Eine Hommage an eine Frau mit vielen Namen

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Das 10-Tage-Mädchen

Anm. Jula: Es ist ein Fragment, aber so groß, dass ich eher von einem unbeendeten Roman sprechen möchte.

Erstes Kapitel: Erbfolge eines Kleiderschranks

“Statt wie erwartet die Kleider zu meiden
begann sich sofort als Maid er zu kleiden!‘

“Die Kleider da im Schrank werden Dich ja nicht stören …“

Ich hatte meinen Ohren und Augen nicht getraut, als Tante Irma die Tür des billigen weißlackierten Schranks im „Mädchenzimmer“, das ich während meiner zehn Tage Hauswächter-Dienst benutzen sollte, mit diesen Worten öffnete und eine Reihe bunter Damenkleider enthüllte, die da zur Seite geschoben auf der Messingstange hingen.

„Aber -“ erklärte sie weiter, „so sind die jungen Mädchen heutzutage: da hatte sie doch wirklich eine schöne Stellung hier bei uns – aber dann hängt sie sich da an irgendsoeinen Kerl, fährt mit ihm sogar in Urlaub: und dann schreibt sie uns einfach, sie bliebe mit ihm in Spanien – kümmert sich nicht um ihre Sachen hier, schon seit acht Wochen nicht, denkt nicht daran, daß wir hier ohne Hilfe sitzen bleiben: nein – auf und davon ins süße Leben, oder wie man das nennt!“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe doch auch nicht die Zeit, dem dummen Ding noch alles nachzuräumen – ich bin ja so schon mit der Arbeit kaum fertiggeworden – es liegt noch alles wie damals, als sie wegfuhr! Vielleicht kannst Du das ja, wenn Du Zeit hast, mal in einen von den alten Koffern auf dem Boden packen – wenn sie es doch mal abholen will oder so, man hat ja doch immer die Verantwortung … „

In der Tat war der Kleiderschrank des so jäh gen Süden entschwundenen Hausmädchens Lieselotte denn auch das Erste, dem ich mich zuwandte, als Tante Irma endlich – mit tausend Ermahnungen, was alles in ihrer Abwesenheit nicht zu vergessen, jeden Tag zu tun, zu gießen, abzuschließen, reinzuholen, rauszulegen, sauberzuhalten oder nicht schmutzig zu machen sei – abgefahren war.

Aber keineswegs in der Absicht, die Kleidungsstücke des Fräulein Lieselotte in einen alten Koffer auf dem Boden zu packen!

Ich konnte es eigentlich noch immer gar nicht recht fassen, als ich langsam und genußvoll den Inhalt des Kleiderschranks musterte: Ein, zwei, drei, vier karierte, geblümte oder gemusterte Kleider – zwei Blusen und zwei Röcke, auch sorgsam auf Bügel gehängt – ein karierter Wollmantel und ein schimmernder Regenmantel aus Plastik – keine überwältigende Garderobe für eine junge Dame (aber wahrscheinlich war Tante Irma gegenüber ihrem Hausmädchen genau so knauserig wie bei mir gewesen: ganze hundert Mark für die zehn Tage hatte sie mir dagelassen!) – aber für mich war es geradezu ein Traum, soviel Mädchenkleider auf einem Haufen – und zehn Tage lang zur freien Verfügung! – zu sehen …

Aber wenn sie mir nun gar nicht paßten ? Der Gedanke durchfuhr mich mit echtem Schreck: zum Beispiel Tante Irmas Sachen – Größe 52 wären für mich so gut wie nutzlos gewesen; obwohl ich natürlich schon manchmal ein Kleid meiner Mutter übergezogen und, so gut es eben ging, mit Sicherheitsnadeln enger gesteckt hatte. Zu weit würden mir Fräulein Lieselottes Sachen zwar kaum sein – aber wenn sie nun so überschlank gewesen war, daß ich nicht in ihre Kleider hineinpaßte ?! Das wäre natürlich ein ganz böser Schicksalsschlag gewesen: mir erst völlig unerwartet ein Paradies von Mädchenkleidern zu öffnen – und mich dann mit der Schneiderelle der Konfektionsgrößen als Flammenschwert sofort wieder daraus zu vertreiben!

Das ließ mir jetzt keine Ruhe: hastig streifte ich Hemd und Hose ab – die Schuhe auch, als die Hose nicht über sie wegrutschen wollte (ach du lieber Himmel: Schuhe! Ob da auch welche da waren ? Und ob die mir nun wieder passen würden!) und holte prüfend eines der Kleider nach dem anderen aus dem Schrank. Welches anprobieren?

Offenbar hatte Fräulein Lieselotte ja all ihre „guten“ Kleider mit in den Urlaub genommen – das hier waren wahrscheinlich Sachen, die sie im Haus und bei der Arbeit getragen hatte: aber das rotgestreifte mit dem weißen Kragen und den aufgesetzten Taschen sah wirklich niedlich aus.

Wie kam man da nun hinein ? Aha, hier an der Seite war ein kurzer Reißverschluß – den mußte man offenbar aufmachen – hm, und wahrscheinlich ja auch den obersten Knopf vorn, damit man mit dem Kopf durchkam: und nun einfach über den Kopf ziehen!

Das Kleid roch ein bißchen nach Parfüm und Mädchen, als ich da mit meinem Kopf in seinen Falten steckte – natürlich war ein Knopf oben zu wenig gewesen, und jetzt mußte ich erst mit den Armen wieder hinauskommen, um den zweiten Knopf öffnen zu können: aber dann fiel es plötzlich mühelos an mir herunter, ohne irgendwo hängenzubleiben und als ich dann noch den Reißverschluß zuzog, schmiegte es sich perfekt um meine Taille!

Natürlich hatte Tante Irmas „Mädchenzimmer“ keinen großen Spiegel, in dem man sich bei ganzem Leib anschauen konnte – auf Strümpfen lief ich also die Treppe hinunter in die Diele – spürte dabei das wohlig ungewohnte Streicheln des Rocks um meine nackten Knie – und sah mich dann im Spiegel: ein Mädchen? Na ja, noch nicht gerade: da fehlte der Busen, die Hüften waren reichlich schmal, und der Kopf mit dem kurzen Haarschnitt paßte natürlich noch gar nicht – aber aus den kurzen Ärmeln schauten hübsch gerundete weiße Arme, die Beine unter dem Rocksaum waren schlank (wenn sie auch noch in kurzen Jungensocken steckten) und das Kleid saß in der Weite wie angegossen!

Jetzt müßte man wenigstens … an der Dielen-Garderobe hing noch ein grüner Schal von Tante Irma – wenn ich den als Kopftuch umband? Fabelhaft! Das straff um die Wangen gezogene Kopftuch machte mein Gesicht noch schmaler, mädchenhafter – und wenn ich jetzt etwas Haar noch vorne als Stirnwelle herauszupfte? Ja – jetzt war der Eindruck schon richtig der einer hübschen jungen Dame in Sommerkleid und Kopftuch!

Ich drehte mich ein bißchen vor dem Spiegel hin und her – reckte die Arme – stemmte sie in die Seiten – wiegte mich in den Hüften, drehte mich um und versuchte mich über die Schulter von hinten zu betrachten: also – das sah alles wirklich ziemlich echt aus.

Bis auf die Socken, die Haare an den Beinen, die jungenhaften Hüften und die platte Brust natürlich, Aber das konnte man ja ändern!

Genau in dem Moment klingelte es natürlich.

Ich fuhr zusammen. Aber dann fiel es mir wieder ein: in meinem Übereifer, Fräulein Lieselottes Kleider zu probieren, hatte ich natürlich völlig vergessen, daß – laut Tante Irma – irgendein Lieferauto mit Bier und Mineralwasser im Lauf des Nachmittags zu erwarten war!

Ein zweites Mal schrillte die Klingel. Einen Moment lang hatte ich die verrückte Idee, jetzt einfach so die Tür aufzumachen und den Lieferfahrer als junge Dame zu empfangen; aber wenn mir auch bei dem Gedanken ein prickelnder Schauer den Rücken hinunter bis in die Schamgegend lief – ich verwarf ihn sofort wieder: nicht in Jungensocken und ohne Busen!

„Moment – ich mache gleich auf!“ rief ich laut zur Tür hin.

Wie wurde ich das Zeug jetzt am schnellsten los ? Zeit, um das Kleid mit seinen Knöpfen und dem Reißverschluß erst auszuziehen, hatte ich kaum – und dann hätte ich noch immer in Unterhosen und Unterhemd dagestanden! Aber – mein Blick fiel auf Onkel Antons Lodenmantel an der Garderobe – etwas drüberziehen konnte ich natürlich Bei Onkel Antons Figur reichte mir der Mantel sowieso fast bis zu den Füßen, so daß man nicht sah, was ich darunter anhatte – also (der Kerl klingelte schon wieder!) Kopftuch runter, Lodenmantel an und zur Tür:
„Entschuldigen Sie – ich war gerade dabei, mich zum Baden auszuziehen!“ erklärte ich dem Fahrer, der mich etwas befremdet musterte, Offenbar waren Lodenmäntel als Badekleidung hier nicht üblich – und wahrscheinlich auch die Schamhaftigkeit, sich als Mann vor fremden Blicken derart einzumummeln, selbst wenn man nicht ganz voll angezogen war!

Innerlich war ich anscheinend schon viel mehr in der Rolle eines Mädchens . . .

Dennoch schleppte der Fahrer ohne weiteres Befremden die Kästen in die Diele und nahm die anderen, die Tante Irma noch vorsorglich vor der Haustür bereitgestellt hatte, mit.

„Wir zahlen das beim nächsten Mal mit!“ verabschiedete ich ihn groß zügig (wunderbar – die zwanzig Mark, die Tante Irma für diesen Zweck bereitgelegt hatte, blieben mir dann noch als Notreserve für andere unvorhergesehen Fälle!) und schälte mich, tief atemholend, wieder aus dem Lodenmantel.

Ich warf noch einen Blick in den Spiegel: sehr hübsch – aber so war mir das zu unsicher; wenn alle fünf Minuten jemand klingeln konnte …

Während ich langsam die Treppe wieder hinaufstieg, knöpfte ich schon das Kleid wieder auf und öffnete den Reißverschluß: mit weiteren Experimenten würde ich lieber warten, bis es Abend war – zumal ich mich jetzt noch an ein ellenlanges Programm vom Blumengießen bis zum Wegstellen der Bierkästen erinnerte, das mir Tante Irma aufgetragen hatte.

Es war ganz gut, daß ich mich – wieder in meinen Jungensklamotten – um all das kümmerte: denn ein plötzlich losbrechender Aprilregenschauer hätte ganz schönes Unheil an Tante Irmas auf der Terrasse ausgebreiteten Decken und Kissen stiften können, wenn ich zu der Zeit wiederum in Mädchenkleidern gesteckt hätte, so daß ich mich nicht ins Freie trauen konnte!

Aber gegen sechs hatte ich alles erledigt – und mir während der ganzen Hausarbeit (zu der ja im Grund Fräulein Lieselottes Kostüm viel besser gepaßt hätte!) bereits das Programm für meinen ersten Abend Punkt für Punkt ausgemalt. (Daß ich von diesem Programm durchaus noch waghalsig abweichen würde, ahnte ich zu der Zeit noch nicht).

Als erstes machte ich Inventur im Mädchenzimmer: da waren ja im Kleiderschrank auch noch Wäschefächer – nicht gerade zum Bersten gefüllt, aber immerhin: zwei rosa Seidenwäschegarnituren, eine in hellblau, eine in weiß – der passende hellblaue Unterrock und ein anderer, sogar aus glänzendem Satin, in rosa – ein paar Hüfthalter und Strumpfhaltergürtel, rosa, weiß und bleu – drei Büstenhalter – und eine Plastiktasche mit säuberlich zusammengerollten Damenstrümpfen; in den oberen Fächern einige Pullover mit langen und kurzen Ärmeln, zwei Seidenschals und schließlich noch zwei Nachthemden in rosa und bleu – eigentlich alles, was man verlangen konnte!

Im Hutfach über den Kleidern entdeckte ich zwar keine Damenhüte, aber dafür eine Umhängetasche aus schwarzem Lackleder und eine kleinere schwarze Handtasche – unten im Schrank standen ein Paar weiße Sandalen (erfreulicherweise mit ziemlich flachen Absätzen und ein Paar schwarzglänzende Regenstiefel, Die Sandalen, die ich probeweise über die Socken streifte, paßten – sogar recht bequem, vielleicht, weil Fräulein Lieselotte (wie mochte sie eigentlich mit Nachnamen gehießen haben ? Lieselotte von der Pfalz ? Lieselotte Gänseschmalz ? Lieselotte Schwanenhals ? Lieselotte Andernfalls ?) sie bei der Hausarbeit redlich ausgetreten hatte.

Hochhackige Schuhe fehlten zwar (wahrscheinlich waren sie mit ins Urlaubsgepäck gewandert), aber ich wußte sowieso nicht, ob ich in denen hätte laufen können, ohne dauernd umzuknicken, Daß in der Schrankecke auch noch ein plastikbespannter Schirm stand, machte die Regenausstattung vollkommen – offenbar hatte Tante Irma ihre Hausangestellte oft in Wind und Wetter Einkaufen geschickt!

Neben dem Bett stand noch ein Nachttisch. Seine Schublade lieferte allerhand Kosmetika – zwei Lippenstifte, eine Packung Puder und ein Plastikdöschen mit verschiedenfarbigen Pasten, die ich nach einigem Überlegen als „Lidschatten“ identifizierte – genau wie ich etwas, das ich erst für einen Bleistift gehalten hatte, später als dunkelbraunen Augenbrauenstift erkannte. Dazwischen lagen noch eine Tüte Bonbons, ein paar Tablettenröhrchen, Haarspangen und -nadeln und ein einzelner Ohrring, zu dem ich trotz allen Suchens den zweiten nicht entdecken konnte. Anderen Schmuck hatte Fräulein Lieselotte entweder nicht gehabt oder – wahrscheinlicher – auf ihre Reise in den Süden („mit irgendsoeinem Kerl“ ) mitgenommen.

Aber für Schmuck konnte ich – da er nicht an Konfektionsgrößen gebunden war – zur Not immer noch auf Tante Irmas Toilettentisch zurückgreifen,
Ich überlegte eine Weile – dann breitete ich ordentlich auf dem Bett die Sachen aus, die ich heute abend anprobieren wollte: alles, entschied ich mich, in mädchenhaftem Rosa – den Strumpfhaltergürtel („Strapsgürtel“ nannten das die Frauen ziemlich unpoetisch), den Büstenhalter („BH“ – als wenn die Zeit zu knapp wäre, das voll auszusprechen!) s ein rosa Seidenhemdchen und Höschen mit ebenso schmalem wie billigem Spitzenrand und den, im Gegensatz dazu, richtig luxuriös aussehenden schimmernden Satin-Unterrock.

Dann zog ich – nicht ohne gewisse Feierlichkeit – meine bisherige Kleidung aus und legte sie ebenso ordentlich über den einzigen Stuhl des Zimmers. Ich probierte kurz, ob eigentlich auch der Hüftgürtel um meine Taille paßte – ja, ganz genau! – aber: anziehen wollte ich diese hübschen Sachen noch nicht.

Erst einmal ging ich zwei Türen weiter in das hochherrschaftliche Badezimmer – schwarze Kacheln und so weiter – und ließ schönes warmes Wasser in die vornehme Wanne laufen. Mit einer ordentlichen Dosis teuren parfümierten Badesalzes – das konnte Tante Irma schon ab! (Zehn Mark pro Tag für diesen ganzen kombinierten Hausmeister- und Hausmädchendienst – irgendwo musste da ja die ausgleichende Gerechtigkeit einsetzen, und wenn es beim Baden war!).
Ich massierte meinen Körper wohlig mit dem sahnigen Schaum der wohlriechenden Badeseife („meinen klaren Teint verdanke ich nur der regelmäßigen Pflege mit…“). Es war ein angenehmes Gefühl, sich in dem warmen duftenden Wasser zu dehnen und seinen Leib zu pflegen wie eine vornehme Luxusdame – Dodo oder Chichi oder Mirabell.

Oder, dachte ich, während ich mit Onkel Antons Rasierapparat vorsichtig die Haare von meinen Schienbeinen abrasierte, wie der berüchtigte Hochstapler und Juwelenspezilist Conny der Schöne, der seine tollsten Coups bekanntlich als elegante Dame verkleidet ausführte – obwohl, zu meinem Bedauern, in den Heften niemals geschildert wurde, wie er sich eigentlich dafür vorbereitete: meist erfuhr man immer bloß hinterher, daß die angebliche Contessa di Rimini oder die geheimnisvolle verschleierte Dame in Wirklichkeit der schöne Conny gewesen war, der seinem Widersacher, dem dicken Inspektor Bull von Scotland Yard, wieder mal ein Schnippchen geschlagen hatte – „raffiniert verkleidet“ schrieb der Autor und machte es sich damit, fand ich, ziemlich bequem: woher nahm man denn zum Beispiel „üppige Hüften“ oder einen „verführerischen Busen“? Gab es die irgendwo – vielleicht in einem Geschäft für Hochstapler – und Verbrecherbedarf?! – zu kaufen, naturgetreu aus fleischfarbenern Gummi imitiert? Oder bastelte Conny der Schöne sie in seinen freien Stunden „in seinem luxuriösen Appartement an der Cote d’Azur“ selbst aus Luftballons und Schaumgummi zusammen?

So – vielleicht der Sicherheit halber auch noch die Haare unter den Achseln: es war zwar unwahrscheinlich, daß jemand dort nachsehen würde – aber irgendwie war es eine Frage des Stils, wenn man sich schon (wie hieß das:) „sorgsam von allem verräterischen Haarwuchs befreite“, wie das Conny laut seinem Chronisten zu tun pflegte, keine Stelle auszulassen. Glücklicherweise war mein Oberkörper bis auf zwei drei Zentimeter lange schwarze Haare, die ich pflichtschuldigst abrasierte – sowieso glatt wie bei einem Mädchen: und mit Bart im Gesicht hatte ich auch noch nicht zu tun („da er glücklicherweise bartlos war“: hieß das nun, daß er sich eben bloß keinen Bart stehen ließ – oder ersparte das Schicksal Conny auch in späteren Jahren den, für eine Contessa di Rimini ja zweifellos recht störenden, Bartwuchs ?).

Triefend stieg ich aus der Wanne, nachdem ich mich nochmal schön warm abgeduscht hatte, um die fröhlich im Badewasser umherschwimmenden Härchen loszuwerden, und rubbelte mich mit dem großen weissen Badetuch trocken.
Sahnige „BODY LOTION“ und parfümierter Körperpuder – irgendwie fand ich es abscheulich, daran zu denken, daß Tante Irma all diese wunderbaren Sachen auf ihren fetten Leib schmierte! – aber für mich waren sie natürlich die richtige Fortsetzung auf dem Weg zur schönen jungen Dame.

Junge Dame – Junge-Dame ! Ich mußte über das Wortspiel lachen,
„Ich bin die schöne Junge-Dame
und Lieselotte ist mein Name… „
sang ich mehr laut als schön vor mich hin, während ich über den Flur in mein „Mädchenzimmer“ – auch ein sehr passender Name – hinüberging:
„… für mich macht jedermann Reklame
wenn ich ’ne schöne Frau nachahme…”
und dann fiel mir außer „Flame“ und „Same“ nichts mehr ein – und beides schien mir in den Vers nicht recht zu passen.

Aber der Strumpfgürtel („Strapsgürtel“!!!), den ich mir jetzt um die Hüften legte, paßte wunderbar. Doch das war eigentlich nicht in Ordnung – denn wenn meine Vorgängerin Lieselotte breitere Hüften gehabt hatte, müßte er ja eigentlich für mich zu weit gewesen sein ? Ich sah mir den Hüfthalter nochmal genauer an und merkte, daß er seitlich Einsätze aus einem dehnbaren Gewebe hatte – da paßte also noch was rein („üppige Hüften“, die man „verführerisch wiegen“ konnte – sofern man welche hatte); aber woher nehmen? Ich sah mich suchend um. Irgendwas Flaches, Weiches, Gerundetes – da hatte ich doch vorhin unten im Nachttisch ein paar Schulterpolster aus Schaumstoff gesehen, die Fräulein Lieselotte wohl in irgendein Kleid hatte einnähen wollen; wenn man die jetzt in der richtigen Lage unter den Hüftgürtel schob?

Es brauchte einige Experimente – sogar einen Weg bis zum Spiegel in der Diele, um den richtigen Sitz für diese Hilfshüften zu finden: aber dann waren sie, wenn auch noch nicht gerade „üppig“, doch schon ganz hübsch gerundet und bestimmt viel „mädchenmäßiger“ als vorher.

Nun kam als nächstes der Büstenhalter, den hinter dem Rücken richtig zusammenzuhaken sich auch als Kunststück erwies. Aber was hatte er zu „halten“? Im Moment blähten sich seine beiden Halbkugeln etwas lächerlich leer vor meiner Brust. Einen „Gummibusen“ verwendete der hübsche Conny in solchen Fällen – aber woher nehmen ? Ich mußte mich mit irgend zwei kugeligen Polstern behelfen – vielleicht zwei Paar zusammengerollter Damenstrümpfe ? Ich probierte es aus – aber ich war mit dem Effekt nicht zufrieden: Fräulein Lieselotte mußte da erheblich mehr „Holz vor der Hütten“ gehabt haben, wenn ich nach dem Format der Büstenschalen urteilte!

Also – warum nicht die erheblich derberen Männersocken aus meinem Koffer? Jawohl – das waren jetzt richtige Wonnehügel: wenn auch, sofern man sie mit der Hand befühlte, von etwas unnatürlicher Konsistenz. Ich hatte sogar schon eine Idee, wie man das besser machen könne – aber dazu mußte ich morgen erst in der Stadt Luftballons auftreiben; für heute Abend mußten die Socken genügen.
Nachdem ich das glatte Seidenhemdchen übergezogen hatte, sah der Mädchenbusen sogar ausgesprochen naturgetreu aus, wie ich selbst in dem kleinen Wandspiegel des Mädchenzimmers feststellen konnte. Auch der Seidenschlüpfer bot keine besonderen Probleme – wenn man nicht meinen Pimmel, der irgendwie angeschwollen war und sich gegen die knappe Seide preßte, als solches bezeichnen wollte. Aber als ich noch den Unterrock übergestreift hatte, war auch diese undamenhafte Stelle zunächst mal dem Blick entzogen.

Unerwartet schwierig erwies sich dagegen das Anziehen der seidenen Strümpfe: erst einmal blieben sie überall am Bein hängen, dann gab es dauernd Falten in der Knöchelgegend, und als ich die endlich durch viel Zerren beseitigt hatte, saß die Strumpfnaht plötzlich statt hinten an der Innenseite meines Oberschenkels! Resigniert zog ich den ganzen Strumpf wieder aus und probierte es jetzt so, wie ich mich jetzt erinnerte, es mal in einem Film gesehen zu haben, in dem irgendein Gangsterliebchen ihre Leichtlebigkeit dadurch bewies, daß sie sich gähnend ihre Strümpfe anzog, während sie mit dem kessen Ede – oder wie ihr Freund hieß – über seine Einbruchspläne redete: nämlich, indem man den Strumpf erst bis zum Fuß aufrollte, in diesen Fußteil schlüpfte und nun den Strumpf wie eine Harmonika sorgfältig gesteuert – und auf die Naht achtend – Stück um Stück nach oben zog.
Dort allerdings ergaben die Strumpfhalter (die „Strapse“) neue Probleme: irgendwie hingen sie nie dort, wo sie sein sollten – zogen den Strumpfrand keineswegs straff (bis ich ihn wutentbrannt einfach doppelt umkrempelte) – und waren dann auch nur mit Kunst richtig, nämlich durch kräftiges Reinschieben der vom doppelten Strumpfrand umwickelten Knöpfe in die Metall-Ösen, zu befestigen. Wenn ich eine Frau gewesen wäre, hätte ich schon lange etwas praktischeres für diese tägliche Arbeit erfunden, dachte ich – aber zunächst mußte man sich ja den herrschenden Sitten anpassen!

Nun kam das rotgestreifte Kleid, mit dem ich – glaubte ich – ja schon Erfahrung hatte: nur, wie ich alsbald merkte, Erfahrung ohne Busen! An diesen („üppigen“)Vorsprüngen verfing sich das enge Kleid nämlich jetzt unerwartet ganz gewaltig – und da ich auf der gleichen Höhe zur gleichen Zeit ungeschickterweise auch noch die Arme in dem knappen Stoffschlauch stecken hatte knackte es verdächtig in den Nähten, bis ich endlich aus dem Gewand wieder mit Kopf und Armen zum Vorschein kam.

Dann allerdings hatte ich auch den Lohn, der mich für alle Unbill entschädigte: Jetzt straffte sich das Oberteil erst richtig über meinen Mädchenbrüsten – und als ich mit einiger Eile, und noch auf bloßen Seidenstrümpfen, wieder zum Dielenspiegel lief, war ich von dem Anblick regelrecht überwältigt Hatte das vorhin – über meinem normalen Körper – schon recht appetitlich ausgesehen: so war es jetzt „ein Kleid, das ihre jugendlichen Formen betonte“ (so der Chronist Connys des Schönen) – und, wie ein Blick nach unten zeigte, waren auch die Beine in den „zarten Seidenstrümpfen“ einwandfrei mädchenhaft!

Wieder griff ich nach Tante Irmas Seidenschal, um ihn um den Kopf zu winden – aber dann überlegte ich es mir anders: jetzt sollte ich doch erst noch was für das make-up tun!

Leider stellte ich, als ich wieder im „Mädchenzimmer“ vor dem Wandspiegel stand, fest, daß ich darüber auch nicht gerade allzuviel wußte – eigentlich nur, daß man sich mit Lippenstift die Lippen rot machte und sich dann Nase und Wangen puderte. Ich tat erst das eine – und war verblüfft über die Veränderung, die so ein knallroter Mund bereits in meinem Gesicht auslöste; ich schmierte mir – mehr schlecht als recht – kräftig Puder auf Nasenspitze und Backen, stellte fest, daß ich danach mehr wie ein Clown als wie eine junge Dame aussah, und wischte den Überschuß mit der Puderquaste wieder breit. Jetzt allerdings wirkte das recht gut – machte das Gesicht zarter und weicher.

Und als ich nun einen von Fräulein Lieselottes Schals um den Kopf band, war der Effekt geradezu überwältigend echt! Wieder lief ich in die Diele vor den großen Spiegel – und holte tief Atem: d a s war jetzt aber wirklich eindeutig, überzeugend und zweifelsfrei eine ausgesprochen hübsche junge Dame, die mir da aus dem Glas entgegenblickte!

Natürlich – stellte ich fest, während ich mich kritisch in allen Einzelheiten betrachtete – sah ich als Dame einige Jahre älter aus: aber gerade um so viel, daß ich kein „Backfisch“ mehr war, sondern eine voll ausgewachsene Zwanzigjährige – und das war mir sehr recht, denn ich hatte es bereits leid genug, als Junge immer „noch nicht alt genug“ für dies und jenes zu sein: als Mädchen wenigstens wollte ich mal endlich „erwachsen“ (oder wie sagte man da? „voll erblüht“?) sein ! Wieder drehte ich mich hin und her – machte „mädchenhafte“ Gesten (oder was ich dafür hielt) – und spürte, wie mir allmählich das Blut in den Adern zu klopfen begann: jetzt war es endlich tatsächlich Wahrheit, was ich mir in unzähligen Tagträumen immer wieder ausgemalt hatte – ich hatte mich als Mädchen verkleidet! Und zwar als ausgesprochen hübsches Mädchen – mit „allem dran“ – und wie ich mich auch drehte und wendete, ich sah immer wie eine junge Dame aus und nicht mehr wie ein halbwüchsiger Junge!

Irgendwie stieg mir regelrecht ein kleiner Schwindel zu Kopf, und ich ließ mich in den Korbsessel in der Diele fallen. Ich sah auf meine Knie, die hübsch gerundet in den Seidenstrümpfen unter dem Rocksaum hervorschauten, und senkte den Blick noch weiter auf meinen falschen Busen, der sich stramm und provozierend hervorstreckte: wie ein Mädchen – aber wirklich alles wie bei einer junge Dame, einer von denen, die ich so oft neidvoll mit meinen Blicken verfolgt hatte.

Ich lehnte mich zurück und verschränkte die Arme im Nacken, spürte dabei, wie sich das Kleid fast bis zum Platzen über den unechten Brüsten spannte – kam dann plötzlich auf die Idee, daß ich mir das ja auch im Spiegel ansehen könne, wenn ich den Sessel dorthin rückte: entdeckte dort die Möglichkeit, die Beine mehr oder minder elegant übereinanderzuschlagen – und rannte dann, um die Sache perfekt zu machen, wieder nach oben, um die Sandalen anzuziehen.

Als ich jetzt die Treppe hinunterstieg, spürte ich bis ins Rückgrat den eigentümlich veränderten Takt, wenn man in Damenschuhen ging – und begann nun in der Diele vor dem Spiegel überhaupt das „mädchenhafte Gehen“ auszuprobieren, bei dem man (so hatte ich das irgendwo gelesen) versuchen mußte, die Füße hintereinander auf eine gedachte Linie zu setzen. Aber ob das wirklich richtig aussah, konnte man im Spiegel wieder nicht recht feststellen, weil man nach drei Schritten zu weit weg war, um die eigenen Füße noch ins Spiegelbild zu bekommen.

Es war alles ziemlich ungeschickt – aber ich hatte mich noch nie in meinem Leben so wohl gefühlt wie jetzt, da ich hier in Fräulein Lieselottes rotgestreiftem Fähnchen vor dem Spiegel posierte!

Eigentlich hätte ich ja nun einmal dieses Kleid wieder ausziehen und die anderen anprobieren können – aber war es nun die Erinnerung an das reichlich umständliche Überziehen des Kleids, oder das Faible, das ich schon immer für glatte Damenregenmäntel gehabt hatte: ich kam jetzt erst einmal auf die Idee, noch diesen Mantel – aus rötlichem, metallschimmernden Plastikstoff – überzuziehen. Als ich ihn vom Bügel nahm, entdeckte ich zu meiner Freude, daß unter ihm auch noch ein Kopftuch aus dem gleichen Plastikstoff hing: also konnte ich in diesem Regenkostüm auch noch den schon bewährten Kopftuch-Effekt weiter ausnutzen!

Dann aber auch gleich richtig, dachte ich und streifte die Sandalen ab, um auch noch die glatten schwarzen Regenstiefel überzuziehen. Sie saßen wie angegossen und umschlossen meine Füße in den glatten Seidenstrümpfen mit einem strammen, aber noch nicht unangenehmen Druck; da ihre Absätze etwas höher waren als die der Sandalen, hatte ich in ihnen, wie ich im Spiegel mit freudiger Überraschung feststellte, ausgesprochen zierliche, schmale Damenfüßchen.
Und der Mantel war phantastisch: Unter dem glatten, schimmernden Plastikmaterial zeichneten sich meine Mädchenbrüste, wenn ich den Stoff straff durch den Gürtel nach unten zog, aufregend gerundet ab – und das Plastik-Kopftuch umschmeichelte meine Wangen so glatt, daß mein Gesicht noch hübscher aussah als zuvor!

Fräulein Lieselotte hatte bei diesem Mantel nicht, wie bei den meisten anderen Kleidungsstücken, gespart: das konnte ich sehr genau beurteilen, weil ich nie an einem solchen Mantel in einem Schaufenster vorübergegangen war, ohne Machart und Preis gründlich zu studieren: Das hier war keiner von den billigsten Regenmänteln, die man um zehn oder zwanzig Mark bekam – nein, dieser Mantel hatte ein weites, schwingendes Unterteil, das beim Gehen angenehm um die Hüften und Knie raschelte – and oben ein ausgearbeitetes Oberteil, das den Busen ordentlich herauskommen ließ! Ich ging nochmal nach oben und holte mir auch noch den Plastikschirm – spannte ihn auf und paradierte damit vor dem Spiegel hin und her: jetzt war ich wirklich eine schicke junge Dame, wetterfest und modisch gekleidet, jederzeit bereit, im Regen spazierenzugehen!

Und wenn ich das jetzt wirklich täte ?!

Der Gedanke traf mich (das sagt man öfter, aber diesmal war es wirklich so) wie ein Schlag. Ich mußte tatsächlich erst einmal Luft schnappen, so unerwartet und gewagt – aber auch so reizvoll war der Einfall:

Es war schon ziemlich spät geworden – fast neun Uhr abends. Zu der Zeit waren bestimmt nicht mehr viele Menschen auf der Straße – erst recht nicht bei dem Regen, der zwar nachgelassen hatte, aber noch immer in feinen Tropfen gefallen war, als ich das letzte Mal aus dem Fenster gesehen hatte – und nicht in dieser ruhigen Vorstadtgegend. Daß mich also jemand aus der Nachbarschaft sah, wenn ich aus dem Haus ging oder zurückkam, war unwahrscheinlich. Und wenn schon: wußte denn jemand, wen Tante Irma gerade zu Besuch hatte ? Das konnte ja genau so gut auch eine junge Dame sein, die da wegging oder kam…

Und daß mich jemand auf der Straße anhalten oder ansprechen würde, war auch kaum zu erwarten, Wahrscheinlich würde ich noch nicht mal jemand begegnen – und wenn schon: was würde er sehen ? Eine hübsche junge Dame in Regenkleidung, die es eilig hatte, wieder irgendwo ins Trockene zu kommen!

Aber mal den schlimmsten Fall gesetzt, daß mich – na, sagen wir, die Polizei anhalten und nach meinem Ausweis fragen würde (den mußte ich natürlich mitnehmen): Was konnte mir schon passieren ? Ich hatte mir eben einen Jux gemacht. Wegen einer Wette. Oder um Bekannte oder Verwandte zu veralbern, Strafbar war das ja nicht – ich tat niemand etwas Böses, wollte auch nicht, wie der schöne Connny , Juwelen oder Geheimakten stehlen (was sowieso niemand von einem halbwüchsigen Jungen erwartet hätte); das Schlimmste könnte sein, daß man mir einen ernsten Verweis gab, solchen Unfug nicht zu wiederholen.

Aber warum sollte die Polizei eigentlich um neun Uhr abends im Regen eine harmlose junge Dame anhalten ? Doch höchstens, wenn ihr etwas an dieser jungen Dame verdächtig vorkam: Und sah ich irgendwie verdächtig aus ? Sah ich vielleicht gar wie ein verkleidetes männliches Wesen aus, das irgendwelche finsteren Pläne ausführen wollte ? Na also das zeigte mir ein Blick in den Spiegel: wenn ich aussah wie ein verkleideter Jüngling, dann sahen 50 Prozent aller wirklichen Mädchen noch viel verdächtiger aus!

Die Sache begann mich immer mehr zu reizen. Ich wünschte mir jetzt fast – nicht gerade eine Polizei-Kontrolle, aber ein paar Leute, die mir begegnen würden:: bloß um mal auszuprobieren, ob ihnen irgendwas auffallen würde! Daß ein kleines Risiko dabei war, machte dieses Experiment nur umso spannender: zumal das Risiko auch im ärgsten Fall keine ernste Sache war. Eher würden sich selbst die Polizisten amüsieren, daß da ein Jüngling als fesches Dämchen einherspazierte.

Trotzdem mußte ich dieses Risiko so klein wie möglich halten, Das hieß: ich mußte perfekt sein – so, daß niemand auch nur die Idee eines Verdachts kommen konnte! Was fehlte dazu noch ? Eigentlich nur noch eines, ohne das eine junge Dame schwerlich auf die Straße gehen würde: eine Handtasche Noch während ich das überlegte, stieg ich – zum wievielten Male an diesem Abend ? – ins Obergeschoß hinauf, um mir die Umhängetasche aus dem Schrank zu holen.

Und was noch ? Ach ja – Handschuhe wären noch ein hübsches Detail: Hände waren – hatte ich mal irgendwo gelesen – verräterisch, und wenn man sie unter glatten Damenhandschuhen verstecken konnte, sollte man auch dieses Risiko nicht laufen, Nur hatte Fräulein Lieselotte keine Handschuhe. Aber vielleicht Tante Irma?

Bei uns zuhause lagen Handschuhe immer in irgendeiner Schublade in der Diele herum. Hier war es glücklicherweise auch so: nach kurzem Suchen entdeckte ich ein Paar schwarze Damenhandschuhe aus schwarzem Nappaleder, die mir – natürlich, bei Tante Irmas Wurstfingern! -ohne weiteres paßten. Ich zog sie über, straffte das Leder nocheinmal zwischen den Fingern, wie ich das irgendwo gesehen hatte – sehr hübsch! Nun noch ein letzter Blick in den Spiegel: Kopftuch sitzt richtig – Stirnlocke schaut hervor – Tasche hängt flott über der Schulter – ach so, du dummer Hund, willst Du mit dem aufgespannten Regenschirm durch die Tür spazieren ? Zumachen – und draußen vor der Tür wieder auf!

So – der Vorsicht halber das Licht ausmachen (man braucht einen neugierigen Nachbarn nicht mit Gewalt aufmerksam zu machen!) – hast Du Deinen Ausweis? Ein paar Mark Geld – falls Du es brauchst? Und den Hausschlüssel?

Alles da. Ich straffte die Schultern – Bauch herein, Brust heraus (Brüste heraus!), tief Atem holen:
Und so ging ich zum erstenmal in meinem Leben als junge Dame auf die Straße.

Vielleicht hätte ich es lassen sollen: dann wäre vieles anders gekommen.

Zweites Kapitel: Spaziergang mit Folgen

„Er kam als Girl so echt geschlendert
als hätt er das Geschlecht geändert!”

Der Regen hatte fast aufgehört – aber die ganze Straße lag noch in glänzender Nässe und spiegelte die spärlich entlang der einsamen Straße verteilten Laternen wieder.

Ich hatte mich, als ich auf die Straße getreten war, erst einmal rasch nach rechts und links umgesehen – alles war völlig menschenleer. Dann hatte ich den Schirm aufgespannt (wenn ich ihn einmal mitgenommen hatte, wollte ich ihn auch aufspannen – und außerdem hatte ich dann wenigstens mit der einen Hand etwas zu tun: denn es wollte mir jetzt beim besten Willen nicht einfallen, was junge Damen auf der Straße mit den Armen machten: schlenkerten sie die beim Gehen hin und her ? Oder ließen sie sie reglos nach unten hängen? Das eine kam mir so unnatürlich vor wie das andere!) und erst einmal mit ein paar raschen Schritten – die ich aber doch möglichst mädchenhaft klein hielt – die Nähe der Haustür verlassen: falls jetzt jemand mich sah, konnte er lange überlegen, aus welchem Haus ich wirklich gekommen war …

Die Luft war nach dem Regen frisch und ziemlich kühl. Irgendwie war es ungewohnt, interessant und ein wenig erregend, zu spüren, wo eigentlich Luft an den Körper einer jungen Dame kam: da wehte es fremdartig kühl zwischen die Oberschenkel, die ja sonst wohlverpackt – selbst bei einer kurzen Männerhose – unter dickem Stoff steckten, jetzt aber nur von den dünnen Seidenstrümpfen umkleidet waren; andererseits war der Kopf unter dem Plastiktuch so ungewohnt eingepackt, daß sich sogar meine Schritte auf der Straße anders anhörten – oder lag das an der Art, wie ich den Fuß aufsetzte?

Machte ich das überhaupt richtig ? Jetzt, auf der harten glatten Straße und vor das Problem gestellt, wirklich mehr als drei Schritte zu gehen wie vorhin vor dem Spiegel, überfielen mich plötzlich die ärgsten Zweifel: Gut, ich bemühte mich, kleine kurze Schritte zu machen – und dabei die Füße möglichst hintereinander auf eine imaginäre Linie zu setzen (kam daher der Ausdruck „auf den Strich gehen“?! ) – aber irgendwie kam beim Aufsetzen des Fußes immer der ungewohnt hohe Absatz zuerst mit einem kleinen Ruck auf den Boden – und dann erst kippte die Fußspitze nach, War das in Ordnung ? „Ihre hohen Hacken klapperten auf dem glatten Marmor der Hotelhallee“ – na schön, aber klapperten sie, weil „sie“ zuerst mit den Hacken auftrat ? Wäre sie da nicht ganz schön auf dem glatten Marmor ausgerutscht?

Ich bemühte mich, den Fuß anders aufzusetzen – aber nach ein paar Schritten hatte ich dabei das Gefühl, wie ein Storch im Salat zu gehen. Zum Teufel, wie ging denn nun eine junge Dame wirklich?! Hm – wie kommen Sie mit ihren ganzen Beinen zurecht, Herr Tausendfüßler?

Wahrscheinlich war das, was ich da machte, die dümmste Methode: wenn es eines gab, was eine junge Dame beim Gehen ganz bestimmt nicht tat – dann war es, bei jedem Schritt zu überlegen, wie sie gehen müsse! Ich entschloß mich, es darauf ankomrnen zu lassen: wenn ich nur darauf achtete, die Schritte etwas kürzer wie gewohnt zu machen – und im übrigen vor allem daran dachte, daß ich eine hübsche junge Dame sei, die an einem kühlen Abend, mit verständlicher Eile, irgendwo hin gehen wollte: dann würde ich auch, eher jedenfalls als mit allen Experimenten, den richtigen Gang herausbekommen!

Aber wohin wollte die junge Dame denn eigentlich?

Bis jetzt war ich erst einmal einfach die Straße entlanggegangen. Aber die war ja zweifellos irgendwo einmal zuende. Sollte ich dann einfach kehrt machen und wieder heimgehen? Das gefiel mir ehrlich gesagt gar nicht: irgendwo wollte ich ja nun doch – natürlich in gebührender Distanz – an irgendeinem anderen Menschen vorbeikommen und, wenigstens aus der Ferne, wirklich für eine junge Dame gehalten werden!

Besonders gut kannte ich mich in der Gegend zwar nicht aus. Aber in der Nähe der Autobus-Haltestelle, an der ich heute morgen – so kurze Zeit war das erst her, und da hatte ich noch nicht geahnt, daß ausgerechnet Tante Irma mir meinen jahrelangen Traum erfüllen würde! – ja, also dort, wo ich heute morgen ausgestiegen war, gab es wenigstens ein paar Läden mit Schaufenstern: und da sowohl Bushaltestellen wie Schaufenster für Leute da sind, mochte wohl dort auch die Chance am größten sein, an irgendwelchen Leuten vorbeizukommen!
Also – wie war das gewesen: in der richtigen Richtung ging ich zweifellos schon – Tante Irmas Haus lag ziemlich am Ende der Straße. Dann war ich links um die Ecke gebogen – also mußte ich jetzt, in entgegengesetzter Richtung, rechts abbiegen, Das war auch noch eine Straße mit Wohnhäusern – größeren mehrstöckigen zwar; und die mündete dann auf die eigentliche Verkehrsstraße, die nach links in die Stadt führte – nach rechts, wenn ich mich richtig erinnerte, dagegen in ein Gebiet, das zur Zeit erst bebaut wurde. Irgendwo ganz hinten mündete sie – nach einem kleinen Waldstück – dann in einen Ort, der neuerdings in die Stadt eingemeindet worden war. Na ja, bis dorthin wollte ich gewiß nicht marschieren – aber da führte die Autobus-Linie hin, die an der Haltestelle stoppte: „Törn“ oder so ähnlich hieß der Ort.

Hinten an der Ecke, wo die jetzige Straße auf die Hauptstraße mündete, lag ein Restaurant. Anscheinend – nach dem Eingang und dem großen Transparent zu urteilen – keine einfache Gastwirtschaft, sondern schon etwas „Gehobeneres“: „Fichtenhof“ oder so ähnlich. Ich war vielleicht hundert Meter von der Ecke entfernt, als die Tür des Lokals sich öffnete und eine ganze Gesellschaft – drei Pärchen schienen es zu sein – herauskam.

Du gehst stur weiter, befahl ich mir, Du bist eine junge Dame auf dem Heimweg, und diese Leute interessieren Dich so gut wie gar nicht. Denk überhaupt nicht an sie – denk daran, daß Du jetzt schon eine Viertelstunde zu spät dran bist, und daß – na ja nun, wer ? Deine Mutter, Deine Tante, Dein Mann ( ja, warum zum Teufel sollte ich nicht jung verheiratet sein ?!) – also daß Dein Mann sowieso schon auf Dich wartet –

Jetzt war ich bis auf ein paar Meter an die Gruppe herangekommen, Sie machten aus dem Heimgehen einen furchtbaren Umtrieb, die drei Frauen – übrigens hatte keine von ihnen einen so schicken Regenmantel wie ich: – drängelten sich unter dem überdachten Eingang, während einer der Herren mit viel Umstand ein Auto aus einer Parklücke herauszumanövrieren suchte und die beiden anderen etwas gelangweilt herumstanden.

Ich rauschte – eilige junge Dame mit züchtig kurzen, aber schnellen Schritten – knapp einen halben Meter an dem einen von ihnen vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen; dann fiel mir ein, daß soviel Desinteresse nun auch schon wieder unnatürlich war – und ich warf, natürlich ohne den Kopf zu wenden, wenigstens einen Blick auf den anderen, Er war ihn, wie ich feststellte, kaum wert: ein blaßblonder junger Mann mit einem runden, (vielleicht vom Alkohol) hochroten Kopf – und da er sich auch noch gerade in diesem Augenblick zu den Frauen unter dem Eingangsdach umdrehte, konnte ich wirklich nicht feststellen, ob er mich überhaupt mit Verstand gesehen hatte.

Das ärgerte mich irgendwie: und deshalb drehte ich – freilich ohne im Gehen zu zögern – nun doch den Kopf wenigstens zu den Frauen und schaute sie einen Moment lang an: eine war strohblond und ziemlich dick, die andere rothaarig und hager, die dritte allerdings auffallend hübsch, mit langen schwarzen Locken. Wenn die drei mich allerdings zur Kenntnis nahmen (und angeblich sieht jede Frau jede andere, die an ihr vorbeigeht, kritisch an): dann ließen sie es sich nicht anmerken. Bestimmt jedenfalls stieß keine von ihnen die andere an und fragte: Du, geht da nicht ein verkleideter Mann?!

Dennoch hatte ich das Gefühl, Blicke im Rücken zu spüren, als ich mich wieder von der Gruppe entfernte – aber es machte mich nicht nervös: der schimmernde Regenmantel umschloß mich wie ein Zauberpanzer, dem die kritischsten Blicke nichts anhaben konnten…

Ich bog um Ecke. Jetzt, da mich die Gruppe nicht mehr sehen konnte, verminderte ich mein Tempo ein wenig – hier waren nun ja auch schon ein paar Schaufenster, in die ich einen Blick werfen wollte:

Ein Radiogeschäft – Fernsehapparate, Stereogeräte mit Knöpfen und Skalen wie Computer in Teakholz, Autoradios – wenig interessant für eine junge Dame. Ein Selbstbedienungsladen mit groß plakatierten Sonderangeboten – wenn ich eine Ahnung gehabt hätte, ob drei Mark fünfundvierzig für ein Pfund Rinderbraten billig oder teuer war! Aber wahrscheinlich würde eine jungverheiratete Frau – die Rolle faszinierte mich inzwischen ein wenig – als tüchtige Hausfrau so etwas mit Interesse zur Kenntnis nehmen: allerdings nicht mit soviel Interesse, daß sie extra stehenblieb Das war beim nächsten Geschäft – drei Häuser weiter – schon wahrscheinlicher: ein Schuhgeschäft mit Stiefeln, Schuhen, Sandalen – „die Frühjahrsmode für den Fuß“ – da konnte man einen Augenblick stehenbleiben und die Modelle und Preise betrachten.

Hinten an der Haltestelle hielt der Autobus. Ein paar Leute stiegen aus und kamen die Straße herunter, Ich kalkulierte einen Augenblick: sollte ich die hier erwarten und an mir vorbeigehen lassen? Nein, das dauerte zu lange – so ewig blieb kein vernünftiger Mensch an einem Schaufenster stehen, Also weiter, marsch – aber schön langsam, denn ich wollte schon gern vor einem hellerleuchteten Schaufenster stehen, wenn diese Leute an mir vorbeigingen.

Na – da kam ja auch das Richtige: ein Mieder– und Wäschegeschäft. Da konnte sich eine Frau schon ein paar Minuten in den Auslagen verlieren – und das waren ja auch wirklich verdammt raffinierte Sachen: dieses gelbe Nachthemd mit den schwarzen Spitzen und dem dazu passenden Negligé – oder das rote dort drüben! – und dann diese Büstenhalter und Korsettchen und Strumpfhaltergürtel (nein, „Strapsgürtel”!) – oder im anderen Fenster die Bademoden: Bikinis und Einteilige mit unerwarteten Öffnungen, die mit schwarzem Wollnetz überspannt waren, Badehauben mit Blumengärten aus Gummi – oder hinten heraushängenden falschen Locken – da brauchte ich nicht wie beim Supermarkt weibliches Interesse zu heucheln, das interessierte mich ja wirklich, vielleicht mehr als manche Frau!
In dem Schaufenster mit den Badeanzügen war eine mit Spiegeln umkleidete Säule: ausgezeichnet, um – während ich die Auslagen zu studieren schien – auch die Passanten zu beobachten. Erst kamen zwei junge Mädchen – furchtbar jung, fast noch Kinder – die sich kichernd irgendwas zu erzählen hatten und mich anscheinend darüber völlig übersahen, Dann ein junges Paar – der Mann offenbar völlig mit seiner Begleiterin beschäftigt. Aber der nächste, ein junger Mann in einem Trenchcoat, wandte sogar nocheinmal den Kopf nach mir um, als er schon vorüber war!

War jetzt irgendwas nicht in Ordnung an mir – oder war „zu viel“ in Ordnung?! Ich spürte jetzt doch ein bißchen Nervosität, als der nächste Passant – ein älterer Herr mit einem schlohweißen Bürsten-Schnurbart und einer Hornbrille – mich auch ausgesprochen interessiert musterte: sooo sensationell konnte ja nun eine junge Dame, die sich ein Schaufenster ansah, auch wieder nicht sein?!

Dann kamen zwei altere Damen – Typ Tante Irma – die in der Tat auch vor dem Schaufenster haltmachten (warum, wußte der Himmel – von all den ausgestellten Sachen paßte für sie bestimmt nichts!). Sie unterhielten sich dabei ungeniert – allerdings war nicht festzustellen, worüber: nur „daß es eine Schande sei“ und „man sich ja geradezu genieren müsse”. Meinten sie nun die Modelle im Schaufenster? Anscheinend nicht, denn für die hatten sie zwischendurch lobende Worte – „die Ida hat auch so einen – für Teneriffa jetzt“; oder warfen sie tatsächlich verstohlene Seitenblicke auf mich?!

Aber wieso zum Teufel? Natürlich mochte es nach Meinung solcher Klatschtanten eine Schande sein, wenn ein männliches Wesen in Mädchenkleidung spazierenging – eventuell „genierten sie sich geradezu“, wenn sie so etwas sahen: aber wenn sie keine Röntgenaugen hatten, dann konnten sie doch nicht in den zwei Minuten, die sie mich überhaupt gesehen hatten, bereits endgültig mein wahres Geschlecht festgestellt haben? Sooo unmöglich sah ich doch nun bestimmt nicht aus: da hätte man die hagere Rothaarige vorhin am Lokal weitaus eher für einen verkleideten Mann halten können als mich!

“- auch so eine von denen?” hörte ich die eine der beiden – offenbar etwas lauter als beabsichtigt – noch murmeln, als ich mich kurz entschlossen abwandte und weiter die Straße hinunterzustiefeln begann: ewig konnte ich ja sowieso nicht vor dem Schaufenster stehenbleiben!

Hatten die jetzt mich gemeint? Und wenn ja, in welchem Sinn? „Eine von denen“ deutete ja nicht gerade darauf hin, daß sie mich nicht für ein weibliches Wesen hielten – wenn sich das auf mich bezog: aber „eine von welchen“? Eine von denen, die Regenmäntel trugen? Das war ja keine ”Schande”. Eine von denen, die sich Schaufenster ansahen? Das taten die Tanten, ohne sich zu „genieren“, ja selbst. Also eine von denen, die abends spazierengingen? Das taten die Ollen doch auch – allerdings, ohne dabei von Männern angestarrt zu werden…

Ich war unbewußt immer schneller gegangen und kam jetzt schon in die Nähe der Haltestelle, Dort standen immer noch – in ein tiefsinniges Gespräch mit einem Freund versunken, der sie anscheinend mit dem Fahrrad erwartet hatte, einige halbwüchsige Jungen – erheblich jünger als ich. Als sie mich herankommen sahen, drehte sich der eine um, murmelte den anderen etwas zu, und alle brachen in unterdrücktes Gelächter aus.

Ich brauchte wirklich meine ganzen Nerven, um unbeirrt weiterzugehen – hing mir irgend etwas verkehrtes heraus? War das Kopftuch verrutscht? Oder was fanden diese Jungens an mir so komisch?!

„Hallo – Törner Wald!“ rief einer von ihnen mit kicksender Stimme, worauf die anderen in erneutes Gelächter ausbrachen.

Was zum Teufel war nun das wieder?! Offenbar nichts an mir oder meiner Kleidung: „Törner Wald“ war wahrscheinlich das Waldstück, das da die Straße hinunter auf dem Weg nach Törn lag. Aber was war am Törner Wald so Lustiges – insbesondere in Verbindung mit mir? Beziehungsweise mit einer jungen Dame mit Schirm und Regenmantel, die abends zu einer Autobushaltestelle kam?

Es mißfiel mir irgendwie, noch weiter auf diese albernen Kerle zuzugehen. Aber kehrt machen und gewissermaßen vor ihnen davonlaufen wollte ich natürlich erst recht nicht! Also machte ich eine kühne Schwenkung zur gegenüberliegenden Straßenseite, wo die Bushaltestelle zur Stadt lag.

Was ich dort sollte oder wollte, war mir zwar auch nicht klar – aber zumindest war es eine elegante Art, den Jungens da auszuweichen. Drüben angekommen, fiel mir nichts Besseres ein, als die Tafel mit den Abfahrtszeiten zu studieren: Nicht, daß ich ernstlich Autobus hätte fahren wollen – obwohl die Idee gar nicht so ohne Reiz gewesen wäre – aber was kann man schon an einer Bushaltestelle viel anderes tun als schauen, wann der nächste Bus fährt?

“ ’s is Feier-ooohmt, ‘s is Feier-ooohmt, die AAAhrbeit is vollbracht!“ grölten die Jungens drüben auf einmal im Chor und warfen mir dabei verstohlene Blicke zu.
Wieso hatten die jetzt plötzlich ihren Sinn für schlesische Volkslieder entdeckt?

Jedenfalls hatte ich keine Lust mehr, mich von diesen Spaßvögeln weiter anpflaumen zu lassen! Ich warf noch einmal einen Blick auf die Tafel an der Haltestellensäule – konsultierte dann pantomimisch meine Armbanduhr (in Wirklichkeit hatte ich gar keine um), zuckte die Achseln („Dauert mir zu lange“) und ging davon – wieder in meine alte Richtung zurück.

Dabei versuchte ich, mir einen Raum auf die bisherigen, etwas seltsamen Vorgänge zu machen: Daß jemand Feierabend macht – meinetwegen auch erst um halb zehn Uhr abends – weil er seine Arbeit vollbracht hat, ist ja nun auch nicht so arg spaßig: selbst wenn diese Arbeit irgendwo in der Gegend des Törner Waldes – was immer das im einzelnen sein mochte – stattfand. Auch schändet Arbeit – meinetwegen Schichtarbeit mit Schluß um neun Uhr Abends -nicht und veranlaßt auch niemand, sich zu genieren, wenn er eine solche Arbeiterin sieht.

Es sei denn – und damit begann ein Gefühl ungeheuren Spaßes in mir aufzusteigen – wenn diese Arbeit von einer ganz bestimmten Art ist, die überwiegend von Damen im Freien ausgeübt wird: ich konnte es zwar noch immer nicht recht glauben – aber die hielten mich für eine Nutte! Eine Nutte, die ihre „Schicht“ am Törner Wald – anscheinend ein Begriff für alle (wir hatten zuhause auch so Gegenden am Stadtrand, wo beschäftigungslose Damen am Rain einer Autostraße herumstanden) – beendet hatte und nun, zum Ärgernis der braven Bürger, durch moralisch einwandfreie Straßen heimtrippelte!

Wenn das so war – und anders konnte ich mir diese ganzen seltsamen Reden tatsächlich nicht erklären: dann – ich mußte mich tatsächlich innerlich vor Lachen schütteln – bezweifelten die meine Weiblichkeit keineswegs, sondern dachten vielmehr gerade das Gegenteil! Konnte ich mir einen schöneren Triumph für die „Echtheit“ meiner Aufmachung vorstellen?!

Was mochten die sich denn nun alle nur so im Einzelnen gedacht haben: der junge Mann km Trenchcoat ? Wieviel die wohl für einmal nimmt ? Ob die’s gut kann? Stramme Titten hat sie ja – was die wohl für ’ne Möse hat? Oder der alte Lustmolch mit dem Schnurbart: Ob der überlegt hatte, ob er nicht doch auch mal ’nen Abendspaziergang zum Törner Wald machen sollte? Vielleicht sogar – wegen mir? Und die Klatschtanten: weit entfernt davon, die Wahrheit zu ahnen, hatten die mich „mit dem untrüglichen Instinkt der erfahrenen Frau“ sofort als „eine von denen“ identifiziert! Nein war das köstlich!!

Ganz durchschaute ich allerdings damals die Zusammenhänge doch noch nicht. Der eigentlich springende Punkt an der Sache war nämlich der: durch die Eingemeindung Törns waren die Sperrbezirke, die eine löbliche Stadtverwaltung für die Tätigkeit dieser Damen festgelegt hatte, verschoben worden – mit dem Effekt, daß angestammte Plätze verwaisten und dafür andere, wenn auch zunächst recht illegal und probeweise, ins Geschäft zu kommen begannen. Speziell entlang der Autostraße nach Törn begann sich die Front der Sünde allmählich stadteinwärts zu verschieben – die abends unbelebten Baustellen vor dem Törner Wald boten da so manches verschwiegene Eckchen – so daß die Entrüstung der alten Tanten über das Auftauchen einer kessen Puppe mitten in ihrem Wohnbezirk gar nicht so unverständlich war.

Dagegen gab ich mich ganz dem prickelnden Gefühl hin, das meine Entdeckung in mir auslöste: Ich – eine Nutte ! Keineswegs also eine brave Ehefrau, die heim zu ihrem Mann eilte – im Gegenteil, eine gar nicht brave Stundenfrau, die von (wer weiß wie vielen!) Männern zurückkam! Was die mir so alles zutrauten – da mußte ich doch wirklich höchst naturgetreu aussehen…

In meinen Gedanken hatte ich gar nicht darauf geachtet, wie weit ich inzwischen schon auf der anderen Straßenseite weitergegangen war – ich schreckte erst auf, als ich neben mir überhaupt keine Häuser mehr sah. Ich mußte schon längst an der Einmündung der Straße, die nach Hause führte, vorüber sein!

Ich ging unwillkürlich etwas langsamer, als ich jetzt versuchte, mich wieder zu orientieren: rechts von mir war ein Grasstreifen, und dahinter in einigen Metern Abstand ein Drahtzaun, hinter dem sich irgendwelche nur unklar zu erkennenden Stapel abzeichneten – ein Lagerplatz? Oder schon eine von den Baustellen, die da nach Törn zu lagen? Und links, auf der anderen Straßenseite, lag zwar ein langgestrecktes Gebäude, aber ohne Fenster – eine Art Lagerhalle oder Fabrikgebäude? Jedenfalls ging ich hier entschieden verkehrt! Es war ganz natürlich, daß ich mich jetzt nach links über die Schulter umsah, ob ich eigentlich dort hinter mir irgendwo die Leuchtschrift des „Fichtenhofs“ entdecken könne, an dem ich offenbar in Gedanken vorbeigelaufen sein mußte.

Nur konnte man unglücklicherweise mein langsameres Schlendern und diesen Blick über die Schulter auch völlig anders interpretieren! Das merkte ich allerdings erst, als plötzlich ein Auto, das bisher ganz normal die Straße entlang gefahren war, sein Tempo verlangsamte und scharf rechts an den Gehsteig heranfuhr Jemand kurbelte die Scheibe herunter, und eine gemütliche Männerstimme fragte:
„Na Frolleinchen – wohin denn so alleine?“

Was ich in dem Moment dachte, konnte ich mir auch später nicht mehr ganz zurechtsortieren – aber automatisch beschleunigte ich meine Schritte, starr geradeaus sehend, wieder. Die Idee, die dem zugrundelag, war wohl, dadurch anzudeuten, ich sei keine „von denen“ – sondern vielmehr ein anständiges Mädchen, das es eilig habe, nach Hause zu kommen. Das war soweit schon in Ordnung – nur hatte es einen entscheidenden taktischen Fehler: Ich strebte nämlich in solcher Eile keineswegs den Wohngebieten anständiger Mädchen entgegen – sondern vielmehr dem Törner Wald, dem Revier der weniger anständigen Mädchen!!

Und genau so faßte das der Mann im Auto seinerseits auf: wahrscheinlich auch nicht ganz im Klaren darüber, wo denn nun das „jagdfreie“ Gebiet der Törn Waldnymphen wirklich beginne, unterstellte er wohl in schönem Optimismus, ich wolle bloß noch etwas weitergehen, um dann in Ruhe in nähere Verhandlungen mit ihm eintreten zu können – und fuhr am Straßenrand im Schrittempo hinter mir her!

Ich spürte seinen Blick geradezu im Rücken, während ich mit steifem. Rückgrat weiter so schnell wie möglich die Straße hinuntertrippelte. Dabei wurde mir kühl und schwül zugleich – und das Herz klopfte mir ‚ nicht nur vom schnellen Gehen bis zum Halse: ich war mir jetzt klar darüber, daß ich genau in die verkehrte Richtung lief – aber wenn ich jetzt kehrt gemacht hätte: mußte der Freier im Auto das nicht erst recht für ein Eingehen auf seine Absichten halten? Er fuhr immerhin so weit hinter mir, daß er ohne weiteres Zeit gehabt hätte, dann auch noch einladend die Tür zu öffnen oder gar auszusteigen!

Nach rechts vom Gehsteig konnte ich auch nicht weg – da war nach zwei Metern der blödsinnige Drahtzaun. Die einzige Möglichkeit, die ich sah, war noch die: rasch – und möglichst ohne daß man meine Absicht vorher erkennen konnte – die Straße zu überqueren und dann auf der anderen Seite eilends, am besten sogar in undamenhaftem Laufschritt; wieder in belebtere Gegenden zu gelangen!

Erstens, dachte ich, würde das dem fehlgeleiteten Freudensucher im Auto – unmißverständlicher als jetzt – zu verstehen geben, daß ich nichts mit ihm im Sinn hatte; und selbst wenn er das nicht verstehen sollte oder wollte, hätte er sein Auto erst wenden müssen, um mir auf der anderen Straßenseite und in entgegengesetzter Richtung zu folgen – was ihn jedenfalls (da er aller Voraussicht nach kein waghalsiger Auto-Gangster, sondern ein im Grunde braver Verkehrsteilnehmer war) etliche Zeit aufgehalten hätte: lange genug jedenfalls, um mir einen guten Vorsprung zu sichern.

Was ich bei diesem an sich ganz logischen Plan nicht bedachte, war, daß auch der Mann im Auto sich, während er da die Törner Straße entlangstrebte, seine Gedanken machte: wollte sie nun – oder wollte sie nicht ? So im Schrittempo hinter der enteilenden Schönen herzuzuckeln, war ja wirklich im Grunde albern – jetzt wollte er endlich wissen, woran er war!

Zu diesem Zwecke beschloß er, mich in einem raschen Spurt zu überholen und dann – ein paar Meter vor mir – anzuhalten, um die Sache, gewissermaßen Auge in Auge, endgültig zu klären.

Daß wir beide unsere Pläne genau im gleichen Moment die Tat umsetzten, hätte beinahe zu einer Katastrophe geführt, auf die keiner von uns vorbereitet war: Genau, als der Autofahrer durchstartete, sah er mich plötzlich völlig unerwartet direkt vor seinem Kühler auf die Straße stürzen – und ich sah seine Scheinwerfer wie die feurigen Augen eines gierigen Untiers auf mich losschießen!

Glücklicherweise – denn bremsen hätte er auf die kurze Entfernung kaum mehr rechtzeitig können! – hatte ich die Geistesgegenwart, mich mit einem völlig unmädchenhaften Satz auf die andere Straßenseite zu retten: dort allerdings kam ich mit meinen Gummistiefeln auf dem regenglatten Asphalt hoffnungslos ins Schliddern – und landete der Länge nach im Rinnstein.

Daß bei alledem auch noch ein Hund wie irr angefangen hatte zu kläffen, kam mir erst zum Bewußtsein, als ich – nachdem ich einige lange Sekunden tief atmend auf allen Vieren verharrt hatte, eine sympathische Männerstimme sagen hörte:
„Ruhig, Strupps, verdammt nochmal, ruhig!“ Und dann besorgt:
„Haben Sie – äh – ist Ihnen etwas passiert?!“

Ich hob den Kopf (da ich noch immer auf allen Vieren dalag, muß ich dabei wohl wie eine dressierte Sphinx im Plastikregenmantel ausgesehen haben) und schüttelte ihn schwach. Dann zog ich ein Knie an und versuchte, mich aufzurichten.

„Warten Sie – ich helfe Ihnen!“ Eine kräftige Hand streckte sich mir entgegen, Sie gehörte zu einem jungen Mann in einem blauen Nylonregenmantel, an dessen anderer Hand; mit kurzgefaßter Leine, ein noch immer aufgeregter Foxterrier zappelte.

„Danke – es geht schon!“ hörte ich mich sagen, während ich mich dankbar von dem kräftigen Männerarm emporziehen ließ.

Später wurde mir klar, daß ich in diesem Moment ein Problem gelöst hatte, das mir vorher die schlimmsten Sorgen gemacht hatte: das der Stimme, Ich war fest entschlossen gewesen, unterwegs kein Wort von mir zu geben, um mich nicht durch eine undamenhafte Stimmlage zu verraten – denn der Versuch, mit „hoher“ Stimme zu sprechen, hatte nur ein klägliches Kicksen geliefert; aber in diesem Augenblick war ich noch so durcheinander, daß ich alle guten Vorsätze vergaß und einfach zu reden begann.

Nun sprach ich ganz gewiß nicht im Sopran – aber, wie jedermann am Telefon oder im Radio hören kann, tun eine ganze Menge Mädchen das auch keineswegs, sondern haben eine tiefere, manchmal sogar ausgesprochen jungenshafte Stimme: was ihnen aber nicht die geringsten Sorgen macht, weil sie ja wissen, daß sie Mädchen sind (die Sorgen beginnen erst, wenn man keins ist!). Natürlich sind solche Stimmen trotzdem weich – aber genau die Situation, in der ich meine ersten Worte sagte, entschuldigte jede Heiserkeit oder Rauheit, die jemand vielleicht sonst aufgefallen wäre. So stutzte denn auch mein unerwarteter Helfer keineswegs, sondern war offensichtlich nur erleichtert, daß ich wieder auf den Beinen stand.

Mein erster Griff, als ich jetzt wieder etwas klarer dachte, war allerdings zum Kopftuch: saß das noch richtig? Für meinen Helfer, der ja nichts von meinen speziellen Problemen ahnte, muß es allerdings mehr so ausgesehen haben, als habe sofort die sprichwörtliche weibliche Eitelkeit wieder die Oberhand gewonnen, wie ich da sofort Frisur und Kopfschutz kontrollierte!

„Alles in Ordnung ?“ fragte er, noch immer Besorgnis in der Stimme. Ich nickte – stumm, denn inzwischen war mir das ganze Tonlagenproblem plötzlich siedendheiß wieder bewußt geworden – und versuchte zum Ausgleich ein schüchternes, dankbares Lächeln: wobei ich instinktiv – wenn auch aus den völlig verkehrten Gründen! – genau das tat, was auch jedes echte junge Mädchen in dieser Situation getan hätte.

„Hier – Ihr Schirm“ Er bückte sich und sammelte den noch immer aufgespannten Schirm, den ich beim Sturz losgelassen hatte, aus dem Rinnstein auf.

“Wie ist denn das passiert ?“ fragte er, während er mir den Schirm wieder in die Hand drückte.

Ich schob erst einmal das Band der Umhängetasche, das mir auf den Arm heruntergerutscht war, wieder über die Schulter. Jetzt mußte ich ja – verdammt noch einmal – etwas antworten, wenn ich ihn nicht wirklich stutzig machen wollte. Aber wie? Jetzt hohe Töne zu versuchen, hätte bestimmt eine weitere Katastrophe gegeben!

Er sah mich noch immer fragend an, mein Zögern wohl als Verlegenheit auslegend.

ch faßte einen Entschluß: wenn ich ziemlich tonlos sprach, kam die Tonlage kaum zum Tragen – und so hauchte ich:
„Der Mann – da im Auto – hat mich belästigt – “ (was wiederum, ausversehen, so „rollenecht“ herauskam, daß ich es auch nach langen Proben nicht besser geschafft hätte!)

„Auto ?“ wiederholte er und sah die Straße hinunter, die jetzt menschenleer dalag.

„Der hat sich schnellstens verdrückt!“ stellte er kopfschüttelnd fest. „Man sollte die Kerle doch – „

Er unterbrach sich und sah mich wieder vor ober bis unten an:
„Und Ihnen ist wirklich nichts passiert ?“

Das hatte ich inzwischen auch überprüft: Ich hatte mal wieder mehr Glück als Verstand gehabt. Im Dreck war ich zwar gelandet – aber das ließ sich von Mantel und Handschuhen leicht wieder abwaschen; die Handschuhe hatten auch verhindert, daß ich mir die Hände irgendwie aufgeschunden hätte. Mit dem rechten Schienbein war ich zwar gegen die Bordkante gerammt – aber das hatte wiederum der Regenstiefel aufgefangen –

„Laufmaschen – “ hauchte ich wieder und versuchte dazu erneut ein Lächeln. Es muß entzückend mädchenhaft gewirkt haben.

„Laufmaschen!“ wiederholte mein Retter ernsthaft, als sei dies nun in der Tat eine Mitteilung, die ihn zutiefst erschüttere. Dann gab er sich – selbst für mich spürbar – innerlich einen Ruck und sagte bestimmt: „Ein Mädchen wie Sie sollte wirklich nicht um diese Zeit allein hier herumlaufen! Wenn es Ihnen recht ist, dann begleite ich Sie lieber den Rest des Weges!“

Ich schlug die Augen nieder. Wie werde ich den jetzt bloß wieder los, dachte ich fieberhaft.

„Aber nein – das ist wirklich nicht nötig -“ protestierte ich, aber wegen der verdammten Stimmlage wieder so tonlos, daß man es beim besten Willen nicht ernst nehmen konnte.

Und das tat er denn auch nicht:
“Doch, doch – hier treiben sich neuerdings die seltsamsten Gestalten herum!”

Zum Beispiel Jünglinge in Damenregenmänteln, mußte ich unwillkürlich im Stillen denken!) “Es ist wirklich kein Problem – ich führe sowieso bloß Strupps spazieren! Wohin wollten Sie denn?”

“Also gut -” gab ich nach (ich konnte in diesem Flüsterton ja keine endlosen Dialoge mit ihm halten) “bis zum Fichtenhof – da an der Ecke – von da komme ich dann schon allein weiter -”

Wenn mein Begleite beobachtet hatte, daß ich vorher sehr energisch in die genau entgegengesetzte Richtung gestrebt war – dann überging er das jedenfall jetzt mit Stillschweigen. Er trat galant auf meine linke Seite (ich war ja jetzt eine Dame mit all deren Privilegien!) und wir brachen auf.

Es war irgendwie ein angenehmes Gefühl, als ritterlich beschütztes Mädchen neben einem netten Herrn zu gehen – denn nett war der junge Mann zweifellos: mit einem intelligenten, offenen Gesicht – eher ein bißchen schüchtern als allzu forsch – aber mit einer von Herzen kommenden Hilfsbereitschaft und erstklassigen Manieren. Ganz bestimmt interessierte ihn diese junge Dame, die er da aus dem Rinnstein aufgelesen hatte, verständlicherweise auch – aber statt sie mit den Augen halb auszuziehen, wie der junge Kerl im Trenchcoat vorhin, ging er sittsam neben mir her, seinen Strupps an der Leine, und wandte den Kopf zurückhaltend gerade nur so weit zu mir, wie es erforderlich war, um höfliche Konversation zu machen:

“Das muß ein ganz schöner Schreck für Sie gewesen sein – hat Ihnen denn niemand gesagt, daß man hier neuerdings ein bißchen vorsichtig sein muß, wenn man abends allein spazierengeht?”

Konversation nun war allerdings gerade das, worauf ich keineswegs erpicht war – ich hatte noch immer ständig Angst, daß mir ein falscher Ton herausrutschen könnte – aber nur mit Kopfschütteln und Nicken kan ich ja auch nicht durch! Ich mußte mich eben darauf verlassen, daß er eine unerwartete Rauheit der Stimme noch der soeben zitierten Aufregung zugutehalten würde…

“Ich bin ja nur für ein paar Tage hier zu Besuch!” gab ich kund.

“Dann müssen Sie ja einen schönen Eindruck von unserer Gegend bekommen haben! Sie müssen nämlich wissen – “

Mit vorsichtigen Umschreibungen, um meine (von ihm selbstverständlich unterstellten) keuschen Gefühle nicht zu verletzen, bemühte er sich, mir zu erklären, inwiefern man hier die anständigen Spaziergängerinnen nicht mehr so leicht von den weniger anständigen unterscheiden könne – was ich mir nicht allein der Information halber gern anhörte, sondern auch, weil es mir erlaubte, mit gelegentlichem Nicken, “ach” und “ah so” die Strecke bis zum Fichtenhof zu überbrücken, ohne zu langen Antworten verpflichtet zu sein.

Als wir vor dem Lokal angekommen waren, blieb ich stehen:
“Vielen Dank, das war wirklich sehr nett von Ihnen – “ begann ich mich zu verabschieden – aber da ich in meine hauchzarten Worte überhaupt keinen bestimmten Ton legen konnte, überging mein Begleiter das großzügig:
“Aber das kommt gar nicht in Frage – jetzt will ich auch wissen, daß Sie wohlbehalten zuhause angekommen sind!” erklärte er liebenswürdig, aber nachdrücklich. Ich war nicht ganz überzeugt, daß es nur Pflichtbewußtsein war, das ihn antrieb – zusätzlich wollte er wohl auch gern herausfinden, wo ich wohnte: und genau das wollte ich natürlich nicht!

Aber – ein Mädchen zu sein, ist in solch einem Falle ein schweres Handicap: und erst recht, ein Mädchen zu sein, das sich nicht trauen darf, ein lautes Wort zu sagen!

Ich neigte also ergeben meinen Kopf – und wir gingen weiter. Daß ich jetzt um die Ecke zu biegen beabsichtigt hatte, war leicht zu erraten – also schwenkte er ganz selbstverständlich neben mir in die Seitenstraße ein. Nachträglich wurde mir klar, daß dieses stete hauchzarte Protestieren, gefolgt von sofortigem Nachgeben, typisch wie die Koketterie eines wohlbehüteten “Mädchens aus besseren Kreisen” wirken mußte – etwas unzeitgemäß, aber dafür umso reizvoller! Deshalb wurde mein Begleiter – in seiner zurückhaltenden Art – wahrscheinlich auch immer kühner:

“Dort drüben – “ er zeigte auf den Eingang eines modernen Hauses, “wohne ich übrigens!” Er unterbrach sich: “Oh, verzeihen Sie, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt: Alexander Mertens!” Er hielt dazu tatsächlich inne und machte eine kleine korrekte Verbeugung, die ich mit gnädigem Neigen des Köpfchens und einem herzlichen Lächeln erwiderte – äußerst herzlichem Lächeln, um mich dadurch der Verpflichtung zu entziehen, nun auch meinerseits irgendeinen verzweifelt ausgedachten Namen (“Lieselotte Schwanenhals”? “Lieselotte Gänseschmalz”?) zu nennen.

Natürlich hatte dieses Lächeln unvermeidliche Folgen:
“Und wenn Sie wieder einmal abends allein über die Törner Straße müssen – dann klingeln Sie einfach im Vorbeigehen: und in einer Minute bin ich unten!” Das schien ihm jetzt nachträglich doch etwas zu kühn vorzukommen: “Mit Anstandswauwau natürlich!” fügte er rasch hinzu und wies mit einem fast verlegenen Lächeln auf den Terrier Strupps.

Dieser Herr Mertens war wirklich ein netter Kerl – und hätte in der Tat, dachte ich, etwas besseres verdient als ausgerechnet eine Mogelpackung wie mich! Das Lächeln, mit dem ich seine Worte – wiederum in gezielter Stummheit – beantwortete, war durchaus ehrlich gemeint: und so faßte er es, wie sich später herausstellen sollte, auch auf…

Jetzt waren wir an der Ecke meiner Straße angelangt.

“Also dann – “ versuchte ich aufs Neue, loszukommen.

“Aber – die paar Schritte bringe ich Sie nun auch noch!” schnitt er mir mit einem Ton, der gerade wegen seiner Herzlichkeit keinen Widerspruch zuließ, das Wort ab. Ich ergab mich in mein Schicksal: was machte es schließlich aus, wenn Herr Alexander Mertens, der bestimmt nichts mit Tante Irma und Onkel Anton zu tun hatte, sah, in welches Haus ich ging! In ein paar Tagen war ich – das hatte ich ihm ja ausdrücklich gesagt – sowieso wieder weg.

In bester Tanzstundenmanier brachte er mich bis zur Haustür. Ich überlegte den ganzen Rest des Weges, was ich ihm zum Abschied noch Nettes sagen könnte – aber mehr als:
“Und noch einmal – vielen Dank!” (plus liebem Lächeln) brachte ich nicht zusammen.

“Aber – das war doch selbstverständlich!”
Er verbeugte sich nocheinmal korrekt – blieb aber eisern auf der Straße stehen, bis ich meinen Schlüssel aus der Tasche gefingert und die Tür aufgeschlossen hatte.

Ich fühlte mich verpflichtet, ihm in Hineingehen nocheinmal – wie Queen Elisabeth – zuzuwinken: dann schloß sich die Tür hinter mir, und ich holte tief Luft.

Seitdem der Mann im Auto mich angesprochen hatte, hatten sich die Ereignisse so überstürzt – hatte ich dauernd irgendein aktuelles Problem bewältigen müssen – daß ich die Hauptsache überhaupt nicht mit Verstand genossen hatte:
Als Mädchen war ich ein durchschlagender Erfolg.

Nicht nur, daß mich die verschiedensten Leute einem Beruf zugeordnet hatten, der weiß Gott typisch weiblich war: Wenigstens ein Mann war sogar offensichtlich willens gewesen, Zeit und Geld zu opfern, um von mir solche typisch weiblichen Leistungen einzutauschen – und ein zweiter hatte mich, obwohl er mich mitten aus dem Rinnstein aufgelesen hatte, mit allen Ehren als schutzbedürftiges Weib behandelt (und, das wurde mir jetzt erst richtig klar, in seiner zurückhaltenden Art einen regelrechten Flirt mit mir begonnen!).

Ich schaltete das Dielenlicht an und trat vor den Spiegel:
Ja – ich sah aber auch reizend aus. Die frische Luft hatte meine Wangen unter dem Puder noch ein wenig gerötet, die Stirnlocke war jetzt richtig ungezwungen zerzaust, auf dem glatten schimmernden Plastikstoff von Kopftuch und Mantel glänzten ein paar Regentropfen, der Stoff straffte sich keß über den wohlgerundeten Brüsten – und wenn ich jetzt mit den vollen roten Lippen einmal so in den Spiegel lächelte, wie ich Herrn Alexander vorhin angelächelt hatte: dann hatte ich selbst Lust, dieses hübsche Mädel mitten auf den appetitlichen Mund zu küssen!

Ob ich das hätte tun sollen: Einen schnellen, unerwarteten Abschiedskuß für den selbstlosen Retter – und dann rasch ins Haus laufen?

Oder – ich schaute nochmal kritisch in den Spiegel – wie wäre denn so ein richtiger langer, schöner Abschiedskuß gewesen? Einer, bei dem er seinen Arm leicht – oder auch fest? – um meine Taille gelegt hätte, bei dem ich den Kopf in den Nacken zurückgelehnt und meine Brüstchen an seine Brust geschmiegt hätte?

Oder — wenn ich jetzt dem Mann im Auto nicht entkommen wäre? Wenn der jetzt tatsächlich vor mir am Straßenrand gehalten und mich in seinen Wagen gezogen hätte – um mit fiebrigen Händen an meinen Armen, meinen Schultern, meinen Brüsten herumzufummeln, die sich da so aufreizend unter dem Mantel abzeichneten? Aber was – ganz woandershin hätte der gegriffen: hier zwischen die Beine, wo Mantel und Rock hochgerutscht wären, um das weiße Fleisch über den Strumpfrändern an meinen Oberschenkeln freizugeben –

Wenn mir vorhin kühl und schwül zugleich geworden war – jetzt wurde mir heiß und schwindlig. Wie benommen ließ ich den Mantel, den ich bis zu den Hüften hochgeschoben hatte, wieder heruntergleiten und ging zwei schwankende Schritte bis zum Fuß der Treppe – preßte meine Schenkel von rechts und links gegen den Pfosten des Treppengeländers, rieb den vorgewölbten Unterleib kreisend am Pfosten, während ich mit der Rechten die stramme Kugel der linken Brust unter dem glatten Mantelstoff streichelte – spürte einen heißen Schauer nach dem anderen über den Rücken hinunterlaufen, bis er kühl in meinen Hoden prickelte – unter dem Plastikkopftuch dröhnte es mir in den Ohren, Lichter tanzten vor meinen geschlossenen Augen – ohne sie zu öffnen, zog ich mich am Treppengeländer hoch, tänzelte Stufe um Stufe nach oben, während ich spürte, wie mein Glied, heiß und prall angeschwollen, den seidenen Schlüpfer spannte, Rock und Mantel hob, die es bei jedem Schritt streichelten und umschmeichelten – ich spürte plötzlich keine Stufe unter den Füßen mehr, riß die Augen wieder auf und taumelte hinüber zur Tür des Mädchenzimmers, riß sie auf und ließ mich stöhnend, erleichtert vornüber auf das Bett fallen, mit beiden Händen die strammen falschen Brüste umspannend.

„Frolleinchen – “ (Frolleinchen … !) „wohin denn so alleine ?!“ wiederholte ich genußvoll und wühlte mich tiefer in die weichen Kissen. „Eine von denen—!“ zischelte die Stimme der Klatschtante lüstern, „eine – von – denen!“ – „ein Mädchen wie Sie -“ klang Alexander Mertens Stimme mit sanftem Vorwurf, “ sollte wirklich nicht alleine hier herumlaufen!“ – alleine – wohin denn so alleine, Frolleinchen – Frolleinchen – Mädchen – ein Mädchen wie Sie! – (ein Mädchen wie i c h!) – ein Frol – lein – chen – !

Wohlig zog ich die Beine an und schob mich – mit dem glatten Mantel rutschte ich leicht wie ein Schlitten über das Federbett – mit vollem Leib auf das Lager, dessen stramme Daunenkissen sich um meinen Körper schmiegten. Beim Vornüberfallen hatte sich mein Glied, das unter Rock und Schlüpfer steil emporgestiegen war, platt zwischen Bauch und Kissen gepreßt – jetzt drückte es heiß und klopfend wie ein Stück fremden Fleischs gegen die kühlere Haut meines Unterleibs unter der dünnen Mädchenwäsche, die es bei jeder Bewegung gleitend umstreichelte – ich streckte die Beine lang aus und rutschte dabei ein Stück nach oben über das Daunenbett – spreizte die Knie auseinander und packte mit den Oberschenkeln das üppige Kissen, preßte es zwischen die glatten Seidenstrümpfe – rutschte dabei wieder ein Stück< nach unten – streckte die Beine, ohne das Kissen loszulassen -glitt auf meinem glatten Mantel wie auf Öl über die schwellenden Polster –
„Frol – lein – chen – wo – hin – denn – so – al – lei – ne – ! – “ kicherte ich im Rhythmus des Auf- und Abgleitens in mich hinein und knetete im gleichen Takt die weichen Kugeln unter dem glatten Plastik – „Frol – lein – chen – du – Klei – ne – wo – hin – so – al – lei – ne – ? “ keuchte ich und hielt wieder – schwer atmend – inne, während mir ein süßer Schauer nach dem anderen über den ganzen Leib jagte, von den Zehenspitzen in den engen Gummistiefeln bis zum Nackenwirbel unter dem glatten Kopftuch, in dem mein Kopf, zur Seite gelegt, über das Kopfkissen geglitten war, als streichle mit jemand die Wange. Langsam verebbte der letzte kühle Schauder, wieder spürte ich die pulsierende Hitze in meinem Glied unter dem flachgepreßten Bauch klopfen- genau wie mein Herz schlug und mein Atem ging, das Blut in meinen Ohren dröhnte und goldene Schleier vor meinen Augen wogten…

Ich wälzte mich etwas auf die Seite und zerrte mit den Zähnen erst den einen Handschuh von meinen Fingern, dann den anderen. In den bloßen Händen lagen die falschen Brüste unter dem glatten Plastik des Mantels wie kühles, nacktes Fleisch gegen meine Handflächen. „Glat-te-Tit-ten-Wat-te-Tit-ten-die-glatt-glit-ten- “ begann ein neuer Rhythmus in meinem Kopf zu hämmern, während meine Hände über die glatten Kugeln zuckten – „net-te-Tit-ten-Nut-ten-tit-ten-Tit-ten-ei-nes-Trans-ves-ti-ten-“ und mein Leib begann im gleichen Takt mit zu wippen – „-und-die-net-te-Nut-te-hat-te-glit-sche-glat-te-Tül-len-tit-ten-toll-aus-Wat-te-“ und dann hörten die Worte auf, aber mein Körper ruckte immer weiter in dem aufreizenden kurzen Rammeltakt über das Kissen – das Bett knarrte bei jedem Ruck mit -aber ich konnte nicht mehr aufhören, als sei ein toller Motor in meinen Hüften — ! — ! — ! — ! — !

Und dann – ohne daß der Ruckeltakt aufhörte, er lief wie der Rhythmus einer Musikstücks weiter – floß plötzlich eine köstliche, sanfte Woge wohliger Wärme über mich hin – breitete sich aus, verrann – aber da kam schon die nächste, noch höher, noch schöner – ich riß den einen Arm hoch und preßte das kühle Plastiktuch des Ärmels, unter dem straff und weich das Fleisch meines Oberarms zu spüren war, in den aufgerissenen Mund – saugte mit hungrigen Lippen die kühle Rundung in mich hinein, spürte die Glätte des Mantels wie eine Liebkosung auf meiner Zunge – und dann hörte ichlich ganz nahe an meinem Ohr eine Stimme sagen: „Komm – Liebste – wir wollen ficken!“

Und in einer dröhnenden Woge von Gold und Wärme und Süße begann die Welt um mich zu versinken, während ich spürte, wie ein heißer öliger Strom aus meinem schwellenden Glied schoß …

Danach lag ich noch endlose Zeit auf dem Bett: ohne Gedanken – ohne mich zu rühren – leer und doch noch voll von den Gefühlen, den Sinnenreizen, die ich Herzschlag für Herzschlag immer wieder nachzuerleben schien – ohne Anstrengung, mich bewußt an irgendetwas zu erinnern: nur so, wie sie von selbst in meinen Gliedern, meinen Nervenenden, meinem Fleisch nachzuklingen schienen – – –

Endlich spürte ich das Glitschige, Klebrige an meinem Leib doch so stark, daß ich mich – widerwillig und fast noch verschlafen -auf den Rücken wälzte. Langsam erwachte ich wie aus einem Traum. Gab es das ? Konnte der Leib eines Menschen wirklich all diese irren, süßen, unfaßbaren Dinge empfinden ? M e i n Leib?
Langsam löste ich meine Hand von der Brust, die sie immer noch zärtlich umschloß, und ließ sie langsam über den kühlen Plastikstoff des Mantels nach unten gleiten. Nicht mein Leib — dieser fremde, glattgepanzerte Mädchenleib, in den ich ihn verwandelt hatte, war es gewesen, der all das empfinden konnte!
Jetzt verstand ich auch, warum ich immer den. Drang gehabt hatte, diese zauberhafte Verwandlung zu vollziehen!

Noch immer halb in dem Erlebnis der vergangenen Stunde befangen, setzte ich mich auf und schwang langsam die Beine vom Bett. Mir war noch ein bißchen ’schwindlig – aber nach ein paar Sekunden erhob ich mich doch und tastete mich durch das dunkle Zimmer zum Lichtschalter neben der Tür.

Die Helligkeit ließ mich mit den Augen blinken – aber dann begrüßte mich aus dem Spiegel über dem Waschbecken gleich wieder das nun schon vertraute hübsche Mädchenantlitz; zwar auch ein wenig unordentlich, das Kopftuch schief gerutscht , der Lippenstift verschmiert – aber mit blitzenden Augen, geröteten Wangen und von einem warmen, glücklichen Lächeln umspielt.

„Das war etwas – was ?!“ sagte ich laut zu meinem Spiegelbild.

Die banalen Worte brachten mich wieder richtig auf die Erde zurück. Ich warf einen Blick auf das zerwühlte Bett: das sah ja schön aus! In meinem Rausch hatte ich natürlich mit keinem Gedanken mehr an meinen Sturz in den Rinnstein gedacht – und jetzt war das frische weiße Bettzeug mit dem, sorgfältig einmassierten, Straßendreck von Mantel und Stiefeln von oben bis unten verschmiert; auf dem Kopfkissen zeigten sich dafür rosafarbene und knallrote Schmierer von Puder und Lippenstift!

Mit mir selbst sah es auch nicht um soviel besser aus: Kopftuch und Mantelärmel klebten mir vor Schweiß auf der Haut – und von meinem Bauch kleckerte jetzt, wo ich stand, kaltes Sperma auf die Oberschenkel herunter.

Merkwürdigerweise ernüchterte oder bedrückte mich das alles gar nicht: Ich konnte mich nicht erinnern, mich jemals so wohl gefühlt zu haben! Gutgelaunt und kopfschüttelnd ging ich daran, die Folgen meiner Orgie – jetzt konnte ich mir etwas unter den Worten „orgiastische Kulte“ vorstellen! – wieder zu beseitigen:
Mantel und Kopftuch warf ich erstmal, nachdem ich sie ausgezogen hatte, über den Stuhl neben dem Bett. Das Kleid, unter dem Mantel zwar etwas verdrückt und mit zwei großen Schweißflecken unterAchseln, hatte wenigstens keinen Saft abbekommen – ich zog es, nachdem ich Reißverschluß und Knöpfe weit geöffnet hatte, vorsichtig über den Kopf und hängte es gleich auf seinen Bügel.

Beim Unterrock hatte ich (wie so oft an diesem denkwürdigen Abend) wieder mal mehr Glück als Verstand gehabt: Offenbar war mein Glied so gut in den Schlüpfer eingepackt gewesen, daß nur ein wenig Feuchtigkeit, aber kein Schmierfleck auf den glänzenden Satin gekommen war. Schlimm allerdings sahen Hemdchen und Höschen aus: ich weichte sie gleich, als ich sie vom Leibe hatte, im Waschbecken mit etwas warmem Wasser ein und versuchte, mit Toilettenseife und einer Nagelbürste die stickigen Flecken herauszubekommen. Glücklicherweise hatte aber das Hemd wieder den Hüftgürtel geschützt, so daß ich nur mit einem Waschlappen das entfernen mußte, was mir die Oberschenkel hinunter bis zu den Strumpfrändern gelaufen war. Mein Glied wusch ich auch gleich mit Seifenschaum ab – es fühlte sich ganz wohlig an, die glatte Eichel mit dem weißen Schaum zu massieren, aber es war kein Vergleich zu dem völlig aus dieser Welt entrückten Erlebnis vorhin! – und trocknete alles mit einem Frottierhandtuch nach, ohne Strümpfe und Hüfthalter abzulegen.

Das nasse Hemdchen und Höschen hängte ich neben dem Handtuch über die Stange — sollte es bis morgen früh wieder trocken werden! — und sah nochmal in den Spiegel: nein, Lippenrot und Puder blieben drauf — das Kopfkissen war einmal verschmiert.

Ich ging zum Schrank und holte das rosa Nachthemd heraus, schlüpfte hinein – die geraffte Brust modellierte sich hübsch über meinem Wattebusen – setzte mich auf die Bettkante und zog endlich die Stiefel aus. Jetzt war es doch ganz angenehm, die Zehen wieder spreizen und bewegen zu können – und einen blauen Fleck hatte ich auch am Schienbein, wo ich gegen die Bordkante geprallt war …

Ich stand nocheinmal auf, löschte das Licht und kuschelte mich dann wohlig unter die Kissen: saubermachen würde ich das alles morgen!

Die glatte Seide des Nachthemds fühlte sich angenehm über den Seidenstrümpfen an meinen Beinen an, als ich mich mit angezogenen Schenkeln auf die Seite drehte und wieder mit der Hand die kugelige Wölbung an meiner Brust umschloß.

Eines stand jedenfalls fest für mich, als ich das Daunenbett über meine nackten Schultern zog und langsam in den Schlaf hinüberdämmerte: keine Minute der kommenden zehn Tage wollte ich anders als in diesen entzückenden, berückenden, streichelnden, schmeichelnden Mädchenkleidern verbringen !

Drittes Kapitel: Geometrische Progression

“Er dachte nicht dran, irgendwie sexuell‘ anzubandeln
doch nachher begann es ihn bisexuell anzuwandeln:
es rührt sich in ihm etwas Weibliches schrill
das etwas ganz Unbeschreibliches will…“

Dem Wortlaut nach wurde ich diesem Gelübde schon am nächsten Tage untreu: denn am späten Vormittag saß ich – in konventioneller Männerkleidung – im Autobus, der in die Stadt fuhr; aber da ich darunter, bis auf den Unterrock, völlig in Damenwäsche – selbst Strümpfe und den, freilich inhaltsleeren, Büstenhalter – gehüllt war, fühlte ich mich fast genau so wohl.

Ein ungeheures Wohlbehagen, das bei jedem Gedanken an jede Einzelheit der vergangenen Nacht in mir aufstieg, war überhaupt das Grundmotiv dieses ganzen Tages gewesen; zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich durch und durch alles getan, was ich wollte – und Minute für Minute war ich dafür mit neuen, ungeahnt erregenden Erlebnissen belohnt worden!

Selbst die aufregenden Augenblicke vor dem Auto des unerwarteten Freiers waren jetzt, in der Rückschau, abenteuerlicher und spannender als alle erdichteten Erlebnisse des schönen Conny mit seinen sowieso etwas nach Papier riechenden Brillantenkolliers und Safe-knackereien: sollte mir erst einmal jemand nachmachen, aus einem simplen Abendspaziergang im Regen soviel an aufregenden Erlebnissen herauszuholen, wie ich es schon am ersten Abend geschafft hatte! Die ganze Welt sah plötzlich, selbst im trivialsten Detail, faszinierend anders aus, wenn man sie durch die Augen eines Mädchens (oder noch exakter, durch die Augen eines als Mädchen Verkleideten!) ansehen konnte!

Schon das Aufwachen am Morgen war ungewohnt und herrlich gewesen: nach tiefem, erquickendem Schlaf, an dessen Träume ich mich nur noch unscharf erinnerte – ein Detail nur, isoliert und unverständlich, aber gerade deshalb Anregung zu faszinierenden Spekulationen, war mir im Gedächtnis geblieben: Irgendwer hatte sich mir mit einer rosafarbenen Visitenkarte als „Contessa die Rimini“ vorgestellt, (aber wer? Ich konnte mich beim besten Willen nicht mehr erinnern!) – aus solch erholsamem Schlaf also zu erwachen und als erstes die schmeichelnde Seide eines Damennachthemds zu spüren – sich wohlig in ihr zu dehnen und an den Beinen das unbeschreibliche Gefühl von über Seide gleitender Seide zu genießen: was konnte sich – als Beginn eines Tages – damit vergleichen ?!

Dann: ein langes, genußvolles Bad in Tante Irmas Luxus-Badezimmer – und anschließend wieder das festliche Anlagen hübscher Wäsche aus Fräulein Lieselottes Schrank – darüber, das war nun eine neue lohnende Idee gewesen, ein seidener, bestickter Morgenrock aus Tante Irmas Schränken (bei solch einem losen Gewand störte es kaum, daß sie eine um ein rundes Dutzend größere Kleidernummer hatte!) – und dann ein luxuriöses Frühstück mit knusprigen, vorsichtig durch den Türspalt hereingeholten Brötchen, duftendem Bohnenkaffee und dreierlei Marmelade, zu dem ich es mir nicht nehmen ließ, mich in dem rotseidenen Kimono in die tiefen Polstersessel des Wohnzimmers zu lümmeln und mich dabei als „Hausherrin“ zu fühlen.

Dann allerdings hatte der „Ernst des Lebens“ begonnen: Nachdem ich eine Kittelschürze aus Fräulein Lieselottes Schrank übergeworfen hatte, zog ich erst einmal das Bett ab – sein Überzug sah aus wie ein Schaustück aus einer Waschpulver-Reklame „… und nun wollen wir testen, ob auch diese stark verschmutzte Wäsche …“! – und ich machte mich daran, die Waschmöglichkeiten des Hauses zu explorieren.

Im Keller gab es eine vollautomatische Waschmaschine, alle nötigen Waschmittel und – als Zusatz-Überraschung – ein geblümte Gummischürze, die ich natürlich als erstes einmal umband: sie raschelte fast so angenehm um die Oberschenkel wie der Mantel gestern abend – und straffte sich, wenn man die Gummiband-Träger richtig anzog, auch ähnlich wirkungsvoll über der Brust (obwohl ich da – gegenüber der jetzigen Watte – noch große Verbesserungsmöglichkeiten sah!).
Dergestalt als Hausfrau uniformiert, widmete ich mich sachlich dem Studium der „Waschprogramme“, die bemerkenswert übersichtlich auf einer Klappe der Maschine angegeben waren – und als ich diese Informationen noch durch die Anpreisungen auf den Packungen ergänzt hatte, fühlte ich mich technisch in der Lage, von Bettwäsche bis zu spinnwebzarten Spitzen so ziemlich alles auf der Welt farbschonend, ohne Grauschleier und – soweit möglich – blendend-strahlend weiß zu waschen.

Nachdem die Maschine rumpelnd in einen der mehreren von mir als zweckmäßig erachteten Vorwaschgänge eingetreten war, ließ ich mich – in einem neuen Anfall hausfraulichen Pflichtbewußtseins – in der Diele nieder, um auf dem Notizblock neben dem Telefon eine Liste all der Verrichtungen aufzustellen, die ich (trotz aller privaten Pläne) offenbar nicht vernachlässigen durfte, wenn ich meine hundert Mark für die zehn Tage ehrlich verdienen wollte. Zwischendurch schielte ich allerdings immer wieder einmal zum Dielenspiegel hinüber und freute mich über den Anblick der jungen Hausfrau in ihrem blauen Kittelschürzchen mit der tomatenroten Gummischürze, dem karierten Kopftuch und den roten Lippen.

Ärgerlich fand ich es freilich, daß ich auch im Haus mit einem Kopftuch herumlaufen mußte – zumal mir das im Nacken gebundene Tuch nicht ganz so gut gefiel wie das unter dem Kinn geknotete von gestern! Und – wenn ich wirklich kritisch vor den Spiegel trat und mein Gesicht genau besah: mit dem make-up ließ sich offensichtlich auch noch mehr tun als jetzt! Man müßte bloß genau wissen, was – und wie!

Kurz entschlossen kehrte ich zu meiner Liste zurück und setzte fein säuberlich all das in Klammern, was ich heute jedenfalls nicht tun wollte — um Zeit zu gewinnen, einen Einkaufsbummel in der Stadt zu machen. Ebenso radikal beschloß ich, die zwanzig Mark „Reserve“, die ich gestern bei den Bierkästen eingespart hatte (heute hätte der Biermann klingeln sollen – dann hätte ich ihn stilecht empfangen können!), auf das Konto „Schönheit und Körperpflege“ zu transferieren.

Der dritte Entschluß fiel mir schwerer – aber nüchtern betrachtet gab es da keine andere Wahl: diese Einkäufe konnte ich nicht in Mädchenkleidern machen. Erstens war ich mir noch nicht so ganz sicher, ob ich mir bei Tageslicht all das leisten konnte, was gestern bei Laternenschein durchgegangen war – zweitens regnete es nicht, so daß ich kein rechtes Motiv für Regenmantel und vor allem Regenkopftuch gehabt hätte – und drittens gab es vor allem bei so einem Einkauf so viel zu fragen und zu verhandeln, daß ich lieber ohne ständige Stimm-Probleme auftreten wollte.

Ich probierte noch einmal – mit Sprechen, Flüstern, Singen und Kreischen – alle Möglichkeiten durch und kam zu dem Ergebnis: Flüstern und tonlos sprechen konnte ich natürlich. Andererseits gelang mir auch ein – meiner Meinung nach zumindest – recht naturechtes Quieken und Kreischen im höchsten Sopran: doch das war nur für Sonderfälle – etwa beim Anblick einer Maus oder falls ich mal tun Hilfe rufen müßte! – geeignet. Singen konnte ich – auf einer oben und unten zu kurzen Tonleiter – etwa so eindrucksvoll wie ein Schuljunge im Stimmbruch, was mir in jeder Beziehung wenig nützte: dennoch nahm ich die Gelegenheit wahr, auf diese Weise irgendwelche Schlager zu „trällern“, während ich mich ums Blumengießen und ähnliche , unaufschiebbare Hausarbeiten kümmerte – man konnte nie wissen, wofür es gut war (später stellte ich fest, wofür: um einen schmerzenden Hals zu bekommen).

Das Problem war und blieb das normale Sprechen. Echt in eine höhere Tonlage konnte ich es nicht transferieren, ohne in einen ausgesprochen komisch wirkenden Charleys-Tanten-Alt mit gelegentlichem totalem Stimmausfall zu geraten: aussichtslos! Andererseits war es möglich, normal – mit nur ganz wenig angehobener Tonlage – ziemlich scharf auf der Grenze zwischen „männlich“ und „weiblich“ zu sprechen: und es gab sogar Schauspielerinnen und Sängerinnen, die in einer solchen Stimmlage ausgesprochen „sexy“ wirkten! Nur hatten die natürlich den entscheidenden Vorteil, daß von vornherein niemand an ihrem weiblichen Geschlecht zweifelte …

Also führte alles auf das ursprüngliche Problem zurück: wenn ich sonst in jedem Detail überzeugend wie ein Mädchen wirkte, konnte ich es wahrscheinlich auch riskieren, zu sprechen – wie der gestrige Abend ja schließlich bewiesen hatte. Aber mit diesen Details haperte es – genau besehen – noch an allen Ecken und Enden; und deshalb mußte ich, gerade um hier etwas in Ordnung zu bringen, schweren Herzens nocheinmal für meinen Einkaufsgang in Männerkleider zurück.

Als ich mich umzog und zugleich das Mädchenzimmer noch etwas aufräumte, machte ich zufällig eine neue Entdeckung, deren Tragweite ich – in jeder Beziehung – allerdings erst später erkennen sollte: unten in Fräulein Lieselottes Nachttisch lag ein Stoß billiger Heftromane – „Bedrohtes Glück“, „Lindas Geheimnis“, „Um eine Grafenkrone“ und so weiter – die mich, bei aller Liebe zum Mädchendasein, bisher herzlich wenig interessiert hatten. Aber vielleicht war doch irgendein Krimi darunter, den ich auf der langweiligen Busfahrt als Lektüre mitnehmen konnte ? Den fand ich zwar nicht – dafür aber ein nicht besonders geschickt mit einem Umschlag aus Zeitungspapier versehenes, broschiertes Buch, das sich beim Aufschlagen als das „Kama-sutra – das Lehrbuch der indischen Liebeskunst“ entpuppte.

Dem Inhaltsverzeichnis nach war es so unterschiedlichen Themen wie „den vierundsechzig Künsten“ (nicht etwa Liebeskünsten, sondern unter anderem „Tätowieren“, „Chemie und Mineralogie“ oder „die Kunst, Menschen zu verkleiden oder ihr Aussehen zu ändern“ – darüber hätte mehr drinstehen dürfen! -, „den verschiedenen Arten, Frauen zu schlagen, und den dies begleitenden Lauten“ oder „dem Benehmen eines Mannes, der mehrere Frauen sein eigen nennt“ gewidmet. Ich konnte mir zunächst nicht recht vorstellen, daß es die Erwartungen Fräulein Lieselottes – was immer sie im Einzelnen gewesen sein mochten – erfüllt hatte: aber als Autobus-Lektüre war es vielleicht doch noch interessanter als „Lindas Geheimnis“.

Auch für mich erwies sich das Kamasutra zwar als interessant (begann es doch mit einem philosophischen Dialog zwischen Meister und Schüler über die Grundlagen des Glückes auf dieser Erde), doch die nerventötende Pedanterie des alten Vatsyayana – etwa im Stile von „spreitzt jedoch die Frau, während sie den Mann auf die rechte Backe küßt, den linken kleinen Finger ab, so nennt man dies ‚dea Kuß mit abgespreitztem linken kleinen Finger‘ “ – verhinderte nachhaltig, daß mich der Text irgendwie unziemlich erregte; bis er mir völlig unerwartet – ausgerechnet unter dem unwahrscheinlichen Titel „Auparishtaka“! – einen echten Schlag unter die Gürtellinie versetzte. „Es gibt zwei Sorten von Eunuchen oder Hermaphroditen -“ stellte er gleich im ersten Satz wie selbstverständlich fest, „die einen, welche die Rolle von Männern wählen, und die anderen, die es bevorzugen, sich als Frauen zu verkleiden.“ Mit steigender Erregung las ich weiter: „Die Eunuchen, die sich als Frauen kleiden, ahmen das schöne Geschlecht in jeder Weise nach, in Kleidung, Sprache, Manieren, Freundlichkeit, Schüchternheit, Sanftheit und Bescheidenheit – und die höchste Erfüllung der Liebe, welche Frauen in den sanften Tiefen der Yoni empfangen, bewillkommnen diese Eunuchen in ihrem Munde. Dies – “ natürlich wieder die unvermeidliche Klassifizierungssucht des ollen Inders! – „nennt man Auparishtaka,“ Es ging noch weiter: „Diese ‚weiblichen‘ Eunuchen – “ zum Teufel mit seinen ‚Eunuchen‘! – „empfinden beim Geschlechtsverkehr im Munde sinnliche Erregung , und verdienen zugleich auf diese Weise einen angenehmen Lebensunterhalt, und sie führen das Leben von Kurtisanen.“

Ich las gespannt noch ein paar Absätze weiter – doch da verlor er sich wieder in technisch detaillierte Gebrauchsanweisungen und Klassifikationen (“die siebte Stufe nennt man das Essen des Mangos”) und schließlich sogar in einen Gelehrtenstreit darüber, welche Gesellschaftsschichten miteinander „Auparaishtaka“ treiben dürften (zwischen Mann und Frau natürlich) und ob dies dem Essen von Hundefleisch gleichzusetzen sei – Fragen, die mich nicht mehr im geringsten interessierten!

Wenn ich einmal annahm, daß „Eunuchen“ nicht – wie ich das bisher wußte – „kastrierte Männer“ bedeutete, sondern ein Übersetzerfehler war (und darauf schien mir die Gleichsetzung von „Eunuchen“ und „Hermaphroditen“ verdammt hinzudeuten!): dann gab es da also im alten Indien irgendwelche Männer (ob nun mit oder ohne Hoden), die zunächst einmal eine ähnliche Neigung gehabt zu haben schienen wie ich – nämlich. Frauenkleider anzuziehen. Das konnte ich ihnen nachfühlen, denn die indische Frauenkleidung, den „Sari“ nannte man sie wohl, fand ich ausgesprochen hübsch. Und daß diese Sari-Männer dann auch in Sprache und Manieren das schöne Geschlecht nachahmten, war eigentlich die selbstverständliche Konsequenz.

Was mich daran erschütterte, war zweierlei: erstens, daß der alte Inder von diesen Menschen wie von einer ganz normalen Gesellschaftsklasse – Brahminen, Kshatrias oder Vaishyas – redete, ohne in irgendwelche Entrüstung auszubrechen und die Flüche irgendwelcher Gottheiten auf solche Widernatürlichkeit herabzubeschwören.

Und zweitens, daß diese nachgemachten Frauen offenbar den Mund als Yoni benutzten und damit “das angenehme Leben von Kurtisanen“ führten.

Die wären also – dachte ich unwillkürlich sofort – gestern abend am Auto nicht davongelaufen. Im Gegenteil: die hätten sich mit „Auparishtaka“ einen schönen Abend gemacht und dafür noch Geld kassiert!

Aber die Frage, der ich kaum ausweichen konnte, war: wie stand es in dieser Beziehung nun eigentlich um mich?!

In der Vergangenheit war es mir gelungen, die zwei Themen „Frauenkleidung“ und „Geschlechtsverkehr“ in wasserdicht getrennte Abteilen aufzubewahren: da gab es natürlich – wie ich aus flüchtig gehörten Bemerkungen oder gelegentlichen, zurückhaltend umschreibenden Zeitungsberichten wußte – „abartig veranlagte“ Individuen, „warme Brüder“ oder „Schwule“, die als Männer Männer „liebten“; aber wie sie das eigentlich machten, darauf wies bloß der Ausdruck „Arschficker“ hin: eine bei dem Mangel an sonstigen geeigneten Öffnungen verständliche, aber für mein Gefühl doch ziemlich unappetitliche Methode, der ich keinen besonderen Reiz abgewinnen konnte. Zudem schienen diese Homosexuellen aber in der Mehrzahl überhaupt kein Interesse für Frauenkleider zu haben – im Gegenteil von Muskeln, „griechischen Jünglingskörpern“ und „schönen Knaben“ (was immer das im einzelnen bedeuten mochte) zu schwärmen.

Man konnte — hatte ich bisher geglaubt – von der Idee, sich wie ein Mädchen zu kleiden, fasziniert sein, ohne das Geringste mit diesen Männern zu tun zu haben. Daß man sich allerdings bereits nicht mehr in Mädchenkleidung auf die Straße wagen konnte, ohne unerwartet rasch mit dem Problem erotischer Kontakte konfrontiert zu werden – das hatte mir der gestrige Abend ziemlich handgreiflich bewiesen. Und nun meinte der alte Herr Vatsyayana – gerade wegen seiner Pedanterie eine Autorität, die man nicht leichthin beiseiteschieben konnte! – Männer, die ein Faible für Frauenkleider hätten, bezögen zugleich auch „sinnliche Erregung“ daraus, die Schwänze anderer Männer in den Mund zu nehmen!

Daß das für den Besitzer des Schwanzes ein angenehmes Gefühl sein mochte, konnte ich mir schon ausmalen (insbesondere, wenn ich die detaillierte Schilderung des achtstufigen „Auparishtaka“ mit meinen Gefühlen von heute nacht verglich … ) – aber „erregte“ mich nun etwa auch der Gedanke, meinerseits so (wie nannte der Inder das:) „am Mango herumzuknabbern“? Im Moment erregte die Vorstellung, jemandes – möglichst gar noch ungewaschenen und nach Heringslake riechenden – Schwanz halb herunterzuschlucken, bei mir weniger „Sinnenlust“ als Übelkeit! Oder kam etwa auch dabei, wie der Volksmund es hatte, „der Appetit beim Essen“?!

Ich war nicht ganz undankbar, daß der Autobus gerade, als ich an dieser Stelle angekommen war, hielt – und ich mich anderen Problemen zuwenden mußte: ich kannte mich in der Stadt kaum aus – aber irgendein großes Kaufhaus müßte eigentlich alles, was ich suchte, zu bieten haben. Glücklicherweise sah ich auch gleich von der Haltestelle aus jenseits des Platzes eines liegen.

Jetzt, am späten Vormittag, herrschte dort nur mäßiger Andrang – einkaufende Hausfrauen, ein paar junge Leute, vereinzelt alte Rentner; ich konnte mich erst einmal in Ruhe umsehen. Hier, ziemlich nahe am Eingang, waren gleich die Kosmetik-Stände: ein paar lange Gondeln mit den billigeren Angeboten – an der Wand Theken, hinter denen junge Damen, nachdem sie offenbar vollen Gebrauch von allen denkbaren Produkten (angefangen bei falschen Wimpern und endend bei falschen Fingernägeln) gemacht hatten, gelangweilt auf Interessenten für die unzähligen teureren Marken-Serien harrten. Ich strich – etwas unbehaglich: denn was hatte ein junger Mann hier in diesem Arsenal weiblicher Schönheit eigentlich zu suchen – zunächst einmal zwischen den Regalen herum, um. mir eine Vorstellung von den Preisen machen zu können. Das schien ja zu gehen: da konnte man offenbar für ein paar Mark schon allerhand erwerben – die Frage war nur, was!

Doch auch dafür hatte ich schon meine Ideen: Kürzlich, auf dem Bahnhof, als ich ankam, war mir an einem Zeitschriftenstand „Das große Schönheitsheft“ einer Frauenzeitschrift aufgefallen, das versprach, „alles über make-up, Schönheitspflege, Frisuren für den Sommer“ zu vermelden. Auf der Suche nach einem Zeitschriften-Stand entdeckte ich allerdings erst einmal das, was mich am meisten faszinierte: den Stand mit den Damen-Perücken – oder „Zweitfrisuren“, wie ein großes Transparent verkündete.

Der Freude über diese Entdeckung folgte allerdings die Enttäuschung auf dem Fuße: „350,- DM“ – „275,- DM“ – „185,- DM“ – ja selbst ein paar einzelne Locken zur Verlängerung einer Frisur kosteten (abgesehen davon, daß sie mir überhaupt nichts genützt hätten) noch über hundert Mark! Ich wäre – in wilder Mißachtung aller finanziellen Vorsicht – bereit gewesen, den größten Teil meiner insgesamt hundertzwanzig Mark für eine schicke Damenfrisur zu opfern: aber so konnte ich nicht einmal „in Versuchung“ geraten – soviel Geld hatte ich einfach nicht.
Diese Erkenntnis mußte ich erst einmal verdauen. Ohne Perücke war ich – was immer ich sonst schaffte – darauf angewiesen, meinen Kopf durch ein Tuch oder einen Schal zu verhüllen; das hatte zwar gestern im Regenmantel ausgesprochen hübsch ausgesehen – aber schon heute morgen war ich nicht voll zufrieden gewesen, und irgendwann kam bestimmt eine Situation, in der es überhaupt keinen Anlaß mehr gab, sich etwas um den Kopf zu wickeln! Zudem war es – meinem Empfinden nach – zutiefst unnatürlich, wenn eine junge Dame ihre Haare ständig vor den Blicken der Umwelt versteckte: unnatürlich und damit irgendwie verdächtig – und verdächtig zu sein, konnte ich mir mit meiner zweitklassigen Stimme schon erst recht nicht leisten!

Außerdem wollte ich wissen, wie ich mit einer vollen Damenperücke aussehen würde: denn daß das erst die Krönung jeder Verkleidung war, und alle andere nur eine halbe Sache, stand fest! Ich überlegte: welche Möglichkeiten, dieses Problem zu lösen, gab es ? „Kaufen Sie gleich – benutzen Sie unseren bequemen Kunden-Kredit!“ forderte ein Schild an der Wand auf. Schon gut — aber in einer wildfremdem Stadt, ohne Referenzen, ohne nachweisbares Einkommen würde man mir kaum einen solchen Kredit nachwerfen (ganz abgesehen davon, daß ich nicht gewußt hätte, wie ich ihn je zurückzahlen sollte); und selbst wenn das alles geklappt hätte, wäre endgültig selbst der großzügigste Bearbeiter stutzig geworden, wenn ich Kredit ausgerechnet für den Kauf einer Damenperücke aufgenommen hätte! Diese Idee konnte ich getrost vergessen.

Genau so unpraktikabel waren alle anderen Gedanken, mit Anzahlungen, Umtausch oder ähnlichen Tricks wenigstens für ein paar Stunden in den Besitz einer solchen Perücke zu kommen: „Aus hygienischen Gründen sind Zweitfrisuren vom Umtausch ausgeschlossen“ verkündete ein weiteres Schildchen. Nein – was ich brauchte, war Bargeld auf den Tisch: und dann möglichst schnell und endgültig verschwinden, ehe jemand anfing, darüber nachzudenken, was ich mit einer Damenperücke wohl vorhaben mochte!

Nachdem das so weit klar war, sollte man – dachte ich – zumindest feststellen, wieviel Bargeld. Ich kehrte an den Perücken-Stand zurück und sah mir die lockige Pracht näher an:

„Meine Schwester – “ erklärte ich der freundlichen, korpulenten Dame hinter dem Stand, die etwas gelangweilt an den Lockenköpfen herumbürstete, mit überflüssiger Ausführlichkeit, „wollte wissen, was Sie da so an Perücken dahaben. Gibt es da einen Prospekt oder sowas?“

Es gab natürlich, wie ich vermutet hatte, keinen – so daß ich mir mit einer Mischung aus Genuß und Qual eine lange Lektion über Echthaar, Kunsthaar, maschinentressierte und handgeknüpfte Scheitel oder Ansätze, Stretchbasis und Toupierung anhören mußte – wobei es mir unter anderen Umständen bestimmt Spaß gemacht hätte, daß die Verkäuferin schon im dritten Satz in ihren gewohnten Jargon -„so etwas können Sie natürlich auch als Abendfrisur tragen“ – verfiel und ich sie richtig aus dem Takt brachte, als ich vorsichtig protestierte: „Also – ich vielleicht weniger!“. Aber im Grunde bestätigte das Ganze nur, was ich schon wußte: je schöner, desto teurer – und im Ganzen alles unerschwinglich für mich! Ich verabschiedete mich mit vielem Dank und versprach, „meine Schwester“ nun selbst vorbeizuschicken.

Weitergekommen war ich dadurch keinen Schritt: ich wußte zwar, daß ich schon für hundertfünfundsiebzig Mark – hübsch passender Preis, dachte ich grimmig – eine gutaussehende Perücke bekommen könnte, aber leider hatte ich hundertfünfundsiebzig Mark ebensowenig wie dreihundertfünfzig!

Natürlich: wenn ich sämtliche Sachen Fräulein Lieselottes in ein Leihhaus gebracht hätte (wenn es sowas heutzutage überhaupt noch gab, was ich gar nicht genau wußte, und wenn ich es hier finden würde), dann hätte man mir dafür vielleicht Geld gegeben – aber ob genug, und selbst wenn, dann hätte ich zwar eine Perücke, aber wieder nicht zum Anziehen gehabt! Ich entschloß mich mit einem inneren Ruck, das Problem erst einmal zurückzustellen, und kaufte am Zeitungsstand – für drei Mark fünfzig, allerhand Geld, aber durchaus noch in meinem geplanten Etat von zwanzig Mark – das „Schönheitsheft“.

Das Kaufen war nicht allzu schlimm – schließlich brachte man eher seiner Schwester Zeitschriften mit als zum Beispiel Perücken! – aber dann rollte ich das dicke Heft doch lieber zur Rolle zusammen, um nicht mit einem solchen Titel unter dem Arm irgendwen bei meinen weiteren Käufen auf falsche (exakter gesagt: richtige!) Ideen zu bringen; mein nächster Einkauf zum Beispiel war an sich harmlos – aber in Verbindung mit ungewöhnlichem Interesse für weibliche Dinge vielleicht doch verdächtig: ich besorgte mir nämlich in der Spielzeugabteilung einige Luftballons – „extra große“, wie ich mit einer Story über einen Kindergeburtstag begründete.

Neben der Spielzeug-Abteilung im Obergeschoß war der Erfrischungsraum – und das brachte mich auf die Idee, dort gleich eine Kleinigkeit zu essen und dabei in Ruhe die Zeitschrift zu studieren, um für meine restlichen Einkäufe besser „theoretisch vorbereitet“ zu sein. Das Essen war dort – wie meist in Kaufhäusern – durch einen „WerbeZuschuß“ besonders preiswert: und das tat meinem Etat gut. Freilich waren auch andere Leute auf diese Überlegung gekommen, so daß ich erst nach einigem Suchen einen leeren Tisch in einer Ecke fand, wo ich – ungestört von einem neugierigen Gegenüber – meine Schönheitsstudien treiben konnte; ich bestellte ohne langes Suchen das Tagesmenü und schlug dann das Heft auf.
Die drei Mark fünfzig hatten sich, wie ich bald erfreut feststellte, gelohnt: mit wissenschaftlicher Gründlichkeit begann das Heft bei den Gesichtsformen – oval, rund, dreieckig, viereckig – und Teint-Grundfarben, schritt dann über Haar- und Hautfarbe zu den passenden Kleiderfarben fort und lieferte dann detaillierte Beschreibungen des Schminkens von Gesicht, Mund und Augen – mit speziellen Hinweisen für die „Korrektur“ kleiner Fehler, wie einer zu breiten oder zu spitzen Nase und so fort. „Unentbehrlich für diesem Sommer : die Zweitfrisur!“ erklärte es dann, rücksichtslos kaum vernarbte Wunden wieder aufreißend, und demonstrierte wiederum in Skizzen das Zusammenspiel von Gesichtsform und Frisur.

Es war – stellte ich fest, als mein Essen kam und ich das Heft beiseitelegen mußte – fast so gründlich in seiner Art wie das Kamasutra bei der Schilderung des Auparishtaka.

Inzwischen hatte ich nun doch einen Tischgefährten bekommen: einen Herrn mittleren Alters mit einer dunklen, eckigen Hornbrille und etwas künstlerischer Frisur, der mir irgendwie bekannt vorkam – hatte er nicht irgendeinem Stand auch schon mal neben mir gestanden? Doch kümmerte er sich seinerseits überhaupt nicht um mich, sondern versank gleich, nachdem er sich gesetzt und sein Essen bestellt hatte, in das Studium irgendwelcher Akten, die er aus einem eleganten Köfferchen geholt hatte.

Während des Essens kamen mir drei Ideen zum Perückenproblem. Die erste beruhte darauf, daß – wie ich aus der Zeitschrift entnommen hatte – offenbar auch Versandhäuser Perücken anboten. Nun könnte ich – unter dem Namen des abwesenden Fräulein Lieselotte, deren Nachnamen ich ja irgendwie herauskriegen würde – dort eine Perücke auf Ratenzahlung bestellen (ich wußte, daß die Formulare dafür keine allzugenauen Auskünfte verlangten); sie für die paar Tage, die ich sie brauchte, benutzen – und dann, Umtauschverbot oder nicht, einfach wieder zurückschicken. Das kostete mich nur die Anzahlung – sagen wir, 35 Mark auf 175 – und aller Voraussicht nach würden die Leute, wenn ich das Ganze unter dem Motto „die Bestellerin ist nicht mehr da“ zurückschickte, nichts mehr unternehmen (und wenn, dann war Fräulein Lieselotte in Spanien – und sie durften sich mit Tante Irma herumschlagen): alles etwas am Rande der Legalität, aber eigentlich nichts Böses – für mich sogar ein ausgesprochenes Verlustgeschäft, was mir die Sache subjektiv sowieso erlaubt erscheinen ließ! Der Haken daran war nur der Zeitfaktor: wenn ich erst einen Katalog anfordern mußte – der erst in drei Tagen kam – und dann die Lieferung nochmal länger dauerte: dann bekam ich die Perücke genau am Tag meiner Abreise und konnte noch fünfunddreißig Mark dafür blechen!

Die zweite Idee war, irgendwo eine Perücke zu leihen. Im Karneval ging das auf jeden Fall – und auch jetzt würde man, unter dem Vorwand einer Theater-Aufführung oder so, eine Perücke für einige Tage ausleihen können. Die Frage war nur, wo und wie in einer wildfremden Stadt!

Die dritte Idee – verdammt noch mal, war nicht gestern abend jemand eigens mit dem Auto hinter mir hergefahren, um sein Geld bei mir loszuwerden ?!

Der Gedanke war natürlich verrückt und aller Voraussicht nach aus siebzehn Gründen, die mir noch einfallen würden, undurchführbar – aber es prickelte reizvoll, ihn genau so wie die anderen durchzudenken! Jemand aufzugabeln, war – erwiesenermaßen – nicht schwer. Mit ihm im Flüsterton zu verhandeln, auch nicht. Dann allerdings…

Ich stand erst einmal auf, um auf die Toilette zu gehen. Dort stellte ich, etwas nervös, fest, daß mein Glied schon wieder wie gestern abend stand. War da also.an dieser Auparishtaka-Sache doch was dran? Aber Unsinn! Zudem hatte ich nicht die geringste Ahnung, was die Damen da im Einzelnen taten – und was sie dafür kassierten: Fünf Mark? Oder fünfzig? Und wie oft wollte ich denn das machen, bis ich hundertfünfundsiebzig Mark zusammenhatte?!

Nein – die aussichtsreichste Idee, beschloß ich, während ich an den Tisch zurückkehrte, war doch das Leihen. Neben dem Aufzug war ein öffentlicher Telefon-Apparat – da mußte es ein Telefonbuch geben, in dem man vielleicht die richtigen Adressen fand! Ich zahlte und ging, ohne daß mein Gegenüber aufblickte.

Unter „Kostümverleih“ oder „Theaterfriseur“ fand ich nichts im Branchenteil des Telefonbuchs – wohl aber unter „Perücken“ etliche Aressen, die sich allerdings mehr auf Handel als auf Verleih zu beziehen schienen. Immerhin konnte ich dort ja einmal anrufen – aber das kostete wieder Geld, während ich es von Zuhause aus umsonst tun konnte…

Unentschlossen stand ich unter der halboffenen Kuppel und überlegte, ob ich mir nicht wenigstens die Adressen und Nummern aufschreiben sollte – der Himmel wußte, ob das Telefonbuch zuhause auch einen Branchenteil hatte! Aber jetzt merkte ich, daß ich nichts zum Schreiben bei mir hatte …

„Wollten Sie sich was notieren ? Bitte – „
Der Herr von meinem Tisch stand neben mir und hielt mir einen goldenen Kugelschreiber hin. Wo kam der auf einmal her ? Ach so, nebenan war ja der Lif. Ich dankte freundlich und begann etwas nervös die Nummern und Straßen abzuschreiben – guckte der mir dabei über die Schulter ? Na und wenn schon – von der Geheimpolizei, die Dich wegen Deiner nächtlichen Eskapaden überwacht, wird er wohl nicht gleich sein, spottete ich innerlich über meine Nervosität.
Dennoch war ich froh, als ich meinem unbekannten Helfer seinen Kugelschreiber zurückgeben konnte und ihn mit dem gerade angekommenen Lift entschwinden sah. Ich gab mir einen Ruck und fuhr – auf alle Fälle – lieber mit den Rolltreppen ins Erdgeschoß zurück, obwohl ich dabei (aus kaufhauspsychologisch wohlerwogenen Gründen) jedesmal ein Stück durch die einzelnen Etagen laufen mußte. In der Abteilung „Damenoberbekleidung“ lächelten mich fünf Dekorationspuppen – alle mit lockigen Perücken, .zum Teufel! – in den verschiedensten Lederkostümen träumerisch an; am liebsten hätte ich einer von ihnen die Locken abgenommen, wenn das nicht auch wieder einigermaßen auffällig (und noch dazu illegal) gewesen wäre!

Na – aber wenigstens für das make-up wußte ich jetzt, was ich wollte: mit meiner neuen Story – „wir brauchen da für eine Aufführung…“ – besorgte ich mir einen Satz preiswerte falsche Wimpern, ein Fläschchen flüssigen „Eye-Liner“ mit einem feinen Pinsel, eine Tube make-up-Creme und, als ich feststellte, daß das Geld noch reichte, künstliche Fingernägel, die wie Blättchen an einem Plastik-Stiel aufgereiht waren, und eine Flasche roten Nagellack. Fast zehn Mark ausgegeben – aber dafür brauchte ich dann heute eben kein Essen mehr!

Als ich zahlte, war es mir für einen Augenblick, als tauche hinter einer Spiegelsäule nocheinmal die eckige Hornbrille meines Tischnachbarn von vorhin auf – aber bis ich mich vergewissern konnte, war niemand mehr zu sehen. Und wenn schon – schließlich hatte der gute Mann ja auch das Recht, hier im Kaufhaus hin- und herzugehen, soviel er wollte? Begann ich schon Gespenster zu sehen?

Ich fragte die Dame, die mich – freundlich, aber offensichtlich ohne tief über meine Story nachzudenken – bedient hatte, noch nach dem Weg zu der ersten Adresse meines Perücken-Zettels: aber das schien ausgerechnet am anderen Ende der Stadt zu sein! Ich hatte heute kein Glück mit dieser Sache, konstatierte ich, und begann mich auf den Heimweg zu machen.

Der Bus war, wie das Busse so an sich haben, natürlich gerade weg, als ich an der Haltestelle ankam. Dafür entdeckte ich aber etwas anderes, als ich während des Wartens die Schaufenster studierte: in einer Drogerie lagen, in durchsichtige Plastikrollen verpackt, Kunsthaar-Zöpfe zum unwahrscheinlich billigen Preis von acht Mark! War das ein Wink des Himmels? Ich ging hinein und erstand, wieder “für eine Aufführung”, einen schwarzen Zopf. Keine Perücke, aber wenigstens irgendetwas Haarähnliches! Jetzt konnte ich doch ein kleines bißchen zufriedener nach Hause fahren …

Auf der Heimfahrt blätterte ich wieder im Kamasutra – aber der ansonsten so geschwätzige Autor kam nie mehr auf das Thema seiner als Damen verkleideten „Eunuchen“ zurück: lediglich bei der Behandlung der Chancen, Frauen königlicher Harems zu verführen, erwähnte er nocheinmal flüchtig, daß sich junge Männer natürlich als Frauen verkleiden könnten, um sich dort einzuschleichen – verzichtete aber, ganz entgegen seiner sonstigen Art, darauf, nun sämtliche dieser Möglichkeiten im Einzelnen aufzuführen und mit Fachausdrücken zu belegen. Denn er hatte ein weitaus besseres Rezept: die beste Methode von allen sei nämlich, meinte er, sich mit einer Salbe aus der Asche vom Herzen eines Ichneumons, der Frucht des Tumbi und Schlangenaugen zu bestreichen, wodurch man überhaupt völlig unsichtbar werde …

Was mir, da ich weder Ichneumons noch Tumbi zur Verfügung hatte und eigentlich auch gar keine indischen Haremsdamen verführen wollte – obwohl, wie er vertraulich verriet, die Frauen des Königs der Aparatakas ausgesprochen schlampig bewacht würden! – alles herzlich wenig nützte. Immerhin schien es so, als müsse das Tragen von Frauenkleidung nicht unbedingt mit Auparishtaka einhergehen – was mich wiederum einigermaßen beruhigte…

Zuhause angekommen, ging ich als pflichtbewußter Mensch als erstes zur Waschmaschine im Keller, die sich zwar vollautomatisch abgeschaltet hatte, aber natürlich immer noch unter Strom stand – nahm die Bettwäsche heraus, die in der Tat wieder ziemlich sauber geworden zu sein schien, und hängte sie auf der Terrasse – regengeschützt, denn es hatte wieder begonnen, sich zu umziehen – auf den Trockenständer.

Dann allerdings wandte ich mich – aufatmend aus meinen Männerkleidern schlüpfend – den Errungenschaften des heutigen Tages zu. Da waren zunächst einmal meine Luftballons, die ich sorgsam aufblies, bis sie mir die richtige Größe zu haben schienen – nur mißlang der Versuch, sie etwa auch in dieser Größe luftdicht abzubinden, immer wieder!

Aber gerade das brachte mich auf eine grandiose Idee: wenn ich die Dinger statt mit Luft am Hahn des Waschbeckens vorsichtig voll Wasser laufen ließ, konnte ich sie – an dem über den Wasserhahn gezogenen Ansatz – in aller Ruhe hängen lassen, bis ich mit dem Abbindefaden zur Hand war!

Nachträglich erwies sich das aber nur als der kleinste Vorzug – denn wassergefüllt bekamen die Ballons jetzt genau das Gewicht und die Konsistenz einer üppigen Mädchenbrust; und als ich sie in die Schalen des Büstenhalters schob, entdeckte ich noch ein Drittes: über den elastischen Blasen konnte ich die – glücklicherweise keineswegs eisenharten! – Muskeln meines Brustkorbs so zusammenschieben, daß sich ein geradezu erschreckend naturgetreuer Buseneinschnitt aus echtem Fleisch ergab!

Diese Entdeckung faszinierte mich so, daß ich der Reihe nach alle drei Büstenhalter Fräulein Lieselottes ausprobierte und schließlich bei dem blieb, der das beängstigend weiblichste Dekolleté ergab: so echt, daß die zarten, appetitlichen Rundungen, die erst unter dem Stoff völlig unmerkbar in die künstlichen Gummibrüste übergingen, mich selbst spürbar zu erregen begannen …
Fing ich jetzt an, mich in mich selber zu verlieben? Oder vielmehr in meinen neuen, weiblich ausstaffierten Körper? Langsam kannte ich mich selbst nicht mehr aus – aber es war auch viel schöner, nicht nachzudenken und nur diese strammen, schweren Mädchenbrüste genußvoll unter dem glatten Stoff zu streicheln …

Es fehlte nicht viel – und ich hätte mich gleich wieder , am hellichten Tag, aufs Bett geschmissen, um dieses neue wollüstige Gefühl voll auszukosten – doch da schrillte (glücklicher- oder unglücklicherweise, wie man will) plötzlich unerwartet in der Diele unten das Telefon.

Bis ich mich aufgerafft hatte und unten angekommen war, hatte allerdings der unbekannte Anrufer bereits wieder aufgehängt. Wer konnte das gewesen sein? Nun – vielleicht irgendein Anruf für Onkel Anton oder Tante Irma, die sowieso nicht da waren; also hatte der Anrufer , nichts versäumt. Immerhin hatte er mich aber so weit abgelenkt, daß ich mir wieder bewußt wurde, wieviel ich heute noch auszuprobieren hatte, und etwas ruhiger wieder nach oben stieg – nicht ohne dabei freilich genußvoll zu spüren, wie die schweren, weichen Gummiblasen vor meiner Brust bei jeder Treppenstufe ein wenig hüpften wie bei einem strammbusigen Mädel!

Wie erst die Büstenhalter, so probierte ich jetzt alle Kleider im Schrank durch, bis ich das fand, in dem der Ausschnitt am tiefsten war: ein blaukariertes, dirndlähnliches Hauskleid, über dessen viereckig ausgeschnittenem Mieder genügend Raum frei blieb, um mein neugeschaffenes Dekolleté höchst wirkungsvoll zu präsentieren …

Dann ging ich in Badezimmer hinüber, um dort auf dem Waschtisch, vor dem dreiteiligen Spiegel, meine Kosmetika und ihre Gebrauchsanweisung, das Schönheitsheft, auszubreiten. Wie vorgeschrieben, begann ich, ein Handtuch um die Haare gewickelt, mit der Analyse der Gesichtsform – und stellte erfreut fest, was ich eigentlich schon seit gestern abend wußte: ich kam verheißungsvoll nahe an die Idealform – „oval“ – heran. Die Nase war vielleicht ein bischen zu breit – die Brauen sahen natürlich, genau besehen, auch zu schwer aus: aber das konnte man ja alles korrigieren.

Tante Irmas Kosmetik-Ausrüstung war zwar …alles andere als raffiniert – aber wenigstens hatte sie eine Pinzette, mit der ich, über Onkel Antons Rasierspiegel gebeugt, die stärkeren schwarzen Brauenhaare auszuzupfen begann: und dann feststellte, daß ich fast nicht mehr aufzuhören wußte, bis ich endlich alle zu tief oder zu hoch sitzenden Härchen losgeworden war und nur noch eine schmale Braue über einem beängstigend hohen Brauenbogen übrigblieb.

Dann wusch ich das Gesicht gründlich mit Tante Irmas teurer Toilettenseife und begann nun – „hauchzart“, wie das Schönheitsheft es verlangte – die Teintcreme aufzutragen, sie sorgsam nach unten zum Halsansatz hin verstreichend. So, das war auch geschafft.

Zum Problem entwickelten sich jedoch die Wimpern, die zunächst überall kleben blieben – nur nicht da, wo sie hingehörten: und das Anbringen eines Lidstriches wurde zur echten Tortur.

Die sich allerdings lohnte: denn als ich jetzt noch etwas grünen Lidschatten auf den Augenlidern verteilt hatte, strahlten meine Augen faszinierend unter den schweren falschen Wimpern hervor wie bei einer der Damen in den zahlreichen Werbeanzeigen des Hefts.

Mit etwas mehr Routine zog ich jetzt nocheinmal die Brauen – vorsichtig genug der zurechtgezupften neuen Form folgend – nach: und traute meinen Augen nicht.
Allerdings nicht wegen des Effekts – sondern weil ich plötzlich, quer mit Kugelschreiber an den Rand der entsprechend Seite des Heftes geschrieben, die ich zur Kontrolle aufgeschlagen hatte, dort die Worte:

„Telefon 35 78 22 ab 18 Uhr“

entdeckte.

Ein Reklame-Eindruck – wie ich im ersten Moment noch dachte – war das bestimmt nicht: denn man sah deutlich, wie sich die Kugelschreiberschrift auf der Rückseite und der folgenden Seite durchgeprägt hatte.

Und wenn es ein Kugelschreiber war – dann kannte ich auch diese ausgefallene blaugrüne Farbe: Ich sprang auf und suchte nebenan in der Tasche meines Jacketts den Zettel mit den Perücken-Adressen – kein Zweifel, das war der gleiche Kugelschreiber; und diese Telefonnummer mußte der Mann mit der Hornbrille – jetzt stand mir das wieder ganz klar vor Augen – auf die aufgeschlagene Seite des Zeitschriftenhefts geschrieben haben, während ich auf der Toilette gewesen war!

Einen Augenblick lang spürte ich im Unterleib das gleiche Gefühl wie in einem nach unten startenden Aufzug: und er hatte mitangehört, wie ich mir am Stand im Erdgeschoß die Perücken zeigen ließ! Hatte wahrscheinlich auch in der Spielzeugabteilung meinen Kauf der Luftballons beobachtet! Und hatte dann – ganz bestimmt – auch im Erdgeschoß gewartet, bis ich mit der Rolltreppe hinunterkam, um auch noch meine letzten Einkäufe mitzuerleben!

Irgendwo hatte einmal etwas über einen „untrüglichen Instinkt“ gelesen, mit dem „abartig Veranlagte“ einander überall erkennen. Wenn es einen solchen Instinkt gab – und wenn er auf mich „angesprochen“ hatte: dann war es verständlich, daß der Mann mit der eckigen Brille mir weiter nachgegangen war, um Schritt für Schritt meine verräterischen Einkäufe zu verfolgen – schon der dauernde Wechsel der „ Story von der Schwester zum Kindergeburtstag und dann zur „Aufführung” sprach ja Bände! – und wenn er dann noch, als ich draußen war, gesehen hatte, daß ich ein „Lehrbuch der indischen Liebeskunst“ mit mir herumtrug. . . !

Einen Moment später wich meine Panik allerdings wieder kühlerer Überlegung: gut – wenn er das alles getan und beobachtet hatte, was hatte er daraus für Folgerungen gezogen ? Daß ich „einer von denen“ sei? Wahrscheinlich. Daß ich mich als Frau verkleiden wollte ? Ganz bestimmt. Und was hatte er dann gemacht? Eigentlich ja etwas ungemein Diskretes und Zurückhaltendes: er hatte mir seine Telefonnummer aufgeschrieben. Er hatte mich nicht angesprochen – oder vielmehr doch, aber völlig unverfänglich, als er mir den Kugelschreiber borgte – hatte mich nicht angerührt und war auch, das wußte ich nun ganz bestimmt, nicht etwa außerhalb des Kaufhauses hinter mir hergekommen.

Das hieß: er hatte mir – wahrscheinlich in allerbester in solchen Kreisen üblicher Form – die Entscheidung überlassen, ob ich auf seine Telefonnummer zurückkommen würde oder nicht. Wenn ich es nun eben nicht tat, dann kannte er mich nicht – ich ihn nicht – und in ein paar Tagen würde ich sowieso wieder weg sein. Sollte es doch dann irgendeinen Menschen hier in der Stadt geben, der wußte, daß ich ein paar ungewöhnliche Einkäufe gemacht hatte – was ging mich das an‘?! Außer dem allerdings beängstigenden Gefühl, daß ich neuer-dings – ob nun in Mädchen- oder Männerkleidern – einen stetig wachsenden Strom von mehr oder minder eindeutigen Offerten hinter mir herzuziehen begann: und war das nicht irgendwo auch ein Kompliment? – war das alles überhaupt kein Grund zur Beunruhigung.

Ich sah wieder in den Spiegel und klapperte probeweise ein paarmal mit den wimpernschweren Lidern: ich wollte mich jetzt bei meinem Vergnügen nicht stören lassen!

Die obere Gesichtspartie sah jetzt schon ganz phantastisch aus – nun mußte ich noch den Mund richtig hinkriegen. Auch das wurde, trotz Schönheitsheft, eine harte Arbeit, bei der ich immer wieder mit Fettcreme alles abschminken mußte, weil ich irgendwo zu weit herausgepatzt hatte und mehr down- als damenhaft aussah: aber endlich war auch das geschafft – und vollendet!

Ein paar Millimeter nach außen verlegter Schwung der Oberlippe – Bruchteile eines Millimeters verstärkte Unterlippe: was das ausmachte ! Aus einem ganz alltäglichen Männermund war da jetzt ein vor erotischer Lockung geradezu vibrierender Frauenmund geworden – und dazu die verheissungsvoll strahlenden Augen – wenn ich nun doch zum Teufel nur auch noch eine volle Lockenperücke gehabt hätte!

Nun ja – jetzt mußte es eben so gut gehen, wie es ging. Haar genug war ja in dem Kunsthaarzopf – bloß eben zunächst an der völlig falschen Stelle; es brauchte mehr als eine Stunde mühsamen Experimentierens mit Tuch, Haarklemmen, Faden und zum Schluß sogar Heftpflaster, bis ich daraus etwas gezaubert hatte, womit ich einigermaßen zufrieden sein konnte: die linke Seite des etwas asymmetrisch unter dem Rand des Schals befestigten Zopfes, den ich in zwei Hälften geteilt hatte, hing über der Wange in einer Locke herunter, die ich dann nach hinten wieder unter den Tuchrand eingefangen hatte – die rechte Hälfte dagegen schwang sich erst einmal in einer schrägen schweren Welle über die Stirn, ehe sie auch unter dem Tuchrand verschwand; und die äußersten Spitzen der langen Zopfhaare deuteten irgendwo zwischen den Falten am Hinterkopf an, daß dort auch noch damenhaft lange Haare drunterstecken müßten.

Es war eine völlige Freistil-Frisur fern von allem, was das Schönheitsheft für den Sommer empfahl – aber als ich die komplizierte Konstruktion endlich vorsichtig um meinen Kopf drapiert und auf-atmend mit einer Sicherheitsnadel hinten zusammengeklammert hatte, war ich mit der Wirkung vollauf zufrieden: jetzt rahmte wenigstens rabenschwarzes Haar das zarte Oval des Mädchenantlitzes ein – und genau dieser Rahmen hatte zum vollen Effekt noch gefehlt: das war eine Puppe, die man geradezu auf der Stelle küssen wollte!!!

Genau in diesem Augenblick schrillte wieder das Telefon. Einen Augenblick dachte ich mit kaltem Entsetzen an den Mann mit der Hornbrille – aber der hatte gar nicht meine Telefonnummer, sondern nur ich seine! Erleichtert aufatmend sauste ich diesmal in undamenhaftem Tempo die Treppe hinunter – diesmal wollte ich wissen, wer da anrief, schon um beruhigt zu sein.

„Hier bei Lindemann —“ meldete ich mich etwas atemlos.

„Gestatten Sie, hier spricht Mertens – Alexander Mertens“ antwortete eine gepflegte Männerstimme. „Ich hatte vorhin schon einmal angerufen, aber da meldete sich bei Ihnen niemand. Ich hatte gestern die Ehre – “ er unterbrach sich , „aber sind Sie das nicht selbst am Telefon?“

Ich konnte fast nicht mehr: da machte ich mir stundenlange Gedanken über meine Stimme, kickste und knödelte – und dann, wenn ich mich ganz normal am Telefon meldete, erkannte Herr Mertens meine charmante Stimme selbst durch den Draht! Einen Augenblick schwankte ich noch, ob ich nicht doch noch einen Rückzieher machen sollte – aber das Kompliment war zu verführerisch:
“Ja – Herr Mertens!“ flötete ich freudig,. „Wie haben Sie mich denn – ”

„Oh – “ er war schon wieder etwas verlegen, „die Nummer Ihrer Verwandten steht doch im Telefonbuch! Aber weshalb ich anrufe : Zunächst einmal natürlich wollte ich fragen, ob Sie die Aufregung von gestern abend gut überstanden haben – und dann – “ er zögerte wieder etwas (weil er jetzt, wie sich gleich herausstellte, eine faustdicke Lüge produzieren wollte) “ – und dann habe ich heute , das heißt genau genommen war es Strupps, an der Stelle, wo Sie da gestern abend gestürzt waren, etwas gefunden, was Sie vielleicht verloren haben könnten, und da wollte ich nun -„

Ich überlegte, während er sprach: Konnte ich da wirklich was verloren haben? Aber woher oder woraus? Nein, das sah doch viel eher so aus, als habe der erfindungsreiche Herr Mertens den ganzen Tag lang nach einem plausiblen Vorwand gesucht, sich heute wieder melden zu können!

„Gefunden ?!“ fragte ich – am Telefon erheblich mutiger mit der Stimme als im persönlichen Gespräch. „Aber was denn ?!“

„Oh – so ein kleines – äh , Dingsda – wie soll ich Ihnen das beschreiben jetzt am Telefon – sagen Sie, kann ich nicht rasch bei Ihnen vorbeikommen und es Ihnen gleich geben, wenn Sie jetzt doch zuhause sind?“

Alexander, Alexander – lügen mußt Du auch erst noch richtig lernen, dachte ich kopfschüttelnd; ich war neugierig, was er da eigentlich angeschleppt bringen wollte – aber das brachte mich zum eigentlichen Problem zurück: wollte ich denn Herrn Mertens hier im Haus empfangen?

Hätte man mich das vorher gefragt, so wäre meine Antwort natürlich gewesen, daß mir nichts ferner lag, als hier – im geheimen Hauptquartier gewissermaßen – wildfremde Leute zu empfangen: und am allerwenigsten als Mädchen kostümiert.

Aber hatte nun weibliche Unlogik bereits so weit von der Kleidung auf mich selbst abgefärbt – oder war es, weil ich mich ausgerechnet in diesem Augenblick so wunderhübsch herausgeputzt hatte, daß ich geradezu Sehnsucht nach einem Pu-blikum hatte – oder war es wirklich diese verdammte Auparishtaka-Sinnenlust?! – jedenfalls antwortete ich, als er schon etwas beunruhigt fragte:
„Hallo – sind Sie noch am Apparat, bitte ?!“
mit schöner Liebenswürdigkeit:
“Nun ja – wenn es Ihnen nichts ausmacht, Herr Mertens – „

„Aber ganz im Gegenteil!“ versicherte er etwas gar zu ehrlich. „In drei Minuten bin ich bei Ihnen!“

„Also gut – in drei Minuten !“ bestätigte ich fröhlich und hängte ein.

Ich wußte nicht, wie sich ein wirkliches junges Mädchen benimmt, wenn es in drei Minuten den Besuch eines netten jungen Herrn erwartet: ich jedenfalls hopste wie ein aufgeregtes Huhn vor dem Spiegel herum, zupfte hier noch ein Löckchen und da noch das Kleidchen, um alle meine Reize voll zum Tragen zu bringen, und trainierte dazwischen rasch noch die Tonlage für die Begrüßungsworte, knipste das Dielenlicht abwechselnd an und aus – über der ganzen Maskerade war es schon dämmrig geworden – und müßte auf jeden außenstehenden Betrachter den Eindruck holdester bräutlicher Erwartung gemacht haben, bis endlich die Klingel schellte und ich meinen Besucher – der Vorsicht und der Nachbarn halber nun doch ohne Dielenlicht – einlassen konnte.

„Kommen Sie doch herein, Herr Mertens!“ sagte ich mit erstaunlich wohlgelungenem warmem Timbre und schaltete das Licht ein.

Aber wahrscheinlich hätte ich genausogut mit der Blechstimme eines Science-Fiction-Film-Computers sprechen können – Herrn Mertens wäre es nicht aufgefallen: der gute Junge war von meinem Anblick völlig überwältigt.

Wahrscheinlich war es gerade der Kontrast zwischen dem schlichten Hauskleidchen und rustikalen Kopftüchlein einerseits – dem raffinierten und dadurch schon wieder unauffälligen make-up andererseits: oder war es der Ausschnitt, der einem Schenkmädchen in einem Musketier-Film alle Ehre gemacht hätte – jedenfalls sah er mich an wie ein Archäologe, der soeben die Venus von Milo – aber völlig intakt – ausgegraben hat, und brachte kein Wort heraus.
Nun hatte Alexander Mertens anscheinend die geheimnisvolle Gabe, den weiblichen Charme in mir zu ungeahnten Leistungen zu beflügeln, ohne daß ich mich darum im geringsten bewußt zu bemühen brauchte. Ich trat also instinktiv zwei Schritte zurück – dadurch noch besser genau unter dem Licht der Dielenlampe landend – und sagte aus einer momentanen Inspiration heraus schelmisch drohend:
„Und – ganz ohne Anstandswauwau heute ?!“

Immerhin gab ihm das endlich ein Stichwort, um die Sprache wiederzufinden:
„Ach ja, Strupps – nein, den guten Strupps habe ich zuhause gelassen – in fremden Häusern stiftet der oft Unheil, der gute Kerl – „

„Schade – er ist so süüß!“ plapperte das wildgewordene Mädchen in mir weiter.

Aber kommen Sie doch richtig herein – ich bin schon furchtbar neugierig!“

„Hm – ja – vielen Dank!“ rettete er sich erst einmal in seine ihn nie im Stich lassenden korrekten Manieren zurück.

„Wollen Sie nicht ablegen?“ fragte ich, ganz charmante Gastgeberin.

„Oh – nein – ja, doch – danke!“

Ich konnte mich gerade noch stoppen, sonst hätte ich ihm aus versehen aus dem Mantel geholfen – so reichte ich ihm nur mit der Geste einer Orden verleihenden Königin einen Kleiderbügel hin und schritt dann voran ins Empfangszimmer.

Ich persönlich fand die „repräsentative“ Einrichtung von Tante Irmas Haus zwar fürchterlich – aber für einen korrekten Besucher wie Alexander Mertens war sie wie maßgeschneidert. Wir machten beide in einem Höflichkeitswettbewerb, dessen Regeln er erheblich besser beherrschte als ich, wiederholte Anstalten, uns in den Sesseln niederzulassen, dabei aber auf den anderen zuwarten – bis ich schließlich durch ein kühnes Strategem doch, als er sich gerade endgültig niedergelassen hatte, wieder aufstehen konnte:
„Darf ich Ihnen etwas anbieten?“

„Aber bitte nein – machen Sie sich doch keine Umstände – “ wehrte er ab. Aber jetzt wollte ich meine Revanche für gestern abend, wo ich mit meinen Ablehnungsversuchen nie durchgekommen war:
„Aber doch: einen Kognak ? Oder einen Whisky ?“ (Hoffentlich fand ich das Zeug nachher auch im Schrank!)

„Aber ich weiß wirklich nicht – „

„Nun geben Sie mir doch keinen Kooorb !“ schmollte ich. „Ich hätte Sie gestern abend schon mit hereinbitten sollen, nachdem Sie sich so nett um mich gekümmert hatten! Tante Irma hat mir richtiggehend Vorwürfe gemacht!“

Um Himmelswillen, was spann sich denn meine weibliche Inspiration da alles zusammen? Aber es wirkte:
„Also dann einen Kognak !“ ergab sich mein Gast in sein Schicksal.

Gottseidank – Kognak wußte ich, und konnte ihn ohne allzuviel Herumkramen kredenzen. Indessen hatte sich auch Herr Mertens wieder gesammelt und ging nun seinerseits in die Offensive:
„Nun setzen Sie sich aber endlich aber auch und schauen Sie sich an, was Strupps – “ (dieser ahnungslose Komplize!) „- da heute gefunden hat – genau an der Stelle, wo – “ er brach ab („wo ich Sie aus dem Rinnstein geholt habe“ konnte er ja schlecht sagen, und „wo Sie gefallen sind“ gemahnte vielleicht zu peinlich an „gefallenes Mädchen“?)

Nicht ohne Dramatik griff er in die Westentasche seines korrekten Anzuges und holte ein winziges Seidenpapierpäckchen heraus, das er mir über den Tisch zureichte. Ich mußte mich vorbeugen – und gab ihm dabei mit lustvollem Prickeln einen unerwartet tiefen Einblick in meinen ohnehin schon recht freigiebigen Ausschnitt (soll er doch sehen, was wir alles an Lager haben!).

„Wollen Sie es denn nicht auspacken ?“ erkundigte er sich, (ich mußte nicht soviel Gedanken nachhängen, sondern mich wieder auf die Intuition verlassen – sonst fiel ich noch aus der Rolle!).

„Oh ja – entschuldigen Sie – “ Es war fast ein Strapaze, mit den ungewohnten langen falschen Fingernägeln das Papier auseinanderzufalten – aber zumindest konnte ich dabei eine Schau mit meinen jetzt noch viel schmaler und damenhafter wirkenden Händen abziehen. Dann lag das Wunderding endlich vor mir:
Eine winzige silberne Sphinx als Armkettchen-Anhänger. Sehr geschickt gemacht – sowas könnte eine junge Dame wirklich abends im Rinnstein verloren haben!

„Oh – ist die niedlich!“ begeisterte ich mich – aber dann fügte meine computerschnell arbeitende weibliche Intuition hinzu: „Aber soviel Geld hätten Sie doch nicht ausgeben dürfen!“

Es dauerte genau drei Sekunden – ein-und-zwan-zig, zwei-und-zwan-zig, drei-und-zwan-zig, zum Mitzählen – bis die Implikation meiner Worte auch Herrn Mertens klargeworden war: aber dann hatte er auch in seiner methodischen Art alles wieder auseinandergenommen, was in diesen Satz eingepackt war.

„Sie – Sie sind mir also nicht böse ?“ fragte er und sah mich so treuherzig an wie sein Strupps, wenn man ihn mit einem geklauten Knochen erwischt hätte.

“Ich – “ – kleine dramatische Pause – dann ein warmes Lächeln mit niedergeschlagenen Augen: “ – ich bin noch nie auf eine so reizende Art beschwindelt worden!“ (mein Damen-Computer übertraf sich selbst – das war bühnenreifer Dialog! Und das ging noch weiter:)

„Aber – “ Augen auf und strahlender Blick! “ – dahinter komme ich immer: das müssen Sie sich merken, Herr Mertens!“ (… und noch immer kam was: ich hob das Glas und lächelte ihn über den Rand hinweg an) “ – und darauf: Chin-chin!“

„Chin-chin!“ wiederholte er erleichtert (Chin-chin war Blödsinn, weil es nur zu Eiswürfeln im Glas paßte – aber „Prost!“ wäre an dieser Stelle noch weniger gegangen: man soll halt keine Cocktail-Konversation machen, wenn man bloß Kognak auf den Tisch bringt!).

Damit allerdings war der Faden bei mir zunächst mal abgerissen – und bei Alexander Mertens auch (bühnenreife Konversation war ohnehin nicht seine Stärke). Wir saßen also da und schauten uns gegenseitig an.

Irgendwie ist es eine Schande, wie Du mit dem netten Kerl da herumflirtest, sagte etwas in mir. Der kann ja nun wirklich nichts dafür, daß er ausgerechnet auf Dich hereinfallen mußte: Und daß Du ihn jetzt noch immer weiter an der Nase herumführst, ist regelrecht gemein.

Aber reizvoll – verdammt reizvoll, antwortete eine andere Stimme (das wildgewordene Mädchen in mir?). Nun laß mir doch auch einmal mein Vergnügen – ich verspreche ihm ja schließlich nicht die Ehe! Er weiß schließlich genau, daß ich in ein paar Tagen wieder abreise – und es liegt überhaupt kein Grund zu der Annahme vor, daß er etwas anderes will als ein bißchen mit einem netten Mädchen reden. Nun bin ich zur Zeit ein nettes Mädchen – warum also soll ich nicht mit ihm reden ? Und zwar so nett wie möglich ?!

Indessen hatte auch der Mertens-Computer – langsamer und methodischer als mein neuentdeckter, aber dafür auch mit profunderen Ergebnissen aufwartend – gearbeitet.

„Ja – “ sagte er und warf einen philosophischen Blick auf das silberne Sphinxchen auf dem Tisch,“ was wird nun aber aus dem armen Tierchen?“

Auch er schlug jetzt die Augen voll zu mir auf: „Ich meine ja, daß es sich bei Ihnen immer noch wohler fühlen würde als bei mir oder gar im Rinnstein, aber – „

„Müssen wir das denn unbedingt heute abend entscheiden ?!“ Mein Blitzcomputer – mit seiner Spezialität der doppelten Implikation – hatte wieder zugeschlagen: und wieder brauchte der andere seine Zeit, um dieses neue Doppelpaketchen zu sortieren.

“Nein – das müssen wir natürlich nicht h e u t e abend entscheiden!“ stimmte er dann begeistert zu. „Aber – wenn Sie heute abend Zeit hätten – „

Fragender Blick unter falschen Wimpern hervor –
“- dann dachte ich, da Sie ja gestern gar keinen schönen Eindruck vom Spazierengehen in unserer Stadt bekommen haben – und da heute das Frühlingsfest losgegangen ist – „

(Ach ja – das hatte ich vom Bus aus gesehen: ein Riesen-Rummelplatz mit Karussells und Schaubuden!)

„- und Sie Zeit und Lust hätten – natürlich nur wenn Ihre Frau Tante einverstanden wäre – „

(Oh Gott ja – die Tante als Anstandsdame hatte meine wildgewordene Intuition ja auch noch in die Sache hineingemischt!)

“ – dann hätte ich Ihnen furchtbar gern unsere Stadt mal von einer netteren Seite gezeigt!“

Die dritte Offerte! Ich mußte ja Sex aussenden wie eine Radarstation!

Jetzt ist Schluß, befahl die nüchterne Stimme in mir. Jetzt hörst Du gefälligst mit dem Unfug auf.

Gerade jetzt, wo es unterhaltsam wird? protestierte das wildgeworden« Mädchen. Was kann denn schon auf so einem Bummel passieren?!

“Nun ja – also ich weiß nicht – – “ temporisierte ich.

„Sie sind mir also doch noch böse?” Treuherziger Terrierblick – wenn man es genau besah, war der Alex in seiner Art genau so raffiniert wie ich!

“ – – wie das Wetter heute abend wird!“ bog mein unverwüstlicher Computer den Satz rasch noch um. „Es scheint sich wieder ein Regenwetter zusammenzuziehen!“

„Aber – im Regen sehen Sie doch immer besonders reizend aus!“
schoß Alexander Mertens mit schwerem Kaliber in die sich auftuende Bresche – genau mitten ins Herz des Regenmantel-Ticks meines wildgewordenen Mädchens! (ich hatte allmählich das Gefühl, daß sich unsere Flirt-Computer bereits längst einig waren, während wir noch glaubten, uns frei zu entscheiden … )

Es kam, wie es kommen mußte: in einer Dreiviertelstunde würde ich – das hatte ich nun doch herausgehandelt, um keinen allzu auffälligen Publikumsverkehr in Tante Irmas Haus zu provozieren – an Alexander Mertens Haustür klingeln („da meine Tante auch nicht alles zu wissen braucht!“- so kam die gute Tante, die mein Computer rechtzeitig eingespeichert hatte, jetzt zu Ehren – und mich – treulich von meinem Beschützer begleitet – in die sanften Wogen des Rummel-Vergnügens stürzen.

Und damit verabschiedete sich Herr Alexander Mertens – in dem Gefühl, eine siegreiche Schlacht geschlagen zu haben. Das Sphinxchen hatte er wieder eingepackt – es war ja schließlich eine Garantie für den übernächsten Abend …

Viertes Kapitel: Rummel – Bummel

„… so ging er mit seinem Fange zum Bummeln
doch war er noch immer zu bange zum Fummeln …“

Rummelplätze – stellte ich fest – sollte man überhaupt nur als schicke junge Dame besuchen: zweckmäßigerweise begleitet von einem netten jungen Herrn, der einen intensiv, aber zurückhaltend anhimmelt.

Wir erfüllten diese Voraussetzungen fast vollkommen: Alexander Mertens zu hundert Prozent – ich mit den mir nur zu bewußten Einschränkungen; aber zumindest äußerlich fühlte ich mich in bester Form (noch präziser gesagt, in besten Formen).

Ich hatte für diesen Rummel-Bummel wieder das angezogen, was ich inzwischen privat als meine „große Nutten-Uniform“ bezeichnete: Lackstiefel, Regenmantel und Kopftuch (letzteres diesmal freilich über meine mit so großer Mühe drapierten Locken und das alte Tüchlein hinweggebunden, was zumindest dem Volumen nach eine größere .Haarfülle vortäuschte, als ich sie zu meinem Leidwesen derzeit noch besaß); die Umhängetasche hatte ich wieder keß über die Schulter geschlungen, aber den Schirm diesmal zuhause gelassen. Der glänzende Stoff straffte sich wieder aufreizend über meinen Gummibrüsten, und der weite Mantel wippte kokett bei jedem Schritt, den ich am Arme meines Begleiters tat.

Das Einhängen hatte sich genau so selbstverständlich ergeben, wie die Gelegenheit, ihm – das hatte wieder mein losgelassener Flirt-Computer vollbracht – eine vertrauliche Anrede bei voller Wahrung des Inkognitos zu gewähren: als er im Bus endlich auf das – ja seit langem fällige – Thema zu sprechen kam, daß er meinen Namen noch immer nicht wisse, hatte ich ihm mit vieldeutigem Lächeln erklärt:
„Heute abend dürfen Sie mich Sylvia nennen!“

Wieso ich ausgerechnet auf Sylvia verfiel, weiß ich bis heute noch nicht: weder zu Rhea Silvia, der vestalischen Jungfrau, deren nicht so ganz jungfräulichem Verhalten Mars gegenüber die Knaben Romulus und Remus ihre Existenz verdankten – noch zur heiligen Silvia, die (ich weiß nicht, ob auf ähnliche Weise) Mutter des Papstes Gregor des Großen gewesen war, hatte ich irgendeine innere oder äußere Beziehung; aber ich fand den Namen jedenfalls höchst weiblich, kapriziös und passend.

„Sylvia“ und „Alex“ (so hatte ich ihn kühn gekürzt) besiegelten diese – offiziell ja nur auf einen Abend beschränkte – neue Intimität sogleich an einer Bude mit „echtem Alpen-Enzian“ (übrigens einem der scheußlichsten Gesöffe, die mir je – als Mann oder Fräulein – über die Lippen gekommen waren): und entfesselt, wie die Sylvia in mir an diesem Abend nun einmal war, bot sie ihre kirschroten Lippen nach dem verbrüdernden Schluck dem überraschten Alex zu einem ebenso kurzen wie keuschen Küßchen!

Ich selbst war über diese neue Eigenmächtigkeit fast genau so verblüfft wie mein Partner: aber genau wie er höchst gentlemanlike – das heißt, mit einer Mischung aus Zurückhaltung und Energie, die andeutete, daß er sich in der Tat zurückhalten mußte – auf diese unvermutete Offerte einging, so benutzte Sylvia die Gelegenheit, ihn dabei gerade so kurz, daß er Absicht oder Zufall nicht unterscheiden konnte, ihre wohlgerundeten Brüstchen spüren zu lassen. Dann lachte sie ihn wieder an – charmant im unklaren lassend, ob das eine Aufforderung oder im Gegenteil amüsiertes In-die-Schranken-Weisen sei…

Was eigentlich heute abend mit mir los sei – darüber war ich mir selbst in fast beunruhigender Weise nicht mehr klar: ich war abwechselnd schockiert und dann wieder in prickelnder Weise gereizt von den Aktionen dieses Fräulein Sylvia – das sich benahm, als habe es nur auf eine solche Gelegenheit gewartet, um ein Arsenal weiblicher Koketterie loszulassen, das ich selbst nie in mir vermutet hatte! Jetzt wieder am Arm ihres Begleiters, versäumte sie keine Gelegenheit, „ausversehen“ mit der linken Brust oder Hüfte in Kontakt mit ihm zu geraten – immer natürlich nur, wenn irgendeine Wendung oder ein Anhalten vor einer Bude das absolut unverfänglich erscheinen ließ; und das Gefühl warmer, straffer Männerlippen auf dem weichen, einladenden Sylvia-Mund genoß ich noch viele Minuten später in der Erinnerung weiter.

In der Tat verging nur kurze Zeit – dann verlor sich alle Erinnerung daran, daß ich bisher in ganz anderer Kleidung, mit ganz anderen Regeln, in ganz anderer Person durch die Welt gegangen war: heute abend war ich das Mädchen Sylvia – ein ebenso hübsches wie, was mich anfangs so verblüfft hatte, ungemein charmantes Mädchen mit einer eigenen, faszinierenden Persönlichkeit, der ich gefesselt wie der Hauptdarstellerin eines Films zuschaute: nur mit dem Unterschied,,daß ich diesmal mit Leib, Seele, Haut und Haar (wenn auch nur einem Kunsthaarzopf!) in ihr drinsteckte!

Wie auf der Achterbahn (die wir natürlich, Sylvia an den abschüssigen Stellen im entzückendsten Diskant aus voller Kehle kreischend und sich haltsuchend mit Arm und Mädchenbrust an Alex klammernd, genußvoll erlebten) ließ auch ich mich von den überraschend programmierten Spiralen und Sturzfahrten dieser entfesselten Mädchenseele einfach mitreißen: im Stillen wohl überzeugt, daß – genau wie bei der Achterbahn – schon nichts passieren könne.

Daß wirklich nichts passierte, lag wohl überwiegend an Alex, der – bei aller Faszination, die diese entzückende, wohlgeformte und charmante Sylvia auf ihn ausüben mußte – mit einer schon fast übermenschlichen Zurückhaltung perfekter Gentleman blieb: da verirrte sich selbst im Dunkel der Geisterbahn nie die Hand des Arms, den er schützend um meine schmalen Mädchenschultern gelegt hatte, an eine unziemliche Stelle – noch, in der Enge einer Riesenradgondel, etwa auf mein seidenbestrumpftes, verführerisch nahe neben dem seinen liegendes Knie…
Auch das akzeptierte Sylvia in mir mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit: daß sie für Alex nicht „so eine“ sei, bei der man versuchen könnte, am zweiten Abend bereits irgendwo uneingeladen herumzufummeln, schien ihr hundertprozentig klarzusein; dagegen benutzte sie jede Gelegenheit – und sei es selbst das Essen eines Heringsbrötchens – ihn in ungemein damenhafter, aber unübersehbarer Weise darauf aufmerksam zu machen, daß sie eine Frau mit allem, was man sich an Kurven, Grazie und unausgesprochenen Verheißungen nur wünschen könne, sei! Und wenn er es auch nicht in handgreiflichen Gesten zeigte: Sylvia, mit diesem neuentdeckten weiblichen Instinkt in mir, spürte fast körperlich, daß jede dieser Botschaften ihr Ziel erreichte…

Die Krisis diesen Abends kam vor dem „Casino de Paris“ – einer mit rührender Naivität, Ölfarbe und bunten Glühbirnen als das, was man sich vor fünfzig Jahren in Hinterschlummersdorf als „Pariser Leben“ ausgemalt haben mochte, aufgeputzte Schaubude, vor deren verwitterten Gold- und Silber-Stuckfüllungen sich eine herausfordernd geschminkte Dame mit weißvioletten Locken und einem von Taftrüschen strotzenden schwarzen Abendkleid beschwörend bemühte, Besucher anzulocken:
“ … und wieder beginnt in wenigen Augenblicken die neue Vorstellung, die neue Revue, die neue Schau in unserem Casino de Paris -dem Paradies der schönen Frauen!“

Die „schönen Frauen“ standen – zu viert – unbeweglichen Gesichts und innerlich wahrscheinlich in der kühlen Nachtluft frierend, in mehr oder minder paillettenbesetzten Abendkleidern auf der Vorderbühne der Bude und wirkten kaum so, als seien sie soeben einem für sie geschaffenen Paradies entsprungen; der fünfte im Bunde war ein hagerer Mann, dessen Gaunervisage zu seinem Frack ebenso paßte wie die Ankündigung zu der ganzen, Müdigkeit ausstrahlenden Szene.

“Wollen wir uns das Paradies noch näher schildern lassen ?“ raunte Sylvia ihrem Begleiter mit unterdrücktem Lachen zu.

„Lieber nicht – “ sagte Alex ernst, „sonst erfaßt mich nämlich eventuell ein Sinnentaumel – Sie wissen schon, Tannhäuser im Venusberg oder sowas…“

„Genau in solch einer Versuchung wollte ich Sie schon immer einmal sich bewähren sehen: jetzt gerade!“ dekretierte Sylvia streng.

„… und gerade auch Sie, meine Damen: gönnen Sie Ihren Herren auch einmal einen Blick in die Geheimnisse der Stadt der Liebe, des Schööönen Paris!“ knödelte die Violettgelockte vertraulich. „Wir Frauen wissen doch – da holen sie sich den Appetit, aber gegessen wird zuhause – !“

Pflichtschuldigst brachen einige brave Bürgerinnen, die im Vollbesitze ihrer hundertachtzig Kilo am Arme ihrer „Herren“ – biederen Eisenbahnschaffners- und Gemüsehändlersgestalten – vor der Bude stehengeblieben waren, in zurückhaltende Fröhlichkeit über diesen originellen Scherz aus. Ermutigt fuhr die Anpreiserin des Paradieses fort:
„Und da haben wir als erstes unsere charmante Estelle, die mit ihren schönen Künsten …“

Estelle, unter starrem make-up unausweichlich den Vierzigern zustrebend, schaltete ein „charmantes“ Lächeln ein und bewies ihre Kunstfertigkeit, indem sie sich im Verlauf von vier Tanzschritten einmal um die eigene Achse drehte und dabei ein noch recht wohlgeformtes Bein aus dem Rockschlitz blitzen ließ.

„Mich übermannt’s -“ warnte Alex ernsthaft.

“ … Ihnen noch viel, viel mehr zu zeigen als es hier draußen die Behörden erlauben!“ gurrte die Ausruferin. „Und nun erst die reizende Claudette – „
Claudette – rundes Kindergesicht mit kühngeschminkten Lippen und Brauen – knickste mit der Grazie eines jungen Fohlens.

„… könnte sie noch für ein Kind halten,“ (so ganz an der Realität konnte selbst die Weißviolette nicht vorbei), „aber … “ fuhr sie mit geheimnisvoll gesenkter Stimme fort,“ … sehen Sie sie erst in unserer Revue, und Sie werden sagen: nein, das ist kein Kind mehr – “

„Lasterhöhle!“ murmelte Alex schockiert. „Das kann man ja keinem Menschen zumuten … „

„Sie wollen sich nur der Versuchung entziehen – “ zischelte Sylvia zurück, “ – Sie bleiben hier!“

„Aber nun – “ die Anpreiserin hob ihre Stimme und wies auf die dritte „schöne Frau“, “ Sylvia !!!“

Sylvia die Zweite – zweifellos die Bestaussehende der ganzen Runde – warf unter dicken falschen Wimpern einen verheißungsvollen Blick ins Publikum.

„Sylvia Orchidea – das Mysterium von Montmatre! “ fuhr die Ausruferin, mit unerwartetem Sinn für Alliterationen, fort: „Jahrelang in Stätten des Lasters vor lüsternen Augen zur Schau gestellt -„

„Ich sag’s doch: Lasterhöhle!“ flüsterte Alex mir wieder zu.

“ – bis sie endlich der berühmte Gelehrte, Professor Charcot von der Academie Francaise, aus diesem unwürdigen Dasein erlöste und den Medizinern der Welt dieses einmalige Phänomen als unlösbares Rätsel vorstellte – „

Sylvia die Zweite hob einen schwarzen Straußenfederfächer, Rätselhaftigkeit symbolisierend, vors Antlitz.

„Sylvia Orchidea – geheimnisumwittertes Spiel der Natur, über das sich die Wissenschaft heute noch nicht einig ist: Mann oder Weib?!”

Die Erwiderung, die ich auf der Zunge gehabt hatte, blieb mir im Halse stecken.

Wenn ich direkt auch körperlich zusammengefahren war – glücklicherweise fiel es schwerlich auf, denn nach dieser dramatischen Ankündigung reckten auch die anderen Zuschauer, die sich inzwischen angesammelt hatten, die Hälse – als Sylvia Orchidea nun mit wohlberechneter Langsamkeit den Fächer wieder sinken ließ und der Reihe nach ein durchaus weibliches Gesicht mit vollen sinnlichen Lippen, einen schlanken Hals, wohlgeformte Schultern und einen halbentblößten Busen forschenden Blicken präsentierte, .den Fächer dann ganz sinken ließ und provozierend hüftenschwenkend dem Eingang ins Budeninnere zuschritt. An der Tür machte sie noch einmal halt und schmiß, während sie sich lüstern am Türbalken räkelte, einen verführerischen Blick ins Publikum:

„Ist es möglich – “ beschwor die Weißviolette, „kann dieses Bild hinreißender Schönheit, betörenden Reizes – dieser Körper, dieses Antlitz, diese Grazie – “ sie wies ausgestreckten Armes auf die rotlockige Schöne, “ – in Wahrheit ein Mann sein ?!!”

Selbst Alex schien diesmal um einen Kommentar verlegen – ich, verständlicherweise, erst recht.

“Kommen Sie in unsere Schau – sehen Sie es selbst: dann enthüllt sich Ihnen auch dies Geheimnis – das Geheimnis der rätselhaftesten schönen Frau aus dem schööönen Paris !“ Und damit rauschte Sylvia Orchidea mit einem letzten aufreizenden Hüftenschwung durch den Vorhang nach innen.

„Doch nicht minder staunen werden Sie über Frou-Frou mit ihren gewagten – „

Doch im Moment war mir der Sinn für solche Ankündigungen – geschweige denn für geistvoll-amüsierte Kommentare dazu! – völlig vergangen. Diese „Sylvia Orchidea“ (mußte sie – oder er? – sich auch noch ausgerechnet meinen Namen ausborgen?) hatte mich gleich dreifach schwer angeschlagen: zunächst, wie jedermann verstehen wird, fühlte ich mich aus dem Traumland, in dem ich eben noch wohlig geschwebt hatte, jäh auf den Boden der peinlich-schalen Fakten zurückgeholt: ich war eben keineswegs eine charmante, weiblich-überlegene Sylvia – sondern ein mit Luftballons, Schaumgummipolstern und Kunsthaar für acht Mark aufgeputzter junger Mann, der (ein heiß-kaltes Gefühl der Scham begann in mir aufzusteigen) nicht einmal ehrlich genug war, seine Abnormität in einer Schaubude auszustellen, sondern geschmacklos genug, damit einen völlig harmlosen, netten Kerl, der ihm nichts Böses getan hatte, hereinzulegen! Wenn ich nun schon nicht normal, sondern abwegig veranlagt war – welches Recht hatte ich, den unbeteiligten Alex in meine Abnormitäten mitzuverwickeln?!

Doch zugleich mit dieser lähmenden Ernüchterung stieg, sie überlagernd und fast in den Hintergrund drängend, eine ganz andere Gedankenkette in mir auf: bis jetzt war die Idee, als Mann Frauenkleider anzulegen, meine ganz persönliche, einsame Passion gewesen. Gewiß hatte ich irgendwo gelesen und gehört – und jedes Wort darüber begierig verschlungen! – daß es sicher auch andere Männer („Damenimitatoren“, gelegentlich in Zeitungsmeldungen erwähnte „Gauner“ oder „Abwegige“ – oder meinen speziellen Helden, den „schönen Conny“) geben mochte, die auch so etwas taten: aber das waren weltenferne, unpersönliche Berichte gewesen – jetzt hatte hier, kaum fünf Meter von mir entfernt, so ein Mann gestanden: lustvoll-erschreckend „echt“ hergerichtet – im hautengen Goldlamee-Abendkleid – mit üppiger tizianroter Perücke! Auch so einer wie ich!

Und ganz offenbar – während ich der lächerlichste Anfänger war – ein Routinier in diesen Dingen: ohne die Ankündigung der Ausruferin wäre ich nicht im Traum auf die Idee gekommen, ihn für etwas anderes zu halten, als was er schien – eine „tolle Frau“!

Wie machte er das? Wie war er überhaupt dazu gekommen? Wie lebte er, wenn er nicht auf der Schaubudenbühne stand – auch als Frau? Oder in Männerkleidern? War das für ihn nur eine artistische Rolle – wie für irgendeinen. Schauspieler, der im Film Frauenkleider anziehen mußte – oder spürte er dabei genau die gleiche faszinierende Lust wie ich? Irgendwo ließ mich der Gedanke nicht mehr los, mit dieser „Sylvia Orchidea“ zu sprechen – ihr (oder vielmehr ihm) von meiner abwegigen Leidenschaft zu erzählen, vielleicht gar Erfahrungen, Gemeinsamkeiten, Tips auszutauschen, ihn. gar sagen zu hören: „… endlich kann ich mich mal mit jemand aussprechen, der genau so fühlt wie ich!“?

Aber Unsinn. Der – oder die – hatte gewiß etwas anderes im Sinn, als mit mühsam hergerichteten Amateuren herumzuplaudern. Oder? Noch schlimmer: wenn diese Sylvia Orchidea – „jahrelang in Stätten des Lasters vor lüsternen Augen zur Schau gestellt“ – nun total verdorben, pervers, verbrecherisch war? Nur darauf lauerte, mich, der ich ohnehin schon in erschreckender Weise auf die „schiefe Bahn“ geraten war, endgültig in unaussprechliche Laster einzuführen?! War ich ernstlich sicher, dem widerstehen zu können? Sollte ich solche Menschen nicht lieber wie die Pest meiden – genau so, wie ich diesen seltsamen Telefonruf in der Damenzeitschrift nie benutzen würde!

Denn – und das war das dritte und Erschreckendste: Obwohl – oder gerade weil? – ich wußte, daß all die Schönheit, die sexuelle Ausstrahlung dieser Sylvia Orchidea künstlich, angeschminkt, ausgepolstert und. gefälscht war – irgendwo war mir all das siedendheiß ins Blut gegangen, tausendmal heißer als etwa die Ansprecherei gestern abend: irgendwo in mir stieg es golden-woIkig-schwindelnd auf bei der Vorstellung, diesen üppig-verlockenden falschen Frauenleib in meine Arme zu reißen, seine künstlichen Brüste und Hüften gegen meine zu pressen, mit den Händen in den Locken dieser Frauenperücke zu wühlen und diese lüstern zurechtgeschrninkten Lippen zu küssen – und dabei mit einer hämischen, niederträchtigen Freude zu wissen, daß das alles Schwindel, Trug und Täuschung war, daß unter diesen roten Locken ein Männerscheitel, hinter den schweren Brüsten ein platter Männerleib, unter dem enganliegenden Rock ein praller Schwanz versteckt lag!!!

„Ja – wollen wir nun – oder nicht?“ riß mich Alexanders Stimme aus diesen irren Träumereien. Ich fuhr auf: inzwischen hatten sich offensichtlich genug Interessenten angesammelt, um die Ausruferin zu der dringlichen Aufforderung zu reizen, „unsere Vorstellung – unsere Revue- unsere einmalige Schau in unserem schöööönen Casino de Paris“ alsogleich zu besuchen.

Ja – wollte ich – oder wollte ich nicht? Mühsam versuchte ich mich aus meinen einsamen Gedankenspielen wieder in die Rolle des netten, charmant amüsierten Fräulein Sylvia zurückzutasten. Was würde denn eine ganz normale junge Dame an dieser Stelle sagen?! Ich wußte es nicht mehr! Sylvia, das vorhin noch so unfehlbar funktionierende „Mädchen in mir“, hatte sich scheinbar in unerreichbare Ferne zurückgezogen und ließ mich – in ihren Kleidern, ihrer Rolle – allein und hilflos zurück…

„Was meinen Sie?“ versuchte ich verzweifelt die Entscheidung Alexander zuzuschieben. Aber der schien – vielleicht, weil ich mich in den letzten Minuten so still und seltsam verhalten hatte, fuhr es mir mit neuem Schrecken durch den Kopf? – auch merkwürdig unentschlossen:
„Ihr Wunsch ist mir Befehl!“ gab er – schien es nur so, oder war es wirklich nur ein lauer Aufguß seiner früheren lustigen Laune? – zurück.

Ich gab mir einen Ruck: Du bist jetzt total unfähig, die charmante Sylvia zu spielen, wenn Du mit ihm weitergehst – wenn ihr hineingeht, hast Du erst einmal etliche Minuten Zeit, Dich wieder zu fangen, sagte ich mir (und außerdem siehst Du die Sylvia Orchidea wieder, ergänzte eine schleimig-hämische Stimme im Hintergrund … ).

„Also dann hinein in unser schööönes Casino de Paris!“ antwortete ich mit einem müden Versuch, wieder in den alten amüsierten Tonfall zurückzukehren.

Fast schien es, als habe unser Entschluß, die „schöne Schau“ zu besuchen, nun auch den Bann bei den übrigen Zuschauern gebrochen – denn hinter uns drängten sich nun auch brave Bürger, picklige Jünglinge und ein paar junge Paare zur Kasse, an der die Violettgelockte mit nüchterner Geschäftsmäßigkeit Zweimarkstücke kassierte. Die Bude – Bänke aus Holzbrettern vor einer winzigen Bühne mit schäbigem purpurrotem Vorhang – füllte sich zusehends, wenn auch, trotz der Versicherung „Die Vorstellung beginnt sofort!“, noch einige Minuten vergingen, bis auch die hinteren Bänke so besetzt waren, daß die „Direktion“ (repräsentiert wohl durch die Violette und den Galgenvogel im Frack, der sich als „Hellseher“ betätigen wollte) es tatsächlich für rentabel hielt, anzufangen.

Alex – wie immer vorbildlicher Kavalier – hatte für uns Plätze in der vordersten Bankreihe ergattert; mit dem – beabsichtigten oder unbeabsichtigten – Ergebnis freilich, daß wir in drangvoller Enge saßen: Alex zu meiner Linken, zu meiner Rechten ein feister Bäckermeisterstyp, der – ganz im Gegensatz zu meinem Begleiter – gar nicht abgeneigt schien, diese Enge zu allerlei Kontakten mit meinem rechten Knie und Brüstchen auszunutzen. Hätte mich das vor kurzem vielleicht noch amüsiert, zog ich mich jetzt wie ein scheues Reh nach links zurück – und konnte, als wiederum etwas unerwartete Folge, konstatieren, daß Alex (nach einem fragenden Blick, ob mir das wohl um Himmelswillen auch recht sei!) schützend seinen Arm um meine Schulter legte und mich so, zumindest oberhalb der Gürtellinie, gegen den unternehmungslustigen Dickwanst abschirmte. Es wäre durchaus wohlig gewesen, so in seinen Arm geschmiegt zu sitzen – wenn ich das Mädchen Sylvia von vorhin noch in mir gehabt hätte: aber hatte das sich, vor diesen irr-lüsternen Phantasien von eben nicht entsetzt ins Reich der Ideen zurückgezogen?

Nun – vielleicht (hoffentlich!) kam sie langsam zurück; der Beginn der Vorstellung – gurrend von der Weißvioletten als „Pariser Wäsche-Modenschau“ angekündigt – jedenfalls war kaum geeignet, den geilen Wollüstling in mir weiter zu locken: die ältliche Estelle und die zu junge Claudette (im Mittelwert hätten sie zweimal das Richtige ergeben) sowie die farblose Frou-Frou hopsten in Hemdchen, die zwar durchsichtig, aber im übrigen weder für Weib noch Mann in mir erregend waren, in emsiger Folge über die Bühne und reckten ihre Arme im mehr oder minder erfolgreichem Bemühen, dadurch ihre teils schlaffen, teils unterentwickelten Brüste in besseres Licht zu setzen.

„Lasterhöhle!“ kommentierte Alex schwach.

„5-Tonnen-Laster!“ gab ich, mühsam nach früherer Originalität tastend, ebensoleise zurück.

In der zweiten Abteilung gab sich Madame Exteile redlich Mühe, erotisch aufreizend in einem knappen Büstenhalter einherzutanzen – was nur insofern ein wenig pointenlos blieb, als jedermann sich schon in der vorigen Nummer von Qualität und Quantität des Inhalts dieses Halters überzeugt hatte. Danach betrat die minderjährige Claudette die Bühne, eine Art Vorhängegardine über den schmächtigen Leib drapiert, und absolvierte verbissen ihren „Schmetterlingstanz“, bei dem ein Projektor im Hintergrund erst farbige Flecken, dann mehr oder minder bunte Falter-Fotos auf die wedelnden Schleier warf.

Nach soviel beängstigender Pariser Erotik glaubte man wohl, dem Publikum eine Erholungspause gönnen zu müssen – und „Garvin, der Mann mit dem sechsten Sinn“ begann, Frau Direktor als Medium benutzend, seine telepathischen Fähigkeiten („die die Gelehrten der Academie Francaise in sprachloses Staunen. versetzt hatten“) zu beweisen. In wohlvertrauter Weise tat er das dadurch, daß er im Publikum irgendwelche Gegenstände ergriff, die seine violette Partnerin dank standardisierter Fragen – „Sage mir, was habe ich hier wohl in der Hand? – zum Staunen der naiveren Zuschauer mühelos identifizierte. Dennoch brachte mich (was beweist, daß man nie „nie“ sagen soll!) Garvin, der Mann mit dem sechsten Sinn, in der Tat zu fassungslosem Staunen – und zugleich dazu, daß Fräulein Sylvia aus ihrem Exil zurückzukehren begann; und das kam so:

Hinten beginnend – weil’s da schwerer aussah – hatte sich Monsieur Garvin. bis zur ersten Reihe durchgearbeitet, wo sein Blick (wieder einmal ein Kompliment ?!) natürlich an mir hängenblieb:
„Und Sie, Mademoiselle — wollen auch Sie mier raischän eine Gegenstand aus Ihre ‚andtaschää?“

„Raischän Sie ihm!“ feuerte mich Alex an, „Aber was Kompliziertes!“

Ich fingerte an Fräulein Lieselottes Umhängetasche. Was „Kompliziertes“ hatte ich da schon drin? Schlüssel, Taschentuch, Portemonnaie, Lippenstift, Puderdose – Personalausweis wäre was Interessantes, wisperte mir eine perverse Stimme zu („Lies wie diese scharrrmantää junge Mademoiselle ‚ eißt ?“ – „Hugo!“) – Blödsinn, aber vielleicht steckte da in dem Nebenfach mit dem Reißverschluß noch irgendwas Ungewöhnlicheres? Ich hatte es ehrlich gesagt bisher noch gar nicht aufgemacht!

Ich zog den Verschluß auf – tastete im Halbdunkel der Bude etwas Glattes, Gefaltetes – zog es heraus –

„O mon Dieu – das sein ßweierlei – wälschääs Sie meinen, Mademoiselle?“ – protestierte Monsieur Garvin in seinem nervenaufreibenden Akzent.

„Das da – “ hauchte ich und drückte ihm ein eselsohriges Foto in die Hand.

„O – ßein ßärr iiiteressann‘: eine Fotoh! Was kannst Du mir sagen ist abgebildet auf diesem Bild?“ (Die Fragen mußten – im Gegensatz zu seinem übrigen Gerede — immer schön in den einwandfreien gestelzten Formulierungen des Codes gegeben werden).

„Das Bild – das Bild – “ stöhnte sein Medium “ – ach – verschwommen – wolkig – eine Frau – eine junge Dame – neben ihr wer? Ein Mann – ein. Mann – ich sehe nichts mehr – doch: die Frau – das Mädchen – sie ist es, sie selbst, die Ihnen das Bild gegeben hat!“

Was bewies, daß ich – zumindest im Halbdunkel und im Kopftuch – irgendwie einigermaßen ähnlich aussehen mußte wie das unbekannte Fräulein Lieselotte.
Aber nicht das war es, was mich zum fassungslosen Staunen brachte: sondern das andere, was ich da zusammen mit dem Foto aus dem Nebenfach der Handtasche geholt hatte und jetzt noch immer wie träumend zwischen den Fingern hielt: eine ganze Reihe säuberlich zu einem Päckchen zusammengefalteter Fünfzigmarkscheine!

So viele Fragen und Komplikationen diese unerwartete Entdeckung in der Folge nach sich ziehen sollte – damals, das weiß ich noch sehr genau, war mein erster Gedanke beim Anblick dieser Banknoten nur: Das ist Deine Perücke …! Und ich fühlte fast schon, wie füllige Frauenlocken meinen Nacken zu umspielen begannen …

Dieser Gedanke war so übermächtig, das alle anderen, naheliegenderen Fragen – woher kommt dieses Geld? darfst Du es überhaupt anrühren? Wieso hat die Lieselotte es einfach mit ihren Sachen zurückgelassen? – mir erst einzufallen begannen, als ich bereits wieder unterbrochen wurde:

„Ist das rieschtiesch ?“ fragte Monsieur Garvin stolz und hielt mir das Foto – Fräulein Lieselotte in einem mir unbekannten Kleid neben einem ebenso unbekannten jungen Mann – unter die Nase.

„Stimmt das?!“ mischte sich auch der Dicke neben mir ein und beugte sich mit gespieltem Interesse zu mir herüber – dabei wie von ungefähr seine linke Hand genußvoll auf meinen Oberschenkel stützend.

„Ja – das ist richtig – “ bestätigte ich dem Hellseher mit strahlendem Augenaufschlag, „aber das -“ mit spitzen Fingern nach der Hand des Dicken greifend, sie wie ein unangenehmes Tier emporhebend und dann verächtlich fallenlassend “ – ist nicht richtig!“

Der Dicke murmelte etwas und schrumpfte spürbar in sich zusammen; Alex warf ihm einen halb empörten, halb amüsierten Blick zu; Monsieur Garvin wandte sich diskret dem letzten „entliehenen Objekt“ zu – ich aber kuschelte mich wohlig in den schützenden Arm meines Begleiters und spürte eine weiche, sanfte Welle der Beruhigung in mir aufsteigen: Sylvia war wieder zurückgekehrt – mit ihrer blitzschnellen weiblichen Intuition, ihrer charmanten Überlegenheit und, so hoffte ich wenigstens, Selbstsicherheit. Jetzt konnte mir nichts mehr passieren – mit soviel Geld in der Tasche und soviel Sylvia im Leib…

Ich sollte diese Beobachtung später noch öfter und präziser machen: bei all ihrer faszinierenden Persönlichkeit war diese Sylvia in mir im Grunde ein höchst naives Frauenzimmer – in unerwarteten Komplikationen, angesichts roher Sexualität (oder aber, wenn sie das Gefühl hatte, nicht so hübsch zu sein wie andere) fiel sie wie eine viktorianische Lady in Ohnmacht: um aber bei jedem verlockenden bißchen Damenputz (sei es nun ein fesches Kleid oder eine neue Perücke) – ganz zu schweigen von Komplimenten! – sofort wieder voll ins Leben zurückzukehren!

Die Bewährungsprobe kam sogleich: Fräulein Frou-Frou hatte – unter wohlverdientem Applaus – in einer lebensgefährlichen Verrenkung das Taschentuch, das hinter ihr auf dem Boden lag, mit den Lippen aufgehoben (und dabei, damit auch der lüsternere Teil des Publikums nicht zu kurz kam, ihren Oberleib beachtlich aus dem knappen lila Korsett recken müssen); nun verschwand sie knixend – der schäbige Purpurvorhang, vor dem sie ihre Kunst gezeigt hatte, öffnete sich wieder -und, kurvenreich auf eine weiß-goldene Chaiselongue gegossen, zeigte sich dem Publikum zweifellos der Höhepunkt der Vorstellung: Sylvia Orchidea.

Zu den schmeichelnden Klängen der Barkarole aus „Hoffmanns Erzählungen“, die überraschend wohltönend aus den Lautsprechern hinter der Bühne drangen, räkelte er-sie sich kurtisanig in den Polstern, umarmte die weißen Schultern („komm, oh komm, oh Lie-hie-besnacht …“) mangels. Partners mit den eigenen, damenhaft schlanken Händen, strich, sich langsam weiter nach unten tastend, wollüstig über Busen, Taille und Hüften und reckte dann, sich sehnsüchtig aufsetzend (“ … oh sti-hil-le das Verlangen …“), ein empörend schönes Damenbein im schwarzen Netzstrumpf aus dem Schlitz des enganliegenden Goldlameekleides.

Netzstrümpfe will ich auch, dekretierte das Mädchen Sylvia in mir, die machen unerhört schöne Beine.

Wenn sich dieses Bein so anfühlen würde, wie es aussieht, flüsterte eine andere Stimme in mir dazwischen.

Warum drückt der Alex mich auf einmal so an sich? fragte ein dritter Teil mit sanfter Verblüffung.

Aber nun hatte sich Sylvia Orchidea (“ … schöner als der Ta-hag uns lacht …“) endlich vollends erhoben, das Bein vorerst wieder in den schimmernden Falten des Rocks verschwinden lassend, und wandte sich erneut ihren weißen wohlgeformten Schultern (“ … die schö-hö-ne Liebesnacht .,.“) zu, um dann die Hände nochmals schmeichelnd (“ … Zephire lind und sacht, die uns kosend umfangen …“) über den ganzen üppigen Leib gleiten zu lassen – wobei irgendwann unmerklich das Kleid in diesen Händen hängenblieb, in dessen flimmernden Stoff er-sie übermannt das Haupt vergrub (“ … Zephire haben ; mir – Deine Küsse gebracht … !“) und dann (“ … ja-ha ah-aah . . .“) diese überflüssige Hülle zu Boden gleiten ließ: einen träumhaften, den goldpailletenbesetzten Halter fast sprengenden Busen ‚und darunter eine fast ebenso traumhafte Taille über üppigen Hüften in knappem, gold-und-schwärz glitzernden Höschen enthüllend!

So ’ne Figur schaffe ich auch, kommentierte Sylvia in mir katzig, sogar mit noch schlankerer Taille – wenn ich bloß den Fummelskram dazu hätte! Dich jetzt abtatschen, wie es der Dicke vorhin versucht hat …! – hechelte die andere Stimme. Wo hat der Alex seine Gedanken – und wo hat er auf einmal seine Finger? alarmierte ein dritter Teil.

Aber nun schien Sylvia Orchidea – nach aufreizend langsamem, geilen Wiegen des Leibs und erneutem Streicheln ihrer weißen Haut mit dem schwarzen Straußenfederfächer – langsam auch der Überzeugung geworden zu sein, daß die Liebesnacht nun endlich kommen müsse: mit einem verheißungsvollen Blick unter den langen falschen Wimpern hervor wandte er-sie nun den – schlank-weißen – Rücken zum Publikum und begann, schräger Hüfte die schönen Beine reckend, endlich („Stih-le da-has Verlaaangen!“) am Büstenhalterverschluß zu nesteln.

och dann verzögerte sich das Unvermeidliche nochmals, weil beim Umwenden der Straußenfederfächer nur die schönen Schultern freigab, während Sylvia Orchidea mit der anderen Hand den winzigen (wo zum Teufel hatte er die Polster gelassen?!) Büsterhalter mit vieldeutigem Lächeln pendeln ließ. Nocheinmal wiegte er-sie sich verführerisch in den Hüften, während die Damen des Barkarolen-Duetts im Lautsprecher sich zum Finale steigerten („Schö-hö-ne Lie-hie-bes*-nacht !!!“) – um dann, während die schwüle rot-violette Bühnenbeleuchtung jäh in nüchternes Weiß umschlug, mit kühnem Schwung den verhüllenden Fächer nach links – die tizianrote Lockenperücke nach rechts wegzureißen – und sich steif zu verbeugen.

Der Schock war – trotz allen vorbereitenden Wissens – perfekt: Silvia Orchidea hatte nicht nur eine brettplatte Männerbrust — sondern auch eine Vollglatze.
Einige Frauen – vielleicht solche, die draußen die Ankündigung nicht richtig mitbekommen hatten – quiekten schrill vor überraschtem Vergnügen (es faszinierte mich später immer wieder, daß Frauen von einer vollendeten Imitation – genauer gesagt, von deren Enthüllung – in einer ganz eigenartigen Weise erfreut und begeistert sind: so als wollten sie ausdrücken „ätsch, da bist Du geiler Bock aber schön hereingefallen“ oder was immer sich in ihrem Hirn dabei abspielen mag).

Sylvia in mir war sanft damenhaft schockiert (eine Lady, und sei sie noch so männlichen Geschlechts, tut so etwas nicht!). Hinreißend häßlich, stöhnte die andere Stimme in mir verzückt. Jetzt hat aber der Alex seine Hand auf meinem Schenkel, konstatierte der dritte Part verblüfft.

Der Vorhang war rasch gefallen – und die Frau Direktor scheuchte uns jetzt geradezu aus der Bude, weil sie inzwischen eine neue Ladung Schaulustiger aufgesammelt hatte, die schon hereindrängten.

Auch ich stand auf, Sylvia nahm die Gelegenheit wahr, im Gedränge wiederholt mit allen Kurven gegen Alex Leib gedrängt zu werden, und dann standen wir in einer Gasse neben der Bude in der kühlen Abendluft.

„C’est Paris!“ sagte Sylvia und holte tief Luft.

„Das kann man wohl sagen – “ bestätigte Alex mit ungewohnter Düsterkeit, legte – wie selbstverständlich – seinen Arm um Sylvias Taille (und die ist schlanker als bei der Orchidea, triumphierte diese), und wir bogen wieder in den Strom der Rummel-Bummler auf der Hauptstraße ein.

“Also jedenfalls – “ resümierte Alex, nachdem wir eine Weile stumm nebeneinanderhergewandelt waren, als müsse er das Kapitel unbedingt noch offiziell abschließen, „war diese Orchidee da um Klassen besser als alles andere – so etwas könnte in jedem Nachtklub auftreten statt in dieser Bruchbude!“

“Ach – und ich dachte, das wäre ein Nachtklub gewesen?!“ verwunderte sich Sylvia mit weitaufgerissenen Kleinmädchenaugen. „Nun bin ich aber enttäuscht!“

Und was interessiert Dich eigentlich an dieser falschen Orchidee da? fauchte sie innerlich. Wenn Du für verkleidete Männer schwärmst, haste ja hier einen am Arm!

“Soll ich Sie denn mal in einen richtigen Nachtklub schleppen?“ griff Alex – nicht gerade virtuos – das Stichwort auf.

„In dieser – “ Sylvia gestikulierte, fast wie ihr Namensbruder, an ihrem Regenmantel herunter, “ – rauschenden Pariser Abendrobe?!“

„Nein – “ räumte Alex ein, „aber wenn wir nun morgen mal ganz groß ausgehen würden?“

Und ich in meiner neuen Perücke, jubelte Sylvia in mir. Und vielleicht reicht es auch noch zu einem ganz tollen Kleid und Schuhen?

„Sie sind ein raffinierter Wüstling, der unschuldige Mädchen vom Pfade der Tugend locken will!“ tadelte Sylvia streng, und fügte dann im gleichen Ton hinzu: „Versuchen Sie es weiter so!“

„Am bösen Willen soll es mir nicht fehlen – “ gab Alex inspiriert zurück.

Aber jetzt hielt ich es nicht länger aus – jetzt mußte ich erst einmal dieses vom Himmel gefallene, wundersame Perückengeld, das all meine Probleme zu lösen versprach, in Ruhe anschauen und zählen – und da es sicher einigermaßen seltsam ausgesehen hätte, wenn ich das mitten auf dem Festplatz getan hätte, sagte ich kühn:
„Darf ich Sie mit diesen finsteren Plänen mal eine Minute allein lassen?“

Alex stutzte erst – aber dann wurde ihm klar, daß auch das ätherischste Wesen einmal menschliche Bedürfnisse haben könne.

„Selbstverständlich – dort drüben, glaube ich“, fügte er, hilfsbereit wie immer, hinzu – und stürzte mich damit, ohne es zu ahnen, in ein neues Abenteuer.

Nicht, daß ich etwa nun auch noch (wie es das ja geben soll) der erotischen Faszination der Damentoilette im anderen Sinne des Wortes erlegen wäre – glücklicherweise gab es auch noch einige wenige Perversionen, die keinerlei Reiz für mich hatten; zudem war die – von einer fürsorglichen Stadtverwaltung hinter den Buden aufgestellte – fahrbare Bedürfnisanstalt mit Trockenklos wohl auch kaum geeignet, irgendjemand zu faszinieren: sie stank zwar nicht gerade so penetrant wie ein Männerpissoir – war aber im übrigen schwerlich anheimelnder.
Nein, die neue Komplikation nahte diesmal aus einer ganz anderen Richtung – rückblickend gesagt, aus mehreren zugleich, die ich erst im Lauf der Zeit richtig erkannte.

Zunächst aber zog ich mich erst einmal auf ein stilles Örtchen zurück, ließ mich auf der Klosettbrille nieder und holte nocheinmal das Geld aus der Tasche. Beim trüben Licht einer schwachen Glühbirne faltete ich das Päckchen auseinander; daß es etliche Geldscheine gewesen waren, hatte ich ja schon gesehen – aber als ich jetzt in Ruhe zählte, war ich doch nocheinmal erschüttert: Dreizehn – teils alte, teils neue, aber allem Augenschein nach völlig echte Fünfzigmarkscheine. Sechshundertundfünfzig deutsche Mark.

Das Ganze begann immer mehr die Qualität eines legendären Wunders (ähnlich dem Rosenkörbchen der heiligen Hildegard – oder wer war es?) anzunehmen. Sechshundertfünfzig Mark waren – wenn ich Tante Irma für unwahrscheinlich großzügig einschätzte – immer noch mindestens zwei Monatsverdienste des Hausmädchens Lieselotte. real gesprochen, also eher das, was sie sich in einem halben oder ganzen Jahr hätte zusammensparen können. Und dieses Geld ließ sie dann – genau, wenn sie auf Urlaub nach Spanien fahren wollte! – unbekümmert in der Handtasche zurück? Und kümmerte sich seit fast einem Vierteljahr nicht mehr im Geringsten darum?!

Das war etwa genau so unwahrscheinlich wie die Annahme, Tante Irma habe das Geld als Überraschung für ihren lieben Neffen in Fräulein Lieselottes Tasche versteckt!

Hatte die Lieselotte das Geld – vielleicht in Tante Irmas Haus – geklaut? Und war dann aus Angst vor der Entdeckung nicht mehr zurückgekommen? Das sah zwar zunächst plausibel aus – stimmte aber vorn und hinten nicht: wenn sie nicht gerade übergeschnappt war, hätte sie den Zaster doch 1) mitgenommen oder 2) wenigstens besser versteckt!

Nein – im Augenblick konnte ich mir nur eine Erklärung denken, die zu den Fakten (und übrigens auch zu verschiedenen anderen Seltsamkeiten, die mir jetzt erst auffielen) paßte: Fräulein Lieselotte mußte – neben ihrer Hausarbeit – noch eine andere, sehr viel ergiebigere Einnahmequelle gehabt haben. Und es gab ja ganz in der Nähe eine Stelle, wo junge Damen Geld – wahrscheinlich sogar viel Geld – verdienten: den Törner Wald.

Das paßte mit verschiedenen anderen Dingen zusammen: mit dem unerwartet teuren Regenmantel zum Beispiel, der überhaupt nicht in den Etat eines Hausmädchens paßte – dessen Eignung als Nutten-Tracht ich aber schon am eigenen Leibe erlebt hatte; zu dem kostbaren Satin-Unterrock, der ebenso merkwürdig von Fräulein Lieselottes anderer Wäsche abgestochen hatte; zum „Kamasutra“ im Nachttisch, das durchaus ein – wenn auch etwas altmodisches – Lehrbuch für eine Amateur-Nutte gewesen sein konnte; und vor allem zu dem – für Tante Irma so verblüffenden – Entschluß, sich endgültig in das „süße Leben“ zu stürzen und überhaupt nicht mehr zurückzukommen.

So wenig ich mit der Absicht an die Frage herangegangen war, Fräulein Lieselottes Ehre anzutasten: das schien mir die einzige vernünftige Hypothese zu sein. Sie erklärte zwar nicht – machte aber zumindest plausibler, daß Fräulein Lieselotte mal Geld (wieviel mochte das für sie gewesen sein? Eine Abendkasse?!) in ihrer Handtasche vergaß: wahrscheinlich hatte sie woanders so viel, daß es ihr überhaupt nichts ausmachte. Oder sie hatte es dort als kleine „Schmuhkasse“ gesammelt, während sie ihren Hauptverdienst (der „junge Kerl“, den sie da kennengelernt hatte, nahm auch etwas verdächtige Züge an) irgendwo anders ablieferte?

Möglich, daß meine Logik etwas von dem Wunsch getrübt war, dieses Geld aus dem Spargroschen eines armen Hausmädchens (den anzurühren mir nun doch recht gemein erschienen wäre) in den Sündenlohn einer im Mammon schwimmenden Kurtisane zu verwandeln: spätere Ereignisse zeigten, daß ich bis hierhin nahezu richtig geschlossen hatte. Leider nur nahezu. Aber das merkte ich erst viel zu spät.

Jetzt jedenfalls steckte ich die Scheine befriedigt wieder in die Tasche zurück: eine kleine Anleihe für eine schicke Perücke schien mir unter solchen Umständen durchaus gerechtfertigt – gerechtfertigter jedenfalls, als wie ein Märtyrer neben diesem unerwarteten Himmelsgeschenk in Qual und Verzicht zu versinken, während die Lieselotte sich in Spanien ein feines Leben machte und wahrscheinlich schon total vergessen hatte, daß da in einer abgelegten Tasche noch ein paar Fünfzigmarkscheine moderten!

Ich stand auf, öffnete die Tür der stillen Klause und trat draußen noch vor den Spiegel, um mir die Hände zu waschen und einen Blick auf meine Frisur zu werfen: ich fand mich nach wie vor recht hübsch und zupfte nur mit spitzen Fingern noch ein wenig an den falschen Locken, als ich plötzlich eine Mädchenstimme hinter mir sagen hörte:
„Entschuldigen Sie – „

Ich wandte mich um. Die junge Dame, die mich angeredet hatte – außer mir zur Zeit anscheinend die einzige ‚Kundin‘ des Etablissements – trug einen weißen, flauschigen Wollmantel wie ein Lämmchen und hatte ein hübsches, wenn auch ein wenig strenges Gesicht. Mit ihren glatten, halblangen blonden Haaren erinnerte sie mich ein wenig an einen mittelalterlichen Pagen, der sich als Mädchen verkleidet hat ( “ . , , da trug Bayard der Page der Hökerinnen Kleid… “) oder eine Shakespearesche Heldin, die sich als Page verkleidet hatte („Were it not better, because that I am more than common tall, that I did suit me all points like a man?“). Unglücklicherweise war sie, wie sich herausstellen sollte, weder das eine noch das andere.

„Entschuldigen Sie, daß ich Sie hier so einfach anspreche – “ wiederholte sie und sah mich an wie das sprichwörtliche gehetzte Reh, “ – aber ich bin in einer einfach furchtbaren Situation!“

Nun ist gewiß nach allen Regeln des gesunden Menschenverstands das Letzte, was sich ein als Dame verkleideter junger Mann in einer. Damentoilette auf den Hals holen sollte, ein unbekanntes junges Mädchen in einer „furchtbaren Situation“. Doch vielleicht hatte ich unbewußt das Gefühl, ich müsse dem Schicksal, das mir da so unvermutet Perückengeld beschert hatte, auch einen Gegendienst leisten – vielleicht war es auch bloß einmal wieder die entfesselte Sylvia, die sich jetzt auch an einer „Geschlechtsgenossin“ versuchen wollte: jedenfalls legte ich ihr beruhigend die Hand auf den Arm und sagte weltweise:
„So furchtbar, das wir sie zu zweit nicht packen, kann sie gar nicht sein!“ (Die Rolle der kühnen Amazone war für Sylvia zwar völlig neu, aber offenbar gerade darum sofort reizvoll).

Ein dankbarer Blick aus den braunen Rehaugen belohnte mich.

„Oh – ich wußte gleich, daß Sie – daß ich Sie – “ verhedderte sie sich und schloß dann etwas unlogisch: „Aber ich kann das wirklich nicht von Ihnen verlangen!“

„Sie können mir zumindest – “ wisperte die kühne Sylvia (das war mal wenigstens eine Situation, wo man nach Herzenslust und ohne Stimm-Sorgen wispern durfte!) ihr ermutigend zu, „mal erzählen, worum es eigentlich geht – dann werden wir weitersehen!“

Das Pagen-Lamm-Reh holte tief Atem und sammelte sich sichtlich.
„Ich bin ja selbst schuld – “ begann sie (wie so viele Leute in „furchtbaren Situationen“ verspätet festzustellen scheinen!), „ich hätte gar nicht mitgehen sollen: aber dann hatte ich solchen Hunger – und es sah ja auch erst so aus, als würde alles richtig nett werden: aber dann, fing der Schwede auf einmal an, so merkwürdig zu gucken und zu reden – und dann dauernd mit den Händen – “ Sie schüttelte sich und verstummte.

„Also – jetzt noch einmal ganz langsam von vorn: mit wem sind Sie mitgegangen? Und wer will jetzt was von Ihnen?“ begann Sylvia sie geduldig zu verhören.

Die Geschichte, die sich nach einigem Stocken in immer schnellerem Fluß enthüllte, war im Grunde ebenso unsensationell wie – für die Betroffene – unerfreulich: In ihrem Büro war ein wichtiger Kunde aus Schweden erschienen. Es hatte ewiglange Verhandlungen beim Chef gegeben, sie war als einzige außer der Chefsekretärin im Büro geblieben, um die Vertragsentwürfe noch ins Reine zu schreiben – und dann hatte der Chef, ein Holzgroßhändler, großherzig vorgeschlagen, man solle doch mit den Mädchen rasch noch auf dem Volksfest ein Brathähnchen essen fahren, wenn sie schon so lange im Büro gesessen hätten. Pagen-Lamm-Rehchen – mit leerem Magen und unklaren Vorstellungen von großen Managern – war zunächst begeistert mitgegangen: aber dann hatten Chef und Schwede immer mehr Bier und Schnaps getrunken, wobei der Chef seine Sekretärin und der Gast aus dem Norden das Lämmchen zu betätscheln begann.
„Und ich dachte immer, die Frigga wäre so eine nette Kollegin – aber die will mich doch jetzt regelrecht an den Schweden verkuppeln! Noch nicht mal meine Handtasche hat sie mich mitnehmen lassen, als ich mich hierher entschuldigt hab‘ … “ schloß sie (anscheinend wahrhaftig instinktlos in ihrer Wahl „netter Kolleginnen“) entrüstet.

„Und – warum lassen Sie die ganze Gesellschaft nicht einfach sitzen und verschwinden nach Hause?“ fragte ich nicht unlogisch.

„Aber – ich habe doch keinen Pfennig Geld – noch nicht mal meinen Schlüssel: das ist doch alles in der Handtasche!“ Und, gleich noch Schlimmeres aufzeigend: „Und was passiert dann morgen, wenn ich wieder ins Büro komme? Die machen mich doch fertig!“

„Und – dieser Schwede ist also wirklich vollkommen ekelhaft?“ erkundigte sich die weltgewandte Sylvia vorsichtig – schließlich gab es (ihrer Meinung nach) durchaus naheliegende Auswege aus der Situation! Das Pagen-Reh-Lamm schüttelte sich:
„Erst dachte ich, der ist ganz nett – und harmlos: aber was der alles für Sachen zu sagen anfängt – von Lederkorsetts und Stiefeln und Au – Auparikscha – „

„Auparischtaka?“ erkundigte sich Sylvia fasziniert . ( Fräulein Lieselotte oder ich würden mit dem glänzend ausgekommen sein, dachte sie).

Das Mädchen warf mir einen befremdeten Blick zu:
„Kennen Sie das – was ist das denn eigentlich?!“ Aber dann schüttelte sie sich wieder: „Jedenfalls doch was Scheußliches! Und dann immer diese Tatscherei … „

Nein, konstatierte Sylvia, hier war Hopfen und Malz verloren. Aber schon begann ihr unfehlbarer Computer in anderer Richtung zu arbeiten:
„Nun passen Sie mal auf – wenn Sie jetzt von hier zurückkämen und würden die ganze Gesellschaft einfach nicht mehr finden: dann wäre doch alles in Ordnung, nicht wahr? Im Gegenteil – die müßten sich morgen noch lang und breit entschuldigen, weil sie Sie ohne Handtasche mutterseelenallein auf dem Festplatz sitzengelassen haben…”

Das Pagen-Reh-Lamm riß die Unschuldsäugen weit auf.
„Schon – “ gab es zögernd zu, „aber die warten doch da vorne auf mich – und dann habe ich ja noch immer keinen Pfennig – „

„Sie haben – “ Sylvia griff mit bestimmter Geste in ihre Umhängetasche, “ hier fünfzig Mark. Damit fahren Sie mit dem nächsten Taxi in ein recht teures Hotel, übernachten dort und hängen die Rechnung morgen Ihrem Chef auf – weil der ja Schuld dran war, daß Sie nicht in Ihre Wohnung konnten! Und daß die da warten … “ wieder begann Sylvias Computer zu klicken „…mit dem Auto von dem Schweden sind Sie alle hierhergefahren?“

„Ja – aber – “ Das Pagen-Reh-Lamm starrte noch immer auf den Fünfzigmarkschein in ihrer Hand.

“Dann steht also das Auto hier noch irgendwo in der Nähe? Wenn nun mit diesem Auto – „
Sylvia verstummte, und ihr Schützling blickte mit genau so stummer Be-wunderung zu der geschwungenen Mädchenstirn auf, hinter der sich jetzt offenbar grandiose Pläne zu gestalten begannen. Bewundert zu werden – diesmal der Abwechslung halber sogar von einem Mädchen – beflügelte Sylvias Intuition immer: und in Sekunden fügte sich zur ersten Idee eine zweite und dritte – bis eine satanische Intrige Gestalt gewann.

„Aber das geht doch nicht – “ protestierte das Pagen-Reh-Lamm schwach, als ich ihr in Umrissen die geplante Kampagne schilderte.

„Das werden Sie sehen, wie das geht!“ wischte Sylvia alle Einwände weg. „Los jetzt – zeigen Sie mir, wo Ihre Leute auf Sie warten!“

Hinter einer Bude hervorlugend, erblickten wie das Trio – an die Theke einer Schnapsbude gelehnt und offensichtlich schon wieder einen hebend – alsogleich:
Den Chef – einen strammen, hochgewachsenen Mann in mittleren Jahren, der, leicht angeheitert, seinen seriösen Homburg weit aus der Stirn in den Nacken geschoben hatte, was ihm (völlig zu Unrecht) etwas von einem Chikagoer Gangsterboß zu geben schien; die verräterisch-kupplerische Chefsekretärin Frigga – eine überschlanke, fast hagere Dame Mitte Dreißig, die, im strengem Schneiderkostüm und mit glatt hinten zum Knoten zusammengefaßtem Blondhaar genau so trügerisch seriös aussah, wie ihr Chef zu Unrecht gangsterhaft (daß dieser – äußerlich so kühl-sachliche – Typ öfter als vermutet eher nymphoman ist, wußte ich in meiner relativen Unschuld damals noch nicht); und – der Schwede.

Letzterer war zweifellos die größte Überraschung: wie wohl die meisten Menschen, hatte ich bei dem Wort „Schwede“ unwillkürlich an einen schlanken, hochgewachsenen blonden Wikinger-Nachfahren mit kühnen Zügen gedacht – dieser hier war zwar groß (fast zwei Meter, jedenfalls noch ein Stück größer als der auch nicht gerade kleine Holzhändler), aber auch entsprechend breit – und keineswegs blond, sondern stolzer Besitzer eines tiefschwarzen Kinnbartes nebst ebensolchen Kopfhaars. Mit seiner breiten, fleischigen Nase und (als einzigem nordischen Attribut) hellblau-wäßrigen Augen hinter einer mächtigen Hornbrille sah er eher wie eine Kreuzung zwischen einem russischen Pelzhändler und einem Ölscheich aus; es leuchtete mir jetzt gerade etwas mehr, ein, wieso dem armen Pagen-Reh-Lamm angst und bange vor seinen großen, schwärzbehaarten Pranken geworden sein mochte!

Gar nicht weit von dieser Gruppe entfernt erspähte ich auch den treulich wartenden Alex und glitt – regenmantelraschelnder Schatten einer jungfrauenschützenden Harnischmaid – durch das Gedränge zu ihm hinüber:
„Alex – jeden Abend eine verfolgte Unschuld retten ist zwar etwas viel verlangt: aber jetzt müssen Sie mir helfen!“ raunte ich ihm verschwörerisch zu. „Sehen Sie da drüben den bärtigen Bären ? Aus dessen Klauen müssen wir ein Unschuldslamm retten, das mir gerade auf der Toilette schluchzend an die Brust gesunken ist!“

Natürlich war Sylvia dem etwas sachlich-nüchterneren Alex wieder mal meilenweit voraus – aber nach längerem aufgeregten Flüstern hatte er die Situation doch soweit verstanden, daß er fragte:
„Gut – gern: aber wie ? Soll ich den Wüstling jetzt mal kurz zum Duell fordern – oder – „

„Im Gegenteil: Sie gehen furchtbar freundlich und höflich zu den Dreien hinüber und sagen ‚Ihnen gehört doch der schwedische Wagen, der dort hinten an der Talstraße steht? Bitte kommen Sie doch sofort zu Ihrem Auto – man hat die Scheibe eingeschlagen und versucht was zu stehlen!‘ Woraufhin …“

„Woraufhin die mich erst mal fragen, woher ich wüßte, daß der Wagen. ihnen gehört!“ wandte Alex skeptisch ein.

„Also das tun die als Letztes: erstens gehört ihnen der Wagen ja tatsächlich. Zweitens sind sie durch die Nachricht viel zu aufgeregt – und drittens schon viel zu betrunken, um noch nachzudenken. Zudem verschwinden Sie ja sofort wieder – „

„Ich verschwinde sofort wieder?! Und mit welcher Begründung?”

„Weil Sie sofort weiter zur Polizei wollen, um der auch Bescheid zu sagen -„

„Und hinterher stellt sich heraus, daß ich das nie getan habe! Sehr verdächtig!“

Aber Sylvias Inspiration arbeitete auf Hochtouren: „Überhaupt nicht verdächtig – weil Sie genau das nämlich auch tun! Hier ist doch bestimmt irgendwo eine Polizeibereitschaft – und dort sagen Sie ganz treu Bescheid, an einem schwedischen Wagen in der Talstraße habe man das Fenster – „

„Ja, ja – eingeschlagen und versucht, den Wagen auszurauben – und die entsetzten Besitzer seien schon auf dem Weg zur Stätte des Unheils. Worauf sich Polizei und Schweden am Auto troffen und feststellen – „

“ – daß die Scheibe in der Tat eingeschlagen ist und viele aufgeregte Leute herumstehen!“

Alex sah mich konsterniert an: „Wieso denn das ?!“

Sylvia lächelte triumphierend zurück: „Weil ich zusammen mit unserem Unschuldslamm inzwischen einen Stein hineingeschmissen habe!“

Alex richtete sich mit einiger Autorität auf:
“Sylvia – das geht doch nicht. Erstens ist es Sachbeschädigung, und zweitens viel zu gefährlich. Wenn Sie jemand sieht – “

„Natürlich sieht uns jemand! Weil wir gleich danach in höchsten Tönen zu kreischen anfangen und jedermann in zehn Meilen Umkreis zurufen, wie zwei finstere Gestalten in Lederjacken vor unseren Augen –

„Unmöglich!“ Alex schüttelte entschieden den Kopf.

„Also Alex – nun seien Sie doch kein Frosch! Uns Unschuldsmädchen passiert gar nichts – und da wir zufällig wissen, wem der Wagen gehört, enteilen wir schleunigst, um Bescheid zu sagen – sind längst weg, ehe der Schwede da ist – „

„Also ich weiß nicht – soll ich nicht lieber den Stein – “

Am liebsten hätte er mir in seinem ritterlichen Kavaliersstreben genau den Teil zugeschoben, den ich nicht haben wollte (freiwillig der Polizei auf die Bude zu rücken – so weit ging Sylvias Mut nun doch noch nicht!). Schließlich griff ich kurz entschlossen zur Erpressung:
„Also machen Sie, was Sie wollen – ich geh jetzt mit dem Lamm Steine schmeißen! Sonst dauert das alles nämlich so lange, daß die noch ihre Frigga auf die Suche nach ihr schicken…“

Und damit machte ich kehrt und verschwand, noch ehe Alex sich gefaßt hatte, in der Menge.

Fünftes Kapitel: Komplikationen

„… durch seinen frauenhaften Gang
macht er manch grauenhaften Fang
und mußte nun zwischen gleich zwei Kavalieren,
einer Dame – und Auparishtaka lavieren …”

Sylvias Rettungsaktion verlief (wie ich später feststellen sollte, eine typische Eigenschaft ihrer intuitiven Pläne!) an allen kritischen Stellen ebenso planmäßig wie erfolgreich – um dann an der einzigen Stelle, um die sich selbst der skeptische Alex keine Sorgen gemacht hatte, umso ärger aus dem Konzept zu geraten.

Daß der scheinbar gefährlichste Teil mühelos klappte, hatte meine weibliche Intuition völlig richtig vorausgesehen: wenn harmlose Passanten, vom Frühlingfest heimkehren, eine Scheibe klirren und gleichzeitig zwei holde Mädchen erschrocken aufschreien hören – dann vermuten sie alles in der Welt, nur nicht, daß ebendieselben Mädchen zuvor mit vereinten Kräften (ich war nie sehr sportlich) ebendieselbe Scheibe mit einem Feldstein – glücklicherweise hatte man irgendwelche Zeltplanen mit solchen Steinen beschwert, sonst hätten wir lange nach einem suchen können! – eingeschlagen haben …

So fand sich auch sofort ein guter Bürger, der versprach, solange neben dem Wagen Wacht zu halten, bis wir die – uns glücklicherweise bekannten – Eigentümer alarmiert hätten …

„… und jetzt müssen Sie verschwinden!“ zischte ich dem Unschuldslamm zu.
Gleich kommt Ihr Chef mit Anhang – dann müssen Sie weg sein!“

„Aber – Ihr Geld – “ versuchte sie zu protestieren.

„Ich rufe Sie morgen in Ihrer Firma an – “ sagte ich (was besseres fiel mir nicht ein), „dann können wir das ja ausmachen – jetzt müssen Sie weg!“

„Ach – ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll … „

„Dann tun Sie’s morgen!“ fauchte ich etwas brutal – dieses ewige Getrödel, bis jedermann machte, was ich ihm sagte, begann mir auf die Nerven zu gehen! Aber dann sah mich die gerettete Unschuld wieder so verwirrt an, daß ich sie zum Zeichen, ich sei keineswegs böse, sondern nur in Eile – einen Augenblick freundschaftlich in den Arm nahm, um sie dann mit einem merklichen Schubs endlich auf den Weg zu schicken.

Außer ziemlich viel Wollmantel hatte ich dabei eigentlich nichts von ihr gespürt – aber wenn ich auch gegenüber Damen Sylvias untrüglichen Instinkt gehabt hätte …

Doch davon später.
Im Augenblick hatte ich ganz andere Sorgen: bei meinem eiligen Aufbruch hatte ich natürlich völlig versäumt, mit Alex irgendwas darüber auszumachen, wie wir uns nach erfolgreichem Abschluß der Aktion eigentlich wiederfinden wollten – auf einem immer noch belebten Festplatz keine ganz simple Sache!

Nicht, daß ich – mit meiner wiedergefundenen (durch die letzten Ereignisse sogar unerhört gestärkten!) Sylvia-Courage – nicht auch allein nach Hause gekommen wäre: aber es wäre verdammt unfair gewesen, ihn erst um einen Haufen Mühe und Schwindeleien zu bitten und ihn dann – wahrscheinlich noch um mein Wohlergehen besorgt! – allein auf dem Festplatz herumirren zu lassen!

Immerhin – auf dem Festplatz mußte er ja noch sein (dem Plan nach in der Gegend der Polizeibereitschaft). Also steuerte ich dorthin zurück.

Und dabei bemerkte ich die erste Unprogrammäßigkeit: An mir vorüber strebte – noch immer den Hut im Nacken – mit verständlicher Eile eine Gestalt dem Schauplatz unserer kürzlichen Aktionen entgegen, in der ich unschwer den Chef des Unglückslamms wiedererkannte. Aber wieso strebte er allein?! Wo waren die beiden anderen geblieben?

Die Antwort auf diese Frage hatte ich kaum eine Minute später, als ich böser Ahnung voll wieder den ursprünglichen Standplatz des Trios an der Schnapsbude erreichte: Die standen noch immer dort!

Mochte es nun Verantwortungsgefühl gegenüber dem erwarteten Pagen-Reh-Lamm gewesen sein – oder, wesentlich unethischer, der Wunsch des ollen Schweden, seinen Leckerbissen sicher wieder in die Hände zu bekommen – oder hatten sie einfach schon zu sehr unter Alkohol gestanden: aus welchen Gründen auch immer – sie hatten nach der Hiobsbotschaft nur den Chef losgeschickt, um die Lage in Augenschein zu nehmen.

Das durfte nicht sein. Mein ganzer Plan basierte darauf, daß das arme Reh-Lamm ihre Begleiter eben nicht mehr wiederfinden würde, wenn sie von der Toilette kam (daß sie dort ohnehin schon unverständlich lange hockte, würden sich die anderen in ihrer etwas alkoholumnebelten Stimmung morgen hoffentlich nicht mehr ins Gedächtnis rufen können!); aber wie sollte das je glaubhaft werden, wenn zwei von ihnen noch eisern an der alten Stelle Wacht hielten?

Na ja, gottseidank war ich ja auch noch da.

Ich steuerte also kühn auf die beiden los und sagte (vorsichtshalber zu der Sekretärin, die immerhin noch dienstliche Pflichten zu erfüllen hatte):
„Entschulden Sie – Herr Lescherd – “ (glücklicherweise hatte das Lämmchen den Namen erwähnt!) „läßt Sie bitten, doch sofort zum Wagen zu kommen – wegen der Papiere!“ setzte ich, ebenso allgemein wie plausibel, hinzu.

Das nun wiederum stimmte: auch jetzt kam keiner der beiden auf die Idee, zu fragen, wieso ausgerechnet ich diese Botschaft überbrächte. Aber die tüchtige Frigga hatte mit einem anderen Problem zu kämpfen, das keiner von uns vorausgesehen hatte: der olle Schwede – er hieß, was mich unter anderen Umständen wahrscheinlich zu hysterischen Heiterkeitsausbrüchen hingerissen hätte, übrigens ausgerechnet „Törnewald“! – war nicht gewillt (oder fähig), seinen Platz zu verlassen.

„Sie gehen ßu meine gute Freund Kalle – “ dekretierte er mit schwerer Zunge, „isch warte hier auf das Fräulein Pamela!“

An sich war das arithmetische Problem simpel: zwei Verschwörer können zwar zwei Opfer weglocken – aber das dritte? Wer konnte aber auch ahnen, daß der schwedische Holzhacker (oder was immer er war) die Vandalenakte an seinem Mercedes mit solch souveräner Gleichgültigkeit aufnehmen würde!

Fräulein Frigga war fast genau so verzweifelt wie ich, wenn auch aus etwas anderen Gründen: einerseits wurde ihr immer klarer, das sie mit der Handtasche der armen Pamela auch die Verantwortung übernommen hatte – andererseits verlangte ihr Chef dringend nach ihr – und zu allem Überfluß stellte sich ein wichtiger Kunde bockbeinig und volltrunken mitten auf den Festplatz, wo sie ihn auch nicht allein lassen konnte!

„Sie warten noch auf jemand?“ warf ich mich hilfsbereit in die Bresche. „Wenn ich nun hierbleiben und der Dame Bescheid sagen würde – wie sieht sie denn aus?“

„Wenn Sie das tun wollten – “ griff Frigga erleichtert zu. „Sie hat einen weißen Flausch-Wollmantel und blondes, kurzes Haar – sie wollte da drüben – Sie wissen schon – und wenn Sie ihr sagen, daß wir beim Wagen auf sie warten – „

Ich beschwor, dies treulich zu tun – ja, direkt vor der Toilette ihrer zu harren – und entließ die beiden, Törnewald brummelnd und in der Tat wie ein Bär von der Dompteuse Frigga abgeführt, mit einem Seufzer der Erleichterung.

Jetzt fehlte mir nur noch der gute Alex. Hoffentlich hatte ihn die Polizei nicht mit zum Tatort geschleppt? Aber er wäre doch hoffentlich intelligent genug gewesen, sich unter dem Motto „Ich sollte bloß Bescheid sagen, weil die schwedischen Herrschaften sofort zum Wagen wollten!“ jeglicher Zeugenschaft zu entschlagen? Fürchterlich, wenn man allen Leuten ständig alles erklären mußte, um sicher zu sein, daß sie keinen neuen Unfug trieben!

Nach dem weisen Grundsatz des großen Valentin aus Chestertons „Blauem Kreuz“ – daß man nämlich jemand, von dessen Aktionen man keine Ahnung hat, am besten auch ohne jeglichen Plan findet! – driftete ich planlos über den Festplatz: und fand mich schließlich zu meiner eigenen Überraschung wieder vor der Bude des „Casino de Paris“.

Die „schönen Frauen“ standen – Sylvia Orchidea natürlich wieder in voller tizianroter Lockenpracht – diesmal womöglich noch gelangweilter als vorher herum; die Violettgelockte rasselte ihre Sprüche mit unverminderter Begeisterung herunter – und Monsieur Garvin sah noch gaunerhafter aus als früher.

„… rätselhafte Kräfte, ein sechster Sinn erlaubt es ihm, Experimente auszuführen, die selbst den Gelehrten der Academie Francaise ….”

Ich studierte gerade – mit durch Erfahrung geschärften Blick – das atemberaubende Dekolleté meines Namensvetters, als mich plötzlich sanft jemand von hinten auf die Schulter tippte. Alex, dachte ich automatisch – aber als ich mich umdrehte, ragte vor mir, schwankend aber imposant, die Bärengestalt Törnewalds.

Mit einiger Mühe beugte er sich nieder, bis sein schwarzumbarteter Mund – enzian- und bierduftend – etwa in der Höhe meines Ohres schwebte, und raunte mir verschwörerisch zu:
„Isch – “ er deutete der Sicherheit halber mit der Rechten auf seinen mächtigen Brustkorb „- bin ihr entwischt!“ Er lachte glucksend.
„Isch – “ er neigte sich noch näher zu mir, mich in eine Wolke von Tabak- und Bieratem hüllend, „habe in Schweden auch ßo eine Ssseckretärin.“ Er schüttelte melancholisch sein mächtiges Haupt. „Ißt tüschtisch – ßehr tüschtisch – aber kann man ßich mit ßie amüßieren?!“

Oh Gott, jetzt habe ich den am Hals! dachte ich – seltsamerweise nicht ganz so verzweifelt, wie ich es (entweder als sittsame junge Dame oder als seiner Mängel bewußter Jüngling) eigentlich hätte sein müssen: Dieser schwedische Bär hatte etwas von einem Naturereignis, dem man sich als schwacher Mensch nicht entgegenstemmen konnte.

Dennoch versuchte ich das:
„Aber die Schau hier ist sehr gut zum Amüsieren!“ sagte ich verheißungsvoll (vielleicht ernüchterte Sylvia Orchidea ihn wieder genug, um ihn endlich zum Heimgehen zu bringen).

Er blickte mich kritisch an: „Ssie haben schon geßehen ?“

„Ja – “ nickte ich, „sehr gut – sehr charmant!“ (ich kam mir schon vor wie die Weißviolette).

Aber das war genau das Verkehrte:
„Dann gehen wir nischt noch einmal hinein!“ entschied Törnewald.

Wieder beugte er sich so dicht zu mir, daß sein Bart fast meine Wange kratzte: „Ssoll Isch Ihnen ßagen, was die da ßind?“ fragte er vertraulich, mit beredter Geste auf die Damen des Casino de Paris weisend: „Schschschneeehühner!“
Er nickte philosophisch. „Bloße – Schneehühner!“
„Ssie – “ er drehte mich mit seinen Riesenpranken wie ein Spielpüppchen zu sich um und hielt mich mit ausgestreckten Armen an den Schultern, um mich gründlich zu mustern – „Sssie ßind ßehnmal schschscharmanter alß diese Schschneehühner alle ßußarnmen!“

Jetzt geht das wieder los! dachte Sylvia – pflichtschuldige Verzweiflung mit prickelnder Freude am Kompliment (davon konnte sie bekanntlich, nie genug hören) gemischt. Aber genau das inspirierte sie wieder zu einer auf den ersten Blick irren – aber, wie der Erfolg beweisen sollte, wirkungsvollen Aktion:
„Mein Herr – “ hauchte sie mit niedergeschlagenen Augen wie die arme schöne Gouvernante in Fräulein Lieselottes ‘Um eine Grafenkrone’, „Sie sind sehr – gütig – aber hier, vor all den Leuten – man würde denken – „

Soviel mädchenhafte Scheu weckte selbst in Törnewalds umnebelten Gehirn wieder die Erinnerung an längstvergessene Tanzstundenjahre: er ließ meine Schultern los, reckte seinen riesigen Brustkorb und räusperte sich hörbar.

„SSSelbstverständlich – !“ murmelte er korrekt. „Ingmar Törnewald – “ er deutete wieder, der siche-reren Identifizierung halber, auf seine eigenen Brust, „kompromm – prottim – iert keine Dame – !“ Und dann, nachdem alle meine Worte bis in sein Bewußtsein gedrungen waren: „Gehen wir alßo!“

Das war nun zwar genau wieder nicht das, was ich eigentlich hätte wollen müssen – denn inzwischen begann die auffallende Gestalt Tornewalds, zusammen mit seinen Aktionen, schon fast mehr Aufmerksamkeit bei den Schaulustigen zu erregen, als das ganze Ensemble des Casino de Paris; und als er mir nun – wie sagt man: „mit altväterischer Grandezza“ – seinen Arm anbot, gerieten wir endgültig in den Mittelpunkt des Aufsehens.

Was nun allerdings wiederum insofern nützlich war, als der herumirrende Alex auf den Auflauf aufmerksam wurde und – wieder mal meine Unschuld rettend – auf der Szene erschien.

Diesmal aber mußte der Sylvia-Computer direkten Kontakt mit dem seinen aufgenommen haben – denn er tat nach einem kurzen Blick auf die Situation das einzige, was sie noch retten konnte:
Mit einer superkorrekten Verbeugung trat er auf Törnewald zu, warf sich seinerseits – so gut er konnte – in die Brust, und sagte weithin hörbar wie ein Bühnenschauspieler:
„Alexander Mertens. Darf ich Ihnen meinen Dank dafür aussprechen, daß Sie Fräulein Sylvia sicher durch diesen Festtrubel geleitet haben?“

Törnewald blinzelte einen Moment – was war das nun wieder?! – gab aber dann, in genau so tönender Bühnensprache, dröhnend zurück:
„Eine Ssselbsverßtändlichkeit und eine Ehre!“ – gefolgt von einer Verbeugung, deren Korrektheit und Tiefe ich ihm in seinem Zustand nie zugetraut hätte. „Ingmar Törnewald!“ fügte er – verspätet Alex‘ Vorstellung erinnernd – hinzu.

Das Publikum – endgültig das Casino de Paris vergessend – war fasziniert: sowas gab es also tatsächlich und nicht nur in Dreigroschen-Romanen – es fehlte nur noch, daß die sechsspännige Kutsche mit dem treuen alten Diener vorfuhr.
Fräulein Sylvia – nun gleichfalls bühnenbewußt – dankte ihrem einen Beschützer mit gnädigem Neigen des Kopfes und ließ sich dann, in prächtiger Choreographie, von dem anderen übernehmen.

„Darf ich – “ Alex übertraf sich selbst, „Sie noch zu einem gemeinsamen Abschiedstrunk einladen ?“

“Ich würde mich sehr freuen – “ hauchte Sylvia (angesichts so vieler Zuschauer wieder mal ihrer Stimme nicht sicher – aber deshalb keineswegs bereit, auf ihren Part zu verzichten) dazwischen.

Törnewald zwinkerte wieder. „Abschiedstrunk!“ wiederholte er tief nachdenklich, „Abschiedstrunk – ßelbstverständlich: eine Ehre!“
Und mit einer Behendigkeit, die man seinem massigen Körper wiederum nicht zugetraut hätte, schwenkte er korrekt rechts neben mir ein. Daß wir zum Abgang keinen Applaus auf offener Szene bekamen, lag wahrscheinlich nur daran, daß er zu unerwartet kam.

„Herr Törnewald – “ gab Sylvia in leichtem Konversationston zum besten, „hält die Damen vom Casino de Paris für Schneehühner!“ (Sie war wieder mal völlig übergeschnappt – mit einem Herrn links und einem zweiten rechts!)

„Beziehungsweise Schneehähne!“ erwiderte Alex (der Himmel mochte wissen, was er in Wirklichkeit von dem Ganzen dachte!) ernsthaft.

„Oh – gibt es auch Schnee h ä h n e , Herr Törnewald?!“ himmelte Sylvia (sie konnte keine Erwähnung ihres Namensvetters vertragen, ohne irgendwie eifersüchtig zu werden) zu dem Schweden hinüber.

Was immer er nun auch davon verstanden haben mochte (wahrscheinlich weniger als nichts), Ingmar Törnewald konnte keiner Dame etwas abschlagen:
„Schschschneehähne?“ wiederholte er nachdenklich – bis sich sein Gesicht strahlend erhellte: „Aber ja – ganße Felder davon!“

„Und – völlig ohne Hühner ?” fragte Sylvia, fasziniert von der surrealistischen Wendung, die das Gespräch zu nehmen begann.

Wieder überlegte Törnewald kurz; „Das meißte Jahr ja – “ gab er dann kund, “ – ßie kommen nur in die Laichzeit!“

Es ist schwer abzusehen, welche weiteren Enthüllungen über das Sexualleben der Schneehühner die Weiterführung dieses Themas noch ergeben hätte – wäre nicht Alex, in verständlicher Beunruhigung, jetzt eingefallen:
„Wir bringen Sie doch am besten gleich noch in Ihr Hotel?“

Törnewald kehrte – mit sichtbarer Anstrengung – aus der unermeßlichen Weite der skandinavischen Schneehahnfelder in die Gegenwart zurück:
„Aber erßt – “ erinnerte er sich, „nehmen wir eine Abschschiedstrunk!“

„Eben – „, räumte Alex diplomatisch ein, „das wollen wir ja in der Bar Ihres Hotels tun!“

„In die Bar von das Hotel – ?“ meditierte der Schwede, bis er sich über die Genialität dieses Einfalls voll klargeworden war: „Aber ja – daß ißt gut!“ Doch nun wirkte der einmal gegebene Denkanstoß unerbittlich weiter: „Aber ich ßage Ihnen jetßt noch besser: wir nehmen hier eine Abschschiedstrunk – und in die Bar noch eine!“

Unseligerweise hatte nämlich Alex diese Wendung des Gesprächs ausgerechnet eingeleitet, als wir an der Schnapsbude vorbeikamen, an der Törnewald vorhin schon mit seinen Geschäftsfreunden gezecht hatte – und so gelang es uns nicht, ihn weiterzubringen, bevor wir dort mit ihm ein weiteres Glas (um exakt zu sein, Doppelglas) Gebirgs-Hirnbeergeist geleert hatten:
„Ssssu Ehren – “ betonte Törnewald galant, „von unßere Fräulein Sssylvie!“

„Sylvia!“ korrigierte sie sanft (sich wieder höchst behaglich der Situation hingebend).

“Sssylvie – ja!“ bestätigte der Schwede mit gewisser Endgültigkeit.

Wir brachten ihn schließlich nur von der Bude weg, nachdem er eine weitere ganze Flasche Himbeergeist – „für dem Weg“ – gekauft hatte; jedoch „dem Weg“ erwies sich, unglücklicherweise, als langwierig.

Anders als es Alex erhofft hatte, waren nämlich Taxis am Ausgang des Festplatzes Mangelware – und wenn schon einmal eines auftauchte, stürzten Trauben heimkehrender Familien mit schlaftrunkenen Kindern, angetrunkene Alliierte und andere schwer auszupunktende Anwärter auf es zu. Ein wohlerzogener Mensch wie Alex hatte dabei kaum Chancen.

„Kommen Sssie, Sssylvie – gehen wir!“ brummelte Törnewald mit gutgespielter Harmlosigkeit, als Alex wieder einmal in einen Disput mit einem angeblich schon seit Stunden wartenden Familienvater verwickelt war, und tänzelte mit bärenhafter Grazie auf meine Linke, mir den Arm bietend.

„Wir bleiben !“ erwiderte ich mit der freundlichen Festigkeit einer geschulten Krankenschwester.

„Sssie bleiben ?“ fragte er vorsichtig.

„Ich bleibe – und Sie bleiben!“ bestätigte ich.

“Wenn Sssylvie bleibt – bleiben isch auch!“. entschied er dann. „Aber dann trinken Sssie und isch!“

Und damit offerierte er mir die Flasche Himbeergeist, die unvorsichtigerweise nicht mit einem schwer zu entfernenden Korken, sondern nur mit einer Schraubkappe verschlossen worden war. Wenig gewohnt, Schnaps aus Flaschen zu trinken, bekam ich statt des geplanten damenhaften Nipp-Schlückchens eine mörderische Dosis des scharfen Gesöffs mit – die mir aber, und damit kündigten sich weitere Komplikationen an, unerwartet gut schmeckte. Dann tat Törnewald einen gewaltigen Zug, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und warf danach einen feldherrnhaften Blick auf die Lage.

Eben war wieder ein Taxi herangerollt – aber noch ehe sich weitere Anwärter melden konnten, war Törnewald mit unsicheren, aber schnellen Schritten darauf zugesteuert, blockierte mit seinem mächtigen Leib sämtliche Türen und erklärte sachlich:
„Isch kaufe den Taxi!“

Da er dabei dem verblüfften Fahrer seine – nach Dicke und Format seiner übrigen Persönlichkeit würdige – Brieftasche unter die Nase hielt, klang das gar nicht so unglaubhaft: jedenfalls schien sich der Taxifahrer blitzschnell zu erinnern, daß wir ihn ja „per Funk vorbestellt“ hätten, womit er auch einen der unseligen Familienväter, der sich, eines seiner zahlreichen Kinder auf dem Arm, an die Taxitür gedrängt hatte, abwies.

„Sssie – “ sagte Törnewald, den Mann scharf ansehend, „kaufen sisch auch einen Taxi!“ Und mit abschätzendem Blick auf die Kinderschar: “Einen größßeren! „
Damit drückte er dem sprachlosen Vater einen Geldschein in die Hand und öffnete im gleichen Zug die Taxitür, um sich mit der Grazie eines zur Tränke hinabsteigenden Nilpferds auf die engen Polster zu schieben. Wie der Mann auf diesen unverhohlenen Frühkapitalismus reagierte, war mir zu verfolgen leider nicht mehr möglich, weil mich Törnewald mit gewaltigem Arm aus dem Taxi heraus um die Taille packte und – indem er mich mit dem anderen Arm wie bei einem Judo-Griff einfach in den Kniekehlen vom Boden hob – als zappelndes Paket auf seinen Schoß zog.

Angeblich gibt es einen chinesischen Ratschlag dafür, wie sich Jungfrauen in aussichtsloser Lage verhalten sollen, wenn man sie vergewaltigen will: „Entspannt Euch – und genießt es wenigstens!“.

Viel anderes blieb auch mir hier nicht übrig. Zugeben mußte ich, daß man auf dem gewaltigen Schoß Törnewalds wenigstens genug Platz – etwa wie auf einem mittleren Klubsofa – hatte; auch war ich in meinem stoffreichen Plastik-Regenmantel so gut verpackt, daß keine unmittelbare Gefahr von Intimitäten, die ich mir nicht leisten konnte, bestand. Und als nun auch noch Alex, der die Situation inzwischen endlich erfaßt hatte, die Tür auf der anderen Wagenseite aufriß und sich energisch auf den Sitz neben uns fallen ließ, schien die Lage wieder einigermaßen unter Kontrolle.

„Und wohin bitte ?“ fragte der Taxifahrer geschäftsmäßig.

„Na – in die Bar!“ dröhnte Törnewald, mich noch immer liebevoll an seine breite Brust drückend, nicht ohne Entrüstung darüber, daß solch selbstverständliches Ziel dem Fahrer nicht von allein klar sei.

„Und – in welche bitte ?“ fragte der Fahrer sachlich weiter.

„In die Bar von mein Hotel – natürlisch!“ Der Schwede schien nun über solche Begriffsstutzigkeit ernstlich böse, zumal ihn diese Fragerei nur bei der viel inter-essanteren Beschäftigung störte, mit seinen behaarten Pranken meinen plastikverpackten Oberleib mit inniger Konzentration abzutasten – ich konnte den guten Alex nur durch ausdrucksvolles Mienenspiel davon abhalten, mir (was in dem engen Taxi sowieso praktisch unmöglich gewesen wäre) irgendwie zu Hilfe zu kommen.

„Und welches ist Ihr Hotel, bitte?“ versuchte sich der Taxifahrer wie in einem Quiz-Spiel einen Schritt weiter an die Lösung heranzutasten. „Ich meine – wie heißt es?“ setzte er der Deutlichkeit halber noch hinzu.

„Ja – Sssylvie, wie heißt unßere Hotel?!“ wandte sich Törnewald vorwurfsvoll an mich.

„Fahren Sie erst mal los – wir sagen Ihnen das Hotel gleich!” schaltete sich Alex in gelinder Verzweiflung ein – denn noch immer beobachteten uns, durch die Taxifenster, die unmündigen Kinder der wartenden Familie mit vor Staunen runden Augen.

„Wie Sie wünschen – “ räumte der Fahrer ein und startete – mich dabei nochmal kräftig gegen Törnewalds mächtigen Brustkasten schleudernd.

Leider war es nicht zu leugnen, daß „Sssylvie“ sich schamlos daran amüsierte, wie Törnewalds Pratzen mit geradezu spürbarer Faszination ihre falschen, aber griffechten Rundungen explorierten; was daraus entstanden wäre, hätten wir beide allein in dem Taxi gesessen, war nur schwer zu entscheiden – aber unter dem stabilisierenden Einfluß des danebensitzenden, offensichtlich mit heldenhaften Entschlüssen zum Schutze meiner Unschuld ringenden Alex hatte all das wieder einmal die nützliche Folge, Sylvias Inspiration zu beflügeln:
“Haben Sie nicht im Hotel so ein kleines Kärtchen bekommen – mit Ihrer Zimmernummer?“ erkundigte sie sich hilfreich.

Törnewald blinzelte – in seiner Konzentration auf „Sssylvies“ rechtes Brüstchen, das in seiner riesigen Tatze voll verschwunden war, gestört: „Habe isch – ?“ erkundigte er sich unsicher.

„Bestimmt haben Sie!“ Ich rutschte – nicht ohne daß Sylvia dabei das erregende Gleiten und Streicheln an Gesäß und Beinen genoß – auf dem glatten Plastik meines Mantels ein Stück über seine mächtigen Schenkel und wandte mich voll zu ihm um. „Vielleicht in Ihrer Westentasche?“

Brummelnd gestattete Törnewald es, daß ich – nicht ohne dauernd mit meinen falschen Fingernägeln irgendwo hängenzubleiben (der Teufel weiß, wie verbrecherische Damen Männern die Brieftaschen klauen, wenn sie so lange Nägel haben!) – seine Taschen durchsuchte und dabei – schon Alex zuliebe – langsam immer mehr Distanz von ihm gewann; als ich endlich tatsächlich das Zimmerkärtchen in seiner Brusttasche entdeckt hatte, ließ ich mich – es dem Fahrer nach vorn reichend – auf atmend in die schmale Ritze, die zwischen dem Schweden und Alex noch auf dem Rücksitz geblieben war, gleiten.

Dabei entdeckte nun Törnewald auf einmal wieder, daß er ja auch noch die Flasche mit dem Himbeergeist bei sich habe – und ruhte nicht eher, bis er mir wieder eine beängstigende Dosis eingeflößt hatte: dabei ruhte sein linker Arm noch immer besitzesstolz um meine Schultern – nur daß es nun seine Linke war, die genußvoll und selbstvergessen mit der Rundung des anderen Brüstchens spielte. Das arme Pagen-Reh-Lamm hatte vollkommen recht gehabt: bei sich behalten konnte der gute Ingmar seine Pratzen nicht, wenn er etwas Weibliches in Griffnähe hatte (oder, wie hier, zu haben glaubte); nur schien Sylvia dies bloß als eine etwas andere, handgreiflichere, aber nicht weniger schmeichelhafte Art der Bewunderung aufzufassen wie etwa jene, die sich in Blicken oder Komplimenten ausdrückte.

Dennoch versäumte sie natürlich nicht, Alex durch beredtes Augendeckelklappern anzudeuten, das sie all dies nur im Interesse des lieben Friedens über sich ergehen lasse – auch, als ihr Törnewald zum drittenmal die Flasche mit dem Himbeergeist reichte.

In Wirklichkeit hatte ich ein echtes Bedürfnis nach einen kräftigenden Schluck. Denn inzwischen war mir ernüchternd wieder zum Bewußtsein gekommen, daß ich zwar in Bezug auf weibliche Formen recht überzeugend ausstaffiert war – keineswegs aber (uraltes Problem) in Bezug auf die Frisur. Bis jetzt waren ja die Situationen – trotz ihrer Vielfalt – immer noch so gewesen, daß ich mein Kopftuch über den falschen Locken nicht abzulegen brauchte: aber wenn wir jetzt tatsächlich, wie beschlossen, in der Hotelbar noch einen „Abschiedstrunk“ nehmen sollten, konnte ich das ja schlecht in Regenmantel und Plastik-Kopftuch tun – fast ebenso schlecht übrigens, fiel mir dazu noch ein, in Fräulein Lieselottes kariertem Haushaltsdirndl, dessen freigiebiger Ausschnitt zwar Törnewald gewiß fasziniert hätte: das aber schwerlich in eine vornehme Hotelbar paßte. Und wie es wirken sollte, daß ich dazu wie beim großen Hausputz auch noch ein kariertes Tuch um den Kopf tragen mußte …

“Jetzt aber so schnell wie möglich heim …!” raunte ich deshalb Alex zu, als wir endlich (Törnewald hatte “den Taxi” nun doch nicht gekauft, sondern dem Fahrer nur einen Hundertmarkschein in die Hand gedrückt) in der Hotelhalle standen.
Alex nickte (wenn auch in völliger Unkenntnis meiner wahren Motive) verständnisvoll – aber wir hatten die Rechnung ohne Ingmar Törnewald gemacht, der offenbar während der Taxifahrt (oder des genußvollen Abtastens meiner gummielastischen Reize?) neue Energien gesammelt hatte.

„Tschetßt – “ erklärte er volltönend und schwenkte seine Himbeergeistflasche, „trinken wir dieß noch auß – und dann gehen wir in der Bar!“

Unbekümmert um die befremdeten Blicke des Portiers – glücklicherweise waren wenigstens nicht mehr viele Gäste in der Halle – offerierte er mir die Flasche zum viertenmal; und ich nahm mit dem Mut der Verzweiflung den letzten Schluck. Sylvia, wieder mal durch Haar-Sorgen nervös geworden, hatte jetzt, wo es mal nötig gewesen wäre, natürlich nicht die Spur einer rettenden Inspiration zu bieten; und Alex schüchterne Versuche, den Schweden auf andere Gedanken zu bringen, waren – wenn Törnewald sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte – von vornherein zum Scheitern verurteilt. Was sich die Hotelangestellten beim Anblick einer Himbeergeist aus der Flasche trinkenden jungen Dame dachten, war mir jetzt auch schon egal – jedenfalls hatte ich wieder ein paar kostbare Sekunden gewonnen.

Wie zum Hohn standen in den Schaufenstern und Schaukästen der Hotelhalle die entzückendsten Cocktailkleider – bei dem Frisiersalon sogar elegante Damenperücken – ausgestellt; sechshundert Mark hatte ich auch noch in der Handtasche – nur passierte das alles genau einen Abend zu früh! Und Sylvia fiel und fiel kein genialer Schachzug ein, um das Problem zu lösen …!

Die Lösung kam – freilich nur als Auftakt neuer Komplikationen! – diesmal aus völlig unerwarteter Richtung: und zwar von der Hotelbar, zu der Törnewald – trotz aller Ablenkungsversuche des guten Alex – mit unwiderstehlicher Gewalt hinstrebte: präziser gesagt, kam sie aus dieser Hotelbar – und zwar in Gestalt einer, zwar nicht mehr mit ihrem weißen Wollmantel, sondern einem schlichten, aber salonfähigen Büro-Kostümchen bekleideten – wohlbekannten Dame.

Der Schwede zwinkerte – wie immer, wenn ihm Unerwartetes widerfuhr – unter zusammengezogenen buschigen Brauen:
„Das Fräulein Pamela!“ brüllte er dann freudig über die ganze Hotelhalle hinweg.

An sich war das Ganze keineswegs so unlogisch: Vor das Problem gestellt, sich – ohne Gepäck und auf Rechnung ihrer Firma! – über nacht in einem Hotel einzumieten, wie ihr Sylvia das so kühn empfohlen hatte, war der armen Pamela (naheliegenderweise) nur das Hotel eingefallen, in dem ihre Firma eben Besucher unterzubringen pflegte. Daß naheliegenderweise auch Törnewald dort einquartiert sein könnte, hatte sie entweder nicht bedacht – oder sie hatte, an sich ganz richtig, unterstellt, daß sie ihm dort ja kaum mehr über den Weg laufen werde. Das wäre auch nie geschehen – hätte sie sich nicht, aus welchen Gründen auch immer, hinreißen lassen, nach den Aufregungen des Abends vor dem Schlafengehen noch einen beruhigenden Cocktail in der Hotelbar zu schlürfen; und daß dieser ihr – bei gedämpfter Musik und dem Duft der großen weiten Welt – so gut schmeckte, daß es nicht bei einem blieb, hatte sie exakt solange aufgehalten, bis sie nun (wie die Heldin einer Groschenserie) genau in die Arme ihres lüsternen Verfolgers lief.

Das geschah allerdings nicht wörtlich: Zwar eilte Törnewald – mit zielstrebigen, wenn auch etwas unsicheren Schritten – auf sie zu, um sie aller Voraussicht nach in der Tat in seine Arme zu schließen; aber – von Flügeln der Angst getragen und ihn mühelos überholend – war Sylvia vor ihm bei der, wie das sprichwörtliche Kaninchen beim Anblick der Kobra, erstarrten Pamela.

„Sie freuen sich, ihn zu sehen!“ zischte ich ihr zu und schloß sie dann, in herzlicher Begrüßung, wie eine Langvermißte in die Arme. Uns alle beide auf einmal kann selbst Törnewald nicht umarmen, dachte ich dabei nicht unlogisch. Was sich Pamela selbst bei dieser ganzen Szene dachte, konnte ich nicht ahnen – ich war schon höchst zufrieden, als sie den Schweden, der nun freudestrahlend vor uns stand, in der Tat mit einem tonlosen „Ich freue mich, Sie zu sehen!“ begrüßte. Was nun allerdings weiter passieren sollte, wußte ich auch nicht.

Die Rettung kam diesmal von Alex, der als letzter herbeigeeilt war und – ob aus Inspiration oder nur, weil er instinktiv in solchen Situationen auf seine korrekten Umgangsformen (als unfehlbare Pausenfüller) zurückgriff – Törnewald im schönsten Gesellschaftskonversationston bat:
„Würden Sie mich der Dame bitte vorstellen ?“

Appelle an seine weltmännischen Verpflichtungen waren – wie schon erwiesen – stets geeignet, den Schweden automatisch in Aktion zu setzen; so präsentierte er auch jetzt, mit schwerfälliger Grazie und noch schwererer Zunge – den guten Alex der verwirrten Pamela, die naturgemäß nicht das Geringste mit ihm anzufangen wußte: zumal er, in dem verzweifelten Bestreben, uns allen eine Atempause zu verschaffen, auf keinen besseren Einfall kam, als ihr gewichtig zu versichern, er stamme keineswegs aus der hanseatischen Linie der Familie Mertens, sondern sei vielmehr – wenn sie so wolle – nur ein Namensvetter derselben; sie muß ihn eher für einen entfernten Verwandten des Grafen Bobby gehalten haben.

„Und nun – “ verkündete Törnewald, auf sein urursprünglichstes Ziel zurückkommend, „gehen wir alle in der Bar !“

Jetzt setzte Sylvias Computer, zumindest momentan, wieder ein:
„Oh ja!“ flüsterte sie begeistert. „Besorgen Sie uns einen recht hübschen Platz – wir wollen uns nur – “ sie gestikulierte an sich und Pamela herunter – “noch ein bißchen hübsch machen!“

„Aber daß ßind Sssie doch schon – “ protestierte der Schwede naiv, ließ sich jedoch, als ich, Pamela willenlos hinter mir herzerrend, der Damentoilette zustrebte, von Alex doch in die Bar hinübersteuern.

Es schien, dachte ich mit einer gewissen Distanz (die wohl ursächlich mit dem vielen Himbeergeist zusammenhing), vom Schicksal bestimmt, daß ich die verfolgte Pamela prinzipiell auf Damentoiletten retten mußte; diesmal allerdings war es eine hochelegante, mit Seidentapeten ausgeschlagene und von einer würdigen Matrone bewachte Hotelhallentoilette.

„Keine Sekunde – “ flüsterte das Pagen-Reh-Lamm mit unerwarteter Energie, „bleibe ich mit diesem – diesem Tier unter einem Dach!“

„Aber – “ wisperte ich, durch die neugierigen Blicke der Toilettenfrau merklich gehemmt, „Sie haben doch hier schon das Zimmer!“

„Das ist mir ganz egal!“ Pamela – auch ihrerseits, durch einige Cocktails zuviel, enthemmt – stampfte mit dem Fuß auf den Boden wie ein zorniges kleines Mädchen; dann sah sie mich wieder mit ihren großen hilflosen Rehaugen an: “ Sagen Sie: kann ich nicht bei Ihnen schlaf… – ich meine, übernachten ?!“

Das hatte mir nun gerade noch gefehlt.

Aber auf den zweiten Blick erschien die Idee (wieder von der olympischen Höhe des Himbeergeistes herab betrachtet) gar nicht so absurd: wenn wir uns jetzt – Alex rücksichtslos mit Törnewald in der Bar hockenlassend – still und heimlich aus dem Hotel verdrückten, waren wir (so schien es mir zumindest) eigentlich alle akuten Probleme los: und bis morgen konnten wir dann in Ruhe überlegen, was sich aus den Trümmern unserer scheinbar hoffnungslos zusammengebrochenen Intrige noch retten ließ.

Doch – so überzeugte mich Pamela leise, aber eindringlich – als alleinstehendes Mädchen ohne jedes Gepäck (sie hatte ja noch nicht einmal eine Handtasche bei sich!) war es ihr schon in diesem Hotel nur gelungen, unterzukommen, weil man sie am Empfang zufällig von ihrer Firma her kannte: ich glaubte ihr, daß sie in einem neuen Hotel wieder unlösbare Probleme vorfinden würde – und war es genaugenommen so katastrophal, sie mit in Tante Irmas Haus zu nehmen? Mal abgesehen davon, daß diese mich dort gewiß nicht zum „Hauswächter“ eingesetzt hatte, um es zu einer Art Asyl für verfolgte Mädchen zu machen – Räume und Betten gab es dort ja genug: und was die Nachbarschaft anging, so kam es jetzt auf eine junge Dame mehr oder weniger, die man vielleicht nachts ins Haus verschwinden sah, auch nicht mehr an!

In gewohnter Umsicht – wenn auch befremdlich blind für alle sonstigen Komplikationen, die sich aus diesem neuen Plan ergeben konnten! – begann Sylvia ihn sogleich in die Tat umzusetzen: Ihre Freundin – Pamela zeigte, nach einem sanften Tritt auf den Fuß, ein schmerzverzerrtes Antlitz zur Bestätigung – sei von plötzlicher Migräne überfallen und müsse eilends per Taxi nach Hause geleitet werden, erläuterte sie der Toilettenfrau (die dies, ob sie es nun glaubte – oder dergleichen Fluchten schon öfter erlebt hatte?- verständnisvoll aufnahm); den Herren in der Bar sei dies durch einen Boten – besser noch, fiel mir ein, durch ein paar Zeilen mitzuteilen, die ich hastig (der damenhaften Handschrift halber lieber von Fräulein Pamela, aber unter meinem Namen) auf einen Bogen Hotelpapier, den die hilfsbereite Frau produzierte, kritzeln ließ und an „Herrn Alexander Mertens“ adressierte. Indessen hatte die Wächterin der Frauengemächer bereits per Telefon – vornehme Hotels haben sowas auch dort – vom Empfang ein Taxi bestellen lassen, so daß es uns nur noch oblag, wie scheu sichernde Rehe durch die Halle zu huschen, um nicht nochmal irgend jemand Unpassendem in die Arme zu laufen. Daß die arme Pamela nun auch noch ihren Mantel auf dem Zimmer zurücklassen mußte, entsprach nur dem Stil dieses Abends, ihren gesamten Besitz an den verschiedensten Stellen der Stadt zu verteilen.

Erst draußen in der kühlen Abendluft stellte ich fest, wie sehr mir Törnewalds Himbeergeist in die Beine gefahren war – ich war regelrecht froh, mich neben Pamela in die Polster des neuen Taxis sinken lassen zu können. Wie das aber öfter in diesem Zustand geschieht, beobachtete ich mich selbst dabei von einer höheren Ebene herunter sehr kühl, distanziert und sorgfältig – mit einem gewissen Stolz darauf, daß ich trotz meines leichten Schwebegefühls noch alles richtig machte.
„Ach – Fräulein Sylvia – wie soll ich Ihnen nur danken, daß Sie das alles für mich tun!“ sagte Pamela ernsthaft und sah mich wieder mit ihren großen waidwunden Rehaugen an.

„In solchen Situatschonen – “ erwiderte ich, jedes Wort sorgsam artikulierend, ebenso tugend- wie unwahrhaft, „müssen wir Mädschen doch zßusammenhalten! Zßumal – “ wie Perlen auf einer Kette liefen all die Ereignisse an mir vorüber, die ja die arme Pamela noch kennenlernen mußte, um überhaupt wieder aufs Laufende zu kommen – „ja, wenn Sie das genau nehmen, gerade ich Schschuld daran bin, daß Sie dem Schschweden nochmal in die Arme gelaufen sind!“

Außerordentlich stolz auf meine Sprachflüssigkeit – wenn auch nach wie vor dankbar, daß das, schon des Taxifahrers wegen, wispernd geschehen konnte – versuchte ich ihr die mehr oder minder skandalösen Vorfälle seit unserer Trennung zu schildern; ob mir das so vollkommen gelang, wie es mir damals erschien, daran hatte ich allerdings später große Zweifel. Immerhin konnte ich einige Höhepunkte nicht ausgelassen haben, denn am Schluß fragte Pamela mit unverhohlenem Entsetzen: „Dann hat der Kerl Sie also auch noch belästigt?!“

Sylvia lächelte fraulich-nachsichtig:
“Sagen wir – er zßeigte seine Bew-wunderung sehr offen … „

„Nein – ! “ Pamela wurde tatsächlich bei der bloßen Vorstellung noch schamrot! “ – das kann ich mir wirklich nicht verzeihen, daß ich Sie da auch noch hineingezogen habe !“ Nun schienen ihr gar auch noch die Tränen zu kommen …

Irgendwie war es ja schade, daß ich nicht mit Abstand das Groteske einer Situation genießen konnte, ein junges Mädchen darüber trösten zu müssen, daß ein besoffener Schwede sich an den Luftballons meines falschen Busens ergötzt hatte: aber in der Tat hatte ich alle Hände voll damit zu tun, die arme Pamela wieder zu beruhigen – schluchzende Mädchen machten anscheinend Sylvia genau so nervös wie die meisten Männer.

„Aber ich glaube – “ murmelte Pamela schließlich, die großen Unschuldsaugen unter tränenschweren Wimpern bewundernd zu mir aufschlagend, „Sie können sogar mit so etwas fertigwerden, ohne – “ sie suchte sichtlich nach dem richtigen Ausdruck“ – ohne sich was zu vergeben! Ich wollte – “ seufzte sie, „ich wäre ein Mädchen wie Sie!“ (welcher Wunsch sich glücklicherweise nicht erfüllte).
„Mir – “ fügte sie vertraulich hinzu und lehnte sich vertrauensvoll an mich, „wird es immer richtiggehend übel, wenn ein Mann so – so – mit den Händen – “ Sie schüttelte sich wieder. „Vielleicht ist das, weil ich mit Vierzehn mal …“ fuhr sie noch leiser fort – ließ aber dann den Satz unvollendet.

Nun war ich – abgesehen einmal von diesem seltsamen Gefühl, über den Dingen zu schweben! – immerhin noch klardenkend genug, um zu registrieren, daß sich hier neue Komplikationen anbahnen könnten: bei allem Genuß, den es Sylvia bereitete, so „von Frau zu Frau“ über intimere Dinge zu plaudern, ließ es sich nicht verhehlen, daß wir bei dieser fast krankhaften Scheu unseres Pagen-Reh-Lamms vor Männern am Rand einer Katastrophe balancierten, falls es je …
Glücklicherweise war das Taxi genau in diesem Moment vor unserer Haustür angekommen. Ich zahlte – ohne Fräulein Lieselottes Sündenlohn hätte ich mir diese ganze Rettungsaktion überhaupt nicht leisten können! – warf einen sichernden Blick auf die menschenleere Straße (in Sicht war niemand, und wenn zu der späten Stunde unwahrscheinlicherweise noch Nachbarn hinter Gardinen lauern sollten, konnte ich’s auch nicht ändern!) – und zog dann meinen Schützling rasch und energisch in den Schatten des Eingangs.

Theoretisch zumindest hatte ich die Dinge völlig unter Kontrolle: ich konnte die scheue Pamela in Tante Irmas und Onkel Antons Schlafgemach packen, in mein Zimmer verschwinden, abschließen und am anderen Morgen erst wieder zum Vorschein kommen, nachdem ich wieder einwandfrei mädchenhaft hergerichtet war; aufs Baden mußte ich eben mal verzichten oder es nachholen, wenn ich meinen Gast, der ja sowieso einigermaßen pünktlich ins Büro mußte, verabschiedet hatte. Und dann konnte ich endlich in Ruhe meine Perücke kaufen gehen!

All das konnte ich zweifellos – nur tat ich, wie sich bald herausstellen sollte, etwas völlig anderes.

Sextes Kapitel: Sündenfall

“ … nie hilft man einer Lesbe, ohne
daß dieselbe es belohne … „

Vielleicht wäre auch wirklich alles so verlaufen, wie ich es als ungefährlich geplant hatte – wenn Alex nicht gewesen wäre.

Ich hatte meinen Schützling (nachdem ich mich in der Diele vorsichtig aus meinem Regenmantel und Kopftuch geschält hatte – glücklicherweise saß darunter noch alles, einschließlich der Haare unter dem zweiten Tuch, einwandfrei) mit gluckenhafter Betulichkeit und mehrfach betonend, wie nötig sie jetzt Ruhe brauche, ins eheliche Schlafzimmer verfrachtet, ihr den Weg ins benachbarte Bad und zur Toilette gezeigt und ihr sogar den Wecker gestellt (damit sie mir morgens vor diesem Zeitpunkt möglichst nicht in den Weg liefe) – mit Mühe abgewehrt, daß sie mir nochmals dankbar für alles um den Hals fiel – ihr eine gute Nacht gewünscht und mich endlich in mein keusches Mädchengemach zurückgezogen; hatte aufatmend die Tür abgeschlossen und allein und genußvoll Stück um Stück meiner hübschen Sylvia-Sachen abgelegt – bis auf den Büstenhalter und seinen Inhalt natürlich, auf den ich auch nachts nicht verzichten wollte – hatte das Nachthemd übergestreift und war gerade im Begriff, endlich auch das blaukarierte Tuch mit meiner Patent-Locken-Konstruktion zu entfernen – als plötzlich durch das nächtlich stille Haus das Telefon schrillte.

Was war das nun wieder? Hastig warf ich Tante Irmas seidenen Morgenrock über und wäre beinahe bereits aus der Tür geschossen, als mir einfiel, daß auch die exzentrischste Dame schwerlich mit einem blaukarierten Kopftuch zum bestickten Seidenkimono herumlaufen würde! Während das Telefon nervensägend weiterklingelte, fummelte ich mit fliegenden Fingern einen Chiffonschal Fräulein Lieselottes über das andere Tuch – in der Hoffnung, man könne dies für die Nachttracht eines Mädchens, das sich die Haare aufgedreht hat, halten – und stürzte endlich die Treppe hinunter.

Natürlich war es der gute Alex. Er rief an, um zu melden, daß er unseren Freund Törnewald – allerdings nur mit Hilfe des Barmixers und des Nachtportiers – endlich zu wohlverdienter Ruhe auf sein Hotelzimmer verfrachtet habe; wir also von demselben nichts mehr zu befürchten hätten; er, Alexander Mertens, hingegen noch in jeder Beziehung zu unseren Diensten stünde – insbesondere, falls ich seine Zeugenschaft benötigen sollte, um meiner Tante …

„Alex – “ erkundigte sich Sylvia mit untrüglichem weiblichen Instinkt, „wieviel – also exakt wieviel haben Sie mit Herrn Törnewald noch getrunken, bevor er unter den Tisch fiel?“

„Och – hm – natürlich habe ich da auch so etwas – so ein bißchen- “ begann er mit verdächtiger Vagheit, „aber – „

„Alex – “ unterbrach ihn Sylvia zuckersüß, „Sie leisten jetzt niemand mehr irgendwelche Dienste – Sie legen auch nicht Zeugnis für jemand ab – Sie legen sich jetzt lediglich schleunigst ins Bett: da gehören Sie nämlich jetzt hin!“ (Sylvia hätte eine ausgezeichnete Ehefrau abgegeben.) „Die arme Pamela und ich werden Ihnen nie vergessen, was Sie alles für uns getan haben – “ fügte sie aufrichtend hinzu, „aber alles weitere besprechen wir doch lieber morgen! Auch – “ fiel mir plötzlich ein, „die Frage mit dem Nachtklub! Gute Na-acht!“

Ich legte den Hörer auf und versuchte mir einen Augenblick auszumalen, welchen Effekt so ein nächtlicher Anruf wohl gehabt haben würde, wenn ich wirklich mit Pamela mitten in der Nacht bei einer sittenstrengen Tante Unterschlupf gesucht hätte: Der gute Alex mußte ganz schön angeschlagen gewesen sein!

Jedenfalls aber hatte er mit seinem Telefongeklingel eines erreicht: nämlich, die scheue Pamela wieder aufzuschrecken, die inzwischen an der Brüstung des Obergeschosses erschienen war (sie mußte übrigens mit dem Ausziehen noch länger herumgetrödelt haben als ich – denn sie war immer noch im Unterrock, exakter gesagt einem kurzen schwarzen Hemdröckchen, in dem sie unerwartet ’sexy‘ aussah).

„Was war denn los ?“ rief sie halblaut zu mir herunter.

Nun traute ich mir zwar allerhand zu – selbst an meinen geborstenen Alt hatte sich Pamela inzwischen ja schon gewöhnt – aber halblaut durch Haus zu rufen und dabei nicht in verkehrte Tonlagen zu geraten, nicht! Deshalb hüpfte ich lieber leichtfüßig – gut, daß ich mir am Nachmittag in meinem Drang nach Perfektion sogar die Zehennägel lackiert hatte! – wieder die Treppe zu ihr hinauf und legte ihr erst einmal beruhigend die Hand auf den Arm.

Das war bereits der erste Fehler. Bisher, unter Wollmantel oder Kostüm, war es eine ganz unverbindliche Geste gewesen, ihr beruhigend die Hand auf den Arm zu legen: jetzt aber war dieser Arm nackt, glatt und weich – und der Effekt eher beunruhigend. Den zweiten Fehler machte ich gleich hinterher:
„Ach – “ sagte ich nämlich, „das war nur der gute Alex, der Bescheid sagen wollte, daß Ihr Freund aus Schweden inzwischen sündlos eingeschlummert ist!“

Nach allen Regeln der Logik hätte dies Pamela beruhigen sollen. Was wirklich geschah, war aber, daß sie schluckend sagte:
„Das ist – wohl wirklich – ein sehr netter Kerl, dieser – Alex!“ und, nachdem sie diesen Namen mit spürbarer Verbissenheit hervorgestoßen hatte, aufschluchzend in meine Arme sank.

Hatte ich mir bisher vielleicht geschmeichelt, Frauen erheblich besser verstehen zu können als die meisten Männer – jetzt stand ich, ob nun qua Sylvia oder selbst, vor einem Rätsel: War Pamela neidisch, daß ich einen so netten Kavalier an der Hand hatte, während, sie sich mit dem dicken Schweden herumschlagen mußte? Hatte sie die Erinnerung an irgendwelche Unziemlichkeiten Törnewalds nocheinmal übermannt? Oder hatte sie einfach in der Hotelbar zu viele Cocktails getrunken?

Was auch immer – jedenfalls stand ich jetzt, entgegen allen guten Vorsätzen, im dünnen Damennachthemd und Seidenkimono mit einem fast ebenso leichtbekleideten Mädchen in den Armen; und zu allem Überfluß noch einem schluchzenden Mädchen, das ich ja nun beim besten Willen nicht einfach umdrehen und mit einem sanften Schubs wieder ins Bett schicken konnte!
Ihr mütterlich und verständnisvoll den Arm um die nackten Schultern zu legen, wie ich es instinktiv tat, schien zwar eine beruhigende Wirkung auf Pamela zu haben – aber wiederum eine zwar verständliche, aber weder mütterliche noch beruhigende Wirkung auf mich! Solange sie nur ihr Köpfchen vertrauensvoll an meinen zwar falschen, aber doch recht naturgetreuen Busen lehnte, ging das ja noch an – aber wenn sie sich nun auch noch unter der Gürtellinie schutzsuchend an mich drängen sollte?

Irgendwie muß Sylvias Computer wieder einmal sehr viel weiter gewesen sein als ich mit meinen rationalen Überlegungen und Besorgnissen. Denn während ich mich sanft, aber bestimmt auf sicherere Distanz von Pamelas Körper löste, konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, nun auch noch mein schockierendes Nutten-Abenteuer von gestern zur Sprache zu bringen:
„Also wissen Sie – “ plauderte sie fröhlich, als sei nichts geschehen, daher, “ – eigentlich, kenne ich ihn auch erst seit gestern abend! Aber da habe ich ihm gleich zu Füßen gelegen – „

Sei es nun, daß Sylvia (die ja in vieler Beziehung ein Aas war) perverse Freude daran empfand, Pamela wieder prompt verwirrt die Rehaugen aufreißen zu sehen – oder ob sie darauf spekulierte, daß Neugier immer ein gutes Kompensativ für Tränenausbrüche sei: Jedenfalls hatte sie den doppelten Erfolg, daß mein Pagen-Reh-Lamm auch seinerseits wieder damenhafte Distanz von mir wahrte – andererseits aber auf die Bemerkung:
“ … aber das muß ich Ihnen in Ruhe erzählen!“
sofort mit der Einladung:
“ … dann kommen Sie doch noch auf einen Sprung zu mir herein!“
reagierte.

Ob ich das nun eigentlich wollte – oder nicht wollte: darüber war ich mir selbst nicht im Klaren; und, scheinbar wohl nur aus dem Wunsch, mir erst nocheinmal eine Atempause vor dieser neuen Situation zu schaffen, verfiel ich auf eine Idee, die sich nur meinem himbeergeist-beflügelten Hirn als genial präsentieren konnte:
„Aber wissen Sie was: da hole ich uns erst noch etwas zu trinken!“ Und damit entfloh ich erst einmal wieder die Treppe hinunter.

Aber ganz ähnlich wie gestern abend hatte ich damit genau die verkehrte Richtung gewählt: wenn ich (wie ich das vielleicht unklar im Sinne gehabt hatte) zusätzliche Kleidungsstücke suchte, mit denen ich mich vor naheliegenden Problemen schützen konnte – dann entfernte ich mich von diesen, nämlich von Fräulein Lieselottes Zimmer, immer weiter; schlimmer noch – ich hatte geradezu provoziert, daß nun auch Pamela mit einem: „Warten Sie, ich helfe Ihnen doch … “ hinter mir herkam.

Was, zum Teufel, konnte man denn jetzt trinken?! Schließlich keinen Apfelsaft oder vielleicht Kamillentee! Wieder erschien es mir als echte Genieleistung, mich in diesem Augenblick daran zu erinnern, daß in Tante Irmas Kühlschrank – aus welchen Gründen auch immer – zwei Flaschen Sekt standen, die ich nun triumphierend hervorholte. Pamela machte wieder mal große runde Augen, fragte dann aber mit unerwartet praktischem Sinn, wo sie denn Gläser holen könne – und fand sie trotz meiner vagen Angaben sogar auch, während ich, in herzlich unorthodoxer Weise, den Sektkorken nach Entfernung des Drahts mit einer an sich zum Abdrehen von Dosendeckeln bestimmten Zange soweit lockerte, daß er gerade, als sie zurückkam, mit einem befriedigenden „plop“ aus der Flasche glitt.
Dies fanden wir nun beide aus irgendeinem unerklärlichen Grunde ungeheuer lustig und füllten – Pamela im Sopran, ich in gedämpftem Alt kichernd – unsere Gläser auf dem Küchentisch wie zwei Schulmädchen, die einen großen Streich vorbereiten; erhoben unsere Gläser und prosteten uns verschwörerisch zu.
Der eiskalte Sekt schmeckte – auf Anhieb – herrlich. Anschließend mußte Pamela, der etwas in den falschen Hals geraten war, prusten und niesen, was wiederum Anlaß gab, ihr intensiv den Rücken zu klopfen …

Immerhin dachte ich auch jetzt noch klar genug, um eilig wiederum den Rückzug aus dieser intimen Nähe anzutreten, bevor Gefährliches geschah – und um dies nachträglich zu motivieren, hüpfte ich ins Wohnzimmer, wo ich plötzlich Onkel Antons teures Kofferradio entdeckte. Dies erschien mir nun nachträglich eine hervorragende Erklärung für den Ausflug – insbesondere, als ich nach mehrfachem Tastendrücken von irgendeinem Sender nächtliche Tanzmusik hereinbekam.
Mit all dem – Sekt, Gläsern und Radio – zogen wir nun (unerfindlicherweise auf Zehenspitzen, obwohl uns ja die Musik laut genug begleitete) wieder ins eheliche Schlafgemach zurück, wobei ich (mich innerlich noch immer zu meiner Umsicht und überlegenen Kontrolle über die Situation beglückwünschend) nach Abstellen aller mitgeführten Gegenstände genau auf der entgegengesetzten Bettkante Platz nahm – vorsichtshalber die ganze Breite des Doppelbettes zwischen Pamela und mich legend.

Nun aber wollte sie unbedingt die Geschichte des gestrigen Abends hören – die ihr Sylvia, in der Erinnerung schwelgend, offensichtlich höchst eindrucksvoll berichtete, Höhepunkte durch weitere gemeinsame Sektschlucke markierend.
Pamela äußerte an solchen Stellen wiederum ernsthaft den Verdacht, daß alle Männer „Tiere“ seien, die „alle dasselbe“ im Sinne hätten – war von meiner heldenhaften Flucht vor deren Nachstellungen wieder tief beeindruckt („Ich wäre gestooorben, wenn mir so etwas -„) – begann aber wieder still zu werden, als der rettende Alex in der Erzählung auftauchte. Dies hätte mich noch nicht so sehr verwirrt – sehr viel mehr aber, daß sie indes (was ja eigentlich ganz natürlich war) allmählich begann, sich weiter auszuziehen.

Erst hob sie nur ihr unverschämt kurzes Hemdröckchen, um gedankenverloren erst den einen, dann den anderen Strumpfhalter loszunesteln (sie trug, was ich mit Interesse registrierte, keineswegs die unromantischen Strumpfhosen, die damals modern zu werden begannen -sondern noch traditionelle damenhafte dunkelbraune Strümpfe, mit noch dunklerem Rand, über dem ein schmaler Streifen weißer Haut unter der Spitzenkante ihres Schlüpfers hervorblitzte) – streifte dann, das schlanke Bein auf die Bettkante setzend, den Strumpf langsam und liebevoll halb herunter …

Ich unterbrach meine Erzählung, um – einem plötzlichen Impuls gastgeberischer Pflichten folgend – unsere Sektgläser neu zu füllen. Ausgerechnet an dieser Stelle war es nun dem Programmgestalter unseres Mitternachtssenders eingefallen, ein Potpourri von „Pariser Melodien“ einzufügen – und ob ich das nun bewußt wahrnahm oder bloß einer plötzlichen Assoziation folgte: jedenfalls brachte mich das auf die Idee, das sowieso anscheinend wenig Anklang findende Thema „Alex“ abzubrechen – und anstattdessen kehlig in ein imaginäres Mikrophon zu flüstern:
„Und nun, meine Damen und Herren – willkommen in unserem schöönen Casino de Pariiih!“ Damit drückte ich Pamela das frischgefüllte Glas in die Hand und forderte sie mit kühner Geste auf, es hinunterzustürzen – was sie auch willig tat und mich dann erwartungsvoll ansah: offensichtlich hatte sie auch auf dem Festplatz einiges von diesem ununterbrochenen Vortrag mitbekommen.

Die Musik gab stimmungsvoll der Ansicht Ausdruck, daß ganz Paris offenbar nichts anderes vorhabe, als von der Liebe zu träumen – Metro nach Büroschluß kann der Autor dieses Texts bestimmt nie gefahren sein – und inspirierte mich, zusammen mit Pamelas Interesse, zu weiteren Ausführungen:
„Als Höhepunkt unserer großen Gala-Vorstellung, unserer einmaligen Revue schöööner Frauen – “ fuhr ich mit geheimnisumflorter Stimme fort, „sehen Sie – sofern Sie über achtzehn Jahre alt oder in Begleitung Ihrer Erziehungsberechtigten sind – nun unsere entzückende Pamela – “ ich wies mit großer Geste auf ihren halbabgestreiften Strumpf, der nach der Unterbrechung immer noch an der hübschen Rundung ihres Unterschenkels baumelte, “ – mit ihrem unnachahmlichen Stripp – Tee – Aase – Akt ‚Die Geheimnisse von Paris‘!“

Pamela, unerwartet in den Mittelpunkt meiner Szene gerückt, sah mich noch etwas unsicher an – unbewußt in bester Striptease-Tradition an ihrem Strumpfrand herumspielend – aber jetzt war Sylvia (ob sie es nun einfach nicht lassen konnte, ihr Lieblingsspiel „Pagen-Reh-Lamm-Schockieren“ zu spielen – oder wieder einmal bereits viel mehr verstanden hatte, als ich in meiner Harmlosigkeit) richtig in Schwung:
„Leider – “ fuhr sie, zu einem imaginären Publikum gewandt, fort, „untersagt es der Gesetzgeber, daß sie ihren geheimnisumdunkelteri linken Strumpf bereits hier draußen von ihrem bezaubernden Pariser Bein ganz herunterstreift – aber wenn sie unsere Schöööne Schau, die einmalige Revue des Scharms und der Pikanterie besuchen, dann – “ ich gestikulierte wieder anfeuernd – „dann wird sie dieses Bein, das die Kapazitäten der Academie Française in seiner Rätselhaftigkeit mit dem Lächeln der Mona Lisa im Louvre zu vergleichen gewillt waren, in seiner ganzen sinnverwirrenden Schönheit enthüllen – ja, mehr noch – „

Jetzt war Pamela (die ja, wie man immer bedenken muß, fast so viele Cocktails vor unserem Sekt getrunken hatte, wie ich Himbeergeist) endlich auch gepackt und begann mitzuspielen: sie setzte sich graziös auf die Bettkante und reckte nun ihr Beinchen in der Tat kühn empor, zärtlich den Strumpf immer weiter herunter- oder genauer gesagt, heraufschmeichelnd und ihn schließlich nicht ohne Triumph schwenkend.

“ – aber mehr noch, auch den anderen Strumpf – – – !“ kündigte ich nunmehr an, eine Spannungspause einlegend (insbesondere, weil mir allmählich nichts mehr einfiel).

Doch jetzt war meine kleine Pamela – ob nun durch meinen Vortrag oder die schmeichelnde Musette-Musik inspiriert – ihrerseits in Stimmung geraten: das nackte Bein halb anziehend, ließ sie sich langsam hintenüber auf Tante Irmas Bett sinken – das andere Bein hebend, es erst versonnen streichelnd und dann liebevoll umarmend, bis sie schließlich auch diese zweite zarte Hülle abgestreift hatte.

„Doch unser schöönes Pariiih und unsere bezaubernde Pamela haben noch mehr Geheimnisse -“ temporisierte ich etwas einfallslos, bis sie – nach einem fragenden Blick zu mir – auf mein zustimmendes Nicken nun auch, sich wieder aufrichtend, ihr Hemdröckchen hochzustreifen begann und es schließlich – nachdem sie sich prompt mit dem Kopf darin verfangen hatte – mit etwas verwuschelten Haaren stolz mit hochgestreckten Armen über dem Kopf hielt: dann aber in einem unerwarteten Temperamentsausbruch entschlossen „ins Publikum” schleuderte.

Sie trug jetzt – wie ich als profunder Kenner weiblicher Unterkleidung ja hätte erwarten müssen – nur noch Schlüpfer und Büstenhalter. Aber als sie jetzt – ohne es zu ahnen, genau so raffiniert wie „Sylvia Orchidea“ – instinktiv mir (oder unserem imaginären Publikum) den Rücken zuwandte, während sie etwas ungeschickt mit beiden Händen am Verschluß ihres Büstenhalters herumoperierte, kam mir auf einmal siedendheiß zum Bewußtsein, daß sie jetzt dieses letzte Kleidungsstück ausziehen würde – und keineswegs, um wie „Sylvia Orchidea“ damit die Illusion zu enden…

Irgendwie hatte ich im Augenblick das Gefühl, Dinge in Bewegung gesetzt zu haben, die ich nicht mehr kontrollierte. Bei Sylvia Orchidea war das in Ordnung – man sah, was man schon vorher gewußt hatte: keinen Busen – platte Männerbrust. Bei einem Striptease in einem Nachtklub – zumindest im Kino hatte ich das ja schon gesehen – war die Sache auch in Ordnung: Tusch – Applaus – Scheinwerfer aus. Aber was zum Teufel machte man mit einem Mädchen mit nacktem Busen im Bett?

Insbesondere, wenn man ihre frischgewonnene jungfräuliche Freundin Sylvia war?! (Die allerdings – was nun Pamela wieder nicht ahnen konnte – noch nie eine nackte Frau aus anderthalb Meter Nähe gesehen hatte … )

Zumindest das Radio sorgte, als sie sich wieder zu mir umwandte, für den Tusch. Was gut war – denn mir wäre beim besten Willen kein Kommentar mehr eingefallen.

Jetzt geschah nämlich endgültig, was sich schon vorhin angekündigt hatte: eine verwirrte Pamela in Kostüm und Mantel konnte ich – oder Sylvia – mit Distanz, gar mit gewisser Überlegenheit behandeln. Aber eine Pamela mit reizend verwuscheltem Haar, schwarzem Spitzenschlüpfer und unerwartet wohlgerundeten, nackten Mädchenbrüsten mit großen erdbeerroten Nippeln – die mich auch noch beifallsheischend ansah …

Zu allem Überfluß waren die Pariser Melodien im Radio jetzt beim Grisettenmarsch aus der „Lustigen Witwe“ angekommen – und Pamela (das „scheue“, „schüchterne“ Pagen-Reh-Lämmchen?) war jetzt so aufgedreht, daß sie mit nackten Füßen wieder in ihre (aufreizend hochhackigen) Schuhchen schlüpfte und – die Arme graziös in die Hüften gestemmt – regelrecht provozierend mit winzigen Trippel-Schrittchen („trippel-trippel-trippel-trap – trippel-trippel-trippel-trapp – trippel-trippel-trippel-trippel – trippel-trippel-trippel-trapp“) auf mich zumarschierte – die süßen nackten Brüstchen bei jedem hart aufgesetzten Schritt ein wenig hüpfend – und genau zum Schluß direkt vor mir (ausversehen natürlich, dachte ich) auf dem Bettvorleger ausrutschte und sich an mir festhalten mußte – glücklicherweise primär an den Schultern; und auch ihre Brüstchen preßten sich wenigstens nicht direkt gegen mich, sondern erst einmal gegen meine (zwar künstlichen, aber sichere Distanz schaffenden),

„Ja wir sind die Grisetten
aus Pariser Kabaretten
Dodo, Cloclo, Margot, Bijou … „

jubelten die Damen im Radio begeistert, während Pamela – nach einem kleinen erschrockenen Aufquieken – in meine Arme sank und aus irgendeinem Grund in kicherndes Lachen ausbrach.

„Aber – “ mir fiel heute abend tatsächlich (war das Törnewalds Einfluß?) nie etwas anderes ein als Saufen – „darauf müssen wir anstoßen! “ wisperte ich begeistert und machte Pamelas weiße glatte Arme vorsichtig wieder von mir los, um ihr Glas zu holen und neu zu füllen. Daß sie sich dabei mit den Armen auf die Kante von Tante Irmas Toilettentisch stützte – und mir aus den Spiegeln gleich aus lauter verschiedenen Blickwinkeln noch dreimal zusätzlich zulächelte – mußte ich in Kauf nehmen (warum sieht eine Frau mit nacktem Oberleib so zauberhaft aus … ?).

„Das war doch bühnenreif – !“ komplimentierte ich sie (fast – Sylvias katzige Eifersucht beiseite – aus ehrlichem Herzen) „Auf den Star der Zukunft – Pamela de Pariiih!“

Aber statt mit mir anzustoßen, genierte sie sich plötzlich auf einmal wieder:
„Du denkst doch nicht, ich könnte sowas vor Leuten machen – ?!“ fragte sie mit ehrlichem Entsetzen. Und dann – als habe sie etwas ganz Entsetzliches getan, die Hand an die Lippen pressend: „Jetzt hab ich ‚Du‘ gesagt – – – ! „

„Na – wenn’s nicht mehr ist – “ sagte ich großzügig (Sylvia war immer bester Laune, wenn Pamela verwirrt war!), „dann trinken wir eben jetzt Brüderschaft – oder heißt das bei Mädchen Schwesternschaft ?“

Sie sah mich mit ihren großen braunen Rehaugen an, als habe ich ihr soeben ein ganz unfaßbares Angebot gemacht:
„Ehrlich – ?!“

„Bin ich denn schon mal nicht ehrlich gewesen?“ fragte Sylvia unschuldig; worauf Pamela prompt wieder errötete und die Augen niederschlug:
„Nein – nur – “ flüsterte sie fast unhörbar ,“ – daß ich mir schon immer eine Freundin wie Sie gewünscht hab‘ – „

Ausgerechnet! dachte Sylvia ironisch. Aber wenn sie’s nun glücklich macht?!

„Also – Pamela ?“ sagte sie und hob das Glas.

„Nein – da müssen wir doch erst die Arme durcheinanderschlingen!“ protestierte Pamela wichtig wie ein eifriges Schulmädchen. Nachdem dieses Werk vollbracht war – Sylvia konstatierte befriedigt, daß mein Arm dem Pamelas an Glätte nichts nachgab – hob auch diese mit verklärtem Lächeln ihr Glas:
„Also – Sylvia?“

Wir tranken – sehr nahe mit den Köpfen beisammen, ich spürte, wie es in Büchern immer heißt, „den zarten Duft ihres Haares“ (nur hatte ich bis jetzt noch nicht geahnt, daß ein Mädchen wirklich so zart duften konnte wie diese Pamela!) – und dann neigte sie erwartungsvoll den Kopf weit in den Nacken und. sah mich mit ihren großen süßen Rehaugen fasziniert an.

Ach so, das Brüderschaftsküßchen – dachte ich und beugte mich lächelnd mit gespitzten Lippen über sie. Sie hob mir den Mund ein Stückchen entgegen – unsere Lippen berührten sich –

Und dann schlüpfte ihre spitze weiche Zunge plötzlich sanft zwischen meine Lippen. „Dies nennt man den ‚Kampf der Zungen’ – “ hörte ich den gelehrten Autor des Kamasutram sachlich kommentieren: und dann war es mit der Sachlichkeit aus.

Hungrig saugten sich ihre sanften Lippen an den meinen fest – glatte nackte Arme schlangen sich um meinen Nacken – zogen mich herab zu diesen weißen runden Schultern, den festen runden Mädchenbrüsten, während sie immer weiter nach hinten auf den Toilettentisch sank – ein Arm glitt von meinem Nacken hinab um meine Taille, eine kleine kräftige Hand krallte sich in meinem Rücken fest – und noch immer schlängelte sich diese fremde, zärtliche Zunge zwischen meinen Lippen gegen meine Zähne: und als ich jetzt unwillkürlich den Mund öffnete, kreiste diese süße weiche Zungenspitze raffiniert und verliebt um die meine, während mich die weißen weichen Arme mit unerwarteter Kraft vornüber auf den nackten Frauenleib zogen, der jetzt schon fast flach auf dem Toilettentisch lag – die nackten Beine spreizten und hoben sich und schlossen sich wie eine sanfte Zange um meine Hüften – und noch immer war dieser wahnwitzig süße, saugende, zungenkreisende, lutschende, zutschende Kuß nicht zuende: bis sie endlich – mit einem kleinen, zärtlichen Biß in meine Zunge – ermattet ihre Lippen von meinen löste und tiefatmend stöhnte:

„So – eine Freundin – wie – Dich – hab ich mir – immer -gewünscht – !!!“
Und jetzt – da ich noch einmal aus diesem purpurgoldenen Rausch aufzutauchen die Chance hatte – wurde mir, zu spät, schlagartig alles klar:
Ihre krankhafte Scheu vor Männern. Der instinktiv-raffinierte Striptease von eben. Und ihre Fassungslosigkeit bei meinem naiven ‘Schwesternschafts’-Angebot – das für sie etwas ganz anderes bedeutet hatte …

Und noch viel mehr wurde mir in diesem einen Augenblick klar: ihre Bewunderung für die schlanke herbe Frigga. Ihr Schock, als ausgerechnet die – als tödlichen Verrat mußte es die arme kleine Pamela empfunden haben – sie den plumpen Zärtlichkeiten und Anträgen Törnewalds ausgeliefert hatte. Die echte Verzweiflung, mit der sie vor all dem – natürlich an einen Ort ’nur für Damen’! – geflohen war. Und dann das große Wunder: wie eine himmlische Schildjungfrau war, gerade in diesem Augenblick letzter Verlassenheit, plötzlich – vom schimmernden Mantel wie einer Walkürenbrünne umschlossen – die große kühne Retterin erschienen; hatte ohne Umschweife ihre Sache zur eigenen gemacht, gemeinsam mit ihr alle Probleme gelöst, sie selbst zur so kühnen Taten wie dem Einschlagen der Windschutzscheibe ihres Verfolgers beflügelt – und war dann, ihr kaum Zeit für ein Wort des Dankes lassend, ebenso plötzlich wieder im Dunkel verschwunden …

Was Wunder, daß sie all das erst einmal bei vielen Cocktails in der Hotelbar verdauen mußte, ehe sie in ihr einsames, kaltes Hotelzimmer hinaufging (es mußten, erkannte ich jetzt, bemerkenswert viele Cocktails gewesen sein – sonst hätte sie jetzt nie den Mut aufgebracht, ihrem Gefühl endlich einmal freien Lauf zu lassen…). Und gerade, als sie sich nun selbst einen Ruck gegeben hatte, nicht mehr verträumt einer verschwundenen Heldin nachzuhängen, sondern endlich wie ein vernünftiges Mädchen ins Bett zu gehen – genau in diesem Moment tauchten wie durch Zauberei alle wieder auf: der böse Menschenfresser, lüstern-drohend auf sie zuwankend – aber auch die mächtige schützende Fee, die sie rettend in die Arme schloß (hatte dieses unheimlich-unzuverlässige Luder Sylvia etwa auch diese dauernden ‚zufälligen’ Umarmungen arrangiert ?!)

Und war es nicht zu verstehen, daß Pamela jetzt die wiedergefundene große Mutter-Göttin-Schwester-Freundin nicht mehr loslassen wollte – daß sie sie, in der wundersam wiederholten Szene in den „Frauengemächern“, gleich beschwor (klassischer Freud’scher Versprecher!) „bei ihr schlafen“ zu können? Aber dann, tatsächlich bei ihr, hatte sie sich nocheinmal, wie ein vernünftiges Mädchen, zusammengenommen und sich brav allein in ihr Zimmer zurückgezogen.

Doch wie im Märchen hatte ihr das Schicksal zum dritten (und doch wohl unwiderruflich letzten?) Mal die Chance gewährt, die große fremdartig-mächtige Sylvia ins Brautgemach (Eheschlafzimmer mit Doppelbett – die Symbolik war lehrbuchmäßig!) zu holen:

Und diesmal hatte sie nicht mehr losgelassen.

Indem ich das alles in dieser Sekunde fast selbst durchlebte, stieg in mir ein großes Mitleid, eine große Zärtlichkeit für mein armes kleines Pagen-Reh-Lämmchen auf – für seine Einsamkeit, seine Sehnsucht, seinen großen Traum von der wunderbaren, zärtlichen, lieben, starken Freundin, die sie vor der ganzen bösen Welt – und besonders den Männern – beschützen würde; doch im Hintergrund glaubte ich auch das Gelächter eines unsterblichen Gottes oder Dämons zu hören, daß sie sich für diese Rolle ausgerechnet – mich ausgesucht hatte!

Bei all dem hatte ich freilich weitaus akutere Probleme.
An sich war es wirklich nur die vorspringende Kante des Toilettentisches, die mich vor einer unmittelbaren Katastrophe gerettet hatte: glücklicherweise hatte sie sich, als mich Pamela zu sich niederzog, schützend über mein steif und völlig undamenhaft angeschwollenes Glied geschoben, das sich jetzt noch immer schmerzhaft gegen die harte kalte Tischplatte preßte – ich konnte noch nicht einmal einen Schritt zurücktreten, ohne mich in der erschreckendsten Weise zu verraten!

Ganz vorsichtig stemmte ich meinen Oberleib mit den Armen soweit hoch, daß ich wenigstens nicht mehr völlig auf meiner Duzschwester Pamela lag. Mein Gesichtsausdruck muß wohl einigermaßen eigenartig gewesen sein – denn jetzt murmelte Pamela, die Augen erschrocken aufschlagend, fast tonlos:
„Bist Du mir jetzt – böse?!“

Wenn für nichts sonst: so mußte ich Sylvia allein dafür dankbar sein, daß sie in dieser. – für die Psychotherapie von Lesbierinnen singulär ungeeigneten – Situation plötzlich wieder voll (und mit unfaßbarem Einfühlungsvermögen) das Steuer übernahm:
„Aber – wer könnte Dir, Liebste, Süße, denn böse sein – “ flüsterte sie (zu meiner Verblüffung auch genau meinen Gefühlen Ausdruck gebend) mütterlich-liebevoll.

Es war ganz gut, daß ich – vollauf mit meinen anatomisch-technisch Problernen befaßt – diesen Dialog völlig Sylvia überlassen mußte: denn welcher vernünftige Mann wäre darauf gefaßt gewesen, daß die kleine Pamela nun – fast ein wenig beleidigt – weiterfragte:
„Aber bist Du denn nicht – entsetzt ?“

Sylvia war klug genug, darauf gar nicht einzugehen;
“Du bist wunderschön – “ sagte sie träumerisch (das Mädchen sagte ganz genau, was ich dachte!) und verschlang Pamelas nackten Leib fast mit gierigen Mädchenblicken (von deren Möglichkeit ich bisher nichts geahnt hatte – oder ging das nur mit falschen Wimpern?).

Darauf reagierte Pamela nun prompt – wenn auch wieder für mich höchst unerwartet:
„Aber Du – “ flüsterte sie, die Augen verlegen niederschlagend, „bist doch viel schöner als ich, Sylvia – viel reifer, fraulicher – “

Es war der irrsinnig komischste Dialog, den man sich vorstellen konnte – nur hatte ich nicht den geringsten Sinn für seine Implikationen, weil ich verzweifelt über das Problem nachdachte, wie ich meinen Schwanz bändigen könnte (wenn ich ihn bloß irgendwie zwischen die Schenkel klemmen könnte – aber wie überwindet man 12O° Winkeldifferenz?!) – während Sylvia sich natürlich (wie immer, wenn sie Komplimente bekam) in Pamelas Bewunderung badete:

„Eine Freundin – wie Dich – habe ich mir immer gewünscht – “ paraphrasierte sie kühn Pamelas Worte (hatte sie eigentlich damit auch für mich recht ? Der Himmel weiß – wenn ich so ein süßes Weib wie Pamela vorher nackt in meinen Armen gehabt hätte ? Aber was hätte die denn zu Hugo gesagt ?!!!) und beugte sich bewundernd über Pamelas goldige Brüstchen, ihre verlockende Walderdbeere ganz zart mit den Lippen berührend. (Sylvia war eine herrliche Hilfe in dieser Situation – durch das weite Vornüberbeugen rückte das Einfangen meines Schwanzes allmählich in den Bereich des technisch Möglichen! Wenn ich jetzt noch eine Hand freibekam … )

“O – o – oh Sylvia !“ stöhnte Pamela, als meine Lippen ihre Brust erreichten. Was Du mit der Zunge kannst, kann ich schon lange, dachte Sylvia überlegen und ließ die Zungespitze zweimal zärtlich um Pamelas verlockenden Nippel kreisen (natürlich tat sie damit meinen Bemühungen um Beherrschung keinen besonderen Dienst – was schmeckte aber auch ein Weib so herrlich! – aber mit Gewalt konnte man natürlich selbst jetzt … )

„Au – ah – ooooh – “ Ich hatte jetzt Pamelas rechte Brust fast zu dreiviertel im Mund – war das wunderbar! – und spürte wieder die purpurgoldnen Nebel von vorhin aufsteigen: Mädchen – ! Weich, rund, glatt – zart und fest – wie kann nur Haut und Fleisch so herrlich sein? Pamela! Ganz vorsichtig biß ich in die verlockende Frucht – sie zuckte ein wenig, wohlig – und wölbte dann ihre Brust noch weiter mir entgegen, kleine wohlige Laute wie eine Katze, die man krault, ausstoßend – – – (jetzt hatte ich den steifen Schwengel endlich gefangen: heiß und klopfend lag er jetzt zwischen meinen weichen Schenkeln, die ich X-beinig zusammenklemmen mußte – jetzt wußte ich langsam nicht mehr, wer mir heißer machte – Pamela oder Sylvia ?!)

“Sy – y – ylvja !“ schrie Pamela unerwartet leise auf und reckte sich in steifem Bogen hoch; jetzt hatte ich wieder beide Hände frei – und mit mich selbst verblüffendem Mut griff ich in den oberen Saum ihres schwarzen Schlüpfers, ihn mit einem wilden Ruck nach unten ziehend.

Verstandesmäßig hatte ich – wurde mir später klar – kaum eine Ahnung, was denn nun eigentlich darunter lag: außer – wie ich sah – einem herrlich verworfen aussehenden schmalen schwarzen Strumpfhaltergürtel auf weißer Haut …

Aber Sylvia wußte wieder mal viel mehr als ich. Kaum hatte ich meine Lippen von der süßen Brust gelöst, ließ sie mich schon wieder – diesmal wie vor einem Heiligtum in die Knie fallend – auf Pamela niedersinken: aber diesmal vor dem entzückenden duftigen Büschel ihrer Schamhaare. Und unter diesen duftigen Haaren – selbst hier roch sie genau so zart und verlockend wie vorhin am Kopf – lag etwas Weiches, Lippenhaftes, sich mir Öffnendes …
Auparishtaka – dachte ich plötzlich erleuchtet – ‚… ist nicht allein auf Männer beschränkt …!‘ (der gute alte Vatsyayana…!)! Und dann ließ ich meine Zunge zum ersten Mal die süß-salzige Pforte Pamelas berühren …

Ich habe Pamela nie gefragt, ob sie selbst einmal – oder oft? – dorthin gefaßt, sich dort gestreichelt oder gar mit irgendwelchen Instrumenten erregt hat: aber in dieser Nacht war es, als liebkose man sie dort zum ersten Mal in ihrem Leben – als entlade sich die ganze aufgestaute Sehnsucht ihrer einundzwanzig Jahre zum ersten Mal in diesem Moment, als sie die schöne Freundin Sylvia dort spürte –

Es war herrlich und grotesk zugleich. Pamelas wunderbar flockige Schamhaare gerieten mir dauernd in den Mund, als ich sie – instinktiv richtig – mit immer steigender Erregung dort unten küßte: und aufhören konnte und wollte ich ebensowenig, wie ich meine Hände zu Hilfe bekam – mit denen ich lustvoll die glatten, weichen Hüften, die Taille, ja sogar die süßen Brüste streicheln mußte; nicht zuletzt mußte ich ihre zuckenden Händchen bändigen, mit denen sie mir beinahe meine ganze kunstvolle Locken-Kopftuch-Konstruktion vom Schädel gerissen hätte – genau wie mit den Beinen, die manchmal unter meinen Achseln, manchmal auf meinen Schultern lagen! Es war für uns beide ein Glück, daß sie durch die ganze Vorgeschichte des Abends schon so kurz vor dem ersten Höhepunkt stand –
„Oooooh – ooooih ! ———- Sylllvja !“

Ihr zarter Leib hatte sich nocheinmal wild aufgebäumt und sank jetzt sanft und zufrieden wieder auf die harte Tischplatte zurück.

„Pamela – Liebste, Süße, Schönste – Du – uu !“ hauchte Sylvia dagegen, als sich mein Mund endlich wieder von ihren Schamlippen gelöst hatte.

„Sssylllvja!“ stöhnte Pamela nocheinmal zärtlich – und dann hatte ich mich (mit aller gebotenen Vorsicht und noch immer straff zusammengepreßten Oberschenkeln) wieder so weit aufgerichtet, daß ich meine Lippen wieder auf die glatte Haut ihres Leibs pressen konnte.

„Und – Du, Liebste ?!“ fragte Pamela, langsam aus ihrer Ekstase zurückkehrend, fast ängstlich.

Die Frage war nicht unberechtigt – aber ich streichelte sie beruhigend über die runden weißen Schultern:
„War es nicht schön – ?“ flüsterte Sylvia mit vieldeutigem Lächeln, “ – und wir haben doch noch die ganze Nacht vor uns … “ (das war nun wieder ein unerwartetes Extempore Sylvias – die ich immer mehr in den Verdacht bekam, neben allem anderen auch noch eine perfekte Kupplerin zu sein!).

Doch erst einmal zog ich Pamela – erst jetzt wurde mir klar, daß sie die ganze Zelt über mit ihrem armen nackten Rücken auf der kalten kantigen Glasplatte des Toilettentisches gelegen hatte: man spürte die Kanten noch in ihrer Haut! – zärtlich empor (und hatte endlich mal keine Sorgen, als sie sich liebevoll-ermattet gegen mich sinken ließ). Und es fiel ihr auch nicht auf, daß ich – als ich sie schwesterlich, den Arm um ihre Schultern gelegt, zu ihrem Bett geleitete – eher wie eine Art weiblicher Quasimodo zusammengekrümmt die zierlichsten Humpelschrittchen machen mußte, um meine Knie nicht voneinander entfernen zu müssen.

“Kommst Du noch ein bißchen zu mir?“ fragte sie leise verträumt, als sie unter die Decke schlüpfte.

Ein vernünftiger Mensch hätte vielleicht diese letzte Gelegenheit zur Flucht benutzt (schließlich, hätte die Stimme der Vernunft sagen können, war ich gestern abend auch allein fertiggeworden – ! ) – aber vernünftig war ich schon lange nicht mehr. Also ließ ich mich vorsichtig auf der Bettkante nieder – zog ebenso vorsichtig die Beine (mit geschlossenen Knien, wie bei einer Gymnastikübung) an und ließ mich dann neben ihr ins Bett rollen. Es war ein herrliches Gefühl, wie sie ihren süßen Körper vertrauensvoll an mich kuschelte und ihr Köpfchen an meine Schulter legte: nur wäre es jetzt schon sicherer gewesen, wenn ich wirklich ihre Freundin Sylvia gewesen wäre …

Wenn es Pamela befremdete, daß ich – im Gegensatz zu ihr – voll in Morgenrock und Nachthemd verpackt ins Bett gekrochen war: dann ließ sie sich jedenfalls nichts anmerken, sondern schmiegte ihre nackte Haut genußvoll an die glatte Seide des Kimonos über meinen falschen Brüsten, den Kopf zurückgelehnt und die Augen halb geschlossen.

„Du – Sylvia – ?“ sagte sie wohlig verschlafen.

„Ja – Pamela?“ (Unsere Dialoge waren so geistvoll, wie meist bei Verliebten).

„Stell Dir mal vor: wenn wir uns heute nun nicht getroffen hätten … “ meditierte sie träumerisch, „… kannst Du Dir das vorstellen … ?“

Ich wollte mir eigentlich gar nichts vorstellen, sondern nur weiter hingebungsvoll ihren Arm streicheln – aber Sylvia wußte glücklicherweise wieder die richtige Antwort:
„Das mußte alles wohl so kommen … !“ erwiderte sie weltweise.

Aber Pamela wollte nun einmal Schritt für Schritt die Wunder dieser Nacht nocheinmal durchleben:
„Du — Sylvia – ?“ begann sie von neuem (es war eine richtige kleine Beschwörungsformel – als müsse sie sich immer von neuem vergewissern, daß wirklich plötzlich eine solche Sylvia bei ihr war), „hast Du -“ sie überlegte angestrengt, wie sie das formulieren sollte “ – hättest Du da gedacht, daß wir … ?“

Sie brach ab und sah mich dafür zärtlich an. Sie sah so glücklich aus, daß mir fast die Tränen kamen (das ist eine von diesen Sachen bei mir: bei den ’schönen Stellen‘ im Kino oder sogar in einem Buch kann ich heulen wie ein Schloßhund – wahrscheinlich war das schon immer die romantische Sylvia! – denn im praktischen Leben, damals in der Schule zum Beispiel, habe ich eigentlich schon als Junge kaum geweint).

„Hättest – ich meine, hast Du denn … “ versuchte ich die Frage zurückzugeben und gab es dann genau so auf wie Pamela (jeder Autor, der auch nur ein bißchen auf sich hielt, hätte uns mit unseren Dialogen zum Teufel gejagt!). Aber diesmal gab Pamela wenigstens Antwort:
„Nein – “ sie schüttelte, immer noch ein wenig über sich selbst entsetzt, den Kopf.

Ich weiß nicht – wie Du da so plötzlich vor mir standst: so groß und schön und – ich weiß nicht – so kühn und so kühl – “ sie kuschelte sich noch enger an mich, „da hab ich, das weiß ich noch, gedacht: warum kannst Du nicht so sein – dann wäre sicher alles – anders – “ Sie schloß wieder die Augen und lächelte: „Aber lieb gehabt hab ich Dich gleich!“

Wieso kann eine Frau einem gleichzeitig das Gefühl geben, man müsse sie wie ein ganz kleines zartes Vögelchen vor aller Welt beschützen – und einen zugleich reizen, sich auf sie zu stürzen und jedes Fleckchen, jedes Teil ihres glatten weißen Leibs zu küssen, zu packen, aufzufressen … ?!

Natürlich tat ich weder das eine noch das andere.

Denn jetzt schlug sie ihre großen braunen Rehaugen, die immer so entzückend verwirrt schauen konnten, wieder auf und sah mich beistandsheischend an:
„Sag mal – bin ich nun eigentlich – wie sagt man – „

„Du bist meine ganz süße Pamela!“ unterbrach ich sie bestimmt (sexualpathologische Diskussionen hatten mir jetzt gerade noch gefehlt – !). Aber das genügte ihr diesmal doch nicht:
„Nein – ich meine, ist das nicht eigentlich furchtbar, daß wir hier so – als Mädchen, meine ich … „

„Furchtbar ? Fandest Du das furchtbar?! fragte Sylvia liebevoll-naiv. „Ich fands – “ sie streckte sich behaglich, „wunderbar!“

Doch das Thema ließ Pamela nicht los:
„Sag, Sylvia – “ sie wurde wieder ein bißchen rot, sprach aber dann tapfer weiter, „hast Du schon einmal – mit einem Mann – ?“

Ich brauchte ein paar Sekunden für die Antwort.
„Nein!“ sagte ich dann ehrlich (was ich mit mir selber gemacht hatte, galt hier ja wohl nicht).

Pamela warf mir einen Blick zu, der ’na – siehst Du ?!‘ zu sagen schien, und fragte dann noch leiser weiter:
„Und – mit einem Mädchen – ?“

„Nein!“ (das konnte ich nun ohne Zögern verneinen) „außer Dir, natürlich – “ setzte ich überflüssigerweise noch hinzu.

Aber nun hatte sich Pamela endgültig in das Problem verbissen.
„Aber – ich glaube – “ sagte sie nachdenklich, „bei Dir ist das alles doch – anders – “ (wie recht sie hatte!) „Du warst doch da mit diesem – “ sie mußte sich einen Moment überwinden, „diesem netten Axel oder wie er hieß – und Du hast sogar den Törnewald überstanden – “ Ihr kleines liebes Gesicht wurde seltsam hart: „Ich hab das doch auch schon versucht – glaub mir, ich hab’s versucht! – aber – “ Sie schluckte. „Ich kann’s nun mal nicht aushalten!“ stieß sie dann verzweifelt hervor, „wenn ich schon in den Augen seh, wie sie dann auf einmal – und wenn mich erst einer anfaßt – „

Ihr ganzer zarter Körper war hart und gespannt geworden, voller Abwehr – und löste sich erst wieder, als ich sie ganz sanft an mich drückte und ihre Schulter streichelte (wenn ich nicht so herrlich viel Himbeergeist und Sekt im Leib gehabt hätte, die vermieden, daß ich allzu logisch zu denken begann, hätte ich dabei ja das Gefühl haben müssen, mit Nitroglyzerin zu hantieren).

„Vielleicht – “ sagte sie dann so leise, daß ich es nur mit Mühe verstehen konnte, „ist das, weil – als ich vierzehn war, da hat mich mal einer – im Wald – abends, als ich vom Zug kam – “ Sie stockte und vergrub das Gesichtchen an meiner Schulter. Ich kam mir zum erstenmal an diesem Abend richtig gemein vor – aber wenn es nun eben mal half, daß ich ihr über den nackten glatten Rücken streichelte? (ganz egal, was ich dabei dachte oder spürte!)

„Sie haben mich dann operiert – “ sagte sie plötzlich sachlich. Ich hätte nie geglaubt, daß ihre Stimme so eisig hart klingen konnte. „Kinder kriegen kann ich deshalb auch nicht mehr. Den Mann haben sie später verhaftet – “ ihre Stimme klang immer noch so fremd und blechern, „die zwei vor mir hat er danach umgebracht. Ich weiß nicht – vielleicht, weil ich nicht geschrien hab – oder vielleicht hat’s ihm bei mir – “ sie spuckte die Worte fast aus wie etwas Ekelhaftes, “ – besser gefallen?!“

Was – dachte ich hilflos – sollte man darauf sagen? „Arme Pamela” oder so einen Blödsinn?! Ich kam mir in dieser ganzen Possen-Situation jetzt sowieso wie jemand vor, der sich plötzlich mit einer Faschings-Pappnase auf Golgatha entdeckt!

Gottseidank verstand Sylvia wieder mal alles viel besser. Während ich vor Mitgefühl mit der armen kleinen Pamela zerfloß – hatte sie mit ihrem unheimlichen weiblichen Spürsinn schon einmal. wieder den Satz verstanden, der in Pamelas Erzählung gefehlt hatte: nämlich den Satz darüber, wie gut es eigentlich ihr damals gefallen hatte … und über wen sie eigentlich am meisten entsetzt gewesen war …

Und deshalb fing sie einfach, ohne zu antworten, an, Pamela wieder zu küssen – und diesmal war es nicht Pamelas Zunge, die als erste Einlaß zwischen fremden Lippen forderte – !

Und Pamela – kleine süße heiße vollkommen durcheinander geratene Pamela! – fand und suchte hungrig, was sie sich selbst nicht eingestehen konnte: außer bei einem Mädchen …

Wenn ich irgendwann noch Verstand gehabt hatte – dann kam mir jetzt der letzte Rest davon abhanden: aber was soll man auch mit Verstand, wenn man ein kleines süßes wildes hungriges Tier in den Armen hat, das all seine aufregenden Reize verzweifelt anbietet – hingibt -genommen werden will – ?!

Zuerst liebte ich sie nur mit dem Mund: von den heißen gierigen Lippen hinauf zu den kühlen, unter weichen Lidern zuckenden Augen – und wieder hinunter zum weichen Hals, der pulsenden Schlagader (Dracula ist gar nicht so absurd – ), dieser entzückenden Stelle am Armansatz, wo man die Brüste schon ahnt – und dann an diese köstlichen reifen runden weichen Früchte, in die man die Zähne graben konnte, ohne satt zu werden – nur immer hungriger –

Aber Pamela – scharfe heiße wilde Pamela jetzt!!! – wollte mit ihrem ganzen Leib lieben: drängte ihn an mich, krallte sich mit den kleinen festen Händen in meine Schultern, meinen Rücken – packte meinen Oberleib zärtlich, aber unerbittlich aus den Falten des Kimonos – versuchte auch mit ihren scharfen Zähnchen meine Brüste unter der Seide des Hemds zu packen – und als ich ihr das mit ein paar unbewußten Wendungen unmöglich machte, klammerte sie wenigstens ihre weichen, unerwartet kräftigen Schenkel um die meinen – versuchte sich zwischen sie zu wühlen –

Das kann ja nicht gut gehen, sagte abschiednehmend die Stimme des Verstands – und dann zog er sich endgültig aus unserem Bett zurück. Immerhin noch mit dem Effekt, daß ich versuchte, meine Hand zwischen Pamelas Schenkel zu bringen – ehe ihre zwischen meinen ankam – und sie auch tatsächlich nocheinmal ablenkte:
„Hhhhhhch – Sylllvja – Hhhhhchch – “ keuchte sie, als ich mit den Fingerspitzen ihre süße, glitschige Furche zu liebkosen begann – fummelte mit fliegenden Fingern den Morgenrock ganz von meinem Oberleib – küßte und biß mich entfesselt in Kinn und Hals – kratzte mit ihren kleinen scharfen ‚Nägeln die glatte Seide über meinem Rücken – und drängte noch immer ihr Knie zwischen meine – warf sich plötzlich mit Macht platt auf den Rücken, mich auf sich reißend – stöhnte:
„Aaaaoooh – tu mir was – SSyllvja – nimm mich – chchhhh – “

und begrub dann meine Lippen mit dem feuchtesten, saugendsten, zutschendsten Kuß, den sie mir je gegeben hatte – wurde ganz schlaff unter mir – und schob dann plötzlich triumphierend ihr Knie zwischen meine Schenkel, es steil anwinkelnd, immer höher, immer höher –

Die purpurgoldnen Schleier wogten schon lange vor meinen Augen: unter mir zuckte Pamelas süßer zärtlicher glatter Leib – wölbte sich erwartungsvoll mir entgegen – ihre Schenkel hatten mein rechtes Bein wie eine Zange umfaßt – mit einer Art hilflosen, glücklichen Entsetzens spürte ich, wie mein Schwanz, endlich aus dem pressenden Gefängnis meiner Schenkel entkommen, sich aufzustellen begann – über Pamelas Schenkel glitt –

Ich dachte nichts mehr. Ich stemmte mich – brutal Pamelas Oberarm packend – hoch, drückte mit der anderen Hand ihren Schenkel beiseite – sie gab, nach einem kurzen Widerstand, plötzlich willig nach; und dann lag sie weit offen unter mir – und ich ließ mich ächzend auf sie nieder – fühlte, wie ich plötzlich in dieses zärtliche, herrliche, samtweiche Gefäß glitt –

„Ssylll – vja?!“ schrie Pamela plötzlich ganz spitz und hoch – aber dann bäumte sich ihr ganzer Leib mir entgegen – und während sich unsere Lippen wieder zu einem endlosen saugenden Kuß vereinten, begann ich endlich – endlich im Takt meines Blutes Besitz von ihr zu nehmen.

Es dauerte – glaube ich – unendlich lange: sie war ein weicher, zärtlicher, purpurgoldner Wagen, auf dem ich durch Weltall fuhr – durch blendende Milchstraßen violett-golden- roter Sterne, wogende Nordlichter, gleißende Schleier – und ich war der Motor, der Kolben im Zylinder dieses Wagens, wie von fremder Kraft getrieben – ihre Hände die Ventile, die auf meinem Rücken zuckten – ihr Mund das Steuer, ihre Brüste die Polster, meine Hände die Bremsen, die sie unerbittlich packten und doch die rasende Fahrt nicht aufhielten – und dann erreichten wir plötzlich den Rand des Weltalls: Pamela stöhnte und schrie erschrocken – als wir über die goldene weiche breite Kante stürzten – klammerte sich an mich, mit ihren Armen, ihren Lippen, ihren Händen, ihrer Scheide – und dann fielen wir, fielen —– fielen —— fielen —— mit der hilflosen, herrlichen Freude der nicht mehr Aufzuhaltenden in den leuchtenddunklen Strudel des Vergessens.

[ueber2|siebtes kapitel: nachher]

Woher kam nur der Schwanz, als gestern
wir uns doch liebten ganz als Schwestern?

Der Wecker schrillte – zumindest kam es mir so vor – mitten in meinem Schädel. Das war deswegen unangenehm, weil dieser Schädel an den Nahtstellen auseinanderzufallen drohte – und wenn der Wecker mitten in diesem empfindlichen Gebilde weiter solchen Lärm machte, würde es in vier oder mehr einzelnen Teilen auf das Kopfkissen fallen …

Über mich hinweg tastete ein schlanker weißer nackter Arm – ins Leere; denn dort, wo Pamelas Wecker in ihrer jungfräulichen Klause stand, befand er sich natürlich hier nicht. Aber das wurde mir erst erheblich später klar – zunächst erschien mir dieser dritte Arm, der da plötzlich vor mir herumtastete, als ausgesprochenes Wunder (ein Wunder, über das nachzudenken leider viel zu viel Anstrengung für meinen schmerzenden Schädel gewesen wäre). Aber üblicherweise gehörte ein Arm an eine Schulter, Die war auch da. Und über der Schulter ein süßes Gesichtchen – so mißbilligend-schmerzvoll verzerrt, wie es zu diesem unverschämten Wecker paßte

und das gehörte zu einer gewissen Pamela. So viel war mir schon klar.
Nur wieso diese Pamela – wenn ich mich recht entsann, eine Tochter von Silvia Orchidea und Alexander Mertens, bei deren Hochzeit ich Brautjungfer (oder Brautmutter?) gewesen war, und dann hatte mich ein dicker Wikinger auf einem Schneehahn entführt, weil ich Brunnhilde im Regenmantel war, und immer gefragt; „Frolleinchen, wohin denn so alleine?“ – also wie diese Pamela hier neben mich ins Bett kam, das war so schwierig zu erinnern. Viel schöner war die Erinnerung an eine tolle Fahrt durch den Weltraum mit ihr – auf einem zuckenden Wagen aus Frauenfleisch – wenn man sich in das vergraben könnte, dann würde auch der Schädel besser zusammenhalten …

Gottseidank – jetzt hörte das Geklingel auf. Aber da machte schon wieder jemand schrecklichen Lärm neben mir:
„Du – Sylvia – ?“ schrie da jemand – eigentlich schrie sie gar nicht, aber zu laut war es trotzdem! – „wie spät ist es denn?!“

Sylvia – das war ich. Soviel war mir ja auch klar – ich war ja gar nicht so schlecht. Früher war ich zwar nie eine Sylvia gewesen – aber das war ja jetzt gottseidank völlig anders. Ich hatte sogar ganz hübsche Mädchenbrüste, wie ich dankbar fühlte. Wenn man mich nur nicht immer Sachen fragen würde, die kein vernünftiger Mensch mit solchen Kopfschmerzen wissen konnte!

„Hmmmmm?!“ murmelte ich erst einmal mühsam.

„Hast Du – “ sie stöhnte leicht und ließ sich schlaff wieder auf die Kissen zurückfallen – „auch so einen Kopf?“

Ich überlegte logisch: Einen Kopf hatte ich – sogar sicher (wenn ich keinen gehabt hätte – was hätte mir dann so wehgetan?), Und offenbar hatte diese Pamela – die war übrigens ganz süß, erinnerte ich mich – auch einen Kopf. Ohne Kopf wäre sie ja auch gar nicht in der Lage gewesen, mich was zu fragen. („Mädchen ohne Kopf neben schlafenden Jüngling entdeckt … „) Aber hatte ich auch so einen Kopf wie sie? Wenn ich Sylvia war, dann ja – aber wenn ich der schlafende Jüngling war – ?

„Hmmmmm!“ erwiderte ich, mir alle Möglichkeiten offenhaltend.

„Und – “ fuhr Pamela – liegend offenbar etwas konversationsfähiger – verwundert fort, „hast Du auch so komisch geträumt?“

Komisch – das kam nun wieder ganz darauf an, was man als „komisch“ ansah. Ich war eigentlich ganz stolz darauf, Brünhilde im Regenmantel zu sein – aber der Wikinger mit seinem schwarzen Bart und der dicken Nase (Nasen waren ein Zeichen für die Entwicklung des männlichen Geschlechtsteils, oder wie war das gewesen ?) war schon ein bißchen komisch gewesen…

„Ich habe sogar geträumt – “ fuhr Pamela nachdenklich fort, „Du hättest mich – wie ein Mann – „

Sie stockte und richtete sich halb auf, plötzlich große forschende Rehaugen auf mich richtend. Ich fühlte plötzlich, daß ich hellwach wurde (leider ohne daß die Kopfschmerzen dadurch verschwanden – sie wurden mir im Gegenteil erst so richtig bewußt!): verdammt – eiskalt erinnerte ich mich plötzlich an alles!

Instinktiv tastete ich nach meinem Kopf.
Da war nichts. Kein Tuch, Keine Locken. Und das war doch – verdammt nicht in Ordnung – – – ?!

Die süßen braunen Augen wurden immer größer, ihr Blick immer befremdeter – ich spürte, wie sie sich unwillkürlich ein Stück zurückzog …

Ich widerstand einem Impuls, mir die Bettdecke über den Kopf zu ziehen und die ganze Welt – von diesen mißtrauischen Augen bis zu den Strahlen der Morgensonne, die wie bösartige Pinzetten unter meine Augenlider griffen – auszuschließen, bis ich endlich sicher sein konnte, daß mein Schädel nicht auseinanderfiel: irgendwie sagte mir schon die sachliche Überlegung, daß ich dieses Tuch um den Kopf doch nicht getragen hatte, um den Schädel zusammenzuhalten – sondern aus einem ganz anderen wichtigen Grund, der etwas mit dieser jetzt so argwöhnisch schauenden Pamela zu tun hatte …
Jedenfalls – ich setzte mich mit heroischer Anstrengung im Bett auf – war es (aus Gründen, die ich noch immer mehr im Gefühl hatte, als im klaren Verstand) sicher besser, wenn i c h jetzt noch mehr Abstand zwischen uns legte: als wenn sie ihrerseits davonlief, ich schwang die Beine über die Bettkante (es war doch erstaunlich, daß der Schädel bei alledem noch immer zusammenhielt), sammelte dort, einen Moment vornübergeneigt sitzenbleibend, neue Energie und erhob mich dann.

„Ich mache uns einen starken Tee – das hilft gegen diese – “ versuchte ich leichthin zu murmeln, ohne mich umzuwenden, “ – Kopfschmerzen!”

Vielleicht hätte ich sogar einen halbwegs würdevollen Abgang geschafft, wenn auf meiner Seite des Bettes eine Tür gewesen wäre. Wie immer in solchen Fällen, war da aber keine – ich mußte unter den großen Augen, die ich wie Brennstrahlen im Rücken fühlte, um das ganze riesenhafte Doppelbett herumgehen: begann mit zwei, drei gemessenen Schritten – wurde dann immer schneller – und verließ das Zimmer schließlich fluchtartig.

Am Treppengeländer mußte ich erst einmal innehalten – und dann stieg ich sehr vorsichtig, jede Stufe bis in alle Nähte meines zerspringenden Schädels spürend, ins Erdgeschoß hinunter. In dem Maße, wie ich mich von Pamela entfernte, begann mir die Situation immer klarer zu werden: aber was mir da klar wurde, ließ mich erst einmal wieder in die Kopfschmerzen zurückfliehen – die bei aller Unannehmlichkeit doch wenigstens eine wunderbare Entschuldigung waren, nicht zu denken.

In der Diele kam ich am Wandspiegel vorbei und warf einen vorsichtigen Blick hinein – w a s hatte Pamela jetzt eigentlich gesehen?!

Ich jedenfalls sah eine schlanke Gestalt – in einem rosaseidenen Damennachthemd – noch immer mit strammen, wohlgerundeten Mädchenbrüsten: aber mit einer allenfalls in den zwanziger Jahren erlaubten, verwuschelten kurzen Herrenfrisur – von Küssen einigermaßen verschmiertem make-up – einem Auge mit langen, schweren Wimpern – während das andere im Vergleich dazu viel kleiner und kurzwimpriger in das viel zu helle Morgenlicht blinzelte. Seltsamerweise sah ich immer noch ziemlich hübsch aus – feminin genug jedenfalls, um Pamelas Unsicherheit zu erklären.

Aber da meine ganze Locken-Konstruktion (und eine falsche Wimper!) irgendwo da oben im Bett liegen mußte, war das nur eine Verzögerung des Unvermeidlichen gewesen: ich erwartete jetzt jeden Augenblick, hysterische Schreie von oben zu hören –

Wieder flüchtete ich mich ersteinmal in die Kopfschmerzen zurück. Sie folgten gewissen Gesetzmässigkeiten: wenn ich zum Beispiel die Augen zumachte, wurden sie etwas schwächer – wenn ich mich vornüber beugte oder andere unerwartete Kopfbewegungen machte, wurden sie unerträglich. Vorsichtig tastete ich mich, starr erhobenen Hauptes, mit geschlossenen Augen in die Küche.
In verschiedenen Filmen und Romanen beginnen Frauen, die eben von einer seelischen Katastrophe erschüttert wurden, sich zu fassen, indem sie mechanisch irgendeine Hausarbeit beginnen. Ich weiß nicht, ob das eine typisch weibliche Reaktion ist, und ob ich versuchte, sie nachzuahmen – aber jedenfalls hatte ich gesagt, ich wolle einen starken schwarzen Tee kochen: und wenigstens da wollte ich Pamela die Wahrheit gesagt haben.

Während ich die Augen langsam wieder öffnete – wer zum Teufel hatte diese hellen Morgensonnen-Scheinwerfer eingeschaltet? – und einen Kessel mit Wasser füllte, begann ich ganz vorsichtig an einer Ecke des Problems, die nicht ganz so fürchterlich war: warum hatte ich eigentlich gestern abend den Wecker auf eine solch unchristliche Zeit – die Küchenuhr zeigte so etwas wie halb acht – gestellt ? Das war doch irgendwie wegen – ach ja, wegen Pamelas Büro gewesen: da hatte ich doch noch die Illusion gehabt, ich könne sie am Morgen, ohne daß sie etwas bemerkte, verabschieden …

Welcher Teufel hatte mich aber auch geritten, statt mich hinter verschlossener Tür zu verbarrikadieren, ausgerechnet mit einem Mädchen ins Bett zu kriechen? (Korrektur: meinte ich, es wäre irgendwo weniger kompliziert geworden, wenn ich mit einem Mann ins Bett gegangen wäre ?!). Jedenfalls – schweifte die Erinnerung plötzlich ab – ein ganz lieber Teufel: er hatte mir – uns? – doch diese herrliche Weltraum-Wagenfahrt verschafft; genauer gesagt, das wurde mir jetzt erst klar: die erste Frau, die ich in meinem Leben besessen hatte!

Einen Augenblick überlief mich – Kopfschmerzen, Probleme und Katastrophen beiseiteschiebend – wieder die Erinnerung an Küsse, weisse weiche Glieder, süße runde Früchte, eine zärtliche heiße Scheide, unseren Sturz in den wunderbaren Strudel jenseits des Weltalls …

Wenn das alles doch bloß ein bißchen weniger kompliziert passiert wäre – aber dann wäre es natürlich, mußte ich logisch weiter zugeben, überhaupt nicht passiert: denn vor einem Mann hätte sich überhaupt kein Mädchen schon am ersten Abend splitternackt ausgezogen, um gemeinsam ins Bett zu gehen – und nur ein Mädchen mit so komplizierten Gefühlen wie Pamela tat dann im Bett mit ihrer Freundin Sylvia die wunderbaren Dinge, die wir erlebt hatten …

An dieser Stelle – wenn doch bloß diese irren Kopfschmerzen nicht gewesen wären – gab es aber doch eine Inkonsequenz, wenn ich sie nur richtig finden könnte: da h a t t e sie sich doch gewünscht, daß „Sylvia“ ihr „was tun“ sollte: und das h a t t e sie doch, sogar mit einer gewissen Begeisterung, akzeptiert …
Ich hatte währenddessen unendliche Mengen schwarzer Teeblätter in eine Kanne geschaufelt – und jetzt schien das Wasser doch zu kochen. Man mußte also jetzt hinübergehen, den Kessel holen, und …

In diesem Augenblick ging die Tür der Küche auf. Blaß, die süße Stirn schmerzgerunzelt und die Augen einen Augenblick erholsam geschlossen, lehnte sich Pamela an den Türpfosten. Sie hatte Tante Irmas Morgenrock, der mir im Lauf der Nacht auch abhanden gekommen sein mußte, umgeworfen – und sah etwas aus wie eine Mischung aus Madame Butterfly, Ophelia und Lady Macbeth (wenn Tante Irma wüßte, wer ihren Kimono alles trägt – und in welchen Situationen! – mußte ich unwillkürlich denken).

Mir fiel nichts besseres ein, als nun tatsächlich meinen Teekessel zu holen und vorsichtig – in mehreren wohldosierten Güssen – das kochende Wasser auf die Teeblätter zu schütten. Dann ging ich mit erzwungener Harmlosigkeit zum Schrank und begann Teetassen und Zucker auf ein Tablett zu stellen.

Pamela hatte die Augen langsam wieder geöffnet. Sie sah mich wieder stumm, tragisch und forschend an – trat, als ich heldenhaft den Kopf nach ihr umwandte, zögernd einen Schritt auf mich zu – preßte dann wieder die Hand gegen die Stirn und schauderte zusammen.

„Erkälten werden wir uns auch alle noch! “ sagte sie dann mit Tränen in der Stimme, auf ihre nackten Füße weisend.

Ich ergriff das Tablett und begann würdevoll an ihr vorbei zur Küchentür zu schreiten – ihr mit einer Kopfbewegung (die ich lieber hätte sparen sollen – oder versuchte ich mich derart selbst zu strafen?) andeutend, mir zu folgen.

„Jetzt trinkst Du erst mal eine schöne Tasse heißen Tee – “ erklärte ich ihr mit dem sanften Nachdruck der kompetenten Sylvia.

Sie ließ sich mit einem kleinen Stöhnen in den Sessel am Dielentisch sinken.
„T e e – “ sagte sie, als umfasse diese Wort die ganze Tragödie des menschlichen. Daseins. „Gibt es denn hier keine einzige Kopfschmerztablette ?“

Ich spürte eine unfaßbare Erleichterung.

„Gleich – “ tröstete ich sie. „Trink jetzt erst mal – mit viel Zucker – “ Ich schaufelte ihr drei Löffel in die Tasse, rührte um und drückte ihr das dampfende Getränk in die Hand.

Irgendwo oben im Badezimmer gab es einen Medikamentenschrank. Die Treppe – aufwärts begangen – war zwar eine satanische Folter für meinen berstenden Schädel: aber ich hätte gern noch Schlimmeres auf mich genommen, solange Pamela bei solch ungefährlichen Themen verweilte …

Oben angekommen, kämpfte ich einen Augenblick lang mit der Versuchung, erst einmal nach meinem Kopftuch zu schauen. Aber dann schüttelte ich energisch den Kopf (ich mußte doch etwas masochistisch veranlagt sein! ) und wandte mich dem Badezimmer zu. Kaputt war sowieso alles …

Natürlich fand ich, wie in solchen Fällen meistens, keine Tabletten gegen Kopfschmerzen. Dafür aber eine Packung überstarker Migräne-Zäpfchen – besser als nichts, dachte ich, und wankte wieder nach unten.

Pamela hockte noch immer wie ein Häufchen Unglück in ihrem Sessel. Wenigstens ihren Tee hatte sie aber getrunken.

Nun hatte ich ja schon mehrfach Gelegenheit gehabt, zu bemerken, daß eine hilflose Pamela automatisch eine kompetente Sylvia auf den Plan rief. So war es auch hier wieder: Die Kopfschmerzen energisch in den Hintergrund drängend – genau wie alle anderen Probleme – übernahm Sylvia plötzlich wieder die Führung der Dinge.
“ … gegen spastische Schmerzzustände und Migräne!“ verlas sie den. Text der Packung wie eine Proklamation. „Das nimmst Du jetzt – sofort – und dann trinkst Du noch einen schönen heißen Tee. Inzwichen – “ (Sylvia war jetzt voll in Fahrt) „muß ich Dein Büro anrufen. Wie heißt diese abscheuliche Frigga mit Nachnamen?“

„Dreiunddreißig – einundzwanzig – zehn- “ sagte Pamela mechanisch ein Computer in einem Science-Fiction-Film. „Das ist die Nummer – “ ergänzte sie dann entschuldigend. „Sie heißt Fräulein Bachmann.“ Dann schloß sie beruhigt wieder die Augen: die große Sylvia würde schon alles machen …

Noch während ich dem Tuten des Telefons lauschte, hatte ich zwar nicht die geringste Ahnung, wie ich unsere vollkommen unprogrammäßig verlaufene Aktion von gestern abend eigentlich wieder einrenken sollte; aber als sich dann die Firma «Nord-Import« meldete, erkundigte ich mich – wenn auch mit füglich weich modulierter Stimme – nicht ohne geschäftsmäßige Schärfe:
„Gibt es in Ihrem Unternehmen eine gewisse – äh, Frigga Bachmann? Ja? Würden Sie bitte die Freundlichkeit haben, mich mit ihr zu verbinden?“

Wie üblich, dauerte es einige Sekunden, bis das Mädchen die Umschaltung vollbracht hatte – Sekunden, in denen jedoch Sylvias Computer, trotz aller Kopfschmerzen, blitzschnell einen neuen Plan konzipiert hatte:
„Fräulein – äh, Frigga Bachmaria?“ begann ich kühl. „Hier spricht Schwester Sylvia von der Inneren Mission!“

Pamela gab einen unklaren unterdrückten Laut von sich und riß die Augen wieder auf.

„Gestern abend – “ fuhr ich geschäftsmäßig fort, „wurde bei einer Ausweiskontrolle auf dem Volksfestplatz ein junges Mädchen ohne Ausweispapiere aufgegriffen, die angab, Pamela – Pamela – “ ich raschelte verzweifelt mit den Seiten des Telefonbuchs, als suche ich in irgendwelchen Akten, und versuchte Pamela durch gleichzeitige wilde Gesten klarzumachen, daß ich ja (wie mir viel zu spät einfiel) noch nicht einmal ihren Nachnamen wußte.
„Pamela Rehlein ?!“ half mir die kompetente Frigga aus der Verlegenheit, „Was um Himmelswillen ist mit ihr?“

„- Pamela Rehlein zu heißen,“ fuhr ich – nun wieder kühl überlegen – fort. „Sie erzählte eine – nun, sagen, wir, ziemlich unglaubwürdige Geschichte darüber, daß eine Kollegin namens Frigga Bachmann plötzlich mit ihrer Handtasche verschwunden sei – „

„Aber das stimmt !“ unterbrach mich Frigga beschwörend.

„Das stimmt?! “ Schwester Sylvia holte hörbar Atem, „Einen Moment:“ fuhr sie dann eisig fort. „Das heißt also, daß Sie – wenn ich richtig lese, als Chefsekretärin tätig? – mit den Ausweispapieren, dem gesamten Geld und den Schlüsseln einer jüngeren Kollegin einfach spurlos verschwinden und sie – „

„Ja!“ gab Frigga gequält zu, „Wir haben uns ja auch schon Vorwürfe gemacht – aber das war etwas mit dem Auto und der Polizei – „

„Sie hielten also einen Kraftwagen für wichtiger als einen jungen schutzlosen Menschen, der Ihnen sein gesamtes Eigenturn anvertraut hat? Nun ja – “ resignierte Schwester Sylvia, „solch eine Einstellung ist ja heute nicht mehr ungewöhnlich..“

Pamela hatte wieder verzweifelt die Stirn in. die Hand gestützt. Sie zitterte leicht – oder schluchzte sie? Ich konnte das nicht recht verfolgen, weil die bestürzte Frigga mich jetzt wieder telefonisch bedrängte:
„Ja, Sie haben ja völlig recht – aber was ist denn nun mit Fräulein Rehlein ?!“

“Fräulein Rehlein – “ erwiderte ich eisig, „wurde, da man sie mittellos, ohne Ausweispapiere und dem Augenschein nach unter Alkoholeinfluß. stehend aufgegriffen hatte – auch nicht festzustellen war, ob sie überhaupt nach dem Jugendschutzgesetz ohne Aufsicht Erwachsener – “ (Pamela machte eine wilde, schwer zu deutende Gebärde) “- zu dieser Stunde an öffentlichen Lustbarkeiten hätte teilnehmen dürfen – andererseits aber, nach dem alten Rechtsgrundsatz ‚in dubio pro reo‘ – “ Schwester Sylvia unterbrach sich und erklärte dann nachsichtig, „das sagt zu deutsch: ‚Im Zweifelsfalle zugunsten des Beschuldigten‘ – in unsere Obhut übergeben und zunächst zur Ausnüchterung – „

„Um Himmelswillen – !“ murmelte Frigga zerschmettert. „Die arme Pamela!“
„Als solche – “ sagte ich tugendlich, „beginnt sie mir allerdings jetzt auch zu erscheinen. Es obliegt uns zwar nicht, moralische Urteile zu fällen – “ ( jetzt war ich nicht mehr im Zweifel darüber, warum Pamela zuckte. Keineswegs jedenfalls vor Schluchzen) „aber ich kann doch nicht verhehlen, daß Sie durch Ihre – nun, zumindest leichtfertige Handlungsweise – „

„Ja doch – das gebe ich ja alles zu – aber wo haben Sie denn jetzt Pamela – Fräulein Rehbein, meine ich ?!“

„Zur Ausnüchterung, sagte ich – es wäre freundlich, wenn Sie mich nicht so o f t unterbrechen würden, Fräulein – h, Bachmann! – in die Obhut einer unserer Jugendpflegerinnen übergeben, die sie – da unsere Heime überbelegt waren – zunächst in ihrer eigenen Wohnung untergebracht – „

„Gottseidank!“ Frigg atmete auf. „Ich dachte schon, sie hätte in einer Zelle – „

„Wir – “ sagte ich nicht ohne Selbstgerechtigkeit, „nehmen die uns auferlegte Verantwortung ernster.“ Kleine Pause, zwecks besserer Einwirkung. „Deshalb habe ich es auch übernommen, die weitere Überprüfung dieser – recht eigentümlichen Vorgänge, in die auch ein volltrunkener Ausländer verwickelt gewesen sein muß – in die Wege zu leiten. Es – „

„Es ist, verehrte Schwester Sylvia – “ irgendwann mußte ja der Frigg auch einmal die Galle platzen, „jetzt doch alles geklärt. Sicher haben doch Sie wie wir jetzt nur das eine Interesse, das unschuldige Opfer dieser Verwicklungen so schnell wie möglich – „

„Sie erlauben, daß ich Ihnen widerspreche – “ Schwester Sylvia sprach mit einiger Autorität. „Wenn die Dinge so liegen – dann braucht das arme Kind jetzt vor allem einmal Ruhe, um sich von der ganzen Aufregung zu erholen. Ich werde zwar sofort alle zuständigen Stellen unterrichten, wie sich die Dinge aufgeklärt haben – aber Sie gestatten, daß ich Fräulein Rehlein im Moment bei uns in besseren Händen glaube als bei Ihnen!“ Etwas versöhnlicher setzte ich hinzu: „Später wird sie sich dann gewiß selbst mit Ihnen in Verbindung setzen – oder wird sie in Ihrem – Büro – „(Schwester Sylvia betonte das so , als meine sie etwas ganz anderes) „derzeit so dringend gebraucht ?!“

Frigg benutzte – wie gewünscht – die goldene Brücke zum Rückzug. „Aber nein – sie hatte ja gestern sowieso Überstunden gemacht – das war ja die ganze Ursache – „
„Sie verzeihen, wenn ich mich dem weiteren Studium dieser – Ursachen nicht mehr widmen kann,“ schloß ich zuckersüß. „Sie werden verstehen, daß unsere Institution noch viele andere Fälle zu bearbeiten hat, die – vielleicht – weniger harmlos sind als dieser -„

„Aber – Sie haben doch Mühe und Auslagen – “ fiel Frigg nun zum guten Schluß noch ein.

„Dies – “ sagte ich milde, „ist unsere Lebensaufgabe. Wenn Sie es für nötig halten, steht es Ihnen frei, eine Spende an eine der Organisationen – “ Ich hängte ein.
Pamela prustete jetzt endlich offen heraus.

„In besseren Händen – “ ahmte sie zuckersüß nach, als sie sich etwas beruhigt hatte. „Du – du – du Jugendpflegerin! Ausnüchterung! Jugendschutzgesetz! Man sollte Dich doch – „

„Man sollte – “ unterbrach ich sie, noch immer mütterlich-milde, „jetzt brav sein Zäpfchen gegen den Brummschädel nehmen und sich dann wieder schön ins Bettchen packen – nachdem Du das blöde Büro erstmal vom Halse hast !“
Pamela preßte wieder die Hand gegen die Stirn.

„Das Schlimmste ist – “ sagte sie schmerzvoll, „daß Du sogar recht hast.“ Sie erhob sich etwas unsicher, die Schachtel mit den Zäpfchen gegen die Brust gepreßt. „Aber – ” fuhr sie mit blitzenden Augen fort,“ wenn Du meinst, daß ich mir hier vor Dir ein Zäpfchen in den – in den – “ sie schüttelte wild den Kopf (wie ihre Miene zeigte, bekam ihr das genau so prompt schlecht wie mir) und wandte sich wütend zur Treppe.

Um dann stöhnend gegen das Geländer zu sinken; „Raufhelfen könntest Du mir wenigstens!“ murmelte sie vorwurfsvoll.

Zwar hatte auch ich während des Telefonats meine letzten Reserven an. Energie verbraucht – und schwamm jetzt durch ein abscheuliches Meer schmerzender, dröhnender Wellen, von denen nur nicht klar war, ob sie von außen an meinen Schädel brandeten – oder von innren: aber gerade deshalb konnte ich Pamelas Bitte zutiefst verstehen.

Es wäre denn – für einen objektiven Beobachter – auch schwer festzustellen gewesen, wer eigentlich wen die Treppe hinaufführte, als wir da unsere zerspringenden Schädel mit äußerster Vorsicht wieder ins Obergeschoß transportierten und zum Schlafzimmer wankten: Himbeergeist und Sekt – oder Cocktails und Sekt?

„Hier – “ streckte mir Pamela mit der Geste einer verzeihenden Königin die Schachtel hin, „Du brauchst so ein Ding genau so nötig wie ich!“

Da hatte sie unheimlich recht. Ich schaffte auch noch die paar Schritte bis ins Badezimmer – dann mußte ich mich erst einmal aufs Klo sinken lassen, ehe ich mit einiger Mühe das Zäpfchen aus seinem Cellophan geschält und an die richtige Stelle verbracht hatte (und sowas finden jetzt die Schwülen schön? dachte ich etwas unlogisch). Dann aber packte mich das – wie ich mir ganz glaubhaft einredete – Pflichtgefühl. Die Popobacken angestrengt zusammenpressend, ging ich mit kleinen Schrittchen. wieder zur Tür ins Schlafzimmer.

„Willst Du – “ fragte ich fürsorglich, „vielleicht noch eine Tasse heißen Tee?“

Pamela öffnete schläfrig die Augen.
„Tee – “ sagte sie verachtungsvoll. Und dann umspielte ein zartes Lächeln ihre Lippen: „Nun komm schon wieder ins Bett – “ sagte sie leise, „Schwester Sylvia!“

Das nächste Erwachen war sehr viel angenehmer als das erste – schon weil es von allein kam, nicht durch einen schrillenden Wecker. Und in dem tiefen Schlaf, in den uns das Medikament nocheinmal hatte fallen .lassen, waren die Kopfschmerzen auch spurlos verschwunden – nur daß noch, als Nachwirkung, eine Art olympische Abgeklärtheit zurückgeblieben war, die mich alles aus geruhsamer Distanz sehen ließ…

Außer Pamela, die sich wieder einmal vertrauensvoll dicht an mich gekuschelt hatte. Sie mußte schon ein wenig vor mir aufgewacht sein, denn eigentlich wurde ich davon wach, daß sie meinen Arm am Handgelenk hochhob – so hoch, daß er genau neben ihrem eigenen erhobenen Arm gestreckt hing – und vorwurfsvoll sagte:
„Es ist einfach unverschämt, daß Du weißere Arme hast als ich!“

Ich zog meinen. Arm, ohne daß sie ihn losließ, langsam und immer noch ausgestreckt beiseite – so daß der ihre, mit bis zur Schulter hochgerutschtem Kimonoärmel, dicht vor meinen Lippen lag.

„Das ist – zugegebenermaßen – unverzeihlich – „stimmte ich wohlig zu und küßte die nackte glatte Haut ihres Oberarms zärtlich, „aber D e i n e Arme kenne ich ja auch «erst seit gestern!”

Wenn dies auch nicht ganz logisch war, so gefiel es Pamela offenbar doch: denn sie schlang den diskutierten Arm kühl und seidig um meinen Nacken.

„Trotzdem hast Du überhaupt nicht so hübsch zu sein wie ein Mädchen!” verwies sie mich sanft, flocht aber zugleich – um anzudeuten, daß sie mir nicht a l l z u böse sei, ihr linkes Bein zierlich um meines. Dies veranlaßte mich wiederum, die ganze süße Pamela überhaupt mit dem freigewordenen Arm auf mich heraufzuziehen – wo sie zufrieden, warm und wohlig weich unter der glatten Kimonoseide liegenblieb.

„Wieso?” fragte ich dann gelassen.

Sie hob den Kopf und sah mich wieder mal aus ihren süßen großen braunen Augen befremdet an.
“Was: wieso – ?”
“Wieso – “ erläuterte ich ihr gemächlich, „habe ich nicht hübsch zu sein?”

Sie guckte entgeistert und suchte einen Moment lang nach Worten.
“Weil Du ein ganz hinterhältiges, gemeines Biest bist – “ sagte sie dann mit blitzenden Augen, „daß ich Dich erst für ein Mädchen halte – und dann – und dann -“

„Und dann – was?” erkundigte ich mich – wieder mit jenem wohlig distanzierten Interesse, das ich von meinem Zäpfchen noch zurückbehalten hatte, und streichelte genußvoll den glatten, weichen und doch festen Rücken unter der Seide ihres Morgenrocks.

Pamela runzelte die Stirn:
„Ich könnte Dir zum Beispiel jetzt die Nase abbeißen – “ theoretisierte sie ernsthaft, „Dann wärst Du für Dein Leben entstellt!“ Sie leckte sich mit der kleinen spitzen Zunge genußvoll die Lippen.

„Und hättest Du mich lieber so ?” fragte ich großzügig, „Dann beiß!”

(… und damit endet dieses Kapitel-Bruchstück leider …)

Susi

Vorausgehende Informationen von Hekate in einer Mail an Jula:
Liebe Jula,
das hätte ich nun auch nicht gedacht, daß ich mich auf einmal als “Herausgeberin des literarischen Nachlaßes” betätigen müßte (zumal Hellmut bis auf einen jahreszeitgemäßen Schnupfen noch total quicklebendig ist!) – aber nachdem ich Dir im letzten Brief so leichtfertig angekündigt hatte, ich würde versuchen, ihn dazu zu bringen, mal dies “Fragment”, in dem er – für mein Gefühl – sowas wie mein letztes Bild vorweggenommen hatte, einzuscannen (ich hoffe, Du hattest bemerkt, daß ich die Erklärung, was ein Fragment ist – “eine Geschichte ohne Kopf und Schwanz, der das Mittelstück fehlt” – nach dem Vorbild des von Euch zu Recht so verehrten Herrn Lichtenberg – “ein kleines Messer ohne Klinge, an welchem der Stiel fehlt” – gebildet hatte: das bin ich nämlich auch! (Ich meine natürlich nicht ein Messer ohne Klinge – sondern gebildet!)) – also jedenfalls, nachdem er das eingescannt hatte, erklärte er mir dann nochmal den fehlenden Kopf und Schwanz, meinte dann aber, die könnte ja nun ich Dir beschreiben, damit ich auch mal was täte (dabei war ich doch gerade so fleißig als Hausfräulein tätig! Aber das nehmen die Männer ja nie so richtig für voll (wenn das so weitergeht, emanzipiere ich mich demnächst!)).

Aber nun habe ich das eben am Hals – und weil Du möglicherweise aus den Trümmern sonst nicht schlau wirst, hier also die (unmittelbare) Vorgeschichte der Handlung: Der Erzähler hat gerade sein Abitur hinter sich, da muß er plötzlich in einem fremden Dorf auf die Villa einer verreisten Tante aufpassen, weil deren Dienstmädchen, daß das eigentlich tun sollte, mit einem unzeitgerecht gebrochenen Bein im Krankenhaus liegt. Aber wenn Dich dies Szenario verdächtig an den Auftakt des “10-Tage-Mädchens” erinnern sollte, so ist das durchaus irreführend: denn dieser Jüngling wäre diesmal schon rein physisch kaum in der Lage, sich als Maid zu verkleiden – er ist vielmehr, wenn ich Hellmut richtig verstanden habe, eher eine Kreuzung aus einem antiken Gott und Lord Byron mit Spuren von Sir Sean Connery (hach, identifiziert sich Hellmut auch manchmal mit solch einem Mädchentraum? Oder brauchte er diesmal bloß gerade so einen Erzähler?). Nun, kurz und gut, er hat gerade angefangen, sich in der einsamen Villa etwas einzurichten, als das Telefon klingelt, um alle Bewohner solcher Villen zu unterrichten, daß etliche Insassen eines benachbarten Jugendstraflagers ausgebrochen seien – die meisten habe man zwar schon wieder eingefangen, aber zumindest einer müsse sich noch in der Gegend herumtreiben: wachsam sein, nichts offenlassen und so weiter! Also macht er sich gleich auf einen Rundgang durchs Haus, verrammelt vorsichtshalber alles – aber da: ein verdächtiges Geräusch aus dem Keller?! Er geht ihm nach – aber was er findet, ist schwerlich ein gefährlicher Ausbrecher: sondern ein schmächtiges Häufchen Unglück mit einem – wie Hellmut definierte – “irgendwie verknulpst aussehenden Gesicht” (als ich mir darunter nichts rechtes vorstellen konnte, verwies er mich auf die “Zivilaufnahme” des jungen Hans Crystal – was ich hiermit auch tue: Crystal_Boy.jpg (Anm. Jula: leider verloren gegangen)) , den er bloß kräftig am Arm packen muß, um ihn nach oben zu holen und zu “verhören”:

Und ingrimmig packt der Kleine aus: erst hätten sie ihn überredet, mit abzuhauen – aber dann beim ersten Problem einfach sitzen lassen – und jetzt hoffe er, beim Teufel, nur, daß diese feinen “Kameraden” recht bald wieder gekrallt würden! Aber er jedenfalls wolle nie wieder zu denen ins Lager zurück – was sein Entdecker nachfühlen kann – bloß wisse er genauso wenig, was er statt dessen machen solle! Edel, wie Hellmuts diesmaliger Held nun mal ist, versucht er mit dem Flüchtling dessen ziemlich aussichtslose Lage Punkt für Punkt durchzusprechen – bis dieser so viel Vertrauen zu ihm gefaßt hat, daß er ganz naiv fragt, ob denn etwa vielleicht irgendwelche Mädchenkleider im Haus seien?

Worauf beim edlen Helden (wieder leichter Anklang, diesmal an Antons Abenteuer – aber wieder auch bemerkenswert anders) eine Klappe fällt …!
Und um die im einzelnen zu erklären, muß ich jetzt hier erst mal ein Fragment aus einem anderen Entwurf hereinsetzen – der zwar laut Hellmut gar nicht zu dieser Geschichte gehört hat, aber nachher auch in der plötzlich wieder auftaucht (das ist fürchterlich verwirrend, was da alles so in Hirn und Ordnern eines “Autors” durcheinander herumliegt!) – also:

(… etwas “Background” (?) …)

Das Große Geheimnis – es war für mich immer “Das Große Geheimnis”, zum Unterschied von einfachen großen Geheimnissen! – lernte ich schon kennen, bevor ich noch zur Schule ging; ich glaube so mit fünf Jahren.

Eigentlich war es ja der Zauberkünstler gewesen, auf den ich am meisten gespannt war – aber wie so oft, geschah das, worauf es ankam, in einer ganz anderen Nummer des Programms: da war ein hübsches rothaariges Dienstmädchen in Schürze und blaukariertem Kleid, das Wäsche auf eine Leine hängte – nur daß die Leine natürlich in Wirklichkeit ein Drahtseil war, über das es nachher hin und herlief, als ein Vagabund mit roter Nase und geflickten Hosen kam, der es immer aus irgendeinem Grund anfassen wollte (später kletterten die beiden sogar über die ganzen Kulissen herum, und alles fiel um) – das war ganz ulkig, aber eigentlich gar nicht das, was wichtig war, sondern: als dann am Schluß alles klatschte und die beiden sich verbeugten, da nahm das Mädchen auf einmal seine roten Locken ab – und war ein junger Mann mit glatten schwarzen Haaren!

Da lachten und klatschten die Leute noch viel mehr – aber ich war damals mit meinen fünf Jahren richtig durcheinander: gab es denn sowas? Entweder war jemand doch ein Mädchen – oder er war ein Mann: wenn man sich darauf nicht verlassen konnte – worauf dann überhaupt noch in der Welt?!

Das war mir so unheimlich, daß ich mich noch nicht einmal traute, auf dem Heimweg oder zuhause darüber zu reden: aber ich erinnere mich noch, daß ich in den nächsten Tagen jedes weibliche Wesen, das ich nicht ganz genau kannte, mit abgrundtiefem Mißtrauen musterte: wer garantierte, daß das nicht in Wirklichkeit auch ein Mann mit falschen Locken war, der sich bloß ein Kleid angezogen hatte?
Immerhin kannte ich jetzt Das Große Geheimnis: Männer konnten einfach so tun, als wenn sie Frauen wären – und wenn sie nicht plötzlich die Perücke abnahmen, merkte das überhaupt niemand!

Der Gedanke hatte etwas Erschreckendes – aber, genau wie eine Gespenstergeschichte, zugleich auch Aufregendes, Reizvolles: und genau wie ich mich bei einer solchen Geschichte zwar auch unheimlich fühlte – aber niemals aufhören konnte, zuzuhören und zu erfahren, ob sich nicht noch etwas Gruseligeres begeben würde – so ließ mich diese Idee auch nicht mehr los.

Es war eigentümlich erregend, sich so etwas in allen Einzelheiten auszumalen – anziehend und abstoßend zugleich: wie da eine junge Dame, natürlich eine besonders hübsche und elegante in einem ganz schönen und teuren Abendkleid, auf einem Fest einen Preis bekommen sollte, weil sie die Allerschönste war – und sich dann auf einmal mit der Hand über die Locken fuhr und als Mann dastand! Ich konnte mir richtig vorstellen, wie erschrocken und traurig der Mann mit dem Preis in der Hand dabeistehen würde – und die Mädchen würden wütend sein, daß jemand, der gar kein Mädchen war, viel schöner ausgesehen hatte als sie – die anderen aber würden sagen „wie schade – er wäre doch so eine süße junge Dame gewesen: warum ist er nur keine geblieben!“ – und das wußte ich nun allerdings auch nicht: wenn er schon so schön und mädchenhaft aussah, daß man ihm sogar ein Preis geben wollte – dann hätte er ja seine Perücke auch aufbehalten und nichts verraten können? Aber das verstand ich eben noch nicht – genau so wenig, wie ich mir erklären konnte, warum er überhaupt erst mal angefangen hatte, sich als Mädchen auszugeben – ich wußte nur, daß Erwachsene eine Menge von Dingen taten, die ich mir nicht erklären konnte: und dies hier war wenigstens etwas wirklich Aufregendes, bei dem einem ein halb ängstlicher, halb wohliger Schauer über den ganzen Rücken bis zwischen die Beine hinunterlief!

Als ich später lesen gelernt hatte, fand ich in der Zeitung – die hatte am Wochenende immer so eine halbe Seite „Geschichten aus der Wirklichkeit“ mit allen möglichen kuriosen Begebenheiten – ab und zu etwas über Mädchen oder Damen, die sich unerwartet „als Männer entpuppt“ hatten: nur zu meinem Leidwesen immer recht knapp und ohne jede nähere Beschreibung, wie denn nun das „Entpuppen“ eigentlich vor sich gegangen war, oder welche Hintergründe die ganze Verkleidung nun genau genommen gehabt hatte – es war ja gut und schön, wenn jemand ein „Hochstapler“ oder „Schwindler“ war: aber das konnte man ja doch, wie andere „Geschichten aus der Wirklichkeit“ bewiesen, genausogut in Männerkleidern sein?! Irgendwas mußte da noch dahinterstecken – mir fiel in diesen Jahren immer mehr auf, daß es eine ganze Reihe von kleineren „Geheimnissen“ zu geben schien, um die die Erwachsenen immer geschickt herumredeten – aber bei uns zuhause wurde über so etwas schon überhaupt nicht gesprochen: und selbst wenn es anders gewesen wäre – ich wußte ja selbst nicht so recht, was ich eigentlich hätte fragen sollen!

Ich wußte es sogar auch nicht, als ich einmal Gelegenheit hatte, über das ganze Thema mit jemand zu sprechen: das war ein – in bin nie so recht daraus schlau geworden – Untermieter oder Vetter oder Freund unserer verwitweten Tante aus der Nachbarstadt, der einerseits angeblich Lehrer, andererseits aber ohne Anstellung war und trotzdem ein eigenes Auto hatte, mit dem er eine Zeitlang herübergefahren kam, um mir vor der Aufnahmeprüfung für die Oberschule Nachhilfestunden zu geben. Ich verstand mich – was bei einem Lehrer eigentlich sehr seltsam war – recht gut mit ihm, und als wir einmal nachmittags zusammen ins Museum gingen (ich weiß nicht mehr, was wir eigentlich wirklich ansehen wollten oder sollten), kamen wir auch in die „ostasiatische Abteilung“ – und dort durch irgendwelche Puppen und Kimonos auch darauf, daß im japanischen und chinesischen Theater alle Frauenrollen von Männer dargestellt wurden.

Das war nun auch wieder ebenso neu wie aufredend für mich, zumal es irgendwie – wenn auch entfernt – an das falsche „Dienstmädchen“ im Varieté damals erinnerte. Diese Schauspieler, erklärte er mir, müßten viele Jahre üben und lernen, um sich in jeder Bewegung genau wie eine Frau zu verhalten – und die berühmtesten von ihnen seien graziöser als die wirklichen Japanerinnen und Chinesinnen; übrigens hätten auch zu Shakespeares Zeit in Europa noch Jungen und junge Männer die Mädchen auf der Bühne spielen müssen, weil damals Frauen das Auftreten auf dem Theater überhaupt verboten war. Sogar viele Jahre später hätte es immer noch Schauspieler gegeben, die ebenso gut Frauenrollen wie Männerrollen spielen konnten. Ich hörte ihm mit hochroten Ohren zu und fragte dann ein bißchen ungeschickt – ich konnte das eigentliche Problem noch gar nicht so richtig formulieren – warum sie das denn eigentlich getan hätten, wenn es doch soviel Mühe und Übung verlangte?

Er sah mich ein wenig eigenartig an und meinte dann leichthin „vielleicht wären sie in Wirklichkeit lieber als Mädchen auf die Welt gekommen?“ Das rückte mir nun Das Große Geheimnis wieder in ein. ganz neues Licht: daß jemand etwas anderes sein wollen könnte (schon die Worte dafür gingen merkwürdig durcheinander) als er eigentlich war – lieber ein Mädchen als ein Junge – war schon kompliziert genug; aber daß er es dann auch noch wirklich versuchte – obgleich er doch wissen mußte, daß an so etwas nichts mehr zu ändern war! – und vielleicht sogar so raffiniert, daß man ihn wirklich sein Leben lang für eine Frau hielt: das brachte nun wirklich all meine vertrauten Vorstellungen endgültig durcheinander:

„Aber – das geht doch nicht!“ protestierte ich schließlich. „Ich meine: gibt es das denn wirklich?“

Wieder lächelte er eigenartig “Ach Gott, Junge, was gibt es auf der Welt nicht alles!“ Er schüttelte leicht den Kopf. „Mal angenommen, Du kämst jetzt plötzlich darauf, daß es schöner wäre, ein Mädchen zu sein als ein Junge -“

„Nöö* – also das kann ich mir nicht schön vorstellen!“ fiel ich ihm ins Wort, Tatsächlich: so fremdartig mich die ganze Idee dieser als Mädchen oder Frauen verkleideten Männer anzog – auf mich selbst hatte ich sie noch nie bezogen; ich war, fand ich, sehr zufrieden, ein Junge zu sein – und zu bleiben.

„Na ja – D u natürlich nicht!“ korrigierte er sich rasch „Aber es könnte ja doch irgendwo Jungen geben, die vielleicht nicht so recht glücklich sind damit, wie sie leben müssen … “ Er schüttelte wieder den Kopf. „Aber sind wir froh, daß Du damit keine Sorgen hast!“

Und damit schien für ihn das Thema abgeschlossen – er jedenfalls kam nie wieder darauf zurück, und ich traute mich nie mehr, meinerseits davon anzufangen. Später gab es übrigens mit diesem Untermieter irgendeine Sache, die zwar alle auch in unserer Familie ziemlich aufzuregen schien — aber immer, wenn ich zufällig dazu kam, wechselten alle schnell das Thema, und ich bekam nie heraus, was mit ihm eigentlich geschehen war; fest stand nur, daß er nicht mehr bei meiner Tante wohnte und mir auch nie wieder Nachhilfestunden geben würde.
Besonders viele Gedanken machte ich mir darüber damals nicht – denn, neben all dem Neuen, was mir die Oberschule brachte, hatte ich einen Verdacht gefaßt, der alles überstieg, was mir bisher ja begegnet war:

Die Leihbücherei, in der unsere ganze Familie sich ihre Schmöker auslieh – nicht zuletzt ich, seit ich die Kriminalromane entdeckt hatte – bekam eine neue Pächterin; und diese Pächterin – so zumindest glaubte ich entdeckt zu haben – war kein Mädchen, sondern ein verkleideter Mann.

Es fällt mir heute selbst schwer, noch zu verstehen, wie ich darauf verfallen war: denn es handelte sich keineswegs etwa um eine grobknochige, häßliche oder maskuline Alte – sondern im Gegenteil um eine ausgesprochen hübsche junge Dame. Aber gerade das bestärkte meinen Verdacht: es war ja bekannt – zumindest jedem, der Das Große Geheimnis so gut kannte wie ich – daß verkleidete Männer immer wie besonders hübsche Mädchen aussahen!

In der Tat war nun Fräulein Joschek (auch so ein etwas verdächtiger Name) für ein Mädchen recht hochgewachsen und hatte auch nicht gerade kleine Füße. Aber noch schlimmer: sie trug Stiefel. Wenigstens hatte ich sie im Winter, als draußen rechter Schneematsch war, dabei ertappt. Das mag nun heute, wo jede Dame mehrere Paar Stiefel im Schrank hat, ziemlich selbstverständlich erscheinen: aber für mich war es das damals keineswegs. Frauen trugen in einem solchen Fall, wie ich sehr wohl von Mutter und Schwestern wußte, allenfalls Überschuhe oder spezielle Gummiregenstiefel – aber nicht, wie Fräulein Joschek, richtige Lederstiefel mit niedrigem Absatz.

Sie hatte sogar gegenüber ein Kundin, wie ich mitanhörte, lachend zugegeben, daß es richtige Männerstiefel seien – von ihrem Bruder, der sie in seinem Schrank zurückgelassen habe, sagte sie. Aber ich wußte die Wahrheit: sie selbst war dieser „Bruder“ – und hatte nur vorgetäuscht, die Stadt zu verlassen, um dann in Mädchenkleidern hier diese Leihbücherei zu übernehmen, wo niemand sie (ihn!) kannte!

Nachdem ich erst einmal stutzig geworden war, fand ich täglich neue Bestätigungen für meinen Verdacht:

Ob es nun die – für den Eingeweihten typisch männliche! – Angewohnheit war, sich rasch einmal ins Hinterstübchen zu verdrücken, um eine Zigarette zu rauchen, wenn der Laden leer war: oder ihre für eine Frau völlig unverständliche Belesenheit in Kriminalromanen (Mädchen lasen, wie ich von meinen Schwestern sehr wohl wußte, nur Liebesgeschichten mit Herzen und Mädchenköpfen auf dem Umschlag).

Und als sie eines Tages, nachdem sie mir den neuesten Krimi (extra für mich zurückgelegt) mit einem wunderbaren Skelett auf dem Titelbild gegeben hatte, in ihrer burschkosen Art augenzwinkernd etwas wie „wir wissen ja Bescheid“ oder eine ähnlich verschwörerische Bemerkung machte, stand es für mich fest, daß Fräulein Joschek ein verkleideter junger Mann sein mußte.

Nicht, daß ich darüber entsetzt gewesen wäre: sie – oder vielmehr er – hatte meine volle Sympathie bei diesem wagemutigen Spiel. Mochte es nun sein, daß er sich vor Verfolgern oder Gläubigern verbergen mußte – oder daß er zu jener seltsamen Sorte von Männern gehörte, die „in Wirklichkeit lieber als Mädchen auf die Welt gekommen wären“ – bei mir war sein Geheimnis in guten Händen. Wenn die übrige Welt zu unerfahren oder schwachsichtig war, die Indizien zu erkennen – von mir würde sie nie etwas erfahren.

Im Gegenteil genoß ich, in meinem geheimen Wissen, das ganze Fräulein Joschek wie eine eigens für mich veranstaltete Privatvorstellung: jedesmal, wenn ich in die Leihbibliothek kam, begutachtete ich mit fachmännischem Blick ihre dunklen Locken (saßen sie auch noch richtig ?) – kontrollierte den Sitz ihres „Gummibusens“ (ein Wort, das ich in einem Kriminalroman kennengelernt hatte) — und bewunderte das Geschick, mit dem sie (er) sich in immer neuen ausgesprochen mädchenhaften Kleidern bewegte, in ganz hochhackigen Schuhen oder so (wie ich aus irgendeinem Grunde fand) typisch weiblichen Sachen wie einem Gummiregencape mit Kapuze.

Ich war von alledem so fasziniert, daß ich unter irgendwelchen Vorwänden – sei es nun, ihr eine Packung Zigaretten zu holen, oder zurückgekommene Bücher in die Regale einzusortieren — bei jeder erdenklichen Gelegenheit in der Leihbücherei steckte (was mir überdies noch außerordentlich günstige Sonderkonditionen und Vorzugsrechte bei Neueingängen einbrachte); „mein kleiner Kavalier“ nannte mich Fräulein Joschek lachend gegenüber ihren Kundinnen – höchst raffiniert seine Mädchenrolle spielend, konstatierte ich anerkennend — und wahrscheinlich waren sogar meine Angehörigen überzeugt, daß ich hier meine erste stille Liebe gefunden hätte!

Wenn sie geahnt hätten – ?! Aber so war ich im Grunde recht zufrieden, daß sich alle ein durchaus harmlose Erklärung für mein Interesse an Fräulein Joschek zurechtmachten — zugleich sogar auch eine Erklärung dafür, warum ich gegenüber anderen weiblichen Wesen (schon gar gleichaltrigen!) hölzern, verlegen und abweisend war. Denn welches Interesse konnte man schon für solche Gänschen haben, wenn man täglich das Schauspiel einer geheimen, nur von mir durchschauten Damenimitation genoß!

Inzwischen hatte ich heimlich begonnen, Zeitungausschnitte und Illustriertenbilder, die mein Lieblingsthema betrafen, zu sammeln und in ein großes, sorgsam gehütetes Heft einzukleben: Meldungen über entlarvte falsche Damen, Karnevalsmaskeraden, Männer oder Jungen, die bei Theateraufführungen weibliche Rollen spielten, einmal sogar über einen „Damenimitator“, der in einer Revue „als Frau‘, auftrat. Ich blätterte abends vor dem Einschlafen gern immer wieder einmal in diesem Geheimarchiv und dachte dabei an das schöne falsche Fräulein Joschek: bis ich eines Nachts plötzlich aus einem Traum aufwachte, in dem ich gerade eine Zeitung mit der dicken Schlagzeile „Das schönste Mädchen der Stadt entpuppt sich als Mann!“ lesen wollte – und erschrocken feststellte, daß meine Pyjamahose schlüpfrig feuchtnaß war. Zuerst erst schämte ich mich furchtbar, weil ich dachte, ich sei vielleicht ein „Bettnässer* (das Wort kannte ich aus kleinen fettgedruckten Anzeigen in unserer Familienzeitschrift) – aber dann merkte ich doch, daß dies Zeug an meiner Hose da etwas anderes sein mußte: und die ganze Sache wurde mir noch unheimlicher.

Wenig später hielt mir mein Vater einen längeren ernsten Vertrag über viele Dinge, deren Zusammenhang ich nicht ganz verstand (was hatten die Blumen und Bienen mit schmierigen alten Männern zu tun, vor denen man sich in Acht nehmen mußte ?) – der mich aber jedenfalls mit dem Gefühl zurückließ, es gebe außer Lügen und Schuleschwänzen noch eine ganze Menge anderer Dinge, mit denen man sich als „anständiger Junge“ nicht befassen dürfe; von Männern in Frauenkleidern erwähnte er allerdings ebensowenig etwas wie von meinen Visiten bei Fräulein Joscheks Leihbücherei – obwohl die mit meinem „Samenabgang“ (so, wußte ich jetzt, hieß sowas) oder zumindest mit dem vorhergehenden Traum auch etwas zu tun gehabt hatte …

Und auch die Schulkameraden, die versuchten, mir offenbar das gleiche Thema auseinanderzusetzen, – nur mit völlig anderen Worten und völlig anderem Schwerpunkt – schienen mir ausschließlich mit Mädchen und der Frage beschäftigt, wo die kleinen Kinder herkommen (was ich nun schon seit längerem aus unserem Konversationslexikon wußte, das dieses Thema mit vielen Bildern gründlichst abhandelte – während es sich über so interessante Dinge wie „Damenimitatoren“ völlig ausschwieg).

Schließlich zog ich aus alledem den Schluß, daß es wohl das Vernünftigste sei, um Mädchen und Frauen, aber auch um alte Männer mit eigentümlichen Vorschlägen einen möglichst weiten Bogen zu machen: und auf möglichst harten Matratzen zu schlafen.

Bald darauf zogen wir in eine andere Stadt – und ich mußte schweren Herzens das Große Geheimnis Fräulein Joschek, im Grunde doch ungelöst, hinter mir zurücklassen; ich hatte zwar ernstlich überlegt, ihr anonym einen Brief mit der Versicherung zu schreiben, daß ihr (sein) Geheimnis bei mir in guten Händen sei – bis mir klarwurde, daß dies, ohne Angabe bei wem, sie (ihn) eher beunruhigen würde als beruhigen; und meinen Namen unter so einen Brief zu setzen, war mir auf der anderen Seite auch wieder zu riskant – zumal mir schließlich doch wieder Zweifel kamen, ob Fräulein Joschek nicht am Ende doch ein ganz gewöhnliches, unromantisches echtes junges Mädchen sein könnte…

(Da Du, wie ich Dich kenne, garantiert neugierig bist, was in diesem Fragment wohl “eigene Erlebnisse” Hellmuts gewesen sein könnten: wie er sagt, nur die Varietenummer und der Schlagzeilentraum – alles übrige hat er, wie ich finde ganz glaubhaft, dazuphantasiert… )

Aber, liebe Jula, ich muß Dir ja nun nicht im einzelnen vorbuchstabieren, wie fasziniert der Erzähler davon ist, plötzlich zum erstenmal richtig in der Realität jemand zu begegnen, der nicht nur auf die Idee des Verkleidens kommt, sondern ganz selbstverständlich erklärt, er könne nämlich ganz gut ‘ein Mädchen markieren’ (um seine Flucht ev. doch noch erfolgreich fortzusetzen).

Das möchte er ja zumindest mal sehen – und ist total verblüfft, wie sehr sich diese Behauptung bewahrheitet: in den Sachen und der Zweitfrisur des verunglückten Dienstmädchens sieht der Kleine plötzlich gar nicht mehr “verknulpst” aus, sondern hinreißend mädelhübsch! (Hab ich auch erst nicht geglaubt, bis mir’s Hellmut durch Gegenbild “Crystal-Girl.jpg” (Anm. Jula: leider auch verloren) demonstriert hat – er sagt, die beiden Bilder hätten ihm damals beim Schreiben vorgeschwebt … na ja, damals kannte er eben m e i n e Bilder noch nicht!!!)

Dennoch findet es der Erzähler riskant, ihn so einfach weiterfliehen zu lassen, während noch überall nach dem letzten Ausbrecher gesucht wird: und so ersinnt er einen ebenso raffinierten wie edlen Plan …

… der darauf hinausläuft, daß ein verängstigtes Aushilfs-Dienstmädel die Polizei anruft, da scheine im Keller des Hauses der Ausbrecher zu sitzen – sie habe ihn zwar dort eingeschlossen, aber ob nicht schleunigst jemand kommen könnte, um ihn abzuholen? Was denn die Polizei auch tut – und im Keller einen zornigen Jüngling vorfindet, der zwar in unverschämtester Weise darüber schimpft, daß ihn eine dumme Pute von Dienstmädel, als er von seinem abendlichen Waldlauf zurückgekehrt sei, plötzlich im Keller eingesperrt habe – sich aber ebensowenig ausweisen kann, wie er den örtlichen Polizisten etwa als Bewohner des Hauses bekannt wäre: so daß diese ihn vorsichtshalber erst mal abführen…

(was – nach dem wohlerwogenen Urteil des edlen Retters – kaum ein Risiko auf lange Sicht für ihn ist, da die Sache sich irgendwie aufklären wird: aber dem verkleideten Flüchtling erst einmal die Chance geben soll, sich – solange der “Ausbrecher “ ja scheinbar bereits gefaßt ist – unbelästigt so schnell und so weit wie möglich aus dem Staube zu machen…)

… und was, wie Du bereits ahnen wirst, natürlich wieder mal keineswegs so wie geplant abläuft:

(… so, nun kommt das eigentliche “Fragment” …)

„Sie brauchen mich nicht den ganzen Weg zu fahren – das Stück zum Haus gehe ich schon zu Fuß!“ sagte ich höflich, als wir an der Abfahrt angekommen waren. Schließlich wollte ich Zeit gewinnen – er (mir fiel erst jetzt ein, daß ich noch nicht einmal seinen Namen wußte) hatte es mit diesem überflüssigen Telefonanruf sowieso viel zu lange hingezögert und wertvolle Zeit verschenkt: wenn wir jetzt gemeinsam in der Villa ankamen und feststellen mußten, daß das „Dienstmädel“ verschwunden war, würde der Polizist – oder spätestens der Mann vom Straflager – vielleicht doch endlich zwei und zwei zusammenzählen und unweigerlich vier herausbekommen!

„Nee, nee – das laß ich mir nun nicht nehmen -“ dröhnte das Auge des Gesetzes jovial, n nach all den Unannehmlichkeiten, die Sie schon hinter sich haben – “ er bog in die Anfahrt ein, „und außerdem muß ich sowieso nochmal mit dem Mädel reden – sie sagt, sie vermißt auch Sachen, die sie gestern im Garten auf die Leine gehängt hat -„

Was war denn nun das schon wieder ?! War der denn vollends übergeschnappt, die Polizei geradezu mit der Nase auf das zu stoßen, worauf sie hoffentlich von allein nicht gekommen wäre ?!

„Mädchensachen – ?!“ machte ich so verblüfft wie möglich – wobei mir erst zu spät einfiel, daß ich damit die Sache nun endgültig vermasselt hatte: wenn mein Schützling nur eine Spur von Intelligenz besessen hatte, hatte er ja wenigstens von Männersachen gesprochen, die er als Dienstmädchen mit der übrigen Wäsche oder sonstwas ins Freie gehängt habe – aber ich Idiot mußte mich natürlich jetzt noch verplappern!

„Möglich – “ sagte der Polizist, Amtswürde und tiefere Einsicht in die Abgründe des Verbrechens als gewöhnliche Sterbliche in der Stimme, „ist das alles!“ Und nach einem Moment des Ringens mit sich, ob er mir Einblick in etwas ebenso Amtsinternes wie Unappetitliches geben solle, fügte er – gewissermaßen wohl um zu zeigen, daß er mich durch sein Vertrauen für erlittene Unbill entschädigen wolle – düster hinzu: „Den Akten nach ist der Entflohene schon früher mal in Mädchenkleidern aufgegriffen worden – „

Das mußte er von dem Mann aus dem Lager haben: wenn es in der ursprünglichen Fahndungsnachricht gestanden hätte, wäre wahrscheinlich selbst diesem biederen Gesetzeshüter aufgefallen, daß ich nun wahrhaftig nicht wie jemand aussah, der auch Mädelsachen tragen konnte! Aber welcher Teufel hatte denn bloß den kleinen Kerl geritten, ausgerechnet – und völlige unnötigerweise – dieses Thema in seinem Anruf anzuschneiden?

„Ja – gibt’s denn sowas – !“ sagte ich mit der nötigen ehrfürchtigen Fassungslosigkeit – während ich fieberhaft überlegte, was ich jetzt machen sollte: wenn das „Dienstmädchen“ nicht da war, konnte ich immer annehmen, daß es vielleicht ins Dorf einholen gegangen sei – und versprechen, es nach seiner Rückkehr davon zu unterrichten, daß die Polizei noch etwas von ihm wolle; aber wie lange konnte ich, ohne daß es verdächtig wurde, hinauszögern, zu melden, daß es immer noch nicht zurück sei – worauf der Polizei endlich doch ein Licht aufgehen würde?! Aber da waren wir schon – viel zu schnell – vor dem Gartentor.

„So – da wären Sie glücklich zurück!“ stellte mein Begleiter völlig überflüssigerweise fest, und als wir ausstiegen und den Gartenweg hinaufgingen, fügte er mit unterdrückter Stimme väterlich hinzu: „Nun – machen Sie’s aber gnädig mit dem armen Ding – natürlich hatten Sie eine böse Nacht da in der Zelle, aber es h ä t t e ja auch genausogut wirklich dieses Früchtchen sein können: und dann hätte jeder die Kleine gelobt, wie tapfer sie mit ihm fertiggeworden ist! Jetzt war sie natürlich am Telefon ganz aufgelöst – „

Also der mußte ja da am Telefon eine unheimliche Schau abgezogen haben – und, dachte ich plötzlich beschämt, das alles bloß, um sicher zu gehen, daß ich nicht in der Patsche sitzen bleiben würde: Früchtchen oder nicht – ein guter Kumpel war er jedenfalls gewesen; schade, daß ich ihm das nicht nochmal sagen konnte – wenigstens als Trost, wenn sie ihn etwa bloß deswegen doch erwischen würden …
Oder war er – fiel mir plötzlich ein, als der Polizist die Klingel drückte – in Wirklichkeit doch schlauer gewesen, als ich ihm zugetraut hatte: dieser Telefonanruf brauchte ja nicht wirklich von der Villa gekommen zu sein – vielleicht hatte er das bloß am Telefon gesagt und war in Wirklichkeit schon längst mit dem Frühzug über alle Berge, hatte nur von unterwegs irgendwo angerufen, um die Polizei noch auf eine falsche Fährte zu setzen – gar nicht so ungeschickt: denn jemand, der gerade meldete, der Flüchtige habe ihm gerade Mädchenkleider geklaut – den würde die Polizei, selbst wenn sie wußte, daß der Ausgebrochene sich vielleicht als Mädel kostümieren würde, als letztes in Verdacht nehmen, selbst der Gesuchte zu sein … ?

Doch gerade als ich mit dieser Überlegung heimlich erleichtert aufatmete – wenn ich jetzt noch ein paar Stunden herausschwindeln konnte, war der Vorsprung kaum mehr einzuholen! — brachen plötzlich alle Hoffnungen mit einem Schlage wieder zusammen:

Denn auf das zweite Klingeln öffnete sich auf einmal die Tür der Villa – und wer sie aufmachte, war niemand anders als mein schon meilenweit entfernt geglaubter Schützling!

Glücklicherweise guckte der Polizist in diesem Augenblick nicht mich an – sonst wäre ihm mein hoffnungslos dummes und verblüfftes Gesicht wohl doch aufgefallen! – sondern ihn: oder vielmehr „sie“.

Was verständlich war – denn dieser Anblick war ausgesprochen niedlich: das süße kleine Dienstmädel, wie es im Buche steht – vom knappen kessen Kopftüchelchen über verwuschelten schwarzbraunen Locken bis zu den wohlgeformten seidenbestrumpften Beinen, die in zierlichen weißen Sandalen steckten. Über dem gepunkteten Sommerfähnchen hatte er sich, wohl um besonders haushaltecht zu wirken, auch noch die rote Gummischürze aus der Küche umgebunden, die sich aufreizend über seinen kecken Mädelbrüstchen und den falschen Hüften straffte – und das Gesichtchen mit den frischen roten Kirschenlippen, dem kleinen frechen Näschen und ein paar klimpernden roten Plastikohrringen an den Ohrläppchen hätte ganz entzückend ausgesehen: wären nicht die – zwar, wie meinem neuerdings geschulten Blick auffiel, durch einen geschickten Lidstrich noch größer und unschuldiger wirkenden – Augen regelrecht verheult gewesen…

„Achgott, da sind Sie ja endlich – !“ plapperte er mit seiner verblüffend naturgetreuen Mädelstimme – schluckte, setzte, zu mir gewandt, erneut an:
„Ich – Sie – hach es ist – “ erneutes Schlucken, während er mit niedergeschlagenen Augen blind mit einer Hand seitwärts unter der Gummischürze herumfummelte,
“ – alles so – ich weiß gar nicht, was – “ jetzt hatte er endlich ein winziges, anscheinend schon völlig vollgeheultes Ziertaschentüchelchen gefunden: und benutzte es, um – endgültig in Schluchzen ausbrechend – die Augen darin zu vergraben und sich schamvoll halb abzuwenden.

Es war eine bühnenreife Komödie – haargenau das, was wohl ein unseliges Dienstmädchen wirklich aufgestellt hätte, das gleich zum Antritt seiner Stellung den jungen Herrn ausversehen von der Polizei ins Kittchen bringen ließ: aber ich war derzeit wirklich nicht in der Stimmung, diese schauspielerische Leistung zu würdigen – sondern nur zu gleichen Teilen wütend und ratlos: wieso um des Himmels willen war er denn nicht weg – sondern saß beziehungsweise stand hier noch immer mitten in der Höhle des Löwen!

„Nun beruhigen Sie sich mal, Frolleinchen – “ brummelte der Löwe beruhigend und legte sogar seine große Polizistenhand tröstend auf die zuckenden Schultern des schluchzenden „Frolleinchens“ (dessen Schluchzen und Schulterzucken für mich als Eingeweihten freilich eher nach kaum zu bändigendem Lachen zu klingen begann) – „einen Fehler kann jeder mal machen – und der junge Herr wird Ihnen schon nicht gleich den Kopf abreißen – „

“ – hhhnein – ?!“ machte das Frolleinchen tonlos und guckte vorsichtig – mit wirklich noch tränenschwimmenden Äugelchen – über den Rand des Taschentuches auf mich (wobei ich wieder den Eindruck hatte, daß es das Taschentuch in den Mund stopfen mußte, um nicht in lautes Gicksen auszubrechen).

Ich dagegen brauchte wirklich keine schauspielerische Anstrengung, um ihm eine ebenso finstere wie verweisende Miene zu zeigen. Es mochte ja möglich sein, daß i h n diese Zerknirschungs- und Verzeihungsszene unter den Augen der Polizei königlich amüsierte – aber war ihm denn nicht klar, daß wir hier, völlig unnötigerweise, dauernd am Rand der Entdeckung entlangbalancierten: während er, hätte er sich an meine Anweisungen gehalten, schon längst in relativer Sicherheit gewesen wäre ?! Was – zum Teufel – hatte ihn nur geritten, anstatt zu verschwinden sich immer noch hier herumzudrücken ?!

Nachträglich war die Erklärung dafür natürlich die einfachste und naheliegendste der Welt: und ich hatte sie natürlich auch in Dutzenden von Schmökern aus Fräulein Joscheks Leihbücherei gelesen und dort als selbstverständlich akzeptiert, daß die gerettete Millionenerbin – aller Vernunft und allen dadurch heraufbeschworenen Komplikationen zum Trotz – nicht mehr von der Seite ihres Retters weichen wollte, so sehr er sie auch beschwor, sich in Sicherheit zu bringen; nur war mir zu dieser Zeit eben nicht klar, daß sich mein Schützling ebenso hoffnungslos und bedingungslos in mich verknallt hatte … !

Anstattdessen begann ich streng und mit, wie ich hoffte verborgenem, Doppelsinn:

„Begeistert – das werden Sie hoffentlich verstehen – bin ich über das, was Sie da angestellt haben, natürlich nicht!“

Das Köpfchen unter dem bunten Kopftuch neigte sich demütig und verzeihungheischend – wozu es meiner Meinung nach auch allen Grund hatte – und die noch immer tränenschwimmenden Augen guckten regelrecht ängstlich unter den schönen langen Mädchenwimpern zu mir empor – was auch nicht geschauspielert war: denn jetzt wurde ihm natürlich doch klar, was er eigentlich angestellt hatte – und so sicher war es ja nun doch auch wieder nicht, daß ich jetzt noch immer weiter mitspielen würde … ?

„Aber – “ fuhr ich großmütig fort – was blieb mir schon anderes übrig, solange uns dieser Polizist dauernd zuhörte! – „ich will Ihnen zugute halten, daß Sie vielleicht irgendeinen Grund hatten, in dieser Situation so zu handeln – und daß Sie mit gutem W i l l e n so gehandelt haben, wenn auch wahrscheinlich nicht gerade klug!“ (ich tönte wirklich so wie der Rektor unserer Schule, wenn er einen armen Sünder – wie er meinte – psychologisch-pädagogisch geschickt ins Gebet nahm) „Deshalb beruhigen Sie sich erst mal und erzählen Sie dem Herrn Wachtmeister wenigstens, was das nun wieder für eine Geschichte mit den verschwundenen Kleidern ist!“ (Diese Angelegenheit wollte ich wenigstens schnell hinter uns bringen – und möglichst so, daß ich auch mitbekam, was dahinter nun wieder eigentlich steckte!)

Das Frolleinchen schnaufte noch einmal, sich aufraffend, in sein Taschentüchelchen – sich dabei verlegen abwendend und mir zugleich, mit dem Auge, das der „Herr Wachtmeister“ nicht sehen konnte, zuzwinkernd: offenbar wollte es mir zu verstehen geben, es habe sich bei dieser Geschichte durchaus etwas gedacht – und mich zugleich bitten, diese Finesse ihm zu überlassen.

Das war denn auch nicht nur das Klügste, sondern sowieso das Einzige, was ich tun konnte: wenn ich es einmal als gegeben hinnahm, daß er sich – aus welchen Gründen auch immer – statt zu verschwinden hier noch weiter als Dienstmädchen herumdrücken wollte, dann war es in der Tat kein ungeschickter Schachzug, die Polizei jetzt mit der Suche nach einem mit gestohlenen Mädchenkleidern fliehenden Ausbrecher zu hetzen – in der Hoffnung, daß sie darüber vergessen würde, ein zur gleichen Zeit aufgetauchtes Mädchen kritisch unter die Lupe zu nehmen!

Die Geschichte, die er dem guten Wachtmeister mit viel Schürzenrand- und Taschentüchlein-Gefummel und verstohlen-respektvollen Blicken auf den noch immer nicht ganz besänftigten „jungen Herrn“ – aufband, klang dann eigentlich auch ganz plausibel: gestern angekommen, habe er – oder in der Geschichte natürlich „sie“ – nach dem Auspacken ein paar Kleider, die im Koffer „verdrückt“ worden seien, zum „Aushängen“ auf eine Wäscheleine im Garten gehängt – „weil die Luft da noch so’n bißchen feucht war und das die Falten so schön aushängt“ vertraute er dem Wachtmeister hausfraulich-kompetent an – und dann vergessen, sie für die Nacht wieder hereinzuholen: in der Tat sei sie sogar gerade deshalb nochmal aufgestanden, weil ihr das eingefallen sei – “ aber dann sah ich da plötzlich jemand – und ich konnte ja nicht wissen, daß das Sie waren!!! Wenn ich doch bloß den Brief schon gehabt hätte – – – „

begann jetzt die Entschuldigungsarie an mich von neuem, so daß es strenger gemeinsamer Anstrengungen des Wachtmeisters und mir bedurfte, um unser schon wieder den Tränen nahes“Frolleinchen“ wieder zur Sache zurückzubringen – kurz und gut, über all der Aufregung habe sie dann natürlich endgültig auf die Kleider vergessen und als sie heute früh endlich wieder dran gedacht habe, sei eben eins davon weggewesen und ein gepunktetes Kopftuch auch.

„Kopftuch – sehr bezeichnend!“ murmelte der Wachtmeister zu mir gewandt.

Und wenn es sich nun auch noch bestätigt, daß Ihr Fahrrad wirklich verschwunden ist – „

„Also – glauben Sie das nun immer noch nicht?!“ benutzte ich die Gelegenheit, berechtigte Indignation zu zeigen – was ihn rasch und sherlock-holmes-mäßig weitersprechen ließ:

„… dann sollten wir auf eine Person in einem blaukarierten Kleid und Kopftuch achten, die auf einem Herrenfahrrad fährt!“

„Das sollten Sie aber gleich telefonisch durchgeben!“ schlug ich eifrig vor. „Wenn das tatsächlich zu der Zeit passiert ist, als wir das Fahrrad nicht mehr fanden – dann hat er mindestens – “ ich sah auf die Uhr – „sechs bis sieben Stunden Vorsprung, wenn nicht mehr … „

„… und wenn er sich dann im Morgengrauen unter all die Leute gemischt hat, die da auf die Felder oder zur Arbeit fahren,“ fuhr er düster fort, „dann wird er niemand aufgefallen sein – noch nicht mal seine groben Schuhe zu dem Mädelkleid: denn sowas haben natürlich die Mägde auch oft an, wenn sie aufs Feld müssen – „

„Sechs bis sieben Stunden!“ hämmerte ich ihm vorsichtshalber noch einmal ein, „wenn er halbwegs kräftig in die Pedale getreten ist, dann macht er mit meinem Rad leicht fünfzehn Kilometer die Stunde – das sind ja beinahe – Moment mal: also irgendwo in einem Kreis von fast hundert Kilometer kann der jetzt schon sein! Und da liegen wenigstens vier große Städte, in denen er irgendwo bei Komplizen untergekrochen sein kann – ganz zu schweigen davon, daß er auch im flachen Land geblieben sein kann: und wenn die Streifen jede Magd in ’nem karierten Kleid anhalten sollen, die irgendwo ’nen Feldweg langfährt … !“

ch schüttelte den Kopf: „Und wenn ich mir vorstelle, daß er das alles genau da geklaut haben muß, als wir hier drinnen … “ die Gelegenheit schien günstig, gleich nochmal die Polizei auf die Schippe zu nehmen, „… also trösten Sie sich mal“, fuhr ich zu unserem „Frolleinchen“gewandt fort, „Sie sind jedenfalls nicht die einzige, die heute nacht ’nen Bock geschossen hat!“ Und als es mir pflichtschuldig einen erleichtert-verschämten Blick zuwarf, fügte ich strenger hinzu: „Gestraft genug sind Sie ja schon – denn das Kleid werden Sie wohl nie wiedersehen!“

„Ahemm – “ räusperte sich der Polizist, der meine respektlosen Bemerkungen über geschossene Böcke mit saurem Lächeln mitangehört hatte, und fragte nun betont amtlich:
„Wollen Sie eine Diebstahlsanzeige erstatten ?“

„Hach Gott – ich weiß nicht – “ klapperte mein Dienstmädelchen hilflos mit den Augendeckeln, „ich meine, Sie suchen ihn ja sowieso schon mit der Polizei – und das war sowieso kein gutes Kleid, das hat mir nie richtig gepaßt – “ er strich sich wie unbewußt mit den Händen um die Taille, die unter der straff gebundenen Gummischürze unerhört schlank und zerbrechlich aussah, „das war hier viel zu weit – deswegen war’s wohl auch das einzige, das so ’nem Mann gepaßt hat – “ buchstabierte er uns nocheinmal der Sicherheit halber vor.

„Schreiben Sie’s doch einfach mit zu der Sache mit dem Fahrrad – “ griff ich schnell ein (ich hatte noch immer das ungute Gefühl, er könnte den himmelweiten Unterschied zwischen dem Flüchtigen und diesem süßen Dienstmädelchen so dick auftragen, daß man schon wieder stutzig werden mußte!) “ – offenbar hat er ja das alles, wie heißt es beim Gericht, ‚in einer zusammenhängenden Handlung‘ entwendet – und wenn Sie ihn erwischen, klärt sich das sowieso alles in einem Aufwaschen – “ (das fehlte mir noch, daß jetzt etwa ein Protokoll mit allen Personalien meines imaginären Dienstmädels aufgenommen würde!).

Aber glücklicherweise gab sich der Polizist damit zufrieden und empfahl sich schließlich – nicht ohne uns nocheinmal gute Ermahnungen gegeben zu haben, weder Kleider noch Fahrräder unbeaufsichtigt im Freien stehen zu lassen. Ich atmete tief auf, als ich seinen Wagen endlich die Zufahrt hinunter verschwinden sah – und wandte mich dann endlich, mit lang aufgestautem, aber gerade dadurch schon wieder halb abgekühltem Zorn an meinen Schützling:
„Was – zum Teufel – treibst Du denn bloß noch hier ?! Du könntest doch schon längst über alle Berge sein – !“

Er guckte mich wieder von unten-herauf mit verschämt-ängstlichen Mädchenaugen an:
„Sind Sie – sind Sie denn furchtbar böse, daß ich noch da bin?“ fragte er mit ganz kleiner zaghafter Stimme.

Es war eigentümlich: bei einem wirklichen Mädchen wäre mir solch zimtzickige
(hurra – hier kommt also die Assoziation zu mir! (Zizi))
Naivität („sind Sie denn nun furchtbar böse?“ – !!!) bestimmt auf die Nerven gegangen – und einen Jungen, der so etwas zu mir gesagt hätte, hätte ich wohl überhaupt für übergeschnappt gehalten; aber hier, bei einem Jungen, der ein Mädchen markierte, fand ich das seltsamerweise ganz in Ordnung – ja sogar regelrecht amüsant: so ähnlich, als wenn einer einen Lehrer, den ich nicht leiden konnte, täuschend nachmachte – und zudem schmeichelte es mir wohl sogar ein wenig: bisher hatte sich noch nie jemand Gedanken darüber gemacht, ob ich vielleicht über etwas „furchtbar böse“ sein könnte!

Und überdies mußte ich ja vor mir selbst zugeben, daß ich gerade noch vor kurzem gedacht hatte, es wäre natürlich viel interessanter und aufregender gewesen, noch ein bißchen länger mit diesem seltsamen Schein-Mädchen zusammenzusein …

„Natürlich bin ich nicht ‚furchtbar böse’!“ sagte ich irritiert. „Aber kapierst Du denn nicht, daß ich das ganze Theater hier nur mache, damit D u in Ruhe abhauen konntest – anstattdessen lädst Du Dir noch die Polente zum Kaffee ein! Was hast Du Dir bloß dabei gedacht?“

„Ach – “ er war jetzt schon so in seiner Mädelrolle aufgegangen, daß er unwillkürlich wieder anfing, am Schürzenrand herumzufummeln, „das war so: als Sie wegwaren, da hab ich mir überlegt – eigentlich soll man doch auf der Flucht immer das G e g e n t e i l von dem machen, was die Leute meinen, daß man jetzt täte – nich?

Und nun wissen die doch im Lager genau, daß ich mich vielleicht wieder als Mädel anziehen würde – natürlich der Dorfbulle heut nacht hier noch nich, aber bis zum Morgen hätten die das alle mitgekriegt – und wenn ich dann ohne Papiere da irgendwo in der Welt rumgelaufen wäre und in irgend ’ne Kontrolle?

Aber hier direkt unter ihrer Nase sitzenbleiben und sie sogar noch anrufen – das is ja nun das, was sie ganz bestimmt nich erwarten (weil sie ja auch nich ahnen, daß mir hier plötzlich jemand hilft wie Sie!) – und wenn die jetzt denken, ich bin mit dem Fahrrad schon über alle Berge – Sie könn‘ sicher sein, da gibt’s jetzt bestimmt ’nen Haufen Knallköppe, die plötzlich ’ne ‚verdächtige Person aufm Fahrrad’ gesehen haben, wenn das erstmal im Radio durchgekommen is und in der Zeitung – dann legt sich das ganze Trara hier nach’n paar Tagen völlig un‘ die suchen mich überall, bloß nich mehr hier in der Nähe!

Und wo Sie doch gesagt hatten, ’n paar Tage müssen Sie doch hier noch in dem Haus bleiben und das richtige Mädel liegt noch im Krankenhaus – „

Er hielt nach diesem Wortschwall inne und guckte mich wieder unsicher an, um zu erkunden, wie ich diese Erklärung aufgenommen hätte.

„Wenn Sie woll’n, kann ich natürlich auch gleich abhauen – “ bot er vorsichtig an. „Sie sind sowieso sauber – Sie brauchen ja nur immer sagen, daß ich schon da war un‘ Sie angeschwindelt hab – „

Ich versuchte, das alles erst einmal zu verdauen. Irgendwie leuchtete mir die Idee, das Unwahrscheinlichste zu tun, natürlich schon ein – nicht zuletzt, weil sie haargenau dem entsprach, was raffinierte Gentlemanverbrecher in meinen Schmökern auch immer getan hatten: und zudem hatte die Vorstellung, noch ein paar Tage in dieser abenteuerlichen Situation hier zu hausen, sicherlich mehr Reiz, als allein und dazu noch mit allen möglichen unangenehmen Fragen der Polizei zurückzubleiben: wenn das falsche Dienstmädel erst ziemlich genau dann verschwand, wo auch ich ohnehin abreiste, zögerte sich die Aufklärung des Ganzen bestimmt nochmal um unbestimmte Zeit hinaus – und dann waren wir beide weit vom Schuß, Einzelheiten wie das erfundene Fahrrad und meine nicht ganz saubere „Verwechslung“ der Dienstmädchen ließen sich viel besser vertuschen …

„Nee, nee – “ beruhigte ich ihn, „nachdem Du nun einmal die Chance, ganz schnell zu verschwinden, drangegeben hast, ist es tatsächlich besser, Du bleibst noch ’n paar Tage hier, bis sich der ganze Rummel gelegt hat – Du brauchst ja die Nase erstmal gar nicht vor die Tür zu stecken – und wenn Dich doch jemand sieht, dann wissen die Leute im Ort ja schließlich, daß hier ’n Ersatz-Dienstmädel kommen könnte – “ überlegte ich weiter, „obwohl – “ schockte mich plötzlich eine neue Komplikation, „was die denken werden, wenn sich rumspricht, daß hier so ’ne kesse Puppe mit mir ganz allein ohne Anstandswauwau unter einem Dach wohnt – !!!“

Er riß die Augen auf – und gickste dann wie ein Mädel:
„Hiiich – daran hab‘ ich noch garnich gedacht!“ (was, wie sich herausstellen sollte, eine krasse Lüge war) „- also – “ fuhr er übertrieben geziert fort, “ – bin ich doch kein a a n ß t ä n d i g e s M ä ä c h e n, daß mir d a a s garnich in’n Sinn gekommen is – !”

Doch dann schien er mitten in seiner Parodie plötzlich wieder unsicher zu werden:
„Oder – wenn Ihnen das nu aber peinlich is – ?!“ Er guckte mich wieder mal von unten herauf an wie ein kleines Mädchen, das nicht ganz sicher ist, ob es nicht was Schlimmes angestellt hat.

„Peinlich – Quatsch!“ brummte ich unwirsch, „wenn – dann hat ja höchstens das M ä d c h e n Angst, was die Leute denken könnten – nicht der Junge! Mir geht bloß im Kopf ‚rum, ob da jemand sich verpflichtet fühlen könnte, einzugreifen – wir können wirklich nich noch jemand brauchen, der alles durcheinanderbringt! – aber ich hoff‘ ja, die paar Tage lang werden die Leute höchstens quatschen, aber nix Wirkliches unternehmen – „

“ – und wenn die wirklich denken, was Sie meinen – “ fiel er eifrig ein, „dann denken sie also wenigstens nich – !“

Da hatte er auch wieder recht: wenn die Klatschmäuler einen richtigen kleinen Dorfskandal um das hübsche Aushilfs-Dienstmädel wittern würden – dann konnten sie schwerlich zugleich auch noch auf den Verdacht kommen, es wäre gar kein Mädel!

„Aber – “ unterbrach er sich plötzlich, „ich quassel und quassel hier rum und denk gar nich an Sie! Ham‘ Sie denn wenigstens was zu Frühstück bekomm im Knast -“ er stockte ein bißchen verlegen, „da bei der Polente, mein ich – “ verbesserte er sich.

“ – ’n Pott Kaffee, und der war ooch nich gut!“

Er riß entsetzt die Augen auf: „Also die Schweine – jetzt hab ich doch gedacht, wenigstens wenn einer unschuldig is – „

„Na ja – “ nahm ich meinen braven Wachtmeister in Schutz, „der h a t ja sogar dran gedacht, daß ich vielleicht was zu essen haben wollte – aber nach dem komischen Kaffee hab ich dankend drauf verzichtet und gesagt, ich ess dann hier was – „

“ – und ich – “ sagte er nicht ohne Triumph in der Stimme, „h a b auch was zu essen für Sie! Das muß bloß noch – “ er warf einen Blick auf die zierliche Damenarmbanduhr an seinem Handgelenk – ‚Leihgabe‘ von Tante Anni – „so zwanzig Minuten oder so schmurgeln – da könn‘ Sie sich gerade noch so’n bißchen frisch machen – „

Ich schaute ihn wieder verblüfft an: „Nun sag bloß, Du hast was gekocht ?“

„Na bin ich nu hier das Dienstmädchen oder nich?!“ fragte er entrüstet und fügte wieder mit unterdrücktem Gicksen hinzu: „Oder woher denken Sie, daß ich so schön verheulte Augen hatte ? Vom Zwiebelschneiden natürlich – un ich hatt‘ die ganze Zeit Angst, daß der Bulle spannt, daß ich Zwiebelsaft an das Taschentuch geschmiert hab, damit ich immer noch so’n paar Tränchen rausquetschen konnte -„
Ich schüttelte innerlich den Kopf – was war das doch für ein raffiniertes kleines Biest! Einen schönen Gefängnisfraß würde er ja wahrscheinlich zusammen-geschmurgelt haben – aber das war mir jetzt auch schon egal: ohne Abendbrot und Frühstück hatte ich jetzt so oder so einen Mordshunger – und daß ich mich „frisch machen“ mußte, damit hatte er auch recht: die ganze Nacht nicht aus den Kleidern herausgekommen und dann auch nicht richtig gewaschen – ich merkte jetzt, daß ich regelrecht stinken mußte!

„Ja – dann steig ich jetzt mal unter die Dusche!“ sagte ich. „Wann ist das Essen soweit ?“

„Na ich denke, gerade so richtig – 20 Minuten oder so’n bißchen mehr! Wo soll ich denn für Sie decken?“

Ich schaute ihn wieder entgeistert an – der nahm das ja mit der Dienstmädelei anscheinend wirklich bitterernst ?!

„Na also wir essen doch wohl hoffentlich zusammen!“ sagte ich – auf alle Fälle in einem Ton, aus dem nicht recht hervorging, ob ich seine Frage ernst genommen hätte oder nicht. „Und gegessen wird meistens da im Zimmer neben der Küche, wo die Durchreiche hingeht. Also – bis gleich!“

Als ich unter der Dusche hervorkam und mich am ganzen Leib abgeschrubbt hatte, fühlte ich mich schon wirklich wie ein anderer Mensch – Nächte in der Arrestzelle war ich halt doch nicht gewöhnt! – und stellte mich vor den Spiegel: so richtig nötig hatte ich es natürlich immer noch nicht, mich zu rasieren – aber jetzt, gewissermaßen als symbolische Handlung nach dem Arrest, beschloß ich doch, mich mit allen Finessen inklusive Onkels Rasierwasser „fein“ zu machen.

Ich hatte es zwar selbst noch nicht gemerkt und dachte immer noch, es wäre bloß die Reaktion auf meine Nacht in der Zelle: aber in Wirklichkeit fing ich jetzt schon regelrecht an, meine „Rolle“ als „der junge Herr“ zu spielen – genau wie mein Schützling die des süßen kleinen Dienstmädels – und gerade weil wir beide ja wußten, daß diese Rollen überhaupt nicht stimmten, gaben wir uns beide besondere Mühe, sie trotzdem möglichst perfekt zu spielen.

So hatte ich plötzlich Lust, mich nun auch zum Essen mal richtiggehend „schick“ zu machen – mit der hellen langen Hose und einem frischen Hemd, Onkels Herren-Eau-de-Cologne aus dem Badezimmer und sorgfältig gekämmten Haaren. Und zwischendurch konstatierte ich wieder mal verblüfft, daß mein „Dienstmädel“ all die Sachen säuberlich aus meinem Koffer gepackt und in perfekter Ordnung ausgebreitet hatte!

Aber das war nicht die letzte Überraschung: als ich herunterkam und ins Esszimmer ging, fand ich nicht etwa bloß Teller, Messer und Gabel vor – sondern eine liebevoll gedeckte Tafel mit Tischtuch und Setdeckchen, drei Sorten Gläsern und aufgesteckten Papierservietten und sogar einem Strauß Blumen in der Mitte – frisch wie aus der Illustrierten!

„Nun sag mal – !“ rief ich verblüfft aus, als mein Dienstmädelchen hereinwieselte – mit vor Eifer geröteten Wangen, klappernden Sandälchen und noch immer der hausfraulichen rotkarierten Gummischürze, die bei jedem Schritt so komisch aufregend um seine Hüften und Schenkel schlabberte. Aber er – oder „sie“ ?! – überhörte mein Erstaunen geflissentlich und verkündete nur verheißungsvoll:
„Serviert wird in einer Minute! Was nehmen Sie denn als Aperitif – Sherry oder Wermut?“

Ich war sprachlos – irgendwie mußte das mit Hexerei zugegangen sein, in den paar Minuten nicht nur diese Tafel zu decken: sondern, wie mir auffiel, auch noch aus den verheult-verschwollenen Augen von vorhin perfekt schwarzumrahmte Glutaugen zu machen, statt des Kopftüchelchens ein kesses rotes Band in die Locken zu binden und überhaupt – was er da noch gemacht hatte, konnte ich nicht entdecken, nur den Gesamteindruck – zum Anbeißen hübsch auszuschauen! Und – wie „Gefängnisfraß“ roch das auch nicht, was da aus der Küche hereinduftete …

„Also das gibt’s doch nicht – !“ beharrte ich – instinktiv überzeugt, daß er in Wirklichkeit brennend auf ein Kompliment warten mußte, „so ’ne Festtafel hab ich ja noch nie gesehen – wie hast Du das denn bloß geschafft?!“

„Hach – wissen Sie – “ machte er leichthin, aber offensichtlich geschmeichelt, „das hat mir jetzt so richtig Spaß gemacht, mal ordentlich vornehm zu decken – “ er lächelte fraulich-vertraulich, “ – eigentlich ha’m wir doch auch Grund zum Feiern , nich ?!“

„Na dann woll’n wir darauf ja auch mal anstoßen!“ sagte ich, „Was nehmen denn nun Sie als Aperitif, Fräulein – ach wie heißt Du eigentlich?“ fiel mir plötzlich ein.

„Ich ?“ wiederholte er unsicher.

„Ich meine – als Mädchen: da mußt Du doch irgend’nen Namen haben – Monika oder Ilse oder Lieselotte – „

Er lächelte ein bißchen verwirrt: „Aber muß ich denn nicht so heißen wie Ihr richtiges Mädchen – die im Krankenhaus, meine ich?”

“Ach was – Du bist doch die Aushilfe für sie: Da kannst Du heißen wie’s Dir gefällt!“
Er zögerte erst – überlegte – und sagte dann fast verlegen: “Also gefallen hätte mir immer schon ‘Susi’ – geht das?”

“Aber klar – das paßt doch richtig zu Dir! Also Fräulein Susi: was darf ich Ihnen denn nun einschenken ?“

„Hach – “ unterbrach er mich, “ jetzt muß ich aber nochmal in die Küche – sonst passiert da was!“ und wieselte mit raschelnder Schürze wieder hinaus, mir noch über die Schulter zulächelnd – „wenn ich dann schon bitten darf, einen Sherry!“

Tatsächlich standen auch die Flaschen schon auf dem Sideboard bereit – die Perfektion war wirklich unglaublich – und ich fühlte mich auch wirklich als Hausherr und Gastgeber, als ich zwei Gläser einschenkte…

Da ging auch schon die Schiebetür der Durchreiche auf, und „Fräulein Susi“ schob zwei dampfende Schüsselchen Suppe hindurch.

„Der Sherry wird kalt!“ rief ich alarmierend durch die Öffnung.

„Mo-mää-ent – !“ rief er im süßesten Sopran zurück, klapperte noch mit irgendwelchem Geschirr und kam dann wieder zur Dielentür hereingeraschelt, nahm mit geschmeichelt-verlegenem Lächeln das Glas entgegen und machte, wie um sich zu bedanken, einen richtigen kleinen Schulmädchen-Knix.

Ich hob das Glas und schaute ihm über den Rand hinweg in die dunklen Kulleraugen:
„Worauf trinken wir denn nun ?“

Er zuckte – noch immer verlegen lächelnd – die Achseln, (daß seine kessen runden Mädelbrüste unter dem straffen Gummi der Schürze richtig rauf- und runterrutschten) – aber nun mußte mir ja was einfallen:
„Also dann auf unser perfektes Hausmädchen – die süße Susi!“ sagte ich und kippte meinen Sherry herunter (ich hatte so Zeug noch nie getrunken und es schmeckte mir auch nicht besonders – aber in dem leeren Magen machte es ein ganz wohliges Gefühl).

Auch er trank aus – und machte vorsichtshalber nochmal so einen kleinen Knix (scheinbar fand er, das daß für Dienstmädchen, die der junge Herr zu einen Aperitif einlädt, sich so gehöre – und da ich vorher noch nie ein Dienstmädchen mit Sherry traktiert hatte, war ich schwerlich berechtigt, das zu kritisieren) und sagte dann praktisch:
„Nun wird aber die Suppe kalt!“

Er stellte erst mir mein Schüsselchen hin – dann das andere für sich – und wollte gerade, nachdem ich mich schon gesetzt hatte, auf dem anderen Stuhl Platz nehmen: als er innehielt und mit den Händen hinter dem Rücken zu fummeln begann – bis die straffe Schürze plötzlich schlaff herunterzuhängen begann –
„Ach laß doch die Schürze ruhig um – “ sagte ich unwillkürlich.

Er schaute mich einen Augenblick stutzend an – merkwürdig: einen Moment hatte ich regelrecht das Gefühl, als läge ich unter dem blinkenden Objektiv eines scharfen Mikroskops – dann zog er langsam die Schürzenbänder hinter dem Rücken wieder straff, daß sich der glatte Gummistoff wie ein Panzer um die schlanke Taille schmiegte:
„So – ?!“ sagte er fragend – mich noch immer eigentümlich forschend ansehend, während er die Bänder immer stärker anzog, bis sich Hüften, Taille und Brüste aufreizend unter dem gespannten Gummi modellierten und am Schoß schon quere Falten aufsprangen …

„Ach – die steht Dir irgendwie gut – “ sagte ich leichthin.

Jetzt fehlt da schon wieder ein Stück – wo sie vermutlich, das (natürlich perfekte) Menü verspeisend und teuren Wein aus Tante Annis Keller dazu trinkend, einander gegenseitig mehr oder minder verstohlen bewundern und immer unverhohlener miteinander herumflirten – doch dann muß der übernächtige “junge Herr”, nach dem schweren Wein plötzlich müde geworden, sich erst mal auf sein Bett im Gästezimmer niederlegen – wo er alsbald leicht konfus zu träumen beginnt:


Ich hatte aus Fräulein Joscheks Leihbücherei ein Buch gestohlen und war deshalb auf der Flucht. Gestohlen hatte ich es, weil es eigentlich verboten war, daß Jungen dieses Buch lasen; es hieß „Die Mädelfalle“ und handelte von einem Flüchtling, den die Polizei überlisten wollte, indem sie lauter Polizisten als Dienstmädel verkleidete, die in bunten Gummischürzen überall auf Leinen Wäsche aufhängen mußten – geheim und verboten war das Buch, damit niemand erfuhr, daß all die hübschen Dienstmädel auf den Wäscheplätzen in Wirklichkeit verkleidete Männer waren und nach Flüchtlingen Ausschau hielten. Daß ich das jetzt doch wußte, ließ ich mir natürlich nicht anmerken – weil man ja genau daraus, daß ich einen großen Bogen um diese scheinbar harmlosen falschen Mädchen mit ihren großen, bunten, aufregend über den nachgeahmten Brüsten und Hüften schlabbernden Gummischürzen machte, erkannt hätte, daß ich das verbotene Buch doch gelesen hatte und deshalb jetzt vor der Polizei flüchten mußte; wenn ich dagegen frech auf sie zuging und so tat, als hielte ich sie wirklich für Mädchen, konnte ich ungehindert entkommen.

Besonders eines davon, das aussah wie Fräulein Joschek, sich aber eine kupferrote Perücke aufgesetzt hatte und so hübsch ausschaute, daß es wirklich nur Eingeweihte als verkleideten Mann erkannt hätten, ließ seinen Wäschekorb fallen und stellte sich mir – als wolle es sich nur einen Mädelulk machen – breitbeinig in dem Weg, pralle falsche runde Brüste kichernd unter der straffen glatten Schürze über dem blauen Sommerkleid herausreckend und die weißen glatten Arme ausbreitend. Weil der Flüchtling ja nicht ahnen konnte, was sich hinter diesem lachenden Dienstmädel wirklich verbarg – und weil ich mir ja nicht anmerken lassen durfte, daß ich es wußte – ging ich kühn immer näher auf es zu, weil mich ja auch interessierte, ob man es ganz aus der Nähe nicht doch als Mann erkennen würde. Das gefiel dem Polizisten, der sich gern als hübsches Mädel verkleidete und die Verbrecher an der Nase herumführte, indem er tat, als wäre er ganz verliebt in sie – er hatte sich sogar richtig wie eine junge Dame parfümiert – und als ich jetzt ganz nahe vor ihm stand und das Parfüm und den merkwürdig streng-aufregenden Duft seiner Gummischürze riechen konnte, nahm er mich, ehe ich fliehen konnte, in die glatten weißen Arme und drückte mich lachend an die falsche stramme Gummibrust –

  • streichelte mit zärtlichen schlanken Fingern meinen nackten Rücken –
  • und streifte mit warmen feuchten weichen Lippen über die meinen –

Ich öffnete blinzelnd die Augen – und sah dicht vor mir sein rundes Mädelgesicht mit den dunklen großen Kulleraugen unter den falschen schwarzen Locken.
Er lag halb seitwärts auf mir, eng an mich, geschmiegt, und der glatte Gummi seiner Schürze glitt über meinen bloßen Leib wie seidige Frauenhaut, als er sich wohlig zurechträkelte, ein Bein um meinen Oberschenkel schlingend und das Füßchen – im sanften Film seidenen Strumpfes – von hinten zwischen meine Waden schiebend. Ich öffnete, noch immer halb schlaftrunken, den Mund, um etwas zu sagen – aber da verschloß er ihn mir schon mit roten durstigen Lippen, die weiche, frisch pfefferminzschmeckende Zunge gegen meine drängend…
Das war recht wunderlich – aus einem solchen Traum nicht wie sonst enttäuscht, beschämt und allein zu erwachen, erregt und doch aussichtslos: sondern ganz genau wirklich gerade das im Arm zu haben, was eben noch nur Traumphantasie gewesen war! Da brauchte ich eigentlich noch gar nicht wirklich wachzuwerden – sondern konnte mich ganz diesem neuen, überraschenden Spiel mit der fremden, appetitlich-zärtlich zutschenden Zunge da in meinem Mund hingeben, die um meine kreiste, kokett lockend floh, mich in den anderen Mund hinüberköderte, mit einem zarten Biß begrüßte und dann brünstig einsaugte…

Jetzt versteh ich erst, was die im Film die ganze Zeit beim Küssen machen! dachte es irgendwo in mir verblüfft;

”Also daß der kleine Anton das noch nicht wußte, hat mir ja eingeleuchtet: aber ein ausgewachsener junger Herr nach dem Abitur – ?” hab ich Hellmut an dieser Stelle verwundert gefragt – aber seine Antwort darauf war noch viel verwunderlicher: er habe zwar nach dem Abitur – bei der Geburtstagsfeier seiner Mutter – mit einer hübschen Dame (seiner späteren Frau) mindestens 3mal Bruderschaft getrunken, da er ihr danach immer ein Küßchen geben konnte; aber daß man beim Küssen auch den Mund aufmachen könne, habe er erst nach dem Beginn seines Studiums in Göttingen erfahren – und zwar aus Hermann Hesse’s “Narziss und Goldmund” in der Szene, wo die Zigeunerin den jungen Goldmund in die Geheimnisse der Liebe einführt…
(was soll man bloß von einem derart unschuldsvollen Theoretiker halten, der das Küssen bei einem Literatur-Nobelpreisträger lernen muß – ?! Aber wenigstens hat er – wie auch später auf vielen anderen Gebieten – die theoretischen Erkenntnisse gründlich und erfolgreich in der Praxis angewandt…!)
Doch noch ein bißchen weiter im Text:


aber dann gab es ja viel interessantere Sachen als Denken: voll – durch glatt übereinander rutschende Kunstseide – in stramm-runde Popobacken greifen; mit dem anderen Arm den willigen Körper dieses reizenden Beinah-und-doch-Nicht-Mädels an mich ziehen, daß sich die frechen falschen Brüstchen unter dem glatten Schürzengummi prall gegen meine Rippen preßten – und den Unterleib wohlig gegen die gleitende Glätte eines straff umschürzten Mädchenbauches aufbäumen, das schwellende Glied suchend zwischen schlanke Schenkel schieben – während meine Zunge noch immer in den fremden gierigen Mund drang …

„Schick ?“ fragten die lachenden roten Lippen, noch ein wenig keuchend, als er endlich den Mund von meinem löste – und dann, ohne Antwort abzuwarten, fast entzückt: „Aber Du bist ja schon ganz steif – warte – „

Also – da wir hier ja nun keinen Hardcore-Porno verbreiten wollen, überlasse ich es Deiner (dieser Aufgabe gewiß gewachsenen) Phantasie, auszumalen, auf welche Weise die erfinderische “Susi” nun ihrem Retter den wohlverdienten Dank abstattet:
und wende mich nicht dessen, sondern vielmehr dem ungeschriebenen “Schwanz” der Geschichte zu (soweit er in Hellmuts Hirn noch existiert – was er durchaus tut, weil dies eine der Handlungen ist, mit denen er noch immer mal ein Schmidt’sches “LG” abzuhalten pflegt:

Kurz gefaßt – nachdem die beiden in der einsamen Villa eine idyllische Flitterwoche verlebt haben, kommt unentrinnbar die Stunde der Trennung:
und da wächst nun (man weiß kaum, wer von den beiden am edelsten ist! ;-)) auch die süße Susi über sich hinaus und sagt ihm liebevoll vernünftig:

um sie brauche er sich keine Sorgen zu machen – bei ihm habe sie ihren fast schon verlorenen Stolz wiedergefunden, weil sie ihn glücklich machen konnte und durfte – aber er müsse jetzt auch noch das erleben, was sie ihm nicht habe geben können: und dazu brauche er (nicht etwa irgendeine Gans von Mädchen, sondern) eine erfahrene reife Frau – und die zu suchen und zu erobern: das müsse er ihr jetzt versprechen!

Bittersüße Abschiedsnacht – Susi will ein neues Leben beginnen (loses Ende: Hellmut weiß noch immer nicht, wovon?) – und der Erzähler muß erst den zurück-kehrenden Verwandten die Villa übergeben (loses Ende: wer vergütet das arme Beinbruch-Dienstmädel für die stibitzten Sachen? Vielleicht hat das Pärchen zwischendurch mal Lotto getippt und den nötigen Zaster gewonnen? Lach nich, bei Arno finden se im “Steinernen Herz” ooch, wenn er’s braucht, ‘nen Schatz in der Zwischendecke 😉 !)

Jedenfalls steigt der Erzähler – wieder allein – erster Klasse in den Zug (ins Ausland?) – und, in der Tat, in einem Abteil sitzt allein die fällige reife Dame!

(Die ist nun – wilde Arabeske der Phantasie – wiederum, was der Erzähler natürlich noch nicht wissen kann, eine hochinteressante Persönlichkeit: Einst war sie mal bloß ein hübsches oberflächliches Mädel – (Schatten von Scarlett o’Hara am Start von “Gone with the Wind”?) – als sich plötzlich, ohne daß sie es sich erklären kann, alle von ihr zurückziehen (ihr Vater hat sich politisch mißliebig gemacht) – und keine einzige ihrer “Freundinnen” steht mehr zu ihr. Doch – das erkennt sie, durch Erfahrung zynisch geworden – genau so wenig bedeutet sie dem “edlen” Revolutionär, der sie nur zur Frau nimmt, um vom Prestige ihres Märtyrer-Vaters zu profitieren; und wenn sie neben ihm zum “Engel der Vorstädte” wird (deren dreckige Bewohner sie anekeln), so nur, um ihn auf den Weg zur Macht zu bringen – die er zwar erringen, aber dabei sein Leben verlieren wird (als erstes Opfer ihrer Rache am Schicksal): und so vergilt sie, von allen verehrt, insgeheim alles, was man ihr angetan hat – indem sie jedem Gelegenheit gibt, genau das zu tun, was sein schäbiger Charakter ihm nahelegt: und was ihm dann den Hals brechen wird. So überlebt sie alle, gilt fast als Nationalheilige, kann sich beinahe jeden Wunsch erfüllen – nur tödlich einsam ist sie darüber geworden…)

So – und zu der steigt nun unser herrlicher edler Jüngling ins Abteil: wie ein Traum aus langstvergangenen Mädchentagen – und bittet sie, fast verlegen, nur um eines: sie ansehen zu dürfen. (Denn zeitlos schön ist sie imer noch!) Und als sie – seltsam angerührt – versucht, ihm das auszureden: nebenan säßen doch drei reizende junge Mädchen, bei denen er viel größere Chancen habe – sagt er ihr, von einem reizenden Mädchen komme er ja, das er nie mehr wiedersehen könne – aber s i e könne er, wenigstens für die Dauer dieser Fahrt, ansehen…

(…und das ist ironischerweise eine ebenso kaltblütige Verführungsstrategie, die er nur dem Wunsch der edlen Susi zuliebe verfolgt – mit einem Mut, den er zuvor nie gehabt hätte…)

… aber wie das in Romanen nun mal so geht, folgt er der schöne Dame sogar noch, als eine verbitterte Tochter, deren Vater sie einst ins Unglück rennen ließ, sie aus dem Hinterhalt zu erschießen versucht – nur gerade so, daß unser Held das noch verhindern kann (wobei er heroischerweise auch noch ein bißchen verwundet wird).

Und damit ist alles wunderbar gemixt und verheddert: Zum ersten Male in ihrem Leben hat sie erlebt, daß jemand sich völlig selbstlos für sie einsetzt – und gerade diesmal hätte sie das überhaupt nicht verdient! Und wenn unser Held jetzt John Wayne oder so wer wäre, könnte sie ihm immer noch als schwaches Weib an die Brust sinken – aber bei diesem schönen Jüngling, der fast ihr Sohn sein könnte, wenn sie einen hätte? Und den wiederum hemmt jetzt gerade das Problem, daß er aus seiner Rettungstat doch nicht das Recht ableiten könne, diese Frau zu erobern – obwohl er genau so etwas seiner Susi versprochen hatte – und es inzwischen auch brennend gern tun würde…!

Da fällt Hellmut als deus ex machina nur noch eine alte eingeborene Dienerin ein – die einzige, für die die Nationalheilige noch immer “ihr kleines Mädchen” ist, dem sie stets jeden Wunsch erfüllt hat – und die den beiden, als der Retter nochmal ins Haus der Geretteten kommt, einen Voodoo-Liebestrank in die Limonade mischt: woraus sie prompt zusammen ins Bett fallen…

Da liegen sie nun … und irgendwie ist der Dame aufgefallen, daß ihr Liebhaber zwar in einiger Hinsicht erstaunlich versiert ist: in mancher anderen aber verwirrend ahnungslos …

Hach – und wie’s dann weitergeht, damit spielt Hellmut immer mal wieder vor dem Einschlafen herum: zum Beispiel sogar mit einer Szene, wo sich Nationalheilige und Susi treffen – und miteinander über ihren wundersamen Liebhaber beratschlagen – oder sowas – oder sonstwas …

Aber ich glaube, das reicht für diesmal?
Deine (literarische) Z i z i !”

Azazel 3000

“Ihre Sünden aber luden sie einem Bocke auf
und schickten ihn in die Wüste zu Azazel, auf
daß e r sie trage …”
(Aus den Kommentaren des Midrasch Abchir zum Alten Testament)

Warum der Rat der Priester gerade diesen öden Planeten zum Ort des Treffens bestimmt hatte, wußte ich nicht; der Bote, der mir die Nachricht gebracht hatte, trug die goldene Maske des Schweigens, und ich konnte seine Gedanken nicht lesen. Vielleicht hatten sie einen Weltkörper wählen wollen, der weder im Machtbereich der Ryl, noch in dem der Erdwesen lag – als neutralen Ort für diese so schwerwiegenden Verhandlungen.

Mir aber erschien dieser Planet — Azazel hatten ihn die Erdwesen getauft, nach einem Dämon eines ihrer heiligen Bücher, der in der Wüste lebte – heute wie ein böses Omen. Endlos, einförmig und unfruchtbar wie seine Wüsten waren die Debatten, die ich hier führen mußte – und lagen nicht all unsere einstigen Pläne genauso hoffnungslos und erstorben, wie seine uralten Ruinen?

Mit welch tiefer Freude hatten wir doch die ersten Erdwesen begrüßt – nach Jahrtausenden, in denen wir schon fast jede Hoffnung aufgegeben hatten, es könnte außer uns noch andere denkende Wesen zwischen den Sternen geben! Und hatten wir nicht die gleiche Freude in den Gedanken jener Erdwesen mit ihren seltsam steifen Stockgliedern, ihrem schwankenden Gang (welche Mühe sie haben mußten, sich überhaupt aufrecht zu halten!) und ihren auf der einen Kopfhälfte zusammengedrängten Sinnesorganen; die Ryl mit ihrem glatten, gedrungenen Kegelleib, ihren biegsamen fünf Armen und ihrem Kopfstern: Beide hatten wir den Raum zwischen den Sternen überwunden – beide in der Hoffnung, eines Tages Brüder jenseits dieser Sterne zu finden!

Aber wir hatten ja nicht geahnt, daß wir zugleich mit diesen Brüdern auch jene gräßlichen, seelenlosen Maschinen finden würden, von denen mir jetzt wieder eine gegenübersaß…

„… ist uns Ihre Einstellung zu uns bei aller Verständnisbereitschaft nach wie vor unerklärlich!“ dröhnte der Lautsprecher der R 4141 aus seinem stumpfschimmernden Metallschädel. „Bei allen Menschen herrscht Einigkeit darüber, daß ein Roboter der gegebene Verhandlungspartner in einer so diffizilen Situation ist: Er darf – das ist das erste Grundgesetz der Robotik – weder einen Menschen angreifen, noch irgend etwas zulassen, was ihm schädlich sein könnte; also wird er die Interessen der Menschheit in jeder Beziehung zu wahren wissen. Er muß – das ist das zweite Grundgesetz – jeden von Menschen gegebenen Befehl ausführen, der nicht dem ersten Grundgesetz widerspricht; also wird er den Standpunkt der Menschheit ohne jede Verfälschung darlegen. Und erst zum dritten ist er gehalten, seine eigene Existenz zu schützen; ohne auch nur im entferntesten andeuten zu wollen, daß die Ryl irgendwelche feindseligen Absichten haben könnten, ist das schließlich eine unabdingbare Voraussetzung für jeden Botschafter in einem fremden Gebiet.

Berücksichtigen Sie ferner noch das unbedingt logische, nicht durch irgendwelche Gefühlsregungen getrübte Denken des positronischen Gehirns, so können Sie sich doch keinen geeigneteren Verhandlungspartner wünschen!“

Ich sog die trockene Luft des Wüstenplaneten in meine Atemröhre; noch immer machte es mir Schwierigkeiten, auf diese Art die merkwürdigen Luftschwingungen zu erzeugen, durch die sich die Erdwesen verständigten.

„Gerade diese drei Grundgesetze machen aber einen Roboter für uns Ryl als Verhandlungspartner untragbar!“ wiederholte ich zum hundertsten Male. „Es ist eindeutig, daß die positronischen Gehirne ausschließlich darauf ausgerichtet sind, die Interessen der Menschen und nur der Menschen zu wahren: Ein Roboter darf keinen Menschen zu Schaden kommen lassen – wohl aber einen Ryl; ein Roboter muß jeden Befehl eines Menschen befolgen -aber nicht den Befehl eines Ryl. Damit bleibt für uns nur noch eine Maschine übrig, die mechanisch ihre eigene Existenz schützt und uns genauso wichtig nimmt, wie eine Fliege oder ein unbelebtes Stück Holz!

Wir müssen darauf bestehen, mit dem Weltkoordinator persönlich zu verhandeln!“

R 4141 gab seiner blechernen Stimme einen verletzten Beiklang. „Wir haben ausdrückliche Befehle, jeden Ryl genau wie einen Menschen zu behandeln und zu achten!“

„Das ist eine Behauptung, deren Wahrheit wir nicht prüfen können – ein Ryl kann wohl die Gedanken eines Menschen lesen, nicht aber die eines Roboters!“

„Und – ohne damit die geringste Unterstellung ausdrücken zu wollen – deshalb wäre eben ein Mensch ein Verhandlungspartner, gegenüber dem ein Ryl beachtlich im Vorteil wäre!“ R 4141 machte eine kurze Pause, dann dröhnte er mit erhöhter Lautstärke: „Wenn die Ryl immer Menschen als Verhandlungspartner fordern, dann könnte das wirklich zu der Vermutung führen, daß nicht eine allgemeine Kritik an den Grundgesetzen der Robotik, sondern der Wunsch nach diesem Vorteil der eigentliche Grund für sie ist, den Beginn der Verhandlungen immer wieder zu verzögern!“

„Und wenn die Roboter unseren Wunsch, mit dem Weltkoordinator selbst zu verhandeln, immer wieder ablehnen – “ gab ich zurück, „dann könnte das wirklich zu der Vermutung führen, daß der Weltkoordinator irgendwelche Gedanken hegt, die wir Ryl nicht erfahren sollen!“

Meine Atemröhre schmerzte von der trockenen Luft und der ungewohnten Anstrengung – diesem sinnlosen Sprechen, das jetzt schon viele Tage dauerte. Die Worte wechselten ein wenig, und es wechselten auch die Wege, auf denen wir jedesmal auf den Ausgangspunkt zurückkehrten – aber vorwärts kamen wir nie. Ich konnte nicht mit einer Maschine verhandeln, die technisch durchaus fähig war, in diesem Augenblick die Vernichtung aller Ryl zu planen, ohne daß ich es auch nur ahnte – und diese Maschine konnte aus irgendeinem Grunde nicht zulassen, daß ich die Gedanken des Weltkoordinators las. Es war wie im Endstadium jenes Schachspiels der Erdwesen, wenn sich immer die gleichen Züge wiederholen, ohne daß ein Spieler einen Vorteil davon hat: Fruchtlos und eintönig.

Nur einen Vorteil hatte ich: Während die Maschine immer wieder mechanisch die gleichen Argumente vorbringen mußte, konnte ich einmal damit aufhören. Und das tat ich jetzt.

R 4141 erhob sich schwerfällig. „Haben Sie noch irgendwelche Wünsche?“ fragte er höflich.

Ich wehrte ab. Ich wollte nachdenken – nachdenken, ob es nicht doch einen Ausweg aus der Sackgasse gab, in die unsere Verhandlungen geraten waren, noch ehe sie richtig begannen.

R 4141 schob sich schwerfällig von dannen. Die anderen Ryl der Delegation glitten auch davon – ich spürte die Wellen der Erleichterung darüber, daß die ermüdende Konferenz für heute beendet war. Sie konnten sich jetzt erholen – ich fing den Gedanken auf, daß sie sich zusammen mit ein paar Erdwesen aufmachen wollten, um eine Fahrt zu den uralten Ruinen draußen in der Wüste zu machen. Es war so schade: Sie verstanden sich so gut miteinander, die Erdwesen und meine Ryl – trotz aller Verschiedenheiten; und wären nur nicht diese gräßlichen unerforschlichen Maschinen mit ihren stumpfen Metallgesichtern und ihren undurchdringlichen Metallgehirnen gewesen – hätte ich nur einmal dem Weltkoordinator genauso gegenüberstehen können, wie ihnen – vielleicht wären dann all unsere Sorgen schon längst vorüber…

Warum entzog sich dieser Mensch nur jedem direkten Kontakt? War es wirklich nur die Sorge, die Ryl könnten irgendeinen Vorteil aus ihren telepathischen Fähigkeiten ziehen? Oder hatte er nicht doch etwas zu verbergen – ein Geheimnis, einen Verrat? Das seltsame war ja, daß er hier auf diesem Planeten weilte – daß er die zermürbende Fruchtlosigkeit der Verhandlungen mit seinen Robotern aus nächster Nähe erlebte, ohne einzugreifen!

Dort drüben – in dem schlanken Raumschiff der Erdwesen – hielt er sich verborgen; und drei massige Roboter hielten am Fuß des Schiffes Wache, damit niemand zu ihm gelangte. Es waren immer die gleichen Roboter – anscheinend eine spezielle Leibwache.

Aber waren es diesmal wirklich die gleichen? Der eine sah doch fast aus wie R4141! Ich glitt näher. Tatsächlich – das war R 4141 und jetzt fiel mir auch wieder ein, was ich im Vorbeigleiten in den Gedanken eines Erdtechnikers entdeckt hatte: daß heute nachmittag irgendeine der üblichen Überholungsprüfungen angesetzt war – eine Überholungsprüfung für Roboter.

Anscheinend hatte man den einen von ihnen zu dieser Prüfung beordert – und R 4141 hatte einspringen müssen. Aber war R 4141 ein Wachroboter? Eben hatte er mir doch versichert, seine Befehle zwängen ihn, einem Ryl genauso zu gehorchen, wie einem Menschen!

Unklar formte sich ein Plan in meinem Gehirn.

Die drei schweren Maschinenwesen marschierten regelmäßig im Kreis um das Raumschiff – um hundertzwanzig Grad gegeneinander versetzt. Wenn R 4141 genau an der Einstiegleiter des Schiffes war, dann befanden sich seine Kollegen ebenso exakt an Stellen hinter dem zylindrischen Körper – an Stellen, von denen aus ihre Photozellenaugen die Leiter nicht sehen konnten. Freilich war diese Leiter für Menschen bestimmt – Menschen mit langen, beweglichen Beinen – und nicht für die weiche Gleitfläche eines Ryl. Aber hatte ich nicht fünf kräftige Arme?
Allerdings – wenn ich die Höhe der Leiter abschätzte: Ich konnte unmöglich bis zur Einstiegluke gelangen, ehe einer der anderen Roboter in Sicht kam. Aber würde er dann die obere Hälfte der Leiter kontrollieren – oder das Gelände rings um das Raumschiff? Ich konnte es nicht wissen, ob R 4141 wirklich meinen Befehlen gehorchen würde. Aber schon allein das zu entdecken, war die Mühe wert…

Wieder glitt ich ein Stück näher. Der eine Roboter verschwand hinter der Biegung der zylindrischen Düsen – und von der anderen Seite kam R 4141. Jetzt! Das letzte Stück – und dann…„Heb mich hoch – so hoch es geht – das ist ein Befehl!“
Fast pfeifend kamen die Laute aus meiner Atemröhre – aber R 4141 verstand sie – und gehorchte! Ich fühlte, wie er meinen Rumpf packte und hob – immer höher – jetzt konnte ich drei Arme um die Streben der Leiter schlingen…

„Geh weiter!“

Schwerfällig schob sich R 4141 davon. Meine Arme schmerzten von dem ungewohnten Gewicht meines Körpers – die scharfen Sprossen schnitten in die weichen Fibern – aber ich zog mich höher. Nach den ersten Zügen fand ich mich schon besser zurecht: Ich hielt mich mit zwei Armen an den Sprossen fest, während ich mit den anderen beiden nach den nächsthöheren angelte, und ließ den fünften lose hängen – er hinderte mich nur. Aber jetzt kam der andere Wachroboter in Sicht…

Mit gleichmäßigen Schritten bog er um die Rundung – sein metallener Schädel drehte sich nach allen Seiten – aber nicht nach oben! Er marschierte gradewegs unter mir vorbei, ohne mich zu bemerken! Jeder im Lager hätte mich sehen können – aber es schien ja kaum jemand da zu sein: Fast alle hatten sich dem Ausflug zu den Ruinen angeschlossen!

Wieder zog ich mich höher — da hielt ich plötzlich inne: Fremde Gedankenströme trafen mein Gehirn. Natürlich – daran hätte ich denken müssen: die Einstiegluke hatte innen noch einen menschlichen Wächter! Aber dann spürte ich, daß ich ungewöhnliches Glück hatte: denn der Gedankenstrom, den ich auffing, lautete etwa:

„So was Dummes – ???? vergessen – jetzt den ganzen Nachmittag ohne ???? – ach was, kann ich noch rasch holen – sowieso Unsinn, das Wachestehen hier: die Roboter passen ja auf! „

Ich konnte nicht herausbekommen, was das Erdwesen vergessen hatte – irgendeine Art klebriger Materie, die man in den Mund steckte, aber nicht aß – doch ich konnte spüren, wie es sich entfernte – und wie es sich vergewisserte, daß es niemand auf seinem Weg sah – und so sah auch mich niemand, als ich durch die Einstiegsluke glitt.

Obwohl ich noch nie in dem Erdenschiff gewesen war, kannte ich sein Inneres gut genug – aus den Gedanken der Erdwesen, die in ihm zu tun hatten: der Robot- und Nachrichtentechniker. Ich kannte den Weg zu den Räumen des Weltkoordinators, und ich wußte sogar, wie er aussah – freilich nur so, wie er sich den Augen der Erdwesen dargeboten hatte, aus deren Erinnerungen ich schöpfte: Für die fünf Kugelaugen eines Ryl sah das alles erheblich anders aus. Doch als Mitglied der Kontaktdelegation war ich darin geschult, die Bilder zu übersetzen…

So stand ich endlich – ermattet, aber ohne jeden störenden Zwischenfall – vor der Tür zu den Räumen des Weltkoordinators.

Jetzt, da ich das langersehnte Ziel erreicht hatte, überfielen mich schwere Zweifel. Was ich getan hatte war zweifellos ein Bruch all unserer Vereinbarungen; ich wußte zwar, daß ich nur ein friedliches Gespräch suchte – aber die Erdwesen konnten meine Gedanken ja nicht lesen. Man konnte genauso gut glauben, ich hätte die Absicht, zu spionieren oder gar den Koordinator tätlich anzugreifen! Und was das – in der ohnehin gespannten Lage bedeuten konnte…

Geräusche jenseits der Tür ließen erkennen, daß der Koordinator in seinem Raum war – aber warum spürte ich seine Gedanken-Ströme nicht? Ich spannte meine Aufmerksamkeit voll an, als sich die Tür öffnete…

„Nun – das ist ein unerwarteter Gast!“ Die Stimme klang voll und angenehm – aber ich verstand die Worte fast nicht vor fassungsloser Verblüffung: jetzt hätte ich doch Gedanken aufnehmen müssen – Überraschung, Sinneseindrücke, vielleicht sogar Beunruhigung; aber ich empfing nichts – nichts!

Die Augen des hochgewachsenen Koordinators musterten mich von oben bis unten. „Gondor Ryan, vermute ich? Sie sind der Sprecher Ihrer Delegation, nicht wahr?“

Ich versuchte zu antworten, aber es gelang mir nicht, Laute zu formen. In meinem Hirn jagten sich die Gedanken: Gab es unter den Erdwesen auch Nichttelepathen? Das schien fast unmöglich -die Fähigkeit der Telepathie beruht auf Eigenschaften des Denkprozesses, die untrennbar mit jedem überhaupt lebenden Gehirn verbunden sind. Oder – hatten die Erdwesen einen telepathischen Schirm entdeckt – ähnlich der goldenen Maske des Schweigens, die unsere Hohen Priester, die Richter und die Prüfer der hohen Schulen benutzen durften? Aber warum dann die stete Weigerung der Erdwesen, mit uns direkt zu verhandeln – unter Hinweis auf die Vorteile, die uns die Telepathie bringen würde?

„Ich würde gern sagen, daß ich mich über Ihren Besuch freue – “ fuhr der Koordinator fort, „aber ich kann es nicht. Ich weiß nicht, wie Sie hierher gelangt sind – aber bald werden Sie verstehen, warum ich gerade das jetzt schon Wochen hindurch zu verhindern suchte; und ich kann nur hoffen, daß…“

Plötzlich nahm ich Gedanken wahr – aber es waren nicht die des Koordinators, sondern die eines anderen Wesens, das den Raum betreten hatte. Jetzt sah es mich – und eine Flut wirrer, erschrockener Gedanken wirbelte durch sein Hirn…
Und jetzt verstand ich. Jetzt verstand ich alles – das Vorschicken der Roboter – die ewige Verzögerung der Verhandlungen – die Unerreichbarkeit des Koordinators – und die Ausweglosigkeit unserer ganzen Situation. Und ich verstand auch, daß es für diese beiden – den Koordinator und das Erdwesen Marc, das die anderen für seinen Sohn hielten – nur eine Konsequenz geben konnte: Daß Gondor Ryan, der Sprecher der Ryl, dieses Schiff nicht mehr lebend verlassen durfte.

Eigentlich hätte ich es schon vor Minuten erkennen müssen – die Erklärung, weshalb ich keine Gedanken des Koordinators auffing, war mir doch so vertraut: Ein Ryl kann zwar in einem menschlichen Gehirn lesen, aber nicht in einem – positronischen…

Ja – der Koordinator war, trotz seines menschlich erscheinenden Körpers, trotz seiner tiefen, angenehmen Stimme, trotz seines Ranges und seiner Würde, kein Mensch – sondern ein Roboter. Das war das Geheimnis, das, wie ich aus den Gedanken des Erdwesens Marc las, selbst die wenigsten Menschen kannten.
Eigentlich war es – vom Standpunkt der Erdenwesen aus gesehen – nur konsequent. R 4141 war nicht müde geworden, mir die Vorzüge einer robotischen Politik zu preisen: Leidenschaftslos und logisch – schneller und sicherer reagierend als jedes lebende Gehirn – und unausweichlich an die Gesetze gebunden, die jeden einzelnen Menschen unverletzlich machten: So war das positronische Gehirn die ideale „Regierungsmaschine“. Und ein solches Gehirn in einem nach außen hin menschlichen Körper zu verbergen, war sicherlich ein geschickter Schachzug gegenüber Menschen, die sich einer Maschine nicht so freiwillig unterworfen hätten…

Aber gerade diese kristallklare Konsequenz und Logik ließ mich verzweifelt erkennen, wie aussichtslos die Lage für uns Ryl war: Wenn selbst der Weltkoordinator, die oberste Macht im Reiche der Erdwesen – ein Roboter war, ein Roboter, dem nur Menschen unverletzlich waren, aber keine anderen Wesen, dann wurde unsere alte Sorge zur unausweichlichen, niederschmetternden Gewißheit.

Ich spürte in den Gedanken des Erdwesens Marc den Wunsch nach Vernichtung. Gedämpft durch Mitgefühl und die Überzeugung, daß ich ein unschuldiges Opfer sein würde, gewiß – aber angefacht durch die Überlegung: Jetzt ist es erst ein Ryl, der das Geheimnis kennt – aber wenn er es weitergibt, dann schwindet jede Aussicht, sich mit den Ryl noch zu verständigen! Besser ein Opfer – als einen Kampf der beiden Rassen, der Hunderttausende von Opfern fordern kann! Und – diese Überlegung war richtig…

„Nichts Vorschnelles, Marc!“ Mit hartem Griff packte die Hand des Koordinators – Stahl und Leichtmetall unter weicher Plastik-Muskulatur – den Arm des Erdwesens, der schon eine Strahlpistole gehoben hatte. „Zu einer solchen Konsequenz ist es immer noch früh genug!“

Und diese Worte gaben mir neue Kraft. Ich war nicht so hilflos, wie die beiden glaubten! Es ist richtig, daß unsere telepathischen Fähigkeiten normalerweise daran gebunden sind, daß wir dem Partner gegenüberstehen – aber in Todesgefahr, in äußerster Anspannung kann der geübte Ryl seine Brüder auch über weite Entfernungen erreichen.

Ich hörte nicht mehr, was die beiden sprachen – ich konzentrierte meine ganze Energie darauf, den Kontakt mit meinen Freunden aufzunehmen, die zu den alten Ruinen gefahren waren – ich spannte unwillkürlich die Fibern meiner Arme an, als könne ich sie herbeiziehen – spürte, wie alle Energie in mir nach innen floß – wie sich das Bild der Kabine vor meinen Augen verwischte – Dunkel – Leere –
Und dann auf einmal, wie ein schwerer, unerwarteter Schlag, fluteten die Empfindungen über mich herein: Schmerz!!! Zerreißendes Gewebe – zuckende Arme – sickernder Körpersaft -und Angst, höchste Todesangst: nicht jene fast nüchterne, kühle Überlegung, die mich eben davon überzeugt hatte, daß meine Chancen, das Raumschiff lebend zu verlassen, gering seien – sondern irre, kreisende, tierische Angst vor der Vernichtung – vor reißenden, schneidenden Klauen, die den Leib zerfetzen!

„Was fehlt Ihnen, Gondor Ryan?“ drang wie von fern die Stimme des Koordinators zu mir. „Beruhigen Sie sich – Ihnen droht keine Gefahr! Wir werden einen Weg finden, die Situation zu klären – einen anderen Weg, als ihn der temperamentvolle Marc gehen wollte!“

Ich tauchte wie aus einem tiefen Schacht wieder auf – langsam gewannen die Umrisse der Kabine um mich her wieder Gestalt; und ich zwang mich, endlich wieder verständliche Laute zu formen:

„Nicht – ich – die anderen, die Ryl bei den Ruinen – ein Unglück – sie sind tot – oder sterben „

„Sie – Sie sind gekommen, um Hilfe zu holen?“

„Nein – ich – habe gespürt – Fernkontakt – ein Ungeheuer mit tausend Klauen – zerreißt sie – “ Mir kam zum Bewußtsein, daß all das diesem Roboter ja gleichgültig sein mußte; für ihn waren wir Ryl ja nichts anderes als irgendwelche seltsamen Tiere.

„Auch die Menschen – dort – in Gefahr!“ fügte ich hinzu. Gespürt hatte ich davon nichts – aber es war schließlich mehr als wahrscheinlich; ich konnte mir nicht vorstellen, daß die Menschen ein solches Untier herbeigeschafft und auf meine Brüder gehetzt haben sollten – sie waren wohl alle zusammen Opfer dieses unfaßbaren Angriffs.

„Marc – ein Boot!“ hörte ich den Koordinator noch sagen -dann sank ich in tiefes Dunkel zurück.

Der Ort des Unglücks lag ein gutes Stück weit entfernt – irgendwo in der Wüste, im Schatten jener uralten Ruinen, deren Zweck wir heute kaum mehr ahnen konnten.

Und es schien so, als seien diese Ruinen selbst die Ursache der Katastrophe gewesen: Denn es war der Turm, der die Ruinenstätte weithin kenntlich gemacht hatte, unter dessen Trümmern jetzt die leblosen Körper der Ryl und der Menschen begraben lagen, die diese unglückselige Fahrt unternommen hatten. Er mußte – warum, konnten wir uns nicht erklären – eingestürzt sein, gerade als sich die Gruppe an seinem Fuß aufhielt.

Aber so schrecklich der Anblick der zerschmetterten Leiber war – ich hätte gewünscht, wir hätten weiter nichts gefunden. Aber hier – zwischen Trümmern und Leichen – stießen wir auf das Schrecklichste: Einen Anblick, der – wie ich aus den Gedanken des Erdwesens Marc spürte – gleich grausig für Menschen wie für Ryl war.

Das Ungeheuer war fast so lang wie drei Erdwesen. Sein stumpfbrauner Leib bog und wand sich unter zahllosen Schuppenringen – und seine vielfach gegliederten Beine zuckten in einer unfaßbaren Vielfalt von Bewegungen: Hier gruben sich seine scharfen Klauen in den noch zuckenden Körper eines sterbenden Ryl – dort hoben sie den zerschmetterten Schädel eines Menschen und ließen ihn wieder fallen – da zerrten sie einen nur Verletzten unter den Trümmern hervor – es war ein Anblick, bei dem mich eine unwiderstehliche Übelkeit schüttelte.

Dem Erdwesen Ralph ging es nicht viel besser – und ich mußte zu meinem eigenen Grauen noch das seine mitspüren. Doch das unausweichliche Gesetz trieb den Weltkoordinator – den Roboter – vorwärts: Er mußte versuchen, die Menschen, die dort unter den Klauen des Untieres zuckten, zu schützen. Er sprang aus dem Boot und lief auf die Unglücksstätte zu – doch ein wuchtiger Schlag mit dem Schwanz des Untieres (oder war es das Kopfende? Beide sahen gleich aus!) schleuderte ihn meterweit zurück.

Marc hob schnell seine Strahlpistole. Der bläuliche Schein schoß in einem vernichtenden Kegel auf das Untier zu – zischend zergingen Steine und Sand um den braunen Leib: aber das Wesen blieb unverletzt. Fassungslos ließ der Erdmensch den Strahl immer wieder auf das Ungeheuer los – aber es schien gegen die Energie gefeit!

Ich spürte, wie ihn das Entsetzen zu übermannen drohte – doch da geschah etwas Unerwartetes. Irgendwo im Unterbewußtsein hatte ich schon von Anfang an gespürt, daß noch andere Wesen in der Nähe sein mußten – jetzt tauchte plötzlich hinter der zerfallenen Wand einer Ruine das Boot auf, mit dem die Gesellschaft gestartet war. Erleichtert spürte ich die Gedankenströme meiner Brüder – und der Menschen, die sie begleiteten.

Wir hatten das Ausmaß des Unheils überschätzt: Es konnte nur eine kleine Gruppe gewesen sein, die hier unter den Trümmern des Turms begraben lag – die meisten befanden sich dort im Boot und eilten zur Hilfe herbei. Aber konnten sie Hilfe bringen – gegen diesen unverletzlichen Gegner?

Doch unsere Überraschungen waren noch nicht zu Ende. Kaum war das Ungeheuer der Kommenden ansichtig geworden, als es von seinen Opfern abließ. Nur den Verletzten schoben seine Klauen noch ein Stück weiter – dann wandte sich der riesige Leib zur Flucht. Oder wollte es die Ankömmlinge angreifen?
Von unserem entfernten Standpunkt aus sah es fast aus wie ein seltsamer Beschwörungstanz: Die Menschen und Ryl des Bootes formten eine Reihe, gegen die sich das Untier wandte – und wieder zurückwich. Bläuliche Strahlen umflirrten es – aber die Strahlpistolen verletzten es nicht; doch Schritt für Schritt drängte es die Kette der Angreifer gegen die Mauer zurück. Ein wuchtiger Schlag mit einem Spaten zerspaltete fast das eine Ende des Leibes – und das Ungeheuer wehrte sich nicht – es wich aus – und es schien geradezu Angst zu haben?

„Schnell! Die Gitter!“ Der Koordinator hatte sich aus dem Sand wieder aufgerappelt – und während wir noch versuchten, zu verstehen, was eigentlich vorging, hatte sein blitzschnell arbeitendes positronisches Gehirn schon einen Angriffsplan gefaßt: Die Explorationsboote – oft auf fremden Planeten mit gefährlichen Bewohnern eingesetzt – hatten als Standardausrüstung auch einen Vorrat biegsamer Tronium-Gitter: Leicht wie Aluminium, aber hart wie das Metall einer Raumschiffhülle. Während die anderen das Untier mit Schlägen und Hieben in Schach hielten, rollten einige der Menschen die Gitter aus – und in Minuten war das fremde Wesen von einem dreifachen Wall umgeben, der an der Ruinenwand verankert war. Mit geschwächter Energie arbeitende Strahlpistolen schmolzen den Sand unter den Klauenbeinen des Untiers zu einer einzigen glitzernden Quarzplatte zusammen und nahmen ihm den letzten Ausweg.

„Zumindest eine neuartige Kombination: Hat keine Angst vor Strahlpistolen – wohl aber vor Knüppelschlägen!“ sagte nun Marc schweratmend.

„Und greift offenbar nur wehrlose Gegner an – eine Art Aasfresser!“ ergänzte der Weltkoordinator. „Ein wenig sympathisches Tierchen!“

„Sofern“, fügte er nachdenklich hinzu, „das nicht nur eine Art Kriegslist ist!“ Er beobachtete das Unwesen scharf. Es lag still – nur seine unzähligen Klauenbeine zuckten hin und wieder. Doch jetzt richtete es plötzlich das eine Ende seines Leibes auf – stützte sich, wie um Halt zu gewinnen, mit dem äußersten Beinpaar auf den Boden und begann mit den anderen, erhobenen Beinen seltsame Bewegungen über dem Boden zu machen.

„Was soll das bloß?“ fragte Marc mißtrauisch.

Wir Ryl hatten den Menschen wenig helfen können. Auch die Gedanken, die ich mit meinen Brüdern austauschte, brachten keine rechte Klärung: Sie hatten die verunglückte Gruppe – einen Ryl und zwei Menschen – wohl zwischen den Ruinen verschwinden sehen, waren dann in weiter Ferne durch den Einsturz des Turmes alarmiert worden und herbeigeeilt – aber was eigentlich geschehen war, wußten auch sie nicht. Und die Verunglückten waren nicht in der Lage, es uns zu schildern – zwei waren tot, der übriggebliebene Mensch schwer verletzt.

Aber die Aufklärung sollte uns von einer einigermaßen unerwarteten Seite kommen. Der Koordinator hatte das Wesen und sein seltsames Treiben nicht aus den Augen gelassen und sagte plötzlich:

„Marc! Gondor Ryan! Seht her – ich glaube, das Biest zeichnet etwas auf den Boden!“

Tatsächlich. Fasziniert starrten wir auf die vielgliedrigen Arme, die in die glattgebrannte Quarzfläche jenseits des Gitters jetzt Linien kratzten – mit Klauen, die schärfer sein mußten als Quarz! – und diese Linien zu Bildern formten. Fast zehn Arme arbeiteten zu gleicher Zeit an diesem Bild – und endlich waren sie fertig: Mit der Präzision eines technischen Konstruktionsplanes zeigten sie uns ein Bild, das wir wiedererkannten – die Szene des Unglücks!

Das war der hohe Turm – das die langgestreckte Mauer – und davor, in ihren Umrissen deutlich erkennbar, waren zwei menschliche Gestalten und die Kegelform eines Ryl gezeichnet.

„Unfaßbar!“ murmelte Marc. „Mit zehn Armen zugleich ein solches Bild zu zeichnen – und auch noch so, daß es für das Biest auf dem Kopf steht – das ist doch unglaublich!“

„Sieh genauer hin!“ warf der Koordinator ein. „Der eine Mensch hält eine Strahlpistole – und diese Linien sollen bedeuten, daß er schießt: auf den Fuß des Turmes!“

Das Wesen machte mit seinen Armbeinen eine seltsame Geste -dann schob es sich weiter und begann auf einem noch unberührten Fleck eine neue Zeichnung.
„Es meint, der Schuß hat die Basis des Turmes getroffen, dort die Materie aufgelöst, und dadurch ist der Bau eingestürzt!“ sagte Marc atemlos.

Eine dritte Zeichnung entstand: Zwischen angedeuteten Trümmern lagen die Leiber der Menschen und des Ryl – und nun setzte das Wesen seinen eigenen gewundenen Leib dazwischen: Mit ein paar Beinpaaren die Körper anhebend und Trümmer beiseite schiebend.

„Ist das wirklich möglich? Es ist erst nachträglich dazugekommen – und hat nur versucht, den Verunglückten zu helfen?“ fragte Marc zweifelnd.
„Das ist seine Darstellung des Vorganges! Gondor Ryan hat etwas anderes dazu zu sagen, nicht wahr?“ sagte der Koordinator kühl. „Können Sie die Gedanken dieses Wesens lesen?“ fuhr er zu mir gewandt fort. „Diese Geschichte vom barmherzigen Samariter paßt kaum zu dem Eindruck von reißenden Klauen, den Sie empfangen haben, als das Unglück geschah!“

Ich hob bedauernd die Arme. „Ich empfange nichts. Ich kann nicht beurteilen, ob dieses Wesen überhaupt denkt – geschweige denn, was. Ich weiß nur, daß es seine Klauen in den Leib des toten Ryl geschlagen haben muß, als er noch lebte – ob, um ihm zu helfen, oder um ihn vollends zu töten, das kann ich nicht entscheiden!“
Der Koordinator nickte langsam. „Die ganze Sache ist sehr unklar. Wir wissen nicht, warum der Mensch geschossen hat – wir wissen nicht, woher dieses Wesen überhaupt kommt – wir wissen nicht, was es vorhatte. Nur eines wissen wir: daß es keineswegs irgendein harmloses Tier ist, sondern zumindest so intelligent wie wir – und unverletzlich für Strahlpistolen!“

Er wandte sich ab. „Gondor Ryan, ich halte es für gut, wenn wir“, er stockte, „wenn wir unser Problem zurückstellen, bis wir mit diesem Wesen da im reinen sind. Es könnte sein, daß es für uns alle gefährlicher ist, als sich Ryl und Menschen und Roboter je werden können!“

Ich neigte meinen Kopfstern – eine Geste, die auch bei uns Zustimmung bedeutet. „Ich werde meinen Brüdern das Geheimnis nicht mitteilen – jetzt, inmitten der vielen Menschen, wird es ihnen nicht auffallen, daß sie die Gedanken des Koordinators nicht empfangen können. Und ich glaube, wir dürfen sie jetzt nicht beunruhigen!“

„Vater“, unterbrach uns Marc, der hinzugetreten war, „der Verwundete! Er scheint zu sich zu kommen – kann aber nicht sprechen. Vielleicht können die Ryl…?“

„Ein guter Einfall!“ erwiderte ich. „Ich will versuchen, was ich aus seinen Gedanken erfahren kann!“

Ich glitt an die Seite des Verletzten. Einer der Menschen hatte seinen Kopf – der aus mehreren Wunden blutete – in den Schoß genommen und war dabei, ihn zu verbinden. Die anderen, die im Kreis um ihn herumstanden, machten mir eifrig Platz, als sie von meiner Absicht erfuhren.

Es war schwer, zwischen den immer wieder aufbrandenden Wellen des Schmerzes die Gedankenströme der Erinnerung zu erfassen. Aber allmählich formte sich vor mir das Bild der Vorgänge:

„Sie wollten – jagen. Diese kleinen Wüstentiere, die hier zwischen den Ruinen hausten. Sie hatten sich von den anderen getrennt. Der andere Mensch hatte gerade eines der Tiere geschossen – nicht mit einer Strahlpistole, mit einer altmodischen Kugelbüchse – da tauchte das Untier auf – irgendwoher aus den Ruinen!“

Ich hielt inne. Wenn ich in die Gedanken des anderen eindrang, mußte ich auch all seine Schmerzen mitspüren…

„Ehe er es noch begriffen hatte, packte das Untier mit seinen Klauenbeinen das Gewehr und wollte es ihm entreißen. Dabei löste sich ein zweiter Schuß – er traf unglücklich den Ryl, der in der Richtung stand. Und gleich darauf stürzte sich auch das Untier auf den Ryl und bohrte seine Klauen in seinen Leib…

Der Verwundete hob seine Strahlpistole, um das Untier anzugreifen. Aber der Strahl schadete ihm nichts – er traf nur die Mauer des Turmes. Und die löste sich auf – der Turm stürzte ein, und seine Trümmer begruben alle drei unter sich…”
Atemlos gespannt hatten die anderen gelauscht.

„Das sieht verdammt anders aus als die Bildergeschichte, die uns das Vieh erzählen wollte“, knurrte Marc.

Ich neigte meinen Kopfstern. „Bedenken Sie auch, daß das Tier den Koordinator angegriffen hat, als er dem Verwundeten zu Hilfe eilen wollte!“

“Es ist ein wahres Wunder, daß ihm nicht mehr geschehen ist!” stimmte der Arzt der Erdmenschen zu. “Auch unser Freund hier”, er wies auf den Verwundeten, “hat mehr Glück als Verstand gehabt – bloß einen glatten Schenkelbruch und oberflächliche Verletzungen – ich will nur der Vorsicht halber seine Wunden noch desinfizieren – “

„Vorsicht! – Das Tier! – Die Gitter!“

Wir fuhren auf. Mit einem wütenden Ruck hatte sich das Ungeheuer gegen die Tronium-Gitter geworfen. Scharfe Klauenzangen packten die Stäbe, bogen sie und zerbrachen sie – der lange, braune Leib wand sich und schoß durch die Öffnung!

„Zum Boot!“

Ein starker Arm packte mich und riß mich mit. Rings um uns stoben Ryl und Menschen auseinander, während sich das Untier auf den Verwundeten stürzte, der allein hilflos zurückgeblieben war. Es war wahrhaftig nicht Feigheit, daß ihn die Erdwesen zurückließen – sie hätten ihn aus den Klauen des Untiers herausreißen müssen, denn es hatte sich zielsicher über ihn geworfen.

„Verdammt!“ knirschte Marc, als wir das Boot sicher erreicht hatten. „Also war alles nur eine List, um uns in Sicherheit zu wiegen!“

„Es ist unverständlich“, sagte der Koordinator leise. „Dieses Wesen ist intelligent genug, uns diese Zeichnung zu zeigen – und dann wiederum so sinnlos wütend, daß es die Gitterstäbe zerbricht und uns deutlich zeigt, worauf es eigentlich aus ist. Ich kann List und Heimtücke verstehen – und auch ungezähmte Freß- oder Angriffslust – aber dieses Gemisch von beidem?”

„Und dann“, fuhr er fort, „noch so ein Widerspruch: Es widersteht Strahlwaffen und kann Troniumstäbe zerreißen – aber es flieht vor einem Menschen, der es mit dem Spaten angreift! Ich verstehe dieses Wesen nicht!“

Er versank in nachdenkliches Schweigen.

„Chef“, knurrte einer der Erdmenschen, die mit uns Zuflucht im Boot gesucht hatten, „mich interessieren psychologische Studien über dieses Vieh wirklich nicht, solange der arme Kerl da draußen unter seinen Klauen liegt! Will ihm denn keiner helfen?“

„Der einzige Weg, ihm zu helfen, ist, herauszubekommen, was das Wesen eigentlich will! wies ihn der Koordinator zurecht. „Soll ich etwa mit einer Strahlpistole schießen? Das schadet dem Verwundeten mehr als dem Untier!“

Er hatte recht – er mußte recht haben; denn hätte es einen anderen Weg gegeben, so hätte er ihn – als Roboter – wählen müssen. Ich ahnte, daß sich in seinem positronischen Gehirn jetzt die Ströme jagten, um eine Lösung zu finden.
Aber ich ertrug es nicht länger, diesem Schauspiel zuzusehen: ein rötlicher biegsamer Rüssel war irgendwo aus dem Leib des Untiers hervorgekommen und wühlte in den Wunden des Verletzten – ich hatte selbst die Schmerzen des sterbenden Ryl gespürt – und jetzt schlugen die Wellen der Angst des Verwundeten zu mir herüber …

„Gondor Ryan!“ rief der Koordinator. „Bleiben Sie stehen!“

Ich hörte nicht auf ihn. Ich hatte mich über die Wandung des Bootes geschwungen und glitt jetzt über die Sandfläche auf das Untier zu. Mich schüttelte das Grauen bei dem Gedanken an seine reißenden Klauen – aber die würgende Angst, die aus den Gedanken des Verletzten zu mir drang, seine verzweifelten, stummen Hilferufe zogen mich genauso stark und unwiderstehlich an, als sei ich ein Roboter, den das Gesetz zwang, ihm zu Hilfe zu eilen.

Jetzt hatte ich ihn erreicht. Dicht vor mir lag der Leib des Untieres – dort zuckten die Klauenbeine, und der Rüssel tupfte ruhelos an den Wundrändern. Ich schob einen meiner Arme vor und suchte ihn wegzureißen, aber schon schoben sich andere gegliederte Beine dazwischen – und nun packten sie mich plötzlich, hoben mich – schon glaubte ich, die scharfen Klauen in meinem Leib zu fühlen…

… aber ich fühlte nichts. Es war geradezu ein betäubender Schock: Anstatt des wilden Schmerzes, auf den ich gefaßt war, fühlte ich mich nur sanft emporgetragen; die scharfen Messerklauen waren eingezogen und die starken braunen Beine verursachten mir weniger Schmerz als vor ein paar Stunden die kantigen Leiterholme des Erdschiffes!

Sorgfältig, fast liebevoll setzten mich die seltsamen Greifer wieder in den Sand und zogen sich gestikulierend zurück, als wollten sie sich für ihr Vorgehen entschuldigen.

Aber die Angst des Verwundeten trieb mich wieder vorwärts. Hinten – im Boot – schrieen die Menschen etwas Unverständliches. Unklare Gedankenfetzen der Ryl drangen zu mir. Aber sie alle wurden übertönt durch den Schreck des Verwundeten. Aber plötzlich ließ dieses wilde Drängen nach – die Gedanken wurden schlaff. Stirbt er jetzt, fragte ich mich. Aber schon schoben sich andere Gedanken nach vorn – und so unfaßbar es mir erschien: Der Verwundete – träumte! Er schlief!

Der braune Leib des fremden Wesens bäumte sich auf. Der rote Rüssel verschwand – die Klauenbeine lösten sich – es war, das spürte ich, im Begriff, zurückzuweichen; doch da traf mich plötzlich mit voller Stärke ein warnender Gedankenschrei:

„Vorsicht, Gondor Ryan!“

Und mit gräßlicher Klarheit drang aus dem Hirn eines anderen Ryl ein Bild auf mich ein: Einer der Erdmenschen im zweiten Boot hatte die Nerven verloren. Er hob, allen Erfahrungen zum Trotz, seine Strahlpistole, um auf das Wesen zu schießen – und ich stand genau in der Linie des Strahls!

Ich spürte noch, wie der Ryl den Arm des Erdmenschen abzulenken suchte. Aber es war zu spät. Ich sah, wie der bläuliche Kegel auf mich zuschoß! Das Wesen bäumte sich hoch auf. Dann hörte ich ein dumpfes Zischen. Ungeheure Hitze hüllte mich ein – und zum zweiten Mal an diesem Tag verlor ich das Bewußtsein.


„Dem Himmel sei Dank, Gondor Ryan!“

Ich blickte in die Augen eines Erdmenschen, der über mich gebeugt war. Ich las seine Gedanken: Scham und eine tiefe Erleichterung. Es war der Mann, der den unglückseligen Schuß abgegeben hatte.

„Ich – ich konnte es einfach nicht mit ansehen, wie das Vieh…“ stammelte er. Ich neigte begütigend meinen Kopfstern und legte einen meiner Arme auf den seinen.
„Ich verstehe – es wäre mir vielleicht genauso gegangen“, beruhigte ich ihn. „Aber – wieso…!“

Wieso lebe ich noch? wollte ich fragen. Ich kannte die Strahlwaffen der Erdmenschen. Nichts konnte in ihrem Kegel bestehen, wenn nicht Tronium-Metall oder…

„Was ist mit dem – Wesen?“ fragte ich stattdessen.

„Das hat es erwischt!“ sagte der Erdmensch mit tiefer Befriedigung. „Dieser Strahl war offenbar mehr, als es aushalten konnte!“

Ich richtete mich auf. Irgendwo auf dem Sand in meiner Nähe lag der verkrümmte Körper des Wesens, das uns alle vor wenigen Minuten noch mit solchem Grauen erfüllt hatte – halbverbrannt und leblos. Ein paar Menschen und Ryl schienen den Körper gerade näher zu untersuchen.

Der Koordinator war näher getreten, Marc an seiner Seite.

„Gondor Ryan – wir Menschen werden es nicht vergessen, daß ein Ryl es war, der als einziger gegen dieses – Ungeheuer anzugehen wagte“, sagte Marc leise. „Und ich wollte noch vor ein paar Stunden…“

Wieder spürte ich eine Welle von Scham aus seinen Gedanken zu mir herüberschlagen. Es war mir unangenehm. Schließlich hatte ich kaum überlegt, als ich aus dem Boot gesprungen war…

Aber irgend etwas stimmte doch bei der ganzen Sache nicht! Es war doch unmöglich, daß ein Ryl sich für einen Menschen einsetzte, während ein Roboter untätig dabeistand? Wo blieb da das erste Grundgesetz? Ich hatte das Gefühl, daß ich alle Vorgänge noch immer nicht recht verstand. Ein Schuß tötete das unverletzliche Ungeheuer, aber ich blieb verschont. Ein Verwundeter fiel aus Todesangst in friedlichen Schlummer – ein Roboter vergaß seine Pflicht – Widersprüche über Widersprüche!

„Chef!“ Ein aufgeregter Ruf ließ den Koordinator auffahren. Einer der Männer, die das leblose Wesen untersucht hatten, hielt gestikulierend etwas in die Höhe, was er aus dem verkrümmten Rumpf gezogen hatte. „Chef! Kabel und Spulen!“
Wenige Augenblicke später standen wir um den halbverkohlten Körper und starrten auf das, was die vernichtenden Strahlen der Waffe freigelegt hatten: Nicht Knochen oder Muskeln – unzählige, regelmäßig angeordnete Leitungen und Spulen, Kondensatoren und Transistoren füllten den Rumpf aus.

„Dieses – dieses verdammte Biest war ein Roboter!“ rief Marc fassungslos.
Der Koordinator nickte.

„Ich vermutete es schon seit einiger Zeit – jetzt wissen wir es sicher. Und ich möchte dich bitten, vorsichtig mit Ausdrücken, wie ,das verdammte Biest‘, zu sein – ich fürchte, sie passen besser auf uns alle, als auf dieses Wesen!“

Der Koordinator schwieg eine Weile nachdenklich. Dann fuhr er sich mit einer seltsam menschlichen Geste über die Augen und begann leise:

„Marc, wie lauten die drei Grundgesetze der Robotik?“

„Erstens: Ein Roboter darf kein menschliches Wesen angreifen oder zu Schaden kommen lassen“, sagte Marc langsam. „Zweitens: Ein Roboter muß jeden Befehl eines Menschen befolgen – sofern er nicht dem ersten Grundgesetz widerspricht. Und drittens: Ein Roboter muß seine eigene Existenz schützen, solange es nicht dem ersten oder zweiten Grundgesetz widerspricht.“ Er sah den Koordinator fragend an.

„Ja, Marc, das sind die drei Grundgesetze, wie sie die Menschen formuliert haben. Und nun stell dir eine andere Rasse vor, eine Rasse, die in vielem weit erfahrener und weiser war, als die Menschen – eine Rasse, die wohl wußte, daß sie nicht allein im Weltall lebte. Kannst du vermuten, wie ihre Grundgesetze für ihre Roboter gelautet haben?“

Der Koordinator machte eine Pause. Er sah mich einen Augenblick lang scharf an, dann fuhr er fort:

„Ja, für sie hieß das erste Grundgesetz: Kein Roboter darf ein lebendes Wesen, gleichviel welcher Art, angreifen oder zu Schaden kommen lassen. Und dieses ‘Ungeheuer‘ hat nichts weiter getan, als jenes Gesetz befolgt.

Jahrtausende, Jahrzehntausende, mag es hier irgendwo in den Ruinen gelegen haben. Und dann kamen wir. Und was taten wir? Wir gingen auf die Jagd! Das ist ja ein Vergnügen für uns, die Herren der Schöpfung, irgendein anderes Wesen totzuschießen – nur um uns zu beweisen, wie geschickt wir sind! Und damit setzten wir den uralten Mechanismus wieder in Gang: Der Roboter mußte dem Menschen die Mordwaffe, das Gewehr, abnehmen, damit er nicht noch mehr Unheil damit stiftete!

Hätte er sie ihm kampflos überlassen – alles wäre gut gewesen. Aber er widerstrebte – und der zweite Schuß löste sich. Er traf den Ryl – und damit mußte sich der fremde Roboter dem zweiten Verletzten zuwenden: Nicht, um ihn anzugreifen – nein, um ihm Hilfe zu bringen! Mit seinen ‚Klauen‘ – in Wirklichkeit feinsten chirurgischen Instrumenten – wollte er die Kugel aus dem Körper des Ryl entfernen. Aber das können wir nicht verstehen – wir müssen immer und immer das Schlimmste annehmen: Und deshalb stürzt sich der dritte mit der Strahlpistole auf den Helfer.

Der Roboter wehrt sich nicht – aber er absorbiert die Energie des Strahls ohne Schaden. Er ist nach dem dritten Grundgesetz gut dazu ausgerüstet, seine eigene Existenz zu schützen. Aber auch er kann nicht verhindern, daß jetzt der alte morsche Turm – seiner Fundamente beraubt – zusammenbricht und die Opfer unter sich begräbt.

Gleich nach dem Unglück bemüht er sich, zu retten, was noch zu retten bleibt – und wie wird ihm das gedankt? Wir erscheinen und schießen wieder mit Strahlpistolen herum!

Ich selbst störe ihn mitten in dem diffizilen Geschäft, die gebrochenen Knochen wieder zu richten – natürlich schiebt er mich weg!“

Die anderen schienen das ohne Kommentar hinzunehmen – nur in Marcs Gedanken spürte ich ein leises Lächeln: Der Koordinator war ja ein Roboter – und ihn konnte das Wesen ruhig angreifen: denn nur Leben war ihm heilig! Aber es war besser, wenn das ungesagt blieb.

„Und jetzt kommt eine ganze Horde lebender Wesen und gibt dem Roboter unmißverständlich zu verstehen, daß er sich fortscheren soll! Seine Aufgabe ist beendet – der Verwundete ist versorgt – also will er sich zurückziehen. Aber das lassen wir auch wieder nicht zu – wir sperren ihn ein und bedrohen ihn weiter.
Jetzt versucht er, sich mit uns zu verständigen – ohne Sprache allerdings, mit Hilfe einer Bilderschrift, die jedes intelligente Wesen verstehen muß, will er uns klarmachen, was geschehen ist. Aber wir glauben ihm nicht. Wir sind so voll Mißtrauen gesogen bis obenhin, daß wir jede Unklarheit in seinen Mitteilungen zu seinen Ungunsten auslegen!“

„Aber warum bricht er wieder aus dem Käfig aus?“ fragte einer der Männer erregt. „Niemand war da bedroht, dem er zu Hilfe eilen mußte!“

Der Koordinator lächelte.

„O doch – wenn wir Herren der Schöpfung es auch nicht bemerkt haben: Es war Leben bedroht!

Was sagten Sie doch, Doktor, als das ‘Ungeheuer‘ plötzlich aus seinem Käfig ausbrach? ,Ich muß nur noch die Wunde desinfizieren!‘ Und was heißt desinfizieren? Töten heißt es – unzählige Keime töten!“

Der Arzt fuhr auf. „Aber das ist doch…“

„Das ist für uns selbstverständlich, aber ich vermute, daß er mit seinem rötlichen Rüssel ein Lockmittel darbot, das die Bakterien aus dem Körper des Verletzten wieder auswandern ließ – ohne sie selbst zu schädigen. Sie sollten das Problem untersuchen!“

Der Koordinator wandte sich wieder zu mir. „Und nun kommen wir zum Ende der Geschichte. Der Roboter hat den Verwundeten in heilenden Schlaf versenkt – er hat einen neuen Störenfried, unseren Gondor Ryan, sorgfältig beiseite geschoben – jetzt könnte er sich endlich zurückziehen. Aber da hebt jemand die Strahlpistole – und diesmal ist es nicht nur der unverletzliche Roboter, der im Energiekegel steht, sondern auch ein lebendes Wesen. Und wieder greift das erste Grundgesetz ein: Vor die Wahl gestellt, sich selbst zu schützen – oder Gondor Ryan – muß sich der Roboter opfern.

Er verschiebt seinen Energieschirm so, daß er den Ryl vor dem sengenden Strahl bewahrt – aber dafür ist er selbst ohne Schutz. Und so bleibt ihm nur die Vernichtung – im Dienst des Lebens, das für ihn heilig ist…“

Der Koordinator schwieg, und wir alle standen stumm neben der verbrannten Hülle. Schließlich sagte einer der Männer mit einem unsicheren Lachen:
„Chef – Sie sprechen von dieser Maschine, als sei sie ein Märtyrer gewesen!“
Marc sah ihn scharf an.

„Nein – kein Märtyrer, aber ein Sündenbock. Sie kennen doch die Geschichte vom Sündenbock? Sie steht im Alten Testament: Einmal im Jahr – heißt es da – wählten sich die Kinder Israels zwei Böcke; der eine wurde dem Gott Jahwe geopfert – den anderen aber beluden sie mit allen ihren Sünden und jagten ihn in die Wüste hinaus, ins Reich des Dämons Azazel -.damit er sie trage‘, heißt es in einem Kommentar.

Haben wir alle – Menschen und Ryl – nicht das gleiche getan? War es nicht unser aller Mißtrauen gegeneinander, das Mißtrauen gegen Leben und Denken in anderer Form als der gewohnten, das wir auf dieses Wesen übertragen haben? Waren es nicht unsere eigenen Fehler, unsere ‘Sünden‘, die wir ihm angedichtet haben – Heimtücke, Betrug, Blutgier, Feigheit, der Wille, andere zu vernichten, nur weil sie anders sind, und die Angst, vernichtet zu werden, nur weil man anders ist?
Azazel – die Wüste – haben wir diesen Planeten genannt; und auf Azazel, den Sündenbock, haben wir unsere Sünden abgewälzt. Aber – haben wir sie auch mit Azazel vernichtet?“

Er wandte sich ab und ging in die Wüste hinaus. Der Koordinator sah ihm nach.
„Gondor Ryan“, sagte er leise, „wir waren einig, als wir glaubten, Azazel vernichten zu müssen. Können wir nicht auch einig sein, wenn es darum geht, seinem Vorbild, dem Vorbild seiner Erbauer, zu folgen – ein Band zu knüpfen, das alles Leben im Universum einigt?“ Ich neigte meinen Kopfstern.

„Koordinator“, erwiderte ich leise, „nicht umsonst hat wohl der Rat unserer Priester gerade diesen Planeten als Ort für unser Treffen ausgewählt. Unsere Priester sind weise – weiser, glaube ich heute, als der Hohe Rat unserer weltlichen Herrscher; und ich begreife jetzt, warum sie mir ein Angebinde mit auf den Weg gaben, dessen Sinn ich damals nicht verstand.

Morgen früh werde ich dem Erdmenschen Marc die Goldene Maske des Schweigens geben – die Maske, die seine Gedanken vor mir verhüllt.
Denn ich fürchte, wir Ryl, die wir Gedanken lesen können, haben dabei etwas sehr Wertvolles verlernt: dem anderen zu vertrauen, auch ohne sein Inneres zu kennen.

Und die Erdwesen haben sich Roboter gebaut, deren Gedanken sich auf genau vorgeschriebenen Bahnen bewegen müssen – und sie haben dabei auch etwas sehr Wichtiges verlernt: daß es nämlich Dinge gibt, die sich nicht in Gesetzen und Mechanismen einfangen lassen.

Vertrauen, Koordinator, ist stets ein Wagnis – und das wird es auch bleiben. Ein Roboter darf nichts wagen – er muß am Leitseil seiner Regeln einhergehen; und deshalb, Koordinator, müssen wir Ryl mit dem Wagnis des Vertrauens beginnen…“

Luzifer

Eine Meditation

Sprecher: lm Anfang war nicht Himmel noch Erde, nicht Licht noch Dunkel, nicht Raum noch Zeit. IM ANFANG WAR DAS WORT…

(Akkord)
Stimme: Gelobt sei der HERR!
Chor: Gelobt sei der HERR!
Stimme: Gelobt sei SEIN Wort!
Chor: Gelobt sei SEIN Wort!
Stimme: .Gelobt sei SEIN Plan!
Chor; Gelobt sei SEIN Plan!
Stimme: Gelobt sei der HERR – in Ewigkeit!
Chor: Gelobt sei der HERR – in Ewigkeit!
(Akkord verklingt)

Stimme: Luzifer – Du bist noch hier?
Stimme: Ja, Herr. Ich – habe Dir etwas vorzutragen.
Stimme: Eine Bitte?
Stimme: Eine – Möglichkeit. Eine neue Möglichkeit.
Stimme: Eine neue Möglichkeit – ?
Stimme: Ja, Herr. Du erinnerst Dich an das mathematische Universum, das Du damals geschaffen hast?
Stimme: Ich erinnere mich.
Stimme: Ich war dort. Lange Zeit war ich dort. Und – ich habe dort etwas gefunden.
Stimme: Etwas, was wir nicht schon im Voraus wußten, als wir es schufen?
Stimme: Ja – oder vielmehr, nein. Es ist schwer zu erklären.
Stimme: Versuch’ es.
Stimme: Es ist – so: In diesem Universum liegt eine Möglichkeit für etwas, was eines Tages einmal sein könnte. Ich meine – die Gesetze dafür liegen dort; nicht das – Etwas selbst.
Stimme: Was ist das für ein Etwas?
Stimme. Ich nenne es Materie. Es müßte den gleichen Gesetzen gehorchen wie eine Welle, aber auch denen, wie ein Körper – es müßte sich über den ganzen Raum erstrecken, und dennoch nur einen Teil davon erfüllen, es müßte i n einem Raum sein und zugleich dieser Raum selbst – es ist sehr schwer zu erklären. Du würdest es sehen, wenn Du selbst dort wärst.
Stimme: Woher weißt Du, daß ich es nicht schon gesehen habe?
Stimme: Herr – Du verwirrst mich. Wenn Du eine Möglichkeit denkst, dann ist sie Wirklichkeit.
Stimme: Kann ich denn alle Möglichkeiten zugleich denken?
Stimme: Herr – Du verwirrst mich!
Stimme: K a n n ich a l l e Möglichkeiten zugleich denken?
Kann ich etwas als existierend denken, und zugleich als nicht existierend? Kann ich etwas als Welle denken und zugleich als Punkt?
Stimme: Herr, Du hast einen Plan!
Stimme: Luzifer – der Plan hat mich. Ja, der Plan hat mich !
Stimme: Herr – !
Stimme: Höre mich, Luzifer. Du bist der Nächste meinem Geist – Du bist der, der mich verstehen wird. Ich schaffe, indem ich denke. Und indem ich denke, denke ich nach einem Gesetz, das dem Denken innewohnt. Und deshalb schaffe ich auch nach einem Gesetz.
Stimme: Aber nach einem Gesetz, das Du selbst geschaffen hast!
Stimme: Und das mich nun bindet. Und wenn ich auch in jedem Augenblick tausend neue Gesetze schaffen würde, so wären sie doch alle da – und ich müßte mich nach einem von ihnen richten – oder wieder ein neues schaffen, nach dem ich mich dann richten müßte. Und all’ die anderen tausend Gesetze wären damit hinfällig.
Stimme: Das ist ein altes Problem. Wir haben es durch die getrennten Universen gelöst. In jedem gilt eines der Gesetze – oder eine Gruppe von ihnen.
Stimme: Und gilt unbedingt und unverbrüchlich. Und es fällt kein Sperling vom Dach und kein Haar vom Kopf ohne meinen Willen!
Stimme:. Was sind “Sperlinge”, und was sind “Haare”?
Stimme: Möglichkeiten, die in Deiner – Materie – liegen.
Stimme: So hast Du die Materie in Deinen Plan bereits aufgenommen?
Stimme: Luzifer – wenn Du mich liebst, dann schweige von meinem Plan.
Diese Pläne sind ebensoviele Sackgassen.
Stimme: Herr – !
Stimme: Diese Pläne sind unfruchtbar. Ich kann so viele davon denken oder schaffen, wie ich will – jedesmal liegt alles, was nach ihnen geschehen kann, jede winzige Episode, bereits im Plan. Es ist ein reines Rechenkunststück, die Konsequenzen aus den Voraussetzungen herauszuholen. Dazu brauche ich nichts zu schaffen, was außer mir ist.
Stimme: Aber diese Universen sind schön. Sie sind – gewaltig. Sie sind – sie loben ihren Schöpfer.
Stimme: Weil sie müssen, Luzifer! Weil sie müssen! Weil ich den Gedanken, mich zu loben, bereits in sie hineingepackt habe! Sie sind nicht mehr als tausend Masken, die ich mir aufsetze, um mich im Spiegel zu betrachten. Sie sind genauso wenig Schöpfungen, wie Masken Geschöpfe sind. Oder anders gesagt: Meine Geschöpfe sind Masken. Puppen, die so tanzen wie ich es ihnen vorschreibe. Luzifer – ich schäme mich.
Stimme: Vor wem?
Stimme. Vor mir selbst. Und deshalb vor mir selbst, weil ich in diesem Kosmos nichts finde, wovor sich ein Gott sonst schämen könnte!
Stimme: Ist es denn die Aufgabe eines Gottes, sich zu schämen, Herr?
Stimme: Luzifer – es ist die Aufgabe eines Gottes, eine W e l t zu schaffen – aber nicht ein Marionettentheater. Eine Welt – verstehst Du! Eine Welt a u ß e r mir – die nicht entstehen könnte, wenn nicht ich sie schaffe – und die dennoch, wenn sie geschaffen ist, ein Eigenes ist. Etwas, das mir gleicht, nicht, weil es ein Schatten von mir ist – sondern weil es ein
Gegenstück zu mir ist. Etwas, das mich nicht lieben m u ß , aber das mich lieben k a n n – etwas, das mich loben k a n n, aber das mich. nicht loben m u ß !
Stimme: Herr – ich beginne das Problem zu sehen. Darf ich darüber nachdenken?
Stimme: . Luzifer – ich verlange mehr von Dir. Ich verlange es nicht – ich bitte Dich darum.
Stimme: Gott bittet?
Stimme: Ja. Denn das, worum ich Dich bitte, ist das Schwerste, um das je gebeten worden ist,
Stimme: Herr – ich werde Deine Bitte erfüllen, was es auch sei.
Stimme: Würdest Du das mathematische Universum vernichten, wenn ich Dich darum bitte?
Stimme: Herr! (Pause) Aber -ich würde es tun.
Stimme: Würdest Du Dich auch selbst vernichten» wenn ich Dich darum bitte?
Stimme: Ja, Herr!
Stimme: Würdest Du m i c h vernichten, wenn ich Dich darum bitte?
Stimme: Herr, das ist nicht Dein Ernst!
Stimme: Wenn es mein Ernst wäre, würdest Du es dann tun?
Stimme: Würdest Du mir erklären, warum ich Dich vernichten sollte?
Stimme: Du hast recht. lch kann nicht zugleich Auflehnung und blinden Gehorsam verlangen. Es ist das alte Problem der Gegensätze. Hör zu, Luzifer: Der Fehler meiner Schöpfung ist, daß es nur einen Schöpfer gibt – nur ein Wort, das gilt – nur einen Plan, der alles beherrscht.
Stimme: Wenn ich Dich vernichten würde, wäre damit nichts geholfen.
Dann wäre i c h allein.
Stimme: Du hast recht. Wir müssen beide an dieser Schöpfung mittun
– aber nicht miteinander, sondern gegeneinander.
Stimme: Gegeneinander?
Stimme: Gegeneinander. Immer, wenn ich einen Plan habe, mußt Du einen Plan für das Gegenteil schaffen – wenn ich etwas schaffe, mußt Du es vernichten – wenn ich etwas kühl mache, mußt Du es erhitzen – wenn ich etwas ordne, mußt Du es verwirren.
Stimme: Herr, das kann ich nicht!
Stimme: Doch – Luzifer – Du kannst es. Du als einziger von allen. Du kennst mich wie keiner sonst von ihnen – Du allein kannst meine Pläne durchkreuzen; Du allein kannst Gedanken fassen, die genau so stark sind wie meine – Du allein kannst Welten schaffen, die nicht aus meinen Gedanken stammen – und DU ALLEIN BIST STARK GENUG, GENAU SO EINSAM ZU SEIN WIE ICH.
Stimme: Herr – ich weiß, ich habe mich oft vermessen. Ich sehe es jetzt. Du hast mich geprüft, und Du hast mir meinen Fehler gezeigt. Strafe mich, mach’ mich zum untersten Deiner Diener – aber beende jetzt die Prüfung.
Stimme: Luzifer – das ist keine Prüfung. Es ist mein Ernst.
Stimme: Herr, das kannst Du nicht wollen. Dein Plan ist vollkommen. Ich kann ihn nicht stören.
Stimme: Mein Plan ist nicht vollkommen. Deine Störung kann ihn vollkommener machen.
Stimme: Oder unvollkommener.
Stimme; Glaubst Du das?
Stimme: Nein – oder ja – ach Herr, Du quälst mich!
Stimme: Ich quäle Dich nicht mehr als mich selbst.
Stimme: Warum quälst Du uns beide?
Stimme: Nicht ich quäle – ich werde gequält. Wenn ich Dir sage, daß Du meine Qual lindern kannst, würdest Du es dann tun?
Stimme: Ja, Herr!
Stimme: Dann tu’, worum ich Dich bitte: Geh und verlaß’ mich, bekämpfe mich, vernichte mich, wenn Du es kannst – bau’ ein Universum auf, das mich verhöhnt, eines, das mich besudelt, eines, das mich gar nicht kennt – tu’ immer das andere, das Gegenteil, sei immer der Anwalt der anderen Möglichkeit – und erlöse mich so von der Qual, all das selbst zu wollen und nicht zu können!
Stimme: Und wenn ich siegen sollte?
Stimme: Keiner von uns wird siegen. Keiner von uns wird unterliegen. Siegen wird ein drittes.
Stimme: Ein drittes?
Stimme: Unsere Schöpfung, deren Diener wir beide sind.
Stimme: Und ich dürfte Dir nie mehr nahe sein? Nie mehr zu Dir sprechen? Nie mehr Deinen Worten lauschen? Dich nie mehr lieben?
Stimme: Wir werden uns sehen. Wir werden miteinander sprechen. Und – ich werde Dich immer lieben, Luzifer. Am meisten, wenn Du mich am schwersten triffst.
Stimme: Und ich? Kann ich Dich denn lieben, wenn ich Dich vernichten soll?
Stimme: Luzifer – ich weiß es nicht. Vielleicht wirst Du lernen, mich zu hassen, vielleicht wirst Du lernen, mich trotz alledem zu lieben. Es ist das größte Experiment, das je gewagt wurde – frag’ mich nicht nach dem Ausgang. Luzifer?
Stimme: Ja, Herr?
Stimme: Luzifer – willst Du tun, worum ich Dich bitte?
Stimme: Herr, wenn Du es willst, und wenn Du mich darum bittest – ich will es tun.
(Pause)
Und dies ist also das letzte Mal, daß ich Deinen Willen tue.
Stimme: (sehr leise) Luzifer – Verzeih mir – verzeih mir – – –

Anton

Anm. Jula: Das Fragment einer Geschichte in Briefen mit einem sehr besonderen Autor 😉

H e r r n

Fräulein Orchidea

Zirkus Benoni
Wagen 17

Sehr verehrter Herr Gnädiges Fräulein!

Entschuldigen Sie das ich Ihnen so schreibe aber ich weiß nicht was ich sonst machen soll weil es Ihnen vielleicht auch nicht recht ist.

Aber sehr verehrter Herr Orchidea ich finde das so prima wie Sie erst immer so tun als ob Sie eine schöne junge Dame sind und in dem goldenen Kleid auf dem Seil rumtanzen und dann der Klaun kommt und ist ganz verliebt in Sie und Sie verkohlen ihn immer. Und wenn Sie dann plötzlich die Perrücke runternehmen und aus dem schicken Kleid rausflutschen und als Mann in der Badehose dastehen und der Klaun vor Schreck in die dicke Pauke purzelt!

da hab ich beim erstenmal auch so einen richtigen Schreck gekriegt aber so komisch schön wie wenn der Aufzug im Kaufhaus plötzlich das runterfahren anfängt weil ich ja keine Ahnung hatte das sowas erlaubt ist aber jetzt hab ich das das schon 3 Mal angekuckt und finde das immer schöner und freue mich schon richtig auf die dummen Gesichter von den ganzen Leuten die auch alle gedacht haben Sie waren eine richtige Dame!

Verehrter Herr Orchidea ich bin jetzt 12 und alle sagen immer ich bin gar kein richtiger Junge aber natürlich auch kein Mädchen und ich wußte gar nicht was ich machen soll! Aber jetzt weiß ich wenn ich groß bin möchte ich auch sowas machen wie Sie nur vielleicht nicht auf dem Seil rumtanzen weil ich im turnen immer eine 5 habe sondern blos am Boden. Und nun hätte ich die GROßE BITTE ab Sie mir sagen könnten wie man das macht wenn man eine falsche Frau werden will?
Vielleicht habe Sie ja gar keine zeit und lust aber wenn Sie die Freundlichkeit haben täten dann können Sie mir vielleicht nachher ein zeichenmachen nähmlich wenn Sie die Leiter raufsteigen dann auf der Mitte so eine Kusshand werfen wie Sie das sonst erst auf dem Seil machen wenn Sie meinen Brief bekommen haben?
Dann täte ich nämlich in der Pause rasch zu unserem Blumenladen rüberlaufen welche zwar schon zu ist weil es ja samstag ist aber ich habe einen Schlüssel und der Fräulein Elli das ist unsere Verkäuferin ihr Regenkähp was sie da immer hängenläßt umnehmen wo ich wirklich drin aussehe wie ein Mädchen wenn ich die Kaputze überhabe und am Eingang sagen ich bin die Verkäuferin und habe ein Blumenbuckeeh für Herrn Orchidea was ich persönlich abgeben soll weil sie mich sonst vielleicht nicht reinlassen als Junge meine ich!

Dann hätten Sie für Ihre Freundlichkeit gleich ein sehr schönes Buckeeh was Sie sicher auch ganz gern haben auch wenn Sie keine ganz richtige Frau sind und können auch gleich sehen das ich wirklich manchmal genau wie ein Mädchen aussehen kann aber natürlich nicht so schön wie Sie und mir vielleicht ein Paar gute Ratschläge geben?

Nun hoffe ich keine Fehlbitte getan zu haben und verbleibe mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebener

Anton Anders

P.S. Ich kann schon gans gut auf der Maschiene tippen
aber nur erst mit 2 Fingern und denke vielleicht
kann ich später als Sekräterin gehen weil die oft
so hübsche Kleider anhaben im Kino meine ich und
auch nicht zu heiraten brauchen was ja für mich
schwierig wäre trotzdem sie das im Kino immer tun?

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KENNWORT “ORCHIDEA”

Sehr verehrtre Herr Orchidea !

Zunächst will ich mich auf diesem Wege nocheinmal höflichst bedanken das Sie mir die Ehre gaben und mich so freundlich empfangen haben und auch noch in dem schönen goldenen Kleid wo Sie so wunderschön drin aussehen!
Und das Sie mir soviel gute Ratschläge gegeben haben und auch die schöne Sachen wo ich mich noch gar nicht genug bedankt dafür habe weil ich auch so baff war!

Besonders die Perrücke wo Sie mir geschenkt haben setze ich jetzt immer wieder heimlich auf wenn ich mal allein vor einen Spiegel kann und sie ist gar nicht so alt wie Sie gemeint haben sondern noch äußerst schön und sehe ich damit beinah aus wie eine richtige junge Dame besonders wenn ich mir die Lippen rotgemacht habe mit Erdbeerzucker weil ich Angst habe wenn ich den Lippenstift von meiner Stiefschwester nehmen täte das sie das merkt aber mit dem Stöpsel von dem Erdbeerzuckerrörchen geht das auch sehr gut und ich komme mir dann richtig schön vor wenn natürlich auch nicht so schön wie Sie auf Ihren Bildern welche ich immer mit großer Bewunderung betrachte!

Auch die Bilder in dem Heft sind sehr schön auch wenn sie nur gemalt sind und sehr leerreich besonders die von dem Dicken Mann und der Falschen Krankenschwester wo ich sehr viel daraus gelernt habe besonders am Anfang wo der junge Mann sich als Krankenschwester anzieht und dann muß ich immer sehr lachen wie verliebt der Dicke Mann in ihn ist nur das ich da manches noch nicht so richtig verstehe zum Beispiel wieso sagt er zu ihm “wollen wir französisch?” und dann reden sie doch weiter deutsch? Und warum will die Krankenschwester ich meine der junge Mann der sich so angezogen hat den Dicken Mann dann in seinen Pillermann beißen was dem doch glaube ich wehtun täte?

Sehr verehrter Herr Orchidea vielleicht können Sie mir das irgendwann mal alles erklären damit ich weiß was man als falsche Frau so alles machen muß aber es ist natürlich sehr schwierig weil Sie mir ja nicht zurückschreiben können!

Vielleicht wenn es mal sehr wichtig sein sollte könnten Sie ein Heft von der Zeitschrift “Junge und Sport” kaufen die mir mein Stiefvater immer mit der Post kommen läßt und da was zwischen 2 Seiten legen und die zusammenkleben und dann einfach einen Streifen Papier drumwickeln wie Zeitschriften so mit der Post kommen und meinen Namen draufschreiben dann denkt jeder es ist bloß wieder die dofe Sportzeitung und kuckt nicht weiter rein. Wenn Sie sich der Mühe unterziehen wollen.

Nun muß ich für heute schließen weil jemand kommt und verbleibe mit nochmaliger herzlicher Danksagung und vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebener

Anton Anders

P.S. Bitte betellen Sie auch viele Grüße an Ihren Freund
den Klaun der auch so nett zu mir war und sagen Sie
ihm wie ich mich freue das Sie sich privat so gut mit
ihm verstehen weil es mir ja doch immer leidgetan hat
wenn er von dem Seil vor Schreck in die Pauke fiel!

Der Obige

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E I L T !

Sehr verehrter Herr Orchidea,

jetzt schreibe ich Ihnen und bitte Sie SEHR HERZLICH mir schnell einen Rat zu schicken (Sie wissen ja mit der Zeitung “Junge und Sport”!) Weil nämlich es ist etwas passiert und ich weiß nicht was ich machen soll!

Das kam so zum Wochenende waren alle verreist und ich ganz allein zuhause und da bin ich in meiner Stiefschwester ihr Zimmer gegangen und habe gedacht ich ziehe mich mal so richtig als Mädchen an und das war auch richtig schön mit den ganzen glatten kunstseidenen Sachen unter dem Kleid und Strümpfen wo alles einen so richtig bei jedem Schritt am ganzen Leib streichelte und dann hatte ich mir wie in dem Heft zwei richtig dicke Luftballons voll Wasser in den BH gesteckt und die schwabbelten bei jedem Schritt in den hohen Hacken richtig so wie bei Fräulein Elli wenn die schnell läuft und dann hatte ich mir noch die Lippen richtig mit Stift rotgemalt und lauter Puder auf die Backen und dazu die schöne Perrücke von Ihnen aufgesetzt und da kam ich mir so schön vor das ich plötzlich noch meiner Stiefschwester ihren karrierten Regenmantel angezogen habe und bin heimlich spatzieren gegangen!

Und dann bin ich erst auch bloß mit ganz kleinen Schritten richtig wien Mädchen die Straße langgegangen von unserer Wohnung bis um die Ecke und wie ich gesehen habe das da um die Zeit gar keiner mehr auf der Straße ist habe ich Mut gekriegt und bin immer weitergegangen bis in die Nähe von unserem Blumenladen. Nun war da auch so ein Geschäft mit lauter Korsetten und Bhs wo ich sowieso immer furchbar gern mal alles in Ruhe angekuckt hätte aber nie stehenbleiben konnte weil die Leute das komisch gefunden hätten bei einem Jungen aber jetzt war ich ja ein Mädchen!

Und dann war da im Schaufenster von dem Geschäft als Rückseite so ein großer Spiegel wo ich nicht nur die ganzen schönen Sachen sehen konnte sondern dazwischen auch mich als richtig schicke junge Dame im Regenmantel mit so richtigen runden Fräuleinstutteln und da hab ich natürlich so alle möglichen Stellungen ausprobiert und wie ich auch mal die Hände in die Taschen von dem Mantel gesteckt habe war da eine Packung von der Lilo ihren Zigaretten drin und auch Streichhölzer.

Da hab ich mir gedacht die könnte ich eigentlich jetzt anzünden weil ich da auch schon immer mal probieren wollte und man es auf der Straße auch nicht riecht aber weil es windig war bin ich noch ein bißchen weitergegangen bin an den Hausgang wos hinten zu unserem Laden geht. Aber wie ich da mit dem Streichholz rumfummele und endlich froh bin das ich die Zigarette anhabe kucke ich hoch und da steht da ein Mann und kuckt mich die ganze Zeit an und sagt plötzlich “Na Frolleinchen wie wärs denn mit uns beiden?” !!!

Nun war der viel größer als ich und roch auch noch nach Bier und Schnaps und da habe ich furchtbar Angst gekriegt der brüllt noch die ganze Straße zusammen bis Leute kommen oder vielleicht sogar die Polizei und habe ihn erstmal ganz freundlich angelächelt damit er nicht merkt welche Angst ich habe und habe dann ganz laut Pssst! gemacht damit er erstmal still war und weil Pssst auch das einzige war was ich mich sagen traute weil man dabei sicher nicht merken konnte das ich gar kein Frolleinchen war!

Dann hat er auch gleich viel leiser weitergeredet er wüßte schon Bescheid aber ich wäre gerade so das richtige für ihn heute abend und wofür ich es denn täte? Da hab ich erst richtig gemerkt das der nicht bloß dachte ich wäre ein Mädchen sondern auch noch eine von denen die irgendwas mit Männern für Geld tun wo ich natürlich schon davon gehört hatte auch wenn ich das eigentlich nicht hören sollte aber ich wußte eigentlich nie genau was!

Und natürlich hab ich mich noch immer nicht getraut was zu sagen weil ich dachte der merkt an der Stimme das bei mir was verkehrt ist und trotzdem ich furchtbare Angst hatte war ich auf einmal auch noch so ganz komisch aufgeregt wie bei Ihnen im Zirkus wo der Klaun auch ganz verliebt in Sie war weil er dachte Sie sind ein schöne Dame und sowas dachte der Mann ja jetzt auch von mir – und da habe ich plötzlich meinen schicken runde Busen so richtig rausgereckt und den Kopf in den Nacken geschmissen und ihn von untenrauf unter den Augenliedern angekuckt als wenn ich wirklich furchtbar verliebt in ihn wäre wie Sie das bei dem Klaun gemacht haben und hab den Mund so halb aufgemacht wie die falsche Krankenschwester in dem Heft von Ihnen.

Warum ich das gemacht habe weiß ich eigentlich auch nicht aber sicher war es verkehrt denn der hätte mir beinahe nen Kuß gegeben wenn ich nicht rasch nen Schritt zurückgegangen wäre aber das half auch nichts denn er kam mir gleich hinterher und nun konnte ich aus dem engen Flur überhaupt nicht mehr raus!
Da hab ich verzweifelten Mut gekriegt und ganz leise geraunt ich tus aber nur französisch weil ich dacht da kriegt er Angst das ich ihn in seinen Pillermann beiße aber das war scheinbar auch verkehrt denn jetzt kam er erst recht und wollte wissen für wieviel und da hab ich nochmal geraunt 50 Mark weil ich dachte das ist bestimmt jedem zuviel dafür das man ihn beißt aber entweder war er so betrunken oder ich hab da was falsch verstanden jedenfalls fummelte er gleich in seiner Tasche rum und gab mir doch wahrhaftig nen richtigen 50-Markschein!
Nun wußte ich garnicht mehr was ich machen sollte und dachte nur erstmal von de Straße weg da uns nicht noch Leute sehen und da hab ich die Tür von dem Flur aufgeschlossen wo ich den Schlüssel davon in die Handtasche von der Lilo gesteckt hatte und ihn mit in den Flur gezogen wos seitwärts zu unserem Laden geht und hinten auf den Hof aber wie ich da den Lichtschalter angemacht habe da stand er doch schon und hatte seine Hosen heruntergelassen und sein Pillermann war ganz riesig steif und dick wie ich das überhaupt noch nie gesehen hatte außer in den Bildern in dem Heft von Ihnen und kuckte ihm so richtig aus dem Schlitz von seiner Unterhose raus!

Da hab ich erst ehrlich gedacht wenn er nun partut 50 Mark dafür geben will da ich ihn da reinbeiße dann tu ichs und hab mich auch richtig so wien Mädchen das was aufheben will vor ihm in die Hocke runtergelassen und schon den Mund aufgemacht – aber dann roch dem sein Ding so scheußlich nach altem Hering das ich einen richtigen Ekel bekommen habe und da ist mir plötzlich eingefallen das er ja mit den runtergelassenen Hosen überhaupt nicht so schnell hinter mir herlaufen kann und ich bin rasch aufgesprungen und hinten zur Tür raus auf den Hof wos wieder auf die Straße geht aber eine andere und bin hastewaskannste weggerannt bis ich wiederzuhause war!

Das wär ja alles noch gar nicht so schlimm denn der hat mich bestimmt nicht mehr gesehen bis er seine Hose wiederhochhatte und alles aber als ich zuhausewar hab ich erst gemerkt das ich ja den 50-Markschein in der Lilo ihre Tasche gesteckt habe als ich den Schlüssel rausnahm und jetzt hab ich den ja richtiggehend gestohlen ?!

Sehr verehrter Herr Orchidea ich sitze hier noch immer in der Lilo ihrem Mantel und weiß nicht was ich machen soll wiedergeben kann ich die 50 Mark nicht weil ich den Mann nicht kenne und wenn ich ihn kennen täte erst recht nicht weil er sicher ne große Wut auf mich hat und bei der Polizei kann ich sie auch nicht abgeben weil ich dann erzählen müßte was ich gemacht hab was sicher nicht erlaubt ist und behalten kann ich sie auch nicht aber wegschmeißen auch wieder nicht weil sie es vielleicht dochherauskriegen und dann wäre es noch schlimmer wenn ich sie nicht mehr habe und können SIE mir einen GUTEN RAT geben was ich machen soll ???!!!

Mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr ergebener

Anton Anders

P.S. Dann hab ich auch noch in der Lilo ihre guten Strümpfe
eine Laufmasche gemacht als ich über den dunklen Hof
Gerannt bin und irgendwas komisches in ihr seidener
Unterhöschen – ob das von der ganzen Angst war ?
Aber das kann ich sicher wieder rauswaschen und die
Strümpfe tu ich einfach so in die schmutzige Wäsche
Legen dann denkt sie vielleicht sie hat selber die
Masche reingemacht wenn ich nur wüßte was ich mit den
50 Mark machen soll ?!

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E I L T N O C H M E H R!

Sehr verehrter Herr Orchidea,
bitte falls Sie mir noch nicht geschrieben haben schreiben Sie mir JA NICHT weil das könnte gefährlich sein denn es ist schon wieder was passiert !!!

Ich hatte ja schon gedacht es ist alles vorbei und der Mann hat eben seine Hose wieder hochgezogen und ist heimgegangen oder vielleicht zu einem anderen richtigen Mädchen was ihn nicht stehen läßr und darüber seine 50 Mark vergessen aber man soll zwar immer guter Hoffnung sein bloß sich dadurch nicht täuschen weil das Schicksal immer lauert!

Und nun wird es scheinbar ganz schrecklich denn die Polizei war in unserem Laden erst bei der Fräulein Elli die da immer bedient aber dann sogar bei meinem Stiefvater als der dort war und es hat mir natürlich kener gesagt was die wollte aber ich weiß schon denn der Mann hat ja gesehen wie ich die Tür zu dem Flur hinten aufgeschlossen habe und muß er der Polizei gesagt haben das das Mädchen was er ja noch immer denkt das ich war irgendwas mit dem Laden zutun gehabt haben muß und nun suchen sie da nach dem karierten Mantel welchen sie natürlich nicht gefunden haben weil ja das Fräulein Elli immer nur das Regenkähp anzieht was Sie ja auch kennen weil ich es anhatte als ich Sie besucht habe und damals war ich ja noch ganz fröhlich und habe nicht geahnt wie schrecklich alles werden würde denn als nächstes kommt die Polizei sicher in unsere Wohnung und da hängt ja nun groß und breit meiner Stiefschwester Lilo ihr karierter Mantel und sie denken natürlich das sie das gewesen wäre was schon schlimm genug ist aber wenn sie dann beweisen kann das sie an dem abend ja verreist war kommen die darauf das nur ich allein in der Wohnung war und verhaften mich dann sicher!!!

Aber eh ich die Schande über mich und die Lilo und alle bringe werd ich lieber fliehen und dabei gleich der Lilo ihren Mantel mitnehmen damit man den garnicht erst sieht und wenn ich ihn schon mitnehme am besten auch gleich anziehen und also natürlich als Mädchen gehen was ja zum Fliehen meist sicherer ist und ich ja auch am liebsten tue. Dann wissen sie zwar was ich gemacht habe wenn die ganzen Sachen wegsind aber zum Glück bin ich dann wenigstens auch weg!!!

Was ich dann mache weis ich noch nicht aber ich hab ja erst mal die 50 Mark was ja soherum auch wieder ein Glück ist und danach werd ich schon was finden! Früher konnten so Jungen die von zuhause fliehen wollten immer auf ein Schiff als blinder Passaschier und später wenn man sie fand Schiffsjungen werden aber Schiffsmädchen gibt es ja wohl nicht obwohl die Matrosen vielleicht gans gerne einen Schiffsjungen hätten der auch ein Mädchenmachen kann weil sie ja unterwegs gar keine haben? Aber bei uns gibt es ja nur Schiffe auf dem Kanal die da so Kähne langschleppen und bei denen gilt das ja alles nicht weil die einen blinden Jungen gleich am nächsten Halteplatz bei der Polizei abgeben würden und das will ich ja nun gerade vermeiden! Jedenfalls will ich auf jeden Fall erstmal aus der Stadt hier weg und in eine andere weil ich ja nun doch nicht glaube das die Polizei im ganzen Land nach Mädchen in karrierten Regenmänteln faanden wird weil es da vielzuviele gibt und es ja auch nicht immer regnet wo sie die anhaben!

Vielleicht finde ich ja irgendeine Stelle wo ich sowieso ohne Mantel arbeiten kann als Mädchen natürlich Kellnerin oder Verkäuferin oder Dienstmädchen – oder vielleicht auch mit dem Mantel nachts auf der Straße wo man ja auch gans schön Geld verdienen kann wie ich jetzt erlebt habe vielleicht klappt ja sogar der Trikk mit den runtergelassenen Hosen öfter wo ich ja nun sowieso schon dafür gesucht werde aber noch nicht in jeder Stadt?

Ich schreibe Ihnen bestimmt gleich wenn ich weiß wo ich bin aber schreiben Sie blos nicht hierher auch nicht in “Junge und Sport” weil ich auf keinen Fall möchte das Sie Unannämlichkeiten bekommen!

Mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr ergebener

Anton Anders

P.S. Wenn Sie so freundlich sein wollten und mir die Daumen
drücken wäre ich Ihnen zutiefst dankbar weil es ja doch
ein äußerst gefährliches Abendteuer ist so zu fliehen!

  • * *

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Sehr verehrter Herr Orchidea,
wenn Sie mich jetzt sehen täten täten Sie sich bestimmt sehr wundern und ich wundere mich ja eigentlich auch noch immer weil ich immer dachte das kommt nur in den Heften vor von meiner Stiefschwester wo ich immer heimlich nach ihr gelesen habe das wer mitten aus schreckichem Unheil unschuldig mitten in das Große Glück gerät aber das war so:

wie ich hier plötzlich mitten auf dem Bahnhof angekommen bin und auch noch in der Lilo ihrem karrierten Regenmantel als Mädchen wußte ich erst gar nicht was ich nun machen soll und bin da erstmal einfach auf dem Bahnsteig stehengeblieben als wenn ich nach den Zügen kucke vor der Tafel wo die da so dran-stehn und da war direckt neben mir so ein richtig feiner Herr mit einer gans eleganten Dame dabei wo er gerade zum Zug brachte weil ich das so heimlich gehört habe und es war seine Frau weil sie sagte das er jetzt allein wohl garnicht so zurechtkommen täte weil sie doch das Dienstmädchen nicht mehr hätten! Und da hab ich mir auf einmal gedacht vielleicht gebraucht er ein Dienstmädel und wie der Zug mit der Dame wegwar habe ich ihm ganz unauffällig heimlich nachgeschlichen und sogar in ein Taksi hinter ihm gestiegen welchem ich zugewiespert habe es soll immer hinherfahren was allerdings ziemlich teuer war aber ich hatte ja noch von den 50 Mark!

Und hielt er auch äußerst weit draussen vor der Stadt vor einer sehr schönen Willa und bin ich dann als er drin war auch ausgestiegen und habe enfach geklingelt. Da kam dann gans komisch seine Stimmer aus einem kleinen Lautsprecher am Pfosten und da habe ich gans listig gewiespert das ich zu der Frau Osberg wollte was der Name war der da dranstand weil die ja nun bestimmt nicht dawar und also nicht sagen konnte das es nicht stimmte weshalb er auch das Tor schnarren lies und ich kam dann an die Willentür wo er selber aufmachte und da hab ich tief Luft geholt und gans zierlich wie ein Mädchen gelißpelt das ich das neue Dienstmädchen wäre weil sie doch keins haben. Da hat er erst gekuckt aber richtig wußte er scheints auch nicht was seine Frau vielleicht gemacht hatte und sagte ich sollte erstmal reinkommen was ja schon ein ziemlich großer Erfolg war dachte ich mir!

Dann mußte ich mich hinsetzen noch immer in der Lilo ihrem karrierten Regenmantel und als ich ihm immer so fein lißpelig eine lange Geschichte erzält habe wie ihr Dienstmädchen mich seiner gnädigen Frau eventuel als Ersatz empfolen hätte hat er mich langsam immer schärfer angekuckt und mir plötzlich einen Apfel wo da auf einer Schale lag unvermuhtet in den Schoss geschmissen und das war verkehrt weil ich natürlich die Beine zusammengekniffen habe habe woran sie ja schon den Huckelbeeryfinn entdeckt haben wo er sich als Mädchen angezogen hatte weil ja Mädchen immer die Beine breit machen wenn sie was auffangen wegen dem Rock!

Da bin ich natürlich gans rot geworden und das Stottern angefangen als er mir dann auch auf dem Kopf zu gesagt hat das ich doch gar kein richtiges Mädchen wäre und ich dachte schon jetzt ist alles aus! Aber dann hat er gans liebenswert gelächelt und gesagt so schlimm wäre das nun auch wider nicht und er täte das sogar richtig interessant finden wenn sich Jungen mal wie Mädchen anziehen aber wie ich denn da drauf gekommen wäre?

Da hab ich erst überlegt ob ich ihm nochwas vorkohlen soll aber dann gedacht er ist eigentlich sehr liebenswürdig und hab ihm erzählt das ich das schon immer so gern machen wollte wie ich da auf die Straße gegangen bin und der Mann kam und ich weggerannt bin aber nicht von dem französisch und den 50 Mark weil das vielleicht strafbar ist und auch nicht erwänt von Ihnen weil ich nicht wußte ob es Ihnen vielleicht nicht recht- wäre so das Sie gans Beruhigt sein können!
Da hat er gans laut gelcht und erst gesagt ob er mich denn nun nicht wieder nachhause schicken müsste aber wie ich ihm beschworen habe was die da für ein Teater machen täten wegen meiner Stiefschwester ihren Sachen (wo ich ihm ja nicht erzählen konnte das die Polizei hinter dem karrierten Mantel her ist und alles!) hat er mit dem Kopf geschüttelt und gesagt was mache ich aber dann blos mit dir und ich warum er mich denn nicht einfach als Dienstmädchen behalten täte was ich ja alles wirklich gut kann von zuhause und dann auch richtig auf eigenen Füssen stehen und womöglichst gleich als Mädchen weil ich mich da so wie so wohler fühle!

Da hat er mich gans lange gans nachgrübelnd angekuckt wie wenn im Kino ein Held einen edlen Endschluss fast wo er innerlich mit sich herumkämpfen muss und dann als ich schon gans nerfös war hat er gesagt erstmal könnte ich wenn ich wollte schon dableiben weil ich ja auch nix als Mädchensachen dabeihätte und andereseits wenn ich wieder auf die Straße gehen täte könnte ich ja wieder auf Männer stoßen die mich für so eine halten täten oder auch welche die gern Mädchen ermorden wie das oft in der Zeitung steht was natürlich besonders schrecklich wäre wenn man gar keins ist sondern bloß so getan hat!

Da war ich ihm natürlich schrecklich dankbahr weil ich schon richtig Angst hatte was nun paßiert und dann hat er gesagt nun sollte ich aber auch den Mantel ausziehen und dann auch das das Kleid das gepunktete von der Lilo mir regelrecht schick stehen täte was mich natürlich sehr freute und wollte dann auch wissen wie ich das mit dem Busen und allem eigentlich gemacht hätte wo er nämlich richtig dran gefühlt hatte und gesagt da spürt man aber echt gar keinen Unterschied wo ich nun Ungeheuer stolz drüber war weil so ein erfahrener Herr ja sicher schon viele richtige Frauen an den Busen gepackt hat aber wo ich die Perrükke herhatte hab ich ihm natürlich nicht veraten weil er da auch garnicht danach gefragt hat!
Wenn ich da jetzt so dran zurück denke weiß ich tatsächlich gar nicht was mir eigentlich am meisten gefällt wenn mich alle wirklich für ein echtes Mädchen halten oder wenn jemand weiß das ich gar keins bin aber mich lobt wie gut ich es hinkriege trotzdem genau wie eins auszusehen oder sogar sich anzufühlen ich meine Sie kriegen auf dem Seil ja immer schon Aplauss wo die Leute noch denken Sie wären eine schicke Frau doch am meisten klatschen alle doch dann wenn sie sehen das Sie in Wirklichkeit überhaupt keine waren?!

In zwischen hatte er mich aber so richtig traumhaft angekuckt und schließlich gesagt ob ich denn vielleicht auch Spass hätte mich mal total wie eine gans elegante Dame anzuziehen weil ja seine Frau jetzt vereist wäre und ihm allein doch so ziemlich einsam und langweilig ohne sie?

Da hab ich natürlich gesagt oh ja weil ich sowas ohnehin furchtbar gern mal machen wollte und ihm ja auch einen gefallentun wenn er schon so liebenswert zu mir war was ihn dann scheints auch richtig gefreud hat denn er war gleich gans feuerundflamme und musste ich mitgehen in ein äußerst nobles Badezimmer so mit schwarzen Kacheln und allem wie im Kino wo er mir ungemein duftiges Badewasser in die Wanne lies und mich total nackig ausziehn und reinsteigen und mit gans teurer Damenbadeseife überall abwaschen biß ich duftend roch und dann noch lauter Parfüm anspritzen das ich noch lieblicher roch wie eine naturgetreue feine Dame am gantzen Leib!

Während dem hatte er mir auch schon lauter Sachen von seiner Frau rausgelegt in einem gans vohrnemen Schlafzimmer so mit einem breiten Bett wo lauter kreuzweiser Stoff dran schimmert mit so Knöpfen wie im Kino welche natürlich unglaublich viel schöner waren wie die von meiner Stiefschwester nämlich gans schimmerig und alles richtig in Gelb mit schwarzen Rändern aus lauter Spitze was äußerst schön aussieht und auch am Leib so komisch zärtlich übereinander rutscht wenn man es anzieht wo er mir sogar sehr liebenswert dabei geholfen hat wenn ich nicht richtig klarkam wie er das wahrscheinlich bei seiner Frau auch immer machte nur musste ich natürlich die Luftballongs voll Wasser und die Schulterpolster wo ich für die Hüftan nahm erst noch aus dem Badezimmer holen und überall reinstopfen und zurechtschieben wozu er am Schluß rühmlich sagte soviel hätte seine Frau aber nicht!!!

Trozdem paste mir aber alles prachtvoll gut und konnte ich das ja auch in den vielen Spiegeln erstmal richtig sehen weil ich da zuhause ja gar keine hatte und schien es ihm auch sehr gut zu gefallen trozdem ich natürlich beim Baden die Perrükke abgetan hatte und eigentlich ziemlich komisch aussah mit den kurzen Jungshaaren über all der feinen Damenwäsche aber da hatte er auch schon eine gans vorzügliche von seiner Frau geholt nämlich in der Farbe wie sie ja auf dem Bahnhof auch aussah welche ich allerdings erst aufsetzen durfte wo ich mir auch noch das Gesicht angemalt hatte genau wie eine erwachsene Dame mit allem Maykapp und so Strichen um die Augen und schimmerigem Liedschatten und extralangen Wimpern wo er mir sehr hilfreich ankleben half nepst toll glänzigen roten Lippen das ich mir tatsächlich furchtbar schön vorkam besonders wo ich danach auch noch die Perücke aufkriegte!

Mußte ich aber nochmal ziemlich lange stillsitzen weil ich auch noch gans lange rote Fingernägel angeklebt bekam so aus Plastick was ich noch garnicht wusste das es die auch falsch gibt aber die mußten erst sehr lange trockenwerden damit sie nicht abfallen wenn man sich damit krazt so das ich ganug Zeit hatte mich in den Spiegeln zu bekucken und sah ich tatsächlich aus wie eine feine erwachsene Dame und auch beinah ein bißchen wie seine Frau was er auch zu mir sagte und ich sagte das wäre ja vielleicht recht schön für ihn wo sie ja doch vereist wäre und er langweilig worauf er auch gleich sagte dann täte er zu mir jetzt auch Marion sagen wie nämlich seine Frau hieße!

Und dann waren die Nägel endlich trocken und jett bekam ich auch noch ein richtiges langes Abendkleid an von ihr auch gans aus gelber Seide wie die Sachen drunter und noch so Silberschuhe mit gans hohen Absätzen wo mir glücklicherweise sogar pasten wenn es auch ein großes Gewackel war wo ich erst damit gehen wollte weil man ja als Junge nie Gelegenheit hat sowas zu probieren aber zumglück konnte ich mich erstmal bei ihm einhenken wo wir rübergingen aus dem Schlafzimmer in ihren Salong.

Nun hatte ich gans vergessen das er sich währendem auch völlig fein angezogen hatte so mit einem Smocking oder wie das heißt und hatte es inzwischen auch mal geklingelt aber ich hatte nicht gewußt warum weil ich gerade die Nägel noch am trocknen hatte und sah ich erst jetzt das er irgendwo ganz große Platten mit lauter so kleinen Schnitchen bestellt hatte die wo wie er mir erklärte Kannapehs heißen aber nicht die zum drauf schlafen sondern zum essen mit lauter vornehmen Sachen drauf wo ich die meisten überhaupt nicht kannte wieso ganz kleine schwarze Fischeier und rosa Fleisch von irgendwelchen Krepsen und welches wo ich erst dachte es ißt Schinken aber es war Lax und lauter nochso Zeug wo ich jetz garnicht mehr weiss.

Das aßen wir also was komischer Weise auch die vornehmen Leute einfach mit den Fingern machen und tranken dazu richtigen Seckt trozdem es ja garnicht Syllvester war aber es sagte das täte er oft mit seiner Frau und es krippelt ja auch sehr schön wenn man diesen so trinkt beinah wie Limo nur nich so süss was aber zu dem Essen auch besser war!

Und weil er nun richtig immer so sagte “Willste nich noch ein Bißchen von dem Hummer liebste Marion” und so und wirklich total so tat als wenn ich wirklich seine Frau wäre da hab ich mir gedacht ich muss das nun auchmachen und hab also immer gesagt hach ja mein liebster Gemahl so mit möglichst zierlicher Stimme und das fand er auch scheints sehr schön denn dann sagte er wieder die Kette steht Dir aber sehr schön liebe Marion was nämlch eine gans dicke Perlenkette war wo er mir noch umgebunden hatte aber Du hast eigentlich noch gar nichts dafür getan und wie ich fragte hach mein liebster Gemahl was soll ich denn für die schöne Kette tun hat er aber bloß gelacht und gesagt nimm nur noch eins von diesen Laxkannapehs das Du auchn bißchen scharf wirst meine kleine Luchsusschnecke und hat mir das richtig in den Mund gesteckt das ich garnichs mehr sagen konnte aber ich habe ihn dann wenigstens lieblich angelächelt wie das die feinen Damen im Kino immer so machen.

Und es war ja auch sehr leerreich für mich weil ich vorher gar nicht wußte wie sich so vornehme Leute allein unterhalten wenn niemand dabei ißt was sie ja im Kino auch nicht so zeigen denn wenn er zumbeispil sagte na läuft Dir denn langsam schon der Saft im Loch zusamen mein geiles Salonluder da wusste ich erst garnich was man dadrauf sagt als vornehme Dame und habe nur süß gelächelt und gewiespert Hach ja mein liebster Herr Gemahl aber er hat nur zurück gelächelt und gesagt Darauf wollen wir anstoßen, mein friggiter Eisschrank heute wirste abgetaut! wobei ich mich zwar an dem Seckt verschluckt hab weil der so krippelte aber er schmeckte sehr schön und so war es wohl richtig was ich gesagt habe?
Denn er hat gelacht und gesagt dann kommmal auf mein Schoss Du kleenes scharfes Wollustpacketchen das ich Dich mal so richtig abknutschen kann unnich immer so etepetete mit Deine Miegrähne da bin ich dann ganz zierlich aufgestanden und hab mich zwar lieber an der Tischkante festgehalten wegen der hohen Hacken bin aber doch gestolpert was aber nich so schlimmwar denn er nahm mich dann gleich richtig auf dem Schoss was ein wirklich schönes Gefühl war und deshalb hab ich auch äußerst zärtlich gewießpert Hier bin ich mein liebster Gemahl und Miegrähne hab ich diesmal auch nich wie das ja wohl seine Frau Gemahlin auch gemacht hätte!

Da hat er mir wieder Seckt eingeschänkt und dann angefangen mich gans liebenswert zu streicheln erst so über die nackigen Arme und den Nacken worauf ich ihm dann den einen Arm um den Hals gelegt hab weil sie das im Kino auch immer machen aber dann hat er auch gleich so unter dem anderen Arm durchgefaßt und den Ballong unter meinem Abendkleid so richtig angefangen zu drücken wie wenn das mein Busen wäre und mit der anderen Hand so über meine Kniehe und die Beine unter dem langen Rock gestrichen das die ganzen Seidensachen so richtig schön übereinander weggerutscht sind und gemurmelt Nun zier Dich nich so Puppe und küss mich schon! worauf ich ihm auch zärtlich einen Kuss auf die Lippen gehaucht habe.

Aber da hat er wieder gelacht und gsagt das muß ich Dir wohl auch erst beibringen? und weil ich mir schon dachte das ich das nich so schön kann wie eine richtige feine Dame habe ich gesagt Oh ja bitte sehr mein liebster Gemahl! Und da hat er wieder gelacht aber mir dann sehr liebenswürdig gezeigt was bloß so kleine Mädchenküßchen sind und wie mann richtig erwachsene Frauenküßchen macht wozu mann nämlich den Mund aufmachen muss und gans viel mit der Zunge im Mund von dem Mann rumlecken was der dann auch wider macht wie wenn man eine Apfelsiene auszutschen will was Sie ja wahrscheinlich alles schon wissen weil Sie ja eine erwachsene falsche Frau machen können aber für mich war das sehr leerreich da ich es zwar im Kino schon gesehen hatte aber garnich wußte was die da immer so lange machen und mann sieht es ja auch nie richtig schon weil die Hauptsache ja innen in den Mündern paßiert!

Aber ich kann jetzt schon verstehen warum die das so lange machen denn es ißt sehr schön besonders wenn mann so seidig angezogen ißt und am ganzen Leib dabei gestreichelt und abgeknutscht wird wie er das mit mir gans genau so machte wie wohl sonst mit seiner Frau worauf ich widerum sehr stolz war denn es war ja für ihn doch eine Bemühung mir das alles so beizubringen und er sagte sogar bald könnte ich das jetzt besser als seine Frau was aber sicher bloß ein höfliches Kommplement war immerhin war ich aber gans schön aus der Puste als wir mit der ersten Reihe Küßchen fertigwaren und als er sagte Na läuft Dir schon die Sosse aus der Dose in die Hose meine kleine Marion? da hab ich erst gemerkt das ich tatsächlich so ein wieder so ein Tröpfchen im Höschen hatte wie damals als ich vor dem Mann wegggerannt bin und es ißt wahrscheinlich wirklich irgendwas Damenhaftes an meinem Pillermann weil das immer bei sowas paßiert und er es ja auch sagte?

Aber als ich dann gelißpelt habe Ja mein liebster Gemahl ich glaube es läuft schon was da hat er wieder gelacht aber sehr liebenswürdig und gesagt dann wird es aber höchste Zeit das wir ins Bettsteigen meine kleine scharfe Lustschnecke! und sind wir auch gleich aufgestanden und ich mit ihm ins Schlafzimmer gewankt auf den hohen Hacken was aber nich so schlimm war weil er mich sowieso die ganse Zeit um die Tallje gefaßt hatte und ich den Arm um seinen Hals trozdem war ich froh als ich die Schuhe aushatte weil sie doch etwas drückten aber dann mußte ich mich auch aus dem Kleid schälen und aus ziemlich viel von der Wäsche aber die Strümpfe und den Strappsgürtel und natürlich den Busenhalter mit den dicken Ballongs drin anbehalten und dafür allerdings ein sehr schönes langes Seidennachthemd auch so gelb mit lauter schwarzen Spitzen an den Rändern überziehen was garnich so einfach war damit ich die Perrükke nich verstruppelte aber inzwischen hatte er sich schon total nackig aufs Bett gelegt und da sah sein Pillermann auch so komisch groß aus wie bei dem Mann auf der Straße und ich dachte schon vielleicht ißt das bei anderen Männern immer so und bloß bei mir nich weil ich ja auch immer gern ein Mädchen wäre aber da hab ich plötzlich gemerkt das mein Pillermann auch viel größer und steif war unter dem Damennachthemd das es sich so faltenweise hob wie der Stoff im Schaufester von unserem Geschäft wenn das Fräulein Elli eine Deckorazion machte so das ich gedacht habe es ißt wohl doch etwas anderes und vielleicht kommt es vom erwachsenen Küssen?

Aber dann hab ich auch gemeint es passt sicher nicht für eine vornehme Dame wenn sie zu ihrem Herrn Gemahl ins Bett steigt das sie genauso einen dicken Pillermann zeigt wie er und weil ich sowieso noch mittem Rücken zu ihm stand hab ich mich nochmal auf den Hocke vorm Spiegel gesezt und den Pillermann so heimlich zwischen die Beine gedrückt biß man ihn nich mehr sieht und bin dann auch mit gans zusammengeklemmpten Beinen mit kleinen Damenschrittchen zum Bett rübergetripelt biß ich mich auf die Kante setzen konnte.

Wie ich ihn da so angekuckt habe und er mich schon wieder anfing zu streicheln dachte ich mir jetzt muss ich aber auchmal was richtig erwachsen Damenhaftes sagen und da fiel mir ein was sie so im Kino manchmal sagen und habe gans tief die Augenlieder runtergeklappt und gelißpelt:
“Jetz bün üch öndlich Deihn, Gelühbter !!!”

(Hier endet – leider oder glücklicherweise? – mitten im Brief das Manuskript-Fragment!)

Die englische Gouvernante

… lebt zu Beginn der Handlung bei einer Freundin, der Witwe eines verarmten britischen Adligen, die kaum mehr hat, als dessen verschuldetes Landhaus, und kümmert sich, während diese das Nötigste durch Übersetzungsarbeiten verdienen muß, um deren Jungen, den künftigen “Lord Glenarvon” – hat sich aber auf eine Anzeige hin beworben …

(… das Vorgespräch…)

Als ich am Sonnabend aus dem Dorf zurückkam, empfing mich Marjorie etwas aufgeregt in der Halle.

„Es ist jemand aus Deutschland da – wegen der Anzeige! Ein Dr. Bollinger oder so – ich glaube, er ist der Hausarzt und gerade zu einem Kongreß in London – er radebrecht zwar entsetzliches Englisch und sieht aus wie Goldfinger, du weißt schon, dieser deutsche Schauspieler da im Film, aber ich glaube, er ist ganz nett: mit Tom jedenfalls versteht er sich schon prächtig – “ wisperte sie mir atemlos zu.

„Mit Tom?!“ fragte ich – etwas albern, denn es lag ja nahe, daß sich jemand, der meine Eignung als Gouvernante prüfen wollte, auch für meinen Schützling interessierte; aber ich war im Moment wirklich völlig durcheinander. Zudem sah ich aus wie frisch unterm Tore hereingekrochen!

„Also halt ihn bitte noch ein bißchen bei guter Laune – ich muß mich wenigstens etwas zurechtmachen!“ beschwor ich sie.

„Aber wieso – Du siehst doch so sehr hübsch aus – “ behauptete Marjorie und wollte mich schon am Arm in die Bibliothek ziehen.

Ich machte mich los. Mühsam einen hysterischen Unterton in meiner Stimme unterdrückend, sagte ich bestimmt: „Marjorie, Du weißt, wie sehr es für mich darauf ankommt, wie ich aussehe – gerade vor so einer Begegnung! Also sei ein Schatz und laß mir ein paar Minuten vor dem Spiegel!“

Sie nickte. „Na ja – ich versteh Dich ja: also lauf – ich mach das hier schon!“ und wandte sich, ihr bestes Gastgeberinnenlächeln aufsetzend, wieder zur Bibliothek, während ich die Treppe hinaufhetzte.

In meinem Zimmer angekommen, hatte ich regelrechtes Herzklopfen – ob nun vom raschen Treppensteigen oder vor Aufregung? Mit all diesen Medikamenten im Leib entwickelte ich mich langsam wirklich zu einem hysterischen Frauenzimmer!

Aber es beruhigte mich wie immer, als ich mich vor die Spiegeltoilette setzen, wenigstens ein bißchen make-up für Augen und Mund auflegen und die Haare halbwegs zurechtkommen konnte – nichts Glamouröses natürlich, aber immerhin genug, um mein Selbstgefühl einigermaßen wieder herzustellen. Das kam einfach alles zu unerwartet und zu rasch: regulär hätten mir diese Deutschen zurückschreiben – und allenfalls den Termin für eine Vorstellung vorschlagen müssen, auf die man sich in Ruhe vorbereiten konnte – statt mir gleich ihren medizinischen Sachverständigen auf die Bude zu schicken! Aber – mußte ich plötzlich denken, während ich mechanisch nochmal mein Bild im Spiegel kontrollierte, vielleicht war es ein Fingerzeig des Schicksals, daß es ausgerechnet ein Arzt war, mit dem ich zu reden hatte?

Was ich mir wirklich richtig dabei dachte, kann ich selbst nicht sagen – aber jedenfalls schloß ich diese unterste Schublade im Sekretär auf und holte die schwarze Mappe mit den Unterlagen heraus. Es war ein wenig grotesk, daß die einzige Tasche, in die diese Mappe paßte – schließlich wollte ich sie nicht gleich in der Hand hereintragen; Marjorie kannte sie zu gut – meine grüne Frotteetasche für die Badesachen war: aber wenigstens paßte die sogar zufällig zu den Paspeln meines weißen Sommerkleids, so daß es nicht allzu blödsinnig aussah, sie mitzuschleppen. Aufzumachen brauchte ich sie ja gar nicht, wenn es nicht nötig war …

Und dann ging ich – nach noch ein paar Spritzern Eau de Cologne, damit ich wenigstens wie eine gepflegte junge Dame roch statt wie eine verschwitzte Stute – hinunter.

„So – Sie sind also die Miss Vivian Grey!“ dröhnte Dr. Bollinger, als wir allein waren, und musterte mich mit unverhohlener Neugier von oben bis unten. Ich hoffte nur, daß sein Eindruck von mir besser war als der meine von ihm: Marjorie hatte wirklich den Nagel auf den Kopf getroffen – er sah aus wie Goldfinger, ich meine dieser Herr Fräse oder Frebe: die gleiche massige Figur, der runde Kopf mit den schlauen Schweinsäuglein, sogar der gleiche Knickerbockeranzug und die gleiche blusterige Art zu sprechen:

„Ich rede lieber Deutsch mit Ihnen, weil Sie das ja anscheinend perfekt können – “ brummelte er weiter, „das ist zwar unhöflich, aber nur halb so sehr als wenn ich Ihnen mein Englisch zumute: für Ihren Artikel habe ich drei Stunden mit dem Diktionär gebraucht – höhöhö!“ röhrte er fröhlich. „Nehmen Sie auch was zu trinken?“ unterbrach er sich und wies auf die Whiskyflasche, die noch mit Eis und Gläsern auf dem Tisch stand.

Ich schaute ein bißchen hilflos: trinkt eine seriöse Gouvernante am hellen Vormittag Whisky bei ihrer Vorstellung? Wahrscheinlich doch wohl nicht, dachte ich und schüttelte leicht den Kopf.

„Na dann gestatten Sie aber, daß ich mir noch einen einschenke – “ meinte er ungerührt und goß sich sein leeres Glas wieder voll. „Durstiges Geschäft – Gouvernanten interviewen!“ brummte er dazu und zwinkerte mir vertraulich zu. Ich hatte mich zwar noch nie für so einen Posten vorgestellt – aber daß Dr. Bollingers Art etwas unorthodox für ein solches Interview war, schien mir doch auffällig, merkwürdigerweise hatte das aber eher eine beruhigende Wirkung auf mich – vielleicht, weil es dadurch immer unwirklicher schien, daß aus alledem ernsthaft eine Anstellung werden könne …

„Sie meinen also – “ fuhr er nach einem kräftigen Schluck Whisky fort, „daß mit einem Jungen nie ‚was nicht in Ordnung‘ ist – sondern allemal bloß mit den Leuten, die ihn erziehen wollen: und je mehr sie an ihm herumerziehen – desto mehr kommt alles aus der Ordnung – nüch?“ machte er gemütlich.

„Ganz so habe ich das zwar nicht geschrieben – “ korrigierte ich vorsichtig.

“ – aber gemeint!“ wischte er meinen Einwand unbeirrt weg. Drei Stunden mit dem Diktionär mochte er über „What’s wrong with your Boy?“ gebraucht haben – aber entgangen war ihm dabei auch das nicht, was eigentlich nur zwischen den Zeilen stand: hinter dieser brummeligen Onkel-Doktor-Fassade steckte ein unheimlich scharfer und wacher Verstand – ein „gemütliches“ Interview würde das keineswegs werden …

„Ich erzähl Ihnen dazu ’nen klassischen Fall – “ brummelte er wie versonnen weiter, „Vater: Forschungsingenieur, wird Unternehmer, baut ’nen Riesenladen auf, ist immer mehr unterwegs – Mutter hockt mit dem Jungen zuhause, mopst sich, macht sich aus ihm ein Püppchen zum Spielen – zudem ist sie zwar süß und charmant, aber im Bett kalt wie ein Fisch – Resultat: nach’n paar Jahren Scheidung – der Junge wird der Mitte nach durchgeteilt, zeitlich meine ich, halb für Papa und halb für Mama – nur weil Papa sowieso nie da ist, kommt’s darauf hinaus, daß er praktisch immer bei Mama hockt – sprech ich zu schnell oder zuviel Jargon?“ unterbrach er sich.

„Nein – danke – ich komme ganz gut mit!“ beruhigte ich ihn.

„Hm – “ fuhr er nachdenklich fort, „der Junge selbst: hochintelligent – da kommt der Vater durch – sensibel – von der Mutter her – übernervös – warum, brauch ich nicht zu erklären – wird natürlich der kleine Page seiner schönen Mama: und der Vater ebenso natürlich für ihn der finstere Tyrann hinterm Berg, der ihr immer so bitter Unrecht tut – besonders wenn er sagt ‚Du erziehst den Jungen falsch!’: dann machen beide schon aus Protest das Gegenteil von allem, was er vorschlägt – und im übrigen meint die Mama, wie in diesem jiddischen Witz, wo die eine Frau der anderen erschrocken erzählt, der Psychologe fürchte, ihr Moritz hätte einen Ödipuskomplex – “ er griff, instinktiv eine kleine Pause vor der Pointe einlegend, nochmal zu seinem Whiskyglas – aber da begann schon wieder diese Automatik in meinem Gehirn zu arbeiten: das stand doch – Moment – in Koestlers “Göttlichem Funken” unter den Beispielen für die ‚Logik des Lachens‘, als ein Witz, den ihm kein Geringerer als der große John von Neumann erzählt hatte:

„Ödipus, Schmoedipus – was regst Du Dich auf, solang er ein braver Junge ist und seine Mammi liebhat!“ ergänzte ich automatisch.

Dr. Bollinger setzte verblüfft das Glas ab:
„Ach herrje – der Tom hat recht: Sie kennen wirklich so ziemlich alles!“ sagte er kopfschüttelnd. „Also kurz und gut – oder vielmehr gar nicht gut: die beiden leben wie die Turteltauben – der Junge hilft ihr die Hüte und Kleider aussuchen, und sie würde ihn am liebsten auch in Spitzenkleidchen stecken – eigentlich hätte sie sowieso viel lieber ’ne Tochter gehabt – und sie wird schon eifersüchtig, wenn er über ’nem Buch hockt oder in seiner chemischen Räucherkammer im Keller statt bei ihr – von Schulkameraden oder Freunden ganz zu schweigen! – aber die vermißt er natürlich auch gar nicht, weil er ja die schönste Mama der Welt hat … “ er nahm wieder einen Schluck Whisky, „da – bums – fahren die beiden eines schönen Tages mit ihrem Auto gegen die Leitplanke – Mutter sofort tot – „
“ – und der Junge ?“

„Schock und doppelter Oberschenkelbruch – gottseidank doppelt, möcht‘ ich sagen, so komisch das klingt – denn dadurch muß er so lang in Gips und Streckverband stecken, daß ihm wenigstens das Begräbnis erspart bleibt – die Trauergäste – und dann das leere Haus – “ Er schwieg einen Moment. „Aber einmal – und zwar schon sehr bald – muß der Gips runter – und dann ?!“

„Der Vater – ?“ fragte ich ziemlich unsicher.

„Also – der Vater: hoffentlich habe ich den jetzt nicht zum Buhmann – sagen Sie doch auch, nöch: Boogeyman oder so ? – vom Ganzen gemacht! Natürlich war er nie zuhause! Natürlich hat er bei anderen Frauen geschlafen, als seine keine Lust mehr hatte! Natürlich hätte er nachher wenigstens mit der Faust auf den Tisch hauen müssen, bevor sie ein Schoßkind aus dem Jungen machte! Aber schließlich hatte der Mann die ganze Zeit auch noch was anderes um die Ohren – so ein Konzern is ja kein Pappenstiel und den hat er ja schließlich auch für seinen Jungen aufgebaut!“ Er sah mich herausfordernd an.

„Oh – “ sagte ich sanft, „da hab ich Sie nun doch falsch verstanden: es klang erst so, als hätte er das mehr zu seinem eigenen Vergnügen getan?“

„Touche – !“ sagte er und grinste ein wenig schuldbewußt. „Ich will ihn nicht besser machen als er ist: natürlich ist der Mann ein Fanatiker, wenn es um seine Arbeit geht – möglicherweise ist er sogar ein Genie – aber das heißt nicht, daß er blind ist oder verantwortungslos: der Mann liebt seinen Sohn – er versteht ihn sogar so gut, daß er weiß, der Junge kann jetzt, wenn kein Wunder geschieht, endgültig einen Knacks fürs ganze Leben bekommen – und muß sich doch eingestehen, daß er ihm gerade jetzt nicht helfen kann: weil er die Chance dazu irgendwann verspielt hat – und jetzt kann er sie nicht mehr zurückkaufen, auch wenn er sein ganzes Werk dafür drangeben wollte. Der braucht jetzt keine Vorwürfe – die macht er sich schon selbst – sondern jemand, der ihm hilft: oder vielmehr, der dem Jungen hilft. Also – “ er griff wieder nach dem Whiskyglas, „fährt der alte Dr. Bollinger aus, um nach einem Wunder zu suchen…“

Er nahm einen tiefen Schluck und sah mich dann voll an:
„Sind S i e dieses Wunder, Miss Grey?“

Ich schluckte. Was soll man auf so eine Frage antworten? Am liebsten hätte ich jetzt doch einen Schluck Whisky gehabt …

„Sagen Sie – “ der alte Doktor hob die Hand, “ – noch nichts: Sie sind nämlich – wenigstens bisher – die Einzige, die mir von wirklich kompetenter Seite empfohlen worden ist – “ er grinste wieder ein wenig sardonisch, als er meine Befremdung sah, und wühlte dann in seinem Aktenkoffer, um mir ein Blatt zu überreichen. Ich nahm es – und las, was da auf liniertem Papier in etwas krakeliger Schuljungenschrift stand:

„Sehr geehrte Herren,
bezugnehmend auf Ihre Anzeige betreffend eine Gouvernante kann Ich Frl. Vivian Grey für diese Position hoch empfehlen.

Ich meine das, weil Ich selbst zuerst bestimmt gegen Gouvernanten war. Am ersten Abend legte Ich einen Frosch in ihr Bett, Nächsten Morgen hatte sie ihn in ein Glas gesetzt und 3 Fliegen für ihn gefangen. Was zeigt das sie wirklich eine extrem vernünftige Person ist welche außerdem in der Tat fast alles kann, sogar Sachen die sie nie von einer Dame glauben würden wie Seemanns Knoten und Karten Tricks.

Ich würde wirklich hassen sie gehen zu lassen aber Ich denke sie könnte mit etwas mehr Geld tun und sie können wirklich dafür nicht irgendjemand besseres finden als Frl. Grey!

Hochachtungsvoll
Thomas
Lord Glenarvon

P.S. Sie spricht Deutsch auch wirklich sehr gut nur richten sie das nicht nach diesem Brief weil, natürlich, sie ihn gar nicht gesehen hat und all die Fehler mein sind!“

Ich spürte, daß mir auf einmal Tränen in den Augen standen. Das war natürlich albern und feminin – aber mit all diesen Hormonen bin ich neuerdings sentimental wie eine viktorianische Romanheldin – und die Vorstellung, wie Tom da mit gefurchter Stirn und englisch-deutschem Diktionär einen Empfehlungsbrief für mich aufgesetzt und abgeschickt hatte, war so rührend und komisch zugleich … dennoch war es mir sehr peinlich, ausgerechnet vor diesem deutschen Doktor da wie eine Heulsuse mit schwimmenden Augen zu sitzen.

Mit mehr Takt, als ich ihm zugetraut hätte, machte er sich in seinen Akten zu schaffen – obwohl ich sicher war, daß seinen scharfen Schweinsäuglein nichts entgangen war – und brummelte halb aus seinem Koffer hervor:

„Eine junge Dame, die bei jemand, der ihr erst Frösche ins Bett gelegt hat, eine solche – nahezu fanatische Begeisterung auslösen kann, macht selbst einen alten Skeptiker wie mich wieder an Wunder glauben … „

„Halten Sie das nicht – “ versuchte ich in leicht spöttischem Ton einzuwerfen (der mir nur leider ziemlich mißlang, weil ich noch immer so eine Art Kloß im Hals hatte), „nur für eine besonders raffinierte Methode, mich wieder loszuwerden?“

„Also das Raffinement – “ grinste der Doktor, „traue ich nun Thomas Lord Glenarvon wieder nicht zu – und ich habe, wissen Sie, auch ein bißchen Erfahrung mit kleinen Jungen … “ er wurde unvermittelt wieder ernst, „und ich könnte – wohlgemerkt könnte – mir denken, daß Sie vielleicht das sind, was uns eine Chance gibt … „

Soviel Hoffnung stand auf einmal in seinen alten Augen, daß ich gar nicht anders konnte, als aufzustehen und zu sagen:
„Herr Dr. Bollinger – es gäbe zwei Gründe, warum ich diese Aufgabe liebend gern übernehmen würde:
der eine ist, daß ich fast den gleichen Fall – sehr eng – schon einmal miterlebt habe; einen Fall, in dem niemand da war, der dem Jungen helfen konnte – und wo er, wie Sie ganz richtig sagen, endgültig einen Knacks fürs ganze Leben bekommen hat. Wenn ich die Chance hätte, zu versuchen … “ Ich brach ab. Dieser Kloß im Hals war noch immer nicht hinuntergeschluckt.

„Der zweite Grund – “ sprach ich rasch weiter, „ist, daß ich das Geld – wie Tom sehr richtig schreibt – brauchen – nicht bloß gern haben, sondern – lebensnotwendig brauchen könnte.

Leider gibt es einen dritten Grund, weshalb ich es nicht verantworten könnte, diese Aufgabe zu übernehmen. Als ich Ihnen schrieb, war das vielleicht auch schon nicht zu verantworten – aber da sah es noch so aus, als wäre es nur irgendein Job für irgendeinen Jungen, sagen wir wie Tom – und da hätte ich es riskiert. Aber bei Ihrem Fall hängt zuviel davon ab – ich kann’s nicht! Verstehen Sie: so brennend gern ich wollte – ich kann’s nicht – !!!“ Ich merkte mit Schrecken, wie meine Stimme schrill und hysterisch geworden war – ich mußte ein schönes Schauspiel für einen Mediziner abgeben! Es fehlte nur noch, daß ich mich in der klassischen „grand-mal-Pose‘ auf den Teppich schmiß …

„Ich glaube Ihnen – “ sagte er langsam, beinahe zärtlich, „ich glaube Ihnen ja: daß Sie uns so gern helfen wollen – und daß Sie einen Grund haben, weshalb Sie’s dennoch nicht tun können.“ Er sah mich scharf an – aber gottseidank hatte ich mich jetzt wieder unter Kontrolle. „Ich glaube Ihnen auch – “ fuhr er, noch immer langsam und eindringlich, fort, „daß es ein guter und gewichtiger Grund ist – und ich bin bereit, diesen Grund zu respektieren: ob ich ihn nun erfahre oder nicht.“
Er stand auf und trat neben mich: „Aber vielleicht verzeihen Sie einem alten Doktor – und alte Doktoren, falls Sie das noch nicht wissen, sind neugierig wie junge Hunde! – wenn er diesen Grund doch gern erfahren würde – und sei’s nur – alte Doktoren sind nämlich auch ziemlich eitel! – weil er denkt, daß er Ihnen vielleicht irgendwie helfen könnte … „

Ich spürte, wie ehrlich er es meinte – und versuchte zu lächeln (es ging sogar einigermaßen), als ich sagte:
„Nein – ich glaube, Sie haben sogar ein Recht darauf, zu erfahren, was dieser Grund ist: und sei’s nur – Eitelkeit ist nämlich nicht das Privileg alter Doktoren! – damit Sie mich nicht für ein völlig übergeschnapptes Frauenzimmer halten… „

Ich nahm die schwarze Mappe aus der Tasche und gab sie ihm in die Hand: „Das stammt zwar von einem englischen Doktor – aber ich hoffe, Sie werden die Fachausdrücke auch ohne Diktionär verstehen …“

Er sah mich wieder scharf an – öffnete dann die Mappe und schaute hinein – hob entschuldigend die Hand, setzte umständlich eine dicke Hornbrille auf und ließ sich dann am Tisch nieder, um Text und Bilder zu studieren.

Es dauerte sehr lange – und das lag sicher nicht nur am Englisch. Einmal murmelte er vernehmlich „Hol mich der … !“ – dann schüttete er sich, wie ich am Glucksen der Flasche hörte, einen neuen Whisky ein; ich hörte es nur, denn ich war ans Fenster getreten und wandte ihm den Rücken zu – aber vom Park draußen sah ich nichts. Schließlich räusperte er sich dreimal – immer lauter – bis ich mich endlich wieder umdrehte.

Er hatte die Brille wieder abgenommen und wippte sie nachdenklich in der Hand, während er mich nocheinmal von oben bis unten musterte. Dann sagte er langsam, als müsse er jedes Wort abwägen:
„Ich danke Ihnen, daß Sie mir das gezeigt haben – und ich kann Sie nur bitten – “ Er brach ab. „Alte Doktoren sind oft auch alte Narren“, sagte er dann, ‚

Ich glaube, ich fange schon wieder an zu heulen, dachte ich verzweifelt. Aber er sprach langsam und bedächtig weiter:
„Manchmal hat man als Arzt die Wahl zwischen zwei Methoden der Therapie:
Die eine ist konservativ und ohne Risiko – bloß ist sie meist auch ohne Erfolg.
Die andere hat eine Chance für einen durchschlagenden Erfolg – leider eine genau so große für eine katastrophalen Mißerfolg.

Da ein Arzt auch nur ein Mensch ist, hofft er natürlich immer, daß ihm rechtzeitig noch eine dritte Methode einfällt, die durchschlagenden Erfolg ohne Risiko garantiert. Meistens hofft er vergebens.“

Er sah mich wieder an.
„Was ich damit sagen will, ist: ich habe mich in dieser Wahl noch nicht entschieden. Überhaupt noch nicht entschieden.“ Er machte wieder eine lange Pause. „Wenn ich mich in einem bestimmten Sinne entscheiden sollte, würde ich damit auch die volle Verantwortung für diese Entscheidung übernehmen. „

Er erhob sich umständlich.
„Aber ich rede zuviel – ich habe heute überhaupt schon verdammt zuviel geredet! – darf ich Ihnen gegebenenfalls schreiben?“

Er griff nach der schwarzen Mappe und reichte sie mir – fast mit einer gewissen Feierlichkeit – hin:
„Aber wenn Sie einem alten Doktor noch einen Spruch erlauben: es kommt nicht soviel darauf an, wo man sich einen Knacks geholt hat – es kommt darauf an, wie man mit ihm fertig wird.

Es war mir eine Ehre, Sie kennenzulernen – Miss Grey!“
Damit verneigte er sich altväterisch – und küßte mir die Hand.

(Die Auslese… )

Nach und nach trafen – jedesmal von der perfekten Sekretärin geleitet – die anderen Kandidatinnen ein.

Miss Ludlow war ein junges, ein wenig eckiges Mädchen in Blue Jeans mit langen Haaren, einer randlosen Brille und – offensichtlich – einer Mission; Miss Forbes eine ungeheuer kompetent und respekteinflößend ausschauende Persönlichkeit in einem unmöglichen Kleid – und Mrs. Ellinger, die in letzter Sekunde etwas atemlos ankam, eine etwas mollige, impulsive junge Frau mit unordentlichem make-up.

Wie man schon aus meiner Schilderung sieht, beschauten wir uns gegenseitig mit all der Sympathie und untadeligen Korrektheit von vier fremden, aber wohlerzogenen Katzen, die man ins gleiche Zimmer gesperrt hat – nur daß es bei Katzen ein wenig unterhaltsamer gewesen wäre, weil man wenigstens ihre Schwanzspitzen zucken gesehen hätte. Dieser Dr. König mußte überhaupt keine Ahnung von Psychologie haben, uns hier allesamt um einen Tisch zu versammeln – oder, fragte ich mich beim zweiten Überlegen, unheimlich viel Ahnung? Denn wenn etwas geeignet war, unsere Schattenseiten zum Vorschein zu bringen, dann ja wohl diese Situation …

Doch ich kam nicht mehr dazu, diesem Gedanken nachzuhängen, denn in diesem Augenblick betrat – pünktlich mit dem Sekundenzeiger – unser prospektiver Arbeitgeber den Raum. Ich sage „Arbeitgeber“, weil er genau so aussah: groß, schlank, gepflegt, korrekt und „dynamisch“ – in Vorstandssitzungen oder Tarifverhandlungen genau so zuhause wie, offenbar, in dieser einmaligen Versammlung künftiger Gouvernanten:

„Meine Damen – “ sagte er, an die Stirnseite des Tisches tretend (wo die perfekte Sekretärin das Schildchen „Dr. König“ aufgestellt hatte – brav demokratisch genau in der gleichen Ausführung wie unsere) „ich danke Ihnen sehr, daß Sie sich hierher bemüht haben – und daß Sie mit der etwas unorthodoxen Form dieser Besprechung einverstanden sind – „

Er machte eine Pause, die genau so kurz war, daß keine von uns etwas sagte – aber genau so lang, daß er unser Schweigen als Zustimmung nehmen konnte – und fuhr dann fort:
„Ich möchte weder Ihre noch meine Zeit damit verschwenden, das zu wiederholen, was Sie bereits von Herrn Dr. Bollinger erfahren haben – ich werde Ihnen lediglich ein paar Fragen stellen, die mir zur Abrundung des Bildes – und für meine endgültige Entscheidung – nützlich erscheinen. Frage Nummer Eins: – “ er machte wieder eine unmerkliche Pause und fuhr dann mit einem kleinen Lächeln fort: „Hat Sie Fräulein Rothacker mit allem an Getränken, Zigaretten und so fort versorgt, damit Sie sich hier wohlfühlen? Sie dürfen selbstverständlich – wenn Sie wollen – rauchen: schon allein deshalb, damit ich mir – “ er griff in die Tasche, „selbst mit besserem Gewissen eine Zigarette anzünden darf!“

Falls es die anderen nicht gemerkt haben sollten – mir war nun jedenfalls klar: dieser Mann wollte Katz und Maus mit uns spielen – mal eiskalt geschäftsmäßig, mal entwaffnend charmant, aber immer so, daß wir nie vergaßen, daß er der Chef war. Ich beschloß, ihm zu zeigen, daß außer ihm jedenfalls noch eine Katze im Raum war.

Er sah sich kurz in unserem Kreis um:
„Wenn alles zu Ihrer Zufriedenheit geregelt ist – “ noch eine der bewährten Dr.-König-Pausen, wieder genau so lang, daß wir das perfekte Arrangement des perfekten Frl. Rothacker bewundern konnten – und zur Kenntnis nehmen, daß derartige Perfektion der Standard für all seine Anforderungen war – „dann darf ich jetzt zur ersten ernsthaften Frage kommen.“

Vorsicht, Mäuse – jetzt kommen die Krallen dachte ich; aber er lehnte sich, die Arme übereinanderschlagend, zurück und sagte in leichtem Konversationston:
„Gesetzt den Fall, Ihnen stünde – um eine runde Summe zu nehmen – 1 Million Pfund zur Verfügung, die Sie nach Ihrem Belieben zur Förderung geistig zurückgebliebener Kinder – oder zur Förderung hochbegabter verwenden dürften. Wie würden Sie sie verteilen?“

Ich wußte nicht, ob ich über die Unverschämtheit, mit der er uns hier zu examinieren begann wie eine Herde Schulmädchen, wütend werden sollte – oder sie bewundern. Aber da er wahrscheinlich genau eines von beidem erwartete, konzentrierte ich mich lieber auf die Frage selbst: merkwürdigerweise eine, über die ich selbst schon manchmal nachgedacht hatte …

„Da es ein bißchen kindisch aussähe, wenn Sie sich durch Handheben zu Wort melden müßten – „(wieder mal verstand er es, die Situation mit dem gleichen Charme zu entschärfen wie zu betonen!) „darf ich vorschlagen, daß Sie in der Reihenfolge antworten, wie Sie sitzen – vielleicht – “ er warf einen Blick auf unsere Namensschilder, „Miss Ludlow zuerst ?“

Das blonde Mädchen räusperte sich – und sagte dann überzeugt:
„Selbstverständlich die ganze Summe für die Behinderten!“

Dr. König nickte höflich. „Ihre Begründung – ?* fragte er.

Sie schaute ihn einen Augenblick befremdet an, als habe er sie nach dem mathematischen Beweis für „2×2 ist 4“ gefragt:
„Zusätzliche Mittel müssen immer den Unterprivilegierten einer Gesellschaft zugute kommen!“ sagte sie dann; ich hatte es ja gleich gewußt: sie hatte eine Mission.

„Danke – “ antwortete Dr. König kurz, „Mrs. Ellinger?“

Ich war gespannt, wie sie sich schlagen würde – sie war mir von der ganzen „Konkurrenz“ noch am sympathischsten – aber ich hatte nicht erwartet, daß sie gewissermaßen laut nachzudenken beginnen würde:

„Also – “ sie faßte mit der rechten Hand den Zeigefinger ihrer Linken, als müsse sie die Million abzählen, „ich glaube, ein geistig zurückgebliebenes Kind kann man schon mit ganz bescheidenen Mitteln fördern – sagen wir mit Spielzeug oder nur indem man sich mit ihm befaßt – aber wenn ich ein hochbegabtes Kind fördern will, dann wird das viel teurer – dem muß ich Bücher geben oder einen Computer oder was weiß ich – und wenn ich nun für beide gleichviel tun will – “ sie schaute ihn regelrecht verblüfft an, „dann muß ich mehr Geld für die Hochbegabten ausgeben!“

„In welchem Verhältnis etwa ?“ erinnerte sie Dr. König höflich.

„Ach Gott ja – “ sie runzelte die Stirn und schien wieder im Geist an den Fingern zu zählen, „siebzig zu dreißig etwa ?“

„Danke – “ kommentierte er knapp , „Miss Forbes?“

„Ich weiß zwar nicht, was diese Frage mit Erziehung zu tun hat -“ kam ihre Antwort wie aus der Pistole geschossen, „aber die Antwort kann nur fünfzig zu fünfzig lauten – alles andere wäre ungerecht!“

„Danke – Miss Grey ?“

Ich nahm, bevor ich antwortete, bewußt noch einen tiefen Zug an meiner Zigarette – Kunstpausen waren nicht das Privileg des Herrn Dr. König! – und sagte dann liebenswürdig:
„Gesellschaftlich – „(soviel für Miss Ludlow!) „wie finanzmäßig ist das eine Frage des return on investment: Förderung Hochbegabter schafft höhere Werte als die Zurückgebliebener. Also muß das ganze Geld in die Förderung der Hochbegabten gesteckt werden – “ noch einen Zug, zweite Effektpause, „mit dem Proviso natürlich, daß die später, wenn sie Geld verdienen, die aufgewandten Beträge mit einem Aufschlag von 100 Prozent zurückzahlen; davon können wir dann die Hälfte für die Betreuung Zurückgebliebener verwenden – und die andere Hälfte in neue Begabte reinvestieren, womit wir auch die Forderung nach gerechter Gleichverteilung erfüllen – „

Dr. König lächelte ein wenig. „Danke – ich hatte nicht verlangt, daß Sie gleich die ganze Stiftung organisieren!“

„Ob bitte – “ ritt mich der Teufel zu sagen, „gern geschehen!“

Aber er hatte sich schon wieder abgewandt und sprach, einen imaginären Punkt fixierend, über den ganzen Tisch hin:
„Miss Ludlow – ich möchte Sie nicht länger aufhalten. Ihre Spesen und Ihren Tagessatz regeln Sie bitte mit Fräulein Rothacker. Und nocheinmal vielen Dank für Ihre Bereitwilligkeit, mir zu helfen.“

Armes Mäuschen, dachte ich mitleidig, hat die Katz so schnell zugeschlagen, als das blonde Mädchen, nachdem es einen Augenblick wie versteinert dagesessen hatte, mit eckiger Bewegung und zusammengepreßten Lippen aufstand.

Aber Dr. König kümmerte sich weder um ihre Miene noch um die der anderen am Tisch – er wartete noch nicht einmal, bis sie den Raum verlassen hatte, sondern sprach, als sei nichts geschehen, weiter:
„Ich komme nun zur nächsten Frage : Angenommen, Sie haben einen Holzwürfel von 3 Zoll Kantenlänge, den Sie – „

Der Mann war so unmöglich, daß es einem fast schon wieder imponieren konnte – ich war aufrichtig gespannt, was wir jetzt mit dem Holzwürfel machen sollten: erst rot anstreichen und dann durchsägen – oder gleich in 27 kleinere zersägen? Doch ich erfuhr’s nicht sofort: irgendjemand – und das hatte er genau berechnet – an diesem Tisch mußte jetzt explodieren; in diesem Fall war es Miss Forbes.

„Darf ich – “ ’sagte sie mit eisiger Miene, die sicher selbst Thomas Lord Glenarvon eingeschüchtert hätte, „fragen, was diese Holzwürfel und Stiftungen mit unseren pädagogischen Fähigkeiten zu tun haben ?“

Er sah sie mit mildem, leicht amüsiertem Befremden an – etwa wie ein Virtuose, der plötzlich ein Äffchen auf seinem Flügel entdeckt – und sagte dann liebenswürdig:
„Ja. Nichts.“

Und nach einer wieder haarscharf so dosierten Pause, daß Miss Forbes wirklich noch nichts sagen konnte – aber jedem Außenstehenden als sprachlos erscheinen mußte (er konnte diesen Trick wirklich gut, aber allmählich wurde er langweilig) fuhr er, wieder mit einem plötzlichen charmanten Lächeln, fort:
„Oh verzeihen Sie – ich vergesse immer wieder, daß Deutsch ja nicht Ihre Muttersprache ist! Ich meinte: ja, Sie dürfen mich das selbstverständlich fragen. Und die Antwort auf diese Frage ist: wären Ihre pädagogischen Qualifikationen – wie die aller Damen hier im Raum – nicht erstklassig und über jeden Zweifel erhaben, hätte ich Sie überhaupt nicht zu dieser Aussprache eingeladen. Die Fragen, die ich hier stelle, haben also mit diesem Punkt nicht mehr das Geringste zu tun.“

Er hielt wieder inne und fuhr dann, wie nachdenklich geworden, fort:
„Wahrscheinlich werden Sie nun fragen, warum ich sie dann überhaupt stelle. Ich glaube, ich bin Ihnen eine Antwort darauf schuldig – „

Nein, Dr. König wurde doch nicht langweilig – jetzt ließ er die Mäuschen zur Abwechslung mal wieder ein Stückchen frei laufen: erst ein Kompliment – und dann, zur Bekräftigung, die Einsicht, daß er uns eine Erklärung schuldig sei. Ich war einigermaßen gespannt – aber was er dann sagte, übertraf wieder alle Erwartungen:

„Daß ich – “ jungenhaft entschuldigendes Lächeln , „von Erziehung nichts verstehe, hat Ihnen allen ja Herr Dr. Bollinger gewiß erklärt – in der Tat ist das ja einer der Gründe, weshalb ich Ihre Hilfe suche!“ Er ließ das nocheinmal ein wenig einsinken, ehe er fortfuhr:

„Also bin ich – wenn so viele erstklassige Erzieherinnen vor mir sitzen – etwa genau so hilflos, wie Sie es wären, wenn Sie, sagen wir, einen erstklassigen Computerfachmann aussuchen sollten: schlimmer noch, den besten aus mehreren erstklassigen.
Soll ich jetzt nach der Haarfarbe entscheiden? Nach der Frisur? Nach der Figur? Oder soll ich abzählen : Enie – minie – muh, aus bist Du – bis nur noch eine von Ihnen übrig ist?“ Er schüttelte den Kopf: „Ehe ich so etwas Sinnloses tue, falle ich denn doch lieber auf Fragen zurück, bei denen ich die Antworten wenigstens beurteilen kann …“

„Selbst wenn diese Fragen völlig irrelevant sind?“ fragte Miss Forbes scharf – „Enie, minie, muh“ hatte sie offenbar in der Tiefe ihrer seriösen Erzieherinnenseele getroffen.

„Darüber – “ in seiner Stimme spürte man plötzlich wieder den Stahl unter dem Samt, „gehen unsere Meinungen nun offenbar auseinander. . . „

„Nicht nur darüber!“ Miss Forbes hatte sich erhoben. „Ich glaube nicht, daß unter diesen Umständen die Voraussetzungen für eine fruchtbare Zusammenarbeit vorliegen – „

„Das muß ich selbstverständlich respektieren.“ Ich konnte mir im stillen eine gewisse Bewunderung nicht verhehlen: dieses Mäuschen hatte er dazu gebracht, sich gleichsam am eigenen Schwänzchen aufzuhängen! Aber lassen konnte es der Kater doch nicht, nochmal mit der Krallenpfote hinzulangen: „Ihre Spesen und Ihren Tagessatz regeln Sie bitte mit Fräulein Rothacker – „

Womit er den dramatischen Abgang von Miss Forbes zweifellos etwas verdarb. Aber jetzt bekam ich auch Lust, ihm die schöne Pause ein wenig zu verderben, in der wir Zurückbleibenden eigentlich die Moral aus Miss Forbes Schicksal ziehen sollten:

„Would you, too, like another cup of coffee – ?“ wandte ich mich freundlich an Mrs. Ellinger und schenkte ihr, als sie mit einem kleinen Lächeln – offenbar hatte sie verstanden!- nickte, mit viel gastgeberinnenhafter Umständlichkeit einen Kaffee ein – ließ mir gerade, bevor ich mir selbst einschenkte, sichtbar einfallen, daß ich beinahe unhöflich gewesen wäre, und offerierte Dr. König auch etwas von seinem eigenen Kaffee.

Er nahm ihn – mit konventionellem Dankeschön – an: aber ein klein wenig glaubte ich zu spüren, daß all das nicht ganz in sein Konzept paßte – sowohl unseren wie seinen Kaffee hätte das perfekte Fräulein Rothacker einschenken müssen; aber die war ja gerade mit Spesen und Tagessatz für Miss Forbes beschäftigt… und jedenfalls hatte ich ihm mit alledem die sonst unweigerliche höfliche Frage, ob sich sonst noch jemand von uns der Meinung von Miss Forbes anschließe – nebst dem erwarteten verdatterten Zustimmungs-Schweigen – vermasselt!

Aber solch ein kleiner Schönheitsfehler störte einen Dr. König natürlich nicht ernstlich:
„Können wir nun – in etwas intimerem Kreis – auf meinen irrelevanten Holzwürfel zurückkommen?“ fragte er mit liebenswürdiger Selbstironie.

„Dieser Würfel hat also drei Zoll Kantenlänge – und ich möchte ihn in lauter kleine einzöllige Würfel zersägen. Das kann ich offenbar tun, indem ich zweimal quer, zweimal längs und zweimal – “ jetzt hatte ich den Ärmsten doch wirklich ein bißchen aus dem Konzept gebracht, “ – nun ja, also zweimal in der dritten Richtung säge – insgesamt also sechs Sägeschnitte.

Die Frage ist nun: könnte ich es auch mit weniger als sechs Sägeschnitten schaffen – indem ich etwa die Teilstücke zwischendurch anders hintereinanderlege und dann gemeinsam durchsäge ?“

„Konnten Sie mir das nochmal erklären?“ fragte Mrs. Ellington.

„Gern – “ er nahm einen Block Papier und fing an zu skizzieren, „dies ist also der Würfel von drei Zoll – und – „

Ich schaute etwas amüsiert zu. Pech für Dr. König, daß ich mit Tom alle erdenklichen zwei-, drei- und vierzölligen Würfel, mit roten oder unbemalten Seiten, abends vor dem Schlafengehen im Geist in jeder Weise zersägt hatte! Aber ich mußte zugeben, daß er eine von den Fragen gewählt hatte, mit denen man Leute wirklich konfus machen konnte – wie Mrs. Ellington:
„Darf ich – “ sagte sie ein wenig unsicher, „darüber erstmal nachdenken ?“

„Selbstverständlich!“ nickte er großzügig und zündete sich eine neue Zigarette an.

Ich konnte es mir nicht verkneifen, währenddessen eine kleine Schau für ihn abzuziehen. Es ist eine alte Examensregel, daß man zwar, wenn einem die Aufgabe fremd ist, sofort anfangen muß zu reden – in der Hoffnung, daß einem der Prüfer dann weiterhilft: wenn er aber durch Zufall etwas erwischt haben sollte, was man bereits kennt, darf – ja muß man sich den Anschein geben, tief nachzudenken, um den Verdacht zu zerstreuen, man kenne die Antwort etwa zufällig schon. Während also die arme Mrs. Ellington die Hände wie Sägeblätter über der Skizze hin- und herbewegte, blickte ich konzentriert wie ein meditierender Yogi ins Unendliche – angelte dann einen Block heran, holte meinen Kugelschreiber aus der Handtasche und schrieb einen wohlformulierten Satz nieder, den ich Dr. König stumm hinüberschob.

Er überflog ihn mit unbewegter Miene und wartete weiter, bis Mrs. Ellington schließlich aufblickte und sagte:
„Also – wahrscheinlich geht’s nicht – aber wie ich das erklären soll – „

„Vielleicht so ?“ sagte er lächelnd und las von meinem Blatt vor: „Jede Seite des innersten Würfels muß jedenfalls erst durch einen Sägeschnitt entstehen – da dieser Würfel 6 Seiten hat, sind stets 6 Schnitte nötig.“

Sie überdachte das einen Augenblick, nickte dann impulsiv – schaute erst auf den Block und dann zu mir herüber und sagte mit reumütigem Grinsen:
„Spesen und Tagessatz bei Fräulein Rothacker, nicht wahr ?“

„Es scheint so – “ nickte er und erhob sich. „Dennoch – “ er machte eine kleine korrekte Verbeugung, „vielen Dank – „

Auch Mrs. Ellington war aufgestanden, sammelte ihre Sachen zusammen und trat dann plötzlich noch einmal auf uns zu:
„Ich wünsche Ihnen, daß – alles gut geht!“ sagte sie leise, wandte sich ab und ging.

Er sah ihr einen Augenblick nach – dann drehte er sich zu mir um.

„Tja -“ sagte er langsam, „es scheint, als wären nur noch wir beide übriggeblieben -„

„Halten Sie das – “ erwiderte ich ziemlich kalt, „für Anlaß zu großer Freude?“

Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn und ließ sich dann, wie ermattet, in den Sessel fallen.

„Wollen Sie mir jetzt eine Predigt halten – oder auch entrüstet hinausrauschen wie Miss Forbes?“ Er drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus – so abrupt, daß der Tabak aus dem weißen Papier platzte. „Natürlich war es ein Streß-Interview! Natürlich hab ich jeden billigen Trick benutzt! Aber – “ er sah mir voll in die Augen, „es war ein Kindergeburtstag im Vergleich zu dem, was Ihnen bei diesem Job bevorsteht!“

„Wie beruhigend !“ sagte ich sarkastisch. Er schüttelte den Kopf:

„Nun kommen Sie – tun Sie doch nicht so, als wäre Ihnen das nicht klar: erstens mal haben Sie‘ s mit mir zu tun – wie das ungefähr zugeht, haben Sie gerade erlebt. Dann wird ein Haufen Leute um Sie herumspringen und versuchen, Ihnen in alles reinzureden: da ist die alte Frau Stamm – die Haushälterin – die meine Frau und den Jungen vergöttert hat und alles hassen wird, was von mir kommt. Da ist meine liebe Schwester, die alles besser weiß. Da ist der alte Bollinger – „

„Der auch?“

„Na – der Querschädel! Onkel Doktor weiß alles am besten – der hat doch selbst mich an der Kandare! Was aber keineswegs heißt, daß seine Ideen von Erziehung richtig sein müssen! Und – “ er fuhr sich wieder über die Stirn, „vor allem der Junge selbst: machen Sie sich da nichts vor – natürlich hat ihn Marion in rosa Watte eingepackt: aber da drunter können Sie leicht auf Chromstahl stoßen – besonders wenn Sie von mir kommen!“ Er schüttelte den Kopf:

“Nein – das ist nichts für blaßblaue Idealisten oder Schulmeister-Typen! Die Mrs. Ellington wäre gar nicht so übel gewesen – aber wenn die bei Klaus anfängt, an den Fingern zu zählen – “ er grinste ein wenig, „und außerdem gibt sie zu schnell auf – wenn Sie gleich jedesmal die Flinte ins Korn schmeißen wollten, wenn Sie ‘nen Würfel nicht im Kopf zersägen können – „

„Aber daß ich das gekonnt habe, qualifiziert mich nun in Ihren Augen zur idealen Erzieherin?“ fragte ich spöttisch.

Er schüttelte wieder unwillig den Kopf: „Halten Sie mich für blöd – soll ich Ihnen aufzählen, was alles für Sie spricht? Von Ihrem Ritter Thomas Lord Glenarvon bis zu Ihrem Intermezzo mit dem Kaffee vorhin – oder Ihrer Selbstkontrolle, mir erst dann die Leviten zu lesen, wo Sie keine Konkurrenz mehr haben?”

Leider, leider – geht’s hier nicht mehr weiter…

Rosalind

As you like it

oder die Sache mit Rosalind

„If I were a woman I would kiss as many of you
as had beards that pleased me,
complexions that liked me,
and breaths that I defied not … „

„Wie es Euch gefällt“, Epilog des Darstellers der Rosalind

Die meisten Sachen sind ganz anders, wenn sie einem selbst passieren.

Wir lagen nach dem Baden wohlig faul in den Liegestühlen auf der Terrasse, und ohne mir viel dabei zu denken sagte ich, mich in der Sonne räkelnd:
„Wie schon wäre doch das Leben ohne die lila Pappel!“

„Ohne wen – ?!“ erkundigte sich Martin befremdet.

„Ohne die lila Pappel – “ wiederholte ich träumerisch, “ – oder wenn Du so willst, die Rosalinde – „

„Liegt die Dir noch immer so im Magen?“ meinte Martin nun mit verständnisvollem Lachen.

„Ach, das Weib geht mir auf den Geist!“ sagte ich grimmig. „Ich sehe ja noch ein, daß sie sich auf der Flucht als Knabe verkleidet – vielleicht fühlt sie sich sicherer so; obwohl – wenn’s so gefährlich ist, als Mädel rumzulaufen: warum läßt sie dann ihre Busenfreundin Celia ruhig weiter in Röcken gehen?“

„Weil die Rosalind ‚more than common tall’ ist – aber die Celia nicht: und gleich zwei so süße Knaben, wo der eine davon noch nicht mal richtig ausgewachsen ist – “ gab Martin zu bedenken.

„Also schön – “ räumte ich ein, „ich bin ja großzügig: laß sie in Hosen rumlaufen, bis sie im Ardenner Wald ist. Aber statt sich da nun, wie ein vernünftiger Mensch, zu freuen, daß sie endlich sicher bei Pappi angekommen ist – und das muß ja das Tagesgespräch bei den Ardenner Schäfern gewesen sein, wenn da ein ausgewachsener Herzog mit seinen Mannen bei ihnen im Wald rumhopst: hatte sich ja sogar schon bis zum Hof rumgesprochen! – also statt hinzugehen und zu sagen: guck Pappi da bin ich – und mein Cousinchen hab ich auch mitgebracht – nee, was macht se: kooft sich ’ne Schäferei!“

„Na ja – is doch ‘ne solide Kapitalanlage – “ wandte Martin realistisch ein, „mit’m abgesagten Herzog als Vater muß das Mädchen ja nu was für ihre Mitgift tun: denn ihr Orlando hat, wie Du Dich bitte erinnern willst, ja ooch nischt außer’m Hemd am Leib!“

„Verteidige die Zicke nich immer!“ ereiferte ich mich – wenn auch nur im Rahmen meiner Ferienstimmung, „das isses ja: nu kommt ihr edler Jüngling auch prompt, hängt schon die Bäume voll Gedichte und geht fast ein vor Liebe – aber sagt das Biest jetzt etwa: na Gottseidank, daß ich wenigstens den schon mal habe – nee, jetzt muß die natürlich erstmal ’ne Schau abziehen, was sie für’n kaltschnauziges Ganymedchen wäre und wie gut sie Verliebte kurieren könnte! Und der Orlando, der Trottel, hält se natürlich ooch brav für ’nen Mann – sogar der Pappi nachher sagt zwar ‚an diesen Hirtenknaben fallen mir – viele verwandte Züge meiner Tochter auf’: aber daß se’s wirklich is, merkt der ooch nich – !“

„Je nuuun – “ hob Martin, wie es seine Art war, zu dozieren an, „gesetzt, Du müßtest jetzt plötzlich nach – na sagen wir, nach Luxemburg fliehen – „

„Warum sollte ich nach Luxemburg fliehen?“ erkundigte ich mich befremdet.

„Meinethalben weil Du Deine Ferienarbeit über die Rosalinde nicht fertighast! Ist doch auch egal – aber: angenommen, in Luxemburg triffst Du jetzt meine Mutter, die auch dorthin emigriert ist – „

“Weil sie auch ihre Arbeit über Rosalinde nich fertiggekriegt hat?“

“ – und dort sitzt ihr also beide in der Bahnhofswirtschaft -“ fuhr er, meinen Einwurf souverän überhörend, fort, „und wie Ihr da so sitzt, betritt eine einheimische Maid in luxemburgischer Landestracht den Wartesaal – „

„Wie ist die luxemburgische Landestracht?“ warf ich ein.

Martin schlug die Augen gen Himmel: „Blau-weiß-rot-gestreift mit Schleifen im Haar – aber läßt Du mich jetzt mein exemplum zuendeführen ohne dauernde unziemliche Unterbrechungen: selbst wenn Euch an dieser Maid nun eine entfernte Ähnlichkeit mit mir auffiele -würdet Ihr deshalb gleich aufspringen und sagen: ach, das ist ja der Martin und hat sich nur verkleidet?!“

„Nein – also das kann man natürlich als Emigrant einer ehrbaren luxemburgischen Maid nicht antun!“ räumte ich ein. „Aber wenn diese Maid sich jetzt an uns ranmacht und große Bogen spuckt, ihr Onkel wäre Zauberer und sie hätte ’ne prima Idee, uns die schlechte Laune zu vertreiben: wir sollten sie mal unseren Martin nennen und ihr ‘ne Liebeserklärung – also vielmehr, ’ne Freundschafts- beziehungsweise Kindschaftserklärung wäre es ja in dem Fall – machen – ?“

„Also das kannst Du nun der Rosalinde wieder nicht übelnehmen: wenn sie ihren Orlando nun schon gerade da hat und zu gern mal was Nettes von ihm hören würde – “ verteidigte Martin die Herzogstochter wieder.

„Aber das konnte sie doch verdammt einfacher haben, wenn sie einfach sagen würde: guck-guck – ich bin ja wirklich die Rosi!“

„Jetzt – “ sagte Martin weise, „kommen wir zum Kern der Sache: was würde Dein guter Orlando, den Du eben schon weislich einen Trottel genannt hast, dann wirklich sagen? Am Herzogshof jedenfalls hat er vor lauter Erschütterung das Maul schonmal überhaupt nicht aufgebracht – jetzt hockt er da ohne Erbteil und Aussichten mit dem verkrachten Herzog im Wald – schwärmt natürlich von seiner Rosalinde, solange sie nicht da ist: aber wenn se jetzt plötzlich leibhaftig vor ihm steht?! Wird er da nich vor lauter Bescheidenheit und Edelmut – siehe Major von Tellheim – auch wieder kein gescheites Wort rausbringen?!“

Ich nickte nachdenklich: „Hm – da ist was dran: Du meinst also, die Rosi kriegt ihre Liebeserklärung überhaupt nur zu hören, weil er sie eben nicht für seine Rosalinde hält – sondern für einen verständnisvollen, aber wildfremden Hirtenknaben, bei dem er sich mal so richtig ausquasseln kann?“ Die Überlegung schien reizvoll – konnte sogar aus dem blöden Rosalinden-Thema noch was werden lassen – „aber: wenn das die allgemeine Regel sein soll, dann müßten sich ja alle Mädchen erstmal als Hirtenknaben verkleiden, damit sie einen Heiratsantrag bekommen – !“

„Na ja – zumindest bekämen sie ihn dann vielleicht oft schneller!“ meinte Martin philosophisch. „Wieder zum exemplum: wenn Du Dich jetzt verliebt hättest – sagen wir, zum Beispiel, in meine Schwester – „

„Was ich aber – ohne was gegen Deine Familie sagen zu wollen – nicht getan habe!“
“ – verliebt hättest, sagte ich: mit wem würdest Du dann eher darüber reden – mit ihr selbst oder einem vertrauten Freund wie mir zum Beispiel?“

„Exemplum appliziert nicht – “ winkte ich ab, „weil Du erstens kein wildfremder Hirtenknabe bist, sondern in dem Fall sogar ihr Bruder – und zweitens ja auch nicht gerade sagen würdest: hasch mich, ich spiel jetzt Deine Rosalinde – oder wie heißt sie, Marion – und werd Dich so von ihr kurieren!“ Ich schüttelte den Kopf. „Aber mal ohne Deine berüchtigten exempla: irgendwas ist da natürlich schon dran … „

Ich lehnte mich in den Liegestuhl zurück und blinzelte in den sommerblauen Himmel:
„Wenn also der Orlando kein Renaissancejüngling wäre und seine Rosi ein Mädel von heute – dann könnte ich den schon verstehen, wenn er nicht richtig wüßte, was er machen soll:
gibt er ihr ’nen Kuß, dann ist sie entrüstet und klebt ihm eine – gibt er ihr k e i n e n Kuß, ist sie beleidigt und nennt ihn ’nen Schlappschwanz – gibt er ihr ’nen Kuß und sie klebt ihm keine: dann kann er entweder weitermachen – und sie sagt, hach sie wäre aber doch nicht s o o eine und klebt ihm dann doch eine, oder sie i s t so eine und sauer, wenn er sich nicht traut: oder sie ist so eine und er traut sich und dann kriegt sie ’n Kind!“

„Kompliziert – !“ räumte Martin ein.

„Ach – das wäre überhaupt nicht kompliziert, wenn die bloß ehrlich sagen würden, was sie eigentlich wollen oder nicht wollen! Aber dieses verdammte ‚hach ich will nicht’ wenn sie eigentlich wollen und „huch ich wollte schon“ wenn sie in Wirklichkeit über- haupt nicht wollen: und sowas soll man dann heiraten? Damit ihr hinterher vielleicht einfallt, daß sie das genau genommen auch gar nicht richtig wollte – möglichst, wenn sie schon ein Kind kriegt?“

„Na ja – vielleicht w i s s e n sie aber tatsachlich nicht, was sie selber wirklich wollen: und erwarten, daß D u das eben für sie weißt ?“

„Na prima – “ ich wurde jetzt richtig sarkastisch, „Giacomo Hempelmeier-Casanova, der Frauenkenner in der Westentasche! Und bei wem – mit Verlaub gesagt – soll ich das erst mal l e r n e n, damit ich’s dann bei den Mädchen weiß ? Bei ’ner Nutte für 5 Mark an der Straßenecke die weibliche Seele studieren ?“

„Oder bei ’nem Hirtenknaben in den Ardennen – “ warf Martin sachlich ein, „der kriegt wenigstens mit Sicherheit kein Kind davon!“

Ich richtete mich halb auf:
„Moment – meinst Du jetzt, der Orlando ist in Wirklichkeit schwul?!”

„Schwul – fool – “ machte Martin geringschätzig. „Was ich meine, ist: da kann er doch endlich mal ü b e n – wie Du das so schön sagst – da hat er ’nen netten Jungen, sieht sogar seiner Rosi ’n bißchen ähnlich, ist aber gottseidank kein Mädchen, wo alles so kompliziert ist (denkt der Orlando wenigstens): und damit er sich dabei nun auch nicht etwa im Traum für schwul h a 1 t e n konnte, hat ihm der Bubi ja die schönste Entschuldigung geliefert: er s p i e I t ja bloß die Rosalinde – beide wissen ja, daß er keine ist – und dies auch noch zu dem ausdrücklichen Behufe, ihm die Liebe zur Rosi abzugewöhnen- „

“ – was natürlich bloß gerade nicht stimmt: denn sie i s t es ja – und den Teufel will sie ihm seine Verliebtheit abgewöhnen!“

„Das – “ winkte Martin ab, „ist die Story von der Rosi – aber wir sind jetzt beim Orlando: und der ist doch in d e r Situation (wie sagt man?) na also endlich mal so richtig enthemmt: hier kann er mal endlich nix verkehrt machen – und selbst wenn er was verkehrt macht, schadets auch nichts, weil er ja bloß so t u t als ob – aber natürlich genau das, was er gern alles wirklich täte – – – „

„Hm – “ nickte ich nachdenklich, „s o gesehen ist so’n Hirtenknabe natürlich wirklich ganz praktisch – !“

“ – während nun wieder die Rosi, um auf die zurückzukommen, nach Herzenslust das alte Spiel „ich wollte schon – aber ich will gar nicht“ spielen kann, das die Mädchen nun mal so gern haben: aber ohne Gefahr, daß sie ihren Orlando damit wirklich durcheinanderbringt – denn das tut ja gar nicht sie, sondern bloß ein Hirtenknabe, der die Rosalinde nachmachen will!“ stellte er befriedigt fest. „Große praktische Psychologin, die Rosi!“

Er lehnte sich jetzt seinerseits in seinem Liegestuhl zurück und schaute in die Luft.
„He – das ist übrigens auch der Grund !“ sagte er plötzlich.

„Welcher Grund nun schon wieder ?“ fragte ich mißtrauisch.

„Der Grund, daß Du auf die Rosi so sauer bist!“

„Wieso – weil sie eine große Psychologin ist ?“

„Weil sie – “ sagte Martin langsam, ohne den Blick vom blauen Himmel zu wenden, „Deine Probleme im Umgang mit Mädchen erstklassig lösen würde – aber leider bloß eine Figur bei Shakespeare ist und kein wirkliches Mädchen! Und das ist nun wahrscheinlich auch der Grund – „

“ – noch’n Grund – ?!“ sagte ich resigniert.

“ – daß der Alte ausgerechnet Dir ausgerechnet dieses Thema aufgehängt hat !“ fuhr er, noch immer ins Blaue starrend, fort. Und nach einer kleinen Pause: „Bei dem hat nämlich das meiste, was er tut, noch ’nen doppelten Boden – „

Ich schwieg und war ganz zufrieden, daß Martin noch immer voll mit dem blauen Sommerhimmel beschäftigt schien: es ist immer ein bißchen ein komisches Gefühl, wenn man mitten in einer scheinbar ganz harmlosen Diskussion über was völlig entlegenes feststellt, daß man in Wirklichkeit seine ganz persönlichen Probleme diskutiert hat …

Nicht, daß ich Martin übelnahm, wenn er das plötzlich zutage gebracht hatte: ich hatte schon öfter das Gefühl gehabt, daß er mich eigentlich besser kannte, als ich mich selber. Aber seine letzte Vermutung, daß sogar der „Alte“ – der scheinbar ohne jede Ahnung von uns durch die Welt der Literatur wandelte – diese meine Probleme durchschaut haben sollte: und sich deswegen eigens ein spezielles Ferienthema für mich einfallen lassen hätte ?

„Was hat er D i r denn für’n Thema gegeben ?“ fragte ich Martin leichthin.

„Mir ?“ Er zögerte einen Moment fast unmerklich. „Der Widerspenstigen Zähmung!“ sagte er dann.

„Na das läßt dann aber auch tief blicken: hast Du so ’nen verdrängten Wunsch, Kätchens zu quälen ?“ gab ich mit etwas unsicherem Spott zurück; irgendwie hatte ich das Gefühl, daß wir uns auf zu dünnem Eis bewegten – – –

„Kätchen – Schnädchen !“ sagte er wegwerfend. „Nicht das Stück – sondern das Vorspiel!“

„Das mit dem besoffenen Kesselflicker und dem Lord ?“

„Eben dieses !“ Wieder schwiegen wir eine ganze Weile, bis Martin schließlich anfing, wie in die Luft zu sprechen:
„Und wenn es Dich beruhigt – mir ist mein Thema genauso auf die Nerven gegangen wie Dir Deine Rosalinde!

Das ist nämlich – wenn Du Dir’s genau betrachtest – eigentlich eine echte Horrorstory,

Stell Dir vor: Du hast also irgendwo einen zuviel gehoben und Dich irgendwohin verdrückt, um Deinen Rausch auszuschlafen. Aber wie Du wach wirst, liegst Du nicht etwa in Deiner stillen Ecke – sondern in einem Prunkbett in einem stinkvornehmen Schloß, und ein Haufen Leute steht um Dich herum und begrüßt Dich als „Eure Lordschaft’. Natürlich sagst Du , was soll der Quatsch, ich bin der Franz Hempelmeier und will nach Hause – aber die sagen alle bloß betroffen ‚ach Himmel, jetzt fangen seine Wahnvorstellungen wieder an!‘ und reden mit Engelszungen auf Dich ein, Du wärst doch der Lord von Dingsendale, und Weib und Troß und Englands ganzer Adel wären tieferschüttert, daß Du Dich für den simplen Hempelmeier hieltest – jahrelang nun schon – wo doch in Wirklichkeit die ganze Herrlichkeit der Welt auf Dich wartete: vom Rolls Royce bis zum Aufsichtsratsposten und vom Privatflugzeug bis zum Oberhaussitz – ganz zu schweigen von Deiner schönen Frau, die sich seit Jahren die Augen ausheulte wegen Deiner Erkrankung!

Natürlich protestierst Du immer noch, das müsse ja ein Irrtum sein, Du wärst der Hempelmeier – aber nein, sagen sie, und holen drei Psychiater und ein Dutzend Anwälte, die Dir bestätigen, natürlich hättest Du während Deiner Krankheit immer tolles Zeug ge redet, von Ferienaufsätzen über Rosalind und ’nem Freund namens Martin und der Zwischenprüfung im Herbst: aber Du wärst ja nun eben der Lord Dingsendale, wie jeder bestätigen könne – solche Fälle kämen eben schon vor, aber jetzt wärst Du ja endlich wieder normal – und da kommt zu allem Überfluß auch noch Dein bildschönes Weib und fällt Dir schluchzend vor Glück um den Hals – na und da glaubst Du’s nun schließlich endlich, nicht wahr?

Aber in Wirklichkeit steht die ganze Zeit der echte Lord Dingsendale dabei und biegt sich innerlich vor Lachen, weil Du natürlich in Wirklichkeit doch bloß der Hempelmeier bist – und Dein bildschönes Weib, mit dem Du da so zärtlich rumknutschst, bloß sein Page Barthol’mew, den sie als Lady aufgeputzt haben mit ’ner Zwiebel im Taschentuch, damit er auch schön echt heulen kann!“

Er hieb mit der Faust auf die Lehne des Liegestuhls;
„Wenn das nicht die verdammteste und niederträchtigste und entwürdigendste Sauerei ist, die man mit einem Menschen aufstellen kann – und warum ? Weil der Herr Lord sich mal amüsieren will, der Gentleman! Und da kommt ihm natürlich so ’n niederes Wesen wie der Hempelmeier gerade recht – der hat ja keine Gefühle, auf die man Rücksicht nehmen müßte, der hat ja keinen Anspruch auf ’n bißchen ‚Fairneß’ (die ist nur für Lords und weiter aufwärts reserviert), der ist nur ’n ‚monstrous beast – how like a swine he lies!“ und natürlich Freiwild für ’nen Lord – ‚to p r a c t i s e on this drunken man’ ! Und das gibt mir der Alte als Ferienthema – süß , nich ?“

Er hatte sich einigermaßen in Feuer geredet – aber dann lehnte er sich wieder zurück und fuhr leiser fort:
„Aber das schlimmste ist – natürlich hat das Ganze irgendwo seine Faszination; vielleicht gerade weil es so schäbig und so unwürdig und so – “ er zuckte die Achseln , „wwrrä ist: genau wie ’ne Gruselgeschichte ja auch erst dann richtig gut ist, wenn man eigentlich möchte, daß sie endlich aufhören sollte – und doch immer weiter zuhört, trotzdem ja höchstens noch was Schlimmeres kommen kann – „

Er räkelte sich im Liegestuhl zurecht:
„Da haste natürlich erstmal das Problem – was ist ‚Realität‘ ? Wenn alle Leute Dir sagen, Du wärst gar nicht der Hempelmeier – sondern, ach ich weiß nicht, der Sohn vom Dalai Lama: wie lang hältst Du dann durch? Ich meine: schließlich b i s t Du ja ‚der Hempelmeier’ nicht nach irgendeinem Naturgesetz – sondern bloß, weil alle Leute Dich so nennen; und wenn sie damit ebenso einstimmig plötzlich aufhören und Dich jetzt Lord Dingsendale oder Dalai Lama junior nennen – mußt Du da nicht mitmachen ?

B i s t Du es dann nicht vielleicht sogar wirklich – wen sollst Du denn fragen, wer Du wirklich bist, wenn sich alle verschworen haben, Dir was anderes zu sagen ? Und das gilt natürlich nicht bloß für den Hempelmeier – sondern genau so für alles andere: weißt Du, ob es den Mount Everest wirklich gibt ? Du warst noch nicht da – und ich war noch nicht da – wir glaubens doch beide bloß, weil alle Leute uns das erzählen – „

„Hm – consensus omnium – “ murmelte ich weise.

„Ja – damit geht’s aber weiter: wenn Du noch nicht mal weißt, ob es den Mount Everest gibt – woher weißt Du dann, daß es sowas wie ‚Menschenwürde‘ gibt? Die ist doch bestimmt erst recht ein consensus omnium – und wenn sich nun, wie bei unserem Lord, alle darüber einig zu sein scheinen, daß der Kesselflicker gar kein Anrecht auf Menschenwürde hat: wo bist Du denn dann mit Deinen edlen Gefühlen? Vielleicht auch bloß auf einen Jux von seiner Lordschaft reingefallen, der da ein paar Phrasen als Ideale aufgeputzt hat – nebst Zwiebel für Rührungstränen im Spitzentaschentuch ?!“

„Oh Mann – gehst Du aber ran !“ sagte ich erschüttert. „Aber der olle Shakespeare hat doch bestimmt keine solche Generalattacke auf Realität und Menschenwürde im Sinn gehabt, als er dieses Vorspiel schrieb ?!“

„W a s der Gute – “ erwiderte Martin resigniert, „dabei wirklich im Sinn gehabt hat, weiß der Himmel – ich weiß es jedenfalls nicht: einen gescheiten Sinn als Auftakt für das wirkliche Stück hat das Ganze kaum – natürlich, da kommen Schauspieler, und da der Page aus naheliegenden Gründen mit seinem ‚Gatten‘ nicht ins Bett gehen kann, schauen sie sich erstmal ’n Theaterstück an: aber schließlich macht der olle Shakespeare sonst nie so’n Umtrieb, bloß damit er mit’m Stück anfangen kann – das kannste ja wahrhaftig auch spielen, indem Du gleich aufm Platz in Padua beginnst – und am Schluß sind der Lord und Kesselflicker und Page sowieso alle abhanden gekommen und kein Mensch erfährt mehr, was mit ihnen passiert ist! Halt dagegen mal die Schauspieler und ihre Aufführung im ‚Hamlet‘ – was er da alles aus dem Doppelspiel rausholt! – und Du wirst regelrecht melancholisch … „

„Das ist doch überhaupt das einzige Vorspiel – also so als Rahmenhandlung – das es bei Shakespeare gibt, wenn ich mich recht entsinne ?“ fragte ich.

Martin nickte. „Und übrigens auch die einzige Stelle, wo er mit ’nem Knaben in Damenkleidung operiert – wenn Du mal das bißchen Feenspielen in den „Lustigen Weibern‘ wegläßt, wo die Freier statt der Anne ’n paar Jungens erwischen – während er Mädchen in Knabentracht mit allen Komplikationen verwendet – ob Du nun Deine Rosi hernimmst oder die Viola; denen passiert so beinahe alles, was an dramatischen Verwicklungen einem Mädchen in Hosen überhaupt passieren kann! – jetzt hat er hier mal das umgekehrte: und was macht er damit – nischt!“

„Na ja – “ gab ich zu bedenken, „nun war das ja zu Shakespeares Zeiten auch nicht der große Gag wie meinetwegen in ‚Charleys Tante’ später oder so: wenn sowieso alle Frauenrollen von Männern gespielt wurden – „

„Woll, woll – “ machte Martin, „aber in dem Vorspiel wühlen ja nun alle richtig mit Begeisterung in dem Thema: wie traurig die Lady wäre und wie schön die Lady wäre und wie er der Lady im Bett gefehlt hätte und daß der Arzt leider geraten hätte, sie solle noch nicht gleich bei ihm schlafen – während der gute Lord ja nun extra angeordnet hat, man soll all seine „wanton pictures“ rund um den armen Sly aufhängen, um ihn recht aufzugeilen, und sich schon vorher freut, wie der Page mit „kind embracements“ und mit „tempting kisses“ auf ihn losgehen soll und wie prima er ‚grace, voice, gait and action of a gentlewoman’ markieren wird, wenn der gute Lord ihm zu.verstehen gibt, das müsse er ‚as he will win my love‘ – wirft übrigens ganz lustige Seitenlichter auf die Funktion von Pagen bei ollen Lords, was ? – aber nachdem sich alle da so regelrecht besoffen drüber geredet haben: da passiert am Ende garnischt – nee, se gucken Fernsehen zusammen, oder vielmehr Theater, weils damals ja noch kein Fernsehn gab ! “ Er zuckte die Achseln.
„Hm – vielleicht überläßt der olle Avonschwan den Rest der schmutzigen Phantasie des Zuschauers ?“ vermutete ich. „Weil der sich vielleicht Sachen ausmalt, die man auf der Bühne garnich zeigen kann ?“

„Na das war aber ’ne prima Methode: spiel’n wir den Hamlet bloß, bis der Geist kommt – und dann darf sich jeder ausmalen, wie’s weitergeht – auf der Bühne führ’n wir inzwischen lieber ’n bißchen Othello auf, oder Richard III. ?“ protestierte Martin. „Aus- serdem hat er’s ja mit der Rosi oder der Viola ooch geschafft, ohne nun gleich ’ne Lesbenshow vorzuführ’n – also warum sollte er nu bei dem kleenen Pagen auf einmal keene salonfähige Idee mehr gehabt haben – ?!“

„Schön – also was hättst’n Du zum Beispiel an Shakespeares Stelle weiter passieren lassen ?!“ fragte ich – und als Martin nicht antwortete, fuhr ich auf einmal inspiriert fort: „Das isses ja vielleicht gerade, weshalb der Alte Dir das Thema aufgehängt hat!“

„Wieso – ?“ fragte diesmal Martin mit spürbarer Zurückhaltung.

„Nun – “ erklärte ich befriedigt, „Du hast mir vorhin so schön auseinandergesetzt, warum ich mit der Rosalinde nicht klargekommen wäre – und welch profunde Menschenkenntnis das beim Alten bewiese: jetzt hast aber D u auch ’n Thema, mit dem Du vorn und hinten nicht klarkommst – also, schließe ich, wollte der Alte damit eben auch ’n psychologisches Problem von Dir ansprechen!“

„‚Du sprichst klüger, als Du es selbst gewähr wirst – ‚“ zitierte Martin, noch immer seltsam zurückhaltend. „Aber weiter – ?“

Hm – weiter ? Das wurde mir ein bißchen unheimlich – so detailliert war meine Inspiration ja nun gar nicht gewesen! – aber nun konnte ich mich ja der Verpflichtung, sie weiter auszuspinnen, schlecht entziehen:
„Wenn wir mal von der Hypothese ausgehen – “ tastete ich mich vorsichtig weiter, „daß mich also die Rosalinde/Orlando-Geschichte nervös gemacht hat, weil sie etwas widerspiegelt, was ich eigentlich gern erleben würde, weil dabei ein Problem ausgeräumt wäre, das mich sonst im Umgang mit Mädchen hemmt – so war das doch, nicht wahr? – dann müßte Dich also dieses Vorspiel nervös machen, weil es etwas widerspiegelt, das D u eigentlich gern erleben würdest – “ Ich stockte.

“ – weil dabei ein Problem ausgeräumt wäre ‚- ?“ fuhr Martin für mich fort und sah mich forschend an.

“ – das Dich sonst im Umgang mit – Mädchen ?“ Ich stockte wieder, „- nee, es sind ja überhaupt keine Mädchen dabei – es sind ja alles bloß lauter Männer – „

„Also: das mich sonst im Umgang mit Männern hemmt!“ ergänzte Martin sachlich.

Das wäre ja wohl die logische Folgerung!“

„N’ – jaa – “ sagte ich etwas hilflos und guckte ihn an; das war anscheinend keine besonders glückliche Inspiration gewesen, die ich da gehabt hatte – ?

„Aber bitte weiter, Herr Analytiker !“ sagte Martin scheinbar leichthin – aber doch seltsam unerbittlich. „Im Falle Rosalind wurde das Problem offenbar dadurch ausgeräumt, daß sich ein Mädchen als Mann verkleidet hatte und dadurch nicht mehr an seine konventionelle Rolle gebunden war – „

“ – während sich hier ein Kesselflicker für einen Lord hält und dadurch – “
versuchte ich, nun schon einigermaßen krampfhaft, die Situation zu retten.

„Komm schon – sooo blöd bist Du doch in Wirklichkeit gar nicht!“ unterbrach mich Martin unwillig.

„N-nein“- “ sagte ich langsam und hatte auf einmal wieder sehr viel Lust, in den blauen Himmel zu gucken. Aber zugleich hatte ich auch das Gefühl, daß das jetzt nicht das Richtige wäre…

„Aber – das ist doch alles höherer Blödsinn!“ sagte ich und sprang aus dem Liegestuhl auf. „Wenn Du den geheimen Wunsch hast, als schöne Lady Männer zu umgarnen – und ich den geheimen Wunsch, mit ’nem Hirtenknaben rumzuturteln, der ’ne schöne Lady ist – “ ich suchte etwas hilflos nach Worten, um auszudrücken, wie absurd das sei – aber was ich wirklich sagte, war merkwürdigerweise: “ – dann können wir uns ja gleich zusammentun – !“

„Vielleicht – “ sagte Martin leise, „sollten wir genau das tun.“

Ich fuhr herum und starrte ihn an – aber jetzt schaute er seinerseits wieder in den Sommerhimmel und fuhr wie beiläufig fort:
„Psychodrama – kennst Du doch: Moreno ? – ist eine Methode, innere Konflikte abzubauen, indem man sie mit verteilten Rollen ausspielt; ausspielt im vollen Bewußtsein, daß man sie nur spielt und daß man sie deshalb dabei überhaupt nicht so tierisch ernst nehmen muß, wie man das sonst immer tut Da geht die Welt nicht unter, wenn man was ‚verkehrt’ macht – sondern man sagt bloß ‚halt, zurück, Szene nocheinmal‘ – na ja, wir haben den ganzen Kram ja vorhin schon bei Deiner Rosi lang und breit durchgekaut … „

Hmmm – das war alles so unfaßbar, daß es irgendwo schon wieder einleuchtend war – – –

Aber jedenfalls, hatte ich das Gefühl, mußte ich jetzt etwas sagen.
„Also schön: Theorie – klar“, meinte ich mit gemachter Forschheit, „aber wie soll das jetzt praktisch vor sich gehen ? Ich meine, hängen wir jetzt ein Schild auf ‚dies ist der Ardenner Wald’ – „

“ – um Mitternacht – ein Pionier steht auf der Wacht – “ setzte Martin, zwar nicht ganz korrekt, aber offenbar nicht unglücklich über die komische Wendung, fort.

“ – und denket an sein fernes Lieb – ob’s ihm auch treu und hold verblieb – “ fiel ich ein.

“ – nur daß das Lieb in diesem Fall gar nicht fern ist – “ korrigierte Martin.

“ – sondern zumindest vertretungsweise erscheint – nickte ich.

“ – in all suits dressed like a lady – “ ergänzte er.

„W a s ?!“ sagte ich einigermaßen entgeistert.

„Na ja – “ meinte Martin leichthin, „meine Schwester ist ja verreist – und die Sachen passen mir ja – „

Ich muß wohl noch immer ein ziemlich seltsames Gesicht gemacht haben. Denn als jetzt auch Martin aufstand, sagte er wie beiläufig:
„Vielleicht sollten wir es auch lieber lassen,“

Wieder hatte ich das etwas unheimliche Gefühl, alles verkehrt zu machen.

„Also was nun: rin in die Kartoffeln – raus aus die Kartoffeln – “ knurrte ich betont unwirsch, „vielleicht werfen wir’n Groschen ?“

Martin stutzte und schaute mich einen Moment lang nachdenklich an.

„Das ist vielleicht gar keine schlechte Idee – “ sagte er dann langsam und holte sein Portemonnaie heraus.

„Wir werfen jetzt diesen Groschen – oder vielmehr dieses Fünfzigpfennigstück. Fällt Zahl, dann setzen wir uns hin und lösen dieses finstere Gleichungssystem mit den fünf Unbekannten – und vergessen Shakespeare und alles andere.
Fällt dagegen – “ er drehte die Münze um, “ diese keusche Maid mit dem Eichenboom in der Hand, dann löst Du das System mit den fünf Unbekannten allein, während ich – etwas anderes vorhabe. O.K* ?“

Ich nickte. Martin schnippte das Fünfzigpfennigstück in die Luft. Es landete auf dem Steinboden der Terrasse, hüpfte klirrend noch ein paarmal weiter und kam dann langsam, noch immer sirrend auf der Kante kreisend, zur Ruhe.

Aber wir hatten beide schon gesehen: die Maid lag oben.


Die meisten Sachen sind – wie ich anfangs schon mal sagte – ganz anders, wenn sie einem selbst passieren.

Wahrscheinlich wäre es höchst eindrucksvoll und würde auch den Erwartungen eines Lesers viel mehr entsprechen, wenn ich jetzt berichten könnte, wie ich die nächste Stunde mit Herzklopfen, düsteren Vorahnungen oder Zweifeln, flauem Gefühl in der Magengrube oder sonstwie dramatisch verbracht hätte.

Nur war es überhaupt nicht so. Ein System linearer Gleichungen mit fünf Unbekannten nach dem verketteten Gaußschen Algorithmus zu lösen ist etwas, was man nicht mit Herzklopfen oder düsteren Zweifeln kombinieren kann – selbst wenn man, wie ich, eine elektrische Rechenmaschine zur Verfügung hatte, ist man vollauf mit den ganzen kumulierten Produktsummen beschäftigt: oder wenn man es nicht ist, löst man das Gleichungssystem eben nie.

Da aber die Gleichungen eben bis Montag gelöst werden mußten, verzichtete ich auf Herzklopfen und Zweifel und konzentrierte mich lieber auf die Rechnerei.

Zugegeben: wahrscheinlich gar nicht ungern.

Ich weiß das zwar nicht – aber vermutlich hat jeder in meinem Alter mal über Homosexualität nachgedacht. Mit Abscheu oder mit großzügiger Toleranz oder mit uneingestandener Faszination – aber jedenfalls ist es wohl kein Thema, auf das man nicht irgendwann mal stößt: ob nun via Platos Gastmahl, die Römer der Verfallszeit oder irgendeine aktuelle Tuschelaffaire. Und – das weiß ich zwar wieder nicht, aber ich könnte es mir gut vorstellen – wahrscheinlich hat sich auch jeder schon mal überlegt, was e r eigentlich tun würde, wenn ihm jemand einen homoerotischen Antrag machte?

Ich jedenfalls hatte das alles bestimmt schon einmal getan – nur: alles, was ich mir da vielleicht einmal so überlegt hatte, paßte ja doch überhaupt nicht zu der jetzigen Situation Weder paßte mein Freund Martin in die Rolle eines schwulen Lüstlings oder süßlichen Lustknaben – noch sein nüchtern-sachliches „Vielleicht sollten wir genau das tun“ zu meiner Vorstellung von einem „homoerotischen Antrag“

…[Hach Gott – an der Stelle bricht, wie bei mir üblich, das Fragment natürlich mal wieder ab! Ich weiß noch, daß ich durchaus mit dem nächsten Kapitel begonnen habe: aber ärgerlicherweise mit einem meiner ersten Textverarbeitungs-Systeme auf einem vorsteinzeitichen Computer – noch unter CPM oder sowas – dessen Diskette abhanden gekommen ist, aber heutzutage sowieso nicht mehr gelesen werden könnte … ]

Das Karnevals-Mädel

In diesem Fragment – das absichtlich in bubenhaft naivem Stil (Vorahnung des späteren “Anton”?) abgefaßt ist – wälzt sich unser Autor nun mal geradezu wollüstig in all den speziellen Phantasien seiner Knabenjahre: vom Dienstmädelspielen über schlampernde Gummi-Mädchensachen bis zur entzückten Mutti, höflichen Kavalieren und von allen bestauntem Mädel-Markieren!)

(Diplomandin Margot Trugmaid)

Eine ulkige Geschichte von Ulrich als Ulrike

Es war einmal ein Junge, der wollte sich furchtbar gern als Mädchen anziehen.

ber weil das ja nicht erlaubt war und weil er deshalb auch gar keine Mädchensachen hatte, konnte er nur ab und zu mal heimlich, wenn er allein zuhause war, ein Kleid von seiner Mutter überziehen und sich ein Kopftuch umbinden und sich dann im Spiegel angucken. Das machte ihm immer großen Spaß und er fand, daß er dabei wirklich ziemlich wie ein Mädchen aussah – aber natürlich nicht richtig so, wie er das eigentlich am liebsten gemacht hätte, weil er immer nur wenig Zeit dazu hatte und auch nie auf die Straße gehen konnte, damit ihn die Leute wirklich für ein Mädchen hielten.

Da kam aber eines Tages der Karneval und in dem können sich ja alle Leute als alles mögliche anziehen und so dachte er natürlich auch gleich daran, daß er sich da vielleicht auch als Mädchen anziehen könnte – aber er wußte immer noch nicht wie er das wirklich machen sollte. Nun war es aber so, daß die Lehrerin von seiner Schulklasse sagte, am Samstag vor Rosenmontag sollten sich alle Jungen aus seiner Klasse nachmittags in einem Hinterzimmer von einem Lokal mit ihr treffen und zusammen Kaffee und Kuchen trinken – natürlich weil es ja Karneval war alle irgendwie verkleidet.

Da dachte er, das wäre ja nun die beste Gelegenheit, weil es ja gar nicht seine Idee war sondern von der Schule verlangt – und er mußte nur noch seine Mutter dazu kriegen, daß sie ihn als Mädchen verkleidet gehen ließ. Noch besser wäre es natürlich, dachte er sich, wenn er das gar nicht von sich aus sagen müßte sondern wenn seine Mutter von selbst auf die Idee käme!

Also sagte er erst mal bloß zu ihr, daß die Lehrerin das gesagt hätte und daß jeder eine Mark fünfzig abgeben sollte für den Kaffee und den Kuchen und als sie ihn fragte als was er denn gehen wollte sagte er das wüßte er eigentlich noch gar nicht. Was denn die anderen aus seiner Klasse so machen wollten, fragte sie ihn. Da sagte er na ja alles mögliche so Kauboys und Klauns aber das macht ja jeder und manche haben natürlich auch schon irgendwelche Kostüme so von ihren Eltern oder Geschwistern die sie nehmen können aber da haben wir ja nichts und einer will glaube ich auch als Hexe kommen in einem alten Kleid von seiner Mutter.

Na ja wenn das einer schon macht kannst Du das ja nicht mehr machen sagte seine Mutter sonst hättest Du natürlich auch ein Kleid von mir nehmen können und so ne Hexenmaske. Aber die ganzen Masken kosten ja auch bloß Geld, sagte er raffiniert weil seine Mutter nämlich Witwe war und sie nicht besonders viel Geld hatten, und außerdem kann man mit so ner Maske vorm Gesicht ja sicher nicht richtig Kaffee trinken und Kuchen essen und außerdem täte ich ja wenn ich schon so ein Kleid anziehen täte nicht ausgerechnet eine häßliche alte Hexe machen!
Nun war es aber so, daß seine Mutter eigentlich sowieso lieber ein Mädchen als Tochter gehabt hätte als einen Jungen und daran lag es vielleicht auch daß er sich so gern als Mädchen anziehen wollte und als er das jetzt so nebenbei von dem Kleid sagte hakte sie gleich darauf ein und sagte na ja Du könntest Dich natürlich auch als richtig niedliches Mädel anziehen!

Das war natürlich ganz genau das was er hören wollte aber er guckte sie erst mal ganz harmlos an und sagte wie wenn er ganz erstaunt wäre: ja meinst Du denn das könnte ich? Aber natürlich, sagte seine Mutter ganz eifrig, Du hast doch eigentlich ein richtiges hübsches Gesicht und wenn Du Dir ein Kopftuch umbindest siehst Du bestimmt genau wie ein Mädel aus! Na das muß ich aber erst mal probieren sagte der Junge trotzdem er das ganz gut wußte weil er es heimlich schon oft gemacht hatte und nahm gleich ein Tuch von seiner Mutter vom Haken und band es sich vor dem Spiegel um.

Da sah er natürlich wirklich gleich gar nicht mehr aus wie ein Junge sondern mehr wie ein Mädchen weil man die kurzen Haare nicht mehr sah und das Tuch auch das ganze Gesicht noch schmaler und runder machte – und seine Mutter sagte ganz stolz na hab ich ’s nicht gesagt richtig wie ein hübsches Mädel und wenn Du Dir noch die Lippen rot machst und so ein paar Haare wie Locken rauszupfst dann erkennt man Dich überhaupt nicht wieder!

Hi sagte der Junge als er merkte daß das seiner Mutter so richtig Spaß machte das wäre ja überhaupt lustiq wenn keiner aus der Klasse und noch nicht mal die Lehrerin mich erstmal erkennen täten – das ist ja eigentlich der Jux daran wenn man sich im Karneval verkleidet daß nicht jeder sagt ach das ist der Fritz als Kauboy oder sowas sondern daß alle sagen wer ist denn das? Aber da darf ich natürlich das Kopftuch nachher nicht abmachen und da muß ich was machen wo man es immer aufbehalten kann so wie irgendeine Bäuerin oder sowas!

Ja wenn ich ein Dirndlkleid hätte sagte seine Mutter aber dazu bin ich ja nun schon zu alt aber ich könnte natürlich bei der Nachbarin fragen ob die vielleicht eins von ihrer Tochter hat und uns das borgt? Nein aber lass mal sagte der Junge vielleicht finden wir was was wir selber machen können mit Sachen die wir haben – wie wäre das denn so mit einem Dienstmädchen mit einem Kittel und ’ner Schürze drüber und einem Eimer und Schrubber in der Hand, die haben doch oft beim Arbeiten dann auch immer ein Kopftuch um?

Ach ja, sagte seine Mutter, da habe ich mal im Ausverkauf so ’nen roten Wickelkittel mit weißen Punkten gekauft den ich dann nie angezogen habe weil er mir dann doch zu knallig vorkam für eine Frau in meinem Alter aber für Dich wär der genau das richtige weil Du ihn auch so eng machen kannst wie Du willst – und dazu könntest Du dann auch gut genau so ein Kopftuch nehmen, da habe ich glaub ich auch eins! Na ja sagte der Junge und da drüber könnte ich dann Deine blaue Gummischürze binden wie wenn ich vom Abwaschen komme oder so – jetzt müßte ich eigentlich nur noch richtige Schuhe dazu haben, ich könnte zwar immer meine Jungenschuhe dazu anziehen aber besser passen würden natürlich auch richtige Mädchenschuhe oder sowas!

Nun da mußt Du mal ein paar Schuhe von mir anprobieren ob die Dir passen sagte seine Mutter. Nun wußte der Junge daß ihm die Schuhe von seiner Mutter alle viel zu weit waren aber er konnte ja nicht sagen daß er das schon heimlich ausprobiert hatte und so zog er also seine Schuhe aus und probierte ein paar von seiner Mutter an. Aber in denen wackelte er jedesmal so herum daß sie sagte nein das geht nicht aber da frage ich jetzt wirklich mal unsere Nachbarin!

Das war dem Jungen natürlich sehr recht denn an die Schuhe von anderen Mädchen wäre er natürlich allein nie herangekommen aber er sagte vorsichtshalber noch immer es wäre ihm aber ein bischen umheimlich wenn an geborgte Schuhe vielleicht was drankäme bei der Schulfeier oder auch beim Hingehen wenn etwa Matsch auf den Straßen wäre – weil er nämlich was ganz bestimmtes im Auge hatte was er bei der Nachbarin ihrer Tochter gesehen hatte – und so sagte er als wenn es ihm gerade einfisle natürlich wenn die uns vielleicht so ein Paar schwarze Lack-Damengummistiefel borgen könnten das würde schön passen wie wenn das Dienstmädchen gerade aus der Waschküche kommt und so und außerdem kann an die kaum was drankommen selbst wenn einer mir Kaffee drüberschüttet oder Schneematsch auf der Straße ist weil sie ja genau gegen sowas gemacht sind und man kann sie einfach wieder abwaschen!

Ja das ist eine gute Idee sagte seine Mutter Du hättest wirklich ein Mädchen werden sollen wie Du so an alles denkst und dann kann ich auch gleich sehen ob ich da einen Lippenstift borgen kann zum Lippenrotmachen und was die jungen Mädchen da heute sonst noch alles haben damit wir ein richtig hübsches Mädel aus Dir machen!

Und weil das alles so gut klappte, wurde er mutig und fing furchtbar an zu kichern. Was hast Du denn, fragte seine Mutter. Ach nichts, sagte er und kicherte dabei noch immer weiter, ich denke nur, wenn ich so ein richtig erwachsenes Dienstmädchen sein soll, dann müßte ich mir eigentlich auch ein paar dicke Luftballons vor die Brust binden so wie das Frollein Tilla bei Meyers gegenüber!

Da mußte seine Mutter auch lachen, schon weil das Fraulein Tilla natürlich keine Luftballons vor der Brust hatte sondern einen richtigen dicken Busen aber auch weil sie sich auf einmal vorstellte daß sie ihren Jungen nicht bloß als kleines Mädchen aufputzen täte sondern sogar gleich wie ein richtiges schickes Frollein dem die Männer nachgucken und vielleicht machte es ihr auch Spass daß sie dabei die jungen schicken Frolleins genau so auf die Schippe nehmen könnte wie die Männer die ihnen nachguckten?

Jedenfalls war sie jetzt Feuer und Flamme für die ganze Verkleiderei und das war natürlich genau das, was sich der Junge schon immer gewünscht hatte» Als der große Tag gekommen war, mußte er am Morgen schon gleich aus dem Bett in die Badewanne steigen und sich am ganzen Leib sauber abschruppen – und dann durfte er gar nicht erst seine Jungensachen anziehen sondern seine Mutter hatte ihm schon gleich alles zurechtgelegt was er anziehen sollte weil sie sagte er müßte sich doch erst an die ungewohnten Frauensachen gewöhnen ehe er nachmittags losging aber in Wirklichkeit wollte sie wohl schon den ganzen Tag über mal statt ihres Jungen ein schickes erwachsenes „Fräulein Tochter“ um sich haben.

Deswegen sagte sie wohl auch daß er als er aus der Badewanne kam und sich abgetrocknet hatte zum Frühstück gleich ihren buntgemusterten Frotteehademantel überziehen sollte wie ein Mädchen das vom Baden kommt und war ganz begeistert als er sich auch gleich dazu ihre Frauenbadehaube aus Plastik aufsetzte. Jetzt siehst Du schon halb aus wie ein Mädel sagte sie als er ihr am Frühstückstisch gegenübersaß aber paß auf wir machen Dich noch viel hübscher zurecht gleich!

Das machte ihm einerseits schon großen Spaß aber andererseits hatte er auch eine Sorge: wenn er nämlich so daran dachte daß er gleich lauter richtige Mädchen- und Frauensachen anziehen sollte merkte er immer daß sein Schwänzchen das sonst ganz klein war plötzlich richtig hart und dick wurde und sich aufstellte was zwar ein sehr angenehmes Gefühl war aber erstens überhaupt nicht unter einen glatten Mädchenrock paßte und zweitens genierte er sich auch ziemlich vor seiner Mutter wenn sie sehen würde daß ihm sowas passierte während sie ihn als Mädchen anzog und vielleicht täte sie es ihm dann sogar noch verbieten?

Deshalb versuchte er es so hinzukriegen daß sie nicht dabei war wenn er die er-sten Sachen so untenrum anzog und glücklicherweise konnte er sie auch dazu kriegen noch einmal zu der Nachbarin rüberzugehen wegen der Mädchengummistiefel und wahrend sie da weg war machte er sich ganz eilig daran schon mal den Hüfthalter von seiner Mutter anzuziehen den sie ihm hingelegt hatte. Erst hatte sie zwar gar nicht daran gedacht daß er sowas auch anziehen müßte aber dann war ihr eingefallen daß er ja die Damenstrümpfe an irgendwas festmachen mußte und als sie merkte daß ihm eigentlich ihr Hüftgürtel mit den Strumpfhaltern ein Stück zu weit war hatte sie plötzlich gelacht und gesagt da polstere ich Dir auch gleich noch ein paar richtige Mädchenhüften rein dann paßt er und Du siehst noch echter aus und hatte am abend vorher noch rechts und links ein dickes Stück weichen Schaumstoff den man so zum Verpacken in ihrem Geschäft nahm reingenäht.

Den band er sich nun um und hakte auch ganz hastig die vielen kleinen Häkchen zu mit denen man den zumachte und tatsächlich hatte er damit jetzt ganz dicke runde Hüften wie das Frollein Tilla von gegenüber nur daß die natürlich kein steifes Schwänzchen hatte das jetzt dadrunter ganz steil hochstand! Nun nahm er aber rasch ein Taschentuch und machte es mit einer Sicherheitsnadel vorn an dem Hüfthalterrand fest und zog es dann zwischen den Beinen nach hinten durch daß es sein Schwänzchen wieder richtig nach hinten zog und steckte dann das andere Ende hinten ganz weit unter den Hüfthalter daß es nicht rausrutschen konnte und damit man das nicht sah zog er gleich noch die rosa Damenseidenunterunterhose drüber die sie auch rausgelegt hatte. Zum Glück war er damit gerade fertig als seine Mutter wieder zurückkam denn als er sah daß sie die hübschen schwarzen Gummilackstiefel von der Nachbarin ihrer Tochter mitgebracht hatte wäre ihm sein Schwänzchen sicher erst recht hochgestiegen wenn er es nicht so sicher eingepackt gehabt hätte!

Ach Du kannst es wohl schon gar nicht erwarten ein Mädchen zu sein sagte sie und lachte aber jetzt kommt ja erst das wichtigste und damit mußte er nun auch ihren rosa Büstenhalter überziehen den sie ihm hinter dem Rücken zuhakte. Natürlich hatte der erst noch gar nichts zu halten aber wie er damals gesagt hatte hatte er jetzt ein paar Luftballons besorgt und war sogar auf die Idee gekommen sie nicht bloß aufzublasen sondern über den Wasserhahn zu ziehen und voll Wasser laufen zu lassen was er erstens viel besser machen konnte ohne aus der Puste zu kommen und was zweitens viel schöner schwabbelte wenn er die Ballens dann mit Faden ganz wasserdicht zugebunden hatte. Die steckte er also jetzt in den Büstenhalter von seiner Mutter und da saßen sie ihm tatsächlich ganz rund vor der Brust wie der stramme Busen von dem Frollein Tilla!

Nun kriegte er auch noch ein rosa Damenseidenhemdchen an und darüber noch ihren besten Unterrock auch in rosa mit so Spitzenrändern oben und unten und das zog sie ihm alles richtig zurecht weil es jetzt über den ganzen Polstern und Luftballons richtig stramm saß nur hatte er natürlich dazwischen noch eine ganz schlanke Taille und um die legte seine Mutter jetzt den Arm und lachte und sagte jetzt hast Du aber eine ganz schicke Figur!

Wie er so den warmen Arm von seiner Mutter durch die ganze dünne rutschige Seidenfrauenwäsche spürte und sie ihn so richtig in den Arm nahm fühlte er sich schon ganz komisch wohl und dachte heimlich ob das nicht schön wäre wenn ihn auch mal ein Mann so in den Arm nähme weil er dachte er wäre wirklich ein Mädchen? Aber dann war er auch wieder ganz froh als sie ihn wieder losließ weil sie sonst vielleicht doch gemerkt hätte daß sein Schwänzchen dabei schon wieder so richtig anschwoll.

Aber jetzt kam etwas sehr schwieriges nämlich die kunstseidenen Damenstrümpfe die nicht bloß sehr empfindlich waren gegen Laufmaschen und sowas sondern damals auch noch Nähte hinten hatten die ganz genau richtig in der Mitte vom Bein sitzen mußten. Die mußte man ganz klein zusammenrollen und dann langsam vorsichtig das Bein hochrollen und am Schluß saßen sie erstmal doch verkehrt und beide mußten ein paarmal probieren bis es endlich richtig war und seine Mutter sie an den Strumpfhaltern festmachen konnte wenigstens hinten wo er nicht so richtig sehen konnte denn vorne wollte er es lieber selber machen damit seine Mutter nicht vielleicht doch was von seinem steifen Schwänzchen merkte.

Dann wollte er aber auch gleich die hübschen schwarzen Damengummistiefel da drüber probieren und freute sich wie schön die beim Anziehen gleich über seine glatten Seidenmädchenfersen rutschten und als er aufstand hatten die auch wirklich noch ein bischen hohe Hacken daß er gleich noch ein Stückchen größer wurde wie eine erwachsene junge Dame und andererseits weil die Füße dadurch kürzer wurden ganz kleine spitze hübsche Damenfüßchen dadrin bekam!
Die Hacken waren aber nicht so hoch daß er nicht noch ganz gut darin laufen konnte sondern er machte mit ihnen auch gleich so richtige kleine Mädchentrippelschritte daß seine Mutter saqte nun schau nur ich hätte gar nicht gedacht daß Du das gleich so gut kannst eigentlich hättest Du doch ein Mädchen werden sollen!

Aber als er jetzt in den Spiegel guckte sah er doch noch recht komisch aus mit dem hübschen Spitzenunterrock über dem schicken Frolleinsbusen und den runden Mädchenhüften aber noch immer mit seinem ganz gewöhnlichen Jungensgesicht und den kurzen Haaren. Jetzt mußt Du mir aber auch das Gesicht zurechtmachen sagte er zu seiner Mutter aber die hatte inzwischen schon erstmal auf dem Gasherd eine Brennschere heißgemacht und nun mußte er sich die Haare die er beim Baden gewaschen hatte damit sie recht locker waren alle nach vorn ins Gesicht kämmen und dann drehte sie ihm soviel Haar wie ging mit der Brennschere wie richtige Mädellocken auf was natürlich nicht für den ganzen Kopf reichte aber schon dafür daß er die unter dem Kopftuch vorn vorgucken lassen konnte als hätte er lauter so Locken drunter. Und als er jetzt mal ein Kopftuch umprobierte sah das tatsächlich schon ganz echt aus wie bei einem Mädchen.

Jetzt holte seine Mutter den alten Lippenstift den sie bei der Tochter von der Nachbarin ausgeborgt hatte und wollte ihm die Lippen rotmachen aber weil sie das selber nie tat malte sie da erst einmal daneben daß er ein breites rotes Maul bekam wie ein Klaun und alles mit Niveakrem wieder abwischen mußte aber dann sagte sie probier es mal selber und das klappte dann wirklich einigermaßen besser so daß er mit den Locken unter dem Tuch und den roten Lippen jetzt wirklich richtig aussah wie ein hübsches junges Mädel.

Nun wollte er es aber gleich ganz fertig ausprobieren und zog auch noch den Wickelkittel über den er natürlich ausversehen erst mal falschrum wickeln wollte wie ein Mann aber dann merkte er es noch rechtzeitig und konnte ihn auch so ganz straff um die Taille zusammenziehen daß die falschen Hüften und die runde Brüste richtig rauskamen und dann band er sich darüber auch noch die Abwaschgummischürze von seiner Mutter um die war blau mit kleinen weißen Punkten und hatte rundrum so kleine Falbeln aus Gummi und sah richtig niedlich aus wie sie da so straff und glatt über dem schicken Frolleinsbusen und um die schlanke Mädchentaille über den runden Hüften saß.

Wie er sich so im Spiegel sah da gefiel er sich selber so gut daß er gleich anfing mit allen möglichen Mädelgebärden vor dem Spiegel rumzutanzen und seine Mutter schaute ihm ganz glücklich zu und sagte ein über das andere Mal nein was wärst Du doch für ein hübsches Mädel geworden! Dann wollte sie ihn aber auch gleich ihrer Nachbarin zeigen und sie gingen über den Flur und klingelten aber während sie noch warteten bis die aufmachte kam gerade ein junger Mann aus dem Haus die Treppe runter und guckte den verkleideten Jungen von oben bis unten an und grüßte dann furchtbar höflich weil er ihn überhaupt nicht erkannte sondern wirklich für ein Mädel hielt das vielleicht irgendwie zu Besuch wäre.

Darüber mußten die beiden als er weg war natürlich schrecklich kichern und kicherten auch noch als die Nachbarin aufmachte und die Mutter sagte Guten Tag Frau Riebusch darf ich Ihnen denn mein neues Töchterchen vorstellen? Da guckte die Nachbarin erst ganz erstaunt und fing dann an ganz laut herauszuprusten aber das ist ja nicht die Möglichkeit kommen sie doch rein das muß meine Tochter auch sehen also original wie ein Mädchen und die Tochter war auch da und guckte auch erst ganz erstaunt daß das der Junge von nebenan sein sollte und sagte also laß Dich doch mal anschauen wie hast Du das bloß alles gemacht die Figur da könnte man ja direkt neidisch werden so eine schlanke Taille und dann die Hüften und der Busen aber weißt Du für so ein tolles Mädchen bist Du ja eigentlich noch gar nicht richtig aufgemacht komm mal her ich mach Dich mal im Gesicht richtig zurecht mit allen Schikanen!

Und da mußte er sich also hinsetzen und das Kopftuch nochmal runtermachen wo die Nachbarin und ihre Tochter furchtbar lachen mußten als sie sahen wie wenig Locken er da in Wirklichkeit drunter hatte aber dann holte die Tochter all ihr meik-app-Zeug und sagte sogar da hab ich doch zum Maskenball ein paar falsche Wimpern gekauft die waren mir aber dann zu knallig aber für Dich sind die gerade richtig und sie holte sie und die waren tatsächlich auch ganz dick und schwarz wie aus Draht aber sie klebte sie ihm an und schmierte ihm dann noch ganz knallsilbergrünsen Lidschatten drauf und einen kohlschwarzen Rand um die Augen und machte ihm auch die Augenbrauen noch irgendwie schwarz und puderte ihn ganz dick ein und zum Schluß malte sie ihm auch die Lippen nochmal mit einem ganz tollen Schwung nach mit einem richtig glänzenden Lippenstift und machte ihm auch noch ein paar klunkerige weiße Ohrringe an mit zwei großen ineinander hängenden Ringen und kämmte ihm die Locken nochmal zurecht und als er nun das Kopftuch wieder umband und in den Spiegel guckte sah er wirklich aus wie eine ganz erwachsene junge Dame die sich richtig toll zurechtgemacht hat!

Huch jetzt mußt Du Dich aber vor den Männern in acht nehmen wenn Du über die Straße gehst sagte die Nachbarin und der Junge sagte na ja eigentlich glaube ich ja nicht daß sich Dienstmädchen sooo schön machen für die Arbeit aber es ist ja Karneval und ich bin ja sowieso kein richtiges Dienstmädchen und jedenfalls bedanke ich mich sehr daß Sie mich so schön zurechtgemacht haben Fräulein Riebusch und seine Mutter sagte also wirklich man sollte denken er wäre tatsächlich ein Mädchen schade eigentlich daß er keins geworden ist und ich habe Sie eigentlich immer beneidet Frau Riebusch daß Sie so eine hübsche Tochter haben aber wenigstens heute habe ich ja auch eine!

Und dann mußte er aber aufstehen und auch zeigen daß er richtig mit kleinen Mädchenschritten gehen konnte und auch so den ganzen Zimt machen wie ein Mädchen und die Tochter tat dann so als wäre sie ein junger Mann der mit dem hübschen Mädel poussieren wollte und die beiden Mütter kreischten vor Vergnügen wie das falsche Mädchen so „hach“ und „nicht doch“ machte und dabei richtig zum Verlieben niedlich aussah.

Dem Jungen machte das alles ganz großen Spaß und er hätte sich am liebsten von der Tochter der Nachbarin die ein ganz schickes erwachsenes Mädchen war richtig abknutschen lassen weil ihm das natürlich immer noch harmloser vorkam als von einem Mann aber er dachte sich daß das die Mütter vielleicht doch nicht so gern hätten und es ihnen viel besser gefiel wenn er sich immer zierte und davonlief. Schließlich hatte die Tochter dann aber auch genug davon und sagte lachend Dir brauche ich ja gar nicht mehr beizubringen wie man mit Männern fertig wird Du hast da ja ein Naturtalent dazu?

Ach ich schmuse doch viel lieber mit meiner Mammi sagte der Junge und setzte sich einfach auf ihren Schoß und kuschelte sich an sie weil er jetzt doch furchtbar gern in den Arm genommen werden wollte und das tat sie auch gleich und sagte richtig glücklich ja Du bist ja auch mein liebstes Mädelchen heute nicht wahr aber jetzt müssen wir wieder rüber weil ich ja noch das ganze Mittagessen machen muß aber es war vielleicht auch weil es ihr nicht ganz so recht gewesen war wie das große Mädel mit ihrem Jungen rumalberte.

Als sie rübergingen sagte sie auf einmal sag mal aber wenn jetzt da einer von Deinen Kameraden auch so mit Dir rumscharwenzeln will wie die Lotti eben? Ach was sagten der Junge die wissen doch wer ich bin und wenn einer das aus Ulk machen will tue ich eben genau so wie eben und wenn ich dann noch den Putzeimer dabei habe spritze ich ihn einfach mit Wasser nass dann hört der schon auf damit! Aber trotzdem sagte seine Mutter täte ich Dich lieber hinbringen daß Du nicht allein gehen mußt Du weißt ja im Karneval sind immer halbbetrunkene Leute auf der Straße und die könnten Dich belästigen wenn sie denken Du bist wirklich ein Mädel das auch zum Maskenball will! Eigentlich wollte sie aber wohl auch mal mit ihrem schicken „Töchterchen“ Spazierengehen und sich freuen, wenn die Leute ihr nachguckten.

Nun hatte der Junge zwar eigentlich was dagegen, als Muttersöhnchen zu gelten und von seiner Mutter irgendwo hingebracht zu werden – aber hier hatte er sich sowieso schon als Jux ausgedacht, erst einmal so zu tun als wäre er bloß irgend ein Mädchen das zufällig vorbeikommt und zu schauen, ob ihn überhaupt jemand von der Schule erkennen würde und da war es natürlich sogar noch besser wenn er nicht allein kam sondern mit jemand zusammen. Nur gab es da dann plötzlich ein anderes Problem – als sie Mittag aßen fing es nämlich plötzlich an zu regnen und wenn er erst gedacht hatte dann konnte er ja den Regenmantel von seiner Mutter überziehen ging das natürlich nicht wenn sie selber mitging und den Mantel selber brauchte!

Aber auch dafür fand sich Rat – seine Mutter ging nämlich nochmal zu Frau Riebusch rüber und als sie ihr erklärte daß sie jetzt zu wenig Regensachen hätten kam die auf die Idee daß von ihrer Tochter noch ein altes graues Gummiregencape irgendwo rumhing was die zwar nie mehr anzog was aber für den Jungen genau das richtige wäre. Darüber freute er sich sogar ganz besonders weil er Gummisachen ohnehin besonders mädchenhaft fand und deshalb ja auch schon so scharf auf die Gummischürze gewesen war und nun konnte er darüber sogar noch ein richtiges glattes schlabberiges Mädchengummiregencape anziehen mit einer Gummikapuze über aus der sein geschminktes Mädelgesicht besonders niedlich herausguckte!

So stiefelte er also mit kleinen Mädchentrippelschritten zusammen mit seiner Mutter los und fühlte sich wunderbar, als bei jedem Schrittchen die glatten Gummifalten des Mädchenregencapes über seine nackten Arme unti die ganze falsche Damenkurvenpracht schlabberten wobei vor allen Dingen jedesmal wenn er mit den spitzen Hacken der Damenregenstiefel trippelig auf das Pflaster trat die dicken schweren Gummiblasen vor seiner Brust richtig so ein bischen schwibbten wie der dicke Busen von dem Frollein Tilla von gegenüber. Seine Mutter war aber richtig stolz neben einem so schicken Mädel herzugehen zumal sie die einzige war die wußte daß es in Wirklichkeit ja ihr eigener Junge war den alle bloß für eine schicke junge Dame hielten.

An der Straßenbahnhaltestelle wo sie warten mußten kam auch tatsächlich ein Mann der ein bischen betrunken war und wollte den Jungen den er für ein Mädel hielt anreden aber als er sah daß seine Mutter zu ihm gehörte ließ er es doch und sie sagte siehst Du es ist ganz gut daß ich mitgegangen bin und ich hole Dich dann auch wieder ab so gegen sechs wenn Ihr sicher fertig seid. Ja dann mußt Du aber zu dem Lokal kommen sagte der Junge dem das eigentlich gar nicht recht war weil man ihn ja dann hinterher schon erkannt hatte und er da seine Mutter zur Ablenkung gar nicht mehr brauchte wir treffen uns zwar bei der Schule und gehen dann durch die Straßen zum Lokal so wie ein kleiner Umzug hat die Lehrerin gesagt aber natürlich gehen wir nachher nicht wieder zurück aber Du kannst ja da vorn im Lokal warten bis wir fertig sind wir sind nämlich im Hinterzimmer was dann für einen Maskenball am Abend schon dekoriert ist und deshalb hat es die Lehrerin auch so billig bekommen denn er dachte sich daß es dann nicht so auffiele wenn seine Mutter ihn abholte.

Inzwischen kam dann auch die Straßenbahn und die beiden mußten wieder das Lachen verbeißen als die Mutter zwar einen freien Platz fand aber der Junge nicht und dann gleich ein junger Mann aufsprang und ihm höflich seinen Platz anbot weil er dachte es wäre eine schicke junge Dame und besonders weil ihn der Junge dafür auch so richtig strahlend wie ein Mädchen anlächelte. Da siehst Du wie gut Du es als Mädchen hast wisperte ihm seine Mutter zu und er wisperte zurück schade daß das nur im Karneval geht denn er hatte inzwischen schon eine Idee daß er seine Mutter vielleicht dazu kriegen könnte daß er sich auch später öfter mal als Mädchen anziehen dürfte wenn ihr das so gut gefiel!

Aber dann kamen sie vor der Schule an und stiegen aus und da standen auch schon vor der Schule auf einem Haufen viele von seinen Kameraden in allen möglichen Maskierungen als Räuber und Kauboys und Klauns und einer als Schäplin mit einer Melone und einem Stöckchen und einem kleinen schwarzen angeklebten Schnurbart und als Schutzmann mit einem Helm oder manche auch bloß mit bunten quergestreiften Hemden und dabei die Lehrerin die sich sogar auch einen komischen alten Hut mit einem Schleier und großen Federn aufgesetzt hatte und einen langen altertümlichen Mantel an mit Stiefelchen wie sie die Damen früher mal trugen womit sie wohl schonmal zu einem Maskenball gegangen war wobei sie sich natürlich alle unterstellen mußten weil es noch immer etwas regnete.

Der verkleidete Junge und seine Mutter gingen erstmal so ganz unbeteiligt an den anderen vorbei und natürlich ahnte keiner daß da in Wirklichkeit ein Schul-kamerad von ihnen als junge Dame vorbeispazierte. Aber das war ja nun eigentlich auch langweilig und deshalb wisperte der Junge seiner Mutter was zu und sie machten wieder kehrt und gingen direkt zu der Lehrerin hin und die Mutter sagte zu ihr Guten Tag das wäre doch wohl der Karnevalsausflug von der dritten Klasse und leider könnte nun ihr Junge nicht kommen weil er erkältet wäre aber weil er ja nun die Mark fünfzig schon bezahlt hätte wollte sie fragen ob vielleicht seine Kusine die gerade zu Besuch wäre stattdessen mitgehen könnte und dabei zeigte sie auf ihren verkleideten Jungen und der machte auch ganz niedlich einen Knix vor der Lehrerin wie ein richtiges Mädchen und sie hätte sich auch extra richtig als Dienstmädchen angezogen sagte die Mutter und nahm ihm auch das Gummiregencape von dem er rasch den Druckknopf am Hals aufgemacht hatte ab und da stand er in dem rotgepunkteten Kittel mit der Gummischürze drüber und dem Kopftuch um und einem Plastikeimer in der Hand und sah tatsächlich ganz aus wie ein hübsches Fräulein aus das sich zum Maskenball so angezogen hat.

Die anderen Jungen aus der Klasse die das mitgehört hatten guckten schon ganz erstaunt und gespannt aber die Lehrerin war ein bischen verlegen weil sie meinte daß sie ja nun nicht einfach eine fremde junge Dame mitnehmen konnte auf so einen Schulausflug und der Mutter nun erklären mußte daß das leider nicht ging.

Aber der machte es natürlich einen Heidenspaß daß auch die Lehrerin ihren Jungen gar nicht erkannte und ihn wirklich für ein großes junges Mädchen hielt und deshalb tat sie ganz enttäuscht und meinte die Kusine wäre doch wirklich so ein nettes Mädchen und ob es denn gar nicht ginge wo sie sich doch jetzt schon dafür angezogen hätte und ja auch den Kuchen schon bezahlt und der Lehrerin war das sichtlich peinlich aber sie könnte das schon wegen der Schule nicht machen sagte sie weil da eben bloß Jungen aus dieser Klasse mitmachen dürften!

Also wenn es jetzt der Ulrich wäre dann könnte der aber mitgehen fragte die Mutter nochmal als ob sie das nicht richtig verstanden hätte und die Lehrerin sagte ja natürlich aber Sie müssen das verstehen und da fing die Mutter nun doch an richtig zu lachen und sagte na dann nehmen Sie ihn nun auch mit! Da guckte nun die Lehrerin erst die Mutter an weil sie nicht richtig verstand was die meinte und als die immer noch nur lachte guckte sie die angebliche Kusine an und als die auch anfing zu lachen fing ihr an ein Licht aufzugehen und sie guckte nochmal genau auf das niedliche Dienstmädchen mit der schicken Jungen-Damen-Figur und dem toll geschminkten Gesicht und fing dann auch an zu lachen und rief das ist doch nicht etwa der Ulrich?!

Aber der nickte nur und machte nochmal einen richtigen Mädchenknix vor ihr und sie sagte komm her das muß ich mir nochmal genau ansehen ich hab dich doch wahrhaftig nicht erkannt als Mädchen! Und nun drängelten sich auch seine Schulkameraden heran die ihn natürlich auch nicht erkannt und für ein richtiges Mädchen gehalten hatten und kicherten und lachten und johlten jetzt daß er sie und die Lehrerin so hereingelegt hatte aber die machte jetzt gute Miene zum Spiel und sagte ganz gemacht streng zu den anderen Jungen sie sollten sich gefälligst ganz anstandsvoll und höflich benehmen wenn sie jetzt doch eine junge Dame mit dabei hätten!

Und da ging auch gleich der der den Schäplin gemacht hatte das war so der Klaun der Klasse der immer alles nachmachte hin und nahm ganz höflich seine Melone ab und verbeugte sich vor dem verkleideten Jungen und sagte darf ich ihnen meinen Arm anbieten Fräulein Ulrike und damit hatte der Junge natürlich seinen Spitznamen weg was ihm aber heimlich Spaß machte wie ein Mädchen genannt zu werden weil er ja auch eigentlich gern eins gewesen wäre. Und dann tat er erst als wenn er sich genierte wie er das vorher bei der Tochter von der Nachbarin ge macht hatte und da lachten alle wieder noch viel mehr weil er das so richtig wie ein Mädchen machte aber dann hängte er sich doch bei dem Schäplin ein und weil es jetzt auch aufgehört hatte zu regnen zogen sie alle los zu dem Lokal wo sie feiern wollten.

Das falsche Dienstmädchen und der Schäplin gingen als Pärchen vorneweg und als die anderen Jungen sahen wie der dicke falsche Busen von dem verkleideten Jungen bei jedem von seinen kleinen Trippelschrittchen in den schwarzen glänzenden Gummistiefeln mit den hohen Damenhacken rauf und runter wackelte fingen sie wieder alle an zu kichern aber die Lehrerin der das wohl ein bischen peinlich war wenn die Jungen sich schon mit sowas befaßten sagte nun sollten sie unterwegs auch alle Karnevalslieder singen weil sie meinte dabei könnten sie nicht soviel kichern und kämen auch auf andere Ideen und ging als letzte hinterher.

Die Leute an denen sie vorbeizogen guckten natürlich weil die alle so laut sangen und wußten nun nicht richtig wie mitten unter die ganzen Jungen so ein scheinbar richtig erwachsenes Mädel kam oder wunderten sich ob das etwa auch ein Junge wäre?

Das machte den beiden die vorneweg gingen natürlich noch mehr Spaß und der Schäplin nahm immer wieder den Hut ab und grüßte so ganz höflich nach allen Seiten und der verkleidete Junge wollte nun auch was machen und gab ihm den Putzeimer zum halten und schmiß den Leuten mit beiden Händen richtig so wie ein Funkenmariechen lauter Kußhändchen zu daß alle stehen blieben und lachten aber noch weniger wußten was er denn nun wirklich war weil er das so richtig echt machte.

So kamen sie nun zu der Gastwirtschaft wo die Lehrerin das Zimmer bestellt hatte und sie sagte sie sollten erst mal draußen warten bis sie dem Wirt bescheidsagte weil sie nicht wußte ob der ganze Zug da so durch die Gaststube bis in das Hinterzimmer ziehen konnte wo sie feiern wollten aber der Wirt sagte da könnten sie ruhig durchgehen weil es ja sowieso Karneval würe. Als der Junge der den Schäplin machte das nun aber merkte daß sie auch da an den ganzen Leuten vorbeimußten machte er gleich wieder ein Theater und ließ zwei andere die Tür aufreißen und spazierte dann mit dem falschen Dienstmädchen am Arm vor allen anderen weg ganz langsam und stolz durch die ganze Gaststube und nahm dabei auch immer wieder die Melone ab bei jedem Tisch wo sie vorbeikamen und der Junge machte dann jedesmal einen Mädchenknix und als sie dann vor dem Eingang vom Hinterzimmer waren drehten sie sich beide nochmal um und winkten den Leuten zum Abschied zu er mit dem Hut und das falsche Mädchen so richtig zierlich mit dem hochgereckten nackten Arm.

(Ende des Fragments)

Nachwort:

Soweit ich vom Autor erfahren konnte, wäre das später irgendwie damit weitergegangen, daß die Mutter zum Rosenmontag bei Verwandten Kinder hüten muß – worauf die kesse Lotti der Nachbarin auf die Idee kommt, Ulrich/Ulrike im gleichen Kostüm auf eine private Rosenmontags-Feier mitzuschleppen, um mit ihm einen schüchternen jungen Mann zu veralbern – was unser gutherziger Junge aber nicht übers Herz bringt, sondern seinen Partner noch rechtzeitig zu warnen sucht: nur daß der, schließlich mit einiger Mühe davon überzeugt, daß ihn nicht etwa ein echtes Mädel auf die Schippe nimmt, nunmehr endgültig von “Ulrike” hingerissen ist…
(Er kanns halt nicht lassen, mit dem Feuer – oder verbotenen Honig? – zu spielen…)

(Diplomandin Margot Trugmaid)

Der Mäzen

Als der Maler Miguel de Lorca im Abenddämmern vor der Schenke des Sanchezzo saß, an einer Skizze strichelnd, und zuweilen mit einem tiefen Zug aus dem Weinkrug die Erinnerungen an die Wechselfälle seines Schicksals herunterzuspülen suchte, trat ein alter, höfisch gekleideter Herr zu ihm und legte ihm die welke, mit kostbaren Ringen geschmückte Hand auf die Schulter.

„Ich will Euch etwas zeigen, Miguel de Lorca – “ hub er an, „und Euch eine Geschichte erzählen.“

Der Maler fuhr auf.
„Soll ich für Euch malen, Euer Gnaden?“ sagte er hastig, „Eure Tochter, oder Euer Windspiel?“ – denn er sah wohl, daß der andere von Adel und begütert sein mußte, und hoffte auf einen lohnenden Auftrag.

„Ihr habt immer für mich gemalt, Miguel de Lorca,“ erwiderte der Fremde mit einem seltsamen Lächeln, „die Teresa, das Gastmahl, den Gardeoffizier – „

„Ihr kennt meine Bilder?“ unterbrach ihn Miguel erregt.

„Ich besitze sie alle! Wollt Ihr sie sehen? Dann kommt!”

Und der Herr führte den Maler durch die dunkelnden Gassen zu einem großen, düsteren Haus; ein reich gekleideter Diener öffnete ihnen und führte sie beim Schein eines silbernen vielarmigen Leuchters durch Hallen und Gänge, über Treppen und Flure in eine lange, getäfelte Galerie. Dort hingen, vom Lichte unzähliger Kerzen bestrahlt, in kostbaren Rahmen viele Bilder; und als sie Miguel de Lorca besah, war ein jedes von seiner Hand.

Es begann mit den ersten ungelenken Versuchen, Bewegung und Wesen der Tiere festzuhalten, die man ihm als Hütejunge anvertraut hatte. Dann war der fremde Kavalier gekommen und hatte dem mürrischen Vormund mit Ernst gesagt, der Hütejunge Miguel solle in die große Stadt ziehen und bei dem Meister Tegas ein Maler werden; er hatte einen Beutel mit Goldstücken dagelassen und einen Brief, den der Junge dem Meister geben sollte. Und nachdem der Vormund den größeren Teil des Goldes« in seiner Lade geborgen hatte, hatte er Miguel mit frommen Sprüchen auf den Weg geschickt. Und nun, da Miguel den fremden Herrn beim Scheine der Kerzen näher besah, schien es ihm, als sei er kein anderer als der Kavalier, der ihn damals auf der Weide getroffen.

“Ihr habt ein scharfes Auge, Miguel de Lorca“, sagte der andere anerkennend, „das habe ich schon damals gespürt. Aber seht Euch die Bilder weiter an!“

Nun kamen sie zu den Arbeiten aus Miguels Lehrjahren. Mit jedem Bild hatte er ein neues Stück Handwerk gemeistert, hatte gelernt, dem Geschautem Form zu geben und die widerspenstige Fülle der Wirklichkeit zu bändigen.

„Viel habe ich von Meister Tegas gelernt”, sagte Miguel nachdenklich.

„Fast hättet Ihr zu viel von ihm gelernt. Doch ich glaube, er fand ein gewaltsames Ende?“

„Straßenräuber überfielen ihn, als er mit dem Lohn für eine Arbeit über Land heimkehrte. Ich führte seine Werkstatt fort – ich mußte doch auch für seine Tochter Teresa sorgen, die er meinem Schutz empfahl, als er verschied. Und man erkannte mich als seinen Nachfolger an – ich malte viel in jenen Jahren!”

„Und Ihr maltet auch Teresa?“

Des Malers Blick wurde düster.

„Ja ich malte Teresa – viele, viele Male; ich liebte Teresa, und die liebte mich. Wir hatten glücklich werden können – doch eines Tages fiel sie in ein hitziges Fieber, und wenn ich auch den berühmtesten Arzt herbeirief und die Arzneien mit Gold aufwog: Der schwarze Engel führte sie mit sich fort. Da hielt es auch mich nicht mehr in der Stadt, und ich zog davon.“

Weiter gingen sie, an immer neuen Bildern vorüber. Reifer waren sie jetzt, als habe der erste tiefe Schmerz des jungen Miguel ihnen allen den Stempel aufgeprägt. Doch dann standen sie vor einer Leinwand, die zeigte ein schönes, prächtig gekleidetes Weib mit schwarzen Locken und blauen Augen.

„Und wer ist das?“ fragte der Herr.

Bitter lächelte Miguel, als er antwortete:
“Das – ist die Cineara, die Komödiantin. Oh, sie war schön – noch schöner, als ich sie hier malte; und ihre Umarmung war wie berauschender Wein. Auch sie sagte, sie liebe mich – und vielleicht hat sie mich auch für einen Augenblick geliebt. Nur war ich ein Narr und glaubte, es müsse für immer sein. Ich wurde wieder seßhaft – ihr zuliebe. Ich malte viele Bilder – ihr zuliebe. Und ich merkte es gar nicht, daß es ihre Galane waren, die sich von mir abkonterfeien ließen und hinter meinem Rücken über den liebestollen Maler spotteten. Bis ich eines Abends einen Brief bekam, ich solle zu einen Wäldchen an der Stadtmauer gehen, wenn ich Cineara wirklich kennenlernen wolle. Ich weiß nicht, wer den Brief geschrieben hat – doch fand ich dort die Komödiantin in den Armen eines jungen Gardeoffiziers – ja, eben des Offiziers, vor dessen Bild wir gerade stehen.

Ich zog meinen Degen – doch er war der bessere Fechter. Ein Klosterbruder fand mich halbverblutet am Wegrand und nahm mich in sein Kloster mit. Als ich wieder genesen war, malte ich den frommen Brüdern zum Dank dies Altarbild – ich sehe, lhr habt sogar das in Eurer Sammlung!”

„Wie lange bliebt Ihr bei den Brüdern?”

“Oh, ich wäre gern mein Leben lang dort geblieben – dort war Ruhe und Frieden. Aber der Krieg kam ins Land, und eines Nachts holten mich Soldaten aus dem Kloster: Ich sei ein Spion, ein Verräter, riefen sie – und wäre ich nicht im Dunkel entwichen, weil meine Fesseln sich gelockert hatten, wäre ich wohl dort ums Leben gekommen. Das ganze Land war verwüstet, und ich war glücklich, als mich ein Kapitän als Matrose auf seinem Schiff annahm.

Doch kaum waren wir auf der freien See, merkte ich, daß unser Schiff auf Seeraub aus war. Nun – ich habe mich nicht gewehrt dagegen, und wenn es auch ein wildes Leben war: Ich habe manches dort draußen gelernt. Nur eines nicht: ich habe keinen Menschen umgebracht.

Vielleicht war es deshalb, daß mir der Schließer als einzigem die Tür öffnete und mich entkommen ließ, als all die anderen zur Richtstatt geführt wurden. Es war kein Vergnügen für mich – ich wäre sicher lieber mit Pedro und Jose und all den Genossen zur Hölle gefahren, als mich in Hafenspelunken und Hütten vor den Häschern zu verbergen. Schließlich brachten mich Schmuggler über die Grenze – und nun sitze ich hier vor Sanchezzos Schenke und male das, was mir noch zu malen übrig bleibt: Krüppel, Dirnen und Diebe.“

Und wirklich standen sie jetzt vor den letzten Bildern Miguels. Aus denen schauten Haß, Gier und Trauer um verlorene Tage; aber so häßlich die Fratzen waren, die er auf die Leinwand gebannt hatte – seine Kunst schien dabei nur noch gewachsen zu sein.

Als der Fremde schwieg, sagte der Maler schließlich:
„Euer Gnaden, ich habe Euch meine Geschichte erzählt. Aber wolltet nicht auch Ihr mir eine Geschichte erzählen, wenn Ihr mir die Bilder gezeigt hattet?”

„Dazu kommen wir jetzt“ sagte der Herr. “Ihr wißt, Miguel de Lorca, es gibt Menschen, die geben den Malern Geld, damit sie ihnen Bilder malen. Doch der Maler braucht kein Geld, damit er malen kann – er braucht etwas in seiner Brust, das ihn zwingt, zu malen. Und das können ihm jene nicht geben. Aber ich, ich habe es Euch gegeben!

Als ich sah, daß Ihr von Meister Tegas nichts mehr lernen konntet, habe ich Mörder gedungen, die ihn umbrachten. Denn sonst hättet Ihr ihn nachgeahmt und wäret nicht Ihr selbst geworden.

Dann wurdet Ihr bekannt und liebtet – und Liebe braucht ein Künstler; aber Achtung und eine Ehefrau hätten Euch zu einem geruhsamen Menschen werden lassen. So schickte ich Teresa Gift und bestach Arzt und Apotheker, Ihr statt Arzenei nur gefärbtes Wasser zu reichen. Cineara küßte Euch, weil ich ihr ein Geschmeide dafür gab; doch auch der Brief, der Euch in jenes Wäldchen gehen hieß, kam von mir. Der Offizier hätte wohl besser zugestochen, wäre er nicht mir untergeben gewesen; auch der Klosterbruder kam nicht von ungefähr – denn ein Künstler muß auch mit Gott einmal gesprochen haben. Doch ein frommer Laienbruder durftet Ihr, mein Miguel, nicht werden; so verleumdete ich Euch beim Feind, aber ich sorgte auch dafür, daß Ihr entkamt. Jene Seeräuber standen in meinem Sold; ich selbst lockte sie in den Hinterhalt, als ich glaubte, Ihr hättet genug von Sturm und Kampf erfahren. Mein Wort öffnete Euch die Kerkertür, meine Späher geleiteten Euch über die Grenze, und warum, glaubt Ihr, borgt der Schurke Sanchezzo Euch schon seit Monaten auf Wein, Brot und Käse?

Oh nein, Geld braucht der Künstler nicht – aber er braucht ein Schicksal, um daran zu wachsen; und das habe ich Euch gegeben!“

Hochaufgerichtet stand der Greis vor dem Maler, der ihn doch um Haupteslänge überragte; und ein seltsamer Stolz: lag in seiner Miene. Miguel de Lorca aber trat noch einem Schritt näher und hob die Hände; schwer ließ er sie auf die Schultern des Alten fallen.

„Teresa!“ sagte er rauh. „Ihr Mörder! Cineara! Ihr Kuppler! Ihr Verräter! Ihr – “ Die Stimme schien ihm zu versagen. „Und warum – Ihr Dämon – “ stieß er schließlich hervor, und eine Hände schlossen sich um den hageren Hals des anderen, „warum gesteht Ihr mir all das ? Habt Ihr vielleicht doch noch eine Spur von Reue und Gewissen ?!“

„Nicht das – “ sagte der Greis und lächelte fein. „Aber es fehlt Euch noch ein wichtiges Erlebnis, ehe Ihr ein ganz großer Künstler werden könnt: Ihr habt noch nie einen Menschen umgebracht … “

Capemädel

Anm. Jula: ein weiteres Fragment. Allerdings eines, das Hekate sehr beschäftigt hat, denn es gibt Bilder …

Außer mir wäre wahrscheinlich nie jemand auf die Idee gekommen, daß die junge Dame im Regencape gar kein Mädchen war.

Noch nicht einmal, wenn sie jemand anders keine Antwort gegeben hätte, als er sie an der Haltestelle ganz höflich fragte, ob sie vielleicht wüßte, wie spät es ist.

Natürlich wollte ich eigentlich gar nicht wissen, wie spät es war. Ich wollte eigentlich auch gar nicht mit der Straßenbahn fahren, sondern ich hatte nur noch einen Brief zum Briefkasten gebracht – an meine Eltern, daß ich zuhause allein sehr gut zurechtkäme, und sie sollten sich nur gut erholen – und hatte gar nichts anderes im Sinn, als bei dem Nieselregen schnell wieder in die trockene Wohnung zu kommen, als ich plötzlich sah, daß vor dem Schaufenster vom Schuhgeschäft ein großes junges Mädel in einem grauen Gummiregencape stand und sich die Schuhe anguckte.

Nun war das natürlich nichts Besonderes – warum sollte sich ein Mädchen nicht Damenschuhe angucken, auch wenn es regnete? Aber unter der grauen Gummikapuze, die es über dem Kopf hatte, konnte ich gar nicht erkennen., wie es eigentlich ausschaute – und aus irgendeinem Grund interessierte mich das plötzlich: also machte ich halt und blieb auch vor dem Schaufenster stehen, als wenn ich da auch etwas ansehen wollte.

In Wirklichkeit guckte ich da aber in die Spiegelscheibe, die hinter den Schuhen war, um das Gesicht von dem Mädchen zu sehen, das sich da spiegelte, wenn ich ein bißchen schräg hinübersah; es sah richtig hübsch aus – auch ein bißchen groß und breit wie das ganze Mädel selbst auch, aber schön rund und weich und mit einem kleinen Kinn und Mündchen und einer irgendwie zierlichen Nase – aber ehe ich noch alles richtig anschauen konnte, drehte es den Kopf ein bißchen und sah mich auch genau im Spiegel – wir guckten uns richtig in die Augen – und dann drehte es sich plötzlich um, daß das ganze Gummicape raschelte, und ging mit ganz kleinen schnellen Schritten in seinen schwarzen Lackregenstiefeln davon.
Nun ist das ganz komisch: eigentlich mache ich mir gar nichts aus Mädchen – aber wenn so ein Mädchen mit Stiefeln und einem Gummiregencape an mir vorbeiraschelt, dann gibt mir das immer irgendwie einen Ruck – ich weiß nicht, was ich daran so schick finde. Aber jedenfalls brauchte ich gar nicht zu überlegen, sondern ging hinter ihr her.

Natürlich wollte ich da gar nicht etwa nachts auf der Straße eine junge Dame ansprechen – mit fünfzehn Jahren und in kurzen Hosen! – sondern mir gefiel daß bloß so, wie das Regencape da mit diesen ganz komischen Schlabberfalten., wie sie nur Gummituch macht, beim schnellen Gehen um die .Schultern und Arme und manchmal auch den Popo von dem Mädel schwang – und das konnte ich natürlich nur sehen, wenn ich hinter ihm herging.

Plötzlich hatte ich aber dabei das ganz komische Gefühl, als hätte es Angst – als wollte es richtig vor mir davonlaufen, traute sich aber auch wieder nicht, zu rennen – sondern stöckelte nur immer hastiger auf seinen hohen Lackstiefelabsätzen vor mir her, ohne sich zu trauen, auch nur den Kopf nach mir umzudrehen! Aber dann dachte ich mir wieder, daß das ja wohl Einbildung von mir sein mußte: denn zum Davonlaufen sah ich ja nun wirklich nicht aus:
Wirklich machte das Mädel dann auch plötzlich an der Straßenbahnhaltestelle halt – wahrscheinlich hatte es, dachte ich, nur auf einmal Angst gehabt, es könne die Bahn versäumen und müßte dann vielleicht noch eine Viertelstunde im Regen stehen.

Na ja – nun wollte ich auch nicht auf einmal kehrt machen, sondern ging auch bis zur Haltestelle weiter. Da war eine Straßenlaterne, und während ich so tat, als wollte ich auch auf die Bahn warten, wollte ich mir die junge Dame wenigstens zuende anschauen, nachdem sie am Laden so schnell weggegangen war.
Im Laternenlicht sah ich jetzt, daß sie unter der Kapuze lange schwarze Locken hatte, von denen ihr jetzt auf der einen Seite eine ins Gesicht fiel – und als sie die mit der Hand zurückstrich, sah ich, daß sie eine Armbanduhr umhatte.
Nun hätte ich – bloß so um das Ganze abzurunden.- furchtbar gern auch noch ihre Stimme gehört, und deshalb trat ich einen. Schritt näher auf sie zu und fragte ganz höflich:
„Entschuldigen. Sie – können Sie mir vielleicht die genaue Zeit sagen?“

Also jetzt hatte ich mich aber nicht getäuscht: sie war richtig erschrocken, als ich sie ansprach – und es sah fast so aus, als wenn sie sich auf die Lippen biß, während sie mir zuhörte, und fieberhaft überlegte – aber dann kam das Komischste: sie warf wie entrüstet den Kopf ein wenig in den Nacken, machte auf dem Hacken kehrt und ging drei kleine richtig zornige Schritte weg, bis sie schließlich, mir immer noch den Rücken und die spitze Gummikapuze zuwendend, wieder stehenblieb.
Aber in dem Augenblick kam auch schon die Straßenbahn quietschend um die Kurve an der Ecke, hielt – und das Mädchen, wieder hastig stöckelnd und regencaperaschelnd, stieg ein.

Aber ich auch.

Bis zu diesem Augenblick hatte ich das natürlich überhaupt nicht vorgehabt – was sollte ich denn mitten in der Nacht noch auf der Straßenbahn?! – aber jetzt, wo dieses seltsame Mädel mit dieser Straßenbahn gewissermaßen vor mir entfliehen wollte, wollte ich ihm meinerseits zeigen, daß das nicht so einfach ging!

Der Wagen war – bis auf zwei alte Damen und einen Mann in Arbeitskleidung, der von der Spätschicht kam – fast leer. Das Mädel war, noch immer hastig und in der nächsten Kurve fast stolpernd, ganz bis ans andere Ende des Wagens gestöckelt und hatte sich dann, das Cape wie schützend um sich raffend, auf dem äußersten Platz neben der vorderen. Tür niedergelassen. Ich setzte mich andererseits gerade am entgegengesetzten Ende auf die gegenüberliegende Bank.

Glücklicherweise hatte ich in der Tasche meiner Windjacke noch eine Sammelkarte – das Mädchen hatte sich von Schaffner auch wortlos eine solche Karte knipsen lassen – so daß ich wenigstens keinen. Ärger durch meinen plötzlichen Entschluß bekam: denn Geld hatte ich für den Weg zum Briefkasten natürlich gar nicht erst eingesteckt.

Das Mädchen warf mir noch immer keinen Blick zu – aber natürlich hatte es gemerkt, daß ich ihm gefolgt war: die erste Zeit saß es auf der äußersten Kante der Bank, als wollte es jeden Augenblick wieder aufspringen und. davonlaufen – aber als ich still in meiner Ecke sitzenblieb und auch nicht immer hinüberschaute, schien es sich ein bißchen zu beruhigen und holte sogar aus seiner Handtasche – so einer richtigen schwarzen Damenlederhandtasche – ein Liebesromanheft hervor, in dem es zu lesen. anfing: oder wenigstens tat es so, denn ich hatte den Eindruck, daß es nie eine Seite umblätterte!

Plötzlich – wir waren schon eine ganze Weile gefahren und die anderen Leute waren schon lange ausgestiegen – stand es, als die Bahn wieder einmal anhielt, ganz rasch auf und stieg hastig aus.

Aber ich natürlich auch.

Diesmal sah es sich unter seiner Regenkapuze wirklich richtig ängstlich nach mir um und begann dann wieder mit ganz schnellen kurzen Schritten die Straße entlangzutrippeln. Aber jetzt wurde mir das Theater endlich zu dumm.

Ich legte ein bißchen Tempo zu – ich kann ganz schön schnell gehen, wenn es darauf ankommt! – und hatte das eilige Regencapefräulein in noch nicht einer Minute eingeholt.

Obwohl ich direkt neben ihr ging, guckte es starr geradeaus und raschelte und. stöckelte verzweifelt weiter.

„Sie sind doch gar kein Mädchen,“ sagte ich, weiter unerbittlich Schritt haltend.

Die Gummikapuze drehte sich noch weiter von mir weg, daß ich überhaupt nichts mehr von dem hübschen Mädelgesicht darunter sah.

„Sie können auch gar nicht davon laufen,“ fuhr ich halblaut fort, „und um Hilfe oder die Polizei rufen können Sie auch nicht, weil Sie nicht die richtige Stimme dafür haben.“

Die Kapuze rührte sich nicht, während die Regenstiefel noch immer wie atemlos über das nasse Pflaster stöckelten.

„Das brauchen Sie aber auch alles gar nicht,“ sagte ich – jetzt auch fast ein wenig außer Atem – „ich will Ihnen doch gar nichts tun – oder Sie anzeigen – oder sowas. Ich – ich möchte sie nur mal richtig ansehen! „

Die Kapuze zuckte ein wenig unsicher, ohne daß die schnellen Schritte stockten.

„Ich hab mir schon immer gewünscht, mal jemand zu sehen, der sich richtig als Mädchen verkleidet hat!“ verfolgte ich dies erste Anzeichen einer Reaktion.

Sonst liest man das immer bloß mal in der Zeitung oder in einem Buch – und da steht alles auch nie richtig ausführlich – „

Die eiligen Schritte hielten abrupt inne.

„Also gut – “ flüsterte eine tonlose Stimme unter der Kapuze hervor. „Da vorne ist eine Laterne – da kannst Du mich meinethalben anschauen – aber dann läßt Du mich in Ruhe!“

Und damit raschelte die vermummelte Gestalt neben mir schon wieder mit ihren kleinen Junge-Damen-Schrittchen weiter.

Unter der Laterne machte sie halt, trat einen Schritt zurück, daß das Licht voll auf sie fiel, und stellte sich, den Kopf unter der Kapuze wie herausfordernd zurückwerfend, in Positur – einen Fuß ein wenig vorgesetzt , Schultern zurück, daß sich das Gummicape über den strammen runden Brüsten straffte, und mit einem halb unsicheren, halb triumphierenden Blick unter langen schwarzen Wimpern hervor.
„Könnten Sie – “ sagte ich vorsichtig, “ – könnten Sie vielleicht die Kapuze runtermachen? Ich meine, es regnet ja gerade nicht -und. ich hätte gern Ihre Frisur auch. – „

Mit einem kleinen Achselzucken – und viel raschelnden Regencapefalten – hob das „Mädchen“ die Arme und streifte die graue Gummikapuze nach hinten zurück, volle lange schwarze Locken freigebend, schüttelte den Kopf ein wenig und schaute mich wieder an.

„Mein Gott – sind Sie schön!“ sagte ich erschüttert. (Ich brauchte noch nicht einmal viel zu übertreiben: jetzt, wo die weichen Locken das glatte Gesicht umspielten, sah es wirklich noch viel schöner aus – wirklich nicht wie ein Männergesicht, das man bloß zurechtgeschminkt hatte. Wenn er nicht als Frau angezogen ist, muß er ganz merkwürdig aussehen, dachte ich.)

Irgendwie schien ihm dies Kompliment zu gefallen, denn er lächelte ein. bißchen – wobei er als Mädchen noch hübscher aussah. Doch dann wollte er die Kapuze rasch wieder über den Kopf ziehen:
„So – genug angeschaut?“ zischte er hastig und tonlos, wie um sich bereits wieder zum Gehen zu wenden.

„Nein!“ sagte ich laut.

Er stockte – ich spürte, daß ich Oberwasser hatte: „Nein – ich möchte Sie gern noch viel genauer ansehen – was Sie da drunter für’n Kleid anhaben – und alles – „

„Das geht doch nicht – hier mitten auf der Straße – ! ! ! “ zischelte er wieder , halb ärgerlich.

„Dann gehen wir eben zu Ihnen nach Hause – !“ erwiderte ich – ihn breit anlächelnd.

Es war richtig entzückend anzusehen – wirklich wie eine junge Dame, die zwischen Wut und Verlegenheit und ein bißchen Angst oder gar Verzweiflung kämpft – alles auf diesem hübschen weichen Mädchengesicht unter den falschen schwarzen Locken.:
„Das – das ist unverschämt! “ zischte die tonlose Stimme.

„Nein – das ist sogar furchtbar nett von mir“ sagte ich behaglich, „Stellen Sie sich vor, was jemand anders für ein Theater gemacht hätte, und was Sie alles für Unannehmlichkeiten bekommen hätten – aber ich sage ja gar nichts, ich tue ja gar nichts, ich möchte nur richtig in Ruhe bewundern, wie hübsch Sie aussehen in all den schicken Fräuleinssachen …!“

Mit jedem Wort wurde mir mehr klar, wie hoffnungslos er mir ausgeliefert war. Hatte ich mir das nicht immer mal ausgemalt: so eine ganz vornehme, elegante und stolze junge Dame mit irgendwas, wie so ein Schuft Im Film, in der Hand zu haben, daß sie alles, aber auch alles machen mußte, was ich sagte? Und hatte ich nicht, auf der anderen Seite, immer davon geträumt, mal einen ganz schick als schöne Dame verkleideten Mann zu sehen? Und jetzt hatte ich auf einmal beides in einem!

Aber gerade dieses Bewußtsein meiner Macht ließ mich einlenken:
„Und wenn Sie ehrlich sind: würden. Sie das nicht auch furchtbar gern mal jemand zeigen, den das alles wirklich richtig interessiert? Und bei dem Sie keine Angst zu haben brauchen, daß er was verrät oder so?“

Das hübsche Mädchengesicht spiegelte noch immer viel zu verräterisch jedes seiner Gefühle wieder:
„Und woher weiß ich, daß ich mich auf Dich verlassen kann?“ protestierte er wieder flüsternd. „Wenn Du sogar noch wüßtest, wo ich wohne – ! “

„Nach Hause – “ sagte ich überredend, „müssen Sie sowieso mal wieder. Und Sie können auch nichts dagegen machen, wenn ich dabei immer hinter Ihnen hergehe – also finde ich doch heraus, wo Sie wohnen. Aber – “ schlug ich plötzlich vor, „sagen Sie doch was, womit ich beweisen kann, daß Sie sich auf mich verlassen können?“

„Also jedenfalls können wir nicht ewig hier unter der Laterne stehen bleiben – da kann ja immer jemand vorbeikommen!“ meinte er, immer noch in diesem tonlosen Flüstergezischel (es war zum Lachen: wenn er mir an der Haltestelle in diesem Ton. „Viertel vor zehn“ zugezischelt hätte, wäre mir vielleicht gar nichts aufgefallen! ) und setzte sich wieder mit seinen kurzen Fräuleinsschritten in Bewegung. Ich schwenkte neben ihm ein. Irgendwie machte es mich unheimlich stolz, daß jeder, der uns begegnen würde, denken mußte, ich ginge da neben einer schicken jungen Dame im Regencape spazieren!

„Sie können das aber wirklich fabelhaft!“ sagte ich halblaut.

„Was?“ flüsterte er, ohne den Kopf zu wenden, zurück.

„Ach – so wie ’ne Dame gehen: sogar vorhin, wie Sie weglaufen wollten!“

„Denkst Du denn, ich hätte da wie ein Sprinter die Straße langsausen können?!“

ab er zurück – aber es klang weniger ärgerlich als ein bißchen geschmeichelt.

„Wo gehen wir eigentlich hin?“ fragte ich . „Ich glaub nicht, daß Sie hier wohnen! „

Er sagte nichts, hielt aber doch inne.

„Gehen wir doch wieder zur Haltestelle zurück – dann können wir mit der nächsten Bahn fahren!“ schlug ich vor.

Und tatsächlich machte er nach kurzem Zögern kehrt und ging nun in der anderen Richtung – nicht ohne daß ich höflich wieder an seine linke Seite gewechselt war, wie es das ein Fünfzehnjähriger bei einer jungen Dame zu tun hat!

„Also ist Ihnen was eingefallen?“ begann ich wieder, als er noch immer schweigend, neben mir herging.

„Was?“

„Wie ich Ihnen beweisen könnte, daß — „

„Blödsinn!“ zischte er ganz undamenhaft ärgerlich. „Wie sollst Du das schon beweisen können ?!“

Ich überlegte. „Na ja – Sie müßten eben von mir a u c h etwas wissen, was Sie nun wieder nicht verraten; dann wären wir ja quitt – nicht?“

Er zuckte unter dem raschelnden Cape unwillig die Achseln. Plötzlich kam mir eine Idee:
„Wissen Sie – wenn ich mich nun auch mal als Mädchen anziehen würde – Sie könnten mir ja zeigen, wie man das macht – und dann auch mal so spazieren ginge: dann wüßten Sie das ja dann auch von mir – genau wie ich von Ihnen., nicht wahr?“

Er blieb einen. Augenblick stehen und sah mich von der Seite her an;
„Heh!“ Er war so verblüfft, daß ihm fast ein wenig Ton in die Stimme kam (gar keine so furchtbar tiefe Stimme übrigens: kein Sopran natürlich – aber ich hatte schon Mädel gehört, die auch nicht höher sprachen!) “Sag bloß, Du hättest auch Lust, sowas zu machen?!”

Hier endet – wieder mal, ärgerlicherweise – dies Fragment…

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