darauf ankommt, wie ich aussehe – gerade vor so einer Begegnung! Also sei ein Schatz und laß mir ein paar Minuten vor dem Spiegel!“

Sie nickte. „Na ja – ich versteh Dich ja: also lauf – ich mach das hier schon!“ und wandte sich, ihr bestes Gastgeberinnenlächeln aufsetzend, wieder zur Bibliothek, während ich die Treppe hinaufhetzte.

In meinem Zimmer angekommen, hatte ich regelrechtes Herzklopfen – ob nun vom raschen Treppensteigen oder vor Aufregung? Mit all diesen Medikamenten im Leib entwickelte ich mich langsam wirklich zu einem hysterischen Frauenzimmer!

Aber es beruhigte mich wie immer, als ich mich vor die Spiegeltoilette setzen, wenigstens ein bißchen make-up für Augen und Mund auflegen und die Haare halbwegs zurechtkommen konnte – nichts Glamouröses natürlich, aber immerhin genug, um mein Selbstgefühl einigermaßen wieder herzustellen. Das kam einfach alles zu unerwartet und zu rasch: regulär hätten mir diese Deutschen zurückschreiben – und allenfalls den Termin für eine Vorstellung vorschlagen müssen, auf die man sich in Ruhe vorbereiten konnte – statt mir gleich ihren medizinischen Sachverständigen auf die Bude zu schicken! Aber – mußte ich plötzlich denken, während ich mechanisch nochmal mein Bild im Spiegel kontrollierte, vielleicht war es ein Fingerzeig des Schicksals, daß es ausgerechnet ein Arzt war, mit dem ich zu reden hatte?

Was ich mir wirklich richtig dabei dachte, kann ich selbst nicht sagen – aber jedenfalls schloß ich diese unterste Schublade im Sekretär auf und holte die schwarze Mappe mit den Unterlagen heraus. Es war ein wenig grotesk, daß die einzige Tasche, in die diese Mappe paßte – schließlich wollte ich sie nicht gleich in der Hand hereintragen; Marjorie kannte sie zu gut – meine grüne Frotteetasche für die Badesachen war: aber wenigstens paßte die sogar zufällig zu den Paspeln meines weißen Sommerkleids, so daß es nicht allzu blödsinnig aussah, sie mitzuschleppen. Aufzumachen brauchte ich sie ja gar nicht, wenn es nicht nötig war …

Und dann ging ich – nach noch ein paar Spritzern Eau de Cologne, damit ich wenigstens wie eine gepflegte junge Dame roch statt wie eine verschwitzte Stute – hinunter.

„So – Sie sind also die Miss Vivian Grey!“ dröhnte Dr. Bollinger, als wir allein waren, und musterte mich mit unverhohlener Neugier von oben bis unten. Ich hoffte nur, daß sein Eindruck von mir besser war als der meine von ihm: Marjorie hatte wirklich den Nagel auf den Kopf getroffen – er sah aus wie Goldfinger, ich meine dieser Herr Fräse oder Frebe: die gleiche massige Figur, der runde Kopf mit den schlauen Schweinsäuglein, sogar der gleiche Knickerbockeranzug und die gleiche blusterige Art zu sprechen:

„Ich rede lieber Deutsch mit Ihnen, weil Sie das ja anscheinend perfekt können – “ brummelte er weiter, „das ist zwar unhöflich, aber nur halb so sehr als wenn ich Ihnen mein Englisch zumute: für Ihren Artikel habe ich drei Stunden mit dem Diktionär gebraucht – höhöhö!“ röhrte er fröhlich. „Nehmen Sie auch was zu trinken?“ unterbrach er sich und wies auf die Whiskyflasche, die noch mit Eis und Gläsern auf dem Tisch stand.

Ich schaute ein bißchen hilflos: trinkt eine seriöse Gouvernante am hellen Vormittag Whisky bei ihrer Vorstellung? Wahrscheinlich doch wohl nicht, dachte ich und schüttelte leicht den Kopf.

„Na dann gestatten Sie aber, daß ich mir noch einen einschenke – “ meinte er ungerührt und goß sich sein leeres Glas wieder voll. „Durstiges Geschäft – Gouvernanten interviewen!“ brummte er dazu und zwinkerte mir vertraulich zu. Ich hatte mich zwar noch nie für so einen Posten vorgestellt – aber daß Dr. Bollingers Art etwas unorthodox für ein solches Interview war, schien mir doch auffällig, merkwürdigerweise hatte das aber eher eine beruhigende Wirkung auf mich – vielleicht, weil es dadurch immer unwirklicher schien, daß aus alledem ernsthaft eine Anstellung werden könne …

„Sie meinen also – “ fuhr er nach einem kräftigen Schluck Whisky fort, „daß mit einem Jungen nie ‚was nicht in Ordnung‘ ist – sondern allemal bloß mit den Leuten, die ihn erziehen wollen: und je mehr sie an ihm herumerziehen – desto mehr kommt alles aus der Ordnung – nüch?“ machte er gemütlich.

„Ganz so habe ich das zwar nicht geschrieben – “ korrigierte ich vorsichtig.

“ – aber gemeint!“ wischte er meinen Einwand unbeirrt weg. Drei Stunden mit dem Diktionär mochte er über „What’s wrong with your Boy?“ gebraucht haben – aber entgangen war ihm dabei auch das nicht, was eigentlich nur zwischen den Zeilen stand: hinter dieser brummeligen Onkel-Doktor-Fassade steckte ein unheimlich scharfer und wacher Verstand – ein „gemütliches“ Interview würde das keineswegs werden …

„Ich erzähl Ihnen dazu ’nen klassischen Fall – “ brummelte er wie versonnen weiter, „Vater: Forschungsingenieur, wird Unternehmer, baut ’nen Riesenladen auf, ist immer mehr unterwegs – Mutter hockt mit dem Jungen zuhause, mopst sich, macht sich aus ihm ein Püppchen zum Spielen – zudem ist sie zwar süß und charmant, aber im Bett kalt wie ein Fisch – Resultat: nach’n paar Jahren Scheidung – der Junge wird der Mitte nach durchgeteilt, zeitlich meine ich, halb für Papa und halb für Mama – nur weil Papa sowieso nie da ist, kommt’s darauf hinaus, daß er praktisch immer bei Mama hockt – sprech ich zu schnell oder zuviel Jargon?“ unterbrach er sich.

„Nein – danke – ich komme ganz gut mit!“ beruhigte ich ihn.

„Hm – “ fuhr er nachdenklich fort, „der Junge selbst: hochintelligent – da kommt der Vater durch – sensibel – von der Mutter her – übernervös – warum, brauch ich nicht zu erklären – wird natürlich der kleine Page seiner schönen Mama: und der Vater ebenso natürlich für ihn der finstere Tyrann hinterm Berg, der ihr immer so bitter Unrecht tut – besonders wenn er sagt ‚Du erziehst den Jungen falsch!’: dann machen beide schon aus Protest das Gegenteil von allem, was er vorschlägt – und im übrigen meint die Mama, wie in diesem jiddischen Witz, wo die eine Frau der anderen erschrocken erzählt, der Psychologe fürchte, ihr Moritz hätte einen Ödipuskomplex – “ er griff, instinktiv eine kleine Pause vor der Pointe einlegend, nochmal zu seinem Whiskyglas – aber da begann schon wieder diese Automatik in meinem Gehirn zu arbeiten: das stand doch – Moment – in Koestlers “Göttlichem Funken” unter den Beispielen für die ‚Logik des Lachens‘, als ein Witz, den ihm kein Geringerer als der große John von Neumann erzählt hatte:

„Ödipus, Schmoedipus – was regst Du Dich auf, solang er ein braver Junge ist und seine Mammi liebhat!“ ergänzte ich automatisch.

Dr. Bollinger setzte verblüfft das Glas ab:
„Ach herrje – der Tom hat recht: Sie kennen wirklich so ziemlich alles!“ sagte er kopfschüttelnd. „Also kurz und gut – oder vielmehr gar nicht gut: die beiden leben wie die Turteltauben – der Junge hilft ihr die Hüte und Kleider aussuchen, und sie würde ihn am liebsten auch in Spitzenkleidchen stecken – eigentlich hätte sie sowieso viel lieber ’ne Tochter gehabt – und sie wird schon eifersüchtig, wenn er über ’nem Buch hockt oder in seiner chemischen Räucherkammer im Keller statt bei ihr – von Schulkameraden oder Freunden ganz zu schweigen! – aber die vermißt er natürlich auch gar nicht, weil er ja die schönste Mama der Welt hat … “ er nahm wieder einen Schluck Whisky, „da – bums – fahren die beiden eines schönen Tages mit ihrem Auto gegen die Leitplanke – Mutter sofort tot – „
“ – und der Junge ?“

„Schock und doppelter Oberschenkelbruch – gottseidank doppelt, möcht‘ ich sagen, so komisch das klingt – denn dadurch muß er so lang in Gips und Streckverband stecken, daß ihm wenigstens das Begräbnis erspart bleibt – die Trauergäste – und dann das leere Haus – “ Er schwieg einen Moment. „Aber einmal – und zwar schon sehr bald – muß der Gips runter – und dann ?!“

„Der Vater – ?“ fragte ich ziemlich unsicher.

„Also – der Vater: hoffentlich habe ich den jetzt nicht zum Buhmann – sagen Sie doch auch, nöch: Boogeyman oder so ? – vom Ganzen gemacht! Natürlich war er nie zuhause! Natürlich hat er bei anderen Frauen geschlafen, als seine keine Lust mehr hatte! Natürlich hätte er nachher wenigstens mit der Faust auf den Tisch hauen müssen, bevor sie ein Schoßkind aus dem Jungen machte! Aber schließlich hatte der Mann die ganze Zeit auch noch was anderes um die Ohren – so ein Konzern is ja kein Pappenstiel und den hat er ja schließlich auch für seinen Jungen aufgebaut!“ Er sah mich herausfordernd an.

„Oh – “ sagte ich sanft, „da hab ich Sie nun doch falsch verstanden: es klang erst so, als hätte er das mehr zu seinem eigenen Vergnügen getan?“

„Touche – !“ sagte er und grinste ein wenig schuldbewußt. „Ich will ihn nicht besser machen als er ist: natürlich ist der Mann ein Fanatiker, wenn es um seine Arbeit geht – möglicherweise ist er sogar ein Genie – aber das heißt nicht, daß er blind ist oder verantwortungslos: der Mann liebt seinen Sohn – er versteht ihn sogar so gut, daß er weiß, der Junge kann jetzt, wenn kein Wunder geschieht, endgültig einen Knacks fürs ganze Leben bekommen – und muß sich doch eingestehen, daß er ihm gerade jetzt nicht helfen kann: weil er die Chance dazu irgendwann verspielt hat – und jetzt kann er sie nicht mehr zurückkaufen, auch wenn er sein ganzes Werk dafür drangeben wollte. Der braucht jetzt keine Vorwürfe – die macht er sich schon selbst – sondern jemand, der ihm hilft: oder vielmehr, der dem Jungen hilft. Also – “ er griff wieder nach dem Whiskyglas, „fährt der alte Dr. Bollinger aus, um nach einem Wunder zu suchen…“

Er nahm einen tiefen Schluck und sah mich dann voll an:
„Sind S i e dieses Wunder, Miss Grey?“

Ich schluckte. Was soll man auf so eine Frage antworten? Am liebsten hätte ich jetzt doch einen Schluck Whisky gehabt …

„Sagen Sie – “ der alte Doktor hob die Hand, “ – noch nichts: Sie sind nämlich – wenigstens bisher – die Einzige, die mir von wirklich kompetenter Seite empfohlen worden ist – “ er grinste wieder ein wenig sardonisch, als er meine Befremdung sah, und wühlte dann in seinem Aktenkoffer, um mir ein Blatt zu überreichen. Ich nahm es – und las, was da auf liniertem Papier in etwas krakeliger Schuljungenschrift stand:

„Sehr geehrte Herren,
bezugnehmend auf Ihre Anzeige betreffend eine Gouvernante kann Ich Frl. Vivian Grey für diese Position hoch empfehlen.

Ich meine das, weil Ich selbst zuerst bestimmt gegen Gouvernanten war. Am ersten Abend legte Ich einen Frosch in ihr Bett, Nächsten Morgen hatte sie ihn in ein Glas gesetzt und 3 Fliegen für ihn gefangen. Was zeigt das sie wirklich eine extrem vernünftige Person ist welche außerdem in der Tat fast alles kann, sogar Sachen die sie nie von einer Dame glauben würden wie Seemanns Knoten und Karten Tricks.

Ich würde wirklich hassen sie gehen zu lassen aber Ich denke sie könnte mit etwas mehr Geld tun und sie können wirklich dafür nicht irgendjemand besseres finden als Frl. Grey!

Hochachtungsvoll
Thomas
Lord Glenarvon

P.S. Sie spricht Deutsch auch wirklich sehr gut nur richten sie das nicht nach diesem Brief weil, natürlich, sie ihn gar nicht gesehen hat und all die Fehler mein sind!“

Ich spürte, daß mir auf einmal Tränen in den Augen standen. Das war natürlich albern und feminin – aber mit all diesen Hormonen bin ich neuerdings sentimental wie eine viktorianische Romanheldin – und die Vorstellung, wie Tom da mit gefurchter Stirn und englisch-deutschem Diktionär einen Empfehlungsbrief für mich aufgesetzt und abgeschickt hatte, war so rührend und komisch zugleich … dennoch war es mir sehr peinlich, ausgerechnet vor diesem deutschen Doktor da wie eine Heulsuse mit schwimmenden Augen zu sitzen.

Mit mehr Takt, als ich ihm zugetraut hätte, machte er sich in seinen Akten zu schaffen – obwohl ich sicher war, daß seinen scharfen Schweinsäuglein nichts entgangen war – und brummelte halb aus seinem Koffer hervor:

„Eine junge Dame, die bei jemand, der ihr erst Frösche ins Bett gelegt hat, eine solche – nahezu fanatische Begeisterung auslösen kann, macht selbst einen alten Skeptiker wie mich wieder an Wunder glauben … „

„Halten Sie das nicht – “ versuchte ich in leicht spöttischem Ton einzuwerfen (der mir nur leider ziemlich mißlang, weil ich noch immer so eine Art Kloß im Hals hatte), „nur für eine besonders raffinierte Methode, mich wieder loszuwerden?“

„Also das Raffinement – “ grinste der Doktor, „traue ich nun Thomas Lord Glenarvon wieder nicht zu – und ich habe, wissen Sie, auch ein bißchen Erfahrung mit kleinen Jungen … “ er wurde unvermittelt wieder ernst, „und ich könnte – wohlgemerkt könnte – mir denken, daß Sie vielleicht das sind, was uns eine Chance gibt … „

Soviel Hoffnung stand auf einmal in seinen alten Augen, daß ich gar nicht anders konnte, als aufzustehen und zu sagen:
„Herr Dr. Bollinger – es gäbe zwei Gründe, warum ich diese Aufgabe liebend gern übernehmen würde:
der eine ist, daß ich fast den gleichen Fall – sehr eng – schon einmal miterlebt habe; einen Fall, in dem niemand da war, der dem Jungen helfen konnte – und wo er, wie Sie ganz richtig sagen, endgültig einen Knacks fürs ganze Leben bekommen hat. Wenn ich die Chance hätte, zu versuchen … “ Ich brach ab. Dieser Kloß im Hals war noch immer nicht hinuntergeschluckt.

„Der zweite Grund – “ sprach ich rasch weiter, „ist, daß ich das Geld – wie Tom sehr richtig schreibt – brauchen – nicht bloß gern haben, sondern – lebensnotwendig brauchen könnte.

Leider gibt es einen dritten Grund, weshalb ich es nicht verantworten könnte, diese Aufgabe zu übernehmen. Als ich Ihnen schrieb, war das vielleicht auch schon nicht zu verantworten – aber da sah es noch so aus, als wäre es nur irgendein Job für irgendeinen Jungen, sagen wir wie Tom – und da hätte ich es riskiert. Aber bei Ihrem Fall hängt zuviel davon ab – ich kann’s nicht! Verstehen Sie: so brennend gern ich wollte – ich kann’s nicht – !!!“ Ich merkte mit Schrecken, wie meine Stimme schrill und hysterisch geworden war – ich mußte ein schönes Schauspiel für einen Mediziner abgeben! Es fehlte nur noch, daß ich mich in der klassischen „grand-mal-Pose‘ auf den Teppich schmiß …

„Ich glaube Ihnen – “ sagte er langsam, beinahe zärtlich, „ich glaube Ihnen ja: daß Sie uns so gern helfen wollen – und daß Sie einen Grund haben, weshalb Sie’s dennoch nicht tun können.“ Er sah mich scharf an – aber gottseidank hatte ich mich jetzt wieder unter Kontrolle. „Ich glaube Ihnen auch – “ fuhr er, noch immer langsam und eindringlich, fort, „daß es ein guter und gewichtiger Grund ist – und ich bin bereit, diesen Grund zu respektieren: ob ich ihn nun erfahre oder nicht.“
Er stand auf und trat neben mich: „Aber vielleicht verzeihen Sie einem alten Doktor – und alte Doktoren, falls Sie das noch nicht wissen, sind neugierig wie junge Hunde! – wenn er diesen Grund doch gern erfahren würde – und sei’s nur – alte Doktoren sind nämlich auch ziemlich eitel! – weil er denkt, daß er Ihnen vielleicht irgendwie helfen könnte … „

Ich spürte, wie ehrlich er es meinte – und versuchte zu lächeln (es ging sogar einigermaßen), als ich sagte:
„Nein – ich glaube, Sie haben sogar ein Recht darauf, zu erfahren, was dieser Grund ist: und sei’s nur – Eitelkeit ist nämlich nicht das Privileg alter Doktoren! – damit Sie mich nicht für ein völlig übergeschnapptes Frauenzimmer halten… „

Ich nahm die schwarze Mappe aus der Tasche und gab sie ihm in die Hand: „Das stammt zwar von einem englischen Doktor – aber ich hoffe, Sie werden die Fachausdrücke auch ohne Diktionär verstehen …“

Er sah mich wieder scharf an – öffnete dann die Mappe und schaute hinein – hob entschuldigend die Hand, setzte umständlich eine dicke Hornbrille auf und ließ sich dann am Tisch nieder, um Text und Bilder zu studieren.

Es dauerte sehr lange – und das lag sicher nicht nur am Englisch. Einmal murmelte er vernehmlich „Hol mich der … !“ – dann schüttete er sich, wie ich am Glucksen der Flasche hörte, einen neuen Whisky ein; ich hörte es nur, denn ich war ans Fenster getreten und wandte ihm den Rücken zu – aber vom Park draußen sah ich nichts. Schließlich räusperte er sich dreimal – immer lauter – bis ich mich endlich wieder umdrehte.

Er hatte die Brille wieder abgenommen und wippte sie nachdenklich in der Hand, während er mich nocheinmal von oben bis unten musterte. Dann sagte er langsam, als müsse er jedes Wort abwägen:
„Ich danke Ihnen, daß Sie mir das gezeigt haben – und ich kann Sie nur bitten – “ Er brach ab. „Alte Doktoren sind oft auch alte Narren“, sagte er dann, ‚

Ich glaube, ich fange schon wieder an zu heulen, dachte ich verzweifelt. Aber er sprach langsam und bedächtig weiter:
„Manchmal hat man als Arzt die Wahl zwischen zwei Methoden der Therapie:
Die eine ist konservativ und ohne Risiko – bloß ist sie meist auch ohne Erfolg.
Die andere hat eine Chance für einen durchschlagenden Erfolg – leider eine genau so große für eine katastrophalen Mißerfolg.

Da ein Arzt auch nur ein Mensch ist, hofft er natürlich immer, daß ihm rechtzeitig noch eine dritte Methode einfällt, die durchschlagenden Erfolg ohne Risiko garantiert. Meistens hofft er vergebens.“

Er sah mich wieder an.
„Was ich damit sagen will, ist: ich habe mich in dieser Wahl noch nicht entschieden. Überhaupt noch nicht entschieden.“ Er machte wieder eine lange Pause. „Wenn ich mich in einem bestimmten Sinne entscheiden sollte, würde ich damit auch die volle Verantwortung für diese Entscheidung übernehmen. „

Er erhob sich umständlich.
„Aber ich rede zuviel – ich habe heute überhaupt schon verdammt zuviel geredet! – darf ich Ihnen gegebenenfalls schreiben?“

Er griff nach der schwarzen Mappe und reichte sie mir – fast mit einer gewissen Feierlichkeit – hin:
„Aber wenn Sie einem alten Doktor noch einen Spruch erlauben: es kommt nicht soviel darauf an, wo man sich einen Knacks geholt hat – es kommt darauf an, wie man mit ihm fertig wird.

Es war mir eine Ehre, Sie kennenzulernen – Miss Grey!“
Damit verneigte er sich altväterisch – und küßte mir die Hand.

(Die Auslese… )

Nach und nach trafen – jedesmal von der perfekten Sekretärin geleitet – die anderen Kandidatinnen ein.

Miss Ludlow war ein junges, ein wenig eckiges Mädchen in Blue Jeans mit langen Haaren, einer randlosen Brille und – offensichtlich – einer Mission; Miss Forbes eine ungeheuer kompetent und respekteinflößend ausschauende Persönlichkeit in einem unmöglichen Kleid – und Mrs. Ellinger, die in letzter Sekunde etwas atemlos ankam, eine etwas mollige, impulsive junge Frau mit unordentlichem make-up.

Wie man schon aus meiner Schilderung sieht, beschauten wir uns gegenseitig mit all der Sympathie und untadeligen Korrektheit von vier fremden, aber wohlerzogenen Katzen, die man ins gleiche Zimmer gesperrt hat – nur daß es bei Katzen ein wenig unterhaltsamer gewesen wäre, weil man wenigstens ihre Schwanzspitzen zucken gesehen hätte. Dieser Dr. König mußte überhaupt keine Ahnung von Psychologie haben, uns hier allesamt um einen Tisch zu versammeln – oder, fragte ich mich beim zweiten Überlegen, unheimlich viel Ahnung? Denn wenn etwas geeignet war, unsere Schattenseiten zum Vorschein zu bringen, dann ja wohl diese Situation …

Doch ich kam nicht mehr dazu, diesem Gedanken nachzuhängen, denn in diesem Augenblick betrat – pünktlich mit dem Sekundenzeiger – unser prospektiver Arbeitgeber den Raum. Ich sage „Arbeitgeber“, weil er genau so aussah: groß, schlank, gepflegt, korrekt und „dynamisch“ – in Vorstandssitzungen oder Tarifverhandlungen genau so zuhause wie, offenbar, in dieser einmaligen Versammlung künftiger Gouvernanten:

„Meine Damen – “ sagte er, an die Stirnseite des Tisches tretend (wo die perfekte Sekretärin das Schildchen „Dr. König“ aufgestellt hatte – brav demokratisch genau in der gleichen Ausführung wie unsere) „ich danke Ihnen sehr, daß Sie sich hierher bemüht haben – und daß Sie mit der etwas unorthodoxen Form dieser Besprechung einverstanden sind – „

Er machte eine Pause, die genau so kurz war, daß keine von uns etwas sagte – aber genau so lang, daß er unser Schweigen als Zustimmung nehmen konnte – und fuhr dann fort:
„Ich möchte weder Ihre noch meine Zeit damit verschwenden, das zu wiederholen, was Sie bereits von Herrn Dr. Bollinger erfahren haben – ich werde Ihnen lediglich ein paar Fragen stellen, die mir zur Abrundung des Bildes – und für meine endgültige Entscheidung – nützlich erscheinen. Frage Nummer Eins: – “ er machte wieder eine unmerkliche Pause und fuhr dann mit einem kleinen Lächeln fort: „Hat Sie Fräulein Rothacker mit allem an Getränken, Zigaretten und so fort versorgt, damit Sie sich hier wohlfühlen? Sie dürfen selbstverständlich – wenn Sie wollen – rauchen: schon allein deshalb, damit ich mir – “ er griff in die Tasche, „selbst mit besserem Gewissen eine Zigarette anzünden darf!“

Falls es die anderen nicht gemerkt haben sollten – mir war nun jedenfalls klar: dieser Mann wollte Katz und Maus mit uns spielen – mal eiskalt geschäftsmäßig, mal entwaffnend charmant, aber immer so, daß wir nie vergaßen, daß er der Chef war. Ich beschloß, ihm zu zeigen, daß außer ihm jedenfalls noch eine Katze im Raum war.

Er sah sich kurz in unserem Kreis um:
„Wenn alles zu Ihrer Zufriedenheit geregelt ist – “ noch eine der bewährten Dr.-König-Pausen, wieder genau so lang, daß wir das perfekte Arrangement des perfekten Frl. Rothacker bewundern konnten – und zur Kenntnis nehmen, daß derartige Perfektion der Standard für all seine Anforderungen war – „dann darf ich jetzt zur ersten ernsthaften Frage kommen.“

Vorsicht, Mäuse – jetzt kommen die Krallen dachte ich; aber er lehnte sich, die Arme übereinanderschlagend, zurück und sagte in leichtem Konversationston:
„Gesetzt den Fall, Ihnen stünde – um eine runde Summe zu nehmen – 1 Million Pfund zur Verfügung, die Sie nach Ihrem Belieben zur Förderung geistig zurückgebliebener Kinder – oder zur Förderung hochbegabter verwenden dürften. Wie würden Sie sie verteilen?“

Ich wußte nicht, ob ich über die Unverschämtheit, mit der er uns hier zu examinieren begann wie eine Herde Schulmädchen, wütend werden sollte – oder sie bewundern. Aber da er wahrscheinlich genau eines von beidem erwartete, konzentrierte ich mich lieber auf die Frage selbst: merkwürdigerweise eine, über die ich selbst schon manchmal nachgedacht hatte …

„Da es ein bißchen kindisch aussähe, wenn Sie sich durch Handheben zu Wort melden müßten – „(wieder mal verstand er es, die Situation mit dem gleichen Charme zu entschärfen wie zu betonen!) „darf ich vorschlagen, daß Sie in der Reihenfolge antworten, wie Sie sitzen – vielleicht – “ er warf einen Blick auf unsere Namensschilder, „Miss Ludlow zuerst ?“

Das blonde Mädchen räusperte sich – und sagte dann überzeugt:
„Selbstverständlich die ganze Summe für die Behinderten!“

Dr. König nickte höflich. „Ihre Begründung – ?* fragte er.

Sie schaute ihn einen Augenblick befremdet an, als habe er sie nach dem mathematischen Beweis für „2×2 ist 4“ gefragt:
„Zusätzliche Mittel müssen immer den Unterprivilegierten einer Gesellschaft zugute kommen!“ sagte sie dann; ich hatte es ja gleich gewußt: sie hatte eine Mission.

„Danke – “ antwortete Dr. König kurz, „Mrs. Ellinger?“

Ich war gespannt, wie sie sich schlagen würde – sie war mir von der ganzen „Konkurrenz“ noch am sympathischsten – aber ich hatte nicht erwartet, daß sie gewissermaßen laut nachzudenken beginnen würde:

„Also – “ sie faßte mit der rechten Hand den Zeigefinger ihrer Linken, als müsse sie die Million abzählen, „ich glaube, ein geistig zurückgebliebenes Kind kann man schon mit ganz bescheidenen Mitteln fördern – sagen wir mit Spielzeug oder nur indem man sich mit ihm befaßt – aber wenn ich ein hochbegabtes Kind fördern will, dann wird das viel teurer – dem muß ich Bücher geben oder einen Computer oder was weiß ich – und wenn ich nun für beide gleichviel tun will – “ sie schaute ihn regelrecht verblüfft an, „dann muß ich mehr Geld für die Hochbegabten ausgeben!“

„In welchem Verhältnis etwa ?“ erinnerte sie Dr. König höflich.

„Ach Gott ja – “ sie runzelte die Stirn und schien wieder im Geist an den Fingern zu zählen, „siebzig zu dreißig etwa ?“

„Danke – “ kommentierte er knapp , „Miss Forbes?“

„Ich weiß zwar nicht, was diese Frage mit Erziehung zu tun hat -“ kam ihre Antwort wie aus der Pistole geschossen, „aber die Antwort kann nur fünfzig zu fünfzig lauten – alles andere wäre ungerecht!“

„Danke – Miss Grey ?“

Ich nahm, bevor ich antwortete, bewußt noch einen tiefen Zug an meiner Zigarette – Kunstpausen waren nicht das Privileg des Herrn Dr. König! – und sagte dann liebenswürdig:
„Gesellschaftlich – „(soviel für Miss Ludlow!) „wie finanzmäßig ist das eine Frage des return on investment: Förderung Hochbegabter schafft höhere Werte als die Zurückgebliebener. Also muß das ganze Geld in die Förderung der Hochbegabten gesteckt werden – “ noch einen Zug, zweite Effektpause, „mit dem Proviso natürlich, daß die später, wenn sie Geld verdienen, die aufgewandten Beträge mit einem Aufschlag von 100 Prozent zurückzahlen; davon können wir dann die Hälfte für die Betreuung Zurückgebliebener verwenden – und die andere Hälfte in neue Begabte reinvestieren, womit wir auch die Forderung nach gerechter Gleichverteilung erfüllen – „

Dr. König lächelte ein wenig. „Danke – ich hatte nicht verlangt, daß Sie gleich die ganze Stiftung organisieren!“

„Ob bitte – “ ritt mich der Teufel zu sagen, „gern geschehen!“

Aber er hatte sich schon wieder abgewandt und sprach, einen imaginären Punkt fixierend, über den ganzen Tisch hin:
„Miss Ludlow – ich möchte Sie nicht länger aufhalten. Ihre Spesen und Ihren Tagessatz regeln Sie bitte mit Fräulein Rothacker. Und nocheinmal vielen Dank für Ihre Bereitwilligkeit, mir zu helfen.“

Armes Mäuschen, dachte ich mitleidig, hat die Katz so schnell zugeschlagen, als das blonde Mädchen, nachdem es einen Augenblick wie versteinert dagesessen hatte, mit eckiger Bewegung und zusammengepreßten Lippen aufstand.

Aber Dr. König kümmerte sich weder um ihre Miene noch um die der anderen am Tisch – er wartete noch nicht einmal, bis sie den Raum verlassen hatte, sondern sprach, als sei nichts geschehen, weiter:
„Ich komme nun zur nächsten Frage : Angenommen, Sie haben einen Holzwürfel von 3 Zoll Kantenlänge, den Sie – „

Der Mann war so unmöglich, daß es einem fast schon wieder imponieren konnte – ich war aufrichtig gespannt, was wir jetzt mit dem Holzwürfel machen sollten: erst rot anstreichen und dann durchsägen – oder gleich in 27 kleinere zersägen? Doch ich erfuhr’s nicht sofort: irgendjemand – und das hatte er genau berechnet – an diesem Tisch mußte jetzt explodieren; in diesem Fall war es Miss Forbes.

„Darf ich – “ ’sagte sie mit eisiger Miene, die sicher selbst Thomas Lord Glenarvon eingeschüchtert hätte, „fragen, was diese Holzwürfel und Stiftungen mit unseren pädagogischen Fähigkeiten zu tun haben ?“

Er sah sie mit mildem, leicht amüsiertem Befremden an – etwa wie ein Virtuose, der plötzlich ein Äffchen auf seinem Flügel entdeckt – und sagte dann liebenswürdig:
„Ja. Nichts.“

Und nach einer wieder haarscharf so dosierten Pause, daß Miss Forbes wirklich noch nichts sagen konnte – aber jedem Außenstehenden als sprachlos erscheinen mußte (er konnte diesen Trick wirklich gut, aber allmählich wurde er langweilig) fuhr er, wieder mit einem plötzlichen charmanten Lächeln, fort:
„Oh verzeihen Sie – ich vergesse immer wieder, daß Deutsch ja nicht Ihre Muttersprache ist! Ich meinte: ja, Sie dürfen mich das selbstverständlich fragen. Und die Antwort auf diese Frage ist: wären Ihre pädagogischen Qualifikationen – wie die aller Damen hier im Raum – nicht erstklassig und über jeden Zweifel erhaben, hätte ich Sie überhaupt nicht zu dieser Aussprache eingeladen. Die Fragen, die ich hier stelle, haben also mit diesem Punkt nicht mehr das Geringste zu tun.“

Er hielt wieder inne und fuhr dann, wie nachdenklich geworden, fort:
„Wahrscheinlich werden Sie nun fragen, warum ich sie dann überhaupt stelle. Ich glaube, ich bin Ihnen eine Antwort darauf schuldig – „

Nein, Dr. König wurde doch nicht langweilig – jetzt ließ er die Mäuschen zur Abwechslung mal wieder ein Stückchen frei laufen: erst ein Kompliment – und dann, zur Bekräftigung, die Einsicht, daß er uns eine Erklärung schuldig sei. Ich war einigermaßen gespannt – aber was er dann sagte, übertraf wieder alle Erwartungen:

„Daß ich – “ jungenhaft entschuldigendes Lächeln , „von Erziehung nichts verstehe, hat Ihnen allen ja Herr Dr. Bollinger gewiß erklärt – in der Tat ist das ja einer der Gründe, weshalb ich Ihre Hilfe suche!“ Er ließ das nocheinmal ein wenig einsinken, ehe er fortfuhr:

„Also bin ich – wenn so viele erstklassige Erzieherinnen vor mir sitzen – etwa genau so hilflos, wie Sie es wären, wenn Sie, sagen wir, einen erstklassigen Computerfachmann aussuchen sollten: schlimmer noch, den besten aus mehreren erstklassigen.
Soll ich jetzt nach der Haarfarbe entscheiden? Nach der Frisur? Nach der Figur? Oder soll ich abzählen : Enie – minie – muh, aus bist Du – bis nur noch eine von Ihnen übrig ist?“ Er schüttelte den Kopf: „Ehe ich so etwas Sinnloses tue, falle ich denn doch lieber auf Fragen zurück, bei denen ich die Antworten wenigstens beurteilen kann …“

„Selbst wenn diese Fragen völlig irrelevant sind?“ fragte Miss Forbes scharf – „Enie, minie, muh“ hatte sie offenbar in der Tiefe ihrer seriösen Erzieherinnenseele getroffen.

„Darüber – “ in seiner Stimme spürte man plötzlich wieder den Stahl unter dem Samt, „gehen unsere Meinungen nun offenbar auseinander. . . „

„Nicht nur darüber!“ Miss Forbes hatte sich erhoben. „Ich glaube nicht, daß unter diesen Umständen die Voraussetzungen für eine fruchtbare Zusammenarbeit vorliegen – „

„Das muß ich selbstverständlich respektieren.“ Ich konnte mir im stillen eine gewisse Bewunderung nicht verhehlen: dieses Mäuschen hatte er dazu gebracht, sich gleichsam am eigenen Schwänzchen aufzuhängen! Aber lassen konnte es der Kater doch nicht, nochmal mit der Krallenpfote hinzulangen: „Ihre Spesen und Ihren Tagessatz regeln Sie bitte mit Fräulein Rothacker – „

Womit er den dramatischen Abgang von Miss Forbes zweifellos etwas verdarb. Aber jetzt bekam ich auch Lust, ihm die schöne Pause ein wenig zu verderben, in der wir Zurückbleibenden eigentlich die Moral aus Miss Forbes Schicksal ziehen sollten:

„Would you, too, like another cup of coffee – ?“ wandte ich mich freundlich an Mrs. Ellinger und schenkte ihr, als sie mit einem kleinen Lächeln – offenbar hatte sie verstanden!- nickte, mit viel gastgeberinnenhafter Umständlichkeit einen Kaffee ein – ließ mir gerade, bevor ich mir selbst einschenkte, sichtbar einfallen, daß ich beinahe unhöflich gewesen wäre, und offerierte Dr. König auch etwas von seinem eigenen Kaffee.

Er nahm ihn – mit konventionellem Dankeschön – an: aber ein klein wenig glaubte ich zu spüren, daß all das nicht ganz in sein Konzept paßte – sowohl unseren wie seinen Kaffee hätte das perfekte Fräulein Rothacker einschenken müssen; aber die war ja gerade mit Spesen und Tagessatz für Miss Forbes beschäftigt… und jedenfalls hatte ich ihm mit alledem die sonst unweigerliche höfliche Frage, ob sich sonst noch jemand von uns der Meinung von Miss Forbes anschließe – nebst dem erwarteten verdatterten Zustimmungs-Schweigen – vermasselt!

Aber solch ein kleiner Schönheitsfehler störte einen Dr. König natürlich nicht ernstlich:
„Können wir nun – in etwas intimerem Kreis – auf meinen irrelevanten Holzwürfel zurückkommen?“ fragte er mit liebenswürdiger Selbstironie.

„Dieser Würfel hat also drei Zoll Kantenlänge – und ich möchte ihn in lauter kleine einzöllige Würfel zersägen. Das kann ich offenbar tun, indem ich zweimal quer, zweimal längs und zweimal – “ jetzt hatte ich den Ärmsten doch wirklich ein bißchen aus dem Konzept gebracht, “ – nun ja, also zweimal in der dritten Richtung säge – insgesamt also sechs Sägeschnitte.

Die Frage ist nun: könnte ich es auch mit weniger als sechs Sägeschnitten schaffen – indem ich etwa die Teilstücke zwischendurch anders hintereinanderlege und dann gemeinsam durchsäge ?“

„Konnten Sie mir das nochmal erklären?“ fragte Mrs. Ellington.

„Gern – “ er nahm einen Block Papier und fing an zu skizzieren, „dies ist also der Würfel von drei Zoll – und – „

Ich schaute etwas amüsiert zu. Pech für Dr. König, daß ich mit Tom alle erdenklichen zwei-, drei- und vierzölligen Würfel, mit roten oder unbemalten Seiten, abends vor dem Schlafengehen im Geist in jeder Weise zersägt hatte! Aber ich mußte zugeben, daß er eine von den Fragen gewählt hatte, mit denen man Leute wirklich konfus machen konnte – wie Mrs. Ellington:
„Darf ich – “ sagte sie ein wenig unsicher, „darüber erstmal nachdenken ?“

„Selbstverständlich!“ nickte er großzügig und zündete sich eine neue Zigarette an.

Ich konnte es mir nicht verkneifen, währenddessen eine kleine Schau für ihn abzuziehen. Es ist eine alte Examensregel, daß man zwar, wenn einem die Aufgabe fremd ist, sofort anfangen muß zu reden – in der Hoffnung, daß einem der Prüfer dann weiterhilft: wenn er aber durch Zufall etwas erwischt haben sollte, was man bereits kennt, darf – ja muß man sich den Anschein geben, tief nachzudenken, um den Verdacht zu zerstreuen, man kenne die Antwort etwa zufällig schon. Während also die arme Mrs. Ellington die Hände wie Sägeblätter über der Skizze hin- und herbewegte, blickte ich konzentriert wie ein meditierender Yogi ins Unendliche – angelte dann einen Block heran, holte meinen Kugelschreiber aus der Handtasche und schrieb einen wohlformulierten Satz nieder, den ich Dr. König stumm hinüberschob.

Er überflog ihn mit unbewegter Miene und wartete weiter, bis Mrs. Ellington schließlich aufblickte und sagte:
„Also – wahrscheinlich geht’s nicht – aber wie ich das erklären soll – „

„Vielleicht so ?“ sagte er lächelnd und las von meinem Blatt vor: „Jede Seite des innersten Würfels muß jedenfalls erst durch einen Sägeschnitt entstehen – da dieser Würfel 6 Seiten hat, sind stets 6 Schnitte nötig.“

Sie überdachte das einen Augenblick, nickte dann impulsiv – schaute erst auf den Block und dann zu mir herüber und sagte mit reumütigem Grinsen:
„Spesen und Tagessatz bei Fräulein Rothacker, nicht wahr ?“

„Es scheint so – “ nickte er und erhob sich. „Dennoch – “ er machte eine kleine korrekte Verbeugung, „vielen Dank – „

Auch Mrs. Ellington war aufgestanden, sammelte ihre Sachen zusammen und trat dann plötzlich noch einmal auf uns zu:
„Ich wünsche Ihnen, daß – alles gut geht!“ sagte sie leise, wandte sich ab und ging.

Er sah ihr einen Augenblick nach – dann drehte er sich zu mir um.

„Tja -“ sagte er langsam, „es scheint, als wären nur noch wir beide übriggeblieben -„

„Halten Sie das – “ erwiderte ich ziemlich kalt, „für Anlaß zu großer Freude?“

Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn und ließ sich dann, wie ermattet, in den Sessel fallen.

„Wollen Sie mir jetzt eine Predigt halten – oder auch entrüstet hinausrauschen wie Miss Forbes?“ Er drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus – so abrupt, daß der Tabak aus dem weißen Papier platzte. „Natürlich war es ein Streß-Interview! Natürlich hab ich jeden billigen Trick benutzt! Aber – “ er sah mir voll in die Augen, „es war ein Kindergeburtstag im Vergleich zu dem, was Ihnen bei diesem Job bevorsteht!“

„Wie beruhigend !“ sagte ich sarkastisch. Er schüttelte den Kopf:

„Nun kommen Sie – tun Sie doch nicht so, als wäre Ihnen das nicht klar: erstens mal haben Sie‘ s mit mir zu tun – wie das ungefähr zugeht, haben Sie gerade erlebt. Dann wird ein Haufen Leute um Sie herumspringen und versuchen, Ihnen in alles reinzureden: da ist die alte Frau Stamm – die Haushälterin – die meine Frau und den Jungen vergöttert hat und alles hassen wird, was von mir kommt. Da ist meine liebe Schwester, die alles besser weiß. Da ist der alte Bollinger – „

„Der auch?“

„Na – der Querschädel! Onkel Doktor weiß alles am besten – der hat doch selbst mich an der Kandare! Was aber keineswegs heißt, daß seine Ideen von Erziehung richtig sein müssen! Und – “ er fuhr sich wieder über die Stirn, „vor allem der Junge selbst: machen Sie sich da nichts vor – natürlich hat ihn Marion in rosa Watte eingepackt: aber da drunter können Sie leicht auf Chromstahl stoßen – besonders wenn Sie von mir kommen!“ Er schüttelte den Kopf:

“Nein – das ist nichts für blaßblaue Idealisten oder Schulmeister-Typen! Die Mrs. Ellington wäre gar nicht so übel gewesen – aber wenn die bei Klaus anfängt, an den Fingern zu zählen – “ er grinste ein wenig, „und außerdem gibt sie zu schnell auf – wenn Sie gleich jedesmal die Flinte ins Korn schmeißen wollten, wenn Sie ‘nen Würfel nicht im Kopf zersägen können – „

„Aber daß ich das gekonnt habe, qualifiziert mich nun in Ihren Augen zur idealen Erzieherin?“ fragte ich spöttisch.

Er schüttelte wieder unwillig den Kopf: „Halten Sie mich für blöd – soll ich Ihnen aufzählen, was alles für Sie spricht? Von Ihrem Ritter Thomas Lord Glenarvon bis zu Ihrem Intermezzo mit dem Kaffee vorhin – oder Ihrer Selbstkontrolle, mir erst dann die Leviten zu lesen, wo Sie keine Konkurrenz mehr haben?”

Leider, leider – geht’s hier nicht mehr weiter…

Rosalind

As you like it

oder die Sache mit Rosalind

„If I were a woman I would kiss as many of you
as had beards that pleased me,
complexions that liked me,
and breaths that I defied not … „

„Wie es Euch gefällt“, Epilog des Darstellers der Rosalind

Die meisten Sachen sind ganz anders, wenn sie einem selbst passieren.

Wir lagen nach dem Baden wohlig faul in den Liegestühlen auf der Terrasse, und ohne mir viel dabei zu denken sagte ich, mich in der Sonne räkelnd:
„Wie schon wäre doch das Leben ohne die lila Pappel!“

„Ohne wen – ?!“ erkundigte sich Martin befremdet.

„Ohne die lila Pappel – “ wiederholte ich träumerisch, “ – oder wenn Du so willst, die Rosalinde – „

„Liegt die Dir noch immer so im Magen?“ meinte Martin nun mit verständnisvollem Lachen.

„Ach, das Weib geht mir auf den Geist!“ sagte ich grimmig. „Ich sehe ja noch ein, daß sie sich auf der Flucht als Knabe verkleidet – vielleicht fühlt sie sich sicherer so; obwohl – wenn’s so gefährlich ist, als Mädel rumzulaufen: warum läßt sie dann ihre Busenfreundin Celia ruhig weiter in Röcken gehen?“

„Weil die Rosalind ‚more than common tall’ ist – aber die Celia nicht: und gleich zwei so süße Knaben, wo der eine davon noch nicht mal richtig ausgewachsen ist – “ gab Martin zu bedenken.

„Also schön – “ räumte ich ein, „ich bin ja großzügig: laß sie in Hosen rumlaufen, bis sie im Ardenner Wald ist. Aber statt sich da nun, wie ein vernünftiger Mensch, zu freuen, daß sie endlich sicher bei Pappi angekommen ist – und das muß ja das Tagesgespräch bei den Ardenner Schäfern gewesen sein, wenn da ein ausgewachsener Herzog mit seinen Mannen bei ihnen im Wald rumhopst: hatte sich ja sogar schon bis zum Hof rumgesprochen! – also statt hinzugehen und zu sagen: guck Pappi da bin ich – und mein Cousinchen hab ich auch mitgebracht – nee, was macht se: kooft sich ’ne Schäferei!“

„Na ja – is doch ‘ne solide Kapitalanlage – “ wandte Martin realistisch ein, „mit’m abgesagten Herzog als Vater muß das Mädchen ja nu was für ihre Mitgift tun: denn ihr Orlando hat, wie Du Dich bitte erinnern willst, ja ooch nischt außer’m Hemd am Leib!“

„Verteidige die Zicke nich immer!“ ereiferte ich mich – wenn auch nur im Rahmen meiner Ferienstimmung, „das isses ja: nu kommt ihr edler Jüngling auch prompt, hängt schon die Bäume voll Gedichte und geht fast ein vor Liebe – aber sagt das Biest jetzt etwa: na Gottseidank, daß ich wenigstens den schon mal habe – nee, jetzt muß die natürlich erstmal ’ne Schau abziehen, was sie für’n kaltschnauziges Ganymedchen wäre und wie gut sie Verliebte kurieren könnte! Und der Orlando, der Trottel, hält se natürlich ooch brav für ’nen Mann – sogar der Pappi nachher sagt zwar ‚an diesen Hirtenknaben fallen mir – viele verwandte Züge meiner Tochter auf’: aber daß se’s wirklich is, merkt der ooch nich – !“

„Je nuuun – “ hob Martin, wie es seine Art war, zu dozieren an, „gesetzt, Du müßtest jetzt plötzlich nach – na sagen wir, nach Luxemburg fliehen – „

„Warum sollte ich nach Luxemburg fliehen?“ erkundigte ich mich befremdet.

„Meinethalben weil Du Deine Ferienarbeit über die Rosalinde nicht fertighast! Ist doch auch egal – aber: angenommen, in Luxemburg triffst Du jetzt meine Mutter, die auch dorthin emigriert ist – „

“Weil sie auch ihre Arbeit über Rosalinde nich fertiggekriegt hat?“

“ – und dort sitzt ihr also beide in der Bahnhofswirtschaft -“ fuhr er, meinen Einwurf souverän überhörend, fort, „und wie Ihr da so sitzt, betritt eine einheimische Maid in luxemburgischer Landestracht den Wartesaal – „

„Wie ist die luxemburgische Landestracht?“ warf ich ein.

Martin schlug die Augen gen Himmel: „Blau-weiß-rot-gestreift mit Schleifen im Haar – aber läßt Du mich jetzt mein exemplum zuendeführen ohne dauernde unziemliche Unterbrechungen: selbst wenn Euch an dieser Maid nun eine entfernte Ähnlichkeit mit mir auffiele -würdet Ihr deshalb gleich aufspringen und sagen: ach, das ist ja der Martin und hat sich nur verkleidet?!“

„Nein – also das kann man natürlich als Emigrant einer ehrbaren luxemburgischen Maid nicht antun!“ räumte ich ein. „Aber wenn diese Maid sich jetzt an uns ranmacht und große Bogen spuckt, ihr Onkel wäre Zauberer und sie hätte ’ne prima Idee, uns die schlechte Laune zu vertreiben: wir sollten sie mal unseren Martin nennen und ihr ‘ne Liebeserklärung – also vielmehr, ’ne Freundschafts- beziehungsweise Kindschaftserklärung wäre es ja in dem Fall – machen – ?“

„Also das kannst Du nun der Rosalinde wieder nicht übelnehmen: wenn sie ihren Orlando nun schon gerade da hat und zu gern mal was Nettes von ihm hören würde – “ verteidigte Martin die Herzogstochter wieder.

„Aber das konnte sie doch verdammt einfacher haben, wenn sie einfach sagen würde: guck-guck – ich bin ja wirklich die Rosi!“

„Jetzt – “ sagte Martin weise, „kommen wir zum Kern der Sache: was würde Dein guter Orlando, den Du eben schon weislich einen Trottel genannt hast, dann wirklich sagen? Am Herzogshof jedenfalls hat er vor lauter Erschütterung das Maul schonmal überhaupt nicht aufgebracht – jetzt hockt er da ohne Erbteil und Aussichten mit dem verkrachten Herzog im Wald – schwärmt natürlich von seiner Rosalinde, solange sie nicht da ist: aber wenn se jetzt plötzlich leibhaftig vor ihm steht?! Wird er da nich vor lauter Bescheidenheit und Edelmut – siehe Major von Tellheim – auch wieder kein gescheites Wort rausbringen?!“

Ich nickte nachdenklich: „Hm – da ist was dran: Du meinst also, die Rosi kriegt ihre Liebeserklärung überhaupt nur zu hören, weil er sie eben nicht für seine Rosalinde hält – sondern für einen verständnisvollen, aber wildfremden Hirtenknaben, bei dem er sich mal so richtig ausquasseln kann?“ Die Überlegung schien reizvoll – konnte sogar aus dem blöden Rosalinden-Thema noch was werden lassen – „aber: wenn das die allgemeine Regel sein soll, dann müßten sich ja alle Mädchen erstmal als Hirtenknaben verkleiden, damit sie einen Heiratsantrag bekommen – !“

„Na ja – zumindest bekämen sie ihn dann vielleicht oft schneller!“ meinte Martin philosophisch. „Wieder zum exemplum: wenn Du Dich jetzt verliebt hättest – sagen wir, zum Beispiel, in meine Schwester – „

„Was ich aber – ohne was gegen Deine Familie sagen zu wollen – nicht getan habe!“
“ – verliebt hättest, sagte ich: mit wem würdest Du dann eher darüber reden – mit ihr selbst oder einem vertrauten Freund wie mir zum Beispiel?“

„Exemplum appliziert nicht – “ winkte ich ab, „weil Du erstens kein wildfremder Hirtenknabe bist, sondern in dem Fall sogar ihr Bruder – und zweitens ja auch nicht gerade sagen würdest: hasch mich, ich spiel jetzt Deine Rosalinde – oder wie heißt sie, Marion – und werd Dich so von ihr kurieren!“ Ich schüttelte den Kopf. „Aber mal ohne Deine berüchtigten exempla: irgendwas ist da natürlich schon dran … „

Ich lehnte mich in den Liegestuhl zurück und blinzelte in den sommerblauen Himmel:
„Wenn also der Orlando kein Renaissancejüngling wäre und seine Rosi ein Mädel von heute – dann könnte ich den schon verstehen, wenn er nicht richtig wüßte, was er machen soll:
gibt er ihr ’nen Kuß, dann ist sie entrüstet und klebt ihm eine – gibt er ihr k e i n e n Kuß, ist sie beleidigt und nennt ihn ’nen Schlappschwanz – gibt er ihr ’nen Kuß und sie klebt ihm keine: dann kann er entweder weitermachen – und sie sagt, hach sie wäre aber doch nicht s o o eine und klebt ihm dann doch eine, oder sie i s t so eine und sauer, wenn er sich nicht traut: oder sie ist so eine und er traut sich und dann kriegt sie ’n Kind!“

„Kompliziert – !“ räumte Martin ein.

„Ach – das wäre überhaupt nicht kompliziert, wenn die bloß ehrlich sagen würden, was sie eigentlich wollen oder nicht wollen! Aber dieses verdammte ‚hach ich will nicht’ wenn sie eigentlich wollen und „huch ich wollte schon“ wenn sie in Wirklichkeit über- haupt nicht wollen: und sowas soll man dann heiraten? Damit ihr hinterher vielleicht einfallt, daß sie das genau genommen auch gar nicht richtig wollte – möglichst, wenn sie schon ein Kind kriegt?“

„Na ja – vielleicht w i s s e n sie aber tatsachlich nicht, was sie selber wirklich wollen: und erwarten, daß D u das eben für sie weißt ?“

„Na prima – “ ich wurde jetzt richtig sarkastisch, „Giacomo Hempelmeier-Casanova, der Frauenkenner in der Westentasche! Und bei wem – mit Verlaub gesagt – soll ich das erst mal l e r n e n, damit ich’s dann bei den Mädchen weiß ? Bei ’ner Nutte für 5 Mark an der Straßenecke die weibliche Seele studieren ?“

„Oder bei ’nem Hirtenknaben in den Ardennen – “ warf Martin sachlich ein, „der kriegt wenigstens mit Sicherheit kein Kind davon!“

Ich richtete mich halb auf:
„Moment – meinst Du jetzt, der Orlando ist in Wirklichkeit schwul?!”

„Schwul – fool – “ machte Martin geringschätzig. „Was ich meine, ist: da kann er doch endlich mal ü b e n – wie Du das so schön sagst – da hat er ’nen netten Jungen, sieht sogar seiner Rosi ’n bißchen ähnlich, ist aber gottseidank kein Mädchen, wo alles so kompliziert ist (denkt der Orlando wenigstens): und damit er sich dabei nun auch nicht etwa im Traum für schwul h a 1 t e n konnte, hat ihm der Bubi ja die schönste Entschuldigung geliefert: er s p i e I t ja bloß die Rosalinde – beide wissen ja, daß er keine ist – und dies auch noch zu dem ausdrücklichen Behufe, ihm die Liebe zur Rosi abzugewöhnen- „

“ – was natürlich bloß gerade nicht stimmt: denn sie i s t es ja – und den Teufel will sie ihm seine Verliebtheit abgewöhnen!“

„Das – “ winkte Martin ab, „ist die Story von der Rosi – aber wir sind jetzt beim Orlando: und der ist doch in d e r Situation (wie sagt man?) na also endlich mal so richtig enthemmt: hier kann er mal endlich nix verkehrt machen – und selbst wenn er was verkehrt macht, schadets auch nichts, weil er ja bloß so t u t als ob – aber natürlich genau das, was er gern alles wirklich täte – – – „

„Hm – “ nickte ich nachdenklich, „s o gesehen ist so’n Hirtenknabe natürlich wirklich ganz praktisch – !“

“ – während nun wieder die Rosi, um auf die zurückzukommen, nach Herzenslust das alte Spiel „ich wollte schon – aber ich will gar nicht“ spielen kann, das die Mädchen nun mal so gern haben: aber ohne Gefahr, daß sie ihren Orlando damit wirklich durcheinanderbringt – denn das tut ja gar nicht sie, sondern bloß ein Hirtenknabe, der die Rosalinde nachmachen will!“ stellte er befriedigt fest. „Große praktische Psychologin, die Rosi!“

Er lehnte sich jetzt seinerseits in seinem Liegestuhl zurück und schaute in die Luft.
„He – das ist übrigens auch der Grund !“ sagte er plötzlich.

„Welcher Grund nun schon wieder ?“ fragte ich mißtrauisch.

„Der Grund, daß Du auf die Rosi so sauer bist!“

„Wieso – weil sie eine große Psychologin ist ?“

„Weil sie – “ sagte Martin langsam, ohne den Blick vom blauen Himmel zu wenden, „Deine Probleme im Umgang mit Mädchen erstklassig lösen würde – aber leider bloß eine Figur bei Shakespeare ist und kein wirkliches Mädchen! Und das ist nun wahrscheinlich auch der Grund – „

“ – noch’n Grund – ?!“ sagte ich resigniert.

“ – daß der Alte ausgerechnet Dir ausgerechnet dieses Thema aufgehängt hat !“ fuhr er, noch immer ins Blaue starrend, fort. Und nach einer kleinen Pause: „Bei dem hat nämlich das meiste, was er tut, noch ’nen doppelten Boden – „

Ich schwieg und war ganz zufrieden, daß Martin noch immer voll mit dem blauen Sommerhimmel beschäftigt schien: es ist immer ein bißchen ein komisches Gefühl, wenn man mitten in einer scheinbar ganz harmlosen Diskussion über was völlig entlegenes feststellt, daß man in Wirklichkeit seine ganz persönlichen Probleme diskutiert hat …

Nicht, daß ich Martin übelnahm, wenn er das plötzlich zutage gebracht hatte: ich hatte schon öfter das Gefühl gehabt, daß er mich eigentlich besser kannte, als ich mich selber. Aber seine letzte Vermutung, daß sogar der „Alte“ – der scheinbar ohne jede Ahnung von uns durch die Welt der Literatur wandelte – diese meine Probleme durchschaut haben sollte: und sich deswegen eigens ein spezielles Ferienthema für mich einfallen lassen hätte ?

„Was hat er D i r denn für’n Thema gegeben ?“ fragte ich Martin leichthin.

„Mir ?“ Er zögerte einen Moment fast unmerklich. „Der Widerspenstigen Zähmung!“ sagte er dann.

„Na das läßt dann aber auch tief blicken: hast Du so ’nen verdrängten Wunsch, Kätchens zu quälen ?“ gab ich mit etwas unsicherem Spott zurück; irgendwie hatte ich das Gefühl, daß wir uns auf zu dünnem Eis bewegten – – –

„Kätchen – Schnädchen !“ sagte er wegwerfend. „Nicht das Stück – sondern das Vorspiel!“

„Das mit dem besoffenen Kesselflicker und dem Lord ?“

„Eben dieses !“ Wieder schwiegen wir eine ganze Weile, bis Martin schließlich anfing, wie in die Luft zu sprechen:
„Und wenn es Dich beruhigt – mir ist mein Thema genauso auf die Nerven gegangen wie Dir Deine Rosalinde!

Das ist nämlich – wenn Du Dir’s genau betrachtest – eigentlich eine echte Horrorstory,

Stell Dir vor: Du hast also irgendwo einen zuviel gehoben und Dich irgendwohin verdrückt, um Deinen Rausch auszuschlafen. Aber wie Du wach wirst, liegst Du nicht etwa in Deiner stillen Ecke – sondern in einem Prunkbett in einem stinkvornehmen Schloß, und ein Haufen Leute steht um Dich herum und begrüßt Dich als „Eure Lordschaft’. Natürlich sagst Du , was soll der Quatsch, ich bin der Franz Hempelmeier und will nach Hause – aber die sagen alle bloß betroffen ‚ach Himmel, jetzt fangen seine Wahnvorstellungen wieder an!‘ und reden mit Engelszungen auf Dich ein, Du wärst doch der Lord von Dingsendale, und Weib und Troß und Englands ganzer Adel wären tieferschüttert, daß Du Dich für den simplen Hempelmeier hieltest – jahrelang nun schon – wo doch in Wirklichkeit die ganze Herrlichkeit der Welt auf Dich wartete: vom Rolls Royce bis zum Aufsichtsratsposten und vom Privatflugzeug bis zum Oberhaussitz – ganz zu schweigen von Deiner schönen Frau, die sich seit Jahren die Augen ausheulte wegen Deiner Erkrankung!

Natürlich protestierst Du immer noch, das müsse ja ein Irrtum sein, Du wärst der Hempelmeier – aber nein, sagen sie, und holen drei Psychiater und ein Dutzend Anwälte, die Dir bestätigen, natürlich hättest Du während Deiner Krankheit immer tolles Zeug ge redet, von Ferienaufsätzen über Rosalind und ’nem Freund namens Martin und der Zwischenprüfung im Herbst: aber Du wärst ja nun eben der Lord Dingsendale, wie jeder bestätigen könne – solche Fälle kämen eben schon vor, aber jetzt wärst Du ja endlich wieder normal – und da kommt zu allem Überfluß auch noch Dein bildschönes Weib und fällt Dir schluchzend vor Glück um den Hals – na und da glaubst Du’s nun schließlich endlich, nicht wahr?

Aber in Wirklichkeit steht die ganze Zeit der echte Lord Dingsendale dabei und biegt sich innerlich vor Lachen, weil Du natürlich in Wirklichkeit doch bloß der Hempelmeier bist – und Dein bildschönes Weib, mit dem Du da so zärtlich rumknutschst, bloß sein Page Barthol’mew, den sie als Lady aufgeputzt haben mit ’ner Zwiebel im Taschentuch, damit er auch schön echt heulen kann!“

Er hieb mit der Faust auf die Lehne des Liegestuhls;
„Wenn das nicht die verdammteste und niederträchtigste und entwürdigendste Sauerei ist, die man mit einem Menschen aufstellen kann – und warum ? Weil der Herr Lord sich mal amüsieren will, der Gentleman! Und da kommt ihm natürlich so ’n niederes Wesen wie der Hempelmeier gerade recht – der hat ja keine Gefühle, auf die man Rücksicht nehmen müßte, der hat ja keinen Anspruch auf ’n bißchen ‚Fairneß’ (die ist nur für Lords und weiter aufwärts reserviert), der ist nur ’n ‚monstrous beast – how like a swine he lies!“ und natürlich Freiwild für ’nen Lord – ‚to p r a c t i s e on this drunken man’ ! Und das gibt mir der Alte als Ferienthema – süß , nich ?“

Er hatte sich einigermaßen in Feuer geredet – aber dann lehnte er sich wieder zurück und fuhr leiser fort:
„Aber das schlimmste ist – natürlich hat das Ganze irgendwo seine Faszination; vielleicht gerade weil es so schäbig und so unwürdig und so – “ er zuckte die Achseln , „wwrrä ist: genau wie ’ne Gruselgeschichte ja auch erst dann richtig gut ist, wenn man eigentlich möchte, daß sie endlich aufhören sollte – und doch immer weiter zuhört, trotzdem ja höchstens noch was Schlimmeres kommen kann – „

Er räkelte sich im Liegestuhl zurecht:
„Da haste natürlich erstmal das Problem – was ist ‚Realität‘ ? Wenn alle Leute Dir sagen, Du wärst gar nicht der Hempelmeier – sondern, ach ich weiß nicht, der Sohn vom Dalai Lama: wie lang hältst Du dann durch? Ich meine: schließlich b i s t Du ja ‚der Hempelmeier’ nicht nach irgendeinem Naturgesetz – sondern bloß, weil alle Leute Dich so nennen; und wenn sie damit ebenso einstimmig plötzlich aufhören und Dich jetzt Lord Dingsendale oder Dalai Lama junior nennen – mußt Du da nicht mitmachen ?

B i s t Du es dann nicht vielleicht sogar wirklich – wen sollst Du denn fragen, wer Du wirklich bist, wenn sich alle verschworen haben, Dir was anderes zu sagen ? Und das gilt natürlich nicht bloß für den Hempelmeier – sondern genau so für alles andere: weißt Du, ob es den Mount Everest wirklich gibt ? Du warst noch nicht da – und ich war noch nicht da – wir glaubens doch beide bloß, weil alle Leute uns das erzählen – „

„Hm – consensus omnium – “ murmelte ich weise.

„Ja – damit geht’s aber weiter: wenn Du noch nicht mal weißt, ob es den Mount Everest gibt – woher weißt Du dann, daß es sowas wie ‚Menschenwürde‘ gibt? Die ist doch bestimmt erst recht ein consensus omnium – und wenn sich nun, wie bei unserem Lord, alle darüber einig zu sein scheinen, daß der Kesselflicker gar kein Anrecht auf Menschenwürde hat: wo bist Du denn dann mit Deinen edlen Gefühlen? Vielleicht auch bloß auf einen Jux von seiner Lordschaft reingefallen, der da ein paar Phrasen als Ideale aufgeputzt hat – nebst Zwiebel für Rührungstränen im Spitzentaschentuch ?!“

„Oh Mann – gehst Du aber ran !“ sagte ich erschüttert. „Aber der olle Shakespeare hat doch bestimmt keine solche Generalattacke auf Realität und Menschenwürde im Sinn gehabt, als er dieses Vorspiel schrieb ?!“

„W a s der Gute – “ erwiderte Martin resigniert, „dabei wirklich im Sinn gehabt hat, weiß der Himmel – ich weiß es jedenfalls nicht: einen gescheiten Sinn als Auftakt für das wirkliche Stück hat das Ganze kaum – natürlich, da kommen Schauspieler, und da der Page aus naheliegenden Gründen mit seinem ‚Gatten‘ nicht ins Bett gehen kann, schauen sie sich erstmal ’n Theaterstück an: aber schließlich macht der olle Shakespeare sonst nie so’n Umtrieb, bloß damit er mit’m Stück anfangen kann – das kannste ja wahrhaftig auch spielen, indem Du gleich aufm Platz in Padua beginnst – und am Schluß sind der Lord und Kesselflicker und Page sowieso alle abhanden gekommen und kein Mensch erfährt mehr, was mit ihnen passiert ist! Halt dagegen mal die Schauspieler und ihre Aufführung im ‚Hamlet‘ – was er da alles aus dem Doppelspiel rausholt! – und Du wirst regelrecht melancholisch … „

„Das ist doch überhaupt das einzige Vorspiel – also so als Rahmenhandlung – das es bei Shakespeare gibt, wenn ich mich recht entsinne ?“ fragte ich.

Martin nickte. „Und übrigens auch die einzige Stelle, wo er mit ’nem Knaben in Damenkleidung operiert – wenn Du mal das bißchen Feenspielen in den „Lustigen Weibern‘ wegläßt, wo die Freier statt der Anne ’n paar Jungens erwischen – während er Mädchen in Knabentracht mit allen Komplikationen verwendet – ob Du nun Deine Rosi hernimmst oder die Viola; denen passiert so beinahe alles, was an dramatischen Verwicklungen einem Mädchen in Hosen überhaupt passieren kann! – jetzt hat er hier mal das umgekehrte: und was macht er damit – nischt!“

„Na ja – “ gab ich zu bedenken, „nun war das ja zu Shakespeares Zeiten auch nicht der große Gag wie meinetwegen in ‚Charleys Tante’ später oder so: wenn sowieso alle Frauenrollen von Männern gespielt wurden – „

„Woll, woll – “ machte Martin, „aber in dem Vorspiel wühlen ja nun alle richtig mit Begeisterung in dem Thema: wie traurig die Lady wäre und wie schön die Lady wäre und wie er der Lady im Bett gefehlt hätte und daß der Arzt leider geraten hätte, sie solle noch nicht gleich bei ihm schlafen – während der gute Lord ja nun extra angeordnet hat, man soll all seine „wanton pictures“ rund um den armen Sly aufhängen, um ihn recht aufzugeilen, und sich schon vorher freut, wie der Page mit „kind embracements“ und mit „tempting kisses“ auf ihn losgehen soll und wie prima er ‚grace, voice, gait and action of a gentlewoman’ markieren wird, wenn der gute Lord ihm zu.verstehen gibt, das müsse er ‚as he will win my love‘ – wirft übrigens ganz lustige Seitenlichter auf die Funktion von Pagen bei ollen Lords, was ? – aber nachdem sich alle da so regelrecht besoffen drüber geredet haben: da passiert am Ende garnischt – nee, se gucken Fernsehen zusammen, oder vielmehr Theater, weils damals ja noch kein Fernsehn gab ! “ Er zuckte die Achseln.
„Hm – vielleicht überläßt der olle Avonschwan den Rest der schmutzigen Phantasie des Zuschauers ?“ vermutete ich. „Weil der sich vielleicht Sachen ausmalt, die man auf der Bühne garnich zeigen kann ?“

„Na das war aber ’ne prima Methode: spiel’n wir den Hamlet bloß, bis der Geist kommt – und dann darf sich jeder ausmalen, wie’s weitergeht – auf der Bühne führ’n wir inzwischen lieber ’n bißchen Othello auf, oder Richard III. ?“ protestierte Martin. „Aus- serdem hat er’s ja mit der Rosi oder der Viola ooch geschafft, ohne nun gleich ’ne Lesbenshow vorzuführ’n – also warum sollte er nu bei dem kleenen Pagen auf einmal keene salonfähige Idee mehr gehabt haben – ?!“

„Schön – also was hättst’n Du zum Beispiel an Shakespeares Stelle weiter passieren lassen ?!“ fragte ich – und als Martin nicht antwortete, fuhr ich auf einmal inspiriert fort: „Das isses ja vielleicht gerade, weshalb der Alte Dir das Thema aufgehängt hat!“

„Wieso – ?“ fragte diesmal Martin mit spürbarer Zurückhaltung.

„Nun – “ erklärte ich befriedigt, „Du hast mir vorhin so schön auseinandergesetzt, warum ich mit der Rosalinde nicht klargekommen wäre – und welch profunde Menschenkenntnis das beim Alten bewiese: jetzt hast aber D u auch ’n Thema, mit dem Du vorn und hinten nicht klarkommst – also, schließe ich, wollte der Alte damit eben auch ’n psychologisches Problem von Dir ansprechen!“

„‚Du sprichst klüger, als Du es selbst gewähr wirst – ‚“ zitierte Martin, noch immer seltsam zurückhaltend. „Aber weiter – ?“

Hm – weiter ? Das wurde mir ein bißchen unheimlich – so detailliert war meine Inspiration ja nun gar nicht gewesen! – aber nun konnte ich mich ja der Verpflichtung, sie weiter auszuspinnen, schlecht entziehen:
„Wenn wir mal von der Hypothese ausgehen – “ tastete ich mich vorsichtig weiter, „daß mich also die Rosalinde/Orlando-Geschichte nervös gemacht hat, weil sie etwas widerspiegelt, was ich eigentlich gern erleben würde, weil dabei ein Problem ausgeräumt wäre, das mich sonst im Umgang mit Mädchen hemmt – so war das doch, nicht wahr? – dann müßte Dich also dieses Vorspiel nervös machen, weil es etwas widerspiegelt, das D u eigentlich gern erleben würdest – “ Ich stockte.

“ – weil dabei ein Problem ausgeräumt wäre ‚- ?“ fuhr Martin für mich fort und sah mich forschend an.

“ – das Dich sonst im Umgang mit – Mädchen ?“ Ich stockte wieder, „- nee, es sind ja überhaupt keine Mädchen dabei – es sind ja alles bloß lauter Männer – „

„Also: das mich sonst im Umgang mit Männern hemmt!“ ergänzte Martin sachlich.

Das wäre ja wohl die logische Folgerung!“

„N’ – jaa – “ sagte ich etwas hilflos und guckte ihn an; das war anscheinend keine besonders glückliche Inspiration gewesen, die ich da gehabt hatte – ?

„Aber bitte weiter, Herr Analytiker !“ sagte Martin scheinbar leichthin – aber doch seltsam unerbittlich. „Im Falle Rosalind wurde das Problem offenbar dadurch ausgeräumt, daß sich ein Mädchen als Mann verkleidet hatte und dadurch nicht mehr an seine konventionelle Rolle gebunden war – „

“ – während sich hier ein Kesselflicker für einen Lord hält und dadurch – “
versuchte ich, nun schon einigermaßen krampfhaft, die Situation zu retten.

„Komm schon – sooo blöd bist Du doch in Wirklichkeit gar nicht!“ unterbrach mich Martin unwillig.

„N-nein“- “ sagte ich langsam und hatte auf einmal wieder sehr viel Lust, in den blauen Himmel zu gucken. Aber zugleich hatte ich auch das Gefühl, daß das jetzt nicht das Richtige wäre…

„Aber – das ist doch alles höherer Blödsinn!“ sagte ich und sprang aus dem Liegestuhl auf. „Wenn Du den geheimen Wunsch hast, als schöne Lady Männer zu umgarnen – und ich den geheimen Wunsch, mit ’nem Hirtenknaben rumzuturteln, der ’ne schöne Lady ist – “ ich suchte etwas hilflos nach Worten, um auszudrücken, wie absurd das sei – aber was ich wirklich sagte, war merkwürdigerweise: “ – dann können wir uns ja gleich zusammentun – !“

„Vielleicht – “ sagte Martin leise, „sollten wir genau das tun.“

Ich fuhr herum und starrte ihn an – aber jetzt schaute er seinerseits wieder in den Sommerhimmel und fuhr wie beiläufig fort:
„Psychodrama – kennst Du doch: Moreno ? – ist eine Methode, innere Konflikte abzubauen, indem man sie mit verteilten Rollen ausspielt; ausspielt im vollen Bewußtsein, daß man sie nur spielt und daß man sie deshalb dabei überhaupt nicht so tierisch ernst nehmen muß, wie man das sonst immer tut Da geht die Welt nicht unter, wenn man was ‚verkehrt’ macht – sondern man sagt bloß ‚halt, zurück, Szene nocheinmal‘ – na ja, wir haben den ganzen Kram ja vorhin schon bei Deiner Rosi lang und breit durchgekaut … „

Hmmm – das war alles so unfaßbar, daß es irgendwo schon wieder einleuchtend war – – –

Aber jedenfalls, hatte ich das Gefühl, mußte ich jetzt etwas sagen.
„Also schön: Theorie – klar“, meinte ich mit gemachter Forschheit, „aber wie soll das jetzt praktisch vor sich gehen ? Ich meine, hängen wir jetzt ein Schild auf ‚dies ist der Ardenner Wald’ – „

“ – um Mitternacht – ein Pionier steht auf der Wacht – “ setzte Martin, zwar nicht ganz korrekt, aber offenbar nicht unglücklich über die komische Wendung, fort.

“ – und denket an sein fernes Lieb – ob’s ihm auch treu und hold verblieb – “ fiel ich ein.

“ – nur daß das Lieb in diesem Fall gar nicht fern ist – “ korrigierte Martin.

“ – sondern zumindest vertretungsweise erscheint – nickte ich.

“ – in all suits dressed like a lady – “ ergänzte er.

„W a s ?!“ sagte ich einigermaßen entgeistert.

„Na ja – “ meinte Martin leichthin, „meine Schwester ist ja verreist – und die Sachen passen mir ja – „

Ich muß wohl noch immer ein ziemlich seltsames Gesicht gemacht haben. Denn als jetzt auch Martin aufstand, sagte er wie beiläufig:
„Vielleicht sollten wir es auch lieber lassen,“

Wieder hatte ich das etwas unheimliche Gefühl, alles verkehrt zu machen.

„Also was nun: rin in die Kartoffeln – raus aus die Kartoffeln – “ knurrte ich betont unwirsch, „vielleicht werfen wir’n Groschen ?“

Martin stutzte und schaute mich einen Moment lang nachdenklich an.

„Das ist vielleicht gar keine schlechte Idee – “ sagte er dann langsam und holte sein Portemonnaie heraus.

„Wir werfen jetzt diesen Groschen – oder vielmehr dieses Fünfzigpfennigstück. Fällt Zahl, dann setzen wir uns hin und lösen dieses finstere Gleichungssystem mit den fünf Unbekannten – und vergessen Shakespeare und alles andere.
Fällt dagegen – “ er drehte die Münze um, “ diese keusche Maid mit dem Eichenboom in der Hand, dann löst Du das System mit den fünf Unbekannten allein, während ich – etwas anderes vorhabe. O.K* ?“

Ich nickte. Martin schnippte das Fünfzigpfennigstück in die Luft. Es landete auf dem Steinboden der Terrasse, hüpfte klirrend noch ein paarmal weiter und kam dann langsam, noch immer sirrend auf der Kante kreisend, zur Ruhe.

Aber wir hatten beide schon gesehen: die Maid lag oben.


Die meisten Sachen sind – wie ich anfangs schon mal sagte – ganz anders, wenn sie einem selbst passieren.

Wahrscheinlich wäre es höchst eindrucksvoll und würde auch den Erwartungen eines Lesers viel mehr entsprechen, wenn ich jetzt berichten könnte, wie ich die nächste Stunde mit Herzklopfen, düsteren Vorahnungen oder Zweifeln, flauem Gefühl in der Magengrube oder sonstwie dramatisch verbracht hätte.

Nur war es überhaupt nicht so. Ein System linearer Gleichungen mit fünf Unbekannten nach dem verketteten Gaußschen Algorithmus zu lösen ist etwas, was man nicht mit Herzklopfen oder düsteren Zweifeln kombinieren kann – selbst wenn man, wie ich, eine elektrische Rechenmaschine zur Verfügung hatte, ist man vollauf mit den ganzen kumulierten Produktsummen beschäftigt: oder wenn man es nicht ist, löst man das Gleichungssystem eben nie.

Da aber die Gleichungen eben bis Montag gelöst werden mußten, verzichtete ich auf Herzklopfen und Zweifel und konzentrierte mich lieber auf die Rechnerei.

Zugegeben: wahrscheinlich gar nicht ungern.

Ich weiß das zwar nicht – aber vermutlich hat jeder in meinem Alter mal über Homosexualität nachgedacht. Mit Abscheu oder mit großzügiger Toleranz oder mit uneingestandener Faszination – aber jedenfalls ist es wohl kein Thema, auf das man nicht irgendwann mal stößt: ob nun via Platos Gastmahl, die Römer der Verfallszeit oder irgendeine aktuelle Tuschelaffaire. Und – das weiß ich zwar wieder nicht, aber ich könnte es mir gut vorstellen – wahrscheinlich hat sich auch jeder schon mal überlegt, was e r eigentlich tun würde, wenn ihm jemand einen homoerotischen Antrag machte?

Ich jedenfalls hatte das alles bestimmt schon einmal getan – nur: alles, was ich mir da vielleicht einmal so überlegt hatte, paßte ja doch überhaupt nicht zu der jetzigen Situation Weder paßte mein Freund Martin in die Rolle eines schwulen Lüstlings oder süßlichen Lustknaben – noch sein nüchtern-sachliches „Vielleicht sollten wir genau das tun“ zu meiner Vorstellung von einem „homoerotischen Antrag“

…[Hach Gott – an der Stelle bricht, wie bei mir üblich, das Fragment natürlich mal wieder ab! Ich weiß noch, daß ich durchaus mit dem nächsten Kapitel begonnen habe: aber ärgerlicherweise mit einem meiner ersten Textverarbeitungs-Systeme auf einem vorsteinzeitichen Computer – noch unter CPM oder sowas – dessen Diskette abhanden gekommen ist, aber heutzutage sowieso nicht mehr gelesen werden könnte … ]

Das Karnevals-Mädel

In diesem Fragment – das absichtlich in bubenhaft naivem Stil (Vorahnung des späteren “Anton”?) abgefaßt ist – wälzt sich unser Autor nun mal geradezu wollüstig in all den speziellen Phantasien seiner Knabenjahre: vom Dienstmädelspielen über schlampernde Gummi-Mädchensachen bis zur entzückten Mutti, höflichen Kavalieren und von allen bestauntem Mädel-Markieren!)

(Diplomandin Margot Trugmaid)

Eine ulkige Geschichte von Ulrich als Ulrike

Es war einmal ein Junge, der wollte sich furchtbar gern als Mädchen anziehen.

ber weil das ja nicht erlaubt war und weil er deshalb auch gar keine Mädchensachen hatte, konnte er nur ab und zu mal heimlich, wenn er allein zuhause war, ein Kleid von seiner Mutter überziehen und sich ein Kopftuch umbinden und sich dann im Spiegel angucken. Das machte ihm immer großen Spaß und er fand, daß er dabei wirklich ziemlich wie ein Mädchen aussah – aber natürlich nicht richtig so, wie er das eigentlich am liebsten gemacht hätte, weil er immer nur wenig Zeit dazu hatte und auch nie auf die Straße gehen konnte, damit ihn die Leute wirklich für ein Mädchen hielten.

Da kam aber eines Tages der Karneval und in dem können sich ja alle Leute als alles mögliche anziehen und so dachte er natürlich auch gleich daran, daß er sich da vielleicht auch als Mädchen anziehen könnte – aber er wußte immer noch nicht wie er das wirklich machen sollte. Nun war es aber so, daß die Lehrerin von seiner Schulklasse sagte, am Samstag vor Rosenmontag sollten sich alle Jungen aus seiner Klasse nachmittags in einem Hinterzimmer von einem Lokal mit ihr treffen und zusammen Kaffee und Kuchen trinken – natürlich weil es ja Karneval war alle irgendwie verkleidet.

Da dachte er, das wäre ja nun die beste Gelegenheit, weil es ja gar nicht seine Idee war sondern von der Schule verlangt – und er mußte nur noch seine Mutter dazu kriegen, daß sie ihn als Mädchen verkleidet gehen ließ. Noch besser wäre es natürlich, dachte er sich, wenn er das gar nicht von sich aus sagen müßte sondern wenn seine Mutter von selbst auf die Idee käme!

Also sagte er erst mal bloß zu ihr, daß die Lehrerin das gesagt hätte und daß jeder eine Mark fünfzig abgeben sollte für den Kaffee und den Kuchen und als sie ihn fragte als was er denn gehen wollte sagte er das wüßte er eigentlich noch gar nicht. Was denn die anderen aus seiner Klasse so machen wollten, fragte sie ihn. Da sagte er na ja alles mögliche so Kauboys und Klauns aber das macht ja jeder und manche haben natürlich auch schon irgendwelche Kostüme so von ihren Eltern oder Geschwistern die sie nehmen können aber da haben wir ja nichts und einer will glaube ich auch als Hexe kommen in einem alten Kleid von seiner Mutter.

Na ja wenn das einer schon macht kannst Du das ja nicht mehr machen sagte seine Mutter sonst hättest Du natürlich auch ein Kleid von mir nehmen können und so ne Hexenmaske. Aber die ganzen Masken kosten ja auch bloß Geld, sagte er raffiniert weil seine Mutter nämlich Witwe war und sie nicht besonders viel Geld hatten, und außerdem kann man mit so ner Maske vorm Gesicht ja sicher nicht richtig Kaffee trinken und Kuchen essen und außerdem täte ich ja wenn ich schon so ein Kleid anziehen täte nicht ausgerechnet eine häßliche alte Hexe machen!
Nun war es aber so, daß seine Mutter eigentlich sowieso lieber ein Mädchen als Tochter gehabt hätte als einen Jungen und daran lag es vielleicht auch daß er sich so gern als Mädchen anziehen wollte und als er das jetzt so nebenbei von dem Kleid sagte hakte sie gleich darauf ein und sagte na ja Du könntest Dich natürlich auch als richtig niedliches Mädel anziehen!

Das war natürlich ganz genau das was er hören wollte aber er guckte sie erst mal ganz harmlos an und sagte wie wenn er ganz erstaunt wäre: ja meinst Du denn das könnte ich? Aber natürlich, sagte seine Mutter ganz eifrig, Du hast doch eigentlich ein richtiges hübsches Gesicht und wenn Du Dir ein Kopftuch umbindest siehst Du bestimmt genau wie ein Mädel aus! Na das muß ich aber erst mal probieren sagte der Junge trotzdem er das ganz gut wußte weil er es heimlich schon oft gemacht hatte und nahm gleich ein Tuch von seiner Mutter vom Haken und band es sich vor dem Spiegel um.

Da sah er natürlich wirklich gleich gar nicht mehr aus wie ein Junge sondern mehr wie ein Mädchen weil man die kurzen Haare nicht mehr sah und das Tuch auch das ganze Gesicht noch schmaler und runder machte – und seine Mutter sagte ganz stolz na hab ich ’s nicht gesagt richtig wie ein hübsches Mädel und wenn Du Dir noch die Lippen rot machst und so ein paar Haare wie Locken rauszupfst dann erkennt man Dich überhaupt nicht wieder!

Hi sagte der Junge als er merkte daß das seiner Mutter so richtig Spaß machte das wäre ja überhaupt lustiq wenn keiner aus der Klasse und noch nicht mal die Lehrerin mich erstmal erkennen täten – das ist ja eigentlich der Jux daran wenn man sich im Karneval verkleidet daß nicht jeder sagt ach das ist der Fritz als Kauboy oder sowas sondern daß alle sagen wer ist denn das? Aber da darf ich natürlich das Kopftuch nachher nicht abmachen und da muß ich was machen wo man es immer aufbehalten kann so wie irgendeine Bäuerin oder sowas!

Ja wenn ich ein Dirndlkleid hätte sagte seine Mutter aber dazu bin ich ja nun schon zu alt aber ich könnte natürlich bei der Nachbarin fragen ob die vielleicht eins von ihrer Tochter hat und uns das borgt? Nein aber lass mal sagte der Junge vielleicht finden wir was was wir selber machen können mit Sachen die wir haben – wie wäre das denn so mit einem Dienstmädchen mit einem Kittel und ’ner Schürze drüber und einem Eimer und Schrubber in der Hand, die haben doch oft beim Arbeiten dann auch immer ein Kopftuch um?

Ach ja, sagte seine Mutter, da habe ich mal im Ausverkauf so ’nen roten Wickelkittel mit weißen Punkten gekauft den ich dann nie angezogen habe weil er mir dann doch zu knallig vorkam für eine Frau in meinem Alter aber für Dich wär der genau das richtige weil Du ihn auch so eng machen kannst wie Du willst – und dazu könntest Du dann auch gut genau so ein Kopftuch nehmen, da habe ich glaub ich auch eins! Na ja sagte der Junge und da drüber könnte ich dann Deine blaue Gummischürze binden wie wenn ich vom Abwaschen komme oder so – jetzt müßte ich eigentlich nur noch richtige Schuhe dazu haben, ich könnte zwar immer meine Jungenschuhe dazu anziehen aber besser passen würden natürlich auch richtige Mädchenschuhe oder sowas!

Nun da mußt Du mal ein paar Schuhe von mir anprobieren ob die Dir passen sagte seine Mutter. Nun wußte der Junge daß ihm die Schuhe von seiner Mutter alle viel zu weit waren aber er konnte ja nicht sagen daß er das schon heimlich ausprobiert hatte und so zog er also seine Schuhe aus und probierte ein paar von seiner Mutter an. Aber in denen wackelte er jedesmal so herum daß sie sagte nein das geht nicht aber da frage ich jetzt wirklich mal unsere Nachbarin!

Das war dem Jungen natürlich sehr recht denn an die Schuhe von anderen Mädchen wäre er natürlich allein nie herangekommen aber er sagte vorsichtshalber noch immer es wäre ihm aber ein bischen umheimlich wenn an geborgte Schuhe vielleicht was drankäme bei der Schulfeier oder auch beim Hingehen wenn etwa Matsch auf den Straßen wäre – weil er nämlich was ganz bestimmtes im Auge hatte was er bei der Nachbarin ihrer Tochter gesehen hatte – und so sagte er als wenn es ihm gerade einfisle natürlich wenn die uns vielleicht so ein Paar schwarze Lack-Damengummistiefel borgen könnten das würde schön passen wie wenn das Dienstmädchen gerade aus der Waschküche kommt und so und außerdem kann an die kaum was drankommen selbst wenn einer mir Kaffee drüberschüttet oder Schneematsch auf der Straße ist weil sie ja genau gegen sowas gemacht sind und man kann sie einfach wieder abwaschen!

Ja das ist eine gute Idee sagte seine Mutter Du hättest wirklich ein Mädchen werden sollen wie Du so an alles denkst und dann kann ich auch gleich sehen ob ich da einen Lippenstift borgen kann zum Lippenrotmachen und was die jungen Mädchen da heute sonst noch alles haben damit wir ein richtig hübsches Mädel aus Dir machen!

Und weil das alles so gut klappte, wurde er mutig und fing furchtbar an zu kichern. Was hast Du denn, fragte seine Mutter. Ach nichts, sagte er und kicherte dabei noch immer weiter, ich denke nur, wenn ich so ein richtig erwachsenes Dienstmädchen sein soll, dann müßte ich mir eigentlich auch ein paar dicke Luftballons vor die Brust binden so wie das Frollein Tilla bei Meyers gegenüber!

Da mußte seine Mutter auch lachen, schon weil das Fraulein Tilla natürlich keine Luftballons vor der Brust hatte sondern einen richtigen dicken Busen aber auch weil sie sich auf einmal vorstellte daß sie ihren Jungen nicht bloß als kleines Mädchen aufputzen täte sondern sogar gleich wie ein richtiges schickes Frollein dem die Männer nachgucken und vielleicht machte es ihr auch Spass daß sie dabei die jungen schicken Frolleins genau so auf die Schippe nehmen könnte wie die Männer die ihnen nachguckten?

Jedenfalls war sie jetzt Feuer und Flamme für die ganze Verkleiderei und das war natürlich genau das, was sich der Junge schon immer gewünscht hatte» Als der große Tag gekommen war, mußte er am Morgen schon gleich aus dem Bett in die Badewanne steigen und sich am ganzen Leib sauber abschruppen – und dann durfte er gar nicht erst seine Jungensachen anziehen sondern seine Mutter hatte ihm schon gleich alles zurechtgelegt was er anziehen sollte weil sie sagte er müßte sich doch erst an die ungewohnten Frauensachen gewöhnen ehe er nachmittags losging aber in Wirklichkeit wollte sie wohl schon den ganzen Tag über mal statt ihres Jungen ein schickes erwachsenes „Fräulein Tochter“ um sich haben.

Deswegen sagte sie wohl auch daß er als er aus der Badewanne kam und sich abgetrocknet hatte zum Frühstück gleich ihren buntgemusterten Frotteehademantel überziehen sollte wie ein Mädchen das vom Baden kommt und war ganz begeistert als er sich auch gleich dazu ihre Frauenbadehaube aus Plastik aufsetzte. Jetzt siehst Du schon halb aus wie ein Mädel sagte sie als er ihr am Frühstückstisch gegenübersaß aber paß auf wir machen Dich noch viel hübscher zurecht gleich!

Das machte ihm einerseits schon großen Spaß aber andererseits hatte er auch eine Sorge: wenn er nämlich so daran dachte daß er gleich lauter richtige Mädchen- und Frauensachen anziehen sollte merkte er immer daß sein Schwänzchen das sonst ganz klein war plötzlich richtig hart und dick wurde und sich aufstellte was zwar ein sehr angenehmes Gefühl war aber erstens überhaupt nicht unter einen glatten Mädchenrock paßte und zweitens genierte er sich auch ziemlich vor seiner Mutter wenn sie sehen würde daß ihm sowas passierte während sie ihn als Mädchen anzog und vielleicht täte sie es ihm dann sogar noch verbieten?

Deshalb versuchte er es so hinzukriegen daß sie nicht dabei war wenn er die er-sten Sachen so untenrum anzog und glücklicherweise konnte er sie auch dazu kriegen noch einmal zu der Nachbarin rüberzugehen wegen der Mädchengummistiefel und wahrend sie da weg war machte er sich ganz eilig daran schon mal den Hüfthalter von seiner Mutter anzuziehen den sie ihm hingelegt hatte. Erst hatte sie zwar gar nicht daran gedacht daß er sowas auch anziehen müßte aber dann war ihr eingefallen daß er ja die Damenstrümpfe an irgendwas festmachen mußte und als sie merkte daß ihm eigentlich ihr Hüftgürtel mit den Strumpfhaltern ein Stück zu weit war hatte sie plötzlich gelacht und gesagt da polstere ich Dir auch gleich noch ein paar richtige Mädchenhüften rein dann paßt er und Du siehst noch echter aus und hatte am abend vorher noch rechts und links ein dickes Stück weichen Schaumstoff den man so zum Verpacken in ihrem Geschäft nahm reingenäht.

Den band er sich nun um und hakte auch ganz hastig die vielen kleinen Häkchen zu mit denen man den zumachte und tatsächlich hatte er damit jetzt ganz dicke runde Hüften wie das Frollein Tilla von gegenüber nur daß die natürlich kein steifes Schwänzchen hatte das jetzt dadrunter ganz steil hochstand! Nun nahm er aber rasch ein Taschentuch und machte es mit einer Sicherheitsnadel vorn an dem Hüfthalterrand fest und zog es dann zwischen den Beinen nach hinten durch daß es sein Schwänzchen wieder richtig nach hinten zog und steckte dann das andere Ende hinten ganz weit unter den Hüfthalter daß es nicht rausrutschen konnte und damit man das nicht sah zog er gleich noch die rosa Damenseidenunterunterhose drüber die sie auch rausgelegt hatte. Zum Glück war er damit gerade fertig als seine Mutter wieder zurückkam denn als er sah daß sie die hübschen schwarzen Gummilackstiefel von der Nachbarin ihrer Tochter mitgebracht hatte wäre ihm sein Schwänzchen sicher erst recht hochgestiegen wenn er es nicht so sicher eingepackt gehabt hätte!

Ach Du kannst es wohl schon gar nicht erwarten ein Mädchen zu sein sagte sie und lachte aber jetzt kommt ja erst das wichtigste und damit mußte er nun auch ihren rosa Büstenhalter überziehen den sie ihm hinter dem Rücken zuhakte. Natürlich hatte der erst noch gar nichts zu halten aber wie er damals gesagt hatte hatte er jetzt ein paar Luftballons besorgt und war sogar auf die Idee gekommen sie nicht bloß aufzublasen sondern über den Wasserhahn zu ziehen und voll Wasser laufen zu lassen was er erstens viel besser machen konnte ohne aus der Puste zu kommen und was zweitens viel schöner schwabbelte wenn er die Ballens dann mit Faden ganz wasserdicht zugebunden hatte. Die steckte er also jetzt in den Büstenhalter von seiner Mutter und da saßen sie ihm tatsächlich ganz rund vor der Brust wie der stramme Busen von dem Frollein Tilla!

Nun kriegte er auch noch ein rosa Damenseidenhemdchen an und darüber noch ihren besten Unterrock auch in rosa mit so Spitzenrändern oben und unten und das zog sie ihm alles richtig zurecht weil es jetzt über den ganzen Polstern und Luftballons richtig stramm saß nur hatte er natürlich dazwischen noch eine ganz schlanke Taille und um die legte seine Mutter jetzt den Arm und lachte und sagte jetzt hast Du aber eine ganz schicke Figur!

Wie er so den warmen Arm von seiner Mutter durch die ganze dünne rutschige Seidenfrauenwäsche spürte und sie ihn so richtig in den Arm nahm fühlte er sich schon ganz komisch wohl und dachte heimlich ob das nicht schön wäre wenn ihn auch mal ein Mann so in den Arm nähme weil er dachte er wäre wirklich ein Mädchen? Aber dann war er auch wieder ganz froh als sie ihn wieder losließ weil sie sonst vielleicht doch gemerkt hätte daß sein Schwänzchen dabei schon wieder so richtig anschwoll.

Aber jetzt kam etwas sehr schwieriges nämlich die kunstseidenen Damenstrümpfe die nicht bloß sehr empfindlich waren gegen Laufmaschen und sowas sondern damals auch noch Nähte hinten hatten die ganz genau richtig in der Mitte vom Bein sitzen mußten. Die mußte man ganz klein zusammenrollen und dann langsam vorsichtig das Bein hochrollen und am Schluß saßen sie erstmal doch verkehrt und beide mußten ein paarmal probieren bis es endlich richtig war und seine Mutter sie an den Strumpfhaltern festmachen konnte wenigstens hinten wo er nicht so richtig sehen konnte denn vorne wollte er es lieber selber machen damit seine Mutter nicht vielleicht doch was von seinem steifen Schwänzchen merkte.

Dann wollte er aber auch gleich die hübschen schwarzen Damengummistiefel da drüber probieren und freute sich wie schön die beim Anziehen gleich über seine glatten Seidenmädchenfersen rutschten und als er aufstand hatten die auch wirklich noch ein bischen hohe Hacken daß er gleich noch ein Stückchen größer wurde wie eine erwachsene junge Dame und andererseits weil die Füße dadurch kürzer wurden ganz kleine spitze hübsche Damenfüßchen dadrin bekam!
Die Hacken waren aber nicht so hoch daß er nicht noch ganz gut darin laufen konnte sondern er machte mit ihnen auch gleich so richtige kleine Mädchentrippelschritte daß seine Mutter saqte nun schau nur ich hätte gar nicht gedacht daß Du das gleich so gut kannst eigentlich hättest Du doch ein Mädchen werden sollen!

Aber als er jetzt in den Spiegel guckte sah er doch noch recht komisch aus mit dem hübschen Spitzenunterrock über dem schicken Frolleinsbusen und den runden Mädchenhüften aber noch immer mit seinem ganz gewöhnlichen Jungensgesicht und den kurzen Haaren. Jetzt mußt Du mir aber auch das Gesicht zurechtmachen sagte er zu seiner Mutter aber die hatte inzwischen schon erstmal auf dem Gasherd eine Brennschere heißgemacht und nun mußte er sich die Haare die er beim Baden gewaschen hatte damit sie recht locker waren alle nach vorn ins Gesicht kämmen und dann drehte sie ihm soviel Haar wie ging mit der Brennschere wie richtige Mädellocken auf was natürlich nicht für den ganzen Kopf reichte aber schon dafür daß er die unter dem Kopftuch vorn vorgucken lassen konnte als hätte er lauter so Locken drunter. Und als er jetzt mal ein Kopftuch umprobierte sah das tatsächlich schon ganz echt aus wie bei einem Mädchen.

Jetzt holte seine Mutter den alten Lippenstift den sie bei der Tochter von der Nachbarin ausgeborgt hatte und wollte ihm die Lippen rotmachen aber weil sie das selber nie tat malte sie da erst einmal daneben daß er ein breites rotes Maul bekam wie ein Klaun und alles mit Niveakrem wieder abwischen mußte aber dann sagte sie probier es mal selber und das klappte dann wirklich einigermaßen besser so daß er mit den Locken unter dem Tuch und den roten Lippen jetzt wirklich richtig aussah wie ein hübsches junges Mädel.

Nun wollte er es aber gleich ganz fertig ausprobieren und zog auch noch den Wickelkittel über den er natürlich ausversehen erst mal falschrum wickeln wollte wie ein Mann aber dann merkte er es noch rechtzeitig und konnte ihn auch so ganz straff um die Taille zusammenziehen daß die falschen Hüften und die runde Brüste richtig rauskamen und dann band er sich darüber auch noch die Abwaschgummischürze von seiner Mutter um die war blau mit kleinen weißen Punkten und hatte rundrum so kleine Falbeln aus Gummi und sah richtig niedlich aus wie sie da so straff und glatt über dem schicken Frolleinsbusen und um die schlanke Mädchentaille über den runden Hüften saß.

Wie er sich so im Spiegel sah da gefiel er sich selber so gut daß er gleich anfing mit allen möglichen Mädelgebärden vor dem Spiegel rumzutanzen und seine Mutter schaute ihm ganz glücklich zu und sagte ein über das andere Mal nein was wärst Du doch für ein hübsches Mädel geworden! Dann wollte sie ihn aber auch gleich ihrer Nachbarin zeigen und sie gingen über den Flur und klingelten aber während sie noch warteten bis die aufmachte kam gerade ein junger Mann aus dem Haus die Treppe runter und guckte den verkleideten Jungen von oben bis unten an und grüßte dann furchtbar höflich weil er ihn überhaupt nicht erkannte sondern wirklich für ein Mädel hielt das vielleicht irgendwie zu Besuch wäre.

Darüber mußten die beiden als er weg war natürlich schrecklich kichern und kicherten auch noch als die Nachbarin aufmachte und die Mutter sagte Guten Tag Frau Riebusch darf ich Ihnen denn mein neues Töchterchen vorstellen? Da guckte die Nachbarin erst ganz erstaunt und fing dann an ganz laut herauszuprusten aber das ist ja nicht die Möglichkeit kommen sie doch rein das muß meine Tochter auch sehen also original wie ein Mädchen und die Tochter war auch da und guckte auch erst ganz erstaunt daß das der Junge von nebenan sein sollte und sagte also laß Dich doch mal anschauen wie hast Du das bloß alles gemacht die Figur da könnte man ja direkt neidisch werden so eine schlanke Taille und dann die Hüften und der Busen aber weißt Du für so ein tolles Mädchen bist Du ja eigentlich noch gar nicht richtig aufgemacht komm mal her ich mach Dich mal im Gesicht richtig zurecht mit allen Schikanen!

Und da mußte er sich also hinsetzen und das Kopftuch nochmal runtermachen wo die Nachbarin und ihre Tochter furchtbar lachen mußten als sie sahen wie wenig Locken er da in Wirklichkeit drunter hatte aber dann holte die Tochter all ihr meik-app-Zeug und sagte sogar da hab ich doch zum Maskenball ein paar falsche Wimpern gekauft die waren mir aber dann zu knallig aber für Dich sind die gerade richtig und sie holte sie und die waren tatsächlich auch ganz dick und schwarz wie aus Draht aber sie klebte sie ihm an und schmierte ihm dann noch ganz knallsilbergrünsen Lidschatten drauf und einen kohlschwarzen Rand um die Augen und machte ihm auch die Augenbrauen noch irgendwie schwarz und puderte ihn ganz dick ein und zum Schluß malte sie ihm auch die Lippen nochmal mit einem ganz tollen Schwung nach mit einem richtig glänzenden Lippenstift und machte ihm auch noch ein paar klunkerige weiße Ohrringe an mit zwei großen ineinander hängenden Ringen und kämmte ihm die Locken nochmal zurecht und als er nun das Kopftuch wieder umband und in den Spiegel guckte sah er wirklich aus wie eine ganz erwachsene junge Dame die sich richtig toll zurechtgemacht hat!

Huch jetzt mußt Du Dich aber vor den Männern in acht nehmen wenn Du über die Straße gehst sagte die Nachbarin und der Junge sagte na ja eigentlich glaube ich ja nicht daß sich Dienstmädchen sooo schön machen für die Arbeit aber es ist ja Karneval und ich bin ja sowieso kein richtiges Dienstmädchen und jedenfalls bedanke ich mich sehr daß Sie mich so schön zurechtgemacht haben Fräulein Riebusch und seine Mutter sagte also wirklich man sollte denken er wäre tatsächlich ein Mädchen schade eigentlich daß er keins geworden ist und ich habe Sie eigentlich immer beneidet Frau Riebusch daß Sie so eine hübsche Tochter haben aber wenigstens heute habe ich ja auch eine!

Und dann mußte er aber aufstehen und auch zeigen daß er richtig mit kleinen Mädchenschritten gehen konnte und auch so den ganzen Zimt machen wie ein Mädchen und die Tochter tat dann so als wäre sie ein junger Mann der mit dem hübschen Mädel poussieren wollte und die beiden Mütter kreischten vor Vergnügen wie das falsche Mädchen so „hach“ und „nicht doch“ machte und dabei richtig zum Verlieben niedlich aussah.

Dem Jungen machte das alles ganz großen Spaß und er hätte sich am liebsten von der Tochter der Nachbarin die ein ganz schickes erwachsenes Mädchen war richtig abknutschen lassen weil ihm das natürlich immer noch harmloser vorkam als von einem Mann aber er dachte sich daß das die Mütter vielleicht doch nicht so gern hätten und es ihnen viel besser gefiel wenn er sich immer zierte und davonlief. Schließlich hatte die Tochter dann aber auch genug davon und sagte lachend Dir brauche ich ja gar nicht mehr beizubringen wie man mit Männern fertig wird Du hast da ja ein Naturtalent dazu?

Ach ich schmuse doch viel lieber mit meiner Mammi sagte der Junge und setzte sich einfach auf ihren Schoß und kuschelte sich an sie weil er jetzt doch furchtbar gern in den Arm genommen werden wollte und das tat sie auch gleich und sagte richtig glücklich ja Du bist ja auch mein liebstes Mädelchen heute nicht wahr aber jetzt müssen wir wieder rüber weil ich ja noch das ganze Mittagessen machen muß aber es war vielleicht auch weil es ihr nicht ganz so recht gewesen war wie das große Mädel mit ihrem Jungen rumalberte.

Als sie rübergingen sagte sie auf einmal sag mal aber wenn jetzt da einer von Deinen Kameraden auch so mit Dir rumscharwenzeln will wie die Lotti eben? Ach was sagten der Junge die wissen doch wer ich bin und wenn einer das aus Ulk machen will tue ich eben genau so wie eben und wenn ich dann noch den Putzeimer dabei habe spritze ich ihn einfach mit Wasser nass dann hört der schon auf damit! Aber trotzdem sagte seine Mutter täte ich Dich lieber hinbringen daß Du nicht allein gehen mußt Du weißt ja im Karneval sind immer halbbetrunkene Leute auf der Straße und die könnten Dich belästigen wenn sie denken Du bist wirklich ein Mädel das auch zum Maskenball will! Eigentlich wollte sie aber wohl auch mal mit ihrem schicken „Töchterchen“ Spazierengehen und sich freuen, wenn die Leute ihr nachguckten.

Nun hatte der Junge zwar eigentlich was dagegen, als Muttersöhnchen zu gelten und von seiner Mutter irgendwo hingebracht zu werden – aber hier hatte er sich sowieso schon als Jux ausgedacht, erst einmal so zu tun als wäre er bloß irgend ein Mädchen das zufällig vorbeikommt und zu schauen, ob ihn überhaupt jemand von der Schule erkennen würde und da war es natürlich sogar noch besser wenn er nicht allein kam sondern mit jemand zusammen. Nur gab es da dann plötzlich ein anderes Problem – als sie Mittag aßen fing es nämlich plötzlich an zu regnen und wenn er erst gedacht hatte dann konnte er ja den Regenmantel von seiner Mutter überziehen ging das natürlich nicht wenn sie selber mitging und den Mantel selber brauchte!

Aber auch dafür fand sich Rat – seine Mutter ging nämlich nochmal zu Frau Riebusch rüber und als sie ihr erklärte daß sie jetzt zu wenig Regensachen hätten kam die auf die Idee daß von ihrer Tochter noch ein altes graues Gummiregencape irgendwo rumhing was die zwar nie mehr anzog was aber für den Jungen genau das richtige wäre. Darüber freute er sich sogar ganz besonders weil er Gummisachen ohnehin besonders mädchenhaft fand und deshalb ja auch schon so scharf auf die Gummischürze gewesen war und nun konnte er darüber sogar noch ein richtiges glattes schlabberiges Mädchengummiregencape anziehen mit einer Gummikapuze über aus der sein geschminktes Mädelgesicht besonders niedlich herausguckte!

So stiefelte er also mit kleinen Mädchentrippelschritten zusammen mit seiner Mutter los und fühlte sich wunderbar, als bei jedem Schrittchen die glatten Gummifalten des Mädchenregencapes über seine nackten Arme unti die ganze falsche Damenkurvenpracht schlabberten wobei vor allen Dingen jedesmal wenn er mit den spitzen Hacken der Damenregenstiefel trippelig auf das Pflaster trat die dicken schweren Gummiblasen vor seiner Brust richtig so ein bischen schwibbten wie der dicke Busen von dem Frollein Tilla von gegenüber. Seine Mutter war aber richtig stolz neben einem so schicken Mädel herzugehen zumal sie die einzige war die wußte daß es in Wirklichkeit ja ihr eigener Junge war den alle bloß für eine schicke junge Dame hielten.

An der Straßenbahnhaltestelle wo sie warten mußten kam auch tatsächlich ein Mann der ein bischen betrunken war und wollte den Jungen den er für ein Mädel hielt anreden aber als er sah daß seine Mutter zu ihm gehörte ließ er es doch und sie sagte siehst Du es ist ganz gut daß ich mitgegangen bin und ich hole Dich dann auch wieder ab so gegen sechs wenn Ihr sicher fertig seid. Ja dann mußt Du aber zu dem Lokal kommen sagte der Junge dem das eigentlich gar nicht recht war weil man ihn ja dann hinterher schon erkannt hatte und er da seine Mutter zur Ablenkung gar nicht mehr brauchte wir treffen uns zwar bei der Schule und gehen dann durch die Straßen zum Lokal so wie ein kleiner Umzug hat die Lehrerin gesagt aber natürlich gehen wir nachher nicht wieder zurück aber Du kannst ja da vorn im Lokal warten bis wir fertig sind wir sind nämlich im Hinterzimmer was dann für einen Maskenball am Abend schon dekoriert ist und deshalb hat es die Lehrerin auch so billig bekommen denn er dachte sich daß es dann nicht so auffiele wenn seine Mutter ihn abholte.

Inzwischen kam dann auch die Straßenbahn und die beiden mußten wieder das Lachen verbeißen als die Mutter zwar einen freien Platz fand aber der Junge nicht und dann gleich ein junger Mann aufsprang und ihm höflich seinen Platz anbot weil er dachte es wäre eine schicke junge Dame und besonders weil ihn der Junge dafür auch so richtig strahlend wie ein Mädchen anlächelte. Da siehst Du wie gut Du es als Mädchen hast wisperte ihm seine Mutter zu und er wisperte zurück schade daß das nur im Karneval geht denn er hatte inzwischen schon eine Idee daß er seine Mutter vielleicht dazu kriegen könnte daß er sich auch später öfter mal als Mädchen anziehen dürfte wenn ihr das so gut gefiel!

Aber dann kamen sie vor der Schule an und stiegen aus und da standen auch schon vor der Schule auf einem Haufen viele von seinen Kameraden in allen möglichen Maskierungen als Räuber und Kauboys und Klauns und einer als Schäplin mit einer Melone und einem Stöckchen und einem kleinen schwarzen angeklebten Schnurbart und als Schutzmann mit einem Helm oder manche auch bloß mit bunten quergestreiften Hemden und dabei die Lehrerin die sich sogar auch einen komischen alten Hut mit einem Schleier und großen Federn aufgesetzt hatte und einen langen altertümlichen Mantel an mit Stiefelchen wie sie die Damen früher mal trugen womit sie wohl schonmal zu einem Maskenball gegangen war wobei sie sich natürlich alle unterstellen mußten weil es noch immer etwas regnete.

Der verkleidete Junge und seine Mutter gingen erstmal so ganz unbeteiligt an den anderen vorbei und natürlich ahnte keiner daß da in Wirklichkeit ein Schul-kamerad von ihnen als junge Dame vorbeispazierte. Aber das war ja nun eigentlich auch langweilig und deshalb wisperte der Junge seiner Mutter was zu und sie machten wieder kehrt und gingen direkt zu der Lehrerin hin und die Mutter sagte zu ihr Guten Tag das wäre doch wohl der Karnevalsausflug von der dritten Klasse und leider könnte nun ihr Junge nicht kommen weil er erkältet wäre aber weil er ja nun die Mark fünfzig schon bezahlt hätte wollte sie fragen ob vielleicht seine Kusine die gerade zu Besuch wäre stattdessen mitgehen könnte und dabei zeigte sie auf ihren verkleideten Jungen und der machte auch ganz niedlich einen Knix vor der Lehrerin wie ein richtiges Mädchen und sie hätte sich auch extra richtig als Dienstmädchen angezogen sagte die Mutter und nahm ihm auch das Gummiregencape von dem er rasch den Druckknopf am Hals aufgemacht hatte ab und da stand er in dem rotgepunkteten Kittel mit der Gummischürze drüber und dem Kopftuch um und einem Plastikeimer in der Hand und sah tatsächlich ganz aus wie ein hübsches Fräulein aus das sich zum Maskenball so angezogen hat.

Die anderen Jungen aus der Klasse die das mitgehört hatten guckten schon ganz erstaunt und gespannt aber die Lehrerin war ein bischen verlegen weil sie meinte daß sie ja nun nicht einfach eine fremde junge Dame mitnehmen konnte auf so einen Schulausflug und der Mutter nun erklären mußte daß das leider nicht ging.

Aber der machte es natürlich einen Heidenspaß daß auch die Lehrerin ihren Jungen gar nicht erkannte und ihn wirklich für ein großes junges Mädchen hielt und deshalb tat sie ganz enttäuscht und meinte die Kusine wäre doch wirklich so ein nettes Mädchen und ob es denn gar nicht ginge wo sie sich doch jetzt schon dafür angezogen hätte und ja auch den Kuchen schon bezahlt und der Lehrerin war das sichtlich peinlich aber sie könnte das schon wegen der Schule nicht machen sagte sie weil da eben bloß Jungen aus dieser Klasse mitmachen dürften!

Also wenn es jetzt der Ulrich wäre dann könnte der aber mitgehen fragte die Mutter nochmal als ob sie das nicht richtig verstanden hätte und die Lehrerin sagte ja natürlich aber Sie müssen das verstehen und da fing die Mutter nun doch an richtig zu lachen und sagte na dann nehmen Sie ihn nun auch mit! Da guckte nun die Lehrerin erst die Mutter an weil sie nicht richtig verstand was die meinte und als die immer noch nur lachte guckte sie die angebliche Kusine an und als die auch anfing zu lachen fing ihr an ein Licht aufzugehen und sie guckte nochmal genau auf das niedliche Dienstmädchen mit der schicken Jungen-Damen-Figur und dem toll geschminkten Gesicht und fing dann auch an zu lachen und rief das ist doch nicht etwa der Ulrich?!

Aber der nickte nur und machte nochmal einen richtigen Mädchenknix vor ihr und sie sagte komm her das muß ich mir nochmal genau ansehen ich hab dich doch wahrhaftig nicht erkannt als Mädchen! Und nun drängelten sich auch seine Schulkameraden heran die ihn natürlich auch nicht erkannt und für ein richtiges Mädchen gehalten hatten und kicherten und lachten und johlten jetzt daß er sie und die Lehrerin so hereingelegt hatte aber die machte jetzt gute Miene zum Spiel und sagte ganz gemacht streng zu den anderen Jungen sie sollten sich gefälligst ganz anstandsvoll und höflich benehmen wenn sie jetzt doch eine junge Dame mit dabei hätten!

Und da ging auch gleich der der den Schäplin gemacht hatte das war so der Klaun der Klasse der immer alles nachmachte hin und nahm ganz höflich seine Melone ab und verbeugte sich vor dem verkleideten Jungen und sagte darf ich ihnen meinen Arm anbieten Fräulein Ulrike und damit hatte der Junge natürlich seinen Spitznamen weg was ihm aber heimlich Spaß machte wie ein Mädchen genannt zu werden weil er ja auch eigentlich gern eins gewesen wäre. Und dann tat er erst als wenn er sich genierte wie er das vorher bei der Tochter von der Nachbarin ge macht hatte und da lachten alle wieder noch viel mehr weil er das so richtig wie ein Mädchen machte aber dann hängte er sich doch bei dem Schäplin ein und weil es jetzt auch aufgehört hatte zu regnen zogen sie alle los zu dem Lokal wo sie feiern wollten.

Das falsche Dienstmädchen und der Schäplin gingen als Pärchen vorneweg und als die anderen Jungen sahen wie der dicke falsche Busen von dem verkleideten Jungen bei jedem von seinen kleinen Trippelschrittchen in den schwarzen glänzenden Gummistiefeln mit den hohen Damenhacken rauf und runter wackelte fingen sie wieder alle an zu kichern aber die Lehrerin der das wohl ein bischen peinlich war wenn die Jungen sich schon mit sowas befaßten sagte nun sollten sie unterwegs auch alle Karnevalslieder singen weil sie meinte dabei könnten sie nicht soviel kichern und kämen auch auf andere Ideen und ging als letzte hinterher.

Die Leute an denen sie vorbeizogen guckten natürlich weil die alle so laut sangen und wußten nun nicht richtig wie mitten unter die ganzen Jungen so ein scheinbar richtig erwachsenes Mädel kam oder wunderten sich ob das etwa auch ein Junge wäre?

Das machte den beiden die vorneweg gingen natürlich noch mehr Spaß und der Schäplin nahm immer wieder den Hut ab und grüßte so ganz höflich nach allen Seiten und der verkleidete Junge wollte nun auch was machen und gab ihm den Putzeimer zum halten und schmiß den Leuten mit beiden Händen richtig so wie ein Funkenmariechen lauter Kußhändchen zu daß alle stehen blieben und lachten aber noch weniger wußten was er denn nun wirklich war weil er das so richtig echt machte.

So kamen sie nun zu der Gastwirtschaft wo die Lehrerin das Zimmer bestellt hatte und sie sagte sie sollten erst mal draußen warten bis sie dem Wirt bescheidsagte weil sie nicht wußte ob der ganze Zug da so durch die Gaststube bis in das Hinterzimmer ziehen konnte wo sie feiern wollten aber der Wirt sagte da könnten sie ruhig durchgehen weil es ja sowieso Karneval würe. Als der Junge der den Schäplin machte das nun aber merkte daß sie auch da an den ganzen Leuten vorbeimußten machte er gleich wieder ein Theater und ließ zwei andere die Tür aufreißen und spazierte dann mit dem falschen Dienstmädchen am Arm vor allen anderen weg ganz langsam und stolz durch die ganze Gaststube und nahm dabei auch immer wieder die Melone ab bei jedem Tisch wo sie vorbeikamen und der Junge machte dann jedesmal einen Mädchenknix und als sie dann vor dem Eingang vom Hinterzimmer waren drehten sie sich beide nochmal um und winkten den Leuten zum Abschied zu er mit dem Hut und das falsche Mädchen so richtig zierlich mit dem hochgereckten nackten Arm.

(Ende des Fragments)

Nachwort:

Soweit ich vom Autor erfahren konnte, wäre das später irgendwie damit weitergegangen, daß die Mutter zum Rosenmontag bei Verwandten Kinder hüten muß – worauf die kesse Lotti der Nachbarin auf die Idee kommt, Ulrich/Ulrike im gleichen Kostüm auf eine private Rosenmontags-Feier mitzuschleppen, um mit ihm einen schüchternen jungen Mann zu veralbern – was unser gutherziger Junge aber nicht übers Herz bringt, sondern seinen Partner noch rechtzeitig zu warnen sucht: nur daß der, schließlich mit einiger Mühe davon überzeugt, daß ihn nicht etwa ein echtes Mädel auf die Schippe nimmt, nunmehr endgültig von “Ulrike” hingerissen ist…
(Er kanns halt nicht lassen, mit dem Feuer – oder verbotenen Honig? – zu spielen…)

(Diplomandin Margot Trugmaid)

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