Eine Hommage an eine Frau mit vielen Namen

Monat: Juni 2023 (Seite 4 von 5)

Animagie

Anm. Jula:
Dieser großartige Text war das erste, was ich von Hekate lesen durfte, nachdem wir uns über das Internet kennengelernt hatten. Er vereint Jung’sche Psychologie und moderne Wissenschaft mit historischen Verweisen. Sie war für mich ab da nur noch Animadame.
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Zur Vorgeschichte:

Vor 20 Jahren – 1984 – hatte ich für die (leider recht kurzlebige) Computer-Zeitschrift “C4″ mal einen Artikel geschrieben, der mit Bildern und Beispielen den verblüffenden Analogien zwischen “Computer und Magie” nachging (etwa beim altchinesischen Orakelbuch “I Ging”, dessen Gruppen von “Ying”- und “Yang-Linien” genau dem modernen “0/1″-Code entsprechen usf..).

Zwei Jahre später bat ein Redakteur von “ANUBIS – ZEITSCHRIFT FÜR PRAKTISCHE MAGIE UND PSYCHONAUTIK” darum, diesen Artikel für seine Leser nachdrucken zu dürfen und sandte mir dazu ein Musterheft. Ich hatte selten etwas so Erstaunliches gesehen: statt dunkel herumzuorakeln, beschrieben die Artikel dort etwa das Herstellen eines Athame (Hexendolch) oder das Ausführen des “Kleinen bannenden Pentagramm-Rituals” so cool und praktisch, wie es heute etwa die Make-up-Tips von Transgender-Internetseiten mit ihren Themen tun!
Aber auch von meinen Artikeln konnte die ANUBIS-Redaktion scheint’s gar nicht genug bekommen: nachdem sie als nächstes einen noch älteren über “Magie und Werbung” nachgedruckt hatte, fragte sie nach noch mehr – und das, fand ich, war mal eine Gelegenheit, meine Gedanken zum Thema “Anima und Animus” loszulassen: natürlich, als Konzession an diese Leserschaft, immer unter “magischen” Aspekten! 😉

So erschien dort 1987 – in zwei Fortsetzungen – die “Animagie”. Details mögen daher zwar nicht mehr so aktuell wirken (z.B. der Hinweis auf die damalige Schachweltmeisterschaft); aber die Hauptthemen scheinen, wie ihre Internetseiten zeigen, auch heute noch viele Transgender-Personen zu bewegen – und vielleicht können gewisse meiner Ideen dort für manche von ihnen neues Licht auf alte Probleme werfen.

Zum “Titelbild”:

Das habe ich erst viele Jahre später – mit den inzwischen zur Verfügung stehenden Bildbearbeitungs-Programmen – aus den verschiedenen symbolischen Elementen komponiert:
als Hintergrund eine alchymistische Darstellung des doppelgeschlechtlich Weib und Mann vereinenden “Hermetischen Androgyns” aus dem 15. Jahrhundert;
davor links als “ER” mein “idealisiertes Selbstbild” 😉

  • mit den Sybolen des Hongkong-Seidenanzugs (für: “weitgereister Weltmann”), der Pfeife (für: “sympathischer Wissenschaftler”) und der Katze (für: “mysterienkundiger Meister”);
    [zur Abschwächung muß ich aber sagen, dass nicht ich selbst mich so gestylt hatte – sondern ein Fotograf für eine Interview-Illustration!]
    und rechts als “SIE” eine meiner vielfältigen “Animanifestationen”
  • diesmal als coole Karrierefrau, selbstsicher, intellektuell-feministisch, okkult interessiert (aber in alldem manchmal leicht vernagelt) – nicht ohne Humor, aber leider bar jeglichen Charmes: kaum mein idealer Frauentyp – aber gerade darum hatte ich mir extra Mühe gegeben, ihr in Diktion und Darstellung möglichst gerecht zu werden: am Schluß bringt sie sogar den weisen Meister noch auf eine Idee, die er zuvor nicht hatte!
    Animagie

A N I M A G I E

VON VIVIAN

[Anmerkung des Herausgebers: Etwas überraschenderweise war „Vivian“ wie Ritter Epen und Märtyrer Chroniken bezeugen im mittelalterlichen Britannien ein durchaus männlicher Name; die weibliche Form war wie etwa bei jener Fee, die den Magier Merlin schließlich vermöge der ihm abgelauschten magischen Künste mit unsichtbaren Banden fesselte „Viviane“. Doch wie immer man es lesen will, scheint es jedenfalls zum Thema zu passen…]

S(ie): „‚Animagie‘ das klingt zwar irgendwie vielversprechend: aber was soll ich mir darunter eigentlich vorstellen?“

E(r): „Mal ganz allgemein und zugegebenerweise ziemlich trocken gesagt: Die magischen Aspekte jener Komponente in unserer Seele, die jeweils dem entgegengesetzten Geschlecht entspricht also der ‚Anima‘ beim Mann oder des ‚Animus‘ bei der Frau.“

S: „Au weh damit werden Sie es bei mir aber schwer haben: denn erstens mal bin ich überhaupt nicht geneigt, allgemein an solche ‚Seelenkomponenten‘ zu glauben also daran, dass etwa jeder Mann ein Stück Frau in sich herumtragen soll und ich zum Beispiel ein Stück Mann; aber auch falls das was ich ja gern zugeben will in abnormen Fällen manchmal vorkommen mag: dann gehört das ja wohl in die Sexualwissenschaft hat aber doch nichts mit ‚Magie‘ zu tun!“

E: „Wahrhaftig au weh: aber weniger, weil ich es bei Ihnen nun ’schwer zu haben‘ fürchte sondern weil wir jetzt erst mal ganz ‚von unten‘, nämlich biologisch, anfangen müssen: und weil ich Ihnen da einige Fakten mitteilen muss, die Sie was ich schon eher fürchte leicht erschüttern könnten:
wenn Sie nämlich als Frau eben gerade kein ‚abnormer Fall‘ sind, sondern völlig normal dann tragen Sie in der Tat dauernd ‚ein Stück Mann‘ in sich herum: nämlich das an sich ‚männliche‘ Geschlechtshormon Androgen ohne dessen Mitwirkung Ihr ganzer Hormonhaushalt aus den Fugen käme; und alle auch die stinknormalsten Männer haben z.B. nicht nur Brustwarzen (die sie ja eigentlich wirklich nicht brauchten, weil sie nie Kinder säugen) sondern in ihren Samenzellen auch die ‚weibliche‘ Erbanlage, das X Chromosom: sonst könnten sie nämlich nie Töchter zeugen!“

S: „Also Moment mal: die weibliche Erbanlage bekommen die Töchter doch nun wohl von der Mutter!“

E: „Sicher von der bekommen sie das e i n e X Chromosom (aber das bekommen von ihr auch die Söhne) das a n d e r e aber, das zu ‚XX‘ gleich ‚weiblich‘ nötig ist, muss vom Vater kommen: könnte der nur Y Chromosomen liefern, gäbe es jedesmal ‚XY‘ gleich ‚männliche‘ Nachkommen (und in der nächsten Generation müsste die Menschheit dann mangels Frauen aussterben!)“

S: „Aber dieses zweite ‚X‘, das der Mann zuschießt, hatte er sich doch gewissermaßen bloß von seiner Mutter ausgeliehen: Sie haben ja gesagt, dass die Frau auch den Söhnen ein ‚X‘ mitgibt!“

E: „Allerdings ein ausgeliehenes ‚Stück Frau‘ in der Erbmasse, das nun eben auch jeder Mann in sich herumträgt … was Sie aber eben doch gar nicht zu glauben geneigt waren?“

S: „Zugegeben da haben Sie mich ganz schön darangekriegt; aber bloß wegen dieses komischen Erbgangs beim Geschlecht, der überhaupt nicht so funktioniert wie bei anderen Erbeigenschaften!“

E: „Der anders funktionieren m u s s, könnte man sagen, damit immer etwa gleichviel männliche und weibliche Wesen entstehen: sonst bekämen wir nämlich immer drei Viertel von einer (der „dominanten“) Sorte oder, noch schlimmer, jedesmal die Hälfte Zwitter…“

S: „Na ja aber beweist all das nicht eben gerade, dass Sie diese Chromosomen oder auch Brustwarzen oder Hormone eigentlich gar nicht ‚weiblich‘ oder ‚männlich‘ nennen dürften, wenn sie doch bei beiden Geschlechtern vorkommen sondern höchstens allgemein ‚menschlich‘? Und damit bräche doch Ihr ganzes Argument vom ‚Stück Frau im Mann‘ oder umgekehrt wieder zusammen!“

E: „Verzeihen Sie aber jetzt haben Sie sich doch gerade um 180 Grad gedreht: vorhin waren Frau und Mann so himmelweit verschieden, das kein Stückchen ‚Mann‘ in der ’normalen Frau‘ sein durfte und umgekehrt jetzt sind sie auf einmal allesamt ‚Menschen‘, die alle möglichen Eigenschaften, auch die des anderen, kreuz und quer haben dürfen?!
Was überdies wiederum nicht stimmt: Nach wie vor haben z.B. Sie einen Busen und ich nicht ich kann keine Kinder gebären und Sie können keine zeugen „

S: „Aber wenn ich Ihnen die richtigen oder sollte ich sagen: die verkehrten? Hormone einspritzen würde, könnten Ihnen zum Beispiel unter Ihren Brustwarzen, die sie ja wie Sie betonen schon haben, auch Brüste wie bei mir wachsen!“

E: „Nun, wenn Sie wünschen, kann ich Ihnen in der Richtung sogar noch viel mehr bieten: da gibt es zum Beispiel den berühmten Sternwurm (Bonellia viridis), bei dem die winzigen, nur 12 mm großen Männchen fast wie Parasiten an den mehrere Zentimeter großen Weibchen festgesaugt leben.“

S: „Wie idyllisch!“

E: “ aber die eigentliche Pointe kommt erst noch: offenbar muß so ein junges Sternwürmchen dazu aber erst mal ein Weibchen finden; klappt das, saugt es sich an ihm fest und lebt als Männchen findet es aber keins, sagt es gleichsam ‚ick bin doch nich uff Euch anjewiesen‘ und wächst selber zu einem vollwertigen Weibchen aus…“

S: „Was nun was beweisen soll?“
E: „Dass also die grundsätzliche Möglichkeit sozusagen das ‚Potential‘ für beide Geschlechter durchaus im gleichen Wesen liegen kann,“

S: “ wenn es ein Sternwurm ist!“

E: „Aber auch das menschliche Embryo ist in den ersten Monaten zumindest äußerlich geschlechtlich noch völlig undifferenziert: und Rudimente der gegengeschlechtlichen Organe finden sich selbst noch im erwachsenen menschlichen Körper. Erscheint es danach nun so völlig ausgeschlossen, dass ganz analog auch in der ‚Psyche‘ des Menschen, die ja sicher nicht total unabhängig vom Körper existiert, auch gegengeschlechtliche ‚Potentiale‘, Möglichkeiten oder Komponenten existieren könnten und zwar bei jedem Mann und bei jeder Frau?“

S: „Hm ‚wenn man’s so hört, möcht’s leidlich scheinen steht aber immer schief darum‘: denn woran soll man nun eigentlich merken, ob so ein ‚Potential‘ oder so eine ‚Komponente‘ in der Tat ‚gegengeschlechtlich‘ sei?
Angenommen, ich spiele gern (und sogar recht gut) Schach: soll ich dann sagen ‚huch das ist aber eigentlich ganz unweiblich: das muss wohl eine gegengeschlechtliche Komponente in mir sein?‘ Oder ich treffe einen Mann, der mit Begeisterung und zudem besser als ich kocht: sage ich dann ‚ach, da kocht gar nicht der Franz sondern in Wirklichkeit sein weiblicher Seelenteil, seine Anima!‘?
Das hieße doch bloß, vorgefasste gesellschaftliche Rollen Vorstellungen und Stereotype tiefenpsychologisch aufgeputzt zu perpetuieren: und um auf den Ausgangspunkt zurückzukommen mit ‚Magie‘ hätte es schon erst recht nichts zu tun!“

E: „Völlig einverstanden aber gerade deshalb möchte ich ja, dass wir die Frage eben genau herumdrehen: angenommen, wir fänden nun aber gerade typisch ‚magische‘ Aspekte, Phänomene oder Verhaltensweisen, die ‚Weibliches im Mann‘ oder ‚Männliches in der Frau‘ beträfen dann könnten wir doch eher annehmen, dass wir es dort nicht bloß mit oberflächlichen Vorurteilen zu tun hätten, sondern dem Kern der Sache näherkämen?“

S: „Also ich muss schon sagen: Sie haben eine unglaublich raffinierte Art, mich mit meinen eigenen Argumenten immer genau in die Ecke zu zwingen, in die ich eigentlich gar nicht will!“

E: „Aber wenn’s doch ‚Ihre eigenen‘ Argumente sind: ‚zwinge‘ denn dann eigentlich i c h Sie dahin oder zwingen Sie sich damit nicht im Grunde, obwohl Sie es eigentlich ‚gar nicht wollen‘, unbewusst selbst? Aber w a s ist denn nun eigentlich diese ‚Ecke‘, in die Sie ’nicht wollen‘ und w a r u m ‚wollen‘ Sie eigentlich partout nicht in sie?“

S: „Oh Gott, jetzt kommen Sie mir auch noch als psychoanalytischer Sherlock Holmes: ‚Sie haben mir ja selbst die Indizien geliefert also gestehen Sie jetzt auch!‘. Aber warum sollte ich es eigentlich nicht zugeben: Ich bin eben eine Frau und will auch eine sein nicht eine Mischpackung aus weiblichen und männlichen ‚Komponenten‘; genau wie ich etwa in Ihnen einen Mann sehen möchte und nicht da ein Stück Mann und dort ein Stückchen Frau. Und wenn ich mein ureigenstes Wesen weiter entfalten möchte zum Beispiel und gerade auch durch ‚Magie‘ dann will ich das erst recht als Frau tun und dabei nicht auf einmal ‚männliche Komponenten‘ beschwören!“

E: „Warum nicht? Wären Ihnen die etwa ‚unheimlich‘?“

S: „Also den Köder nehme ich diesmal nicht damit Sie sagen könnten ‚unheimlich ist auch magisch und damit hätte ich Sie schon bei einem magischen Aspekt einer solchen Komponente erwischt!'“

E: „Aber Anwesende mal ausdrücklich ausgenommen vielen Menschen könnte doch die Vorstellung, dass sie auch (vielleicht ohne es überhaupt zu wissen) eine gegengeschlechtliche Komponente in sich herumtragen könnten, in der Tat ausgesprochen ‚unheimlich‘ sein? Und wäre das nicht ein verständlicher Grund dafür, dass sie sich sträuben, solch eine Vorstellung überhaupt zu akzeptieren?“

S: „Oh, jetzt wollen Sie mich aber seitwärts von hinten erwischen! Aber das ganze ‚unheimlich‘ haben ja Sie und nicht ich eingeschmuggelt ich frage viel simpler: wozu sollte denn eine gegengeschlechtliche Seelenkomponente in mir eigentlich nütze sein? Bei Ihren X Chromosomen im Mann oder beim Androgen in meinem Körper haben Sie mir biologische Gründe genannt, die ich akzeptieren konnte: aber in meinem ganz persönlichen und dann doch eben durchweg ‚weiblichen‘ Seelenleben?“

E: „Nun ja wenn Sie der einzige Mensch auf der Welt wären und deshalb Ihr Seelenleben auch ausschließlich ‚intern‘ für sich selbst abwickeln müssten, wäre es in der Tat schwer einzusehen, wozu Sie eine solche Komponente brauchen könnten. Nur ist das eben nicht so: Sie sind ständig und jedesmal auch irgendwie ’seelisch‘! mit anderen Menschen involviert, und nicht immer nur mit anderen Frauen, sondern genau so oft auch mit Männern. Wenn Sie nun in Ihrer Psyche überhaupt nichts weiter als ‚Weibliches‘ hätten dann könnten Sie sich zwar auch in andere Frauen ‚einfühlen‘: aber bei Männern könnten Sie das nicht sondern wären gegenüber denen ausschließlich auf das angewiesen, was Sie ‚von außen‘ erfassen könnten: also gerade bloß die von Ihnen zu Recht kritisierten auf gesellschaftlichen Erfahrungen beruhenden Rollen Vorstellungen und Stereotype…“

S: „Klingt wieder sehr einleuchtend bloß widerlegt die Praxis es gleich: ich kann mich zum Beispiel jetzt gerade doch mit Ihnen sehr gut unterhalten, ohne dass ich dazu etwa mein ‚gegengeschlechtliches Seelenteil‘ mobilisieren müsste einfach auf der Basis allgemein menschlicher Wesenszüge, die wir gemeinsam haben!“

E: „Also ich habe zwar wenn Sie mir mal eine persönliche Randbemerkung verzeihen ganz im Gegenteil den Eindruck, die meiste Zeit mit Ihrem ausgesprochen kratzbürstigen ‚Animus‘ zu debattieren, der mir freiwillig keinen Fußbreit Boden zugestehen will, den ich ihm nicht mit strikt ’sachlich männlicher‘ Logik abringen kann „

S: “ was aber Ihre weiblich einfühlende ‚Anima‘ großmütig über sich ergehen lässt?“

E: „Den Teufel täte sie das die hätte längst schon eine Szene gemacht, mit einem schluchzenden „Sie geben sich ja überhaupt keine Mühe, mich zu verstehen!“ wenn ich sie nicht bewusst ständig an der Kandare hielte!
Aber davon mal abgesehen, haben Sie natürlich im Prinzip durchaus recht: allein um sich mit jemand anderen Geschlechts über irgendwas zu unterhalten, brauchte man im allgemeinen noch nicht unbedingt das innere gegengeschlechtliche ‚Seelenbild‘ (da reichten vielfach Ihre ‚allgemein menschlichen Gemeinsamkeiten‘ völlig); aber je mehr die Partner einander nun wirklich ‚als Frau‘ und ‚als Mann‘ verstehen müssen desto unentbehrlicher wird es, dass jeder nun in der Tat auch etwas vom anderen ‚in sich hat‘, auf das er bzw. sie zurückgreifen kann.“

S: „Also jetzt will ich mir, eingedenk Ihrer frustrierten Anima, einmal echt Mühe geben, Sie zu verstehen: damit ich als Frau einem Mann wirklich ‚Partner sein‘ könnte, müsste ich auch das berüchtigte ‚Stückchen Mann‘ in mir haben und er umgekehrt ein Stück Frau? Das ist aber wirklich schwer zu verdauen …“

E: „Vielleicht kann ich es Ihnen an einem Vergleich einleuchtender machen obwohl ich sonst wenig davon halte, von ’seelischen Schwingungen‘ usw. zu reden aber hier passt es, glaube ich, mal wirklich: stellen Sie sich vor, der allgemeine Kontakt zwischen Menschen erfolge so auf einer Art ‚öffentlicher Frequenz‘, die jeder benutzen kann.“

S: „Sozusagen ‚Citizen Band‘?“
E: Genau das wären also Ihre ‚allgemein menschlichen Gemeinsamkeiten‘. Aber nun wollen Sie in einem Bereich kommunizieren, dessen Sender und Empfänger eine andere, ganz spezifische Frequenz haben zum Beispiel eine ‚männliche‘. Das können Sie doch offenbar nur, wenn Sie nun auch Ihren Sender und Empfänger auf diese Frequenz einstellen können und das wieder geht ja nur, wenn auch in Ihrem ‚Apparat‘ ein Schwingkreis ist, der zumindest überhaupt in dieser Frequenz schwingen k ö n n t e auch wenn Sie normalerweise und für Ihre eigenen Zwecke meist eine andere ‚weibliche‘ benutzen?“

S: „Hm so herum habe ich’s allerdings noch nicht gesehen: jeder von uns muss also gewissermaßen außer seinem ‚eigenen Schwingkreis‘ auch noch eine Art ‚Resonanz Kreis‘ fürs andere Geschlecht haben?“

E: „‚Resonanz Kreis‘ ist ganz ausgezeichnet! Denn damit könnten Sie nun sogar verstehen, dass solch ein Resonanz Kreis auch ganz ohne Ihr eigenes Zutun zu schwingen anfangen kann, sobald er von entsprechenden Signalen getroffen wird.“

S: „Also zum Beispiel mein, wie Sie so nett sagten, ‚kratzbürstiger Animus‘, sobald Sie von ‚gegengeschlechtlichen Komponenten‘ zu sprechen anfingen?“

E: „Ja aber nehmen wir ein noch viel allgemeineres Beispiel: da begegnet ein Mann plötzlich einer Frau, die ganz ohne Absicht ‚Signale‘ gibt, die zufällig haargenau auf der speziellen ‚Frequenz‘ seines ‚Anima Resonanzkreises‘ liegen. Was passiert? Er …“

S: „Oh, lassen Sie mich mal das reizt mich: Wie das berühmte Glas, das zufällig vom passenden Ton getroffen wird, fängt er an zu vibrieren: er ist ‚fasziniert‘ und da diese ‚Resonanz‘ ja auch an sich ganz schwache Impulse, wenn sie nur seiner ‚Eigenfrequenz“ entsprechen, immer weiter verstärkt, findet er alles, was sie tut, bezaubernd auch wenn’s der größte Blödsinn ist; kein Mensch um ihn herum kann verstehen, wieso er ihr eigentlich so ‚verfallen‘ ist klar, die anderen haben ja gar nicht diese spezifische ‚Resonanzfrequenz‘ und werden gar nicht angesprochen aber bei ihm schaukelt sich das immer weiter auf: entweder, bis das Glas regelrecht zerspringt: er ruiniert sich für sie oder bringt sich um wie der junge Werther oder bringt sie um wie Don Jose die Carmen; oder aber fast genau so schlimm er ‚kriegt‘ sie: und entdeckt auf einmal, dass sie ja auch ihre eigene Frequenz hat und nicht nur seine und jammert dann fassungslos : ‚das ist doch gar nicht mehr die Frau, in die ich mich verliebt hatte was war da bloß über mich gekommen?!‘ „

E: „Hm und vor nicht allzulanger Zeit hätte man dann gesagt ’sie hat ihn behext‘, einen ‚Liebeszauber‘ praktiziert: ‚philocaptio‘ nannten es Kraemer und Sprenger im ‚Hexenhammer‘, ‚cast a glamour‘ die Angelsachsen was heute noch im Ausdruck „glamour girl“ für den faszinierenden Filmstar fortlebt.“

S: „Ach herrje da habe jetzt sogar i c h Ihnen die ‚magischen Aspekte‘ der ganzen Geschichte vorbuchstabiert!“

E: „Wobei das müssen wir ja auch festhalten die fragliche Dame meist ganz unschuldig an dieser ‚Bezauberung‘ war: denn genau besehen hat sich so ein Mann gar nicht in s i e verliebt sondern in seinen eigenen ‚Resonanzkreis‘ für sie, seine ‚Anima‘, die er wie die Psychologen sagen nur auf sie ‚projiziert‘ hatte.“

S: „Ich fürchte, jetzt werden Sie gleich wieder sagen, es ist mein aufmüpfiger ‚Animus‘ aber ist das nun eigentlich nicht gerade das glatte Gegenteil von dem, was Sie als Sinn unserer ‚Resonanzkreise‘ für das andere Geschlecht nannten? Die sollten uns doch eigentlich helfen, uns wirklich in den Partner ‚einzufühlen‘ und sich nicht selbständig machen und den wahren Partner durch das eigene ‚Seelenbild‘ von ihm (oder ihr) glatt übersteuern?!“

E: „Nein, nein da stimme ich Ihnen völlig bei: nur ist das doch gar kein Widerspruch. Denken Sie doch mal an Ihr geliebtes Schachspiel: da ist doch z.B. die Dame auch eine der Figuren, die dem Spieler am meisten helfen könnte nur fasziniert eben gerade diese ihre Macht den Anfänger oft so, dass sie sein ganzes Spiel ‚übersteuert‘ und er durch exzessive Damenzüge von einem Unheil ins andere gerät.“

S: „Also bei Ihren Vergleichen kann einem schon etwas schwindlig werden: eben war die Anima ein Resonanz Kreis jetzt ist sie eine Schachfigur?!“

E: „Und falls ich sie demnächst mit einem Erkennungs Muster vergleichen sollte, das in einem Computer ganz bestimmte Funktionen aufruft oder mit einer Elementarkraft, die man nur mit bestimmten Ritualen zähmen kann: dann lassen Sie sich nicht verwirren sondern sehen immer den gemeinsamen Kern: etwas, das uns zwar helfen kann aber zunächst einmal keineswegs immer tut, was wir wollen, sondern durchaus eigenen Gesetzen folgt!“

S: „Nein bleiben Sie ruhig mal bei der Dame im Schach: ist die vielleicht in der Tat als einzige und dazu noch so mächtige ‚Frau‘ unter lauter Königen und Rittern und Bauern eine Art ‚Anima Figur‘ in der sonst durchwegs ‚männlichen‘ Streitmacht des Spielers?“

E: „Im arabischen Schach war das ja noch wie Sie sicher wissen ein durchaus männlicher ‚Wesir‘, der allerdings nur in kleinen Schritten um den König herumtrippelte: ‚mächtig‘ weithin übers Brett zu schweifen begann sie aber wirklich erst, als sie im Abendland eine ‚Dame‘ wurde im Schach ‚a la dama‘, das so Mitte des 15. Jahrhunderts aufkam interessanterweise gerade nachdem ein paar Jahrzehnte zuvor wirklich eine Frau auf einem männlichen Schlachtfeld mit seltsamer Macht den Sieg heraufbeschworen hatte: Jean d’Arc die Jungfrau von Orleans.“

S: “ die man daraufhin denn ja auch prompt als Hexe verbrannte!“

E: „Vielen Dank Sie geben mir immer so nett selbst die Stichworte zum Thema ‚Magie‘ dabei, mit dem ich mich sonst beim Schach vielleicht etwas schwerer getan hätte aber immerhin spielte bei Johannas Prozess ja gerade das ‚Unweibliche‘ ihres Verhaltens (ein ‚Animus Aspekt‘?) eine große Rolle „

S: „Bitte inzwischen haben Sie mich von Ihrer ‚Animagie‘ in der Tat schon halb überzeugt! Aber wenn die Schach Dame wirklich eine ‚Anima Figur‘ wäre hieße das dann, dass Schachmeister, die sie virtuos zu führen wissen, auch eine entsprechende Kontrolle über ihre eigene ‚Anima‘ hätten?“

E: „Ich fürchte ganz im Gegenteil: gerade bei den letzten Schachweltmeisterschaften hatte man ja genug Gelegenheit, an solchen Meistern genau das zu beobachten, worin sich bei Männern eben gerade eine ‚unkontrollierte Anima‘ manifestiert nämlich, wie man gemeinhin sagt, ‚Primadonnen Allüren‘! Das meine ich gar nicht unbedingt negativ: je stärker gerade der bewusste Stress wird, unter dem ein Mensch steht, desto tiefer muss er in die Reserven seines Unbewussten greifen und da findet sich eben bei den meisten Männern eine gar nicht bewusst akzeptierte und entsprechend ‚un kultivierte‘ Anima, die sich dann (statt als schlachtenrettende Jean d’Arc) eher wie ein hysterisches Frauenzimmer gebärdet…“

S: „Wenn ich jetzt lachen musste dann nicht über Sie; mir kam bloß eben der Gedanke: wenn wir nun auch gerade in der Magie Szene immer wieder Sachen erleben, die verzweifelt an Kulissen Intrigen zwischen Operetten Soubretten gemahnen sind da etwa auch mangelhaft beherrschte Animas hehrer Meister im Spiel?! Und meinen Sie etwa auch deshalb, dass wir uns mehr mit ‚Animagie‘ befassen sollten?“

E: „Sicher wohl auch aber bis jetzt haben wir ja eigentlich nur von den unkontrollierten, gewissermaßen den ‚Poltergeist Aspekten‘ von Anima und Animus gesprochen: und das kratzt ja nun allenfalls nur die Oberfläche des ganzen Komplexes an.“

S: „Allerdings liegt mir nun auch schon die ganze Zeit die Frage auf der Zunge, ob Sie meinen, dass man Animus oder Anima auch gezielt ‚beschwören‘, evozieren und magisch nutzen könnte?“

E: „Genau da wird’s ja eigentlich interessant aber das müssen wir auf das nächste Mal vertagen: für heute nur die freundschaftliche Warnung machen Sie sich vorsichtshalber noch auf ein paar neue Schocks dabei gefasst…!“

A N I M A G I E (II)
VON VIVIAN

[Fortsetzung des Dialogs:]

S(ie): „Also – so richtig verdaut habe ich Ihre Sache mit ‚Animus‘ und ‚Anima‘, fürchte ich, immer noch nicht: Eingeleuchtet hat mir zwar: wenn ich als Frau einen Mann wirklich so verstehen, mich so ‚in ihn einfühlen‘ möchte, wie das für eine echte Partnerschaft unerlässlich ist – dann geht das ja wohl nur, wenn ich in der Tat auch in meiner eigenen Psyche einen Zugang zum ‚Männlichen‘ habe; und wenn ich mir umgekehrt von meinem männlichen Partner wünsche, dass er sich genau so in mich einfühlt – dann kann ich ja schlecht zugleich von ihm verlangen, dass er eben nur strikt „100 % Mann“ sein müsse … „

E(r): „Das wäre ja auch im Grund nur ein Gegenstück zu der alten magischen Doktrin von jedem Menschen als ‚Mikrokosmos‘, der eben stets den ganzen ‚Makrokosmos‘ – mit all seinen Planeten, Elementen und Kräften – in sich begreìft: warum dann also nicht erst recht auch etwas so Lebenswichtiges wie das andere Geschlecht?!“

S: „Sehen Sie, jetzt wird’s mir schon wieder unklar: meinen Sie nun,
das sei wirklich eine neue – oder vielleicht sogar altehrwürdige – echte Art von ‚Magie‘: bei der ich nun zum Beispiel meinen männlichen Seelenteil, meinen ‚Animus‘ – oder Sie Ihre weibliche ‚Anima‘ – ähnlich mit speziellen Ritualen ‚aufrufen‘ könnte wie etwa die Kräfte eines Planeten oder Elements – oder ein Beschwörer einen Dämon? Oder reden Sie nur von psychischen Phänomenen, die bloß in gewissem Sinn ‚Gegenstücke‘ – mit bestimmten Analogien oder Ähnlichkeiten – zu magischen Konzepten oder Praktiken wären?“

E: „Da könnte ich mich zwar schon elegant mit C.G.JUNGs These ‚magisch ist bloß ein anderes Wort für psychisch!‘ aus der Affaire ziehen – aber ich möchte das Problem ruhig etwas präziser fassen: wenn wir bei zunächst ganz ‚un-magisch‘ erscheinenden Dingen anfangen – dann bemerken, dass im Zusammenhang mit ihnen immer wieder Vorstellungen oder Verhaltensweisen auftauchen, die solchen in der ‚Magie‘ verblüffend ähneln – und schließlich sogar entdecken, dass genau diese oft auch ganz eindeutig als echte Magie angesehen wurden oder werden – was sollen wir dann sagen?!“

S: „Bloß wird’s eben schon bei Ihren ‚Übereinstimmungen für mich kritisch, weil ich doch einen grundsätzlichen Unterschied sehe: in der – ich möchte mal sagen – ’normalen‘ Magie könnte ich doch, eben weil ich als Mikrokosmos eben auch den ganzen Makrokosmos in mir habe, dessen Kräfte aufrufen, unbeschadet, ob ich nun eine Frau bin oder ein Mann. Aber wenn wir in Ihrer ‚Animagie‘ nun gezielt die psychischen Energien des gerade entgegengesetzten Geschlechts aufrufen wollten: hieße das nicht, dass wir danach – drastisch gesagt – überhaupt ’nicht mehr wissen, ob wir eigentlich Männchen oder Weibchen sind‘?!“

E: „Sie meinen: das eine entspräche allemal durchaus noch unserer eigenen Natur – während das andere nun geradezu im Widerspruch dazu stünde?“

S: „Ja – etwa das meine ich!“

: „Oh je – da müssen wir wirklich noch mal ganz von vorn anfangen: Das ganze Konzept von Anima und Animus besagt doch gerade, dass es eben a u c h zur ‚Natur‘ des Menschen gehört, einen psychischen Zugang zum ‚entgegengesetzten‘ Geschlecht zu haben und zwar gerade ‚in meiner Eigenschaft als Mann‘ einen Zugang zum Weiblichen, weil ich nur dadurch eine nicht bloß äußerliche – anatomische oder gesellschaftliche – sondern wirklich ‚innere‘ Beziehung zur Frau finden, also meine ‚männliche‘ Funktion als ihr Partner voll erfüllen kann – wie das umgekehrt natürlich ebenso auch für Sie gerade in ‚Ihrer Natur als Frau‘ gilt! Das geht also keineswegs ‚auf Kosten‘ unseres eigentlichen Geschlechts – etwa nach dem Schema ‚bei 20% Weiblichem in meiner Psyche bleiben nur noch 80% Männliches übrig“ – sondern eher gerade umgekehrt: wenn diese 20% fehlen würden, wäre ich eben auch als Mann bloß zu 80% ‚funktionsfähig‘ statt zu vollen 100%! Wobei ich Sie allerdings bitten muss, diese ‚Prozent-Rechnung‘ nicht wörtlich, sondern nur als Analogie zu nehmen – “

S: „Gut – aber wenn nun (auch wieder als Analogie) ein Mann 80% oder gar 100% ‚weiblichen Seelenanteil‘ hätte – wenn also seine ‚Anìma‘ das Männliche in seiner Psyche völlig dominieren würde: wäre das dann nicht eben ein Homosexueller?“

E: „Das können Sie zwar sogar in manchen psychologischen Büchern lesen – bloß passt es überhaupt nicht: ein Mann, der sich eben gerade nicht den Frauen, sondern anderen Männern zuwendet – der benutzt doch seine ‚Anima‘, seinen Zugang zum Weiblichen eben gerade n i c h t; ich würde sogar sagen, er ‚traut‘ eben ihr nicht als Brücke zu Frauen – sondern verlässt sich statt dessen lieber auf das ihm ‚vertrautere‘ Männliche in sich und seinen gleichfalls männlichen Partnern. Dass sich bei manchen dieser Männer dann ihre derart gleichsam ‚arbeitslos gewordene‘ Anima rächt, indem sie nun jene ‚zickigen‘ Wesenszüge produziert, die zum populären Bild der ‚Tunte‘ gehören – das ist erstens ja keineswegs die Regel: ’seriöse‘ Homosexuelle distanzieren sich meist sogar regelrecht davon (im Grunde vielleicht, weil sie eben gegen j e d e Art von Anima-Aktivität zutiefst misstrauisch sind); und zweitens ist es selbst da eher das Symptom einer ‚verdrängten‘ (und dadurch ‚außer Kontrolle geratenen‘) Anima – als etwa einer ‚dominanten‘, die selbst die Kontrolle übernommen hätte! Die finden Sie vielmehr bei einer durchaus anderen Art von Personen: nämlich bei den ‚Transsexuellen‘ – die empfinden, ‚eigentlich‘ Frauen zu sein, deren ‚weibliche Seele‘ nur zu Unrecht in einen männlichen Körper geraten sei: und nun alles daransetzen, diesen ‚Fehler‘ zu korrigieren, um endlich ‚ihrer wahren Natur gemäß‘ leben zu können…“

S: „Na ja – Christine Jorgensen und so weiter: aber das sind doch schließlich Spezialfälle, die eben erst in unserer heutigen Gesellschaft – mit ihrer sich wandelnden Auffassung der Geschlechter-Rollen und ihrer modernen Medizin, Hormonforschung und Chirurgie akut wurden – “

E: „Eben gerade nicht: Das Phänomen einer solchen ‚Anima-Besessenheit‘, die einen Mann zwang, sich als Frau zu fühlen – und so weit wie nur irgend möglich auch als solche zu ‚leben‘ – fand sich vielmehr zu allen Zeiten und gerade auch bei den verschiedensten ‚Naturvölkern‘ (bei denen man es nun wirklich nicht etwa als ‚Dekadenz-Erscheinung‘ abtun konnte) derart oft – am besten zitiere ich gleich BURCHARD ‚dass es sich um eine global verbreitete, schlechthin allgemein menschliche Entwicklungsmöglichkeit handelt, deren Manifestation von den tatsächlich vorhandenen kulturellen Bedingungen unabhängig zu sein scheint…’”

S: „O.k. – haben Sie mich mit Ihrer überlegenen Weisheit mal wieder abgeführt – aber wo steckt nun die ‚Magie‘ dabei?“

E: „Kommt sofort – ich zitiere weiter: ‚Wie BAUMANN gezeigt hat, genießen diese Transsexuellen unter paläoasiatischen, altmediterranen, indianischen, ozeanischen und afrikanischen Stämmen hohes Ansehen als Schamanen, Priester, Zauberer – Personen mit übernatürlichen Kräften, die man fürchtet und verehrt. … Bei den Navaho gelten sie als große Führer, weil sie männliche und weibliche Fähigkeiten in sich vereinigen.”

S: „Also – um es mal per Karl May zu sagen – ‚Tante Droll‘ statt Winnetou als Indianerhäuptling?!“

E: „Vielleicht eher ‚Medizinmann‘ – obwohl gerade jene Fälle am bemerkenswertesten sind, wo solch ein ‚Transsexualismus’ nicht etwa gleich von Jugend an vorlag: sondern ein stolzer und gefeierter Krieger – meist nach einem ‚göttergesandten Traum‘ – erklärte, von nun an als Weib leben zu müssen, und trotz aller Vorhaltungen bei diesem Entschluss blieb, der dann dem ganzen Stamm als heilig galt – “

S: „Eine Art ‚ Mid-life-crisis‘, bei der auf einmal seine – bisher vielleicht gewaltsam ignorierte – ‚Anima‘ nun eruptiv durchbrach?“ E: „Möglicherweise – aber Sie brauchen nur mal versuchen, sich vorzustellen, dass etwa ein erfolgreicher Manager unserer Tage das gleiche tun wollte: dann verstehen Sie, warum ich Ihre Meinung, Transsexualismus sei doch was, das ‚erst in unserer heutigen Gesellschaft akut‘ geworden sei, schon recht amüsant fand!“

S: „Zugegeben, dass so etwas all diesen ‚Naturvölkern‘ weitaus ’natürlicher‘ erschienen sein mag als uns: aber bestätigt all das auf der anderen Seite nicht gerade meine Befürchtung, dass eben solche ‚Animagie‘ zwangsläufig ein Auflösen, ja geradezu ein Aufgeben der eigenen Individualität bedeuten müsste?“

E: „Moment mal: wenn Sie fragen, was passieren würde, wenn sich ein Mann ‚zu 100%‘ nur noch mit seiner Anima identifiziert – dann dürfen Sie ja kaum darüber erschrecken, dass er d a b e i auch konsequenterweise eben alles übrige ‚aufgeben‘ müsste! Aber solch eine ‚Besessenheit‘ – ob nun durch eine ‚Anima‘ oder im klassischen Sinne durch einen ‚Dämon‘ – ist ja zwar ein ‚magisches Phänomen‘: aber schwerlich eine ‚magische Praktik‘ – bei der man ja gerade durch sehr sorgfältig eingehaltene ‚Rituale‘ der Gefahr begegnen will, unversehens ‚in die Gewalt‘ dessen zu geraten, das man da magisch ‚aufruft‘!“

S: „Aber die ‚Gefahr‘ dafür geben Sie doch damit zu?“

E: „Ja du lieber Himmel – die ist aber doch bei jeder Art von ‚Magie‘ vorhanden! Übrigens nicht nur da: auch schon wenn ich ganz ‚unmagisch‘ bloß ein Streichholz anzünde, könnte ich damit eine Feuersbrunst auslösen – wenn ich mich ungeschickt genug anstelle! Sobald überhaupt irgendeine Form von Energie – ob nun physische oder psychische – d a ist, gibt es natürlich im Prinzip auch die Gefahr, dass sie Unheil stiften könnte: aber die besteht sogar – oder erst recht – wenn ich ‚vorsichtshalber‘ so tun wollte, als gäbe es sie gar nicht! Schließlich kann Feuer sogar ausbrechen, wenn ich gar nie eín Streichholz anrühre – und eine ‚ignorierte‘ Anima beim Mann oder ein ‚verleugneter‘ Animus einer Frau kann wahrscheinlich sogar gefährlichere Auswirkungen haben, als ihr bewusstes Akzeptieren.”

S: „Akzeptieren – also z.B. Streichhölzer, mit den nötigen Vorsichtsmaßregeln, zum Feuermachen benutzen – ist aber ein Ding: ‚magisch‘ nutzen – also etwa ein ‚Feuer-Ritual‘ praktizieren – dagegen doch noch ein anderes! Sie haben mich ja im Grunde durchaus schon überzeugt, dass wir auch unseren ‚gegengeschlechtlichen Seelenbereich‘ nicht etwa leugnen, sondern ‚akzeptieren‘ sollten – aber warum nun darüber hinaus auch noch ‚magisch‘ mit ihm herumexperimentieren?“

E: „Wenn das eine Grundsatzfrage sein soll – dann muss ich natürlich antworten: ob sich jemand mit einer bestimmten Art von Magie – wie überhaupt mit Magie! – befassen will, ist selbstverständlich immer eine persönliche Entscheidung, ohne dass es Gebote gäbe, ‚warum er das sollte‘! Wenn Sie aber Ihr ‚Warum‘ nur im Sinne von ‚aus welchen Motiven heraus meinen: dann erinnern Sie sich doch nocheinmal daran, dass die erwähnten ‚Anima-Besessenen‘ danach eben nicht bloß einfach als ‚Frauen‘ galten, sondern als ‚Personen mit übernatürlichen Kräften – weil sie männliche und weibliche Fähigkeiten in sich vereinten‘; also gleichsam – im Bild unserer ‚Prozentrechnung‘ von vorhin – eben nicht weitere 80% Anima‘ s t a t t ihrer vorherigen ‚80% Mann‘, sondern noch
d a z u – was 80 + 80 = 160% ergäbe statt der üblichen 100% anderer Menschen!“

S: „Aber eben um den hohen Preis der ‚Besessenheit‘!“

E: „Nur ist ja eben das ganze Konzept aller ‚evokatorischen‘ Magie, einen solchen ‚Ich-Zuwachs‘ auch zu erzielen, o h n e diesen Preis dafür zu bezahlen: indem man die zusätzlichen Mächte eben, durch geeignete Rituale, nur zeitweise und strikt kontrolliert ‚aufruft‘ – und danach auch ebenso formal wieder ‚entlässt‘.“

S: „Das hieße hier also: als Mann seine weibliche ‚Anima‘ – oder als Frau ihren männlichen ‚Animus‘ – jeweils nur zu bestimmten Gelegenheiten oder in bestimmten Zusammenhängen, dann aber auch viel intensiver als normal ‚herauszurufen‘ (oder meinetwegen auch zusätzlich in die Psyche ‚hereinzurufen‘)? Aber was für ‚Rituale‘ könnten sich dazu nun eignen?“

E: „Am nächsten läge da wohl FRAZERs klassisches ‚Law of Similarity‘: ‚like begets like‘ – Gleiches erzeugt Gleiches, Ähnliches ruft man durch Ähnliches hervor – „

S: „Können Sie das auch etwas konkreter sagen?“

E: „Mit einem einschlägigen Beispiel aus FRAZERs ‚Goldenem Bogen‘:
wenn ein Baum keine Früchte trägt, könnte das – meinen die Galelareeser – daran liegen, dass er sich für männlich hält; also binden sie ihm einen Weiberrock um, damit er sich für eine Frau halten und damit entsprechend fruchtbar werden soll…“

S: „Also jetzt muss ich doch erst mal tief Luft holen – wollen Sie damit sagen, dass etwa die Verkleidungsspäße von Mary und Gordy im Grund ein ‚animagisches Ritual‘ wären?“

E: „Nun – so viel oder so wenig, wie es ‚Magie‘ ist, wenn Siegfried und Roy in Las Vegas auf offener Bühne einen Tiger verschwinden lassen! Beides ist natürlich Show-Business – aber bezieht es nicht eben, gerade als Show-Business, seine Faszination doch im Grund aus dem ‚Magischen‘, mit dem es spielt – hier die ‚Magie‘ des Verschwindens, dort die ‚Magie‘ des Sich-Verwandelns?“

S: „Dennoch werden Sie sich schwer tun, mich zu überzeugen, dass etwa Schwänke wie ‚Charleys Tante‘ oder ‚Tootsie‘ eine tiefe magische Bedeutung hätten!“

E: „Warten wir’s ab – immerhin wissen wir ja seit FREUD, dass auch hinter ‚Witzen‘ oft durchaus ernste Probleme stecken: so ernste sogar, dass man sie eben gerade deshalb unter einem Witz versteckt! Und wenn das alte Testament in 5. Mose 22 donnert: ‚Es soll nicht Manns Zeug auf einem Weibe sein, und ein Mann soll nicht das Gewand eines Weibes anlegen, denn wer irgend solches tut, ist ein Greuel im Angesicht Jehovas‘ – dann hielt es so etwas doch offenbar für alles andere als bloß einen harmlosen Jux?
Aber wenn Ihnen solche ‚Animaskeraden‘ erst mal zu unseriös erscheinen, können wir auch nur mit dem anfangen, was ja nun zu jeder ‚Evokation‘ nötig ist – nämlich mit einem N a m e n:
Da gab es etwa in London Ende des vorigen Jahrhunderts den Literaten WILLIAM SHARP, dessen Kunst- und Literaturkritiken in der Tat meist so scharf waren, wie es seinem Namen entsprach. Zugleich hatte er aber von Kind an eine tiefe Liebe zur geheimnisvoll-urtümlichen Natur Schottlands, die er gern in ‚keltischen Romanzen‘ dargestellt hätte; doch das gelang ihm erst, als ihm bei einem Aufenthalt dort auf einmal – wie er selbst sagte, ‚ready made‘ – der weibliche Name FIONA McLEOD in den Sinn kam: unter dem dann diese Werke entstanden – von denen kein geringerer als der spätere Literatur-Nobelpreisträger YEATS schrieb ‚ihre Kunst ist von jener großen Art, welche auf Offenbarung beruht und mit unsichtbaren und ungreifbaren Dingen zu tun hat’…“

S: „Nun ja, eben ein – wenn auch zugegeben etwas seltsam gewähltes – Pseudonym – „
E: „In diesem Fall doch wohl mehr: ‚ich kann mir so vom Herzen schreiben, wie ich es niemals tun könnte als William Sharp …‘ notierte er, und später ‚immer ausgesprochener werden W.S. und F.M. zwei Personen, bald vereint im Geist und zusammen ein Wesen, bald deutlich voneinander unterschieden‘ – schließlich wechselte er, wie seine Frau berichtet, sogar an jedem seiner Geburtstage Briefe mit ‚FIONA‘, in denen er ‚ihr‘ seinen Dank für die schöpferischen Quellen sagte, die sie ihm eröffnet habe – und ’sie‘ ihm darauf antwortete – „

S: „Ach – eine wirkliche Frau hatte er also auch?!“

E: „Wieso nicht? Sind Sie immer noch auf dem Trip, Umgang mit der Anima hätte zwangsläufig eine Art Entmannung zur Folge? Er war sogar sehr glücklich verheiratet – übrigens mit seiner Cousine – „

S: „Und was hielt die nun aber von ‚FIONA‘?“

E: „Offenbar sehr viel: denn in der Tat wurde die Identität von ‚FIONA McLEOD‘ mit WILLIAM SHARP, die vorher niemand geahnt hatte, überhaupt erst durch das Memoir zu seinem Andenken bekannt, das sie 1910 nach seinem Tod veröffentlichte…“

S: „Na schön – aber ich weiß jedenfalls nicht, ob ich in einer Art Dreiecks-Ehe mit einem Mann und seiner personifizierten Anima leben möchte, mit der er seelenvolle Briefchen wechselt – „

E: „Dann dürften Sie aber überhaupt keinen Autor heiraten, der mehr als pure Reportagen schreibt – denn sobald in seinen Werken auch Frauen vorkommen, die irgendetwas tun, sagen oder fühlen, das e r sich ausgedacht hat: wo ist da eigentlich noch der Unterschied zur ‚Fiona‘, mit der Sharp Zwiesprache hielt? Man macht sich meist doch gar nicht klar, dass die meisten großen ‚Frauengestalten‘ der Literatur – vom Gretchen im Faust bis zu Ibsens Nora – eben gar k e i n e ‚Frauen‘ sind: sondern nur die Autoren selbst in ihrem Versuch, ‚Frauen darzustellen‘ – und wie weit sind wir da eigentlich noch von Mary und Gordy?!“

S: „Na ja – das liegt aber doch nur daran, dass die Literatur eben
Jahrhunderte hindurch nur von Männern dominiert worden ist und die wirklichen Frauen nicht zu Wort kommen ließ – au verdammt, nein, umgekehrt ist’s ja genau so schlimm: der Rhet Butler in ‚Vom Winde verweht‘ ist in Wirklichkeit auch nur Mrs. Mitchells Animus in Hosen – und da die Männer in den Büchern unseren modernen Autorinnen ja genausowenig ‚echt‘ sind, werden wir entsprechend viel davon für ein ’neues Verhältnis von Frau und Mann‘ profitieren! Das ist allerdings ein echter Hammer: die ganze Weltliteratur als Transvestiten-Show – !“

E: „Sagen wir vielleicht etwas milder: als ständige ‚Anima‘- oder ‚Animus-Evokation‘! Seltsamerweise habe ich das ausgerechnet so klar bei einem Dichter formuliert gefunden, der heute fast unzeitgemäß ‚mannhaft‘ erscheint – dem Offizier und Landedelmann Börries von Münchhausen im Prolog zu seinen ‚Balladen und ritterlichen Liedern‘, wo er schrieb:
‚Männer schuf ich und schuf stille Frauen
Und erlöste Mann in mir und Weib,
Denn mit wunderlichen Selbstvertrauen
gab ich meine Seele jedem Leib… ‚
Das eigentlich ‚Magische‘ ist für mich dabei aber: nach allen ‚Regeln der Kunst‘ muss es doch schiefgehen, wenn jemand über etwas schreiben will, was er selbst nie erlebt hat – ein echter Kriminalkommissar findet einen Schnitzer nach dem anderen bei seinen erdachten ‚Kollegen‘ in Kriminalromanen – und wer selbst mal Manager war, muss meist darüber grinsen, wie sich Autoren das ‚Managen‘ vorstellen! Warum aber schüttele ich dann nicht auch ständig den Kopf über die männlichen Hauptpersonen in ‚Vom Winde verweht‘ – wieso protestieren Schauspielerinnen nicht laufend, dass sie sich als wirkliche Frauen mit den erdachten Frauengestalten männlicher Autoren doch gar nicht identifizieren könnten? Wieso hat jede von ihnen im Gegenteil sogar gerade da ‚Traumrollen‘, die sie unbedingt einmal ‚verkörpern‘ möchte – warum würden viele Männer gern Rhet Butler sein? Fasziniert sie gerade der – wie Sie so nett sagten – ‚Animus in Hosen‘, oder die Schauspielerin all die ‚Animas in Röcken‘?“

S: „Sie meinen – ‚erweitert‘ es nicht nur das Ich des Autors, wenn er sein gegengeschlechtliches Seelenteil ‚evoziert‘: sondern auch unser eigenes, wenn wir uns dann – eben gerade als Person des anderen Geschlechts – darin gespiegelt sehen? Da ist sicher etwas dran: ich glaube zum Beispiel, dass die meisten Frauen, wenn sie die Wahl hätten, sich von einer anderen Frau – oder aber von einem Mann portraitieren zu lassen, lieber sehen würden, wie ein Mann sie ’sieht‘ – „

E: „Da geben Sie mir gleich wieder ein Stichwort: das berühmteste ‚Frauenportrait‘ aller Zeiten ist ja wohl die Mona Lisa mit ihrem geheimnisvollen Lächeln. Nun hat aber jüngst die US-Computerspezialistin LILLIAN SCHWARZ ein Rötel-S e l b s t-Portrait LEONARDO DA VINCIs – da er ja meist in Spiegelschrift schrieb – gleichfalls seitenverkehrt gespiegelt und dann Punkt für Punkt mit dem Gesicht der ‚Mona Lisa‘ verglichen: und ohne Bart- und Brauen-Haare lagen Haaransatz, Augen, Wangen, Nase – und die weltberühmten Lippen! – exakt übereinander! Hat Leonardo da in Wirklichkeit ’seine gespiegelte Anima‘ gemalt?“

S: „Also – da würde ich aber nun nicht zuviel hineingeheimnissen! Vielleicht hat er auch bloß – rein technisch – vor dem Spiegel mal Licht und Schatten auf seinen eigenen Lippen skizziert, um diese spezielle Art von Lächeln (das die arme Lisa beim stundenlangen Modellsitzen ja nicht dauernd gezeigt haben wird!) richtig hinzukriegen – „

E: „Aber wäre es selbst dann nicht eigenartig, dass ausgerechnet dieses ‚männliche‘ Lächeln auf weiblichen Lippen die Menschen nun seit Jahrhunderten derart fasziniert? Wirkt da nicht doch wieder irgendwo die Magie der evozierten Anima?“

S: „Nun ja – dass schöpferische Künstler oft auf die innere Kraftquelle ihrer Anima – und Künstlerinnen dann wohl auf die ihres Animus zurückgreifen, und dass die sich dann auch, mehr oder minder deutlich, in ihren Werken spiegeln: das könnte man ja nun auch so verstehen, dass man eben in jeder ‚Schöpfung‘ eine Art von ‚Zeugungsakt‘ sieht, bei dem ‚männliche‘ und ‚weibliche‘ Elemente einander befruchten ?“

E: „Genau das war ja nun ein zentraler Gedanke aller ‚gnostischen‘ Lehren der Spätantike – und von der ‚Gnostik‘ führen ja nun direkte Wege zur ganzen mittelalterlichen Magie wie auch zur Alchymie: wo ‚Hermaphrodit‘ oder ‚Androgyn‘, mannweibliche Doppelwesen, immer wieder als Symbole der ‚Materia prima‘ – oder des ‚Steins der Weisen‘, der aus ihr entsteht – auftauchen – „

S: „Was Sie nun sicher gleich wieder als pure ‚Animagie‘ deuten wollen?! Aber statt dass Sie mir jetzt in das weite Feld der Alchymie davonpreschen, möchte ich doch lieber das weiterverfolgen, was ich eben eigentlich im Sinn hatte: schöpferische Künstler – oder auch alchymistische Adepten – mögen ja nun wirklich recht intimen Umgang mit ihrem ‚gegengeschlechtlichen Seelenteil‘ haben. Aber wo bleiben dabei nun gewöhnliche Sterbliche, die nicht immer gleich unsterbliche Werke oder den Stein der Weisen schaffen?
Könnten auch die ihre Anima oder ihren Animus evozieren – und wie?“

E: „Sie meinen sozusagen ‚Animagie für den Hausgebrauch‘?
Da gäbe es neuerdings eine ganze Menge von Möglichkeiten: zum Beispiel wurde jetzt eine Art Computerspiel ‚Alter Ego‘ populär, in dem man als Mann oder Frau einmal ein ganz anderes hypothetisches Leben durchspielen kann (übrigens auch ein sehr ‚magisches‘ Konzept, das Sie in vielen alten Legenden finden); da brauchten Sie nun nur die Diskette für das andere Geschlecht einzulegen – um zwangsläufig ihren Animus ‚ins Spiel zu rufen‘.
Oder: gerade vor kurzem hörte ich von einem Fotobuch der Fotografin SYLVIA VOSER, ‚Identity‘ – mit dem Untertitel ’27 Männer und Frauen entdecken sich in der eigenen und der anderen Geschlechtsrolle’…“

S: „Schon interessant – aber Computer und Fotos haben ja nun schwerlich eine lange ‚magische‘ Tradition?“

E: „Da könnte ich Ihnen zwar auch gründlich widersprechen: vom ‚erzenen Haupt‘, das alle Fragen beantwortet (und das von Albertus Magnus bis zu Gerbert d’Aurillac so ziemlich allen mittelalterlichen Weisen zugeschrieben wurde) bis zur ‚magischen‘ Scheu des Naturmenschen vor dem Fotoapparat, der mit seinem Bild auch seine Seele einfangen könnte! Aber in gewissem Sinne haben Sie schon recht: nur kommen wir dann eben zu dem Thema, an das Sie vorhin partout nicht heranwollten – die jedermann zugänglichen ‚Hausmittel‘ zur Evokation von Anima oder Animus waren eben von altersher die Kleidungstücke des anderen Geschlechts!“

S: „Aber wenn es für jemand nicht bloß ein Jux ist, die anzuziehen, sondern bitterernst: ‚Fetischismus oder ‚Transvestitismus – dann sind das doch sexuelle Perversionen – keine Magie!“

E: „Entschuldigung – aber das ist ja nun reines Wortgeklingel: ’sexuell‘ heißt doch nur, dass hier irgendwie das Geschlecht im Spiel ist – und ‚Perversion‘ eigentlich bloß ‚anders als gemeinhin üblich‘! Nach dem Schema könnte ich mit gleichem Recht etwa Astrologie eine ‚astronomische Perversion‘ nennen – oder sogar, da ja die meisten Menschen eher Horoskope lesen, als wirklich Sterne beobachten, die Astronomie eine ‚astrologische Perversion‘! Ich fände es viel aufschlussreicher, wenn wir diese Fälle statt dessen einmal nach ‚magischen Konzepten‘ betrachten: trägt dann der Mann, der unter seiner ’normalen‘ Kleidung ein Stück Damenwäsche anhaben muss, nicht eigentlich ein ‚Anima-Amulett‘ – das ihn irgendwie der ständigen helfenden ‚Präsenz‘ seines weiblichen Seelenteils versichern soll?
Oder vollzieht – im anderen Extrem – jener, der sich hinter verschlossenen Türen vor dem Spiegel in stundenlanger Andacht Punkt für Punkt, vom falschen Busen bis zu Make-up und Perücke, als elegante Dame herrichtet, nicht ein regelrechtes ‚Evokations-Ritual‘: in dem seine Anima schließlich ganz analog sichtbar ‚erscheint‘, wie ein heraufbeschworener Geist oder Dämon?“

S: „Nun – meinetwegen: aber dann müsste sie ja auch irgendwas entsprechend wunderbares für ihn tun?“

E: „Darf ich mal wieder zitieren – nicht etwa einen sanften Poeten, sondern einen 31jährigen Eisenbahnangestellten: ‚Die wunderbare Wirkung der Frauenkleider ließ mich noch den nächsten Tag bei der Arbeit zittern. Die Welt erschien mir klar, friedlich und heiter. In einem Glücksrausch ging ich unter den verlöschenden Sternen zur Arbeit. Obwohl ich nur die Hälfte meiner Energie anwandte, verrichtete ich die Arbeit von drei Personen…“‚

S: „Entschuldigen Sie – das klingt aber für mich doch eher wie ein schwärmerisches Frauenzimmer!“

E: Oder noch ein Zitat: ‚Durch die geheimnisvolle Kraft dieses Gewandes‘ – diesmal eine enganliegende schneeweiße Robe, fußlang und mit einem Gürtel gebunden, über seidener Unterwäsche – ‚lege ich einen Schutzpanzer des Heils an, die Kraft, mein Vorhaben zu vollbringen…“
‚ S: „Anscheinend allemal gleich pathetisch!“

E: „In der Tat verblüffend ähnlich: nur war das diesmal die Beschreibung der Kleidung, die laut dem 4. Buch von AGRIPPA VON NETTESHEIMs ‚Okkulter Philosophie‘ der Magier zu seinem Ritual anzulegen hat – und die Formel, mit der er sich dann seinem Werke weiht, aus dem berühmten Grimoire ‚Lemegeton – oder der kleinere Schlüssel Salomos‘.“

S: „Bei Salomo: das hätte ich doch ahnen müssen, dass Sie – oder Ihre raffinierte Anima? – mich schließlich mal wieder richtig hereinlegen würden! Aber ich muß mich geschlagen bekennen: Gewänder sind also wirklich auch etwas ‚Magisches‘ – und anscheinend sogar umso mehr, je femininer sie sind! Aber wieso nun gerade das?“

E: „Dazu hat nun der Historiker ROBERT GRAVES – Sie wissen: ‚Ich, Claudius, Kaiser und Gott‘ und so weiter – in seiner Darstellung der griechischen Mythen eine interessante These aufgestellt: in der Jungsteinzeit, führt er aus, stand die gesamte Religion noch allein im Zeichen der ‚Großen Göttin‘ – deren Kult, eng mit dem des Mondes verbunden, damals ausschließliche Domäne der Frau war: während die Männer sich nur mit harmloseren Dingen wie Jagen, Fischen, Viehhüten und, gelegentlich, Kämpfen befassen durften. Die jeweilige Mond-Priesterin erwählte zwar periodisch eine Art ‚Prinzgemahl‘ – der aber anfangs nach Ablauf seiner ‚Amtszeit‘ regelmäßig bei Fruchtbarkeitsriten sein Leben opfern musste (bìs diese Amtszeit allmählich immer weiter verlängert und endlich zum Königtum auf Lebenszeit wurde). Zunächst durfte er die Priesterin aber höchstens gelegentlich bei manchen ihrer magischen Funktionen vertreten, wenn sie ihm dazu gestattete – jetzt kommt es – i h r e magischen Roben anzulegen, mit denen auch ihr ‚Mana‘ zeitweise auf ihn überging!“

S: „Holla – steckt das etwa sogar noch in der heutigen ‚Investitur‘ des Priesters: der ja, wenn ich’s mir recht überlege, auch eine Art ‚feminine Robe‘ anbekommt?“

E: „Ganz bestimmt spiegelt es sich jedenfalls – sagt GRAVES – noch in der höchst seltsamen Episode des Herkules-Mythos, in der ausgerechnet dieser antike ‚Super-Mann‘ im Dienst der Königin Omphale Löwenfell und Keule ablegt und statt dessen an ihrem Hof in Frauengewändern, mit weiblichem Schmuck und Kopfputz am Spinnrocken sitzt: was dann die ‚klassischen‘ griechischen Schreiber später nur noch als Allegorie dafür verstehen konnten, dass eben selbst ein öffentlicher Held zuhause manchmal zum bloßen ‚Pantoffelhelden‘ werde (in der Tat verdrosch ihn nämlich Omphale angeblich, wenn er mit seinen Heldenpratzen den Spinnfaden zerriss, mit ihrem goldenen Pantoffel).
OVID allerdings gab für diese Überlieferung eine ‚Erklärung‘ eher im Stil einer französischen Schlafzimmer-Farce: danach hätte Omphale nämlich bloß den nach einer heißen Liebesnacht eingeschlummerten nackten Herkules mit ihrem seidenen Gewand zugedeckt zurückgelassen, als der Gott Pan, der sich in Omphale verliebt hatte, in das dunkle Gemach schlich, die Gestalt unter der Seide zärtlich umarmte – und prompt von dem erwachenden Herkules mit einem gewaltigen Fußtritt hinausbefördert wurde; nur aus Rache für diese Blamage habe Pan dann überall herumerzählt, der Heros laufe neuerdings perverserweise in Frauenkleidern herum!“

S: „Wahrhaftig – fast so eine Szene gab’s doch in ‚Manche liebens heiß‘ auch: nur hatte ich keine Ahnung, dass sie so ein ‚klassisches Vorbild‘ hatte!“

E: „Ja – an diesem Beispiel können Sie aber nun fast wie ein Archäologe bei einer Ausgrabung die einzelnen ‚historischen Schichten‘ der Reihe nach ‚abtragen‘ – oder wenn wir mal umgekehrt ‚von unten‘ anfangen:
Der ursprüngliche Zusammenhang – wo es für den Prinzgemahl der Mond-Priesterin in der Tat eine hohe Ehre (und wahrscheinlich sogar ein profundes ‚magisches Erlebnis‘) war, sie in ihren Roben ‚vertreten‘ zu dürfen – war in der Zeit des Patriarchats bereits völlig ‚zugeschüttet‘: da erschien es vielmehr als eine ausgesprochene Peinlichkeit, einen männlichen National-Heros in Frauengewändern ‚erniedrigt‘ zu sehen – und da er so etwas nun auf Herkules nicht sitzen lassen wollte, ließ sich OVID anstelle dessen eine bloße Kleider-Verwechslungs-Komödie a la ‚Charleys ‚Tante‘ einfallen: womit dann auch Ihre entrüstete Frage von vorhin beantwortet wäre, ob ich Ihnen etwa solche Schwänke als ‚Beispiele für Animagie‘ offerieren wolle!
Tatsächlich können Sie aber z.B. in der Filmkomödie ‚Tootsie‘ das Urmuster sogar noch unverfälschter wiedererkennen: wenn der kleine Schauspieler auf einmal – sobald er sich (‚aus bloßem Jux‘?) ins Damenkostüm geworfen hat – als ‚großer Star‘ herauskommt: ist das nicht das frappierende Gegenstück zu unserem ‚Prinzgemahl‘ unter dem magischen Mana der Priesterinnen-Robe?!“

S: „Ich kapituliere – Sie haben’s wieder mal geschafft: und sogar so ganz en passant auch noch erklärt, warum das Haus zwar ausverkauft ist, wenn sich ‚Mary und Gordy‘ als ‚Damen‘ präsentieren – während kaum ein Hahn danach krähen dürfte, wenn zwei Frauen als ‚Herren-Imitatoren‘ auftreten wollten…“

E: „Entdecke ich da bei Ihnen gar eine neue Spielart feministischen Unmuts?! Dann bedenken Sie aber gerechterweise auch, dass diese ‚Asymmetrie‘ ja nun gerade auf eine Menschheitsperiode zurückgeht, wo offenbar eben wir Männer eindeutig ‚im zweiten Rang‘ standen! Aber vielleicht tröstet es sie, dass auf altägyptischen Reliefs umgekehrt auch die Königin Hatschepsut – um ihre Pharaonenwürde anzudeuten – mit einem Spitzbart dargestellt wurde und wahrscheinlich zu zeremoniellen Anlässen auch wirklich einen solchen falschen Bart tragen musste?“

S: „Was zumindest heutigen Königinnen und ähnlichen Würdenträgerinnen erspart bleibt – während ihr bedauernswerten Männer euch noch immer in wallende Roben hüllen müsst, um als Pfarrer, Kardinäle, Richter, Magier oder Gurus wenigstens ein Stückchen von unserem ‚Animana‘ abzuzweigen? Falls Sie sich nicht überhaupt gleich für Ihr nächstes Ritual etwas von meiner Garderobe ausborgen möchten – ?!“

E: „Vielen Dank – aber da Sie, wie ich konstatiere, gerade einen sehr schicken Hosenanzug tragen, wäre ich mit dem dann ja auch nicht weiter als schon in meinen Herrenhosen – „

S: „Touche – wollen Sie sagen: wir Frauen evozieren in unserer Kleidung ja heute schon unseren ‚Animus‘ ganz routinemäßig, während ihr Männer euch das bei eurer Anima noch immer höchstens in Ausnahmefällen traut? Vielleicht sollten wir uns als Zeichen der Gleichberechtigung auch gleich noch falsche Spitzbärte a la Hatschepsut zulegen … ?
Aber damit haben Sie mich jetzt noch auf was ganz anderes gebracht: wenn – wie Sie sagen – nun zur ‚vollen‘ Frau eben auch ihr ‚Animus‘ gehört – dann müssten Sie ja in Ihrer ‚Anima‘, um sich mit ihr wirklich auf die Frau einstimmen zu können, gleichfalls wieder ein korrespondierendes Unter-Stückchen ‚Animus‘ haben: und das müsste dann, da es ja dem Mann entsprechen soll, auch wieder eine Unterabteilung ‚Anima‘ haben – und so weiter in einer unendlichen Schachtelfolge, an der ESCHER oder HOFSTADTER ihre Freude hätten! Und um das übrigens – im Sinne magischer ‚Korrespondenz‘ – zu symbolisieren: müßten Sie sich dann nicht eben gerade doch meinen Hosenanzug ausborgen?“

E: „Donnerwetter – jetzt hat sich unser Gespräch aber wirklich gelohnt: Sie haben natürlich völlig recht – mein ‚Resonanzkreis‘ für das Weibliche müsste mir natürlich auch sagen, wie nun wiederum die Frau auf mich reagieren würde: das heißt aber doch, welche Resonanz ihr ‚Animus‘ gegenüber mir hätte – schließlich schrieb ja nicht nur SHARP Briefe an ‚FIONA‘, sondern ‚FIONA‘ schrieb ja auch an ihn zurück, obwohl ’sie‘ ja im Grund ’seine‘ eigene Anima war! – und das geht ja eigentlich nur, wenn auch in meiner eigenen Anima wiederum ein Animus-Resonanz-Element steckt…
Das sind ja ganz neue Perspektiven – denn zu alledem müsste es ja auch die entsprechenden ‚animagischen‘ Gegenstücke geben: wäre eine derart ‚androgyne Anima‘, in der auch wieder ein ‚Animus‘ steckt, und in dem wieder dessen ‚Anima‘ usf. – bzw. ihr Widerpart bei der Frau – etwa nun tatsächlich der ‚Stein der Weisen‘, in dem die Gegensätze zusammenfallen – ‚coincidentia oppositorum‘ – nicht indem sie sich gegenseitig ‚auflösen‘, sondern sich gleichsam unendlich ineinander verschränken? Und wäre es diese unendliche Verschränkung, die sich etwa in den -zig mal zu wiederholenden Operationen des ‚magnum opus‘, des ‚Großen Werks‘ der Alchymie spiegelt?
Darüber muss ich erst mal gründlich nachdenken – und wenn unser Gespräch, mit seinem parallelen Dialog auch zwischen Ihrem Animus und meiner Anima, mich dazu angeregt hat, kann ich mich nur bei allen (zwei, vier – oder unendlich vielen?) Beteiligten dafür bedanken … „

HEKATE – „Senior“ plus „Seniorita”

Interview mit einem eigenwilligen Alt-Crossdresser

Unter dieser Überschrift ist ein Interview mit meiner lieben, klugen Freundin Hekate in dem Buch „Geliebtes alter Ego“ von Daggi Binder erschienen, zu dem Hekate ein lesenswertes Vorwort geschrieben hat.

Mein geliebtes alter ego

Cover des Buches von Daggi Binder

„Welche Freude, wenn es heißt:
Alter, du bist alt an Haaren,
blühend aber ist dein Geist!“
(Lessing, Die 37. Ode Anakreons)

FRAGE: „HEKATE” – das klingt sehr altertümlich ?

HEKATE: Durchaus mit Absicht! Denn da gab es bei Robert Graves – das war auch der mit „Ich, Claudius, Kaiser und Gott” – eine faszinierende These zu den griechischen Mythen: Einst, In der übergangszeit vom Matriarchat zum Gottkönigtum, durfte der Prinzgemahl der herrschenden Mondpriesterin sie bei bestimmten Riten vertreten – aber nur, wenn er ihre geweihten Roben anlegte! Und die „Hekate” der Griechen war eine direkte Nachfolgerin der uralten Mondgöttin.

Hekate

F.:Also eine Art Schutzpatronin Deines Crossdressing?

H.: Ja – es passt alles so schön: geboren bin ich im Zeichen des Krebses, das traditionell der (als weiblich geltende) Mond beherrscht – doch der stand da genau in Opposition zur (männlichen) Sonne. Die griechische Hekate konnte „zwischen den Welten reisen” – gerade so wie ich! – und wurde dreigestaltig dargestellt: als zarte Maid, reife Frau und alte Vettel – und ich hab mich meiner Mutter zum ersten Mal, allerdings schon als „femme fatale”, mit 12 Jahren präsentiert, die meisten meiner Damenbilder zeigen mich mit 40 bis 45 Jahren, doch heute bin ich 77…

F.: Noch immer „aktiv”?

H.: Dazu nachher mehr – der Name soll zudem aber andeuten, dass ich eben keine „KISS-ME-KATE” bin, sondern eine „HE-KATE”! Ich frag mich oft, warum andere Crossdresser kaum analog „doppelbödige” Namen wählen – o.k., eine „Schöne HE-LENA” wär vielleicht etwas happig: aber, um mal bloß bei A zu bleiben, warum keine „ERANITA”, „ERANNY” oder „ERANNETTE”?

F.: Also „Gleichberechtigung” des Männlichen schon im Namen?

H.: Warum nicht? Ich verstünde zwar voll , wenn unsere „verwunschenen Prinzessinnen”, die Transsexuellen, nach ihrer „Erlösung” jede Erinnerung an den einstigen „Mann” auslöschen wollten. Aber warum sollten Crossdresser, die stolz darauf sind, sich ihres „weiblichen alter ego” nicht mehr zu schämen, nun andererseits ihr „männliches alter ego” wie etwas beinahe Ehrenrühriges verstecken? Ich z.B. hab als Manager und Freiberufler, Gatte und Vater traditionell „männliche Rollen” ebenso freudig ausgefüllt, wie ich dazwischen gern „Hekate gespielt” habe! Mir hat an dem Projekt hier von Anfang an imponiert, dass alle Teilnehmer ihre in beiden „Versionen” gleich offen präsentieren – in der Tat gehören ja auch beide zu unserer Persönlichkeit!

F.: Deshalb „präsentierst” Du Dich sogar gern auf dem gleichen Bild als Frau und als Mann – wie nebenan als „Diskussions-Partner”?
Animagie

Doppelte Hekate auf dem Titelbild des wundervollen Animagie-Dialoges, der hier als Download zu finden ist.

H.: Dort sollte das zwar zwei ganz bestimmte Typen „portraitieren” (wobei der weibliche davon nicht unbedingt mein „Ideal” war!). Aber ich gebe gern zu, meine beiden „alter egos” mögen einander – besonders nachdem ich vor vielen Jahren Witwer wurde – sehr gern: wofür die einige Psychologen eine neue grässliche Perversion erfunden haben, die „Autogynephilie”! Das Seltsame dabei ist nur: wenn die beiden „egos” einander im Gegenteil partout nicht ausstehen könnten, wäre das zwar keine Perversion, aber dafür eine Psychose – kurz verliert und lang bezahlt!

F.: Bei Dir weiß man oft nicht, wo der Ernst aufhört und der Spaß anfängt?!

H.:Oder umgekehrt – beides wie im Leben auch! Das gilt z.B.: von dem, was ich „den Mut zum schiefen Maul” nennen möchte: wie oft wollen wir doch bitterernst auf Fotos so „schön” oder „sexy” wie möglich wirken – aber wenn auch Regisseure fest zu glauben scheinen, in komische Situationen gerieten prinzipiell nur dicke oder schinakelige Frauen – das Leben lehrt, dass auch hübsche Mädchen oder schöne Damen mal ausrutschen und hinfliegen oder sonst was Groteskem zum Opfer fallen können: und ich habe es immer für den wahren Test meiner eigenen Fähigkeiten gehalten, selbst dabei noch immer möglichst „weiblich“ zu wirken und nicht wie ein „verkleideter Mann“. Warum trauen sich nicht mehr Crossdresser, öfter auch mal solchen Ulk auszuprobieren? Da könnte vielleicht vieles netter, lustiger und natürlicher wirken als in der 137. „Model“-Pose …

F.:Aber Du wolltest noch verraten, ob Du auch heute noch „crossdresserisch” aktiv bist?

H.: Von einem berühmten japanischen Kabuki-Schauspieler wurde erzählt, er habe sich erst im hohen Alter reif genug gefühlt, graziöse junge Mädchen ideal darzustellen. So talentiert fühle ich mich nicht: wenn ein Jubelgreis sich als alte Schachtel oder gar als Spätlese-Teenager herrichten wollte, muss nicht mehr unbedingt ein Kunstwerk herauskommen – auch wenn er das noch immer möchte! Als ich 70 wurde, hab ich das Problem mit meinem „geliebten Alter Ego” durchgesprochen – und es sagte mir: Schau – in der Lebensmitte hatten wir zwar zusammen eine schöne Zeit – aber eine schöne Jugend hab ich, in Drittem Reich, Krieg und Nachkriegszeit, nie gehabt ! Doch jetzt gibt’s Computer, Bildbearbeitung und wunderschöne Programme zum Testen von Make-up und Frisuren – warum „creierst” Du mir damit nicht, aus Deinen Jugendfotos, nachträglich das „ideale Jungmädchen-Leben”, das wir versäumt haben?!

F.: Also „virtuelles Crossdressing” am Bildschirm?
Junge Hekate

In der Oper

Hekate als Mädchen

H.: Ich weiß, dass „ge-fake-te” Bilder bei den meisten Crossdressern nicht hoch im Kurs stehen (verständlich, falls einer Pfunde wegschwindeln will, indem er seinen Damenkopf auf den Körper der „Miss Universum” setzt!) -aber hier ist das doch etwas anders: da wird ein Stück Lebensgeschichte „rekonstruiert”, die möglich gewesen wäre – ähnlich,. wie wenn z.B. ein Autor eigene „Jugend-Möglichkeiten” in einem Roman durchspielt: das würde man kaum ein „fake” nennen – sondern eher „creative Umsetzung”!

F.: Wäre das auch Deine Empfehlung für andere Crossdresser im Alter?

H.: Götter, wer bin ich, anderen was zu „empfehlen”?! Immer älter werden wir zwar alle – aber fertigwerden muss damit jede(r) auf seine eigene Art!

Für mich jedenfalls war meine durchaus erfolgreich: etwa konnte ich so bei einer sehr lieben Verwandten (einer keineswegs verklemmten, aber von Natur eher keuschen Jungfrau-Geborenen – das gibt’s) nach vielen Jahrzehnten endlich mein weibliches Alter Ego „outen” – als „virtuelles Schwesterchen” nahm sie es sofort in die Familie auf: ja als ich ihr jüngst zum 91. Geburtstag eine Karte ausdruckte, auf der gleich vier unterschiedliche solche Schwesterchen ihr im Reigen gratulierten, ging diese im Kreis der eingeladenen alten Damen von Hand zu Hand – und alle fanden den Einfall und seine Ausführung „entzückend”: auch ein kleiner Sieg auf dem Weg zu Akzeptanz des Crossdressing!

F.: Hekate – vielen Dank für Deine Anregungen und dies Gespräch!

HEKATES Abschied vom Forum

Anm. Jula: bereits im Krankenhaus liegend übermittelte Hekate diesen Text über ihre Freundin Elle an die Forist*innen

Hekates Communiqué an die Gemeinde « am: 29. August 2007, 01:07:00 am
Folgende Zeilen hat mir Hekate heute in die Feder gesprochen…

Liebe Gemeinde,

erst jetzt komme ich endlich dazu, Euch einmal persönlich anzusprechen, nachdem ihr Euch in der Zwischenzeit mit Communiqués von Freundinnen begnügen mußtet.

Da ich nichts davon halte, Dinge zu verschönern, die nicht besonders schön sind, hier kurz und brutal die Sachlage: Ich habe ein inoperables Karzinom in der Lunge, das nicht auf Bestrahlung und -wie wir inzwischen wissen- auch nicht auf Chemotherapie anspricht. Die weitere Entwicklung ist dem Schicksal überlassen.

Dies ist keine Tragödie, mitten aus dem vollen Leben heraus gerissen zu werden, auch wenn man noch viele Dinge vor sich hat. Ich hatte ein langes, schönes und in vielem auch erfolgreiches Leben, das ich Jedem von Euch auch gönnen würde.

Ein Schock, wie beim Kaninchen vor der Schlange ist überflüssig, so etwas mag es geben, wenn man mitten aus einem aktiven Leben haraus gerissen wurde. Mit neunundsiebzig Jahren kann man sich damit abfinden, den Rest in Ruhe zu erleben. Ich freue mich, daß mir meine letzten Jahre noch Gelegenheit gaben, so viele liebe Menschen wie Euch kennen gelernt zu haben und vielleicht dem Einen oder Anderen noch eine Freude gemacht zu haben und will versuchen, dem Wahlspruch meines Lieblingsautors Curt Goetz nachzueifern:

„Das Höchste wäre es, mit Humor sterben zu können.“

Ob es mir gelingt, weiß ich noch nicht, werde mir aber Mühe geben.

Die Zeit, die mir noch bleibt, werde ich versuchen, zusammen zu tragen, was Euch und uns von Nutzen sein kann. Um einem das Leben nicht unnötig schwer zu machen, hört sich gut an, ich habe nur meinen Zweifel, ob dies von Erfolg gekrönt ist.

In diesem Sinne übergebe ich Euch das nicht gerade vollständige, teilweise skandalöse, aber zum Teil auch vielleicht für Manche nützliche Vermächtnis der

ollen Hekate

Antwort #1

Deine Hellsichtigkeit und Dein unpathetischer Ton machen die Nachricht nicht weniger traurig, auch wenn Du es uns leichter machen möchtest.

Insoferne hoffe ich, da ich ja nicht glaube, auf einen Zufall, einen Irrtum, eine Laune der Natur, die Dir plötzlich doch weiteren Aufschub, mehr Kredit, vielleicht bloß mehr Überzugsrahmen gibt. Das Schicksal hat ja keinen Witz, aber hin und wieder feinen (?) Humor…

Was immer nun gewünscht werden kann, wünsche ich Dir, Hekate, vor allem aber, daß Du Deine bewundernswert würdige Weise nicht zu verlieren brauchst, was auch kommen mag.

Mit Kotau, C

[fett| ]

Antwort #2

Hekate!

Ich finde die Zeilen aus deinem Munde großartig, wenn nicht sogar grandios. Ich hoffe, dass du dir diese entspannte Haltung bis zum Schluss aufheben kannst, das es geht habe ich schon miterlebt. Mach das was dir Spaß macht und ärgere die Zivis und Schwestern nicht so doll!

Gute Reise und weiche Landung!
wünscht
Die Sarah :*

Antwort #3

Mach keinen Mist, Hekate! Kannst dich doch hier nicht einfach so davonstehlen wollen. Nee, nee, das geht nicht; schließlich wirst du hier noch gebraucht.

Ohne deine hilfreiche Hand kommt der Schüttelreimthread gar nicht weiter, und deine klugen Ausführungen fehlen in allen anderen Threads auch. Also reiß dich zusammen und beehre uns weiter mit deiner Weisheit!

Aber egal, was du planst oder wozu du gezwungen wirst: behalte deine Gelassenheit. Dein Weisheit wird dich ohnehin nie verlassen!

Cyrano, ein Fan…

Antwort #4

schön, daß Hekate einen Gruß für Alle hat. Es waren ja schon Einige bei ihr zu Besuch und manche nahmen und nehmen sogar ne lange Anfahrt in Kauf.

Hoffentlich schafft Hekate es öfter uns von Zeit zu Zeit mit ihren zauberhaften Nachrichten zu erfreuen.

Gibt es eine bessere Form mit dem Leben fertig zu werden, als mit Liebe und Humor? (Charles Dickens) Wenn man dem dicken Charles glauben kann (ich tus) dann ist Hekate auf dem richtigen Weg

Antwort #5

Hallo Hekate,

ich hoffe wir lesen noch viel von Dir, auch wenn die Zeit davon tickt.

Vielen Dank auch noch für die Fotomontagen die Du mir seinerzeit geschickt hast. ich hab Sie immer noch.

Liebe Grüße Anna

Antwort #6

Die von Cristin angesprochene Würde ist etwas, was ich an Dir, liebe Hekate, in der Tat bewundere – neben dem Sinn fürs Geschriebene im Verbindung mit einem gewissen Augenzwinkern.

Ich freue mich auf Deine Beiträge!

Vanja

Antwort #7

Ohje.. Ich weiß gar nicht was ich hier schreiben kann, da ich eigentlich mehr die niemals ernste Spaßtranse bin. Aber diesen Beitrag zu ignorieren kann ich auch nicht. Ich wünsche dir einfach mal für jeden Tag einen neuen Geburtstag! Auf dass du noch viele Geburtstage feiern wirst

Alles liebe Jessica

Zitat von ﻪﺟاﻮﺧ ﻦﯾﺪﻟاﺲﻤﺷ ﺪﻤﺤﻣ ﻆﻓﺎﺣ یزاﺮﯿﺷ : Über Sein und Nichtsein sei Kummerlos und sorgenfrei; Denn von jedem Sein, wie hoch, ist Nichtsein das Ende doch. (aus dem Persischen von Friedrich Rückert)

Antwort #8

Hallo Hekate,

Dein beredtes Stillschweigen über einen längeren Zeitraum war für mich in letzter Zeit Anlass genug um mir Sorgen zu machen. Und wie recht ich hatte lese ich – leider – aus deinem Communiqué.

Wir beide sind ja – wie Du weißt – altersmäßig nicht allzuweit von einander entfernt. Ich sehe mit großer Erleichterung, dass Du mit Dir und dem was auch immer vor Dir liegt im Reinen bist.

Ich grüße Dich mit großer Hochachtung vor Deiner beispielhaften Kraft.

Herzlichst Claudia

Antwort #9

hallo Hekate, wie die richtigen worte finden? darüber zerbreche ich mir seit gestern den kopf. gibt es überhaupt die richtigen worte ? bestimmt! ich wünsche dir für den rest deiner zeit alles gute, viel kraft und stärke und vor allem liebe freunde die dich begleiten, lieben und unterstützen. verliere nie den glauben und behalte bis zuletzt deinen wunderschönen humor, der uns so sehr erfreut und verzückt. im moment ist mein herz ganz bei dir.

diana becks

Antwort #10

Nur zwei Dinge

Durch so viel Form geschritten, durch Ich und Wir und Du, doch alles blieb erlitten durch die ewige Frage: wozu?
Das ist eine Kinderfrage. Dir wurde erst spät bewußt, es gibt nur eines: ertrage – ob Sinn, ob Sucht, ob Sage –dein fernbestimmtes: Du mußt.
Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere, was alles erblühte, verblich, es gibt nur zwei Dinge: die Leere und das gezeichnete Ich.
Gottfried Benn

Antwort #11

Hallo,
Hekate hat heute von ihrer Tochter die hier versammelten Antworten auf ihre Worte überbracht bekommen. Sie hat sich riesig gefreut, wie sie sich auch über weitere Worte (und auch den einen oder anderen zukünftigen Besuch) freuen wird…

Herzlich,

Elle+++

Antwort #12

Bin jetzt endlich mal dazu gekommen, diesen Thread durchzulesen und fühle mich schmerzlich an meine Mama erinnert Ich wünsche Dir, liebe Hekate, auch wenn ich Dich nicht kenne, eine gute Landung, viel Liebe, und sag bitte meiner Mama, daß ich sie vermisse und ganz doll lieb habe.

Mehr kann ich momentan mit Kloss im Hals und verweinten Augen nicht sagen.

Liebe Grüße Die Orientalmaus

Antwort #13

Zitat von: Cyrano am 29. August 2007,16:38:50 pm […] Ohne deine hilfreiche Hand kommt der Schüttelreimthread gar nicht weiter, und deine klugen Ausführungen fehlen in allen anderen Threads auch. Also reiß dich zusammen und beehre uns weiter mit deiner Weisheit! […]

Liebe Hekate, ich kann mich meinen Vorrednerinnen und Vorrednern nur anschließen. Ich wünsch dir alles alles Liebe und Gute. Und wie Cyrano schon geschrieben hat … der Schüttelreimthread stagniert ein wenig. Ich mein´ ich bin auch ganz gut darin Auf alle Fälle mal besser als die anderen Mädels und Jungs hier im Forum . An deine Klasse reiche ich natürlich nicht ran. Insofern muss ich noch ein wenig in deine „Schule“ gehen und noch fleißig lernen … also erst mich noch ein wenig in Sachen „Schüttelreim“ unterrichten … und dann sehen wir weiter. Ich halte die Augen offen hier im Forum nach deinen grandiosen Beiträgen

[fett|Antwort #14]

Antwort #14

Also Frau Hekatner,
so geht das nicht … so nicht, gell!

Sie sind anscheinend net in der Lage die zur Gesundung geforderten 31.487 Millionen male ihr „Hecki Hecki Patang“ vernünftig aufzusagen. Stattdessen lassen sie sich vom Salber einen quacken und verfassen moribunde Communiqués.

Als 2. Beischläferinsitzerin des örtlichen Gesundsprechvereines kann ich ihnen nur raten, solch ein lächerliches Karzinömschen umgehend unter den Tisch zu trinken. Wenn die Abbarätschens des ihnen zugeteilten Kassenarztes versagen, hülft nur Hülfe zur Selbsthülfe. Geben sie dem vermeintlichen Schicksal einen ordentlichen Tritt in den Anus, damit es sich seiner Verantwortung bewusst wird und schauen sie mit starrem Blick nach vorne … dorthin wo die Tafel mit der Aufschrift „Tumor ist, wenn frau trotzdem lacht!“ hängt.

Ich schlage vor, dass ich die Sache einmal persönlich mit ihnen anlässlich meiner Nemberch-Vorortseiung am 22.9. bespreche. Bitte teilen sie ihren flinken Heroldinnen mit, ob meine Anwesenheit erwünschet sei.

Wokommerdenndasonsthin … Frau Babsner

Anspieltip: „You only live twice“ – Nancy Sinatra

Antwort #15

Liebe Hekate,

ich bin froh, daß wir uns noch kennen lernen konnten. Du hast mich sehr beeindruckt:

Dein interessantes Leben, Deine Anima und wie Du mit ihr umgegangen bist, Deine tollen/wissenschaftlichen/unterhaltsamen/lehrreichen/… Texte, Deine Lebensweisheit und vor allem Dein Geist und Humor.

Du bist ein großes Vorbild und wirst mir fehlen, ich werde Dich nicht vergessen und unsere Sache weiter vorantreiben.

Nach meinem Eindruck hast Du Deinen Humor, trotz Deiner Situation, nicht verloren. Ich bin mir sicher, daß Du Deinen Humor auch nicht verlieren wirst.

Ich wünsche Dir alles Liebe und Gute sowie noch eine schöne Zeit, laß es Dir richtig gut gehen.

Viele liebe Grüße
Maya

Antwort #16

Hallo Hekate,

ich habe eine Weile gebraucht um zu wissen ob ich was schreiben soll oder nicht. Denn gerade dieses Thema weckt in mir einige schmerzhafte Erinnerungen an verluste von Menschen die ich sehr geliebt habe. Dazu kommt, dass wir uns nicht wirklich kennen außer von ein paar Threads hier im Forum.

Jedenfalls schicke ich Dir all meine Kraft, damit Du weiterhin mit Deiner momentanen Einstellung Dein Leben genießt. Wie gesagt ich habe schon ein paar Menschen begleitet und diejenigen die den Mut und die Kraft hatten sich davon nicht unterkriegen zu lassen haben gute Zeiten verlebt.

Mit tiefen und herzlichen Wünschen Jennifer

Anm. Jula: Hekate konnte das Forum nie mehr besuchen. Vom Krankenhaus übersiedelte sie in ein Hospiz, wo sie kurze Zeit später verstarb.

Um 1940: Anima regt sich

Vorab: 4 Absätze “Theorie”… [Auszug aus einem meiner Artikel]

Die “ANIMA” bildet oft die gegengeschlechtliche (und i.a. “unbewußte”) “Ergänzung” zu einem ( i.a. “bewußten”) völlig a n d e r e n “Seeleninhalt”:
nämlich der “PERSONA”, also dem “Bild”, der “Rolle” oder zuweilen sogar nur “Maske”, die ein Mensch nach außen hin gegenüber anderen “präsentiert” – und oft genug, weil stets die Gefahr besteht, in einer solchen Rolle “aufzugehen”, zugleich auch nach innen hin gegenüber seinem eigenen Ich:
anders gesagt, also jene Schnittstelle, an der Gesellschaft und Kultur entscheidend – und oft unheilvoll – in das Seelenleben des Individuums “hineinlangen” können.

So finden wir beim Mann oft eine einseitig und überzogen “männlich” geprägte “PERSONA”, die bei vielen Männern den Anspruch erhebt, ihre gesamte Persönlichkeit zu darzustellen, aber – gleichsam als “Opposition im Untergrund” dazu – eine (ohnehin vorhandene, aber in diesem Zusammenhang besonders wichtige) kompensatorische “ANIMA” als Vermittlerin all jener Aspekte, die er (bewußt oder unbewußt) “dem Weiblichen” zuordnet.

… und nun: die “Praxis”:

Großmeister in der Massenproduktion populärer “PERSONA”s für ganze Gruppen (“groß”)deutscher Menschen waren zweifellos die Nationalsozialisten. So hatten wir – als ich etwa 1940 zwölf Jahre alt war – direkt aus “Mein Kampf” die Deklaration des Führers, wie “Deutsche Jungen” zu sein hatten:
“Zäh wie Leder – flink wie Windhunde – und hart wie Kruppstahl!”

Das war unzweifelhaft klar und eindeutig. Und ebenso unzweifelhaft paßte in diese offenbar für deutsche Jungen verbindliche “PERSONA” nicht die Faszination der Vorstellung, sich irgendwann mal als schicke junge Dame anzuziehen! Wie war solch eine Idee bloß in meinen Kopf gekommen?!

Als Damen verkleideten sich – wußte ich aus Illustrierten oder Kriminalromanen – Knaben beim chinesischen Theater, Hochstapler und dergleichen Verbrecher oder zuweilen auch Detektive. Nun war ich weder ein Chinese noch ein Detektiv: war ich dann etwa vielleicht ein künftiger Verbrecher?
Abenteuerlich genug war ja eine solche Vorstellung schon:

[einsam, in Opposition zu Polizei, Recht, Ordnung und Konvention, geradezu richtig heroisch (paßte das etwa doch irgendwie zum gepriesenen Leitbild?! Aber: Heldentaten in Damenkleidung? Doch wohl fragwürdig!)]

  • andererseits allerdings auch ziemlich unbehaglich:
    [schon im 12. Lebensjahr unausweichlich zur Verbrecherlaufbahn bestimmt zu sein – von allen gejagt und am Ende doch entlarvt und erwischt zu werden: zumal ich ja eigentlich gar keine Lust hatte, jemand was Böses zu tun?]
    Allerdings – tröstete ich mich dann wieder – hatte sich selbst der typische Lausejunge Huckleberry Finn mal als Mädel verkleidet: und sogar untadelige Hitlerjungen hatten bei “Stadtgeländespielen” schon Mantel und Mütze ihrer Schwester angezogen, um so den Gegner unentdeckt auszuspionieren.
    Bloß – widersprach etwas in mir – träumten die bestimmt nachts nicht davon, und stellten sich auch nicht heimlich vor, mal wie eine richtig erwachsene junge Dame auszusehen! Nein: da war etwas zutiefst nicht in Ordnung mit mir, was mich anscheinend von all den normalen Jungen des Dritten Reichs unterschied: etwas “Dekadentes” (was immer das heißen mochte) – so wie ja auch, wie man uns immer wieder predigte, die Zeit von 1918 bis 1933, die “Systemzeit”, zu-tiefst “dekadent” gewesen war:
    da hätte ich wahrscheinlich besser hingepaßt, dachte ich dann resigniert – wo ja selbst die echten jungen Damen alle ausgesehen hatten, als wären sie verkleidete Buben (mit ”Bubikopf”) … !

    Um falsche Eindrücke zu vermeiden: all die Zeit über tändelte ich nicht etwa in Muttis Schürze, um – a la Charlotte von Mahlsdorf – im Haushalt zu helfen oder sonstig ‘Töchterliches” zu treiben: sondern saß zwischen Mathematik-büchern, Experimentier- und Metallbaukästen, über meinem Mikroskop oder in meinem eigenen kleinen chemischen Labor, das ich mir in der unbenutzten Speisekammer neben der Küche eingerichtet hatte – sah mich als künftigen Forscher – und trachtete im übrigen mit zusammengebissenen Zähnen, dem offiziell erwünschten Bild eines “Deutschen Jungen” möglichst nahezukommen!

    Aber Fräulein Anima war ein raffiniertes Weibsbild [nicht abfällig gemeint: ”Bild des Weibs” im Unbewußten!] und tat ganz harmlos so, als könne ich mir alle dekadenten Damen-Ideen ja ganz sachlich ausreden: Rein als Hypothese mal angenommen, ich hätte mich jetzt und hier als Mädchen verkleiden wollen – wie hätte ich das denn machen wollen? In der ganzen Wohnung wäre kein einziges Utensil dafür gewesen: kein Dienstmädchenkleid, daß ich hätte stibitzen können, kein Büstenhalter, kein Lippenstift, kein Kopftuch, ganz zu schweigen von einer “Perücke” oder einem “Gummibusen”, wie sie in Büchern offenbar für solche Fälle stets zur Verfügung standen – lediglich die lächerlich zu weiten Sachen meiner zu der Zeit schon recht korpulenten 54jährigen Mutter!

    Aber wie gesagt: Fräulein Anima war raffiniert – und wußte genau, daß man nur behaupten mußte, etwas sei eigentlich unmöglich: damit ich sofort begann, nachzugrübeln und möglichst sogar auszuprobieren, wie es dennoch gehen könne – ob nun beim Bau von Modellen, für die ich eigentlich die dritthöhere Nummer des Metallbaukastens benötigt hätte, oder bei scheinbar unlösbaren Mathematikproblemen (und auch später im Beruf haben mich immer die Projekte am meisten gereizt, die angeblich “nicht gehen” sollten); also begann ich auch hierzu mal – “bloß so als Denkaufgabe” – abends vor dem Einschlafen oder wenn ich mal allein in der Wohnung war, Punkt um Punkt für jedes einzelne Hindernis zu überlegen oder gar andeutungsweise zu testen, ob es denn in der Tat so völlig unüberwindlich wäre – und wenn mir dabei zuweilen ein ungewohnt angenehmes Kribbeln über den Leib lief, war das lediglich eine Art weiterer “Denkansporn”…

    … bis dann eines Tages natürlich zwangsläufig der Punkt kam, wo ich mir sagen mußte, daß das in der puren Theorie ja alles recht gut und schön sein mochte – der endgültige Beweis aber, wie auch in Wissenschaft und Technik, erst erbracht, wenn man es irgendwann auch einmal tatsächlich machte!
    So geschah es denn also, daß ich am Abend des 55. Geburtstags meiner Mutter
  • sie saß noch mit Gästen zusammen, während ich mich schon “zum Schlafengehen” empfohlen hatte – mit einigen rasch zusammengerafften Utensilien heimlich in ihr Schlafzimmer schlich und das “Mysterium Transformationis” eröffnete: Hemd, Hose, Schuhe und Socken aus. Über die nackten Beine mit grosser Sorgfalt, wie ich das mal im Kino gesehen hatte, vom Fuß aufwärts je einen ihrer “guten” Kunstseidenstrümpfe schrittweise nach oben gerollt, damit die Nähte auch genau hinten in Wadenmitte und gerade saßen, und oben mit je einem von den elastischen Ringbändern festgehalten, die mein Vater sonst zum Raffen seiner Hemdärmel trug (Mutters Korsett mit Strumpfhaltern zu benutzen, wäre bei dessen Größe eine Unmöglichkeit gewesen); ihre schmalsten und engsten Schuhe drüber, zuschnüren – immer noch ziemlich weit, aber es ging.

    Das einzig diskutable von ihren Kleidern – grün-schwarz gemusterte Kunstseide – mit einem Bindegürtel und etlichen Sicherheitsnadeln auf Taille bringen: reichte mir zwar fast bis zu den Knöcheln – na schön, war’s eben eine Art “Abendkleid” – Ärmel auch viel zu lang und weit, aber glücklicherweise mit Druckknöpfen am Handgelenk: gaben dadurch gerafft direkt einen hochmodischen Effekt! Fehlte noch der Busen: war eines der härtesten Probleme, da ja noch nicht mal ein etwa ausstopfbarer Büstenhalter zur Verfügung gestanden hatte – Lösung: ein altes aufblasbares Gummischiff für die Badewanne, das – unter mein Turnhemd unterm Kleid gestopft – eine durchaus akzeptable Rundung über der Brust ergab (natürlich ohne echten “Busen”-Einschnitt in der Mitte – aber da ich ja kein Dekollete hatte, fiel das nicht auf) – im langen Spiegel Höhe kontrolliert: nach meinen Messungen an Photos exemplarischer BDM-Sportsmaiden in Turnhemden mußten die (gedachten) Brustwarzen genau auf der Linie liegen, welche die Halbierungspunkte der Oberarme zwischen Ellbogen und Schultern verband – stimmt!

    Hm, so weit gar nicht übel – aber jetzt das Wichtigste: Kopf und Gesicht! Die Haare konnte ich glücklicherweise unter einem fertiggenähten schwarzen “Turban” verschwinden lassen, den meine Mutter zuweilen unterwegs trug – saß recht gut. Dazu rechts und links je einen ihrer langen geschliffenen Onyx-Tropfen-Ohrringe – da sie gottlob nichts vom Durchstoßen hielt, problemlos an die Ohrläppchen schraubbar. Dann mit der Quaste was von dem rosa-bräunlichen Puder, den sie zuweilen beim “Ausgehen” benutzte – natürlich erst zuviel, sah aus wie bei ‘nem Zirkusclown – aber das kannte ich schon von einem früheren Testexperiment: Überschuß vorsichtig abtupfen – blieb (da zum Glück Winter: kein Sonnenbrand oder sowas – glatte Gesichtshaut) ein interessanter samtiger “Teint”. Und nun: zur Krönung mit – da weder Lippenstift noch Schminke verfügbar! – dem Korken des Röhrchens Erdbeer-Einkochfarbe sorgsam spiegelkontrolliert über die leicht geöffneten Lippen streichen – – – ja: Tiefrot !!!

    “Und wer, meinst Du – “ schwärmte meine Mutter anderentags, “hat mir, als alle gegangen waren, in meinem Schlafzimmer als Letzte gratuliert?” – kleine Spannungspause – dann, noch immer entzückt: “Eine m o n d ä n e Frau !!!
    Und während meine Schwester (inzwischen 27, Ehefrau und Mutter), zu der sie das sagte, erst sie leicht verständnislos ansah, um dann – Hintergründe erahnend – mit großen, sanft bestürzten Augen den Blick auf mich zu wenden:

    der ich mich meinerseits bemühte, die möglichst arglose Miene des großdeutschen Leder-Kruppstahl-Windhund-Jungen zur Schau zu tragen, räkelte sich im Unbewußten Fräulein Anima ob des Kompliments wohlig eher wie eine systemzeit-dekadente Seiden-und-Goldhalsband-Katz: mit dieser Di-va-Rolle, dachte sie (soweit Anima’s denken können), hat er mir also eine echte Verbündete gewonnen – vielleicht hätte sie lieber gleich zwei bildschöne Töchter gehabt statt nur der einen? Und wenn er etwa auch die noch, träumte sie weiter, zu meiner nächsten, schwesterlichen Freundin machen könnte … ? Aber auf die Erfüllung dieses Traums mußte sie – wie gut, daß eine Anima als Archetyp “zeitlos” ist! – noch volle 5 Jahrzehnte warten…

Schon nach knapp 5 Jahren dagegen kam – fast kaum zu glauben! – jenes Jahr 1945, wo all die Deutschen Blockwarte und anderen Kleinformat-Helden ihre bisherigen “PERSONA”s ganz schnell ganz klein zusammenfalteten, um vor Spruchkammern und Entnazifizierungsausschüssen zu schwören, sie hätten all diese “PERSONA”s ja nur aus Angst vor der Gestapo getragen : und alibisuchend begannen, Stück für Stück die auf einmal gar nicht mehr dekadent, sondern eher nachahmenswert erscheinende “Systemzeit” wiederzuentdecken:

Und es erwies sich, daß Fräulein Anima völlig recht gehabt hatte: in die hätte ich von Anfang an viel besser gepaßt… !

D O S S I E R

„Name“: je nach Typ/Stimmung wechselnd,
Jahrgang: 1928
Größe: 176 cm (ohne Schuhe)
Konf.größe: einst: mit Glück 42, bequem 44/46 – heute: 🙁 !!!
Schuhgröße: mit Glück 39/40, bequem 41/42

:: A:: Zur allgemeinen Charakterisierung:

Beruf:
„Zwei Ballonfahrer hatten sich im Nebel verflogen. Endlich riß die Wolkendecke auf, sie erblickten einen Mann am Boden und riefen ihm zu: „Wo sind wir?“
Der überlegte tief und rief dann zurück: „Sie sind in der Gondel eines Ballons!“
Dies war eindeutig ein Mathematiker: er dachte lange nach – was er dann folgerte, war unwiderlegbar richtig – und niemand konnte den mindesten praktischen Nutzen daraus ziehen.“
(Selbstkritischer Mathematikerwitz aus dem Internet)

:: B :: Zum Werdegang im einzelnen:

Nach Studium der Mathematik und Physik in Göttingen und Hannover über Fachschriftstellerei zu technischer Werbung (Elektromedizin, Stahl), dann „Marketing“ und Marktforschung in Druck- und Verlagswesen (konnte man die ganze gute alte Mathematik auf einmal wieder brauchen!), Aufbau und Leitung eines EDV-Schulungs- und Rechenzentrums, Stabsstelle „Marketing“ eines Unternehmensverbandes.

Ab 1967 selbständig als freier Marketingberater:
Auslandsreisen, Lehr- und Vortragstätigkeit, „Grundlagenforschung“,
Konzeptionen für Verlage, Firmen und Werbeagenturen
(auch ’n paar deutsche & US-Preise für erfolgreiche Werbekampagnen)
Publikationen zum „Empfänger-orientierten Ansatz im Marketing“

1979/80: Organisation der ersten detaillierten Analyse des deutschen Werbedrucksachen-Markts und ihre Programmierung auf „Microcomputer“ (Datenbank für, nach 2 Jahren, über 40 000 Druckobjekte: Zugriff auch ohne – damals noch unerschwingliche – Festplatte in Sekunden!)
RKW-Broschüre: „Die 10 häufigsten Fehler beim Einsatz v. Microcomputern“
Parallel dazu: Forschungsvorhaben und -broschüren für fast alle großen deutschen Zeitschriftenverlage und Demo-Disketten dazu; Konzepte, Bildentwürfe und Texte für Multimedia-Schauen zu Grundsatz-Problemen der Direkt- und Katalogwerbung – und, um dazwischen auch mal was echt Wertvolles zu tun: Entwicklung eines „Praxis-Buchs“ (mit völlig neuer Zugriffs-Form) für eilige (und theorieferne) praktische Ärzte über Behandlungsmöglichkeiten der Parkinson-Krankheit und anderer dopaminerger Störungen (das dann, amüsanterweise, zudem ein „Hit“ an Universitätskliniken wurde!)

Andererseits hatte ich mal (vergl. Vorspruch zur „Animagie“) in einem Gestalter-Magazin etwas über „Magie und Werbung“ veröffentlicht, das ein Verleger später als „professorale Theoretisiererei“ bekrittelte – worauf ich aus Zorn genau nach den in diesem Artikel stehenden Prinzipien Computerprogramme für Promotion-Aktionen von Markenartiklern und Versicherungen bei Verbrauchermessen oder Supermärkten entwickelte, an denen mein Sohn mit seiner kleinen eigenen Firma nachher insgesamt einige hunderttausend Mark umsetzte…!

Im Jahr 2001 habe ich dann – auch wegen der Folgen eines Knöchelbruchs, der mir bei Reisen usf. etwas zu schaffen machten – meine „hauptberufliche“ Beratertätigkeit eingestellt: und kann mich nun all dem widmen, wozu ich vorher nicht gekommen bin!

Hobbies Geschichten schreiben, vorwiegend Science Fiction und „Strange Stories“
Maschinenmodelle bauen (Fischer-Technik, Märklin-Metallbaukästen)
Unterhaltungsmathematik und Denksportaufgaben
„Computer Recreations“ und Bildbearbeitung

Reisen (beruflich oder privat):
USA: New York, Chikago, Rochester ; Kanada: Montreal, Toronto;
Mexiko: Mexico City & Umfeld, Tula; Asien: Tokio, Osaka, Hongkong, Thailand;
Europa: London, Paris, Griechenland, Türkei, Kreta, Capri (Lieblingsinsel: 3x!)

Familie

:: A :: Engste:

seit 1949 verheiratet, seit 1992 verwitwet; 1 Sohn (1951), 1 Tochter (1954)

:: B :: Eltern, Vorfahren:

Vater:
Befähigter Ingenieur, eher nüchtern, aber vielseitig und „ingeniös“; auch wohl mutig (div. Auszeichnungen als Leutnant im 1. Weltkrieg).
ging von 1923-26 mal als „Organisator und Oberingenieur“ nach Kronstadt/Siebenbürgen in Rumänien (mit der ganzen Familie).
Ab 1928 ständig Auslandsreisen nach England, Belgien, Frankreich, 1932 sogar Sowjetrussland, 1933/34 bis Beirut, Jerusalem, Kairo.
Erlebte 1955 noch 50jähriges Berufsjubiläum, davon 25 Jahre Technischer Geschäftsführer des gleichen Unternehmens und viele Jahre anerkannte Koryphäe seines speziellen Fachgebiets.
Selbst im Ruhestand mit über 70 noch immer als Fachautor tätig.
{Vaters Vorfahren: mehrere Generationen von Maschinentechnikern, Maschinenbauern und später Maschinenfabrikanten.}

Mutter:
Unkonventionell, talentiert und sowohl „praktisch“ wie „musisch“: fand nichts dabei, mir als 5jährigem statt Märchen die Odyssee vorzulesen oder uns nachts um 11 rasch mal Grüne-Bohnen-Suppe zu kochen! Beruflich vor der Ehe und wieder im 1. Weltkrieg als Sekretärin tätig – hätte später nach guten Anfangserfolgen durchaus eine Karriere als Unterhaltungsschriftstellerin haben können: wenn sie nicht nach 1933 in unfassbarer Naivität als Thema gewählt hätte, wie ihre couragierte Heldin gerade noch verhindert, daß ein smarter Opportunist sich in den Besitz einer Firma setzt, indem er die Erben als „Nichtarier“ verleumdet (da’s ja aber doch „Arier“ waren, fand sie ihre Story ganz korrekt – bloß stand sie von da an halt auf einer schwarzen Liste!)
Umso peinlicher, daß der gleiche Schriftstellerverband dann bei einem anonymen Wettbewerb für eine Inschrift (zu einem der wenigen Projekte jener Tage, das sie mit gutem Gewissen anerkennen konnte) ahnungslos ausgerechnet ihren Vorschlag krönte – und dann zähneknirschend die Worte der „Unerwünschten“ in Marmor meißeln lassen mußte (wo sie noch heute stehen – an der Maschsee-Säule zu Hannover…)
{Mutters Vorfahren: die längste Linie führt bis 717 zurück, wo ein Herzog Thuring von Heyden [hach, citoyenne, muß ich mich schon wieder entschuldigen!] unter Karl Martell im Kampf gegen die Araber fiel. Da aber dessen Witwe Theodrada den ganzen Besitz der Kirche vermachte, tauchten die Nachkommen später als gutbürgerliche Richter, Prediger und Gelehrte – latinisiert als „Hedenus“ – auf: „gekrönter Poet“ war auch einer drunter – und ein Magister Erasmus Hedenus schrieb im 16. Jahrhundert unter dem gleichen Pseudonym „MEHA“, das meine Mutter später ganz ahnungslos und unabhängig (aufgrund einer völlig anderen Abkürzung) als Autorin gewählt hatte …
Ansonsten: Landwirte, Handwerker, Kaufleute usf. }

:: C :: Geschwister:

Die Eltern :: B :: hatten schon vor dem 1. Weltkrieg 3 Kinder:

        William

der Älteste, auch wissenschaftlich und mathematisch begabt, wählte aber dann unter dem Eindruck der 1929er Wirtschaftskrise, statt zu studieren, seine andere große Neigung als Beruf: die Musik. Mit der Gabe, aus jeder Krise doppelt so günstig hervorzugehen,. stieg er schon bald vom bloßen Musiker zum Kapellmeister auf und dies blieb ihm sein Leben lang treu: selbst als er nach Kriegsende, statt aus Norwegen entlassen zu werden, unerwartet noch ein Jahr lang nach Frankreich in Kriegsgefangenschaft geschickt wurde, endete das damit, daß er französische Militärkapellen schulen musste – und sogar, beim Besuch eines Generals, in französischer Korporals- Uniform die Kapelle dirigieren mußte! Und als er dann, endlich entlassen, sich bei einer Bergmannskapelle im Ruhrgebiet bewarb, war das Endresultat, daß er wegen seiner mathematischen Kenntnisse Leiter der Qualitätskontrolle dieser Zeche wurde…Leider ist er schon vor Jahren gestorben:

        Erich 

der zweite, war hingegen ein praktisches Universalgenie: Er konnte ebenso gut sein Motorrad reparieren, wie mit selbstgebauten Apparaten als Zauberkünstler auftreten; als er sich eine fast lebengroße Bauchrednerpuppe baute, modellierte er genau so ihren Kopf, wie er ihren Smoking schneiderte – und natürlich die gesamte elektrische Steuerung seines „Kasimir“ baute, bis hin zu dem Stuhl, auf dem dieser Bandoneon spielen konnte. Dank solcher Talente wurde er der ideale Meister eines technischen Versuchsraums, wo’s immer neue Probleme zu lösen galt. Leider lebt auch er heute nicht mehr.

        Margarete  

die jüngste, war noch in Siebenbürgen (s. oben bei „Vater“) ein rechter „Tomboy“, der am liebsten in Sepplhosen mit Hunden herumtobte – bis sich daraus, nach der Rückkehr nach Deutschland, plötzlich ein bildschönes Mädchen entfaltete: dem aber weder Ballettschule, Kunstakademie und Bildhauerei – noch Schwärme vonVerehrern so zu Kopf gestiegen wären, daß es seine Natürlichkeit und seinen goldigen Humor verloren hätte. Verheiratet, war sie dann eine ideale Mutter – und nach Kriegsende couragiert genug, über Zonengrenzen und Besatzungssperren hinweg auf eigene Faust nach ihrem – der Himmel wußte wo – internierten Mann (Österreicher) zu suchen [mal andersherum – Penelopes Irrfahrten zu Odysseus!] – und Kindergeschichten, die sie in späteren Jahren schrieb (mütterliches Erbteil!) landeten sogar im Österreichischen Rundfunk. Heute ist sie mit über 90 Jahren mehrfache Urgroßmutter, (kann zwar nur noch mit edelstählernen Kniegelenken gehen) aber nach wie vor voll unverminderter Geisteskraft und Lebensfreude.

… und dann kam in jene bereits einigermaßen unwahrscheinliche Familie

nach 15 Jahren Pause – als ziemlich unerwarteter Nachzügler noch ich! Und falls ein eifriger Amateur-Psychologe nun sogleich folgern sollte…
Aha!
Vater dauernd auf Reisen, fast nie zuhause.
Brüder schon viel zu erwachsen.
Bereits ältliche Mutter und blutjunge Schwester
teilen sich in Hauptlast der Erziehung:
da muß ja mit der Geschlechtsrollen-Identifikation
des heranwachsenden Knäbleins was danebengehen!
… dann hätte er im allertiefsten Grunde vielleicht gar nicht so unrecht:
aber vordergründig läge er zunächst mal total schief:
Ich wurde nicht etwa besonders mädchenhaft herausgeputzt.
Ich spielte nicht mit Püppchen statt mit Autos.
Bruder Erichs Zaubergeräte, Bruder Williams Schachbrett
und die Abenteuer des listenreichen Odysseus
faszinierten mich weitaus mehr als Schwesterchens Tand.
Etwa gar mit kleinen Mädchen zu spielen,
hätte ich unter meiner Würde gefunden:
zum Spielen hatte ich ja eine viel schönere große Schwester:
… und das ging nach deren glaubhaften Berichten etwa so:
„Also Du bist jetzt meine Braut – hier – “ ihr einen Teddybären überreichend,
“ – hast Du ein Kind – aber ich – “ meinen Holländer besteigend,
“ – muß jetzt wieder fort: denn ich bin ja ein Traktorsmann!“
und damit brauste ich, laute Motorengeräusche erzeugend, von dannen …
… selbst Alice Schwarzer hätte schwerlich ein krasseres Bild
maskuliner „Einknopf-Mentalität“ entwerfen können … !

Allerdings war ich natürlich (hast ja schon gemerkt, wie ich noch heute von ihr schwärme!) total „in love“ mit meiner bildschönen großen Schwester…

{ ich habe dafür im Stile Freuds als Gegenstück zum „Ödipus-Komplex“ den Begriff „Siegmund-Komplex“ – nach dem Völsungen-Geschwister- und Liebespaar Siegmund und Sieglinde, siehe Wagners „Die Walküre“ – für solche Sonderfälle geprägt (müsste Freud eigentlich auch gut gefallen haben: hieß ja selbst mit Vornamen Sigmund!) }

… und war zunächst felsenfest überzeugt, ich müsse nur erwachsen genug werden, um sie dann heiraten zu können: erst als man mir nach 1933 erklärte, die neue Regierung habe jetzt leider verboten, daß Schwestern ihre Brüder heiraten dürften, fand ich mich schweren Herzens damit ab (zu weiteren Nebenwirkungen dieser Regierung vergl. bei Um 1940: Anima regt sich)…

… aber selbst ein solcher „Siegmund-Komplex“ hätte sich ja schon auf dem normalen Weg der „Projektion“ lösen können – in der Tat hatte meine spätere Frau im Gesichtsschnitt eine typische Ähnlichkeit mit meiner Schwester! – ohne etwa zwangsläufig zu „Crossdressing“ zu führen?!

Redaktionelle Anmerkungen

Die Texte wurden mir von Hekate zur Verfügung gestellt. Wie sich aus einigen der beigefügten Anmerkungen ergibt, durchaus in der Absicht, dass ich diese nach ihrem Tod veröffentliche. Die Veröffentlichung erfolgt mit dem Einverständnis ihrer zwei Kinder, denen ich für das Vertrauen danke.

Die Interpretation der Texte wird teils dadurch erleichtert, dass Hekate selbst oder eines ihrer Alter Egos (häufig die Diplomandin Trugmaid) sich bereits als ihre eigene, durchaus kritische Bewerterin betätigt hat.

Die Texte wurden von mir nur minimal redigiert. Hekates Eigenheiten bei Interpunktion und Textgestaltung habe ich deshalb 1:1 übernommen, auch wenn sie manchmal stutzig macht.
Auch Sprache und Rechtschreibung wurden von mir nicht angetastet. Die Texte stammen nun mal aus dem letzten Jahrhundert und das darf man ihnen gerne anmerken.
Als einzigen Eingriff habe ich die von Hekate so gern verwendeten eckigen Klammern, die gern als Steuerzeichen interpretiert werden, meist durch runde Klammern ersetzt.

Meine Anmerkungen habe ich immer mit „Anm. Jula“ gekennzeichnet. Redaktionelle Anmerkungen ohne diesen Hinweis stammen von Hekate. Dabei sollte nicht verwirren, dass sowohl die Namen der Autor/innen als auch der Kommentator/innen vielfältig sind. Es ist trotzdem immer Hekate!

1966: Das vierundvierzigste Hexagramm

Anfang 1966 kam die Maschine eines planmäßigen Linienfluges der Lufthansa nach Bremen aus ungeklärten Gründen beim Anflug in Schwierigkeiten, stürzte beim Versuch der Notlandung auf dem Flughafen ab, fing Feuer und brannte völlig aus; es gab keine Überlebenden.

“In dieser Maschine – “ sagte der Psychologe Walter H., als der Rundfunk die Katastrophenmeldung durchgegeben hatte, und fuhr sich mit der Hand über die Augen, “- hätte auch ich gesessen, wenn ich nicht wegen Ihres Besuches einen Tag früher zurückgeflogen wäre: Sie haben mir – sozusagen – das Leben gerettet … !”
Und während ich erst einmal zuhause anrief, um meine Frau zu beruhigen, daß ich mit meinem Flug vor ein paar Stunden noch sicher in Bremen gelandet war, stellte er schon auf dem meterhoch verschneiten Balkon vor seinem Dach-Atelier die Flaschen Champagner kalt, mit denen wir dann zusammen mit seiner Frau auf die ‘Gnade des Schicksals’ anstoßen – und bei dieser Gelegenheit gleich Brüderschaft trinken würden.

Daß zwischen uns irgendeine nicht alltägliche Resonanz zu bestehen schien, hatte ich zwar schon beim ersten Kennenlernen gespürt – und das hatte sich auch gleich am ersten Abend vertieft, als wir nach dem gemeinsamen Abendessen in eine so umfassende und tiefsinnige Unterhaltung gerieten, daß die noch dabeisitzenden Verlagsmitarbeiter sie wie eine hochkarätige Nachtprogramm-Diskussion genossen. Aber daß gleich mein erster Besuch bei ihm in Bremen unter so ‘schicksalhaften’ Auspizien stehen würde, hatten wir verständlicherweise beide nicht erwartet: im Hinblick auf spätere Entwicklungen hätte ich mir allerdings in der Tat – obwohl ja dessen ‘lebensrettender’ Aspekt schwerlich mein Verdienst war – kaum einen glücklicheren ‘Ersten Auftritt’ in seiner persönlichen Sphäre wünschen können:

Da war seine Frau Gisela – klein, drahtig, energiesprühend – die eine der ersten war, die sich als Dr.med., was damals noch keineswegs üblich war, profund mit der chinesischen Akupunktur befaßt und sie erfolgreich in ihrer Praxis angewandt hatte: was ihr bei Kollegen den Spitznamen ‘die Pi(e)k-Dame’ einbrachte (meine anfänglich durchaus vorhandene Skepsis verschwand ein für allemal, als ich sie bei einem nächsten Besuch mit den typischen Symptomen einer beginnenden Angina um eine Tablette bat – worauf sie erwiderte: “Nein – Du kriegst nur eine Nadel: hierhin!” – und sich nach diesem einen Stich in die Halsgegend in der Tat nicht das geringste von einer Angina mehr manifestierte!). Wie ich später einmal erfuhr, hatte sie einst – aus sehr reichem Hause – gegen die halbe Welt um ‘ihren’ Walter gekämpft: und empfand ab jetzt wohl eine Art unlogischer, aber tiefer Dankbarkeit gegen mich dafür, daß ich ihn ihr ‘erhalten’ habe;

dann war da die alte Haushälterin Frau S. – Witwe des Chefkochs einer großen Übersee-Schiffahrtslinie – die Walter und Gisela verehrte und mit den schmackhaftesten Speisen verwöhnte: und beides sozusagen automatisch nun auch auf mich übertrug;

‘das Haustier’ – beider 5jährige Tochter Katja – die sich am liebsten wie ein Kätzchen in irgendeine weiche Ecke kuschelte und dem interessanten Treiben der Erwachsenen zusah: ich weiß nicht, ob sie mir die Rolle eines auf die Erde hinabgestiegenen Schutzengels der Familie zugeteilt hatte – jedenfalls behandelte sie mich, in ihrer reizend altklugen Art, etwa so;
und dann natürlich die Hauptperson, der beratende Psychologe etlicher Werbeagenturen und Verlage – nebenher ein abstrakter Maler nicht geringen Grades – mit soviel Eigenwilligkeit und Phantasie, daß er in mir nun erst recht den optimalen ‘Partner’ sah: “Wir haben genug Gemeinsames, um einander verstehen zu können – aber zum Glück auch soviel Unterschiede, daß jeder dem anderen immer wieder was Neues bieten kann!” charakterisierte er einmal – sicher nicht ganz unrichtig – unser Verhältnis zueinander.

Der konkrete Anlaß für jenen ersten Besuch – und viele folgende – war eine sehr komplexe, in vier aufeinanderfolgenden Phasen durchzuführende Studie über einen neuen Typ von Verlagsobjekt, das bei den (für seine wirtschaftliche Existenz entscheidenden) Werbeleuten und Mediaplanern der großen Agenturen auf eine Fülle hemmender Vorurteile und Mißverständnisse gestoßen war, die es jetzt auszuräumen galt. Walter hatte die psychologischen Forschungsmethoden und die Fachkräfte zu deren Anwendung – ich mußte die Systematik, die Strategie und die Konzepte entwickeln, um die zunächst total unübersichtliche Fülle der Zugriffe und Resultate so aufzubereiten, daß die Angesprochenen sie nicht – was für sie am bequemsten gewesen wäre – ignorieren würden, sondern im Gegenteil (wie ich’s für meinen Hausgebrauch als Ziel formulierte) “so gespannt verfolgen wie einen Fernseh-Krimi”…

… ein reichlich ehrgeiziges Ziel, in dessen Verfolgung ich mich Mai/Juni 1966 sogar- nachdem die “Fachleute” der damit beauftragten Werbeagentur mein Konzept, die Veröffentlichung der Studie durch Briefe und Muster von Publikationen ähnlichen Typs aus aller Welt vorzubereiten, als “in der Theorie bestechend, aber in der Praxis undurchführbar” erklärt hatten – im fliegenden Start selbst zur Reise an all diese Verlagsorte in England, USA, Kanada, Mexiko und Asien aufmachen mußte, um zu demonstrieren, daß es doch ‘ging’ ! Doch das lag Anfang 1966 noch weit in der Zukunft…

Pin-Wand

Da stellte ich mich in Bremen erst einmal – in dem schönen großen Büroraum einen Stock tiefer, den Walter gerade erst angemietet und eingerichtet hatte – mit vielen Stichwort-Kärtchen und Nadeln vor eine große Pin-Wand und versuchte die Resultate der beiden ersten Studien-Phasen in irgendeine halbwegs zwingende Ordnung zu dressieren; und da das oft bis spät in die Nacht ging, war es recht gut, daß er vorausschauenderweise dort auch ein Gästebett eingeplant hatte.

Nur ein Besuch reichte für all das allerdings nicht aus – und so setzten wir uns in den folgenden Monaten regelmäßig in Bremen zusammen, bis das endgültige Konzept allmählich Gestalt annahm. Es muß wohl nach der dritten oder vierten solchen “Experten-Konferenz” gewesen sein – wir hatten gerade die interviewenden jungen Psychologen für die kommende “Verifikationsphase” bei etlichen hunderten von Befragten eingewiesen – als wir beide, einigermaßen ermattet, am Abend noch ein paar Flaschen Wein (weniger waren es bei Walter nie) zusammen tranken und im Gespräch wieder einmal vom hundersten in tausendste kamen – so auch auf das berühmte jahrtausendalte chinesische Orakelbuch I GING, das ‘Buch der Wandlungen’.

Natürlich habe Gisela das – bzw. die klassische Übersetzung von Wilhelm – in ihrer Bibliothek chinesischer Werke. Und natürlich auch die traditionell zum Orakelnehmen verwendeten 50 Schafgarbenstengel. Nur hätten sie es jetzt lange Zeit nicht mehr benutzt – als sie es das letzte Mal für eine befreundete Familie befragten, sei irgendetwas über ein Feuer herausgekommen, von dem Gefahr drohe: und bald darauf seien beide mit ihrem Auto verunglückt – eingeklemmt und in den Flammen des sich entzündenden. Benzins bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Seitdem hätten sie es zusammen mit den Behälter der Schafgarbenstengel lieber auf seinem rituell vorgeschriebenen Platz – einem Bord höher als das Haupt eines Menschen – stehen lassen. Aber er könne es ja mal wieder herunterholen – und, wenn ich das wolle, für mich befragen.

Was wir dann auch taten. In dem komplexen sechsfachen Ritual des jeweils dreimaligen Teilens und Abzählens entstand als unterste eine (“weibliche”)Yin-Linie – darüber aber fünfmal je eine (“männliche”)Yang-Linie – alle “ruhende” Linien, die sich nicht weiter veränderten: also blieb nur das eine entstandene Hexagramm als Ganzes zu deuten.

Nun war ich eigentlich darauf gefaßt, daß jetzt eher eine ebenso schwerverständliche wie vieldeutige altchinesische Aussage über Schildkröten oder bronzene Opfertiegel herauskommen würde – mit der niemand besonders viel anfangen konnte. Versuche Dir nun also meine Empfindungen vorzustellen, als ich unter der Überschrift

Hexagramm 44. GOU / DAS ENTGEGENKOMMEN

knapp und sachlich las:
DAS URTEIL
Das Entgegenkommen.
Das Mädchen ist mächtig.
Ein solches Mädchen
heiratet man nicht.

Das Zimmer, in dem wir zusammensaßen, war – wie immer – gut geheizt. Dennoch lief mir ein ganz kleiner Schauer des Fröstelns über den Rücken…

Dann rückte ich etwas näher zu Walter – und sagte ihm, um was für eine Art von Mädchen es sich dabei handelte …

Bild Gou Jula: liegt mir leider nicht vor

Im Interesse der Objektivität muß ich hier einschalten:
Die Schafgarbenstengel wurden von Walter gehandhabt. Ich habe dabei nicht im einzelnen kontrolliert, ob er sie exakt gemäß den Regeln des I GING behandelte – oder sie irgendwie abweichend manipulierte. So ist rein objektiv nicht auszuschließen
a) daß er als Psychologe aus Beobachtungen an mir zu der Vermutung gekommen sein könnte, ich habe vielleicht gewisse einschlägige Probleme, die ich ihm besser offenbaren solle
b) daß er darauf unter den 64 Hexagrammen des I GING nach dem einen gesucht haben könnte, dessen “Urteil” im weitesten Sinne solche Probleme ansprach
c) und daß er bei dieser passenden Gelegenheit ein Befragen des I GING provoziert haben könnte, das er so manipulierte, daß ich mit dem Text dieses bestimmten Hexagramms konfrontiert werden würde: in der Hoffnung, mich dadurch zu veranlassen, mit ihm über dieses Thema (das ich sonst schwerlich von mir aus angeschnitten hätte) zu sprechen.

Subjektiv muß ich allerdings sagen, daß mir eine derart subtil-jesuitische “Intrige” im Stil von Schillers “Geisterseher” kaum viel wahrscheinlicher vorkommt, als die – gleichermaßen ‘rationale’ – Annahme, daß es sich einfach um eines jener völlig zufälligen, aber gerade dadurch besonders verblüffend wirkenden Zusammentreffen gehandelt habe, die ja in der Realität weitaus häufiger auftreten, als es der sog. ‘Gesunde Menschenverstand’ zu erwarten pflegt – oder als die dritte, objektiv ja auch nicht von vornherein zu verwerfende Hypothese, daß eben an einem Orakel, das Millionen von (wie die Geschichte lehrt, ja schwerlich primitiven) Chinesen Jahrtausende über zu ihren politischen oder persönlichen Problemen befragt haben, doch “was dran sein” könnte!^]

Im faktischen Resultat übrigens ist es bemerkenswerterweise verhältnismäßig gleichgültig, welche der drei obigen Annahmen zugetroffen haben mag – denn wie sagt der (wahrscheinlich von Kungtse stammende)

Kommentar zur Entscheidung

Entgegenkommen bedeutet Antreffen. Das Schwache tritt dem Festen entgegen.
“Ein solches Mädchen heiratet man nicht.” Das bedeutet, daß man nicht dauernd mit ihr leben kann.
Wenn Himmel und Erde zusammentreffen, so kommen alle Geschöpfe in feste Linien. Wenn das Feste die Mitte und das Rechte trifft, so geht alles unter dem Himmel herrlich voran.
Groß wahrlich ist der Sinn der Zeit des Entgegenkommens.

Oder weniger archaisch gesagt: Mit diesem Abend begannen die herrlichsten vier Jahre für Fräulein – oder vielmehr inzwischen Madame – Anima. In der wunderbar unkonventionellen und vorurteilsfreien Atmosphäre Walters und Giselas fand sie zum ersten Mal die Chance und Gelegenheit, sich wirklich so frei zu entfalten, wie sie es sich immer erträumt hatte:
allerdings erst, nachdem ich die unerwartet dazwischengeschobene “Round-the-World”- Tour erfolgreich hinter mich gebracht hatte: Aber dann wurde der große, mit Bad, Toilette und Schlafgelegenheit in sich abgeschlossene Büroraum mit seinen lichtdichten Vorhängen das “Atelier”, in dem Madame Anima sich – nach der wissenschaftlichen Arbeit des Tages – abends, mit einer Flasche Wein und einer Platte schmackhafter Snacks aus Frau S.s Küche, nach Herzenslust schminken, kostümieren und fotografieren konnte. Die erste Echthaar-Damenperücke hatte noch die hilfreiche Gisela – mit eiserner Stirn unter dem Motto “da sollen zu einer Party alle Damen als Herren und alle Herren als Damen kommen” – zusammen mit mir in einem einschlägigen Geschäft gekauft; aber bald störte es mich überhaupt nicht mehr, in Kaufhäusern mal eben eine Kunst- oder Echthaar-Perücke “für eine Aufführung” selbst zu besorgen.
Ein abschließbarer Einbauschrank füllte sich bald mit Kleidern, Mänteln und allem, was eine elegante Dame sonst noch brauchte – und was ich in der Bremer Innenstadt, ohne Sorgen um etwa peinliche Begegnungen mit Leuten, die mich kannten, nach Lust und Laune einkaufen konnte; sollten mal wirklich für irgendeine Aufnahme spezielle Accessoires fehlen, war Gisela immer bereit, mir mal rasch was zu borgen – die gelbe Umhängetasche der “SIE” im Animagie-Dialogbild zum Beispiel hatte sie mir, zusammen mit farblich passenden Schuhen (die ich seltsamerweise problemlos tragen konnte), für die Hosenanzugs-Aufnahmeserie geliehen.
Madame
Bei den ersten Aufnahmen – für die mich anfangs stets noch Walter knipsen mußte – machte ich natürlich noch alle erdenklichen Anfängerfehler: unter-betonte Augenpartie, verschminkte Nase, zu kleines Kußmündchen – dennoch wirkte Madame Anima im Gesamteindruck schon erschreckend “echt”.

Aber wenn sie ehrlich war, mußte sie zugeben, daß von ihr dabei etwa so viel archetypische Faszination ausging,

Madame

wie von der Chefin einer gutbürgerlichen Bierschwemme … Doch das änderte sich in den nächsten Monaten: Schritt um Schritt gewann Madame an Profil, Ausstrahlung und Persönlichkeit – und präsentierte sich in den nächsten Aufnahmen bereits als reif-welterfahrene “interessante Frau” – recht ladylike und mit einem wissenden Lächeln um die Lippen.

Blueprint for beauty

All das kam freilich nicht von ungefähr: denn in diesen Monaten wurde – nach wohl-durchdachten Handskizzen des (nicht bloß “abstrakten”) Malers Walter als “Maskenbildner” – jeder Pinselstrich in Madames Antlitz so systematisch geplant wie ein Apollo-Unternehmen: und Gisela begutachtete oft am anderen Tag fasziniert, was unsere gemeinsamen Bemühungen aus dem “Rohmaterial” meines Gesichts erschaffen hatten…

Denn – vor allen Dingen nachdem ich mich Anfang 1967 selbständig gemacht hatte – nach Bremen kam ich jetzt regelmäßig, um gemeinsam mit Walter neue Studien zu planen, durchzuführen und nicht zuletzt in unzähligen Präsentationen wirksam der Fachöffentlichkeit vorzustellen.
Präsentation
Bild Präsentation – in dem ich gerade am Overhead-Projektor eine Schemadarstellung erläutere, während Walter daneben in der rechten unteren Ecke zu sehen ist

Jedesmal Untersuchungen mit “Pionier-Charakter” – unser “Bremer Arbeitskreis”, wie wir ihn getauft hatten, begann in Fachkreisen allmählich zu einem Qualitäts-Begriff zu werden – “alles unter dem Himmel” schien, wie im Kommentar verhießen, “herrlich voranzugehen”…

… nur heißt das I GING eben nicht umsonst das “Buch der Wandlungen”:
Im Sommer 1969 hatte Walter, wie er mir halb nachdenklich, halb spöttisch erzählte, einen seltsamen Traum, in dem er eine schwarze Uhr sah, die nicht Stunden und Minuten, sondern ein Datum mit Tag und Monat anzeigte – und im Traum, fügte er hinzu, habe er gewußt, daß es eine “Todesuhr” sei.
Der Tag, den sie angezeigt hatte, war ein Datum im November gewesen – und als ich ihn, noch immer halb im Scherz, nach diesem Datum anrief, um mich zu erkundigen, ob er immer noch lebe, lachten wir beide doch ein wenig erleichtert auf.

Dann kamen wieder viele neue Aufgaben – und als ich ihn im November 1970 zum letztenmal in Bremen besuchte, sagte er gerade, er freue sich auf das Wochenende zum Ausruhen – es sei in der letzten Zeit doch ein wenig viel gewesen – als das Telefon klingelte und eine von ihm beratene Werbeagentur anrief, ob er nicht übers Wochenende kommen könne, um noch einmal die bevorstehende Präsentation bei einem prospektiven neuen Kunden durchzusprechen.

Wie üblich, ließ er sich dazu breitschlagen – er flog hin – fand dann, daß es sicherer sei, wenn er selbst die Kernpunkte bei der Präsentation vortragen werde – tat das mit durchschlagenden Erfolg – die Agentur gewann dadurch den Kunden – und beim gemeinsamen Umtrunk am Abend griff er sich plötzlich ans Herz und kippte um: der herbeigerufene Arzt konnte nur noch “Tod durch Kreislauf-Versagen” feststellen.

Das Datum seines Todestages war genau das, welches er 1969 auf der Todesuhr seines Traumes gesehen hatte.
[Eine “strikt rationale” Erklärung hierzu – außer, daß dies schon wieder einmal einer jener ‘unwahrscheinlichen Zufälle’ gewesen sei – habe ich bis heute noch nicht gefunden.]

Zu C. G. Jung

Forenpostings zu Jungs Anima]

Auf die Gefahr hin, als alte Schulmeisterin zu erscheinen, muß ich hier mal noch etwas richtigstellen: bei diesem Thema und verwandten höre ich öfter, „Anima“ und „Animus“ seien die weibliche und männliche Komponenten einer menschlichen Psyche o. ä.

Das war aber nicht das, was der Urheber dieser Fachworte, der Tiefenpsychologe C.G. Jung, damit meinte – sondern sein Konzept war weitaus komplexer und aufschlußreicher:

Ausgangspunkt war für ihn die „PERSONA“
(von „per sonare“=“hindurchtönen“, nämlich der Maske des antiken Schauspielers, durch die seine Stimme erklang)

  • also die „Maske“ oder „Front“, die jeder von uns den anderen zeigt.
    Jung: Persona
    Manche Menschen glauben ihr Leben lang, daß dies natürlich auch ihr echtes Wesen, ihre „Persönlichkeit“ sei. Aber die meisten von uns spüren, daß sie in Wirklichkeit auch Wesenszüge und Eigenschaften haben, die zu diesem Bild gar nicht recht passen wollen – und verbannen sie in einen dunklen Gegenbereich, den „SCHATTEN“
    Jung: Schatten

Oft sind es Züge ihres eigenen „SCHATTEN“s, die sie öffentlich und bei anderen am meisten ablehnen oder sogar bekämpfen (eine beliebte Lustspielfigur war die sittenstrenge alte Jungfer, die überall „Sünde“ wittert) – aber der Vorwurf der „Heuchelei“ wäre oft ungerecht: denn den meisten sind die Gründe solcher Reaktionen – und die Inhalte ihres eigenen „Schattenbereichs“ – gar nicht bewußt.

Das gilt natürlich auch – und erst recht – von allem im eigenen Wesen, das z.B. ein Mann als „nicht-männlich“ (=“weibisch“) empfinden würde; nur erhebt sich da nun ein arges Dilemma: ohne gewisse „Resonanz-Kreise“ für Weibliches würde er jeder Frau im Grunde so fremd und verständnislos gegenüberstehen wie einem „Alien“ – er könnte sie allenfalls (wie Feministinnen gern sagen) „als bloßes Lustobjekt gebrauchen“, aber nie zu einer echten seelischen Partnerschaft mit ihr gelangen.

Also könnte er ohne diese Teile seines Wesens nicht leben – aber mit ihnen auch nicht!

Dieser „unlösbare Widerspruch“ treibt nun zwangsläufig seltsame Blüten: in den nicht bewußt kontrollierten „Schattenbereich“ abgedrängt und dort nochmal speziell „abgekapselt“, formieren sich diese Elemente zu einem „autonomen Komplex“, einer Art eigenständiger „Seelen-Frau“ oder „Frauen-Seele“: der „ANIMA“ !
Jung: Anima
In ihr sammelt sich alles, was – auch nur entfernt – als „weiblich“ erscheint: von (positiven oder negativen) „Frauen- und Mutter-Bildern“ über Lust-Auslöse-Reize bis zu mythologischen Figuren und Funktionen (die sogar aus uralten – „archetypischen“ – Inhalten eines „kollektiven Unbewußten“ stammen könnten) – und entwickelt, als unbewußte Gegenspielerin der bewußten „männlichen PERSONA“, oft geradezu poltergeisthafte Aktivitäten: wenn z.B. „starke Männer“ in Wirtschaft, Sport oder Politik ab und zu mal reagieren wie beleidigte Primadonnen oder keifende Fischweiber – dann sind unbewältigte „ANIMA“s im Spiel …

Ganz analog hat auch jede Frau ihre – gleichsam „offizielle“ – weibliche „PERSONA“, deren negativierten „SCHATTEN“ – und darin oder dahinter ihren „ANIMUS“: mit all den „männlichen“ Zügen, die sie oft bei Männern sucht und bei sich selbst meist nicht wahrhaben will.
Jung: Animus
Ein typischer „Partnerkrach“ entsteht z.B., wenn sich ein rechthaberischer „ANIMUS“ der Frau über irgendwas mit einer überempfindlichen „ANIMA“ des Manns in die Haare gerät…

Offenbar kann aber diese Konzeption auch neues Licht auf verschiedene in diesem thread aufgezeigte „Transgender“-Probleme werfen – doch das schreib ich besser in ein Extra-Posting

Die ach so gern dozierende HEKATE

@all:
Jung hat einmal gesagt, auf dem Weg zur Selbstfindung eines Mannes sei die Integration des eigenen „SCHATTEN“s das Gesellenstück (wie etwa zu lernen, daß „Mut“ nicht ist, „keine Angst zu kennen“ – sondern zu entscheiden, was man trotz eigener Angst tut) – das Meisterstück aber sei der richtige Umgang mit der eigenen „ANIMA“.

Einer der schlimmsten Fehler mancher „normaler Männer“ kann es z.B. sein, das ganze Idealbild ihrer eigenen ANIMA auf eine bedauernswerte Partnerin zu „projizieren“, die vielleicht das eine oder andere Merkmal dieses Idealbilds aufweist – sich deshalb „auf den ersten Blick“ in sie (in Wahrheit aber nur in die eigene ANIMA!) zu verlieben – und ihr später ständig bitter zu verübeln, wenn sie ihr nicht total entspricht, sondern sich als eigenständige Persönlichkeit „entpuppt“!

Der alternative (und eigentlich weitaus harmlosere) Lösungsversuch des TV wäre nach diesem Modell, seiner eigenen ANIMA ein „Eigenleben“ zu gönnen, indem er sie mehr oder minder oft als „Teilzeitfrau“ an und aus sich selbst kreiert! Im härtesten Falle verliebt er sich selbst dann derart in diese fleisch- (und silikon-)gewordene ANIMA, daß er gar keine andere Partnerin mehr braucht („Autogynephilie“); in anderen Fällen „vertritt“ er so für einen Partner dessen eigene „ANIMA“ (die ja auch nur das „Hirnprodukt eines Mannes“ ist); ja selbst der Buhmann so mancher einschlägigen Diskussion, der berüchtigte „fetischistische Transvestit“, könnte vielleicht bloß seine ANIMA so eng mit bestimmten „Symbolen“ identifiziert haben, daß diese allein schon genügen, sie „heraufzubeschwören“ ?
Im Normalfall des ganz „heterosexuell“ orientierten TV dagegen sollten ihm ja eigentlich all seine Partnerinnen dankbar sein, daß er es nicht ihnen zumutet, seine ANIMA „darzustellen“ – sondern sich dieser harten Strapaze selbst unterzieht (und auch nur mit sich selbst hadert, wenn ihm das nicht voll gelingen sollte); in der Tat finden es manche Partnerinnen von TVs wunderbar, so zu einem „Liebhaber“ auch noch eine „Freundin“ zu gewinnen – andere dagegen stürzt es (verständlicherweise, wenn sie die Zusammenhänge nicht durchschauen) in die ärgsten Probleme.

Die eigentliche TS aber, die ja im Grunde nur endlich „als Frau leben“ möchte, muß nach diesem Konzept (zu allen anderen medizinischen, amtlichen und sozialen Problemen) auch noch das gesamte vorherige Schema völlig umkehren: jetzt will sie der Welt (und sich selbst) ja eine völlig weibliche PERSONA präsentieren – müssen da nicht alle dafür unpassenden Elemente, insbesondere alles „männliche“, zum verachtet-abgelehnten SCHATTEN werden – und speziell die einstige „männliche PERSONA“, die sie lange Zeit gezwungenermaßen zeigen mußte, jetzt zu einem unheimlichen Gegenstück des „ANIMUS“?

Verständlich, daß vielen TS angesichts der Notwendigkeit dieser totalen und strapaziösen Umkehrung das lockere Jonglieren eines wohladaptierten
TV mit seiner PERSONA und ANIMA als leichtfertige Spielerei erscheinen muß – gegen die sie mit der ganzen „ehrlichen Entrüstung“ jedes „Schatten-Leugners“ und der vollen Rechthaberei eines weiblichen ANIMUS zu Felde ziehen: nicht zuletzt gegen die Zumutung eines anbiederischen „wir sitzen doch alle im gleichen Boot“ !

Dabei stimmt nun gerade das, wenn es um die Reaktionen der sogenannten „Normalmenschen“ geht, nach dem PERSONA/SCHATTEN-Konzept exakt: wer nämlich Zustandekommen und Funktion von SCHATTEN oder gar ANIMA/ANIMUS nicht durchschaut, packt alles, was nicht ins geläufige PERSONA-Schema „Mann ist Mann – und Frau ist Frau!“ zu passen scheint, ohne viel Überlegen in die globale SCHATTEN-Kategorie „Lauter Perverse!“ (oder zumindest „alles schräge Vögel!“) – und kommt noch nicht mal auf die Idee, dabei etwa Homosexuelle, Transvestiten, Transsexuelle oder andere Gruppen auseinanderzuhalten – denn zum „Ablehnen“ genügt eine „negative Gemeinsamkeit“ wie z.B. „Entspricht nicht (wie ich) dem gängigen Leitbild ‚Mann‘!“ bereits vollkommen.

[Daß im Gegensatz dazu jemand, den einer schon seit langem in die Kategorie „mir sympathisch“ oder „guter Kumpel“ eingeordnet hatte, bei ihm oft auch nach einem „Outing“ darin bleibt, steht dazu nicht im Widerspruch: „Ich kann Menschen beurteilen!“ gehört nämlich auch zu jenen Eigenschaften der eigenen PERSONA, die die meisten Menschen nicht in Zweifel ziehen wollen. Selbst Hitler konstatierte mal in einer Rede mit ironischer Verzweiflung „jeder Deutsche kennt wenigstens einen anständigen Juden!“ – nur hat das den deutschen Juden als Gruppe nicht viel genützt (wenn auch so manchem einzelnen davon!).]

Was nützen aber nun all solche Betrachtungen eigentlich?!

Ich persönlich behaupte: sehr viel. Denn beeinflussen kann man etwas erst dann, wenn man versteht, wie es zustandekommt – denn sonst versucht man gar zu leicht, wie es ein erfahrener Praktiker mal bei der Fehlersuche am Computer sagte, „das falsche Schwein zu schlachten“…

Eure optimistische Problem-Schlachtermeisterin HEKATE

Nun zur Sache:
Wenn mein 45-Zeilen-Feuilleton („Jung for Dummies“) Jungs PERSONA-SCHATTEN-ANIMA-Modell dennoch halbwegs richtig dargestellt haben sollte, beruhigt mich das – schließlich hab ich nur mal theoretische Physik studiert und nicht etwa Psychologie.
Als ich es Mitte des vorigen Jahrhunderts – wo man sich Wissen zu TG-Phänomenen noch mühselig selber zusammensuchen mußte – in seinen Werken entdeckte, habe ich es (arg unwissenschaftlich) nicht zuvor erst kritisch hinterfragt, sondern als eine Art „Überlebens-Konzept“ benutzt: bei der Frage, ob man einen Teil seines Wesens amputieren muß oder integrieren kann, greift man erst mal nach allem, was helfen könnte!

Hier sollte das ursprünglich bloß die Korrektur eines irrigen Sprachgebrauchs werden (so wie „Widerspruch“ <> „Wiederspruch“ ) – dann kamen ein paar Bildchen dazu – und endlich als Illustration, wie das denn z.B. auf die TG-Problematik angewendet aussehen würde.

Ich hab mich zwar redlich bemüht, stets einschränkend „nach diesem Modell“ o.ä. dazuzusagen – aber dennoch steh ich nun mit dem Odium des oberflächlichen „terrible simplificateurs“ da.

Vollig zu Recht – denn genau das ist die Methode des theoretischen Physikers: wenn es bei einem bestimmten Problem ausreicht, Planeten wie „Massenpunkte“ zu behandeln, tut er’s – ohne zu noch fragen, ob es auf ihnen auch Ozeane, Papageien oder politische Parteien gibt.

Vielleicht gerade deshalb hat mich an Jungs PERSONA- SCHATTEN-ANIMA-Modell fasziniert, daß es auch eine erstaunliche Robustheit gegenüber individualgenetischen, neurobiologischen oder ontologischen Spezialfragen aufweist – es setzt eigentlich nur dreierlei voraus:

1) Es gibt in einer Gesellschaft gewisse Leitbilder, nach denen sie jedes Individuum durch Erziehung, Anerkennung/Tadel usw. auszurichten sucht
2) Indivuelle Züge, die zu seinem Leitbild nicht passen, will das Individuum meist nicht wahrhaben („verdrängt“ sie in seinen „Schatten“)
3) Die Gesellschaft umfaßt 2 interagierende „Geschlechter“, deren Eigenschaften sich in ihren Leitbilder weitaus krasser unterscheiden als bei vielen realen Individuen.

Ich möchte das an einem „Gedankenexperiment“ (auch seit Galilei eine Erbsünde der theoretischen Physiker) demonstrieren:
Das fragliche Individuum sei ein völlig normales Mädchen (mit Eierstöcken, Gebärmutter, weiblichen Hormonen und „Instinkten“ usf.) – nur sei es (wie Prinzessin Ozma in Frank L. Baums „Land of Oz“) bei seiner Geburt von einer Hexe mit dem Fluch belegt worden, jedermann äußerlich wie ein Junge zu erscheinen. Denoch würde es sich anfänglich in vielem „wie ein Mädchen“ verhalten – aber da es ja alle für einen Jungen halten, der natürlich auch zu einem solchen „erzogen“ werden müsse, würde es dafür jedesmal scharf getadelt werden: solange, bis es sich all das „abgewöhnt“ (=verdrängt) hat und es, zusammen mit sonstigen „negativen“ Eigenschaften, im abzulehnenden „Schatten“ ablegt. Nun muß es aber auch mit anderen Kindern interagieren: naturgemäß „läge“ ihm das bei Mädchen besser – vieles, was sie tun, gefiele ihm selbst auch: aber das ist ja alles (für Jungen) „verboten“ – sondern „nur was für Mädchen“. Wie lange würde es dauern, bis sich all das spezifisch in einem erst recht als „unjungenhaft“ zu verdrängenden „Mädchen-Bild“ (einer „Anima“) kristallisiert ? Und welchen Grund hätte sie, ein analog verdrängtes „Jungen-Bild“ (einen „Animus“) zu entwickeln? „Junge“ ist sie doch bereits laut der ihr eingebläuten „Persona“!
Ich verzichte darauf, jetzt auch nochmal durchzuturnen, wie sich all das nach einer „Erlösung“ (oder bei der ersten Menstruation!) konvulsivisch umkehren müßte: dies soll ja keine TG-Fantasystory werden – sondern nur eine Demonstration, daß der Jungsche PERSONA-SCHATTEN-ANIMA-Mechanismus ganz unabhängig von Anatomie oder Neurobiologie abläuft, sondern primär von der Diskrepanz zwischen gesellschaftlichen Leitbildern und individuellen Eigenschaften abhängt (und vom einem „Verdrängungs“-Mechanismus bewußt schwer erträglicher Vorstellungen – aber daß es den gibt, scheint doch wohl allgemein akzeptiert?)

Wieso sich (real) kontinuierlich verteilte Eigenschaften wahrnehmungsmäßig zu bimodalen Extremen verdichten, dafür hat 1976 ZEEMAN Modelle nach der – noch abstrakt-universelleren – THOMschen „Katastrophentheorie“ der Singularitäten angegeben;
aus einem erweiterten solchen Modell („Schmetterlings-Katastrophe“ mit 4 Kontrollfaktoren) hatte er sogar zusammen mit Psychotherapeuten HEVESI ein neue Methodik zur Behandlung der anorexia nervosa entwickelt. Sie soll gute Erfolge erzielt haben. Mit ähnlichen Methoden hat er aber ebenso gesellschaftliche Probleme wie Gefängnisrevolten untersucht.

Vielleicht sollten auch wir, statt über die Therapie von TVs zu diskutieren, Methoden zum Therapieren der Gesellschaft suchen.

Die alles katastrophal vereinfachende HEKATE

An diesem gedankenreichen Thread wurde vielleicht als Einziges zuweilen bemängelt, daß manche Postings zu lang und/oder zu akademisch geworden seien. Um diesem Trend entgegenzusteuern, möchte ich deshalb hier zitieren, was ich vor über 30 Jahren mal als Extrakt der damals verfügbaren Theorien gedichtet hatte:

Tiefenpsychologie des Transvestitismus in Schüttelreimen

Wer die penislose Frau scheut,
liebt die Transvestitenschau (Freud)

Minderwertigkeitsvorwürfe alter Tadler
überkompensiert in Frau’ngestalt er (Adler)

Archetyp’sche Anima-Bejahung
fühlt er in Perücke und BH (Jung)

Dämon

Noch was zum Thema “Rechenmaschine”

Hekates Vorbemerkung an mich

So anno 1996 wollte ein Herr Luxbacher meine “Rechenmaschine” in einem Beitrag über die Technikgeschichte der Rechenautomaten für ein Science-Fiction-Jahrbuch des Heyne-Verlags zitieren – was mich damals veranlaßte, ihm noch ein paar Gedanken dazu aufzuschreiben (die dann offenbar etwas über seinen Horizont gingen!) Da ich sicher bin, daß dieses bei Dir nicht der Fall sein wird, hier eine Kopie davon:

Der Text

Die Idee, den „Laplaceschen Dämon“ mit einer Rechenmaschine auszurüsten, damit er nun die „mathematische Analyse“ – vermöge derer aus dem gegenwärtigen Zustand der Welt jeder künftige oder vergangene Zustand abzuleiten wäre – auch wirklich durchführen kann (denn wer hätte je schon eine „mathematische Analyse“ ohne irgendein materielles Substrat – sei es nun Bleistift und Papier oder das Gehirn eines Mathematikers – gesehen?) – führt nun zu einer überraschenden Konsequenz, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte:

eine solche Maschine müßte ja für jedes Elementarteilchen dieser „Welt“ mindestens eine Speicherstelle enthalten, in der jeder mögliche Zustand dieses Teilchens darstellbar wäre. Selbst die allersparsamste Realisierung einer solchen Speicherstelle wäre nun jedoch mindestens wiederum so ein Teilchen (das die fraglichen Zustände annehmen könnte).

Das ergäbe dann aber nochmals genau so viele Teilchen, wie es in dieser „Welt“ überhaupt gibt! Aus diesem Dilemma gäbe es nur drei Auswege:

:: Ein (abzählbar) unendliches“ Universum ::
In einer Welt, die „unendlich viele“ Teilchen enthielte, könnte auch eine Teilmenge solcher Teilchen (z.B. der Teil, aus dem der Dämon seine Rechenmaschine baut) noch immer „unendlich viele“ Teilchen umfassen – also genug, um auch alle übrigen auf diese Teilmenge „abzubilden“ [siehe jede Einführung in die Cantorsche Mengenlehre: die „Teilmenge“ der ungeraden (ganzen) Zahlen umfaßt genauso „unendlich viele“ Zahlen wie die Gesamtmenge aller (ganzen) Zahlen überhaupt usf.]. Die Frage ist nur, wie eine „unendlich große“ Rechenmaschine funktionieren würde (und ob der Dämon nicht auch „unendlich lange“ brauchen würde, um ihre Resultate abzulesen); zudem ergäbe die Annahme „unendlich vieler“ p h y s i s c h e r „Teilchen“ im Universum (anders als bei rein mathematischen Elementen wie
Zahlen usf.) andere kaum lösbare Widersprüche.

:: Identische Parallelität ::
Bei dieser Annahme wären die Teilchen, aus denen der Dämon seine Maschine baut, in der Tat Stück für Stück genaue „Kopien“ der Teilchen in dem Universum, das er vorausberechnen will – nur dürfen sie selbst dabei n i e in irgendeine W e c h s e l w i r k u n g mit jenen Teilchen des („Nicht-Maschinen“-)Universums treten (denn um a u c h noch eine solche dar- zustellen, hätte er „nicht genug Speicherstellen“ in seine Maschine!). Das wären dann ziemlich genau die Verhältnisse wie bei Leibniz´schen „Monaden“: die existieren auch alle parallel nebeneinander her, ohne je miteinander in Wechselwirkung zu treten („Monaden haben keine Fenster“) – aber dank der „prästabilisierten Harmonie“ [bei der Maschine würde man sagen: weil ihre Teilchen ja genau so „programmiert“ sind, sich ebenso zu verhalten wie die des zu berechnenden Universums] l a u f e n sie auch dennoch exakt parallel. Wieder gibt es aber das leidige „Zeit-Problem“: offenbar könnte gerade deshalb die Maschine mit ihren Berechnungen auch erst genau zu dem Zeitpunkt fertig sein, wo als das „voraus“-zuberech- nende Ereignis im wirklichen Universum ohnehin gerade wirklich eintritt!

Da wäre dann die dritte mögliche Annahme im Grunde viel einfacher – nämlich:

:: Faktische Identität ::
Statt gekünstelt neben das „wirkliche“ Universum noch eine (Maschinen-)Kopie zu stellen, die sowieso jedesmal bloß gerade das als „Resultat“ ausgeben könnte, was „nebenan“ in der Wirklichkeit ohnehin im gleichen Moment passiert, könnte man also viel simpler sagen:
die einzige „Rechenmaschine“, die dem Laplaceschen Dämon zeigen könnte, wie sich das
Universum entwickeln wird, ist – eben dieses Universum selbst!
Und wenn man statt „Dämon“ jetzt z.B. „Schöpfer“ sagen würde. hieße das: was aus einer Welt werden kann, erfährt selbst ihr Schöpfer auch erst, indem er sie eben erschafft – womit wir bei einer ziemlich unerwarteten Paraphrase des Mottos meiner alten Story wären: „cum deus calculat, fit mundus“ !

Nun war mir diese Überlegung allerdings keineswegs klar, als ich die Geschichte damals schrieb: sonst hätte ich mich nicht mit all den dort konstruierten Argumenten von „Professor“ und „Assistent“ herumgeschlagen, die alle haarscharf an dieser simplen Pointe vorbeigehen.

Ich kam auf diese Betrachtungsweise erst etwa 1964 – als ich gerade als Geschäftsführer ein Rechenzentrum aus der Taufe hob – und hatte damals naturgemäß schwerlich die Muße, sie irgendwie schriftstellerisch zu vertiefen.

Aus heutiger Sicht wird freilich klar, daß dies im Grunde schon damals auf ein zentrales Phänomen der „Chaos-Theorie“ zielte: Prozesse, die zwar durchaus programmierten Regeln folgen – deren Entwicklung aber so komplex ist, daß die einzige Art, herauszufinden, wie sie ablaufen werden, eben darin besteht, sie tatsächlich (z.B. im Computer) ablaufen zu lassen!

Was für Sie – „ideen-geschichtlich“ – an all dem vielleicht interessant sein könnte, ist aber nun: im Grunde folgt all das ja schon – wie skizziert logisch Schritt für Schritt – aus der (da-mals durch die technische Entwicklung der programmierbaren Elektronenrechner nahege-legten) Idee, nicht bloß immer wie Laplace davon zu reden, wie „man durch mathematische Analyse das ganze Universum vorausberechnen könne“ – sondern zu fragen, wie denn eine M a s c h i n e aussehen müsse, die das tun könnte (eine ganz analoge Fragestellung – wie müßte denn eine M a s c h i n e aussehen, die jede mathematische Funktion berechnen könnte – wurde ja, im Konzept von Turing, auch höchst fruchtbar für die mathematische Grundlagenforschung).

Nun war ich mit meiner „Rechenmaschinen“-Story anscheinend der erste, der diese Frage aufwarf (und damals allerdings nur ziemlich oberflächlich zu „beantworten“ suchte). Aber so weit mir bekannt ist, wurde diese Fragestellung danach weder im Bereich der Science Fiction – noch in der auch recht breiten Literatur zu den Themenkreisen „Willensfreiheit und Determinismus“, „Grenzen des Computers“ oder „Chaos und Berechenbarkeit“ wieder auf-gegriffen – obwohl sie doch auf einem sehr direkten Weg zu fruchtbaren Erkenntnissen führt.

Warum wohl ?

Theoretisch

Dieses Kurz-Essay ist nicht datiert, aber wahrscheinlich kurz nach oder während der Bremen-Periode entstanden – mit Sicherheit jedenfalls ziemlich lange vor dem “Animagie”-Dialog mit seinen magisch-tiefenpsychlogischen Aspekten und dessen Anspruch, eine “allgemeingültige” Theorie aller TG-Phänomene zu geben.
Gerade das macht ihn im Vergleich besonders interessant.)


(Margot Trugmaid, Diplomandin)

Zur Theorie eines Typs nicht-transsexueller T.


Ist ein Protest gegen die gesellschaftlich normierten und auferlegten Geschlechtsrollen. Dieser T. sagt im Effekt:
„Ihr (die Gesellschaft) habt die Menschen eingeteilt in Männer, denen bestimmte Verhaltenswelsen verboten sind (z.B. „Weichheit”, „Zärtlichkeitsbedürfnis“, „sich-Schmücken“ etc.), während andere („Härte“, „Konkurrenzkampf“ usw.) von ihnen verlangt werden; andererseits Frauen, denen diese Verhaltensweisen zugestanden werden (u.a. deshalb, weil sie dem „vom Geschlechtstrieb umnebelten männlichen Verstand“[Schopenhauer] angenehm erscheinen). Es handelt sich dabei um eine im wesentlichen von Männern eingeführte und vertretene Einteilung.


Ich protestiere gegen diese Einstellung – aber nicht offen und allgemein, sondern (da meine Denkkategorien ebenfalls von diesem Modell geprägt sind) dadurch, daß ich diese Kategorien akzeptiere, aber durch mein Verhalten ad absurdum führe:


Ich zeige Euch, daß ich Mann als Frau verkleidet alle sog. ‚weiblichen’ Eigenschaften auch (re-)produzieren kann, sogar so gut, daß Männer mich als Frau akzeptieren und typische Reaktionsweisen wie gegenüber einer Frau zeigen; damit ist bewiesen, daß diese Eigenschaften nicht ursächlich Frauen vorbehalten sind – daß also Eure Einteilungsbasis nicht auf dem Geschlecht, sondern willkürlich definierten „Geschlechterrollen“ beruht .


(Das ist die typische indirekte Beweisführung, die etwas beweist, indem sie das Gegenteil unterstellt und dieses dann ad absurdum führt ) .
Nun genießt er aber während dieser „Beweisführung“ neben dem („logischen“) Triumph dieses ad-absurdum-Führens zugleich die „Annehmlichkeiten“ dieser Einteilung, d.h. die „Frauen-Privilegien“ der Gesellschaft (realiter oder zumindest in seiner Einbildung). Dies zu genießen ist einerseits (zum Beweis) notwendig, andererseits (nach dem „Bewiesenen“) „unrecht“; „rechtens“ wäre es ja vielmehr, als Mann jetzt von der Geschlechterrolle abweichen zu dürfen, nicht als Pseudofrau deren Geschlechtsrolle mitzubenutzen!


Situativ erlebt er aber im T. „the best of three worlds“: Erstens ist er – nach der konventionellen Geschlechtsrolle – Mann und hat sich i.a. den gesellschaftlichen Konventionen angepaßt (ist z.B. geschäftlich erfolgreich, oder Familienvater etc.); zweitens genießt er „als Frau“ die Privilegien der anderen Geschlechtrolle; drittens aber hat er durch seine „Beweisführung“ diese beiden Rollen „aufgehoben“ und sich die Möglichkeit bzw. Realität einer Welt bewiesen, in der diese beiden Rollen gar nicht „gelten“, sondern ihm vielmehr die individuelle Entfaltung seiner spezifischen Persönlichkeit möglich wäre (oder ist).
Symbol dieser Trias ist der T., der als elegante Dame gekleidet seine Geschäftsbriefe auf Tonband diktiert und dreifach „genießt“ : a) ich diktiere einen „männlichen“ Brief , b) ich tue dies aber „als Dame“, und c) und Ihr wißt, nenn Ihr diesen Brief bekommt, nicht, daß ich ihn in dieser Doppelrolle bzw. Rollenaufhebung diktiert habe!


Der T. möchte also die Geschlechtsrollen gar nicht generell abschaffen, sondern nur für sich privat. Das unterscheidet ihn vom Sozialreformer, aber auch vom Transsexuellen, der ja die Rolle wechseln will.


Entscheidendes Motiv ist das „ich weiß es besser als Ihr!“, das ja nur solange gilt, wie die anderen es eben nicht besser wissen!
Er gleicht gewissermaßen einem Kaufmann, der festgestellt hat, daß in zwei Ländern die Wechselkurse der Währungen nicht übereinstimmen – aber, weit davon entfernt, die Finanzministerien dieser Staaten darauf hinzuweisen, aus dieser Kursdifferenz für sich persönliche geschäftliche Vorteile zieht.


Dabei kommt zu dem „intellektuellen“ Vergnügen daran, es besser zu wissen, noch ein doppeltes“existenzielles“:
1) während „man“ ihm früher gesagt hat, die Geschlechterrollen seien gewissermaßen „anatomisch“ fixiert – was ihm bei abweichenden Wünschen Wunschversagungen und Selbstwertzweifel auferlegte – ist er jetzt dieses Problem „los“, und zwar kraft einer „überlegenen“ eigenen „Leistung“: nämlich des beweisenden „Praktizierens“.
2) Darüber hinaus kann er sich aber jetzt als Wesen fühlen, das die Charakteristika beider „Geschlechter“ (in Wirklichkeit allerdings nur beider Rollen!) vereint, also als „göttlicher Hermaphrodit“ im Sinne von Platos Urwesen.
Das Prinzip des ad-absurdum-Beweises hat nun die eigentümliche Folge, daß der T. die „traditionellen“ Geschlechterrollen betont statt verwischt, aber mit dem Korrolar, daß sie eben nur Rollen seien, die er nach Belieben wechseln darf.
In diesem Sinne ist er überhaupt nicht „emanzipiert“: im Gegenteil wählt er „als Frau“ mit Vorliebe typische „Rollen“ der patristischen Weltordnung – die „Halbweltdame“, die „Hausfrau“, das „Dienstmädchen“, ja die „Mutti“ oder „Krankenschwester“; er würde kaum auf die Idee kommen, sich als „emanzipierte Frau“ zu verkleiden, oder als geschlechtsunsicherer Blue-Jeans-Teenager. Genau so achtet er „als Mann“ darauf, ziemlich konventionell gekleidet zu sein – er würde wahrscheinlich keine seidenen Herren-Unterwäsche tragen, und schon gar nicht ein Herren-Hemd mit Spitzen oder Lochstickerei
Natürlich sympathisiert er „intellektuell“ mit der Idee, solche Konventionen zu durchbrechen: er „kann verstehen“, wenn Männer oder Frauen dies tun – bloß hält er wahrscheinlich insgeheim eine Frau für blöd, wenn sie auf die reizvollen „trappings“ ihrer Geschlechtsrolle verzichtet!


Die existenzielle Bedeutung dieses „Beweises“ führt nun aber dazu, daß er ihn v o l l z i e h en muß – und zwar perfektioniert und immer wieder:
d.h. während es dem Mathematiker genügt, einen ad-absurdum-Beweis einmal geführt zu haben (bzw. dessen jederzeitige Wieder-Vollziehbarkeit – „Allgemeingültigkeit” – zum System der Mathematik gehört), muß der T. als „Naturwissenschaftler“ „experimentell“ arbeiten – und (nach dem „Induktionsprinzip“) mit wiederholten Experimenten. Daß diese Experimente zudem lustvoll für ihn sind, unterscheidet ihn gar nicht sehr vom fanatischen Wissenschaftler, der ja auch “gern forscht“.
Das Gefährliche daran ist nun, daß nicht abzusehen ist, wie weit ihn diese „Experimente“ führen. Genügt es zur Beweisführung, wie eine Frau auszusehen? Oder muß man auch ihre Tätigkeiten ausführen? Oder müßte man nicht in letzter Konsequenz auch wie eine Frau mit einem Mann ins Bett gehen?

(Hellmut Wolfram kommt immer wieder auf die im letzten Satz ausgedrückte “letzte Konsequenz” zurück – was einen orthodoxen Psychoanalytiker a la Stekel darin bestätigen würde, ihn als “unbewußt homosexuell” einzuordnen. Wie schon Havelock Ellis ausführt, greift ein solcher Ansatz aber zu kurz, um die spezifisch “transvestitischen” Phänomene zu klären (und macht Personen dieser Art unnötig nervös!).
H.W. scheint im Alter aber dieses Problem durch seinen “Harem virtueller Schwestern” gelöst zu haben, mit dem er unbesorgt einen bunten Strauß der “Perversionen” von der Eventual-Päderastie bis zum Pseudo-Inzest praktizieren (oder zumindest illusionieren) kann… was mich besonders freut, weil ja auch ich zu diesem Harem gehöre!)


(Margot Trugmaid. Diplomandin)

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