Sie fragen mich, ob ich denn nie Angst habe, wenn mein kleiner Svante so allein in den Wäldern umherstreift ? Oh nein, ihm wird nichts zustoßen; davor habe ich keine Angst. Davor nicht…
Sie wissen ja: Svante ist auf der Straße zur Welt gekommen. Genauer gesagt, in meinem Lastwagen. Wir wären wohl auch nicht mehr früh genug zur Klinik in der Stadt gekommen, wenn uns die gebrochene Brücke nicht aufgehalten hätte – und ich weiß nicht, was geworden wäre, wenn wir den alten Mann nicht bei uns gehabt hätten. Ja, gute Taten finden ihren Lohn, sagt man ja wohl – aber Gott weiß, daß ich am liebsten vorübergefahren wäre, als er mit seinem Hund aus dem Nebel auftauchte und uns winkte – und daß ich den ganzen Weg über nach einer Ausrede suchte, um ihn wieder abzusetzen. Ihn und seinen Begleiter – obgleich meine Frau noch heute schwört, er habe gar keinen Hund bei sich gehabt. Nun, das mag stimmen – vielleicht war es kein Hund …
Aber jedenfalls weiß ich, daß etwas neben mir aufgeheult hat, gerade vor der Brücke – und daß wir bei dem Nebel wahrscheinlich blindlings in den Abgrund gefahren wären, wenn ich nicht vor Schreck über dieses Heulen gebremst hätte. Und dann standen wir mitten in den Wäldern – und die Wehen setzten ein. Man ist ja so verdammt hilflos dann – aber der Alte schien mehr davon zu verstehen; ich weiß nicht, wie er es fertiggebracht hat, auf einem dreckigen Lastwagen, ohne Instrumente und heißes Wasser, ohne richtiges Licht sogar: doch schließlich trat er zu mir und wies mir ein kleines helles Bündel von Tüchern mit einem krebsroten Gesichtchen darin, und Hanna lächelte mir ermattet zu, und dann mußte ich den Wagen wenden und bin nach Hause zurückgefahren. Der Alte? Ja, Sie werden mich auslachen – aber ich weiß, daß er über die Brücke davongegangen ist. Obgleich sie nicht mehr da war. Mit seinem Hund – oder vielleicht auch ohne ihn …
Sie merken, daß ich oft stocke. Tja, ich habe die ganze Geschichte noch nie einem Fremden erzählt – und den Leuten hier herum brauche ich sie ja nicht mehr zu erzählen. Nun, also – wir kamen gut zuhause an, Svante war ein kräftiges und gesundes Kind, und auch Hanne erholte sich bald wieder. Aus diesen Jahren weiß ich nichts Besonderes zu berichten – nur die Sache mit der wilden Katze – aber nein, das ging ganz natürlich zu. Sie muß durchs Fenster hereingekommen sein – wir wohnen ja so dicht am Wald – und wenn ich sie nicht gepackt und ihr den Hals umgedreht hätte, als ich ins Zimmer kam, hätte sie Svante in seinem Bettchen übel zurichten können. Trotzdem – sie war schon halb verblutet, von einem mächtigen Biß im Genick; wer weiß, womit sie sich im Wald schon gebalgt hatte …
Seltsamer war die Geschichte mit Ole. Damals war er ein wilder Kerl und nahm den Kleinen gern ihr Spielzeug weg; ich sah ihn gerade davonrennen, als Svante hinter ihm herschrie „Meine! Du böse Jung – Wauwau beißt!“ und dann in arges Geheul ausbrach. Na, ich hatte ihn bald getröstet, und am Abend lag der Spielbär, den Ole ihm weggerissen hatte» wieder auf dem Fenstersims. Das war schon seltsam – aber seltsamer noch war, daß Ole sich erst spät des Nachts zum Hause seiner Eltern schleppte und nur immer wieder wimmerte: „Der Hund – nehmt doch den Hund weg – Mutter, der Hund!“ Er ist seitdem, sagt man, nicht mehr ganz richtig im Kopf, der Ole.
Aber das, was ich nicht mehr vergessen kann, ist die Nacht, als wir den Wald absuchten. Es gab damals einen Unhold in der Gegend – zwei kleine Kinder hatte man schon tot im Wald gefunden; fragen Sie mich nicht, wie die Leichen aussahen – und nun war Svante verschwunden. Mit einem Mann sei er gegangen, sagten die anderen Kinder. Sie können sich vorstellen, wie mir zu Mute war? Oh nein, das kann man sich nicht ‚vorstellen‘ – und ich wünsche es keinem, daß er es erleben muß!
Mit Fackeln haben wir den Wald abgesucht – es war Wahnsinn, aber wir hatten Glück: wir fanden Spuren – große grobe Stiefel, und daneben ab und zu ein kleines Füßchen. Der alte Björnsen, der sich aufs Spurenlesen versteht, sagte, er sehe noch eine dritte Spur – wie von einem großen Hund; aber was sollte ich damit! Wir folgten den Spuren, verloren sie, fanden sie wie durch ein Wunder wieder – und am Ende fanden wir auch die Beiden.
Ich dachte erst, Svante sei tot. Aber er schlief nur – mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. Der Mann aber, den wir ein paar Schritte weiter liegen sahen – oder besser gesagt, das, was noch von ihm übrig war: tja, der alte Björnsen sagte, er habe mal in seiner Jugend so etwas gesehen, als damals in dem harten Winter hungrige Wölfe – aber sprechen wir nicht weiter davon.
Manchmal wünsche ich mir, ich könnte den Alten noch einmal treffen, der Svante damals in die Welt geholt hat – doch ich glaube, es ist besser, ich sehe ihn nie mehr wieder. Der alte Björnsen schwört, es sei einer von denen aus dem geächteten Kloster zu Norren gewesen – doch der alte Björnsen steckt voll seltsamer Geschichten, und man darf nicht viel auf ihn geben. Aber auch was der Pfarrer sagte, als wir damals beim Schein der Fackeln im Walde standen und die Spuren im Boden sahen – grober Stiefel, kleiner Fuß und jene dritte Spur: das von den unschuldigen Kindern und ihrem Schutzengel …
Ich weiß nur: etwas hat Svante in jener Nacht beschützt – und schützt ihn wohl auch heute noch; aber ob es ein Engel war – darüber denke ich nicht gern nach …
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