Vorausgehende Informationen von Hekate in einer Mail an Jula:
Liebe Jula,
das hätte ich nun auch nicht gedacht, daß ich mich auf einmal als “Herausgeberin des literarischen Nachlaßes” betätigen müßte (zumal Hellmut bis auf einen jahreszeitgemäßen Schnupfen noch total quicklebendig ist!) – aber nachdem ich Dir im letzten Brief so leichtfertig angekündigt hatte, ich würde versuchen, ihn dazu zu bringen, mal dies “Fragment”, in dem er – für mein Gefühl – sowas wie mein letztes Bild vorweggenommen hatte, einzuscannen (ich hoffe, Du hattest bemerkt, daß ich die Erklärung, was ein Fragment ist – “eine Geschichte ohne Kopf und Schwanz, der das Mittelstück fehlt” – nach dem Vorbild des von Euch zu Recht so verehrten Herrn Lichtenberg – “ein kleines Messer ohne Klinge, an welchem der Stiel fehlt” – gebildet hatte: das bin ich nämlich auch! (Ich meine natürlich nicht ein Messer ohne Klinge – sondern gebildet!)) – also jedenfalls, nachdem er das eingescannt hatte, erklärte er mir dann nochmal den fehlenden Kopf und Schwanz, meinte dann aber, die könnte ja nun ich Dir beschreiben, damit ich auch mal was täte (dabei war ich doch gerade so fleißig als Hausfräulein tätig! Aber das nehmen die Männer ja nie so richtig für voll (wenn das so weitergeht, emanzipiere ich mich demnächst!)).

Aber nun habe ich das eben am Hals – und weil Du möglicherweise aus den Trümmern sonst nicht schlau wirst, hier also die (unmittelbare) Vorgeschichte der Handlung: Der Erzähler hat gerade sein Abitur hinter sich, da muß er plötzlich in einem fremden Dorf auf die Villa einer verreisten Tante aufpassen, weil deren Dienstmädchen, daß das eigentlich tun sollte, mit einem unzeitgerecht gebrochenen Bein im Krankenhaus liegt. Aber wenn Dich dies Szenario verdächtig an den Auftakt des “10-Tage-Mädchens” erinnern sollte, so ist das durchaus irreführend: denn dieser Jüngling wäre diesmal schon rein physisch kaum in der Lage, sich als Maid zu verkleiden – er ist vielmehr, wenn ich Hellmut richtig verstanden habe, eher eine Kreuzung aus einem antiken Gott und Lord Byron mit Spuren von Sir Sean Connery (hach, identifiziert sich Hellmut auch manchmal mit solch einem Mädchentraum? Oder brauchte er diesmal bloß gerade so einen Erzähler?). Nun, kurz und gut, er hat gerade angefangen, sich in der einsamen Villa etwas einzurichten, als das Telefon klingelt, um alle Bewohner solcher Villen zu unterrichten, daß etliche Insassen eines benachbarten Jugendstraflagers ausgebrochen seien – die meisten habe man zwar schon wieder eingefangen, aber zumindest einer müsse sich noch in der Gegend herumtreiben: wachsam sein, nichts offenlassen und so weiter! Also macht er sich gleich auf einen Rundgang durchs Haus, verrammelt vorsichtshalber alles – aber da: ein verdächtiges Geräusch aus dem Keller?! Er geht ihm nach – aber was er findet, ist schwerlich ein gefährlicher Ausbrecher: sondern ein schmächtiges Häufchen Unglück mit einem – wie Hellmut definierte – “irgendwie verknulpst aussehenden Gesicht” (als ich mir darunter nichts rechtes vorstellen konnte, verwies er mich auf die “Zivilaufnahme” des jungen Hans Crystal – was ich hiermit auch tue: Crystal_Boy.jpg (Anm. Jula: leider verloren gegangen)) , den er bloß kräftig am Arm packen muß, um ihn nach oben zu holen und zu “verhören”:

Und ingrimmig packt der Kleine aus: erst hätten sie ihn überredet, mit abzuhauen – aber dann beim ersten Problem einfach sitzen lassen – und jetzt hoffe er, beim Teufel, nur, daß diese feinen “Kameraden” recht bald wieder gekrallt würden! Aber er jedenfalls wolle nie wieder zu denen ins Lager zurück – was sein Entdecker nachfühlen kann – bloß wisse er genauso wenig, was er statt dessen machen solle! Edel, wie Hellmuts diesmaliger Held nun mal ist, versucht er mit dem Flüchtling dessen ziemlich aussichtslose Lage Punkt für Punkt durchzusprechen – bis dieser so viel Vertrauen zu ihm gefaßt hat, daß er ganz naiv fragt, ob denn etwa vielleicht irgendwelche Mädchenkleider im Haus seien?

Worauf beim edlen Helden (wieder leichter Anklang, diesmal an Antons Abenteuer – aber wieder auch bemerkenswert anders) eine Klappe fällt …!
Und um die im einzelnen zu erklären, muß ich jetzt hier erst mal ein Fragment aus einem anderen Entwurf hereinsetzen – der zwar laut Hellmut gar nicht zu dieser Geschichte gehört hat, aber nachher auch in der plötzlich wieder auftaucht (das ist fürchterlich verwirrend, was da alles so in Hirn und Ordnern eines “Autors” durcheinander herumliegt!) – also:

(… etwas “Background” (?) …)

Das Große Geheimnis – es war für mich immer “Das Große Geheimnis”, zum Unterschied von einfachen großen Geheimnissen! – lernte ich schon kennen, bevor ich noch zur Schule ging; ich glaube so mit fünf Jahren.

Eigentlich war es ja der Zauberkünstler gewesen, auf den ich am meisten gespannt war – aber wie so oft, geschah das, worauf es ankam, in einer ganz anderen Nummer des Programms: da war ein hübsches rothaariges Dienstmädchen in Schürze und blaukariertem Kleid, das Wäsche auf eine Leine hängte – nur daß die Leine natürlich in Wirklichkeit ein Drahtseil war, über das es nachher hin und herlief, als ein Vagabund mit roter Nase und geflickten Hosen kam, der es immer aus irgendeinem Grund anfassen wollte (später kletterten die beiden sogar über die ganzen Kulissen herum, und alles fiel um) – das war ganz ulkig, aber eigentlich gar nicht das, was wichtig war, sondern: als dann am Schluß alles klatschte und die beiden sich verbeugten, da nahm das Mädchen auf einmal seine roten Locken ab – und war ein junger Mann mit glatten schwarzen Haaren!

Da lachten und klatschten die Leute noch viel mehr – aber ich war damals mit meinen fünf Jahren richtig durcheinander: gab es denn sowas? Entweder war jemand doch ein Mädchen – oder er war ein Mann: wenn man sich darauf nicht verlassen konnte – worauf dann überhaupt noch in der Welt?!

Das war mir so unheimlich, daß ich mich noch nicht einmal traute, auf dem Heimweg oder zuhause darüber zu reden: aber ich erinnere mich noch, daß ich in den nächsten Tagen jedes weibliche Wesen, das ich nicht ganz genau kannte, mit abgrundtiefem Mißtrauen musterte: wer garantierte, daß das nicht in Wirklichkeit auch ein Mann mit falschen Locken war, der sich bloß ein Kleid angezogen hatte?
Immerhin kannte ich jetzt Das Große Geheimnis: Männer konnten einfach so tun, als wenn sie Frauen wären – und wenn sie nicht plötzlich die Perücke abnahmen, merkte das überhaupt niemand!

Der Gedanke hatte etwas Erschreckendes – aber, genau wie eine Gespenstergeschichte, zugleich auch Aufregendes, Reizvolles: und genau wie ich mich bei einer solchen Geschichte zwar auch unheimlich fühlte – aber niemals aufhören konnte, zuzuhören und zu erfahren, ob sich nicht noch etwas Gruseligeres begeben würde – so ließ mich diese Idee auch nicht mehr los.

Es war eigentümlich erregend, sich so etwas in allen Einzelheiten auszumalen – anziehend und abstoßend zugleich: wie da eine junge Dame, natürlich eine besonders hübsche und elegante in einem ganz schönen und teuren Abendkleid, auf einem Fest einen Preis bekommen sollte, weil sie die Allerschönste war – und sich dann auf einmal mit der Hand über die Locken fuhr und als Mann dastand! Ich konnte mir richtig vorstellen, wie erschrocken und traurig der Mann mit dem Preis in der Hand dabeistehen würde – und die Mädchen würden wütend sein, daß jemand, der gar kein Mädchen war, viel schöner ausgesehen hatte als sie – die anderen aber würden sagen „wie schade – er wäre doch so eine süße junge Dame gewesen: warum ist er nur keine geblieben!“ – und das wußte ich nun allerdings auch nicht: wenn er schon so schön und mädchenhaft aussah, daß man ihm sogar ein Preis geben wollte – dann hätte er ja seine Perücke auch aufbehalten und nichts verraten können? Aber das verstand ich eben noch nicht – genau so wenig, wie ich mir erklären konnte, warum er überhaupt erst mal angefangen hatte, sich als Mädchen auszugeben – ich wußte nur, daß Erwachsene eine Menge von Dingen taten, die ich mir nicht erklären konnte: und dies hier war wenigstens etwas wirklich Aufregendes, bei dem einem ein halb ängstlicher, halb wohliger Schauer über den ganzen Rücken bis zwischen die Beine hinunterlief!

Als ich später lesen gelernt hatte, fand ich in der Zeitung – die hatte am Wochenende immer so eine halbe Seite „Geschichten aus der Wirklichkeit“ mit allen möglichen kuriosen Begebenheiten – ab und zu etwas über Mädchen oder Damen, die sich unerwartet „als Männer entpuppt“ hatten: nur zu meinem Leidwesen immer recht knapp und ohne jede nähere Beschreibung, wie denn nun das „Entpuppen“ eigentlich vor sich gegangen war, oder welche Hintergründe die ganze Verkleidung nun genau genommen gehabt hatte – es war ja gut und schön, wenn jemand ein „Hochstapler“ oder „Schwindler“ war: aber das konnte man ja doch, wie andere „Geschichten aus der Wirklichkeit“ bewiesen, genausogut in Männerkleidern sein?! Irgendwas mußte da noch dahinterstecken – mir fiel in diesen Jahren immer mehr auf, daß es eine ganze Reihe von kleineren „Geheimnissen“ zu geben schien, um die die Erwachsenen immer geschickt herumredeten – aber bei uns zuhause wurde über so etwas schon überhaupt nicht gesprochen: und selbst wenn es anders gewesen wäre – ich wußte ja selbst nicht so recht, was ich eigentlich hätte fragen sollen!

Ich wußte es sogar auch nicht, als ich einmal Gelegenheit hatte, über das ganze Thema mit jemand zu sprechen: das war ein – in bin nie so recht daraus schlau geworden – Untermieter oder Vetter oder Freund unserer verwitweten Tante aus der Nachbarstadt, der einerseits angeblich Lehrer, andererseits aber ohne Anstellung war und trotzdem ein eigenes Auto hatte, mit dem er eine Zeitlang herübergefahren kam, um mir vor der Aufnahmeprüfung für die Oberschule Nachhilfestunden zu geben. Ich verstand mich – was bei einem Lehrer eigentlich sehr seltsam war – recht gut mit ihm, und als wir einmal nachmittags zusammen ins Museum gingen (ich weiß nicht mehr, was wir eigentlich wirklich ansehen wollten oder sollten), kamen wir auch in die „ostasiatische Abteilung“ – und dort durch irgendwelche Puppen und Kimonos auch darauf, daß im japanischen und chinesischen Theater alle Frauenrollen von Männer dargestellt wurden.

Das war nun auch wieder ebenso neu wie aufredend für mich, zumal es irgendwie – wenn auch entfernt – an das falsche „Dienstmädchen“ im Varieté damals erinnerte. Diese Schauspieler, erklärte er mir, müßten viele Jahre üben und lernen, um sich in jeder Bewegung genau wie eine Frau zu verhalten – und die berühmtesten von ihnen seien graziöser als die wirklichen Japanerinnen und Chinesinnen; übrigens hätten auch zu Shakespeares Zeit in Europa noch Jungen und junge Männer die Mädchen auf der Bühne spielen müssen, weil damals Frauen das Auftreten auf dem Theater überhaupt verboten war. Sogar viele Jahre später hätte es immer noch Schauspieler gegeben, die ebenso gut Frauenrollen wie Männerrollen spielen konnten. Ich hörte ihm mit hochroten Ohren zu und fragte dann ein bißchen ungeschickt – ich konnte das eigentliche Problem noch gar nicht so richtig formulieren – warum sie das denn eigentlich getan hätten, wenn es doch soviel Mühe und Übung verlangte?

Er sah mich ein wenig eigenartig an und meinte dann leichthin „vielleicht wären sie in Wirklichkeit lieber als Mädchen auf die Welt gekommen?“ Das rückte mir nun Das Große Geheimnis wieder in ein. ganz neues Licht: daß jemand etwas anderes sein wollen könnte (schon die Worte dafür gingen merkwürdig durcheinander) als er eigentlich war – lieber ein Mädchen als ein Junge – war schon kompliziert genug; aber daß er es dann auch noch wirklich versuchte – obgleich er doch wissen mußte, daß an so etwas nichts mehr zu ändern war! – und vielleicht sogar so raffiniert, daß man ihn wirklich sein Leben lang für eine Frau hielt: das brachte nun wirklich all meine vertrauten Vorstellungen endgültig durcheinander:

„Aber – das geht doch nicht!“ protestierte ich schließlich. „Ich meine: gibt es das denn wirklich?“

Wieder lächelte er eigenartig “Ach Gott, Junge, was gibt es auf der Welt nicht alles!“ Er schüttelte leicht den Kopf. „Mal angenommen, Du kämst jetzt plötzlich darauf, daß es schöner wäre, ein Mädchen zu sein als ein Junge -“

„Nöö* – also das kann ich mir nicht schön vorstellen!“ fiel ich ihm ins Wort, Tatsächlich: so fremdartig mich die ganze Idee dieser als Mädchen oder Frauen verkleideten Männer anzog – auf mich selbst hatte ich sie noch nie bezogen; ich war, fand ich, sehr zufrieden, ein Junge zu sein – und zu bleiben.

„Na ja – D u natürlich nicht!“ korrigierte er sich rasch „Aber es könnte ja doch irgendwo Jungen geben, die vielleicht nicht so recht glücklich sind damit, wie sie leben müssen … “ Er schüttelte wieder den Kopf. „Aber sind wir froh, daß Du damit keine Sorgen hast!“

Und damit schien für ihn das Thema abgeschlossen – er jedenfalls kam nie wieder darauf zurück, und ich traute mich nie mehr, meinerseits davon anzufangen. Später gab es übrigens mit diesem Untermieter irgendeine Sache, die zwar alle auch in unserer Familie ziemlich aufzuregen schien — aber immer, wenn ich zufällig dazu kam, wechselten alle schnell das Thema, und ich bekam nie heraus, was mit ihm eigentlich geschehen war; fest stand nur, daß er nicht mehr bei meiner Tante wohnte und mir auch nie wieder Nachhilfestunden geben würde.
Besonders viele Gedanken machte ich mir darüber damals nicht – denn, neben all dem Neuen, was mir die Oberschule brachte, hatte ich einen Verdacht gefaßt, der alles überstieg, was mir bisher ja begegnet war:

Die Leihbücherei, in der unsere ganze Familie sich ihre Schmöker auslieh – nicht zuletzt ich, seit ich die Kriminalromane entdeckt hatte – bekam eine neue Pächterin; und diese Pächterin – so zumindest glaubte ich entdeckt zu haben – war kein Mädchen, sondern ein verkleideter Mann.

Es fällt mir heute selbst schwer, noch zu verstehen, wie ich darauf verfallen war: denn es handelte sich keineswegs etwa um eine grobknochige, häßliche oder maskuline Alte – sondern im Gegenteil um eine ausgesprochen hübsche junge Dame. Aber gerade das bestärkte meinen Verdacht: es war ja bekannt – zumindest jedem, der Das Große Geheimnis so gut kannte wie ich – daß verkleidete Männer immer wie besonders hübsche Mädchen aussahen!

In der Tat war nun Fräulein Joschek (auch so ein etwas verdächtiger Name) für ein Mädchen recht hochgewachsen und hatte auch nicht gerade kleine Füße. Aber noch schlimmer: sie trug Stiefel. Wenigstens hatte ich sie im Winter, als draußen rechter Schneematsch war, dabei ertappt. Das mag nun heute, wo jede Dame mehrere Paar Stiefel im Schrank hat, ziemlich selbstverständlich erscheinen: aber für mich war es das damals keineswegs. Frauen trugen in einem solchen Fall, wie ich sehr wohl von Mutter und Schwestern wußte, allenfalls Überschuhe oder spezielle Gummiregenstiefel – aber nicht, wie Fräulein Joschek, richtige Lederstiefel mit niedrigem Absatz.

Sie hatte sogar gegenüber ein Kundin, wie ich mitanhörte, lachend zugegeben, daß es richtige Männerstiefel seien – von ihrem Bruder, der sie in seinem Schrank zurückgelassen habe, sagte sie. Aber ich wußte die Wahrheit: sie selbst war dieser „Bruder“ – und hatte nur vorgetäuscht, die Stadt zu verlassen, um dann in Mädchenkleidern hier diese Leihbücherei zu übernehmen, wo niemand sie (ihn!) kannte!

Nachdem ich erst einmal stutzig geworden war, fand ich täglich neue Bestätigungen für meinen Verdacht:

Ob es nun die – für den Eingeweihten typisch männliche! – Angewohnheit war, sich rasch einmal ins Hinterstübchen zu verdrücken, um eine Zigarette zu rauchen, wenn der Laden leer war: oder ihre für eine Frau völlig unverständliche Belesenheit in Kriminalromanen (Mädchen lasen, wie ich von meinen Schwestern sehr wohl wußte, nur Liebesgeschichten mit Herzen und Mädchenköpfen auf dem Umschlag).

Und als sie eines Tages, nachdem sie mir den neuesten Krimi (extra für mich zurückgelegt) mit einem wunderbaren Skelett auf dem Titelbild gegeben hatte, in ihrer burschkosen Art augenzwinkernd etwas wie „wir wissen ja Bescheid“ oder eine ähnlich verschwörerische Bemerkung machte, stand es für mich fest, daß Fräulein Joschek ein verkleideter junger Mann sein mußte.

Nicht, daß ich darüber entsetzt gewesen wäre: sie – oder vielmehr er – hatte meine volle Sympathie bei diesem wagemutigen Spiel. Mochte es nun sein, daß er sich vor Verfolgern oder Gläubigern verbergen mußte – oder daß er zu jener seltsamen Sorte von Männern gehörte, die „in Wirklichkeit lieber als Mädchen auf die Welt gekommen wären“ – bei mir war sein Geheimnis in guten Händen. Wenn die übrige Welt zu unerfahren oder schwachsichtig war, die Indizien zu erkennen – von mir würde sie nie etwas erfahren.

Im Gegenteil genoß ich, in meinem geheimen Wissen, das ganze Fräulein Joschek wie eine eigens für mich veranstaltete Privatvorstellung: jedesmal, wenn ich in die Leihbibliothek kam, begutachtete ich mit fachmännischem Blick ihre dunklen Locken (saßen sie auch noch richtig ?) – kontrollierte den Sitz ihres „Gummibusens“ (ein Wort, das ich in einem Kriminalroman kennengelernt hatte) — und bewunderte das Geschick, mit dem sie (er) sich in immer neuen ausgesprochen mädchenhaften Kleidern bewegte, in ganz hochhackigen Schuhen oder so (wie ich aus irgendeinem Grunde fand) typisch weiblichen Sachen wie einem Gummiregencape mit Kapuze.

Ich war von alledem so fasziniert, daß ich unter irgendwelchen Vorwänden – sei es nun, ihr eine Packung Zigaretten zu holen, oder zurückgekommene Bücher in die Regale einzusortieren — bei jeder erdenklichen Gelegenheit in der Leihbücherei steckte (was mir überdies noch außerordentlich günstige Sonderkonditionen und Vorzugsrechte bei Neueingängen einbrachte); „mein kleiner Kavalier“ nannte mich Fräulein Joschek lachend gegenüber ihren Kundinnen – höchst raffiniert seine Mädchenrolle spielend, konstatierte ich anerkennend — und wahrscheinlich waren sogar meine Angehörigen überzeugt, daß ich hier meine erste stille Liebe gefunden hätte!

Wenn sie geahnt hätten – ?! Aber so war ich im Grunde recht zufrieden, daß sich alle ein durchaus harmlose Erklärung für mein Interesse an Fräulein Joschek zurechtmachten — zugleich sogar auch eine Erklärung dafür, warum ich gegenüber anderen weiblichen Wesen (schon gar gleichaltrigen!) hölzern, verlegen und abweisend war. Denn welches Interesse konnte man schon für solche Gänschen haben, wenn man täglich das Schauspiel einer geheimen, nur von mir durchschauten Damenimitation genoß!

Inzwischen hatte ich heimlich begonnen, Zeitungausschnitte und Illustriertenbilder, die mein Lieblingsthema betrafen, zu sammeln und in ein großes, sorgsam gehütetes Heft einzukleben: Meldungen über entlarvte falsche Damen, Karnevalsmaskeraden, Männer oder Jungen, die bei Theateraufführungen weibliche Rollen spielten, einmal sogar über einen „Damenimitator“, der in einer Revue „als Frau‘, auftrat. Ich blätterte abends vor dem Einschlafen gern immer wieder einmal in diesem Geheimarchiv und dachte dabei an das schöne falsche Fräulein Joschek: bis ich eines Nachts plötzlich aus einem Traum aufwachte, in dem ich gerade eine Zeitung mit der dicken Schlagzeile „Das schönste Mädchen der Stadt entpuppt sich als Mann!“ lesen wollte – und erschrocken feststellte, daß meine Pyjamahose schlüpfrig feuchtnaß war. Zuerst erst schämte ich mich furchtbar, weil ich dachte, ich sei vielleicht ein „Bettnässer* (das Wort kannte ich aus kleinen fettgedruckten Anzeigen in unserer Familienzeitschrift) – aber dann merkte ich doch, daß dies Zeug an meiner Hose da etwas anderes sein mußte: und die ganze Sache wurde mir noch unheimlicher.

Wenig später hielt mir mein Vater einen längeren ernsten Vertrag über viele Dinge, deren Zusammenhang ich nicht ganz verstand (was hatten die Blumen und Bienen mit schmierigen alten Männern zu tun, vor denen man sich in Acht nehmen mußte ?) – der mich aber jedenfalls mit dem Gefühl zurückließ, es gebe außer Lügen und Schuleschwänzen noch eine ganze Menge anderer Dinge, mit denen man sich als „anständiger Junge“ nicht befassen dürfe; von Männern in Frauenkleidern erwähnte er allerdings ebensowenig etwas wie von meinen Visiten bei Fräulein Joscheks Leihbücherei – obwohl die mit meinem „Samenabgang“ (so, wußte ich jetzt, hieß sowas) oder zumindest mit dem vorhergehenden Traum auch etwas zu tun gehabt hatte …

Und auch die Schulkameraden, die versuchten, mir offenbar das gleiche Thema auseinanderzusetzen, – nur mit völlig anderen Worten und völlig anderem Schwerpunkt – schienen mir ausschließlich mit Mädchen und der Frage beschäftigt, wo die kleinen Kinder herkommen (was ich nun schon seit längerem aus unserem Konversationslexikon wußte, das dieses Thema mit vielen Bildern gründlichst abhandelte – während es sich über so interessante Dinge wie „Damenimitatoren“ völlig ausschwieg).

Schließlich zog ich aus alledem den Schluß, daß es wohl das Vernünftigste sei, um Mädchen und Frauen, aber auch um alte Männer mit eigentümlichen Vorschlägen einen möglichst weiten Bogen zu machen: und auf möglichst harten Matratzen zu schlafen.

Bald darauf zogen wir in eine andere Stadt – und ich mußte schweren Herzens das Große Geheimnis Fräulein Joschek, im Grunde doch ungelöst, hinter mir zurücklassen; ich hatte zwar ernstlich überlegt, ihr anonym einen Brief mit der Versicherung zu schreiben, daß ihr (sein) Geheimnis bei mir in guten Händen sei – bis mir klarwurde, daß dies, ohne Angabe bei wem, sie (ihn) eher beunruhigen würde als beruhigen; und meinen Namen unter so einen Brief zu setzen, war mir auf der anderen Seite auch wieder zu riskant – zumal mir schließlich doch wieder Zweifel kamen, ob Fräulein Joschek nicht am Ende doch ein ganz gewöhnliches, unromantisches echtes junges Mädchen sein könnte…

(Da Du, wie ich Dich kenne, garantiert neugierig bist, was in diesem Fragment wohl “eigene Erlebnisse” Hellmuts gewesen sein könnten: wie er sagt, nur die Varietenummer und der Schlagzeilentraum – alles übrige hat er, wie ich finde ganz glaubhaft, dazuphantasiert… )

Aber, liebe Jula, ich muß Dir ja nun nicht im einzelnen vorbuchstabieren, wie fasziniert der Erzähler davon ist, plötzlich zum erstenmal richtig in der Realität jemand zu begegnen, der nicht nur auf die Idee des Verkleidens kommt, sondern ganz selbstverständlich erklärt, er könne nämlich ganz gut ‘ein Mädchen markieren’ (um seine Flucht ev. doch noch erfolgreich fortzusetzen).

Das möchte er ja zumindest mal sehen – und ist total verblüfft, wie sehr sich diese Behauptung bewahrheitet: in den Sachen und der Zweitfrisur des verunglückten Dienstmädchens sieht der Kleine plötzlich gar nicht mehr “verknulpst” aus, sondern hinreißend mädelhübsch! (Hab ich auch erst nicht geglaubt, bis mir’s Hellmut durch Gegenbild “Crystal-Girl.jpg” (Anm. Jula: leider auch verloren) demonstriert hat – er sagt, die beiden Bilder hätten ihm damals beim Schreiben vorgeschwebt … na ja, damals kannte er eben m e i n e Bilder noch nicht!!!)

Dennoch findet es der Erzähler riskant, ihn so einfach weiterfliehen zu lassen, während noch überall nach dem letzten Ausbrecher gesucht wird: und so ersinnt er einen ebenso raffinierten wie edlen Plan …

… der darauf hinausläuft, daß ein verängstigtes Aushilfs-Dienstmädel die Polizei anruft, da scheine im Keller des Hauses der Ausbrecher zu sitzen – sie habe ihn zwar dort eingeschlossen, aber ob nicht schleunigst jemand kommen könnte, um ihn abzuholen? Was denn die Polizei auch tut – und im Keller einen zornigen Jüngling vorfindet, der zwar in unverschämtester Weise darüber schimpft, daß ihn eine dumme Pute von Dienstmädel, als er von seinem abendlichen Waldlauf zurückgekehrt sei, plötzlich im Keller eingesperrt habe – sich aber ebensowenig ausweisen kann, wie er den örtlichen Polizisten etwa als Bewohner des Hauses bekannt wäre: so daß diese ihn vorsichtshalber erst mal abführen…

(was – nach dem wohlerwogenen Urteil des edlen Retters – kaum ein Risiko auf lange Sicht für ihn ist, da die Sache sich irgendwie aufklären wird: aber dem verkleideten Flüchtling erst einmal die Chance geben soll, sich – solange der “Ausbrecher “ ja scheinbar bereits gefaßt ist – unbelästigt so schnell und so weit wie möglich aus dem Staube zu machen…)

… und was, wie Du bereits ahnen wirst, natürlich wieder mal keineswegs so wie geplant abläuft:

(… so, nun kommt das eigentliche “Fragment” …)

„Sie brauchen mich nicht den ganzen Weg zu fahren – das Stück zum Haus gehe ich schon zu Fuß!“ sagte ich höflich, als wir an der Abfahrt angekommen waren. Schließlich wollte ich Zeit gewinnen – er (mir fiel erst jetzt ein, daß ich noch nicht einmal seinen Namen wußte) hatte es mit diesem überflüssigen Telefonanruf sowieso viel zu lange hingezögert und wertvolle Zeit verschenkt: wenn wir jetzt gemeinsam in der Villa ankamen und feststellen mußten, daß das „Dienstmädel“ verschwunden war, würde der Polizist – oder spätestens der Mann vom Straflager – vielleicht doch endlich zwei und zwei zusammenzählen und unweigerlich vier herausbekommen!

„Nee, nee – das laß ich mir nun nicht nehmen -“ dröhnte das Auge des Gesetzes jovial, n nach all den Unannehmlichkeiten, die Sie schon hinter sich haben – “ er bog in die Anfahrt ein, „und außerdem muß ich sowieso nochmal mit dem Mädel reden – sie sagt, sie vermißt auch Sachen, die sie gestern im Garten auf die Leine gehängt hat -„

Was war denn nun das schon wieder ?! War der denn vollends übergeschnappt, die Polizei geradezu mit der Nase auf das zu stoßen, worauf sie hoffentlich von allein nicht gekommen wäre ?!

„Mädchensachen – ?!“ machte ich so verblüfft wie möglich – wobei mir erst zu spät einfiel, daß ich damit die Sache nun endgültig vermasselt hatte: wenn mein Schützling nur eine Spur von Intelligenz besessen hatte, hatte er ja wenigstens von Männersachen gesprochen, die er als Dienstmädchen mit der übrigen Wäsche oder sonstwas ins Freie gehängt habe – aber ich Idiot mußte mich natürlich jetzt noch verplappern!

„Möglich – “ sagte der Polizist, Amtswürde und tiefere Einsicht in die Abgründe des Verbrechens als gewöhnliche Sterbliche in der Stimme, „ist das alles!“ Und nach einem Moment des Ringens mit sich, ob er mir Einblick in etwas ebenso Amtsinternes wie Unappetitliches geben solle, fügte er – gewissermaßen wohl um zu zeigen, daß er mich durch sein Vertrauen für erlittene Unbill entschädigen wolle – düster hinzu: „Den Akten nach ist der Entflohene schon früher mal in Mädchenkleidern aufgegriffen worden – „

Das mußte er von dem Mann aus dem Lager haben: wenn es in der ursprünglichen Fahndungsnachricht gestanden hätte, wäre wahrscheinlich selbst diesem biederen Gesetzeshüter aufgefallen, daß ich nun wahrhaftig nicht wie jemand aussah, der auch Mädelsachen tragen konnte! Aber welcher Teufel hatte denn bloß den kleinen Kerl geritten, ausgerechnet – und völlige unnötigerweise – dieses Thema in seinem Anruf anzuschneiden?

„Ja – gibt’s denn sowas – !“ sagte ich mit der nötigen ehrfürchtigen Fassungslosigkeit – während ich fieberhaft überlegte, was ich jetzt machen sollte: wenn das „Dienstmädchen“ nicht da war, konnte ich immer annehmen, daß es vielleicht ins Dorf einholen gegangen sei – und versprechen, es nach seiner Rückkehr davon zu unterrichten, daß die Polizei noch etwas von ihm wolle; aber wie lange konnte ich, ohne daß es verdächtig wurde, hinauszögern, zu melden, daß es immer noch nicht zurück sei – worauf der Polizei endlich doch ein Licht aufgehen würde?! Aber da waren wir schon – viel zu schnell – vor dem Gartentor.

„So – da wären Sie glücklich zurück!“ stellte mein Begleiter völlig überflüssigerweise fest, und als wir ausstiegen und den Gartenweg hinaufgingen, fügte er mit unterdrückter Stimme väterlich hinzu: „Nun – machen Sie’s aber gnädig mit dem armen Ding – natürlich hatten Sie eine böse Nacht da in der Zelle, aber es h ä t t e ja auch genausogut wirklich dieses Früchtchen sein können: und dann hätte jeder die Kleine gelobt, wie tapfer sie mit ihm fertiggeworden ist! Jetzt war sie natürlich am Telefon ganz aufgelöst – „

Also der mußte ja da am Telefon eine unheimliche Schau abgezogen haben – und, dachte ich plötzlich beschämt, das alles bloß, um sicher zu gehen, daß ich nicht in der Patsche sitzen bleiben würde: Früchtchen oder nicht – ein guter Kumpel war er jedenfalls gewesen; schade, daß ich ihm das nicht nochmal sagen konnte – wenigstens als Trost, wenn sie ihn etwa bloß deswegen doch erwischen würden …
Oder war er – fiel mir plötzlich ein, als der Polizist die Klingel drückte – in Wirklichkeit doch schlauer gewesen, als ich ihm zugetraut hatte: dieser Telefonanruf brauchte ja nicht wirklich von der Villa gekommen zu sein – vielleicht hatte er das bloß am Telefon gesagt und war in Wirklichkeit schon längst mit dem Frühzug über alle Berge, hatte nur von unterwegs irgendwo angerufen, um die Polizei noch auf eine falsche Fährte zu setzen – gar nicht so ungeschickt: denn jemand, der gerade meldete, der Flüchtige habe ihm gerade Mädchenkleider geklaut – den würde die Polizei, selbst wenn sie wußte, daß der Ausgebrochene sich vielleicht als Mädel kostümieren würde, als letztes in Verdacht nehmen, selbst der Gesuchte zu sein … ?

Doch gerade als ich mit dieser Überlegung heimlich erleichtert aufatmete – wenn ich jetzt noch ein paar Stunden herausschwindeln konnte, war der Vorsprung kaum mehr einzuholen! — brachen plötzlich alle Hoffnungen mit einem Schlage wieder zusammen:

Denn auf das zweite Klingeln öffnete sich auf einmal die Tür der Villa – und wer sie aufmachte, war niemand anders als mein schon meilenweit entfernt geglaubter Schützling!

Glücklicherweise guckte der Polizist in diesem Augenblick nicht mich an – sonst wäre ihm mein hoffnungslos dummes und verblüfftes Gesicht wohl doch aufgefallen! – sondern ihn: oder vielmehr „sie“.

Was verständlich war – denn dieser Anblick war ausgesprochen niedlich: das süße kleine Dienstmädel, wie es im Buche steht – vom knappen kessen Kopftüchelchen über verwuschelten schwarzbraunen Locken bis zu den wohlgeformten seidenbestrumpften Beinen, die in zierlichen weißen Sandalen steckten. Über dem gepunkteten Sommerfähnchen hatte er sich, wohl um besonders haushaltecht zu wirken, auch noch die rote Gummischürze aus der Küche umgebunden, die sich aufreizend über seinen kecken Mädelbrüstchen und den falschen Hüften straffte – und das Gesichtchen mit den frischen roten Kirschenlippen, dem kleinen frechen Näschen und ein paar klimpernden roten Plastikohrringen an den Ohrläppchen hätte ganz entzückend ausgesehen: wären nicht die – zwar, wie meinem neuerdings geschulten Blick auffiel, durch einen geschickten Lidstrich noch größer und unschuldiger wirkenden – Augen regelrecht verheult gewesen…

„Achgott, da sind Sie ja endlich – !“ plapperte er mit seiner verblüffend naturgetreuen Mädelstimme – schluckte, setzte, zu mir gewandt, erneut an:
„Ich – Sie – hach es ist – “ erneutes Schlucken, während er mit niedergeschlagenen Augen blind mit einer Hand seitwärts unter der Gummischürze herumfummelte,
“ – alles so – ich weiß gar nicht, was – “ jetzt hatte er endlich ein winziges, anscheinend schon völlig vollgeheultes Ziertaschentüchelchen gefunden: und benutzte es, um – endgültig in Schluchzen ausbrechend – die Augen darin zu vergraben und sich schamvoll halb abzuwenden.

Es war eine bühnenreife Komödie – haargenau das, was wohl ein unseliges Dienstmädchen wirklich aufgestellt hätte, das gleich zum Antritt seiner Stellung den jungen Herrn ausversehen von der Polizei ins Kittchen bringen ließ: aber ich war derzeit wirklich nicht in der Stimmung, diese schauspielerische Leistung zu würdigen – sondern nur zu gleichen Teilen wütend und ratlos: wieso um des Himmels willen war er denn nicht weg – sondern saß beziehungsweise stand hier noch immer mitten in der Höhle des Löwen!

„Nun beruhigen Sie sich mal, Frolleinchen – “ brummelte der Löwe beruhigend und legte sogar seine große Polizistenhand tröstend auf die zuckenden Schultern des schluchzenden „Frolleinchens“ (dessen Schluchzen und Schulterzucken für mich als Eingeweihten freilich eher nach kaum zu bändigendem Lachen zu klingen begann) – „einen Fehler kann jeder mal machen – und der junge Herr wird Ihnen schon nicht gleich den Kopf abreißen – „

“ – hhhnein – ?!“ machte das Frolleinchen tonlos und guckte vorsichtig – mit wirklich noch tränenschwimmenden Äugelchen – über den Rand des Taschentuches auf mich (wobei ich wieder den Eindruck hatte, daß es das Taschentuch in den Mund stopfen mußte, um nicht in lautes Gicksen auszubrechen).

Ich dagegen brauchte wirklich keine schauspielerische Anstrengung, um ihm eine ebenso finstere wie verweisende Miene zu zeigen. Es mochte ja möglich sein, daß i h n diese Zerknirschungs- und Verzeihungsszene unter den Augen der Polizei königlich amüsierte – aber war ihm denn nicht klar, daß wir hier, völlig unnötigerweise, dauernd am Rand der Entdeckung entlangbalancierten: während er, hätte er sich an meine Anweisungen gehalten, schon längst in relativer Sicherheit gewesen wäre ?! Was – zum Teufel – hatte ihn nur geritten, anstatt zu verschwinden sich immer noch hier herumzudrücken ?!

Nachträglich war die Erklärung dafür natürlich die einfachste und naheliegendste der Welt: und ich hatte sie natürlich auch in Dutzenden von Schmökern aus Fräulein Joscheks Leihbücherei gelesen und dort als selbstverständlich akzeptiert, daß die gerettete Millionenerbin – aller Vernunft und allen dadurch heraufbeschworenen Komplikationen zum Trotz – nicht mehr von der Seite ihres Retters weichen wollte, so sehr er sie auch beschwor, sich in Sicherheit zu bringen; nur war mir zu dieser Zeit eben nicht klar, daß sich mein Schützling ebenso hoffnungslos und bedingungslos in mich verknallt hatte … !

Anstattdessen begann ich streng und mit, wie ich hoffte verborgenem, Doppelsinn:

„Begeistert – das werden Sie hoffentlich verstehen – bin ich über das, was Sie da angestellt haben, natürlich nicht!“

Das Köpfchen unter dem bunten Kopftuch neigte sich demütig und verzeihungheischend – wozu es meiner Meinung nach auch allen Grund hatte – und die noch immer tränenschwimmenden Augen guckten regelrecht ängstlich unter den schönen langen Mädchenwimpern zu mir empor – was auch nicht geschauspielert war: denn jetzt wurde ihm natürlich doch klar, was er eigentlich angestellt hatte – und so sicher war es ja nun doch auch wieder nicht, daß ich jetzt noch immer weiter mitspielen würde … ?

„Aber – “ fuhr ich großmütig fort – was blieb mir schon anderes übrig, solange uns dieser Polizist dauernd zuhörte! – „ich will Ihnen zugute halten, daß Sie vielleicht irgendeinen Grund hatten, in dieser Situation so zu handeln – und daß Sie mit gutem W i l l e n so gehandelt haben, wenn auch wahrscheinlich nicht gerade klug!“ (ich tönte wirklich so wie der Rektor unserer Schule, wenn er einen armen Sünder – wie er meinte – psychologisch-pädagogisch geschickt ins Gebet nahm) „Deshalb beruhigen Sie sich erst mal und erzählen Sie dem Herrn Wachtmeister wenigstens, was das nun wieder für eine Geschichte mit den verschwundenen Kleidern ist!“ (Diese Angelegenheit wollte ich wenigstens schnell hinter uns bringen – und möglichst so, daß ich auch mitbekam, was dahinter nun wieder eigentlich steckte!)

Das Frolleinchen schnaufte noch einmal, sich aufraffend, in sein Taschentüchelchen – sich dabei verlegen abwendend und mir zugleich, mit dem Auge, das der „Herr Wachtmeister“ nicht sehen konnte, zuzwinkernd: offenbar wollte es mir zu verstehen geben, es habe sich bei dieser Geschichte durchaus etwas gedacht – und mich zugleich bitten, diese Finesse ihm zu überlassen.

Das war denn auch nicht nur das Klügste, sondern sowieso das Einzige, was ich tun konnte: wenn ich es einmal als gegeben hinnahm, daß er sich – aus welchen Gründen auch immer – statt zu verschwinden hier noch weiter als Dienstmädchen herumdrücken wollte, dann war es in der Tat kein ungeschickter Schachzug, die Polizei jetzt mit der Suche nach einem mit gestohlenen Mädchenkleidern fliehenden Ausbrecher zu hetzen – in der Hoffnung, daß sie darüber vergessen würde, ein zur gleichen Zeit aufgetauchtes Mädchen kritisch unter die Lupe zu nehmen!

Die Geschichte, die er dem guten Wachtmeister mit viel Schürzenrand- und Taschentüchlein-Gefummel und verstohlen-respektvollen Blicken auf den noch immer nicht ganz besänftigten „jungen Herrn“ – aufband, klang dann eigentlich auch ganz plausibel: gestern angekommen, habe er – oder in der Geschichte natürlich „sie“ – nach dem Auspacken ein paar Kleider, die im Koffer „verdrückt“ worden seien, zum „Aushängen“ auf eine Wäscheleine im Garten gehängt – „weil die Luft da noch so’n bißchen feucht war und das die Falten so schön aushängt“ vertraute er dem Wachtmeister hausfraulich-kompetent an – und dann vergessen, sie für die Nacht wieder hereinzuholen: in der Tat sei sie sogar gerade deshalb nochmal aufgestanden, weil ihr das eingefallen sei – “ aber dann sah ich da plötzlich jemand – und ich konnte ja nicht wissen, daß das Sie waren!!! Wenn ich doch bloß den Brief schon gehabt hätte – – – „

begann jetzt die Entschuldigungsarie an mich von neuem, so daß es strenger gemeinsamer Anstrengungen des Wachtmeisters und mir bedurfte, um unser schon wieder den Tränen nahes“Frolleinchen“ wieder zur Sache zurückzubringen – kurz und gut, über all der Aufregung habe sie dann natürlich endgültig auf die Kleider vergessen und als sie heute früh endlich wieder dran gedacht habe, sei eben eins davon weggewesen und ein gepunktetes Kopftuch auch.

„Kopftuch – sehr bezeichnend!“ murmelte der Wachtmeister zu mir gewandt.

Und wenn es sich nun auch noch bestätigt, daß Ihr Fahrrad wirklich verschwunden ist – „

„Also – glauben Sie das nun immer noch nicht?!“ benutzte ich die Gelegenheit, berechtigte Indignation zu zeigen – was ihn rasch und sherlock-holmes-mäßig weitersprechen ließ:

„… dann sollten wir auf eine Person in einem blaukarierten Kleid und Kopftuch achten, die auf einem Herrenfahrrad fährt!“

„Das sollten Sie aber gleich telefonisch durchgeben!“ schlug ich eifrig vor. „Wenn das tatsächlich zu der Zeit passiert ist, als wir das Fahrrad nicht mehr fanden – dann hat er mindestens – “ ich sah auf die Uhr – „sechs bis sieben Stunden Vorsprung, wenn nicht mehr … „

„… und wenn er sich dann im Morgengrauen unter all die Leute gemischt hat, die da auf die Felder oder zur Arbeit fahren,“ fuhr er düster fort, „dann wird er niemand aufgefallen sein – noch nicht mal seine groben Schuhe zu dem Mädelkleid: denn sowas haben natürlich die Mägde auch oft an, wenn sie aufs Feld müssen – „

„Sechs bis sieben Stunden!“ hämmerte ich ihm vorsichtshalber noch einmal ein, „wenn er halbwegs kräftig in die Pedale getreten ist, dann macht er mit meinem Rad leicht fünfzehn Kilometer die Stunde – das sind ja beinahe – Moment mal: also irgendwo in einem Kreis von fast hundert Kilometer kann der jetzt schon sein! Und da liegen wenigstens vier große Städte, in denen er irgendwo bei Komplizen untergekrochen sein kann – ganz zu schweigen davon, daß er auch im flachen Land geblieben sein kann: und wenn die Streifen jede Magd in ’nem karierten Kleid anhalten sollen, die irgendwo ’nen Feldweg langfährt … !“

ch schüttelte den Kopf: „Und wenn ich mir vorstelle, daß er das alles genau da geklaut haben muß, als wir hier drinnen … “ die Gelegenheit schien günstig, gleich nochmal die Polizei auf die Schippe zu nehmen, „… also trösten Sie sich mal“, fuhr ich zu unserem „Frolleinchen“gewandt fort, „Sie sind jedenfalls nicht die einzige, die heute nacht ’nen Bock geschossen hat!“ Und als es mir pflichtschuldig einen erleichtert-verschämten Blick zuwarf, fügte ich strenger hinzu: „Gestraft genug sind Sie ja schon – denn das Kleid werden Sie wohl nie wiedersehen!“

„Ahemm – “ räusperte sich der Polizist, der meine respektlosen Bemerkungen über geschossene Böcke mit saurem Lächeln mitangehört hatte, und fragte nun betont amtlich:
„Wollen Sie eine Diebstahlsanzeige erstatten ?“

„Hach Gott – ich weiß nicht – “ klapperte mein Dienstmädelchen hilflos mit den Augendeckeln, „ich meine, Sie suchen ihn ja sowieso schon mit der Polizei – und das war sowieso kein gutes Kleid, das hat mir nie richtig gepaßt – “ er strich sich wie unbewußt mit den Händen um die Taille, die unter der straff gebundenen Gummischürze unerhört schlank und zerbrechlich aussah, „das war hier viel zu weit – deswegen war’s wohl auch das einzige, das so ’nem Mann gepaßt hat – “ buchstabierte er uns nocheinmal der Sicherheit halber vor.

„Schreiben Sie’s doch einfach mit zu der Sache mit dem Fahrrad – “ griff ich schnell ein (ich hatte noch immer das ungute Gefühl, er könnte den himmelweiten Unterschied zwischen dem Flüchtigen und diesem süßen Dienstmädelchen so dick auftragen, daß man schon wieder stutzig werden mußte!) “ – offenbar hat er ja das alles, wie heißt es beim Gericht, ‚in einer zusammenhängenden Handlung‘ entwendet – und wenn Sie ihn erwischen, klärt sich das sowieso alles in einem Aufwaschen – “ (das fehlte mir noch, daß jetzt etwa ein Protokoll mit allen Personalien meines imaginären Dienstmädels aufgenommen würde!).

Aber glücklicherweise gab sich der Polizist damit zufrieden und empfahl sich schließlich – nicht ohne uns nocheinmal gute Ermahnungen gegeben zu haben, weder Kleider noch Fahrräder unbeaufsichtigt im Freien stehen zu lassen. Ich atmete tief auf, als ich seinen Wagen endlich die Zufahrt hinunter verschwinden sah – und wandte mich dann endlich, mit lang aufgestautem, aber gerade dadurch schon wieder halb abgekühltem Zorn an meinen Schützling:
„Was – zum Teufel – treibst Du denn bloß noch hier ?! Du könntest doch schon längst über alle Berge sein – !“

Er guckte mich wieder von unten-herauf mit verschämt-ängstlichen Mädchenaugen an:
„Sind Sie – sind Sie denn furchtbar böse, daß ich noch da bin?“ fragte er mit ganz kleiner zaghafter Stimme.

Es war eigentümlich: bei einem wirklichen Mädchen wäre mir solch zimtzickige
(hurra – hier kommt also die Assoziation zu mir! (Zizi))
Naivität („sind Sie denn nun furchtbar böse?“ – !!!) bestimmt auf die Nerven gegangen – und einen Jungen, der so etwas zu mir gesagt hätte, hätte ich wohl überhaupt für übergeschnappt gehalten; aber hier, bei einem Jungen, der ein Mädchen markierte, fand ich das seltsamerweise ganz in Ordnung – ja sogar regelrecht amüsant: so ähnlich, als wenn einer einen Lehrer, den ich nicht leiden konnte, täuschend nachmachte – und zudem schmeichelte es mir wohl sogar ein wenig: bisher hatte sich noch nie jemand Gedanken darüber gemacht, ob ich vielleicht über etwas „furchtbar böse“ sein könnte!

Und überdies mußte ich ja vor mir selbst zugeben, daß ich gerade noch vor kurzem gedacht hatte, es wäre natürlich viel interessanter und aufregender gewesen, noch ein bißchen länger mit diesem seltsamen Schein-Mädchen zusammenzusein …

„Natürlich bin ich nicht ‚furchtbar böse’!“ sagte ich irritiert. „Aber kapierst Du denn nicht, daß ich das ganze Theater hier nur mache, damit D u in Ruhe abhauen konntest – anstattdessen lädst Du Dir noch die Polente zum Kaffee ein! Was hast Du Dir bloß dabei gedacht?“

„Ach – “ er war jetzt schon so in seiner Mädelrolle aufgegangen, daß er unwillkürlich wieder anfing, am Schürzenrand herumzufummeln, „das war so: als Sie wegwaren, da hab ich mir überlegt – eigentlich soll man doch auf der Flucht immer das G e g e n t e i l von dem machen, was die Leute meinen, daß man jetzt täte – nich?

Und nun wissen die doch im Lager genau, daß ich mich vielleicht wieder als Mädel anziehen würde – natürlich der Dorfbulle heut nacht hier noch nich, aber bis zum Morgen hätten die das alle mitgekriegt – und wenn ich dann ohne Papiere da irgendwo in der Welt rumgelaufen wäre und in irgend ’ne Kontrolle?

Aber hier direkt unter ihrer Nase sitzenbleiben und sie sogar noch anrufen – das is ja nun das, was sie ganz bestimmt nich erwarten (weil sie ja auch nich ahnen, daß mir hier plötzlich jemand hilft wie Sie!) – und wenn die jetzt denken, ich bin mit dem Fahrrad schon über alle Berge – Sie könn‘ sicher sein, da gibt’s jetzt bestimmt ’nen Haufen Knallköppe, die plötzlich ’ne ‚verdächtige Person aufm Fahrrad’ gesehen haben, wenn das erstmal im Radio durchgekommen is und in der Zeitung – dann legt sich das ganze Trara hier nach’n paar Tagen völlig un‘ die suchen mich überall, bloß nich mehr hier in der Nähe!

Und wo Sie doch gesagt hatten, ’n paar Tage müssen Sie doch hier noch in dem Haus bleiben und das richtige Mädel liegt noch im Krankenhaus – „

Er hielt nach diesem Wortschwall inne und guckte mich wieder unsicher an, um zu erkunden, wie ich diese Erklärung aufgenommen hätte.

„Wenn Sie woll’n, kann ich natürlich auch gleich abhauen – “ bot er vorsichtig an. „Sie sind sowieso sauber – Sie brauchen ja nur immer sagen, daß ich schon da war un‘ Sie angeschwindelt hab – „

Ich versuchte, das alles erst einmal zu verdauen. Irgendwie leuchtete mir die Idee, das Unwahrscheinlichste zu tun, natürlich schon ein – nicht zuletzt, weil sie haargenau dem entsprach, was raffinierte Gentlemanverbrecher in meinen Schmökern auch immer getan hatten: und zudem hatte die Vorstellung, noch ein paar Tage in dieser abenteuerlichen Situation hier zu hausen, sicherlich mehr Reiz, als allein und dazu noch mit allen möglichen unangenehmen Fragen der Polizei zurückzubleiben: wenn das falsche Dienstmädel erst ziemlich genau dann verschwand, wo auch ich ohnehin abreiste, zögerte sich die Aufklärung des Ganzen bestimmt nochmal um unbestimmte Zeit hinaus – und dann waren wir beide weit vom Schuß, Einzelheiten wie das erfundene Fahrrad und meine nicht ganz saubere „Verwechslung“ der Dienstmädchen ließen sich viel besser vertuschen …

„Nee, nee – “ beruhigte ich ihn, „nachdem Du nun einmal die Chance, ganz schnell zu verschwinden, drangegeben hast, ist es tatsächlich besser, Du bleibst noch ’n paar Tage hier, bis sich der ganze Rummel gelegt hat – Du brauchst ja die Nase erstmal gar nicht vor die Tür zu stecken – und wenn Dich doch jemand sieht, dann wissen die Leute im Ort ja schließlich, daß hier ’n Ersatz-Dienstmädel kommen könnte – “ überlegte ich weiter, „obwohl – “ schockte mich plötzlich eine neue Komplikation, „was die denken werden, wenn sich rumspricht, daß hier so ’ne kesse Puppe mit mir ganz allein ohne Anstandswauwau unter einem Dach wohnt – !!!“

Er riß die Augen auf – und gickste dann wie ein Mädel:
„Hiiich – daran hab‘ ich noch garnich gedacht!“ (was, wie sich herausstellen sollte, eine krasse Lüge war) „- also – “ fuhr er übertrieben geziert fort, “ – bin ich doch kein a a n ß t ä n d i g e s M ä ä c h e n, daß mir d a a s garnich in’n Sinn gekommen is – !”

Doch dann schien er mitten in seiner Parodie plötzlich wieder unsicher zu werden:
„Oder – wenn Ihnen das nu aber peinlich is – ?!“ Er guckte mich wieder mal von unten herauf an wie ein kleines Mädchen, das nicht ganz sicher ist, ob es nicht was Schlimmes angestellt hat.

„Peinlich – Quatsch!“ brummte ich unwirsch, „wenn – dann hat ja höchstens das M ä d c h e n Angst, was die Leute denken könnten – nicht der Junge! Mir geht bloß im Kopf ‚rum, ob da jemand sich verpflichtet fühlen könnte, einzugreifen – wir können wirklich nich noch jemand brauchen, der alles durcheinanderbringt! – aber ich hoff‘ ja, die paar Tage lang werden die Leute höchstens quatschen, aber nix Wirkliches unternehmen – „

“ – und wenn die wirklich denken, was Sie meinen – “ fiel er eifrig ein, „dann denken sie also wenigstens nich – !“

Da hatte er auch wieder recht: wenn die Klatschmäuler einen richtigen kleinen Dorfskandal um das hübsche Aushilfs-Dienstmädel wittern würden – dann konnten sie schwerlich zugleich auch noch auf den Verdacht kommen, es wäre gar kein Mädel!

„Aber – “ unterbrach er sich plötzlich, „ich quassel und quassel hier rum und denk gar nich an Sie! Ham‘ Sie denn wenigstens was zu Frühstück bekomm im Knast -“ er stockte ein bißchen verlegen, „da bei der Polente, mein ich – “ verbesserte er sich.

“ – ’n Pott Kaffee, und der war ooch nich gut!“

Er riß entsetzt die Augen auf: „Also die Schweine – jetzt hab ich doch gedacht, wenigstens wenn einer unschuldig is – „

„Na ja – “ nahm ich meinen braven Wachtmeister in Schutz, „der h a t ja sogar dran gedacht, daß ich vielleicht was zu essen haben wollte – aber nach dem komischen Kaffee hab ich dankend drauf verzichtet und gesagt, ich ess dann hier was – „

“ – und ich – “ sagte er nicht ohne Triumph in der Stimme, „h a b auch was zu essen für Sie! Das muß bloß noch – “ er warf einen Blick auf die zierliche Damenarmbanduhr an seinem Handgelenk – ‚Leihgabe‘ von Tante Anni – „so zwanzig Minuten oder so schmurgeln – da könn‘ Sie sich gerade noch so’n bißchen frisch machen – „

Ich schaute ihn wieder verblüfft an: „Nun sag bloß, Du hast was gekocht ?“

„Na bin ich nu hier das Dienstmädchen oder nich?!“ fragte er entrüstet und fügte wieder mit unterdrücktem Gicksen hinzu: „Oder woher denken Sie, daß ich so schön verheulte Augen hatte ? Vom Zwiebelschneiden natürlich – un ich hatt‘ die ganze Zeit Angst, daß der Bulle spannt, daß ich Zwiebelsaft an das Taschentuch geschmiert hab, damit ich immer noch so’n paar Tränchen rausquetschen konnte -„
Ich schüttelte innerlich den Kopf – was war das doch für ein raffiniertes kleines Biest! Einen schönen Gefängnisfraß würde er ja wahrscheinlich zusammen-geschmurgelt haben – aber das war mir jetzt auch schon egal: ohne Abendbrot und Frühstück hatte ich jetzt so oder so einen Mordshunger – und daß ich mich „frisch machen“ mußte, damit hatte er auch recht: die ganze Nacht nicht aus den Kleidern herausgekommen und dann auch nicht richtig gewaschen – ich merkte jetzt, daß ich regelrecht stinken mußte!

„Ja – dann steig ich jetzt mal unter die Dusche!“ sagte ich. „Wann ist das Essen soweit ?“

„Na ich denke, gerade so richtig – 20 Minuten oder so’n bißchen mehr! Wo soll ich denn für Sie decken?“

Ich schaute ihn wieder entgeistert an – der nahm das ja mit der Dienstmädelei anscheinend wirklich bitterernst ?!

„Na also wir essen doch wohl hoffentlich zusammen!“ sagte ich – auf alle Fälle in einem Ton, aus dem nicht recht hervorging, ob ich seine Frage ernst genommen hätte oder nicht. „Und gegessen wird meistens da im Zimmer neben der Küche, wo die Durchreiche hingeht. Also – bis gleich!“

Als ich unter der Dusche hervorkam und mich am ganzen Leib abgeschrubbt hatte, fühlte ich mich schon wirklich wie ein anderer Mensch – Nächte in der Arrestzelle war ich halt doch nicht gewöhnt! – und stellte mich vor den Spiegel: so richtig nötig hatte ich es natürlich immer noch nicht, mich zu rasieren – aber jetzt, gewissermaßen als symbolische Handlung nach dem Arrest, beschloß ich doch, mich mit allen Finessen inklusive Onkels Rasierwasser „fein“ zu machen.

Ich hatte es zwar selbst noch nicht gemerkt und dachte immer noch, es wäre bloß die Reaktion auf meine Nacht in der Zelle: aber in Wirklichkeit fing ich jetzt schon regelrecht an, meine „Rolle“ als „der junge Herr“ zu spielen – genau wie mein Schützling die des süßen kleinen Dienstmädels – und gerade weil wir beide ja wußten, daß diese Rollen überhaupt nicht stimmten, gaben wir uns beide besondere Mühe, sie trotzdem möglichst perfekt zu spielen.

So hatte ich plötzlich Lust, mich nun auch zum Essen mal richtiggehend „schick“ zu machen – mit der hellen langen Hose und einem frischen Hemd, Onkels Herren-Eau-de-Cologne aus dem Badezimmer und sorgfältig gekämmten Haaren. Und zwischendurch konstatierte ich wieder mal verblüfft, daß mein „Dienstmädel“ all die Sachen säuberlich aus meinem Koffer gepackt und in perfekter Ordnung ausgebreitet hatte!

Aber das war nicht die letzte Überraschung: als ich herunterkam und ins Esszimmer ging, fand ich nicht etwa bloß Teller, Messer und Gabel vor – sondern eine liebevoll gedeckte Tafel mit Tischtuch und Setdeckchen, drei Sorten Gläsern und aufgesteckten Papierservietten und sogar einem Strauß Blumen in der Mitte – frisch wie aus der Illustrierten!

„Nun sag mal – !“ rief ich verblüfft aus, als mein Dienstmädelchen hereinwieselte – mit vor Eifer geröteten Wangen, klappernden Sandälchen und noch immer der hausfraulichen rotkarierten Gummischürze, die bei jedem Schritt so komisch aufregend um seine Hüften und Schenkel schlabberte. Aber er – oder „sie“ ?! – überhörte mein Erstaunen geflissentlich und verkündete nur verheißungsvoll:
„Serviert wird in einer Minute! Was nehmen Sie denn als Aperitif – Sherry oder Wermut?“

Ich war sprachlos – irgendwie mußte das mit Hexerei zugegangen sein, in den paar Minuten nicht nur diese Tafel zu decken: sondern, wie mir auffiel, auch noch aus den verheult-verschwollenen Augen von vorhin perfekt schwarzumrahmte Glutaugen zu machen, statt des Kopftüchelchens ein kesses rotes Band in die Locken zu binden und überhaupt – was er da noch gemacht hatte, konnte ich nicht entdecken, nur den Gesamteindruck – zum Anbeißen hübsch auszuschauen! Und – wie „Gefängnisfraß“ roch das auch nicht, was da aus der Küche hereinduftete …

„Also das gibt’s doch nicht – !“ beharrte ich – instinktiv überzeugt, daß er in Wirklichkeit brennend auf ein Kompliment warten mußte, „so ’ne Festtafel hab ich ja noch nie gesehen – wie hast Du das denn bloß geschafft?!“

„Hach – wissen Sie – “ machte er leichthin, aber offensichtlich geschmeichelt, „das hat mir jetzt so richtig Spaß gemacht, mal ordentlich vornehm zu decken – “ er lächelte fraulich-vertraulich, “ – eigentlich ha’m wir doch auch Grund zum Feiern , nich ?!“

„Na dann woll’n wir darauf ja auch mal anstoßen!“ sagte ich, „Was nehmen denn nun Sie als Aperitif, Fräulein – ach wie heißt Du eigentlich?“ fiel mir plötzlich ein.

„Ich ?“ wiederholte er unsicher.

„Ich meine – als Mädchen: da mußt Du doch irgend’nen Namen haben – Monika oder Ilse oder Lieselotte – „

Er lächelte ein bißchen verwirrt: „Aber muß ich denn nicht so heißen wie Ihr richtiges Mädchen – die im Krankenhaus, meine ich?”

“Ach was – Du bist doch die Aushilfe für sie: Da kannst Du heißen wie’s Dir gefällt!“
Er zögerte erst – überlegte – und sagte dann fast verlegen: “Also gefallen hätte mir immer schon ‘Susi’ – geht das?”

“Aber klar – das paßt doch richtig zu Dir! Also Fräulein Susi: was darf ich Ihnen denn nun einschenken ?“

„Hach – “ unterbrach er mich, “ jetzt muß ich aber nochmal in die Küche – sonst passiert da was!“ und wieselte mit raschelnder Schürze wieder hinaus, mir noch über die Schulter zulächelnd – „wenn ich dann schon bitten darf, einen Sherry!“

Tatsächlich standen auch die Flaschen schon auf dem Sideboard bereit – die Perfektion war wirklich unglaublich – und ich fühlte mich auch wirklich als Hausherr und Gastgeber, als ich zwei Gläser einschenkte…

Da ging auch schon die Schiebetür der Durchreiche auf, und „Fräulein Susi“ schob zwei dampfende Schüsselchen Suppe hindurch.

„Der Sherry wird kalt!“ rief ich alarmierend durch die Öffnung.

„Mo-mää-ent – !“ rief er im süßesten Sopran zurück, klapperte noch mit irgendwelchem Geschirr und kam dann wieder zur Dielentür hereingeraschelt, nahm mit geschmeichelt-verlegenem Lächeln das Glas entgegen und machte, wie um sich zu bedanken, einen richtigen kleinen Schulmädchen-Knix.

Ich hob das Glas und schaute ihm über den Rand hinweg in die dunklen Kulleraugen:
„Worauf trinken wir denn nun ?“

Er zuckte – noch immer verlegen lächelnd – die Achseln, (daß seine kessen runden Mädelbrüste unter dem straffen Gummi der Schürze richtig rauf- und runterrutschten) – aber nun mußte mir ja was einfallen:
„Also dann auf unser perfektes Hausmädchen – die süße Susi!“ sagte ich und kippte meinen Sherry herunter (ich hatte so Zeug noch nie getrunken und es schmeckte mir auch nicht besonders – aber in dem leeren Magen machte es ein ganz wohliges Gefühl).

Auch er trank aus – und machte vorsichtshalber nochmal so einen kleinen Knix (scheinbar fand er, das daß für Dienstmädchen, die der junge Herr zu einen Aperitif einlädt, sich so gehöre – und da ich vorher noch nie ein Dienstmädchen mit Sherry traktiert hatte, war ich schwerlich berechtigt, das zu kritisieren) und sagte dann praktisch:
„Nun wird aber die Suppe kalt!“

Er stellte erst mir mein Schüsselchen hin – dann das andere für sich – und wollte gerade, nachdem ich mich schon gesetzt hatte, auf dem anderen Stuhl Platz nehmen: als er innehielt und mit den Händen hinter dem Rücken zu fummeln begann – bis die straffe Schürze plötzlich schlaff herunterzuhängen begann –
„Ach laß doch die Schürze ruhig um – “ sagte ich unwillkürlich.

Er schaute mich einen Augenblick stutzend an – merkwürdig: einen Moment hatte ich regelrecht das Gefühl, als läge ich unter dem blinkenden Objektiv eines scharfen Mikroskops – dann zog er langsam die Schürzenbänder hinter dem Rücken wieder straff, daß sich der glatte Gummistoff wie ein Panzer um die schlanke Taille schmiegte:
„So – ?!“ sagte er fragend – mich noch immer eigentümlich forschend ansehend, während er die Bänder immer stärker anzog, bis sich Hüften, Taille und Brüste aufreizend unter dem gespannten Gummi modellierten und am Schoß schon quere Falten aufsprangen …

„Ach – die steht Dir irgendwie gut – “ sagte ich leichthin.

Jetzt fehlt da schon wieder ein Stück – wo sie vermutlich, das (natürlich perfekte) Menü verspeisend und teuren Wein aus Tante Annis Keller dazu trinkend, einander gegenseitig mehr oder minder verstohlen bewundern und immer unverhohlener miteinander herumflirten – doch dann muß der übernächtige “junge Herr”, nach dem schweren Wein plötzlich müde geworden, sich erst mal auf sein Bett im Gästezimmer niederlegen – wo er alsbald leicht konfus zu träumen beginnt:


Ich hatte aus Fräulein Joscheks Leihbücherei ein Buch gestohlen und war deshalb auf der Flucht. Gestohlen hatte ich es, weil es eigentlich verboten war, daß Jungen dieses Buch lasen; es hieß „Die Mädelfalle“ und handelte von einem Flüchtling, den die Polizei überlisten wollte, indem sie lauter Polizisten als Dienstmädel verkleidete, die in bunten Gummischürzen überall auf Leinen Wäsche aufhängen mußten – geheim und verboten war das Buch, damit niemand erfuhr, daß all die hübschen Dienstmädel auf den Wäscheplätzen in Wirklichkeit verkleidete Männer waren und nach Flüchtlingen Ausschau hielten. Daß ich das jetzt doch wußte, ließ ich mir natürlich nicht anmerken – weil man ja genau daraus, daß ich einen großen Bogen um diese scheinbar harmlosen falschen Mädchen mit ihren großen, bunten, aufregend über den nachgeahmten Brüsten und Hüften schlabbernden Gummischürzen machte, erkannt hätte, daß ich das verbotene Buch doch gelesen hatte und deshalb jetzt vor der Polizei flüchten mußte; wenn ich dagegen frech auf sie zuging und so tat, als hielte ich sie wirklich für Mädchen, konnte ich ungehindert entkommen.

Besonders eines davon, das aussah wie Fräulein Joschek, sich aber eine kupferrote Perücke aufgesetzt hatte und so hübsch ausschaute, daß es wirklich nur Eingeweihte als verkleideten Mann erkannt hätten, ließ seinen Wäschekorb fallen und stellte sich mir – als wolle es sich nur einen Mädelulk machen – breitbeinig in dem Weg, pralle falsche runde Brüste kichernd unter der straffen glatten Schürze über dem blauen Sommerkleid herausreckend und die weißen glatten Arme ausbreitend. Weil der Flüchtling ja nicht ahnen konnte, was sich hinter diesem lachenden Dienstmädel wirklich verbarg – und weil ich mir ja nicht anmerken lassen durfte, daß ich es wußte – ging ich kühn immer näher auf es zu, weil mich ja auch interessierte, ob man es ganz aus der Nähe nicht doch als Mann erkennen würde. Das gefiel dem Polizisten, der sich gern als hübsches Mädel verkleidete und die Verbrecher an der Nase herumführte, indem er tat, als wäre er ganz verliebt in sie – er hatte sich sogar richtig wie eine junge Dame parfümiert – und als ich jetzt ganz nahe vor ihm stand und das Parfüm und den merkwürdig streng-aufregenden Duft seiner Gummischürze riechen konnte, nahm er mich, ehe ich fliehen konnte, in die glatten weißen Arme und drückte mich lachend an die falsche stramme Gummibrust –

  • streichelte mit zärtlichen schlanken Fingern meinen nackten Rücken –
  • und streifte mit warmen feuchten weichen Lippen über die meinen –

Ich öffnete blinzelnd die Augen – und sah dicht vor mir sein rundes Mädelgesicht mit den dunklen großen Kulleraugen unter den falschen schwarzen Locken.
Er lag halb seitwärts auf mir, eng an mich, geschmiegt, und der glatte Gummi seiner Schürze glitt über meinen bloßen Leib wie seidige Frauenhaut, als er sich wohlig zurechträkelte, ein Bein um meinen Oberschenkel schlingend und das Füßchen – im sanften Film seidenen Strumpfes – von hinten zwischen meine Waden schiebend. Ich öffnete, noch immer halb schlaftrunken, den Mund, um etwas zu sagen – aber da verschloß er ihn mir schon mit roten durstigen Lippen, die weiche, frisch pfefferminzschmeckende Zunge gegen meine drängend…
Das war recht wunderlich – aus einem solchen Traum nicht wie sonst enttäuscht, beschämt und allein zu erwachen, erregt und doch aussichtslos: sondern ganz genau wirklich gerade das im Arm zu haben, was eben noch nur Traumphantasie gewesen war! Da brauchte ich eigentlich noch gar nicht wirklich wachzuwerden – sondern konnte mich ganz diesem neuen, überraschenden Spiel mit der fremden, appetitlich-zärtlich zutschenden Zunge da in meinem Mund hingeben, die um meine kreiste, kokett lockend floh, mich in den anderen Mund hinüberköderte, mit einem zarten Biß begrüßte und dann brünstig einsaugte…

Jetzt versteh ich erst, was die im Film die ganze Zeit beim Küssen machen! dachte es irgendwo in mir verblüfft;

”Also daß der kleine Anton das noch nicht wußte, hat mir ja eingeleuchtet: aber ein ausgewachsener junger Herr nach dem Abitur – ?” hab ich Hellmut an dieser Stelle verwundert gefragt – aber seine Antwort darauf war noch viel verwunderlicher: er habe zwar nach dem Abitur – bei der Geburtstagsfeier seiner Mutter – mit einer hübschen Dame (seiner späteren Frau) mindestens 3mal Bruderschaft getrunken, da er ihr danach immer ein Küßchen geben konnte; aber daß man beim Küssen auch den Mund aufmachen könne, habe er erst nach dem Beginn seines Studiums in Göttingen erfahren – und zwar aus Hermann Hesse’s “Narziss und Goldmund” in der Szene, wo die Zigeunerin den jungen Goldmund in die Geheimnisse der Liebe einführt…
(was soll man bloß von einem derart unschuldsvollen Theoretiker halten, der das Küssen bei einem Literatur-Nobelpreisträger lernen muß – ?! Aber wenigstens hat er – wie auch später auf vielen anderen Gebieten – die theoretischen Erkenntnisse gründlich und erfolgreich in der Praxis angewandt…!)
Doch noch ein bißchen weiter im Text:


aber dann gab es ja viel interessantere Sachen als Denken: voll – durch glatt übereinander rutschende Kunstseide – in stramm-runde Popobacken greifen; mit dem anderen Arm den willigen Körper dieses reizenden Beinah-und-doch-Nicht-Mädels an mich ziehen, daß sich die frechen falschen Brüstchen unter dem glatten Schürzengummi prall gegen meine Rippen preßten – und den Unterleib wohlig gegen die gleitende Glätte eines straff umschürzten Mädchenbauches aufbäumen, das schwellende Glied suchend zwischen schlanke Schenkel schieben – während meine Zunge noch immer in den fremden gierigen Mund drang …

„Schick ?“ fragten die lachenden roten Lippen, noch ein wenig keuchend, als er endlich den Mund von meinem löste – und dann, ohne Antwort abzuwarten, fast entzückt: „Aber Du bist ja schon ganz steif – warte – „

Also – da wir hier ja nun keinen Hardcore-Porno verbreiten wollen, überlasse ich es Deiner (dieser Aufgabe gewiß gewachsenen) Phantasie, auszumalen, auf welche Weise die erfinderische “Susi” nun ihrem Retter den wohlverdienten Dank abstattet:
und wende mich nicht dessen, sondern vielmehr dem ungeschriebenen “Schwanz” der Geschichte zu (soweit er in Hellmuts Hirn noch existiert – was er durchaus tut, weil dies eine der Handlungen ist, mit denen er noch immer mal ein Schmidt’sches “LG” abzuhalten pflegt:

Kurz gefaßt – nachdem die beiden in der einsamen Villa eine idyllische Flitterwoche verlebt haben, kommt unentrinnbar die Stunde der Trennung:
und da wächst nun (man weiß kaum, wer von den beiden am edelsten ist! ;-)) auch die süße Susi über sich hinaus und sagt ihm liebevoll vernünftig:

um sie brauche er sich keine Sorgen zu machen – bei ihm habe sie ihren fast schon verlorenen Stolz wiedergefunden, weil sie ihn glücklich machen konnte und durfte – aber er müsse jetzt auch noch das erleben, was sie ihm nicht habe geben können: und dazu brauche er (nicht etwa irgendeine Gans von Mädchen, sondern) eine erfahrene reife Frau – und die zu suchen und zu erobern: das müsse er ihr jetzt versprechen!

Bittersüße Abschiedsnacht – Susi will ein neues Leben beginnen (loses Ende: Hellmut weiß noch immer nicht, wovon?) – und der Erzähler muß erst den zurück-kehrenden Verwandten die Villa übergeben (loses Ende: wer vergütet das arme Beinbruch-Dienstmädel für die stibitzten Sachen? Vielleicht hat das Pärchen zwischendurch mal Lotto getippt und den nötigen Zaster gewonnen? Lach nich, bei Arno finden se im “Steinernen Herz” ooch, wenn er’s braucht, ‘nen Schatz in der Zwischendecke 😉 !)

Jedenfalls steigt der Erzähler – wieder allein – erster Klasse in den Zug (ins Ausland?) – und, in der Tat, in einem Abteil sitzt allein die fällige reife Dame!

(Die ist nun – wilde Arabeske der Phantasie – wiederum, was der Erzähler natürlich noch nicht wissen kann, eine hochinteressante Persönlichkeit: Einst war sie mal bloß ein hübsches oberflächliches Mädel – (Schatten von Scarlett o’Hara am Start von “Gone with the Wind”?) – als sich plötzlich, ohne daß sie es sich erklären kann, alle von ihr zurückziehen (ihr Vater hat sich politisch mißliebig gemacht) – und keine einzige ihrer “Freundinnen” steht mehr zu ihr. Doch – das erkennt sie, durch Erfahrung zynisch geworden – genau so wenig bedeutet sie dem “edlen” Revolutionär, der sie nur zur Frau nimmt, um vom Prestige ihres Märtyrer-Vaters zu profitieren; und wenn sie neben ihm zum “Engel der Vorstädte” wird (deren dreckige Bewohner sie anekeln), so nur, um ihn auf den Weg zur Macht zu bringen – die er zwar erringen, aber dabei sein Leben verlieren wird (als erstes Opfer ihrer Rache am Schicksal): und so vergilt sie, von allen verehrt, insgeheim alles, was man ihr angetan hat – indem sie jedem Gelegenheit gibt, genau das zu tun, was sein schäbiger Charakter ihm nahelegt: und was ihm dann den Hals brechen wird. So überlebt sie alle, gilt fast als Nationalheilige, kann sich beinahe jeden Wunsch erfüllen – nur tödlich einsam ist sie darüber geworden…)

So – und zu der steigt nun unser herrlicher edler Jüngling ins Abteil: wie ein Traum aus langstvergangenen Mädchentagen – und bittet sie, fast verlegen, nur um eines: sie ansehen zu dürfen. (Denn zeitlos schön ist sie imer noch!) Und als sie – seltsam angerührt – versucht, ihm das auszureden: nebenan säßen doch drei reizende junge Mädchen, bei denen er viel größere Chancen habe – sagt er ihr, von einem reizenden Mädchen komme er ja, das er nie mehr wiedersehen könne – aber s i e könne er, wenigstens für die Dauer dieser Fahrt, ansehen…

(…und das ist ironischerweise eine ebenso kaltblütige Verführungsstrategie, die er nur dem Wunsch der edlen Susi zuliebe verfolgt – mit einem Mut, den er zuvor nie gehabt hätte…)

… aber wie das in Romanen nun mal so geht, folgt er der schöne Dame sogar noch, als eine verbitterte Tochter, deren Vater sie einst ins Unglück rennen ließ, sie aus dem Hinterhalt zu erschießen versucht – nur gerade so, daß unser Held das noch verhindern kann (wobei er heroischerweise auch noch ein bißchen verwundet wird).

Und damit ist alles wunderbar gemixt und verheddert: Zum ersten Male in ihrem Leben hat sie erlebt, daß jemand sich völlig selbstlos für sie einsetzt – und gerade diesmal hätte sie das überhaupt nicht verdient! Und wenn unser Held jetzt John Wayne oder so wer wäre, könnte sie ihm immer noch als schwaches Weib an die Brust sinken – aber bei diesem schönen Jüngling, der fast ihr Sohn sein könnte, wenn sie einen hätte? Und den wiederum hemmt jetzt gerade das Problem, daß er aus seiner Rettungstat doch nicht das Recht ableiten könne, diese Frau zu erobern – obwohl er genau so etwas seiner Susi versprochen hatte – und es inzwischen auch brennend gern tun würde…!

Da fällt Hellmut als deus ex machina nur noch eine alte eingeborene Dienerin ein – die einzige, für die die Nationalheilige noch immer “ihr kleines Mädchen” ist, dem sie stets jeden Wunsch erfüllt hat – und die den beiden, als der Retter nochmal ins Haus der Geretteten kommt, einen Voodoo-Liebestrank in die Limonade mischt: woraus sie prompt zusammen ins Bett fallen…

Da liegen sie nun … und irgendwie ist der Dame aufgefallen, daß ihr Liebhaber zwar in einiger Hinsicht erstaunlich versiert ist: in mancher anderen aber verwirrend ahnungslos …

Hach – und wie’s dann weitergeht, damit spielt Hellmut immer mal wieder vor dem Einschlafen herum: zum Beispiel sogar mit einer Szene, wo sich Nationalheilige und Susi treffen – und miteinander über ihren wundersamen Liebhaber beratschlagen – oder sowas – oder sonstwas …

Aber ich glaube, das reicht für diesmal?
Deine (literarische) Z i z i !”